Schon wieder kurz - Detlef Brettschneider - E-Book

Schon wieder kurz E-Book

Detlef Brettschneider

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Beschreibung

"Der Verstand liebt die Abwechslung; das Herz die Wiederholung" (Esther von Kirchbach, Mai 1894 - Februar 1946). Gemäß dieses Zitats benutzt der Autor auch in seinem zehnten Buch erneut die Aneinanderreihung von Kurzgeschichten. Um dabei erneut der Abwechslung gerecht zu werden, springt er wie immer ungebremst zwischen den verschiedensten Genres hin und her.

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Seitenzahl: 301

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Hinweis 1:

Die folgenden Geschichten wurden zwar auf einem Computer getippt, sind jedoch nicht unter Zuhilfenahme von sogenannter künstlicher Intelligenz entstanden.

Hinweis 2:

Übereinstimmungen bzw. Ähnlichkeiten von Namen, Orten, Geschehnissen oder sonstigen Dingen wären rein zufällig. Alles ist meiner Fantasie entsprungen und hat nichts mit der Realität zu tun.

Inhaltsverzeichnis

Jubiläumsvorwort

Die Tote in der Scheune

Geänderte Vergangenheit

Eine geheimnisvolle Zahl

Tiersprache und Undank

Der goldene Löffel

Wäre ich nicht gewesen…

H & K

Die Gutenachtgeschichte

Einbruch

Dreimal

Das liebe Geld

Eric

Persönlichkeitsstörung

Wieder mal am Stammtisch

Postraub

Die Tote im Pool

Blöder Zufall

Hase, Igel, Meier

Jupiter one

Internationale Küche

Wieder ein Fremdgänger

Das gelöschte Gedächtnis

Anruf von Wirda

Fürs Finanzamt

Ruhestörung

Der Programmdirektor

Alles Pisse

Geduld

Eine wirklich schlechte Idee

Messingrohre

Katzen

Wildlederschuhe

Eine seltsame Geschichte

Über den Autor

Jubiläumsvorwort

Unter einem Jubiläum (lateinisch annus iubilaeus „Jubeljahr“; Plural: Jubiläen) versteht man eine Erinnerungsfeier bei der Wiederkehr eines besonderen Datums. Es leitet sich ursprünglich aus dem alttestamentlichen „Jubeljahr“ (auf Hebräischyobel) her. (Wikipedia).

Die Menschen, zumindest wir Deutschen, haben eine Affinität zu Jubiläen. Weil, da kann man nämlich feste feiern. Eben Feste feiern. Und der Deutsche feiert gern. Ob Ostern, Pfingsten oder Weihnachten, ob Geburtstag, Männertag, Tag der Arbeit, Abiturabschluss, Verlobung, Hochzeit und was weiß ich noch, jeder Feiertag wird missbraucht um zu schlemmen und Alkohol in rauen Mengen zu sich zu nehmen. Bei Jubiläen kommt aber meist noch eine kleine Bedingung hinzu. Es sollte eine sogenannte runde Zahl sein. Also beispielsweise mit einer Null am Ende. Nun kann ich mir das bei der Zahl Zehn noch gut vorstellen, denn der Mensch hat zehn Finger, mit denen er in der Vergangenheit seine ersten Zählversuche vorgenommen hat. Bei der Zwanzig wird es schon schwieriger, aber man kann ja die Zehen seiner Füße mit ins Spiel bringen. Bei Dreißig möchte ich mir die Hände und die Füße eines Menschen schon gar nicht mehr vorstellen. Und von Hundert oder mehr sehen wir hier mal völlig ab. Sei es wie es sei, für mich gab es im vorigen Jahr ein paar Jubiläen. Zehn Jahre Rentner, dreißig Jahre geschieden, fünfzigjähriges Bühnenjubiläum als Moderator, Zauberkünstler und Humorist, und das Wichtigste, jetzt gibt es das zehnte Buch mit Kurzgeschichten. Na, wenn das kein Grund zum Feiern ist …

Die Tote in der Scheune

Frau Emma Baumgartner hatte ein provozierendes Grinsen im Gesicht: „Ich dachte, du bist stolz auf deine internationale Familie. Von wegen Weltbürger und so“. Der cholerisch veranlagte Robert Baumgartner schien wieder einmal nicht besonders gut aufgelegt zu sein: „Ich hab dir schon zehnmal gesagt, selbst wenn mein Großvater Schweizer war, so heiße ich doch Robert und nicht etwa Röbi“. Die Frau erhoffte sich im Stillen noch weiteren Spaß beim Foppen ihres humorlosen Ehemannes: „Röbi ist doch die Koseform von Robert. Schau, ich will doch nur freundlich sein und mit dir kosen! Aber wenn es dir lieber ist, dann halte ich es eben mit deiner englischen Großmutter und nenne dich Bobby! Oder ist dir vielleicht Robbe lieber?“ Robert Baumgartner begann innerlich zu kochen: „Ich heiße Robert! Nicht Röbi, nicht Bobby und schon gar nicht Robbe! Schließlich nenne ich dich doch auch nicht Liesl!“ Die Frau stutzte: „Hä? Liesl ist doch kein Spitzname für Emma. Was meinst du damit?“ Der Mann schnaufte: „Aber die Leitkuh vom Nachbarhof heißt Liesl. Und du bist eine Kuh. Und dazu noch eine ziemlich blöde!“ Emma Baumgartner ließ sich nicht aus der Ruhe bringen: „Ach Gott! Ist der Herr etwa angepisst? Mag er sein Weibi nicht mehr? Au weih, au weih, jetzt bin ich aber beleidigt“. Dem Gatten platzte die Hutschnur: „Halts Maul, sonst fängst du eine!“ Emma ging zum Fenster, um es zu schließen: „Ich mach lieber die Luke dicht. Sonst denken die Nachbarn, du meinst das tatsächlich ernst“.

Kommissar Riemer zog das kleine Notizbuch und den angekauten Kugelschreiber aus seiner Hemdtasche: „Und wie ist ihr Name?“ Die Frau, bekleidet mit Kopftuch, Kittelschürze und Gummistiefeln, stellte die Forke an die Stalltür: „Golz, Maria Golz“. Der Kommissar schrieb den Namen bedächtig in sein Büchlein. Dann hob er die Augen: „Und Sie haben wirklich ganz deutlich gehört, dass der Mann seiner Frau Schläge angedroht hat?“ Die Landwirtin nickte eifrig: „Hab ich! Vorher hat er noch geschrien, dass sie das Maul halten soll. Wundert mich aber gar nicht“. Riemer wurde hellhörig: „Aha, welchen Grund hatten Sie denn zu dieser Annahme?“ Die Befragte wurde etwas unsicher: „Na ja, die Frau hat ihn doch dauernd geärgert. Sie hat zwar immer gesagt es wäre nur aus Spaß, aber sie hat nicht aufgehört, bevor sie ihren Mann nicht zur Weißglut gebracht hatte. Andererseits kann man es auch verstehen, denn der Kerl war ja wirklich sowas wie ein kleiner Spinner“. Riemer hielt den Kopf schief: „Wie genau meinen Sie das?“ Die Bäuerin zog sich mit der Linken das Tuch vom Kopf: „Er hat spezielle Blumen gezüchtet. Also Blumen, die nicht geduftet haben. Er wollte damit erreichen, dass Menschen solche Blumen nicht interessieren, und dass damit die Pflanzen für die Insekten stehen bleiben. Wenn Sie mich fragen, ich mag solche sterilen Blumen nicht. Eine Rose muss nach Rose duften. Oder?“

Frauke Wiegand stand auf dem Flur und drängelte: „Nun komm endlich, oder willst du zu spät zum Dienst erscheinen? Du weißt, dass der Alte nur darauf wartet. Er sucht doch ewig schon einen Grund, um dir ans Bein zu pinkeln“. Riemer winkte ab: „Die Affenfresse kann mich mal. Wenn er was von mir will, dann ist er lammfromm und höchstens einen Meter hoch. Mit Hut. Ansonsten scheißt er mich nur an und versaut mir die Beförderung. Und den Fall mit der toten Frau in der Scheune hat er mir nur zugeschanzt, damit ich scheitere. Keine Tatwaffe, keinerlei Spuren, kein Motiv“. Frauke entgegnete mit erhobenem Zeigefinger: „Moment mal, du hast doch erzählt, die Frau hätte den Mann immer so richtig gereizt?“ Riemer zog die Tür hinter sich ins Schloss: „Wenn so etwas ein Motiv wäre, dann hätte ich dich schon längst umbringen müssen“.

Der Mann im Verhörraum war in sich zusammengesunken: „Ja, freilich hat mich meine Frau ständig auf den Arm genommen. Und ja, mir hat das ganz und gar nicht gefallen. Sie hat mir auch dauernd Streiche gespielt. Zum Beispiel Zucker in den Salzstreuer getan, oder auch mit einer Spritze Tabasco-Soße in meine Schaumküsse gespritzt. Aber das ist doch kein Grund sie umzubringen“. Kommissar Werner Riemer nickte beipflichtend: „Wann haben Sie denn Ihre Gattin das letzte Mal gesehen, also lebend?“ Der Mann dachte nach: „Ich glaube, das war am Abend. Vorm Füttern. Wir füttern immer abends, weil Wissenschaftler herausgefunden haben, dass die abendliche Fütterung bei Mehrkalbskühen einen höheren Fettgehalt in der Milch bringt. Ich bin dann in die Stadt gefahren. Zum Schützenverein. Training, wissen Sie. Als ich dann gegen 24 Uhr heimgekommen bin, war alles dunkel und Emma war nicht da. Ich hab nach ihr gesucht und gerufen, weil sie ja nichts davon gesagt hat, dass sie nochmal weggeht. Und wie ich dann mit der Taschenlampe in die Scheune geleuchtet habe, lag sie da. Ich wollte erst Wiederbelebungsversuche machen, aber sie war schon ganz kalt. Da habe ich dann die Polizei gerufen. An das, was danach war, kann ich mich nicht mehr recht erinnern“.

Hauptkommissar Hohlbach setzte überheblich seinen Zeigefinger auf Riemers Brust: „Ist doch ganz klar. Die Alte hat ihn mit ihrem ständigen Firlefanz meschugge gemacht. Und da er im Schützenverein ist, hat er doch logischerweise eine Knarre zu Hause. Knall-Bum, Frau tot, Fall gelöst“. Kommissar Riemer blickte seinen Vorgesetzten spöttisch an: „Ach so! Und mit dieser Knarre hat er dann seine Frau erstochen. Muss eine komische Knarre gewesen sein. Mit drei langen Zinken“. Hohlbachs Gesicht verfinsterte sich: „Warum haben Sie nicht gleich gesagt, dass die Frau mit einer Mistgabel erstochen wurde?“ Riemer hob die Schultern: „Sie haben mich ja nicht gefragt. Außerdem war das keine Mistgabel, sondern eine Streugabel. Eine Mistgabel hat vier oder fünf Zinken, die Tatwaffe hatte nur drei“. Hohlbach wurde giftig: „Und wo, zum Teufel, ist diese blöde Gabel?“ Riemer hob bedauernd beide Hände: „Hat bisher noch niemand gefunden“.

Es hatte stark geregnet. Werner Riemer war noch schnell in den Supermarkt gegangen, während Frauke Wiegand zuhause das Abendbrot vorbereitete. Als Riemer eintrat, blaffte ihn seine Gute an: „He, kannst du nicht die Schuhe vor der Tür ausziehen? Du siehst wohl gar nicht wie dreckig deine Latschen sind?“ Riemer entledigte sich schnaufend seines Schuhwerks: „Du, sag mal, weißt du, um welche Uhrzeit man abends Kühe füttert?“ Frauke antwortete grübelnd: „Soviel ich weiß ist eine Abendfütterung wissenschaftlich gesehen am besten um 21 Uhr. Warum fragst du?“ Riemer wollte sich an den Tisch setzen, wurde aber ermahnt: „Händewaschen!“ Nachdem er aus dem Bad zurück war sagte er: „Wenn um 21 Uhr die Frau noch gelebt hat, kann sie um 24 Uhr noch nicht richtig kalt gewesen sein. Unsere Pathologin hat mir beigebracht, dass nach Eintritt des Todes die Körpertemperatur mit etwa 0,8 °C pro Stunde auf die Umgebungstemperatur herabsinkt. Das heißt, der Temperaturausgleich tritt normalerweise nach ungefähr neunzehn bis zwanzig Stunden ein, und nicht etwa schon nach drei oder vier. Der Ehemann hat mich offenbar angeschwindelt, als er sagte, seine Frau wäre schon ganz kalt gewesen. Sag mal, was machst du eigentlich morgen? Hättest du Zeit, mich zu diesem Kerl zu begleiten? Vier Augen sehen ja laut Volksmund bekanntlich mehr als zwei“.

Als Robert Baumgartner die beiden eintreten ließ, schien er etwas angetrunken zu sein. Der Mann stolperte über die Teppichkante und konnte seinen Körper gerade noch vor einem peinlichen Sturz abfangen. Aus dem nahegelegenen Stall war das klagende Muhen von Kühen zu hören. Robert Baumgartner streckte seinen rechten Finger in die Luft und sagte mit schwerer Zunge: „Hören Sie das? Keiner da, der die Viecher melken könnte. Ich selber hab keine Ahnung wie das geht. Hat immer meine Frau gemacht. Ich bin eben kein Bauer. Noch nie gewesen. Ich hab die Viecher gestern bereits telefonisch verkauft. Aber sie sind halt noch nicht abgeholt worden. Setzen Sie sich doch!“ Während der Kommissar seinen schweren Körper in einen der Sessel plumpsen ließ, blieb Frauke Wiegand stehen: „Welche Kleidung hatten Sie denn an, als Sie bei dem Schießtraining waren? Wir müssten das nämlich auf Schmauchspuren testen lassen“. Werner Riemer blickte die Kommissarin ungläubig an: „Aber die Frau wurde erstochen. Und es ist doch logisch, dass sich beim Schießtraining Pulverspuren an seiner Kleidung festgesetzt haben“. Frauke fuhr unbeirrt fort: „Kann ich die Kleidung und die Schuhe sehen?“ Baumgartner stand auf: „Dann folgen Sie mir unauffällig, Madame!“ Riemer stemmte sich hoch und begleitete die beiden kopfschüttelnd. Im Flur zeigte der Hausherr auf ein Schuhregal: „Hier, das sind die Sportschuhe, die ich beim Schießen anhatte“. Frauke nahm die Schuhe aus dem Regal und betrachtete die Sohlen: „Und hatten Sie die ausgezogen, bevor sie Ihre Gattin in der Scheune gefunden haben?“ Der Mann schüttelte den Kopf: „Nein, ich hab ja meine Frau gleich gesucht“. Die Kommissarin stellte die Schuhe zurück: „Dann sind Sie hiermit festgenommen!“

Werner Riemer zog Frauke auf seinen Schoß: „Sag mal, Geliebte und Kollegin, wie bist du draufgekommen, dass dieser Kerl uns tatsächlich verarschen wollte?“ Die Kommissarin lächelte: „Nun, geliebter Kollege, du erinnerst dich vielleicht, dass ich dich vor Kurzem wegen deiner schmutzigen Schuhe angefaucht habe. Das hat mich auf die Idee gebracht. Wenn Herr Baumgartner wirklich mit seinen Sportschuhen zur Scheune gegangen wäre, hätten sich in den Gummisohlen Partikel von dem matschigen Boden finden lassen, der überall auf diesem Hof vorherrscht. Die Sohlen waren aber lediglich recht staubig“. Riemer erwiderte nachdenklich: „Ob das bei Gericht anerkannt wird, ist fraglich. Wir haben kein Geständnis, und die Mordwaffe haben wir auch nicht. Und ein handfestes Motiv fehlt ja wohl auch noch“. Frauke stand auf: „Wie uns unsere Berufserfahrung lehrt, geht es entweder um Geld oder um Sex“. Ich werde morgen gleich mal die finanzielle Lage der Baumgartners unter die Lupe nehmen. Schließlich hat dieser Robert die Kühe verkauft“. Werner Riemer überlegte: „Die hatten doch nur acht Kühe. Da kommt wohl kaum ein Vermögen zusammen“. Frauke wiegte bedächtig ihren Kopf hin und her: „Acht mal rund zweitausend, da kommen etwa sechzehntausend Euro zusammen. Mancher Mord wurde schon für viel weniger begangen“. Werner Riemer war noch nicht so richtig überzeugt: „Das ist trotzdem nicht unbedingt gerichtsverwertbar. Aber es könnte ein Steinchen im Großen und Ganzen sein. Man müsste halt noch die Mordwaffe finden, um zu beweisen, dass sie diesem Robert gehört. Ich werde mich morgen dort noch einmal gründlich umsehen“.

Für Kommissar Riemer gab es drei Begriffe, die er mit dem Präfix „Dienst“ in Verbindung brachte; Dienststelle, Dienstberatung und Dienstwagen. Die ersten beiden Belange dieser Dreifaltigkeit hatte er an diesem Tag bereits hinter sich gebracht. Nun saß er im Dienstwagen und schimpfte wie ein Rohrspatz. Die Karre wollte einfach nicht anspringen. Der Kommissar trat wütend mehrmals aufs Gaspedal. Plötzlich knallte es, und anschließend surrte der Motor, als wäre nie etwas gewesen. Riemer rollte vom Hof, während Hauptkommissar Hohlbach den Kopf aus seinem Bürofenster streckte, um die Ursache des unerlaubten Schusses zu ermitteln.

Auf dem Anwesen Baumgartner war niemand anzutreffen. Die Kühe waren bereits abgeholt worden, wie man durch die weit geöffneten Stalltüren sehen konnte. Nur das Grunzen der Schweine mischte sich mit dem Gackern der Hühner. Der Kommissar beschloss, den Nachbarhof aufzusuchen, um nochmals mit dieser Maria Golz zu sprechen. Kaum hatte er den Hof betreten, trat Frau Golz ihrerseits mit gedämpften Kartoffeln in zwei Eimern aus dem Nebengebäude heraus: „Sie schon wieder. Ich dachte Sie haben Ihren Mörder. Ich will mich gerade um die armen Schweine von dem Kerl kümmern. Irgendwer muss denen ja Futter bringen. Keine Ahnung wie das weitergehen soll. Kennen Sie Verwandte von den Baumgartners? Man kann doch den Hof nicht verkommen lassen“. Riemer wollte gerade antworten, als aus dem Haupthaus eine junge Frau herauskam. In der Hand hielt sie eine Heugabel mit drei Zinken. Bei Riemers Anblick schien sie bis ins Mark erschrocken zu sein. Sofort drehte sich die junge Frau um und verschwand im Haus. Riemer war sofort klar, was das zu bedeuten hatte. Er spurtete schnurstracks hinter ihr her, und stellte sie in der Küche des Anwesens, wo auch die Heugabel auf dem Boden lag. Die junge Frau streckte dem Kommissar abwehrend die Hände entgegen: „Gehen Sie weg, Sie haben keinen Durchsuchungsbefehl“. Werner Riemer entgegnete gelassen: „Das heißt richtigerweise Durchsuchungsbeschluss. Der berechtigt Ermittler lediglich dazu, die Wohnung zu durchsuchen, gibt ihnen jedoch keinen verbindlichen Befehl dazu. Ist jedoch Gefahr im Verzug, wie gerade jetzt hier, dann braucht man keinen richterlichen Beschluss. Somit nehme ich Sie erstmal vorläufig fest“.

Werner Riemer entkorkte, fröhlich vor sich hin grinsend, eine Flasche Rotwein, während Frauke Wiegand den Tisch abräumte. Als die Kommissarin die gute Laune ihres Lebensgefährten wahrnahm, verzog sie das Gesicht: „Du brauchst gar nicht so süffisant zu feixen. Schließlich hättest du den Fall nie gelöst, wenn dir nicht aus purem Zufall die Frau mit der Mistgabel über den Weg gelaufen wäre“. Riemer hob den Blick: „Nicht Mistgabel, sondern Heugabel. Auch Streugabel genannt. Aber ich gebe zu, nicht allein an dem Fall gearbeitet zu haben. Schließlich konntest du ja anhand deiner Recherchen herausfinden, dass Geld als Motiv keine Rolle gespielt hat“. Frauke setzte sich neben Riemer: „Aber ich verstehe nicht, warum dieser Robert anfangs geschwiegen hat. Überrascht seine Geliebte neben der Toten mit dieser Heugabel in der Hand und sagt keinen Ton“. Werner Riemer stellte die Flasche auf den Tisch und legte den Korkenzieher daneben: „Wie du schon gesagt hast, das Motiv war entweder Geld oder Sex. Und da nun mal kein Geld im Spiel war … apropos, wie wärs, wenn wir den Wein erst viel später trinken?“

Geänderte Vergangenheit

„Du hast was?“ Alma blickte ihre Freundin Gesine an, als wäre diese von Lepra befallen. Dr. Gesine Vandermeulen wiederholte geduldig: „Ich habe eine Möglichkeit gefunden, in die Vergangenheit zu reisen“. Alma Gerstmüller tippte sich vielsagend an die Stirn: „Quatsch mit dicker Brühe! Ich bin schon lange deine Freundin, und ich weiß genau, wie krampfhaft du dein Physikstudium runtergerissen hast. Und in deiner Doktorarbeit möchte ich auch nicht nach Plagiaten suchen. Ausgerechnet du willst eine Zeitmaschine gebaut haben? Du spinnst doch wohl!“ Die Gescholtene lächelte: „Keine Maschine, sondern lediglich eine Methode. Theoretisch könnte ich damit auch eine sogenannte Zeitmaschine konstruieren. Das Problem ist nur, ich weiß nicht, wie ich dann aus der Vergangenheit wieder zurück in die Gegenwart komme“. Alma schüttelte den Kopf: „Quark, Zeitreisen gibt es nicht und gab es auch nie. Und ich bin der festen Meinung, derartiges wird es auch weiterhin nicht geben. Sonst wäre schon längst jemand aus der Zukunft zu uns gekommen“. Gesine hob den Zeigefinger: „Du warst doch schon immer der hellste Kopf in unserem Studiengang. Überleg doch mal! Was ist, wenn nun doch schon jemand aus der Zukunft zu uns angerückt ist? Und zwar ohne sich zu erkennen zu geben? Wenn ich meinerseits in die Vergangenheit reisen würde, dann würde ich doch auch nicht preisgeben, dass ich aus einer zukünftigen Zeit stamme. Glaubst du wirklich, dass im fünfzehnten Jahrhundert unvermittelt so ein Genie auftaucht, wie beispielsweise dieser Leonardo da Vinci? Da stimmt doch was nicht. Oder nimm Albert Einstein! Eine Formel in die Welt zu setzen, mit der alle Vorgänge im Universum berechnet werden können, das war 1905 doch noch gar nicht denkbar“. Alma Gerstmüller entgegnete verächtlich: „Alles Käse! Bau erstmal die Maschine, dann reden wir zwei weiter!“ Gesine Vandermeulen nickte: „Aber ich brauche eine deiner brillanten Ideen, wie ich die Maschine testen kann, ohne dass ein Mensch in der Vergangenheit hängenbleibt“. Alma winkte ab: „Da wird mir schon etwas einfallen. Ich nehme an, dass es etwas sein muss, was die Vergangenheit ein bisschen aufmischt. Habe ich recht, oder habe ich recht?“ „Hast du!“

Zehn Jahre später. Gesine Vandermeulen stand in der Wohnung ihrer langjährigen Freundin und strahlte über das ganze Gesicht: „Ich hab’s geschafft! Die Maschine ist fertig. Jetzt wird gefeiert. Ich lade dich zum Sushi ein! Mags du Maki Sushi?“ Ihrer Freundin Alma entgleisten auf der Stelle sämtliche Gesichtszüge: „Sushi? Ist das dein Ernst? Bloß weil japanische Frauen zu doof zum Kochen sind, muss ich doch keinen rohen Fisch essen. Wenn du mich schon einlädst, dann sollte es zumindest Boeuf Stroganoff de Luxe sein!“ Dr. Vandermeulen entgegnete mit einem leichten Schmunzeln: „OK. Aber dann sagst du mir auch, wie wir mein Maschinchen testen können. Die Mitarbeiter meines Teams haben nämlich die blödesten Ideen dazu. Zum Beispiel, eine Bombe zurück ins dritte Reich zu expedieren, um Adolf Hitler umzubringen. Die Folgen einer dermaßen weltpolitischen Maßnahme wären überhaupt nicht abzuschätzen“. Alma Gerstmüller grinste: „Lass uns erstmal essen! Dann verrate ich dir schon meine Idee“.

Gesine Vandermeulen schüttelte energisch den Kopf: „Dafür bekomme ich nie eine Genehmigung. Etwas ins Jahr 1974 zu transferieren ist ja in Ordnung, aber doch nicht den neuesten archäologischen Fund. Und dann noch mehr als siebentausend Figuren. Weißt du wieviel Energie dazu nötig ist?“ Alma hob die Schultern: „Weiß ich nicht. Das ist aber auch nicht mein Problem. Wenn du nur etwas Unscheinbares oder Unwichtiges in die Vergangenheit schickst, dann wird das nicht in die Geschichte eingehen, und wir werden nie erfahren, ob deine Zeitmaschine funktioniert hat. Es muss also zwangsläufig etwas Spektakuläres sein, dessen Hall noch bis in die heutige Zeit hinein reicht. Die Geschichte der Menschheit muss einfach umgekrempelt werden. Alles, was nach deinem Experiment geschieht, wird unser ganzes Leben beeinflussen. Damit hätten wir den Beweis, dass sich die Vergangenheit ändern lässt, und wir könnten somit die schrecklichen Weltkriege verhindern. Dafür wirst du doch bestimmt eine Genehmigung bekommen, oder?“

Die Zeitmaschine wurde im Labor auseinandergebaut und an die Ausgrabungsstätte gebracht, um dort wieder zusammengesetzt zu werden. Dicke, schwarze Stromkabel führten von mehreren Stromaggregaten zu dem Interface der Maschine. Um zwölf Uhr mitteleuropäischer Zeit, legte Dr. Vandermeulen den roten Schalter um. Es knisterte, roch nach verbranntem Kunststoff und ließ die Luft flimmern. Nach etwa fünf Minuten war alles vorbei. Im März 1974 fand der Bauer Yang Zhifa unweit der Provinz Xi’an eine zweitausend Jahre alte Terrakotta-Armee. Die gesamte Welt horchte auf. Dieser Fund veränderte die Geschichte dermaßen, dass es nie eine Dr. Gesine Vandermeulen oder Alma Gerstmüller gab. Und damit leider auch bis heute keine Zeitmaschine.

Eine geheimnisvolle Zahl

Wenn man den lieben langen Tag im gut geheizten Büro herumlungert, ohne dass zahlungswillige Kundschaft die eintönige Besinnlichkeit vertreibt, dann kommt schon mal die eine oder die andere Langeweile auf. Um diese ermüdenden Momente zu vertreiben, greife ich gelegentlich zum Laptop. Nun bringt aber leider das Surfen im Internet nicht immer nur Pläsier. Immer wieder falle ich auf reißerische Headlines herein, wie zum Beispiel "War Papst Gregor schwul?" Da wird dann lang und breit erklärt, dass Papst Gregor XIII. mit bürgerlichem Namen Ugo Boncompagni hieß, dass er am 13. Mai 1572 innerhalb von weniger als 24 Stunden zum Papst gewählt wurde, dass er den Kalender reformierte, und dass er mit seiner Mätresse Maddalena Fulchini 1548 einen illegitimen Sohn hatte. Der letzte Satz in dem Artikel gipfelte dann darin, dass Gregor aufgrund seiner Beziehung zu Frauen wahrscheinlich nicht schwul war. Vielen Dank auch für diese aufsehenerregende Info! Nun muss man sich nicht immer im Internet herumtreiben, man kann ja auch mal etwas lesen. Wozu steht denn in meinem Büro ein Bücherregal. Nun ja, zum einen, um hinter dem dicken Wälzer "Kriminaltechnik und Spurensicherung" die Bourbonflasche zu verstecken, zum anderen, um in Momenten erzwungener Untätigkeit ein gutes Buch lesen zu können. Also angelte ich mir einen Band des Autors Kurt Tucholsky aus dem Regal. Das Buch trug den Titel "Das Lächeln der Mona Lisa", der Untertitel lautete "Auswahl 1926 bis 1927". Das ließ mich allerdings etwas stutzig werden, denn die Geschichten der ersten Hälfte des Buches stammten aus dem Jahr 1929. Ich versuchte gerade verzweifelt zu ergründen, ob der Fehler in meinem Hirn oder beim Verleger zu suchen war, als meine Bürotür geöffnet wurde. Ich klappte erwartungsfroh das Buch zu. Ein älterer, spindeldürrer Herr, kam mit einer abgeschabten Aktentasche unter dem Arm gemächlich hereingeschlurft, nahm grußlos auf dem Besucherstuhl Platz, stellte die Tasche auf den Boden und blickte mich freundlich an: „Das finde ich gut, dass auch ein Privatdetektiv Tucholsky liest. Er war schließlich einer der bedeutendsten Publizisten der Weimarer Republik. Wussten Sie, dass er auch unter den Pseudonymen Kaspar Hauser, Peter Panter, Theobald Tiger und Ignaz Wrobel geschrieben hat?“ Ich verneinte: „Wusste ich bisher noch nicht. Aber wegen dieser Information sind Sie doch bestimmt nicht hergekommen“. Er schüttelte, weiterhin sympathisch lächelnd, seinen grauhaarigen Kopf: „I wo! Aber ich war mal Deutschlehrer. Und wie sagt der Volksmund? Einmal Deutschlehrer, immer Deutschlehrer“. Ich lächelte artig zurück: „Ob der Volksmund wirklich von Deutschlehrern gesprochen hat, wage ich zu bezweifeln. Aber aus welchem Grund sind Sie nun tatsächlich hier?“ Sein Lächeln verlor etwas an Intensität: „Nun ja, Sie müssen wissen, dass ich inzwischen in einem Alter bin, wo langsam der Weg in Richtung Friedhof abbiegt, und wo man allmählich seine Belange ordnen sollte. Ich bin dabei Dinge, die man nicht mehr braucht, zu verschenken, das Testament beim Notar zu hinterlegen, und vielleicht auch etwas Geld Leuten zukommen zu lassen, die mir in der Vergangenheit hin und wieder etwas Gutes getan haben“. Ich hakte schmunzelnd ein: „Nun, ich habe Ihnen wahrscheinlich bislang noch nichts Gutes getan, aber falls sie tatsächlich Geld übrighaben, dann wüsste ich schon, was ich damit machen würde. Beispielsweise ist die Miete für mein Büro überfällig. Halt, nein, das war’n Scherz!“ Er zog grinsend die grauen Augenbrauen hoch: „Na bitte! Sie brauchen nur meinen Auftrag anzunehmen, und schon gibt es Penunzen“. Ich wiederholte amüsiert: „Penunzen?“ Er nickte: „Das Wort Penunze leitet sich sehr wahrscheinlich vom polnischen "pieniądze" ab. Manche sagen auch, der Herkunft dieses Terminus sei ungeklärt. Gemeint damit ist Geld“. Ich entgegnete geduldig: „Das ist mir schon klar. Aber sagen Sie mir bitte auch, was denn Ihr Auftrag wäre?“ Der Alte hob den Finger: „Sie brauchen nicht den Konjunktiv zu bemühen. Denn mein Auftrag "wäre" nicht, sondern er "ist", wie Sie gleich hören werden. Es geht um eine ehemalige Schülerin. Die Gute hieß Gisela Wimmer. Bestimmt hat sie inzwischen geheiratet und besitzt womöglich einen anderen Familiennamen. Ihre einstige Adresse war hier in der Stadt. Ein Hinterhaus in der Bachstraße 4b. Aber dort wohnt Gisela nicht mehr. Hab schon nachgefragt“. Ich unterbrach ihn: „Wieso erinnern Sie sich noch so gut an die Adresse?“ Er zögerte kurz: „Also, die Gisela war ein etwas aufmüpfiges Wesen. Ich musste häufiger mal einen Besuch in ihrem Elternhaus machen. Aber jetzt zum Grund meines Hierseins. Es ist eigentlich nicht besonders wichtig, aber ich hätte halt meine Angelegenheiten gern geregelt. Ich möchte also, dass Sie die Frau finden!“ Ich wurde ernst: „Sagen Sie mir auch, warum ich die Dame finden soll? Je mehr Informationen ich habe, desto einfacher gestaltet sich nämlich meine Arbeit“. Er dozierte: „Das Adverb "nämlich" drückt nachgestellt eine Begründung für die vorangehende Aussage aus. Oh, Entschuldigung! Mir sind wieder einmal die Pferde durchgegangen. Nun, ich habe dieser Gisela damals kurz vor dem Abitur einen Gegenstand abgenommen, mit dem sie im Unterricht gespielt hat. Und dann habe ich vergessen, ihr das Ding wiederzugeben. Vielleicht lag das auch daran, dass ich längere Zeit verzweifelt versucht habe herauszufinden, was dieses Ding eigentlich darstellt. Wie ich dann aber herausfand, stammt es aus Kemet. Kemet bezeichnet das Delta des Nils und bedeutet "schwarzes Land". Wir nennen heute das Gebiet "Altes Ägypten". Ich konnte feststellen, dass der Gegenstand ein kleines Teilstück von einem sogenannten "Ehrengold" ist. Das ist eine besondere, vom altägyptischen König verliehene Auszeichnung für seine Untergebenen. Was allerdings überhaupt nicht dazu passt, das ist eine seltsame Zahl, die auf der Rückseite eingeritzt wurde. Ich hab das Ding mal mitgebracht“. Er hob die Aktentasche auf seinen Schoß, und zog zunächst ein Foto heraus: „Hier, das war oder ist Gisela. Ich hab das Gesicht eingekreist“. Er legte ein vergilbtes Klassenfoto auf meinen Schreibtisch, dann griff er erneut in die Tasche, um einen Gegenstand daraus hervorzubringen, der tatsächlich mein Erstaunen hervorrief. Es war eine Art dicker Reif, und wenn mich nicht alles täuschte, dann bestand der Ring wirklich und wahrhaftig aus Gold. Ich war entsetzt: „Mann, das ist doch sicher ein historisches Artefakt. Sowas dürfen Sie gar nicht besitzen. Das stammt bestimmt aus einer Grabbeigabe von einem geplünderten Grabmal. Gehen Sie mit dem Ding zu einem Museum oder am besten benachrichtigen Sie die Deutsche Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte. Die können Ihnen bestimmt weiterhelfen, auch wenn es sich um einen ausländischen Fund handelt“. Er drehte das Ding um: „Und wissen die dort auch, was das mit dieser komischen Zahl hier auf sich hat? Die alten Ägypter werden doch wohl kaum alle Grabbeigaben nummeriert haben. Außerdem gehört mir das Teil gar nicht, sondern Gisela Wimmer. Wenn sie es zurückerhalten hat, kann sie damit machen was sie will. Aber zuerst müssen Sie das Mädel finden!“ Ich kratzte mich eine ganze Weile am Kopf: „Also gut! Ich werde das Ding jetzt mal von allen Seiten fotografieren. Dann überlege ich mir in Ruhe, wie wir weiter verfahren werden. Am besten, Sie kommen in ein oder zwei Tagen wieder her!“ Er nickte, ich fotografierte, er ging. Das war alles Erwähnenswerte, was an diesen Tag noch geschah.

Am nächsten Morgen wälzten sich verschiedene Theorien durch mein Hirn. Vielleicht war das der Grund, warum ich an diesen Tag ausnahmsweise nicht meine Pfirsichmarmelade auf den Teppich kleckerte. Im Auto hatte ich die entscheidende Idee, und als ich dann im Büro saß, war meine Strategie fix und fertig. Ich scannte das Klassenfoto ein und kopierte noch zwei Bilder von dem Artefakt dazu, natürlich ohne die ominöse Zahl, setzte oben den Schriftzug "GESUCHT" ein, und setzte meine Büroadresse und Telefonnummer darunter. Dann druckte ich mehrere Exemplare meiner Arbeit aus. Bis zur Mittagspause war ich damit beschäftigt, mich selbst und meine Idee zu loben. Wenn diese Gisela Wimmer aus unserer Stadt war, dann würde sie vielleicht der eine oder der andere auf dem Bild erkennen. Sollte sich keiner rühren, dann konnte ich ja immer noch das zusammengestellte Foto über Social Media verbreiten. Am Nachmittag klebte ich mehrere Zettel an Bäume oder verteilte sie von Hand an vorübergehende Passanten. Jetzt hieß es abwarten. Eine Flasche Bourbon wartete zusammen mit mir.

Manchmal habe ich so ein Gefühl. Also ein seltsames. Diesmal war es das Gefühl, dass mich eine schwarze Limousine auf dem Weg vom Büro bis zu meiner Wohnung verfolgte. Obwohl ich mehrere Umwege fuhr, war die Karre immer noch hinter mir. Also kutschierte ich eiskalt an meinem Zuhause vorbei und hielt erst in der zweiten Nebenstraße. Ich stieg aus, und bewegte mich fröhlich pfeifend zu Fuß weiter. Der schwarze Wagen folgte mir. Als ich eine offene Haustür bemerkte, sprang ich blitzschnell hinein und spähte durch einen kleinen Türspalt zurück auf die Straße. Meine zutraulichen Freunde hielten ihren Wagen auf der gegenüberliegenden Straßenseite an, ein Fenster wurde heruntergelassen und ein Fotoapparat kam zum Vorschein. Kurz danach preschte die Limousine mit quietschenden Reifen davon. Ich wollte gerade wieder auf die Straße treten, als mich jemand von hinten erfasste, und mit ungeheurer Kraft meine Arme fixierte. Ein baumlanger Kerl brüllte mich an: „Hab ich dich endlich! Jetzt geht’s ab zur Polizei!“ Ich entgegnete gepresst: „Ich bitte förmlich darum! Da kann ich dich gleich wegen Körperverletzung und Entführung anzeigen. Vielleicht solltest du dir lieber erstmal meine Papiere anschauen. Ich bin nämlich Detektiv und habe jemanden beschattet“. Wider Erwarten ließ er mich los: „Ehrlich?“ Ich holte meine Brieftasche aus der Jacke und hielt ihm mein IHK-Zertifikat unter die Nase. Es dauerte eine geraume Weile bis er die Schrift entziffert hatte. Wahrscheinlich war er nicht besonders hell in der Birne. Dann sagte er ehrfürchtig: „Wow! Ein staatlich anerkannter Privatdetektiv! Und ich dachte du bist der Kerl, der hier immer den Müll in die Briefkästen stopft. Halt mal! Vielleicht kannst du ja herausfinden, wer dieser Übeltäter ist“. Ich steckte meine Papiere wieder ein: „Theoretisch schon, aber ich bekomme zweihundert pro Tag plus Spesen“. Sein Gesicht zeigte jählings große Traurigkeit: „Das kann sich hier keiner leisten“. Er drehte sich langsam um und schlich davon. Es machte den Eindruck, als würde er sich dabei auf die Ohren treten. Ich spurtete hinterher, und nötigte ihm noch eine meiner Visitenkarten auf. Dann trat ich auf die Straße und spähte vorsichtshalber sehr ausgiebig nach rechts und links, um anschließend unbeschwert zurück zu meinem geliebten Heim zu latschen.

Am nächsten Morgen war ich etwas verwirrt, als ich nach dem obligatorischen Klecker-Frühstück auf die Straße trat. Mein Auto war nicht da. Dann klatschte ich mir begreifend mit der flachen Hand gegen die Stirn. Natürlich! Ich hatte ja gestern in einer der Nebenstraßen geparkt. Logischerweise müsste mein kleiner Flitzer dort geduldig auf mein Erscheinen warten. Und das tat er dann auch. Ich startete guter Dinge mein Gefährt und bog um die nächste Ecke. Da sah ich plötzlich, wie ein Mensch etwas Schmutziges in einen Briefkasten stopfte. Sofort trat ich auf die Bremse, sprang aus dem Wagen und schnappte mir den Kerl. Während ich ihn unter großer Anstrengung festhielt, drückte ich meine linke Schulter unkontrolliert auf ein paar Knöpfe der Klingelleiste. Sofort erschien der Kopf meines starken Freundes von gestern an einem der Fenster. Kurz danach stand er neben mir und übernahm grinsend den Spitzbuben: „Ich hab schon die Polizei gerufen! Aber bezahlen kann ich dich nicht“. Ich winkte ab: „Geht aufs Haus!“ Dann stieg ich in mein Auto und fuhr, mit dem Gefühl etwas Gutes getan zu haben, ein Liedchen pfeifend zum Büro. Dort rief ich meinen Klienten an, um ihm mitzuteilen, dass ich alles ins Laufen gebracht hatte, aber die Adresse der gesuchten Person im Moment noch nicht zu ermitteln gewesen war.

Dass ein Mensch hin und wieder eine Toilette aufsuchen muss, dürfte hinlänglich bekannt sein. Folglich muss auch ein erstklassiger Privatdetektiv mal müssen. Nun ist aber die Büromiete, selbst für einen hart arbeitenden Detektiv, nicht erwirtschaftbar, wenn dem Büro ein privates Klo angegliedert ist. Zum Glück befindet sich aber im Erdgeschoss eine Gaststätte, die ich in dringenden Fällen leichtfüßig über die Treppe erreichen kann, um dort die gepflegte Herrentoilette mit meinem Erscheinen zu beehren. Als ich an diesem Tag nach erfolgreicher Verrichtung die Treppe wieder in Richtung meines Büros nach oben stapfte, reagierte mein Körper auf einen hinterhältig ausgeführten Schlag an meinen Hinterkopf mit einer Runde tiefen Schlafes. Als ich wieder zu mir kam, durfte ich feststellen, dass der Mensch, der gerade meinen Schreibtisch durchwühlte, durchaus ein Profi in Sachen Fesselung war. Ich klebte förmlich, dank mehrerer Lagen Panzerband, an meinem Stuhl. Mein größter Ärger war jedoch der Tatsache geschuldet, dass meine Arme nach hinten um die Stuhllehne gelegt und dort sicher fixiert waren. Das nennt man wohl Ironie des Schicksals, denn ich saß ausgerechnet auf dem Stuhl, unter dem meine Pistole versteckt war, kam aber ums Verrecken nicht an das Ding heran. Inzwischen hatte mein Peiniger die Fotos des Artefaktes gefunden. Natürlich auch das, auf welchem die ominöse Nummer zu sehen war. Er nickte, steckte das Bild ein und verschwand, ohne sich weiter um mich zu kümmern. Ich zappelte angestrengt wie ein Fisch auf dem Trocknen, was auch später peinlich auf der Aufzeichnung meiner Überwachungskamera zu sehen war, aber die Bänder meiner Umklammerung ließen sich einfach nicht lösen. Bei meiner schlechten Auftragslage würde ich wohl verdursten, bevor mich ein neuer Kunde fand. Doch dann öffnete sich die Tür, und der lange Lulatsch vom Briefkastenfall kam als mein strahlender Held hereingeschneit: „Na, so ein besonders guter Detektiv scheinst du aber nicht zu sein!“ Ich konterte: „Halt die Klappe und nimm die Schere dort auf dem Tisch!“ Nachdem er mich befreit hatte, hielt er mir fünfzig Euro hin: „Ich wollte mich doch dafür bedanken, dass du den Kastenverschmutzer gefangen hast. Der hat zwar gesagt, er hätte nur den Müll aufgesammelt, den wir immer auf die Straße schmeißen, aber er hätte das Zeug eben nicht in die Briefkästen stopfen dürfen“. Ich lehnte großspurig das Geld ab, verabschiedete meinen Retter mit Handschlag, und schloss für diesen Tag mein Büro zu. Allerdings hatte ich vorher die DVD aus meiner Überwachungskamera geholt, um sie auf dem Heimweg bei der Polizei abzugeben. Abends erzählte ich dann alles sehr ausführlich meiner Bourbonflasche.

Am nächsten Nachmittag überschlugen sich die Ereignisse. Ich bekam einen Anruf von der Polizei, fuhr stante pede ins Präsidium, durfte bei einer Gegenüberstellung meinen Peiniger identifizieren und erfuhr, dass die besagte Zahl auf dem Artefakt die Nummer eines Bankschließfachs gewesen war. Dort hatte die Polizei, bewaffnet mit einem richterlichen Durchsuchungsbeschluss, mehrere, seit Jahren international gesuchte Gegenstände aus einem Grabraub aufgefunden. Zu meinem Leidwesen war darauf aber kein Finderlohn ausgesetzt. Und auf meine Frage konnte blöderweise keiner der Ermittler etwas mit dem Namen Gisela Wimmer anfangen. Wäre auch zu schön gewesen. Zumindest hatte sich ein Beamter den Namen notiert.

Was soll ich sagen, die Polizei ist gar nicht so schlecht wie ihr Ruf. Die haben meine verzweifelt gesuchte Gisela tatsächlich gefunden. Die gab zu, das goldene Ringlein, wie sie es nannte, ihrem Vater aus einem Schrank entwendet zu haben, weil es ihr damals einfach gefallen hatte. Da ihr Vater aber inzwischen gestorben war, wird wohl die Herkunft immer im Dunklen bleiben. Ich nehme mal an, die Zahl hatte der gute Papa als Gedächtnisstütze dort eingeritzt, um die Schließfachnummer nicht zu vergessen. Jedenfalls musste der Deutschlehrer das Ringlein der Polizei aushändigen, nachdem er sich wortreich bei Gisela Müller, geborene Wimmer, entschuldigt hatte. Außerdem hat er mir ordnungsgemäß und in bar mein gefordertes Honorar übergeben. Und aus Dankbarkeit sogar eine kleine Zugabe. Ein schmales Buch mit dem Titel "Grammatik: Konjunktiv I und II". Ich glaube aber, ich surfe dann doch wohl lieber im Internet.

Tiersprache und Undank

Nicht alles, was in fernen Jahren so passierte, wurde auch überliefert. Und wenn, dann wurde es meist durch die heutige Sichtweise ein wenig verbrämt. Oder der Erzähler hat in boshafter Absicht etwas hinzugedichtet bzw. einfach weggelassen. Manche Geschichten aus der Vergangenheit entwickelten sich im Laufe der Zeit sogar zu Märchen oder Sagen. Andere Begebenheiten wurden uminterpretiert und spazieren in den verschiedensten Variationen durch unsere heutige Welt. Sei es wie es sei, hier und jetzt soll es um ein spezielles Geschehnis gehen, welches ich in den Kindertagen von meiner Muhme erzählt bekam.