Schnell wie der Wind - Rita de Monte - E-Book

Schnell wie der Wind E-Book

Rita de Monte

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Beschreibung

Das Leben auf dem Dornerhof geht weiter. Doch Reit- und Kutschpferde lassen sich nicht mehr so einfach verkaufen. Neue Ideen müssen her. Tarek schleust sich bei einem Reitstall in Baden Baden ein um mehr über die beginnende Rennsaison zu lernen. Er lernt dort den Jockey Joaquin kennen und kann ihn dafür gewinnen auf dem heimischen Gestüt die Araberpferde zu trainieren. Dort wächst inzwischen ein Jahrhundert Rennpferd heran. Die spannenden Abenteuer von Sturmwind, Aurelia und ihrer Crew. Band 2 der Aurelia -Reihe.

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Inhalt

Sturmwind

Baden-Baden

Der kleine Hengst

Rennstall Gerber

Ein strammes Baby

Alexander der Kleine

Neue Pläne

Die Rennbahn

Joaquin

Oliv mit orangefarbenen Sternen

Asyl

Reifeprüfung

Schloss Chantilly

Das Unglück

Paris-Auteuil

Paris-Saint-Cloud

Raoul de Toussant

Ein Ehrenmann

Sturmwind

Aurelia saß auf dem kleinen grünen Bänkchen vor dem Gutshaus und schaut hinauf zum Himmel. Nur vereinzelt zogen langsam weiße Wolkenfetzen über den strahlend blauen Horizont. Es wehte kein Lüftchen und so hatten die Sonnenstrahlen, die ihr ins Gesicht fielen, bereits einiges an Kraft entwickelt, obwohl es erst Ende März war. Sie war jetzt schon fast ein halbes Jahr wieder zu Hause auf Gut Dorner Hof und inzwischen war viel passiert. Ihre Ehe mit Raoul de Toussant war offiziell annulliert worden. Sie hatte ihre große Liebe, den Tunesier Tarek geheiratet und ein Kind war unterwegs. Ihre Schwangerschaft war schon deutlich sichtbar, denn sie erwarteten das Kind bereits im Juni. Anfangs war es ihr fast zu schnell gegangen und sie hatte etwas Angst gehabt. Doch Tarek war sehr liebevoll zu ihr. Oft strich er ihr über den Bauch und lächelte sie zärtlich an. Er freute sich sehr über seinen Nachwuchs.

Was es wohl werden würde? Sie waren Beide schon so aufgeregt wie das Kleine wohl sein würde. Sie seufzte glücklich.

Ihr Großvater Georg kam gerade den Kiesweg von den Stallungen herauf gestiefelt. Auch ihm ging es wieder sehr viel besser, seit seine Enkelin von ihrer aufregenden Reise wieder zurück war. Er hatte Aurelia erst kennengelernt als sie bereits sechzehn Jahre alt gewesen war. Sie war die Tochter von Laura, seiner damals achtzehnjährigen Tochter. Seine wunderschöne Laura war bei der Geburt ihres Kindes gestorben. Damals war sie von zu Hause weggelaufen und hatte Aurelia in einem nahen gelegenen Kloster zur Welt gebracht. Dort wuchs seine Enkelin auf, bis sie sechzehn Jahre alt war und ihr die Mutter Oberin endlich die ganze Wahrheit erzählte.

Georg war damals in ein tiefes Loch gefallen, denn die beiden Frauen, die ihm in seinem Leben am meisten bedeutet hatten, waren tot und er sah kaum mehr einen Sinn in seinem Leben. Doch als dann die Nachricht kam, dass er eine Enkelin hatte, wollte er sie unbedingt kennenlernen und als er diese wunderschöne junge Frau vor sich sah heilte sein Herz. Er konnte nach und nach wieder Lachen und Liebe empfinden und war deshalb untröstlich, als Aurelia ihn, nach ihrer Hochzeit mit dem schönen Raoul de Toussant, bald darauf wieder verlassen hatte. Sie zog mit Raoul nach Südfrankreich. Doch nun war sie endlich wieder da und hatte ihre große Liebe, den Tunesier Tarek, mitgebracht und geheiratet. Bald würde wieder Leben im Gestüt einziehen, durch das gemeinsame Kind, sein Urenkelkind. Obwohl ihm plötzlich bewusst wurde, dass er schon siebzig Jahre alt war, pfiff er fröhlich vor sich hin. Er schreckte aus seinen Gedanken auf, als er Aurelia dort auf der Bank sitzen sah, das wunderschöne Gesicht mit der kecken Nase der Sonne zugewendet.

„Aurelia, guten Morgen. Genießt Du die ersten Sonnenstrahlen? Es ist heute schon richtig warm.“

Die junge Frau blinzelte ihn an. „Du siehst müde aus Großvater. Hat unsere kleine Wüstenblume es geschafft?“

Georg grinste: „Das war eigentlich die frohe Botschaft, die ich Dir gerade überbringen wollte. Ja, sie hat es mit Bravour gemeistert. Ihre erste Geburt. Es war nicht ganz einfach, aber sie hat es geschafft und wir haben ein wunderschönes Hengstfohlen bekommen. Er ist schon dabei aufzustehen.“

Aurelia sprang auf wie von der Tarantel gestochen. „Dann schau ich mir den kleinen Mann doch gleich mal an.“ Sie rannte den Kiesweg hinunter zu den Stallungen. Im Stallgebäude, welches auf der rechten Seite des Weges lag, waren die Mütter mit ihren Fohlen untergebracht. Wüstenblume hieß eigentlich Zaihnab, das war ihr arabischer Name. Doch übersetzt bedeutete er eben Wüstenblume und sie war Tareks Stute. Eine kleine wunderschöne Fuchsstute, die von Djamal ihrem edlen weißen Araberhengst gedeckt worden war. Heute Nacht, während Aurelia tief und fest geschlafen hatte, war ihr Hengstfohlen zur Welt gekommen.

Ihr Mann Tarek stand bereits vor der Pferdebox und wartete auf sie. Er zeigte auf das kleine schwarze Fohlen, welches neben seiner Mutter stand und deren Zitzen suchte. „Schau doch mal mein Schatz, welch wunderschöner kleiner Kerl da auf die Welt gekommen ist. Siehst Du diese langen Beine. Der scheint Potential für ein Rennpferd zu haben.“

Aurelia schüttelte grinsend den Kopf. „Was Du Dir schon wieder alles ausmalst Tarek. Großvater züchtet doch bisher noch keine Rennpferde. Er liefert nur an renommierte Häuser und Araberpferde Liebhaber. Aber eigentlich hast Du gar nicht so unrecht. Es wäre vielleicht eine vollkommen neue Idee Rennpferde zu züchten und damit hätten wir ein Zusatzeinkommen. Wir müssten eine Rennlinie aufbauen und die Pferde dahingehend trainieren. Weißt Du was mich immer wieder fasziniert?“ Aurelia schaute verträumt.

„Was denn?“ fragte Tarek seine schöne junge Frau.

„Dass Schimmel doch tatsächlich schwarz auf die Welt kommen und dann immer heller werden, bis sie reinweiß sind. Das kann man sich gleich nach der Geburt gar nicht wirklich vorstellen, wenn man das kleine schwarze Teufelchen so sieht. Schau mal, wie der schon rum hüpft. Der ist doch gerade erst aufgestanden. Es ist schon ein Wunder so ein kleines neues Wesen. Ich bin auf unser Kind gespannt. Ob es wohl Deine dunklen Haare hat oder meine blonden? Oder vielleicht hellbraun?“

Tarek schmunzelte. „Das werden wir ja bald wissen mein Schatz. So bleibt die Spannung noch etwas erhalten. Wir sollten später vielleicht mit Georg über unsere neue Idee reden in den Rennsport einzusteigen.“

Aurelia nickte und gemeinsam, Hand in Hand, machten sie sich auf den Weg zum Gutshaus hinauf.

Nachdem Aurelia das gemütliche Bänkchen vorher freigegeben hatte, beschloss Georg sich darauf niederzulassen, um ebenfalls einige Sonnenstrahlen zu tanken. Wie er so da saß, war er so richtig müde geworden und wohl eingenickt. Aurelia beschloss ihn nicht zu wecken. Sie konnten auch beim Essen mit ihm über Tareks Idee sprechen. Also ging sie zusammen mit ihrem Mann hinauf in ihre Räumlichkeiten. Sie bewohnten zusammen die Räume ihrer verstorbenen Mutter. Das genügte ihnen vollauf, denn das Haus sah von außen zwar nicht sonderlich groß aus, aber es reichte sogar noch für einige Dienstboten. Wobei sie momentan nur ihre Haushälterin und Köchin Maria und eine neue Zofe namens Monika hatten. Ihre frühere Zofe Sara war damals mit ihr, Raoul und dessen Burschen Jean mit nach Frankreich gegangen und hatte dort ebenfalls vor gehabt ihren Jean zu heiraten. Aurelia hatte jedoch nie mehr etwas von ihr gehört und deshalb beschloss sie, ihr einen Brief zu schreiben.

Sie würde noch Zeit haben bis zum Mittagessen. Deshalb setzte sie sich an den kleinen Schreibtisch, nahm Papier, Feder und Tinte zur Hand und begann:

Liebste Sara,

ich habe gerade an Dich gedacht und deshalb beschlossen mich gleich hinzusetzen und Dir zu schreiben. Wie geht’s es Dir denn? Ich habe nie mehr Neuigkeiten von Dir erfahren. Hast Du Deinen Jean denn inzwischen geheiratet?

Du hast sicher davon gehört, dass meine Ehe mit Raoul inzwischen offiziell annulliert worden ist. Ich hoffe, seine Eltern sind mir nicht all zu böse. Aber wie Du sicher inzwischen weißt, hatte er Natalie damals geschwängert und wollte sie einfach sitzen lassen, weil er sich von einer Verbindung mit mir viele Vorteile versprach. Er hat mich damals nicht aus Liebe geheiratet. Ich war wohl viel zu blauäugig. Wobei meine Augen ja grün sind.

Jetzt allerdings habe ich meine wahre Liebe gefunden und erwarte bereits mein erstes Kind. Ich bin sehr glücklich.

Ich hoffe, Du bist mit Jean genauso glücklich. Falls nicht, dann steht Dir Gut Dorner Hof jederzeit offen für eine Rückkehr.

In freundschaftlicher Verbundenheit Deine Aurelia

Während die werdende Mutter ihren Brief an Sara versiegelte, lag Tarek auf ihrem gemeinsamen Bett und versuche die Tageszeitung zu lesen. Sein deutsch war im letzten halben Jahr schon recht gut geworden, doch lesen fiel ihm noch sehr schwer. Deshalb nutzte er die Zeit, um diese schwierige Sprache zu lernen. „Sag mal meine Schöne, weißt Du wo wir Näheres über Rennbahnen und Rennpferde erfahren könnten? Wir müssen ja von der Pike auf Lernen und auch unsere zukünftige Konkurrenz im Auge behalten können.“ Aurelia überlegte. „Ich denke da gibt es genauso Fachzeitungen, die vielleicht ausschließlich über den Pferdesport berichten. Du kannst ja das nächste Mal danach Ausschau halten, wenn Du die Tageszeitung kaufen gehst. Das müssen wir Georg nachher fragen. Vielleicht weiß der etwas darüber.“ In diesem Moment klopfte es auch schon an die Tür. „Das Essen ist fertig. Bitte zu Tisch,“ rief Monika vor der Tür.

Tareks Magen knurrte schon bedenklich als sie gemeinsam die Treppe zum Esszimmer hinunter gingen. Georg saß bereits an seinem Platz und schaute die Beiden erwartungsvoll an. Das kleine Schläfchen schien ihm gut getan zu haben, denn seine Augen funkelten unternehmungslustig und voller Vorfreude auf das gute Essen, das ihnen Maria auftischte. Heute gab es eine Bärlauchsuppe, Rinderbraten mit Spätzle und Karottengemüse und als Nachtisch einen Pudding mit Mandeln und Rosinen. Der alte Mann aß für sein Leben gern. Vor allem, wenn seine Familie mit ihm am Tisch saß.

Alle ließen es sich schmecken. Nachdem sie ihren Nachtisch aufgegessen hatte, schaute Aurelia Tarek an. Dieser nickte unauffällig und so fasste sich die junge Frau ein Herz und begann: „Georg, als wir heute Morgen den kleinen neuen Hengst besucht haben ist uns aufgefallen, dass er sehr lange Beine hat und sehr zierlich wirkt. Was hältst Du denn davon, wenn wir ihn als Rennpferd schulen lassen? Es wäre doch sicher ein gutes Zusatzeinkommen, oder was denkst Du? Pferderennen kommen doch immer mehr in Mode. In Frankreich gibt es sie schon lange.“

Georg schmunzelte. „Das ist eine gute Idee. Ich hatte auch schon darüber nachgedacht. Doch es kostet zunächst einmal sehr viel Geld einen Rennstall aufzubauen. Das Gestüt braucht seine eigenen Farben, das ist so etwas wie ein Erkennungsmerkmal. Dann brauchen wir einen guten, namhaften Trainer und einen guten Jockey. Womöglich stellt sich heraus, dass der Kleine gar nicht so schnell ist wie er jetzt schon aussieht. Also langsam und mit Bedacht. Ich werde die Bücher prüfen, ob wir uns das überhaupt leisten können. Du könntest mir eigentlich dabei helfen Aurelia. Ich wollte Dich da sowieso einlernen. Denn die Bücher führen und die Ausgaben verwalten musst Du auch können, wenn Du das Gestüt leiten willst. Ich schlage vor, das machen wir nach dem Mittagskaffee. Dann setzen wir uns nachher zusammen. Außerdem braucht der kleine Hengst auch noch einen Namen. Ihr könnt Euch schon einmal welche überlegen.“ Dann stand er auf und marschierte hinaus ins Freie. Er brauchte einen kleinen Verdauungsspaziergang.

Tarek holte sich Papier, Tinte und eine Feder und zeichnete einen Grundriss vom Gestütsgelände. „Georg hat schon recht. Das muss gut überlegt sein. Wir haben zwar viele Stallgebäude, Weiden und auch einen Reitplatz, aber wir müssten fürs Training eine eigene Galopp Rennstrecke haben. Ich schau gerade, wo wir die eventuell anlegen könnten.“ Tief in Gedanken versunken kritzelte er verschiedene Möglichkeiten aufs Papier.

Aurelia ließ ihn überlegen und setzte sich wieder hinaus auf die kleine Bank. Es war einfach zu schön, um drinnen zu sitzen. Doch zum Ausreiten hatte sie heute auch keine Lust, zumal sie kaum mehr aufs Pferd kam. Also wollte sie einfach die Zeit nutzen sich zu entspannen und auf ihr Kind zu freuen. Frühling war doch sowieso eine Zeit, in der alles neu anfing zu sprießen und zu blühen. Eine wahrlich schöne Jahreszeit. Sie schloss die Augen und Bilder von einem weißen Pferd, welches über die Rennbahn galoppierte und siegte, schossen ihr in den Kopf. Doch es war noch gar nicht sicher ob der kleine Hengst ein richtiger Schimmel werden würde, denn nur sein Vater war weiß. Zaihnab, seine Mutter, war ein Fuchs. Aber das war ja auch egal. Hauptsache er würde ein großer Renner werden.

Einige Stunden später setzten sie sich an den Kaffeetisch. Während Maria Kaffee und einen wundervollen Käsekuchen servierte, überlegten sie sich einen Namen für den kleinen Hengst. „Was haltet ihr denn von Asifa Ibn Djamal. Sturmwind - Sohn von Djamal?“

Die junge Frau war begeistert. „Das hört sich gut an Tarek und würde zu einem kleinen Rennpferd passen. Selbst wenn er keines wird ist es ein schöner Name. Bist Du einverstanden Georg?“

Georg murmelte den Namen vor sich hin. „Ja, ich bin einverstanden. Ein sehr wohlklingender Name. Ich bin sicher, der kleine Mann wird uns nicht enttäuschen. Tarek willst Du mitkommen, wenn ich Deiner Frau die Bücher erkläre?“ Er war bereits dabei aufzustehen.

Tarek winkte ab. „Nein, das überlasse ich meiner Frau. Ich schau noch einmal nach unserem kleinen Sturmwind und seiner Mama.“ Dann ging er hinaus, um zu den Stallungen hinunterzugehen.

Aurelia nahm ihren Großvater am Unterarm, hakte sich bei ihm ein und gemeinsam gingen sie zu seinem Büro. Dort holte sie sich einen weiteren Stuhl und setzte sich neben ihren Großvater. Dieser schlug ein dickes Buch auf und begann ihr zu zeigen, welche Einnahmen und welche Ausgaben sie hatten und wer ihre Lieferanten für Futter und sonstige Güter waren.

Als Georg dann endlich das Buch zuschlug, rauchte Aurelia der Kopf. Aber sie hatte begriffen, dass ihnen keine Reichtümer zur Verfügung standen. Doch für den Bau einer Sandbahn würde das Geld zunächst reichen und vielleicht konnte Tarek anfangs als Jockey fungieren, oder sie selbst. Und wenn sie dann wussten, ob Sturmwind wirklich für die Rennbahn geeignet sein würde, konnten sie sich immer noch einen richtigen Berufsjockey suchen. Doch sie mussten sich außerdem noch weiteres Wissen aneignen in Bezug auf Fütterung und Training. Da gab es sicher tausend Sachen zu beachten.

Beim Abendessen beschlossen sie deshalb, dass der Tunesier bald zu einem Rennen nach Baden-Baden fahren würde. Dort konnte er sich mit anderen Rennpferdebesitzern austauschen und einiges über die Handhabung und das Prozedere erfahren. Aurelia würde so lange zu Hause bleiben müssen, denn es waren nur noch zwei Monate bis zur Geburt ihres Kindes. Als Tarek deshalb einige Tage später in der Süddeutschen Zeitung erfuhr, dass bald ein Renntermin in Baden-Baden stattfinden würde, entschloss er sich in den nächsten Tagen dorthin aufzubrechen.

Baden-Baden

Einige Tage später kleidete sich Tarek in seinen besten Anzug, während seine Frau ihm eine große Tasche mit notwendigen Dingen packte. Es war ihm nicht ganz wohl sie in ihrem Zustand jetzt allein zu lassen, doch sie hatte ja noch fast acht Wochen Zeit bis zur Entbindung und er hoffte bis dahin zurück zu sein. Wehmütig nahm er Aurelia in den Arm und drückte sie fest an sich. „Mein Herz, ich werde bald wieder bei Dir sein und ich werde immer an Dich denken. Schaffst Du es ohne mich?“

Aurelia lachte. „Aber Tarek, Du bist doch nur kurz weg und wir haben noch Zeit. Außerdem sind Georg, Maria und Monika auch noch da. Was soll denn schon passieren. So schnell wirst Du mich nicht los. Geh ruhig guten Gewissens. Natürlich werde ich Dich auch vermissen, aber wenn wir unseren Plan verwirklichen wollen, dann muss das jetzt so sein.“ Sie wand sich aus seiner Umarmung, küsste ihn und schob ihn sanft zur Tür hinaus.

Der alte Vinzenz hatte bereits einen Einspänner heraufgefahren und der junge Tunesier musste nur noch übernehmen. Es war ihm nicht wohl in seiner Haut. Er sprach zwar schon recht gut Deutsch, aber er zweifelte, dass man ihn auf der Rennbahn in den gehobenen Kreisen die dort verkehrten, auch akzeptieren würde. Na ja, man würde sehen. Jetzt hieß es erst einmal auf zu neuen Abenteuern. Er hatte auf eine Begleitung Vinzenz verzichtet und lenkte die leichte Kutsche mit der jungen Rappstute selbst. Georg war neben seine Enkelin getreten und rief Tarek zu: „Dann auf Wiedersehen mein junger Freund. Komm mit guten Nachrichten wieder.“ Der Tunesier winkte zum Abschied und lenkte die Kutsche in Richtung Kastanienallee, die auf die Hauptstraße hinausführte.

Während er dahinfuhr, ließ er die Zeit Revue passieren, die er bisher mit seiner Frau erlebt hatte. Ihr Kennenlernen in Madrid, wie er ihr geholfen hatte ihren Hengst Djamal in Sicherheit zu bringen und die gemeinsame Reise nach Alexandria, das alles hatte, sie fest zusammengeschweißt. Damals hatte er große Angst um sie gehabt, denn sie war auf der Suche nach ihrem leiblichen Vater gewesen. Es handelte sich um einen Angehörigen des spanischen Hofes und der Mann hatte großen Einfluss dort. Es wäre für ihn ein leichtes Gewesen Aurelia in den Kerker zu werfen und dort verrotten zu lassen als sie mit dem Messer vor ihm stand. Doch glücklicherweise hatte ihre Liebe gesiegt. Blut ist eben doch dicker als Wasser. Und diesem Mann – Don Pedro de Fernandez– hatte er es auch zu verdanken, dass er Aurelia überhaupt hatte heiraten können. Denn er hatte dafür gesorgt, dass Aurelias erste Ehe mit dem Franzosen Raoul annulliert worden war. Trotzdem hatte Tarek immer noch ein ungutes Gefühl, wenn er an Raoul dachte. Dieser war zwar ein Lebemann und tanzte auf vielen Hochzeiten, hatte sicher auch viele Frauen verführt, doch er war auch sehr stolz und eigensinnig und vor allem rachsüchtig. Tarek glaubte nicht, dass Raoul die Annullierung einfach so, ohne etwas zu unternehmen, hinnahm. Sicher würden sie von diesem üblen Zeitgenossen noch etwas hören.

Am Abend war er bereits fast in Singen am Hohentwiel angekommen und suchte sich in einem kleinen Vorort eine gemütliche Herberge. Er sah die kleine Gaststätte sofort als er in die Hauptstraße des Örtchens einbog. Rote Fensterläden zierten das kleine Haus und ein großes Schild deutete auf eine Unterkunft hin. Er parkte seine Kutsche direkt davor, wo sofort ein junger Mann das Pferd entgegennahm und in den angrenzenden Mietstall führte. Tarek trat durch die offene Tür in den Gastraum. Eine dralle ältere, jedoch sauber wirkende, Frau stand am Tresen. „Was kann ich für Euch tun junger Mann? Ihr seid aber gewiss nicht von hier? Wohin des Weges?“

Der junge Tunesier wollte ihr nicht gleich auf die Nase binden, woher er kam, denn das ging sie nichts an. Deshalb erzählte er ihr, dass er den weiten Weg von Tunesien gemacht hätte, um einen alten Freund in Baden-Baden zu besuchen.

Die Wirtin war zufrieden und fragte nach seinen weiteren Wünschen. „Ich hätte heute einen saftigen Schweinebraten und frisch gebackenes Brot anzubieten.“

Tarek knurrte der Magen. Es war ihm zwar immer noch fremd Schweinefleisch zu essen, aber er war nicht wählerisch und wusste, dass er sich im Gastland anzupassen hatte. Außerdem schmeckte ihm Schweinefleisch gar nicht so schlecht. „Gerne gute Frau. Allerdings benötige ich auch ein Zimmer. Habt ihr noch eines frei?“

Die Wirtin nickte. „Ja, kommt erst einmal mit, dann zeige ich Euch Euer Zimmer und anschließend könnt ihr essen.“ Sie schnappte seine Tasche, ging vor ihm die Treppe hinauf und öffnete die erste Tür auf der linken Seite. Dann reichte sie Tarek seine Tasche und sagte: „Macht es Euch gemütlich und dann kommt herunter damit ich Euch verköstigen kann. Ich habe auch einen guten Honigwein.“

Tarek nickte und schloss die Tür hinter sich. Er warf seine Tasche neben das sauber bezogene Bett, goss sich etwas Wasser in die bereitstehende Waschschüssel und erfrischte sich. Dann ging er hinunter zum Essen. Die Wirtin stellte einen großen Teller Fleisch, einige Scheiben Brot und einen großen Humpen Honigwein vor ihn hin und wünschte ihm einen guten Appetit. Der ließ es sich schmecken und lobte ihre Kochkünste, was die Wirtin freute. Er war froh, dass noch nicht sehr viel Gäste anwesend waren, so konnte er in Ruhe sein Mahl beenden und ging bald nach oben und zu Bett, denn er wollte früh weiter.

Am nächsten Morgen wachte er ausgeruht auf, packte seine Sachen zusammen und ging hinunter, um zu frühstücken. Die Wirtin war nicht da, sondern ihr Mann. Dieser schaute ihn etwas befremdet an, vermutlich wegen seiner Hautfarbe und servierte ihm einen Haferbrei mit Früchten und Sahne, den sich Tarek schmecken ließ. Dann bezahlte er seine Rechnung, ließ sein Pferd anspannen und machte sich wieder auf den Weg. Leider war das Wetter heute nicht mehr so schön wie am Tag zuvor. Es war etwas windig und begann leicht zu nieseln, deshalb zog er das leichte Verdeck der Kutsche hoch, um etwas Schutz darunter zu finden. Es war Anfang April und sattgrüne Wiesen zogen an ihm vorbei. Der Löwenzahn begann gerade zu blühen und verwandelte die Wiesen in ein gelbes Meer. Hier, in dieser Gegend, gab es hauptsächlich Weideland und Rinder grasten darauf. Man lebte von der Viehwirtschaft. Pferde sah man nur selten. Sie waren Luxus und nur betuchtere Menschen erlaubten sich diesen. Töchter aus den höheren Gesellschaftsschichten mussten natürlich reiten können. Außerdem veranstalteten die Herrschaften oft feine Jagdgesellschaften. Aurelia hatte auch schon oft davon gesprochen junge Jagdhunde auf dem Gestüt auszubilden. Auch dies war ein weiteres Standbein, das sie im Auge behalten wollte. Da es weit weniger Kriege gab als in vergangenen Zeiten, wurden auch weit weniger Pferde für den Militäreinsatz verkauft, denn man brauchte für die Soldaten weit weniger Tiere. Das hieß aber auch, dass der Umsatz eingebrochen war und es wirklich dringend notwendig war neue Einkommensquellen zu entdecken. Er würde jedenfalls sein Bestes geben, um alles über Pferderennen und die damit verbundenen Regularien zu erlernen.

Er war auch heute gut vorwärtsgekommen und fuhr gerade ins Städtchen Villingen-Schwenningen ein, als es wie aus Kübeln zu regnen begann. Gott sei Dank fand er bald darauf eine Gaststätte, in der er unterkam. Es stellte sich heraus, dass diese bei weitem nicht so sauber war wie seine gestrige Unterkunft, doch er war weitaus Schlimmeres gewohnt. Vollkommen durchnässt bezog er sein Zimmer und kleidete sich um, bevor er zum Essen hinunter ging. Auch das Essen war nicht besonders wohlschmeckend, denn es gab lediglich einen faden Eintopf mit verkochtem Gemüse und wenig Fleisch. Aber da er Hunger hatte würgte er diesen hinunter und ging dann zeitig zu Bett.

Auch am nächsten Morgen war das Wetter nicht gut. Er hatte sich bereits dick eingemummelt, denn heute hatte er den beschwerlichsten Teil der Reise zu bewältigen. Er musste durch den Schwarzwald. Auch die Rappstute, die vor seiner Kutsche zügig trabte, schien heute nicht wirklich motiviert zu sein. Ihre Ohren spielten die ganze Zeit, als ob sie den verschiedensten Tönen lauschen müsse und Gefahr im Anzug sei. Doch nur das Wetter wurde übler, denn es fing an zu schneien. Tarek hatte hier in Deutschland das erste Mal Schnee gesehen. Dort wo er herkam, schneite es nie und ehrlich gesagt hatte es ihn zwar anfangs fasziniert wie die weißen Flocken vom Himmel fielen, doch die Kälte mochte er gar nicht. Heute kam er deshalb nicht sehr weit und ging bereits am frühen Nachmittag auf die Suche nach einer Herberge.

Kurz vor dem Städtchen Offenburg wurde er fündig und fand ein kleineres, sauber wirkendes Haus, in dem er nach einer Unterkunft fragte. Eine hübsche, junge Frau zeigte ihm sein Zimmer und bewirtete ihn herzlich. Einige jüngere Männer saßen an einem Nebentisch und da sie recht laut sprachen, sie hatten schon einige Humpen Wein getrunken, bekam Tarek Gesprächsfetzen von ihrer Unterhaltung mit und hörte, wie sie von der Rennbahn Iffezheim sprachen. Er nahm seinen Wein und ging hinüber zu den Männern. „Entschuldigt, wenn ich störe. Darf ich mich etwas zu Euch setzen? Ich bin auf dem Weg nach Baden-Baden und hörte zufälligerweise, wie ihr von der Rennbahn dort spracht. Würdet ihr mir etwas darüber erzählen?“

Ein stämmiger, junger Mann mit langen blonden Haaren erhob sich und klopfte ihm auf die Schulter. „Na klar, setz Dich ruhig. Was willst Du denn auf der Rennbahn?“

Tarek nahm all seinen Mut zusammen. „Ich möchte einfach alles über den Pferderennsport lernen. Mich interessieren Pferde sehr. Dort wo ich her komme, sind sie sehr wertvoll. Bei uns gibt es auch Reiterspiele.“

Ein Rotschopf namens Willi, saß Tarek genau gegenüber. „Ich kann Dir eine Anstellung in einem Rennstall beschaffen, wenn Du das möchtest. Ich arbeite auch dort, hab nur gerade einige Tage Heimaturlaub. Meine Mutter ist krank und ich wollte sie unbedingt besuchen.“

Tarek strahlte. Das hatte er zwar nicht vorgehabt, aber direkt in einem Rennbetrieb zu lernen war natürlich das Beste was ihm passieren konnte. „Wann gehst Du denn wieder zur Arbeit?“ fragte er Willi.

Dieser meinte: „In zwei Tage breche ich auf nach Iffezheim. Dort werden momentan Rennstrecken gebaut über verschiedene Distanzen. Bisher gibt es nur eine Grasbahn über eintausendzweihundert Meter Strecke. Pferderennen kommen gerade erst in Mode hier in Deutschland. Der Rennstall Gerber ist dort ganz in der Nähe. Dort arbeite ich als Stallbursche und hin und wieder springe ich als Jockey ein, wenn Gustav, unser Hauptjockey verletzt ist, oder anderweitige Verpflichtungen hat. Die suchen dort jedenfalls immer gute und fleißige Leute. Bist Du doch, oder?“

Tarek nickte und freute sich. „Gut, dann sehen wir uns in zwei Tagen, vor Sonnenaufgang, hier im Schankraum. Du kannst mit mir fahren, wenn Du willst, ich bin mit einer Kutsche gekommen.“ Per Handschlag besiegelten sie ihre Absprache. Tarek beschloss nach diesem Gespräch noch etwas durch Offenburg zu gehen und sich die Läden anzuschauen. Er wollte seiner Frau unbedingt ein kleines Geschenk mitbringen, denn sein Ausflug würde nun wohl doch noch etwas länger dauern als geplant. Er fragte sich zum Telegrafenposten durch und sandte ein Telegramm an Aurelia in dem er ihr mitteilte, dass sich ihm völlig neue Möglichkeiten eröffnet hätten und dass er ihr noch seinen genauen Aufenthaltsort mitteilen würde, wenn er angekommen war. Auf dem Rückweg zur Herberge fand er noch eine entzückende kleine Parfümerie und kaufte ein sündhaft teures Parfum für seine Angebetete. Abends fiel er tot müde ins Bett und malte sich ihre Zukunft in den schönsten Farben aus. Noch war ihm nicht bewusst, welch harter und langer Weg vor ihnen lag.

Der kleine Hengst

Währenddessen verträumte Aurelia zu Hause die Zeit. Sie wurde immer runder und unförmiger. Die Schuhe konnte sie sich selbst gar nicht mehr zu binden und schlüpfte meist nur noch in ihre alten Schlapper. Sie hörte Hufgetrappel und beeilte sich durchs Fenster hinauszuschauen. Tatsächlich kam ein Bote den gekiesten Weg zum Haus heraufgeritten. Sie beeilte sich ihn zu empfangen. „Herzlich Willkommen auf Gut Dorner Hof werter Herr. Was darf ich für Euch tun?“ fragte die Herrin des Hauses.

„Ich bringe Euch eine Depeche. Soll ich warten?“ Aurelia bat den Mann mit ins Haus zu kommen und trug Maria auf, dem Gast etwas zu trinken zu bringen. Während der Mann sich stärkte, las sie in Ruhe das Telegramm. Sie wusste nicht, ob sie weinen oder sich freuen sollte. Natürlich war es gut für ihre zukünftigen Pläne, wenn Tarek von Grund auf die Feinheiten des Rennpferdegewerbes lernte. Doch dann würde sie ihr Kind vermutlich allein zur Welt bringen müssen und er würde sein Kind nicht gleich kennenlernen. Aber sie musste wohl auch an die Zukunft des Gestüts denken, denn finanziell war es nicht sonderlich gut aufgestellt. Natürlich mussten sie nicht am Hungertuch nagen, aber sie hielten sich gerade so über Wasser und wenn schlechte Zeiten kamen, dann würde der angesparte Notgroschen nicht sehr lange reichen. Deshalb beschloss sie ihrem Mann ihre Einwilligung zu seinem Vorhaben zu geben und setzte eine kleine Nachricht auf. Diese drückte sie dem Boten mit etwas Geld in die Hand. Der Mann hatte bereits ausgetrunken und verabschiedete sich.

Als sie sich abends mit Georg zusammen zum Essen traf, erzählte sie ihm von Tareks Vorhaben. Dieser war begeistert, dass Aurelias junger Ehemann sich so voller Eifer in die neue Aufgabe stürzte. Doch er war auch etwas besorgt um seine Enkelin. „Weißt Du mein Schatz, ich bin ja auch noch da und vielleicht ist es wirklich gut, dass mein Schwiegersohn sich da so hineinkniet. Selbst wenn Sturmwind kein Renner werden sollte, dann können wir doch immer auf Hintergrundwissen aufbauen. Jetzt planen wir erst einmal die Trainingsstrecke. Morgen kommen einige Männer, die beginnen, den Startplatz abzustecken.

Aurelia ging bald zu Bett. Sie vermisste Tarek, aber ein Teil von ihm war ja immer bei ihr. Sie spürte wie ihr Kind in ihrem Bauch gegen die Bauchdecke trat. Vermutlich würde es nicht mehr lange gehen und sie bekam ein bisschen Angst vor dem was ihr bevor stand.

Am nächsten Morgen, nachdem sie ausgiebig gefrühstückt hatte, ging sie hinunter in den Stall. Wüstenblume und ihr kleiner Hengst Sturmwind standen in ihrer geräumigen Box. Aurelia hatte einen Apfel und zwei kleine Karotten aus der Küche stibitzt. Den Apfel bekam Mama Wüstenblume. Sturmwind stupste Aurelia neugierig mit seiner zarten, weichen Pferdenase an. Sie musste lachen. Der