Das Glück dieser Erde - Rita de Monte - E-Book

Das Glück dieser Erde E-Book

Rita de Monte

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Beschreibung

Das Glück dieser Erde liegt auf dem Rücken der Pferde sagt der Volksmund. Dass ihre verstorbene Mutter Laura vor ihrer Geburt auf einem Gestüt gelebt hat, davon weiß Aurelia nichts. Sie wächst einsam und behütet in einem Kloster auf. An ihrem sechzehnten Geburtstag erhält sie einen Brief in dem das Geheimnis ihrer Herkunft gelüftet wird. Sie macht sich auf den Weg zu ihrem Großvater, der wundervolle Araberpferde züchtet. Doch wieder nimmt das Schicksal seinen Lauf, als sie mehr über den Mann erfährt, der ihr Vater sein soll. Hoch zu Roß, macht sie sich auf die Suche nach ihm. Lassen Sie sich verzaubern von einer Reise in den Orient und vielen Abenteuern.

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Inhalt

Hoher Besuch

Kind der Sünde

Der Brief

Gestüt Dorner Hof

Raoul de Toussant

Sarlat-de-Canéda

Die Botschaft

Die weiße Stadt

Wüstenschiffe

Unter Feinden

Die Begegnung

Die schöne Laura

In dieser wunderschönen Silvesternacht funkelten die Sterne am klaren Himmel, als hätte man sie für diesen Anlass poliert und auf schwarzen Samt gebettet.

Die Glocken im Klosterturm läuteten bereits das neue Jahr 1813 ein. Man lebte in unruhigen Zeiten, denn Napoleon hatte 1812 bereits die erste Niederlage im Russlandfeldzug erlitten und Deutschland war gerade dabei Allianzen gegen Frankreich zu schließen. Trotzdem feierten und tanzten die Menschen ausgelassen in den Straßen des kleinen Dörfchens im Süden Deutschlands, vielleicht weil sie wussten, dass jeder Tag der Letzte ihres Lebens sein konnte.

Oben am Fenster der kargen Klosterzelle stand ein junges Mädchen und starrte unglücklich auf das bunte Treiben, welches sich unterhalb des Hügels abspielte. Sie hatte ganz andere Sorgen in dieser Nacht.

Das Kloster, welches erhaben über dem kleinen Dörfchen Sießen thronte, gehörte zum Orden der Dominikanerinnen. Es hatte eine bewegte Vergangenheit hinter sich, denn bereits im Jahr 1260 hatte Ritter Steinmar von Sießen-Strahlegg den Dominikanerinnen seinen Hof in „Suessen“ – so hieß das kleine Örtchen damals – geschenkt. Später – im Jahr 1386 – baute man die Wendelinuskapelle neben dem Gehöft. Leider wurde es dann 1632 von den Schweden niedergebrannt und erst zwischen 1716 bis 1729 von dem Vorarlberger Baumeister „Franz Beer von der Au“ im Barockstil wieder aufgebaut. So hatte das Kloster einiges hinter sich und sicher auch noch eine bewegte Zukunft vor sich, denn die einfachen Menschen waren war von den Launen seines jeweiligen Herrschers abhängig.

Die achtzehnjährige Laura war vor Kurzem von zu Hause weggelaufen und hatte in ihrer Not dieses Kloster angesteuert. Wo sollte eine alleinstehende Frau auch Rückhalt und Unterkunft finden, wenn nicht bei den wohlgesonnenen Nonnen, die auch mit der Heilkunst vertraut waren.

Wie wohl ihr Vater Georg von Dorner ihr Verschwinden aufgenommen hatte? Sie war furchtbar traurig, dass sie es nicht übers Herz gebracht hatte, ihrem Vater alles zu erzählen. Aber es schien ihr in ihrer Situation das Beste zu sein, wenn er zunächst nichts davon erfahren würde. Ihr Vater war ein sehr angesehener Mann und sie wollte ihm nicht zumuten, dass er ins Gerede kam. Sie war seine einzige Tochter und Sie wollte keine Schande über ihre Familie bringen. Außerdem schämte sie sich so sehr und deshalb hatte sie sich zu diesem drastischen Schritt entschlossen. Lieber sollte er denken sie sei weggelaufen oder sogar tot. Laura redete sich ein, dass er damit wohl besser abschließen könnte.

Ein fremder Mann hatte ihr Gewalt angetan und nun trug sie dessen Kind unter dem Herzen. Das Kind konnte nichts dafür. Sie liebte dieses kleine ungeborene Wesen, welches in ihr heranwuchs, bereits. Aber die Umstände und die Situation, in welcher es gezeugt worden war, war einfach erniedrigend und traumatisch für sie gewesen und als unverheiratete Frau wäre es schwierig. Sie wäre dem Gespött der Leute hilflos ausgeliefert gewesen und ihr Vater auch. Dies wollte sie ihm auf keinen Fall zumuten.

Laura stammte aus einer sehr angesehenen Familie. Ihr Vater – Georg von Dorner – hatte sein Pferdegestüt, den Dorner Hof, bereits von seinem Vater übernommen. Dieser züchtete damals noch schwere, große Schlachtrösser für den König und seine Ritter. Im Krieg wurde immer Pferdenachschub benötigt und so war dies ein recht einträgliches Geschäft gewesen. Doch dann hatte Georg – auf seinen Reisen in den Orient - seine Liebe zu den Araberpferden entdeckt. Er war überwältigt von diesen wunderschönen und ausdrucksstarken Vollblütern und ihrer Ausdauer. Deshalb war sein Gestüt das erste seiner Art hier im Süden Deutschlands, welches sich auf Araberpferde spezialisiert hatte. Er hatte inzwischen eine eigene Blutlinie aufgebaut. Auch der jetzige König Friedrich August I. benötigte ständig Pferdenachschub. Georg erzielte sehr gute Preise und war inzwischen sehr wohlhabend geworden. Da die Ritter inzwischen leichtere Rüstungen trugen, konnte er den König und seine Einkäufer davon überzeugen, dass seine wendigen Vollblüter wesentliche Vorteile boten, auch in einer Schlacht.

Die Araberpferde waren zwar kleiner, aber unglaublich ausdauernd, zäh, schnell und wendig. Dies brachte in einer Schlacht oft entscheidende Vorteile. Außerdem waren sie vielseitiger im Gebrauch. Sie konnten nicht nur im Krieg sondern auch als Kutschpferde oder als Reitpferde eingesetzt werden. Erst neulich war der deutsche Züchter wieder aus Ägypten zurückgekehrt und hatte einige schöne Tiere mitgebracht.

Georg war selbst erstaunt über die Ausdauer und Kraft dieser kleinen Pferde. Auch unter widrigsten klimatischen Bedingungen waren die Araberpferde die besten der Erde. Das jedenfalls war seine ureigene Meinung. Dieses Mal war es ihm gelungen drei wunderschöne weiße Stuten aus den ältesten und reinsten Stammlinien mitzubringen. Solche Verhandlungen waren jedes Mal ein sehr abenteuerliches Unterfangen und erforderten große Diplomatie und viele Goldstücke. Dies machte die Reise nicht ungefährlicher und er war schon einige Male überfallen worden auf seinen Reisen. Doch er war nie schwer verletzt worden und hatte seither immer eine Schar gut ausgebildeter Söldner dabei, die er vor jeder Reise sorgfältig auswählte.

Eine Legende besagt, dass alle Araberpferde, man nennt sie auch die „Trinker der Lüfte“ von den sieben Stuten des Propheten Mohammed abstammen. Dies stimmt so zwar nicht ganz, doch war Mohammed zu seiner Zeit bereits einer der ersten großen Araberpferdezüchter.

Laura war auf diesem Gestüt aufgewachsen. Einem wunderschönen Fleckchen Erde im sonnigen Süddeutschland, in der Nähe von Überlingen am Bodensee. Eine breite Kastanienallee führte an weitläufigen Pferdeweiden vorbei, welche an drei große Stallgebäude angrenzten. Die Stallgebäude waren wie ein U, rund um einen großen Innenhof angebaut. Die Allee ging in einen breit gekiesten Weg über, der bis zum Gutshaus hinaufführte, welches etwas am Hang lag. Vor dort hatte man einen wunderschönen Blick auf den Bodensee, der bei schönem Wetter, glitzernd da lag und das Herz erfreute.

Das Gutshaus wirkte nicht sehr groß und strahlte sofort eine Art heimeliges Willkommen aus. Vielleicht weil es ein Holzhaus war, gebaut aus behauenen Rundstämmen. Es fügte sich vollkommen in seine grüne Umgebung ein. Die einzigen Farbtupfer waren die vielen orangefarbenen Kletterrosen, die von Juni bis November ihre Blütenpracht über die Fassade des Hauses ergossen und die grün gestrichenen Fensterläden. Vor dem Haus stand eine kleine, ebenfalls im gleichen Farbton grün gestrichene Bank, auf der man einen wunderschönen Blick über die gesamte Anlage hatte.

Da sie auf einem Gestüt aufgewachsen war, konnte Laura natürlich auch perfekt reiten. Sie war schon mit drei Jahren auf ein kleines Pony gehoben worden und saß wie angewachsen im Sattel. Ihr Vater Georg war so stolz auf sie gewesen und hatte ihr dies auch immer wieder gesagt. Als sie zehn Jahre alt gewesen war starb ihre Mutter durch einen Reitunfall und das Mädchen war der einzige Lichtblick in Georgs Trauerzeit gewesen. Damals hatte er sich nur aufgerappelt, um weiterzuleben, weil er seiner Tochter gegenüber so ein großes Pflichtgefühl hatte und er sie fast schon abgöttisch liebte. Sie war sein Sonnenschein, den er ständig überbehütet hatte und nun war sie einfach weggelaufen und hatte ihn mit seinem Kummer allein gelassen.

Schwere Schuldgefühle plagten sie und sie durfte gar nicht darüber nachdenken, was sie ihm wohl mit ihrem Verschwinden antat. Laura seufzte und dachte an den verhängnisvollen Tag, der Schuld an ihrer jetzigen Misere war.

Es war damals ein wunderschöner, frühsommerlicher Apriltag gewesen. Die Sonne schien schon warm, gelbe Löwenzahnköpfchen sprossen zwischen dem grünen Gras, welches nun schnell wuchs und das sanfte, hügelige Gelände des Gestüts mit gelben Blüten durchzog. Die Pferde durften nun schon stundenweise hinaus auf die Koppeln und es war ein sanftes und friedliches Bild das sich ihr bot. Man spürte mit jedem Atemzug wie sich die Kraft der Natur wieder voll entfaltete, ein ewiger Kreislauf des Lebens.

Auch damals hatte Laura an einem Fenster gestanden, hatte auf das erwachende Leben draußen geblickt und sich unbändig auf den Empfang gefreut, den ihr Vater am Abend geben wollte. Hier in der trostlosen Provinz gab es selten Festivitäten, deshalb freute sich Laura ganz besonders darauf. Natürlich war noch viel vorzubereiten, aber dafür hatten sie genügend zuverlässiges Personal und so blieb ihr nur noch die schwere Frage nach dem passenden Kleid, dem passenden Schmuck und ihrer Frisur. Es lagen schon einige Kombinationen auf dem Bett, aber noch konnte sie sich nicht entscheiden. Zum wiederholten Mal nahm Laura das grüne Seidenkleid und hielt es vor sich hin. Sie entschied sich dafür dieses wunderschöne Kleid zu tragen, denn es passte wundervoll zu ihren grünen Augen. Dazu die passenden schönen Schuhe die ihr Vater ihr aus Mailand mitgebracht hatte und das edle Smaragdcollier ihrer verstorbenen Mutter.

Heute Abend erwartete man einen Abgesandten des spanischen Königs Ferdinand des VII., welcher selbst Besitzer von unzähligen wunderschönen Pferden war. Er hatte vom Zuchterfolg Georgs gehört und wollte einige Tiere für seine Zuchtlinie erwerben. Deshalb musste heute Abend alles perfekt sein, denn generell wurde an einem Königshof viel geredet und nur gute Mundpropaganda brachte neue Kunden mit sich. Aufgrund des hohen Besuches, der nun bald eintreffen sollte, war Georg selbst sehr aufgeregt und eilte höchstpersönlich durch seine Stallungen, um nach dem Rechten zu sehen. Er kontrollierte ob die Ställe gemistet, die Pferde gestriegelt und deren Fell auf Hochglanz gebracht worden war.

Die Sättel, Schabracken und Zaumzeuge wurden eingefettet und poliert und glänzten in der Sonne und sahen aus wie neu. Genauso wie die jungen Stallburschen, welche in ganz neuen grünen Uniformen steckten.

Als er mit der Inspektion der Stallungen und seines Personals zufrieden war, ging Georg den breiten, gekiesten Weg zum Haus hinauf. Obwohl es ein recht einfaches Blockhaus war, so hatte es doch ein paar bauliche Besonderheiten. Georgs Frau Anna war sehr kreativ gewesen und hatte auf vier runde Erker bestanden. Sie sahen aus, wie kleine Türmchen und je eines blickte nach Osten, Süden, Westen und Norden. Die Fenster der Türmchen waren mit orientalischen Rundbögen versehen und wurden von schönen Holzverzierungen geschmückt. Die doppelflügelige Eingangstür war mit geschnitzten Reiterszenen verziert und wurde umrahmt von zwei hölzerne Rundsäulen, bepflanzt mit wunderschönen orangefarbenen Kletterrosen, die allerdings jetzt im Frühling noch nicht in ihrer vollen Blüte standen. Nur vereinzelt bildeten sich schon die ersten Knospen. Alles wirkte sehr gepflegt und gemütlich.

„Maria“ rief Georg und eilte in die riesige Küche mit dem großen Herd. An der Wand hingen Kupferpfannen und Töpfe, die wie neu glänzten. Das Zimmermädchen Sara hatte beim Polieren helfen müssen. Im großen Regal standen unzählige Tassen, Teller und Krüge. Man sah, dass die ehemalige Hausherrin Rosen geliebt hatte, denn auch auf den Tongefäßen waren überall Rosenmotive aufgemalt.

Als er zurück ins geräumige Esszimmer kam, bewunderte er die hübsche Blumendekoration aus allerlei Wiesenblumen, die mit duftenden Kräutern gemischt waren und trotz ihrer Einfachheit entzückend wirkten und rochen. Maria hatte sich wirklich bemüht eine gemütliche Atmosphäre zu schaffen. Er war froh, dass sie nach dem Tod seiner Frau bei ihm geblieben war.

„Hast Du Sara die besten und hellsten Gästezimmer fertig machen lassen Maria? Dieser Abend ist enorm wichtig für mich und es darf nicht der kleinste Fehler passieren. Don Carlos hat weitreichende Kontakte ins Königshaus und kann somit weitere Kunden vermitteln.“

„Keine Angst Herr von Dorner. Lassen Sie mich nur machen. Am besten gehen Sie hinaus und genießen den schönen Frühlingstag. Hier habe ich alles unter Kontrolle,“ meinte Maria belustigt. Sie hatten nun schon so oft hohe Gäste bewirtet. Doch jedes Mal benahm sich der Hausherr wie ein nervöses Huhn, das sein Nest nicht mehr findet. Dabei hatte bisher immer alles reibungslos funktioniert und es hatte nie Klagen gegeben.

Georg, der inzwischen begriffen hatte, dass er nur störte, setzte sich seinen Hut auf und ging nach draußen. Vor der Tür sog er die frische Frühlingsluft ein und blickte über seinen weitläufigen Besitz. An welch schönem Ort er doch wohnen durfte. Das war ihm schon immer bewusst gewesen.

Unterhalb des Wohnhauses lagen die Stallungen und im großzügigen Innenhof standen einige Pferde, die gerade von den Stallburschen gestriegelt wurden. Von jedem Stallkomplex ging ein doppelflügeliges, großes Tor nach draußen in diesen Hof und es herrschte tagsüber ein reges Treiben. Dort wurden die Tiere geputzt und anschließend ging es an die tägliche Arbeit mit ihnen. Der große Sandplatz wurde meistens von einem oder sogar zwei Stallburschen benutzt, welche die Pferde longierten. Sie mussten täglich bewegt werden. Außerdem war es viel Arbeit ein Pferd Halfter führig zu machen und als Reit- oder Kutschpferd auszubilden. Er verkaufte selten rohe, unausgebildete Pferde, denn ein gut ausgebildetes Pferd brachte sehr viel mehr Geld.

Anton und Vinzenz, zwei seiner ältesten Mitarbeiter, waren gerade dabei die Stuten mit den noch kleinen Fohlen auf die Mutter-Kind-Weide zu bringen. Dazu legte Anton der Leitstute und ihrem Hengstfohlen das Halfter an, nahm die Stute am Führstrick und ging voraus in Richtung Weide. Ihr kleines Fohlen folgte ihr.

Vinzenz und der große deutsche Schäferhund bildeten die Nachhut und sorgten dafür, dass die anderen Stuten artig folgten. Es war jedes Mal ein großes Spektakel, wenn über zwanzig Pferde nach draußen getrieben wurden.

Die Fohlen hüpften und sprangen vor Übermut und auch den Müttern war die Freude anzusehen nach einem langen, kalten Winter endlich wieder auf die Weide zu dürfen – auch wenn es zunächst nur ein paar Stunden waren, um Koliken vorzubeugen, denn das frisch wachsende Gras war sehr eiweißhaltig und die Umstellung von Heu auf frisches Gras gelang nicht immer ohne Komplikationen. Da solch eine Kolik auch tödlich enden konnte wollte man dem natürlich vorbeugen, indem man die Pferde langsam wieder an das frische, saftige Gras gewöhnte.

Georg wollte zum Stall der Ein- bis Dreijährigen, um nochmals zu überprüfen, ob alle wirklich auf Hochglanz gebracht worden waren, denn schließlich war es hauptsächlich diese Altersgruppe der Vollblüter, die durch ihren Verkauf damit halfen, das Gestüt zu unterhalten.

Obwohl er sich in dieser Hinsicht keine sentimentalen Gefühle erlauben durfte, tat es immer doch auch ein bisschen weh, wenn eines seiner „Pferdekinder“ das Gestüt verließ. Nach dem frühen Tod seiner Frau Anna, hatte er sich sehr intensiv der Pferdezucht gewidmet und sie war wahrlich ein fast vollkommener Ersatz für ihn geworden. Er konnte sich nicht vorstellen noch einmal zu heiraten, denn er hatte seine Frau abgöttisch geliebt. Nur die Liebe zu seinen Pferden war damit vergleichbar. Manchmal schlief er sogar in einer Pferdebox bei einer niederkommenden Stute, um ihrem Fohlen auf die Welt zu helfen. Die Liebe zu den edlen Tieren teilte seine Tochter Laura mit ihm und er war froh, dass er seine Tochter hatte. Er liebte sie sehr und wollte seinen Besitz für sie erhalten. Dies war sein größter Wunsch und trieb ihn tagtäglich an.

Inzwischen war Georg bei den Junghengsten angekommen. Wie immer war er überwältigt von der Schönheit dieser speziellen Pferderasse. Sie schienen vor Kraft und Vitalität zu strotzen. Er ging auf die Box seines Lieblingsnachwuchses zu. Ein vielversprechender dreijähriger Schimmelhengst namens Estawan Ibn Al Rashid. Was würde dieser Hengst einmal für Nachkommen zeugen. Er war einfach perfekt und wunderschön. Für kein Geld der Welt würde er diesen Hengst verkaufen, denn so ein Ausnahmepferd kam nur alle paar Jahre auf die Welt.

Zufrieden betrachtete er Karim bei seiner Arbeit. Er hatte Karim vor ein paar Jahren aus Ägypten mitgebracht. Der junge Mann hatte eine besonders einfühlsame Art mit Pferden umzugehen. Er war niemals gewalttätig, sondern behandelte die Tiere immer vorsichtig und mit Geduld, aber nie unterwürfig. Er strahlte den Tieren gegenüber eine natürliche Dominanz aus und sie respektierten ihn. Dies war Georg sehr wichtig, um sie an den Sattel und ihren zukünftigen Reiter zu gewöhnen. Georg hielt nichts davon die Tiere zu „brechen“ so wie viele andere Züchter es taten. Allerdings stand er mit dieser Meinung allein da. Karim war gerade dabei Estawan sein Halfter anzulegen und klickte danach den Führstrick in den dafür vorgesehenen Ring ein. Er führte den Schimmelhengst hinaus auf den Sandplatz, um ihn an der Longe zu arbeiten. Als der junge Mann mit der Zunge schnalzte, fiel der Araberhengst sofort in die nächste Gangart, einen weichen Trab. Georg war begeistert. Es war einfach faszinierend, wie diese Pferde ihre edle Abstammung zur Schau trugen. Der Schimmelhengst fiel nun in einen langsamen Galopp. Den Schweif stolz erhoben wie eine wehende Fahne, den Hals zur Brust gebeugt, den kleinen wunderschönen Kopf mit den glänzend schwarzen großen, lang bewimperten Augen hochmütig umherblickend, galoppierte der Junghengst fast, ohne dass man merkte, dass seine Hufe den Boden berührten. Als ob er schweben würde. Ein zierliches Muskelpaket mit faszinierender Grazie. Er würde bald überlegen müssen, mit welchen Stuten er diesen wundervollen Hengst verpaaren sollte, um ein entsprechendes Zuchtergebnis zu erhalten.

Georg schlenderte weiter zu den Althengste und - stuten. Die meisten erhielten hier ihr Gnadenbrot und bald würden auch sie den Frühling, Sommer und Herbst auf der Weide verbringen, um die letzten Jahre ihres Lebens zu genießen. Das hatten sie sich verdient, denn sie hatten ihren Beitrag zum Erhalt des Gestüts geleistet, indem sie vielen großartigen Nachkommen zur Welt gebracht hatten.

Er wünschte, seine Frau wäre bei ihm und könnte diesen Tag an seiner Seite verbringen. Er hatte lediglich einmal einem Pferd das Leben genommen, nämlich dem Pferd seiner Frau, das den tödlichen Sturz verursacht hatte. Er wollte es nicht mehr in seinem Stall haben, denn es hätte ihn nur ständig an das Unglück erinnert.

Er war heute furchtbar sentimental, schalt er sich in Gedanken selbst. Die Stimme seiner Tochter Laura schreckte ihn auf. „Papa, wo bist Du denn die ganze Zeit? Meinst Du das grüne Kleid ist das Richtige für heute Abend? Irgendwie kann ich mich nicht entscheiden.“

Georg lachte. „Hallo mein Schatz, das überlasse ich allein Dir. Du siehst in allen Kleidern wunderschön aus.“ Er nahm ihre beiden Hände in seine und schaute sie an. „Du siehst Deiner Mutter so ähnlich. Sie wäre sehr stolz Dich so zu sehen.“

Laura hatte ein feines Gesichtchen mit wunderschönen, smaragdgrünen Augen und vollen, fast schon herzförmigen Lippen. Ihre rotblonden Haare hatte sie hochgesteckt und man konnte ihre kleinen, süßen Ohren erkennen, an denen bereits die Smaragdohrringe ihrer verstorbenen Mutter baumelten.

Georg redete weiter. „Ich verspreche mir sehr viel von diesem Besuch. Schließlich haben wir in den letzten Jahren wundervolle Tiere herangezogen. Da ist sicher auch für den spanischen König etwas dabei.“ Laura hakte sich bei ihrem Vater unter und gemeinsam gingen sie ins Haus.

Maria, das alte Mädchen, wuselte derweilen immer noch durchs Haus und herrschte mit einem unnachgiebigen Kommando das das Zimmermädchen Sara an. Nichts schien ihr gut genug zu sein. Georg war froh, dass sie all die Jahre, die Laura ohne ihre Mutter hatte aufwachsen müssen, bei ihm geblieben war. Was hätte er nur ohne seine Köchin Maria angefangen.

Georg kam sich mit seinen zweiundfünfzig Jahren sowieso zu alt vor, um nochmals auf Freiersfüßen zu wandeln. Dies würde er Laura überlassen und sich auf seine Enkelkinder freuen. Schließlich war das Mädchen schon achtzehn Jahre alt und es wurde so langsam Zeit für sie einen passenden Mann zu finden. Er hatte da auch schon Jemanden ins Auge gefasst. Ludwig war ein hübscher Bursche von einem der benachbarten Höfe. Sein Vater und er kamen gut miteinander zurecht, man half sich aus und die Familie war ebenfalls etwas wohlhabend. Außerdem verstand Ludwig auch etwas von Pferden und könnte somit mit Laura zusammen sein Lebenswerk – dem er so viele Jahre gewidmet hatte - fortführen. Er würde diesen jungen Mann demnächst einmal zum Abendessen einladen und ihm Laura vorstellen in der Hoffnung, dass sich zarte Bande entwickeln würden. Er seufzte wehmütig. Wie schnell die Zeit doch verging. Um sich die Zeit zu vertreiben, setzte er sich ins Kaminzimmer, sein ureigenes Refugium und vertiefte sich in die Süddeutsche Zeitung. Diesen Luxus gönnte er sich so oft es ging. Vinzenz musste sowieso immer ins nahegelegene Überlingen reiten und frische Lebensmittel einkaufen, also schickte er ihn immer die neueste Wochenzeitung mitzubringen, um über die Vorkommnisse im Land Bescheid zu wissen. Das konnte nie schaden.

Allmählich beruhigte sich das hektische Treiben und langsam kehrte Ruhe auf dem Hof ein. Man wartete nun gespannt auf die Ankunft der Gäste. Alles war vorbereitet.

Hoher Besuch

Es war bereits später Nachmittag, als eine sechsspännige, geschlossene Kutsche, geziert mit einem Wappen, die Breite von gerade wunderschön blühenden Kastanienbäumen gesäumte Allee, heraufgefahren kam und vor dem Haus hielt. Georg, der wartend auf der Bank vor dem Haus gesessen hatte, eilte seine Gästen sofort entgegen, um sie zu begrüßen.

„Herzlich Willkommen auf Gestüt Dorner Hof, meine Herren, meine Dame.“ Georg verbeugte sich und zog seinen Hut. Er reichte der älteren Dame die Hand und half ihr galant beim Aussteigen.

Der Abgesandte des Königs stellte sich als dessen jüngerer Bruder Don Carlos de Fernandez vor. Er lebte ebenfalls am königlichen Hof in Madrid und fungierte als Einkäufer des Königs oder wurde mit anderen wichtigen Geschäften beauftragt.

König Ferdinand VII. war erst 1813 wieder zum König gekrönt worden, nachdem er einige Jahre als Napoleons Gefangener, zusammen mit seinem Bruder Don Carlos, im Exil im Talleyranschen Schloß Valencay in Frankreich gelebt hatte. Als Zweitgeborener hatte Don Carlos allerdings seinem Bruder und Herrscher zu dienen und war, unter anderem, für den reibungslosen Ablauf im Zuchtbetrieb des Königs zuständig sowie für den Einkauf von Zuchtmaterial. Bei der Pferdezucht war es wichtig, immer wieder neue Blutlinien einzukreuzen, um leistungsstarke und gesunde Pferde zu erhalten.

„Es ist mir ein Vergnügen endlich ihre Bekanntschaft zu machen Herr von Dorner. Man erzählt sich viel über Sie in Züchterkreisen und am Hofe. Ihren Pferden eilt inzwischen ein gewisser Ruf voraus. Darf ich Ihnen meine werte Frau Donna Isabella und meinen Sohn Don Pedro vorstellen?“

Georg verbeugte sich abermals vor Donna Isabella, einer etwas herb wirkenden, schlanken, älteren Dame, die ihre besten Jahre schon hinter sich hatte. Allerdings war sie exquisit und nach der neuesten Mode gekleidet. „Sehr erfreut Donna Isabella, ich hoffe es gefällt Ihnen in unserem Haus. Wir leben hier sehr bescheiden.“

Er reichte Don Pedro die Hand und wandte sich wieder Don Carlos zu. „Sie übertreiben Don Carlos. Man tut nur sein Bestes und da ich diese Pferderasse sehr verehre, kommt es von ganzem Herzen, was ich tue. Diese edlen Pferde machen es einem nämlich sehr leicht sie zu lieben. Aber nun gehen wir besser ins Haus. Meine Tochter Laura möchte Sie ebenfalls gerne kennenlernen.

Im Haus wartete Laura bereits gespannt auf die fremdländischen Gäste. Als die kleine Gruppe nacheinander durch die Tür trat, knickste sie artig. „Herzlich Willkommen bei uns. Wir werden versuchen ihren Aufenthalt hier so angenehm wie möglich zu gestalten. Kommen Sie doch bitte herein. Ich bin Laura, die Tochter des Hauses von Dorner.“ Sie schüttelte die Hände der Gäste. Die sich ihr ebenfalls vorstellten.

Laura nahm die Umhänge der Gäste entgegen und gab sie an Maria weiter, die leise dazu getreten war. Zu der Dame gewandt sagte Laura: „Wenn Sie bitte mit mir kommen möchten Donna Isabella, dann zeige ich Ihnen ihre Räumlichkeiten. Dort können sie sich erfrischen und etwas ausruhen von der langen Reise.“

Donna Isabella de Fernandez hob ihren weiten Rock etwas an und schritt hinter Laura die geschwungene Treppe hinauf. Als sie ihr Zimmer sah brach sie in Entzücken aus. „Oh welch himmlisches Interieur. Das hätte ich gar nicht erwartet als ich dieses einfache Holzhaus sah. Diese hübschen Vorhänge und das schöne Himmelbett mit den verzierten Stangen. Einfach traumhaft. So einfach gestaltet und doch so entzückend. Am spanischen Hof ist alles sehr formell und luxuriös, deshalb genieße ich solche Reisen immer ganz besonders, weil man der noblen Etikette etwas entkommen kann.“

Laura freute sich sehr, dass Donna Isabella zufrieden war. „Dann wünsche ich einen wunderschönen Aufenthalt. Wenn Sie etwas wünschen, dann scheuen Sie bitte nicht nach Maria oder mir zu rufen. Dann lasse ich Sie jetzt erst einmal allein. Sie wollen sich sicher etwas auszuruhen. Um acht Uhr gibt es dann Abendessen im Speisezimmer. Maria wird sie abholen.“ Das Mädchen zog die Tür hinter sich zu und war froh, der Gastgeberrolle erst einmal entschlüpft zu sein.

Als sie jedoch die Treppe herunterkam rief ihr Vater bereits nach ihr: „Laura, leiste uns doch ein bisschen Gesellschaft. Die Herren haben nach Dir gefragt.“

Folgsam gesellte sich das Mädchen zu den Herren ins Kaminzimmer. Diese saßen in den schweren Ledersesseln und nippten an ihren Cognacgläsern.

Die beiden Edelmänner machte eine angedeutete Verbeugung als Laura eintrat. „Schön, dass sie sich zu uns gesellen,“ säuselte Don Carlos. „Mein Sohn Don Pedro ist auch ganz verrückt danach ihre Pferde zu sehen.“

Pedro nickte leicht und mustere sie mit einem intensiven, fast schon unverschämten Blick als sei sie eine seiner Zuchtstuten.

Sie fand Don Pedro sehr attraktiv, wie er so in seinem Sessel vor ihr saß. Mit seinen kinnlangen, schwarzen Haaren und den glutvollen braunen Augen, die von dichten, dunklen Wimpern gesäumt waren und sie intensiv musterten. Sein Mund war allerdings etwas gerade geraten und die Lippen wirkten alles andere als sinnlich, eher etwas hart. Vermutlich war er nicht sehr viel älter als sie selbst. Aber irgendwie hatte dieser Mann etwas aalglattes und Undurchschaubares an sich. Obwohl sie zugeben musste, dass sie bisher noch keinerlei Erfahrung mit den Herren der Schöpfung gesammelt hatte und deshalb sicher keine Expertin war. Sie war deshalb sehr erleichtert, als ihr Vater vorschlug nun hinunter zu den Stallungen zu gehen, um sich einen ersten Eindruck zu verschaffen.

„Für was interessieren Sie sich den besonders Don Carlos?“ fragte Georg auf dem Weg.

„Ach, ich dachte an ein paar tragende Stuten von einem ihrer Spitzenhengste. Wir hatten letztes Jahr ziemliches Pech mit den Fohlen. Viele Stuten verwarfen oder die Fohlen wurden tot geboren. Es grassierte eine Seuche unter den Tieren. Vielleicht wurde sie auch eingeschleppt von einem anderen Gestüt. Wir wissen es nicht genau. Ein herber Rückschlag für den König. Da wir in unruhigen Zeiten leben, braucht er dringend Nachschub für die Kavallerie und seine berittenen Leibwächter.

Ich habe gehört, ihre Pferde sollen besonders schnell und leistungsstark sein. Sie haben sicher davon gehört, dass Napoleon uns fast fünf Jahre im Exil hielt. Mein Bruder wurde vor kurzem zwar wieder als Regent eingesetzt, doch da er ein sehr absolutistischer König ist und die Inquisition eingeführt hat, befürchtet er natürlich ständig Aufruhr und Krieg, denn nicht Jedermann ist mit seinem Führungsstil einverstanden. Vor allem die einfachen Leute sind immer etwas aufrührerisch und da muss er ständig durchgreifen.“

Georg lief ein kalter Schauer den Rücken hinunter. Er hatte schon von der Inquisition und deren grausamen Taten gehört. Doch hinsichtlich seiner Pferde genoss er das erhaltene Kompliment sichtlich. „Ja, das stimmt. Diese Vollblüter haben ja von Haus aus schon sehr vielversprechende Veranlagungen. Aber wir züchten hier nur mit den besten Tieren, um diese Leistungen noch zu verbessern. Wussten Sie, dass man Araberpferde so abrichten kann, dass sie einen im Krieg verwundeten oder gefallenen Soldaten nach Hause bringen? Das ist schon eine beachtliche Leistung.“

Sie hatten inzwischen die Stallungen der Junghengste erreicht und gingen nun von Box zu Box. Pedro de Fernandez blieb vor der Box des Hengstes Estawan stehen und hielt den Atem an. „Was für ein wundervolles Tier Vater. Schau nur, den muss ich unbedingt haben.“

Bevor Don Carlos etwas erwidern konnte, sagte Georg: „Es tut mir leid meine Herren, aber dieses Tier steht nicht zum Verkauf. Es gehört meiner Tochter Laura und ist der Stammvater unseres zukünftigen Nachwuchses. Wir haben noch andere wundervolle Hengste zur Auswahl und natürlich viele wunderschöne, bereits tragende Stuten von Estawan. Insofern könnten sie mit seinen Blutsnachkommen weiterzüchten.“

Don Pedros Augen wurden hart, aber er schwieg. Don Carlos, dem die unwirsche Stimmung seines Sohnes nicht entgangen war, legte Pedro beschwichtigend die Hand auf die Schulter. „Entschuldigen Sie Herr von Dorner. Es gibt hier noch jede Menge andere wunderschöne Pferde. Bestimmt finden wir das Passende.“

Sie gingen weiter zu den Jungstutenstallungen und zu den Mutter-Kind-Weiden, auf der die Pferde zufrieden an den Grashalmen knabberten. Es war ein wundervolles und friedliches Bild, welches sich ihnen bot und Laura beruhigte sich innerlich wieder etwas, denn auch sie hatte das innerliche Aufbrausen Don Pedros bemerkt. Sie fand ihn inzwischen hochtrabend und arrogant.

„Kennen Sie die Legende von der Stute mit dem Blutmal?“ fragte Georg.

Beide Edelmänner schüttelten die Köpfe und baten Georg zu erzählen.

„In den Zelten der Beduinen erzählt man sich die folgende Geschichte einer ganz besonderen Stute. Vor langer, langer Zeit lebte einmal in der arabischen Wüste ein Scheich der Shammar, der eine ganz besondere Araberstute besaß, mit der er in den Kampf zu reiten pflegte und der er sein Leben anvertraute. Ihr Verhältnis zueinander war ein Besonderes, geprägt von Vertrauen, Liebe und gegenseitigem Respekt. Jeder von Beiden hätte für den anderen sein Leben gegeben, ja, das Band zwischen ihnen war so stark, dass die Stute oft die Gedanken ihres Herrn zu lesen schien, indem sie genau zur richtigen Zeit das Nötige tat, wodurch er viele Kämpfe bestand, und den Neid und die Bewunderung der anderen Beduinenstämme gewann.