Schönes neues Geld - Norbert Häring - E-Book

Schönes neues Geld E-Book

Norbert Häring

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Beschreibung

Norbert Häring: Wir bezahlen mit der Freiheit In unserer Bezahlwelt tobt ein Krieg gegen das Bargeld. Es geht um kommerzielle Interessen und um die technologiegetriebenen Geschäftsmodelle von Mastercard, Microsoft, Apple und Co. Und es geht um die Freiheit des Individuums. Der Wirtschaftsexperte Norbert Häring belegt, wie eine Allianz aus großen Technologie- und Finanzkonzernen, reichen Stiftungen, Regierungen und Organisationen an einem umfassenden System der digitalen finanziellen Überwachung und Kontrolle baut: Wir sind auf dem Weg in ein (vertragsungebundenes) Pay-as-you-go-System, das mittels Gesichtserkennung und Fingerabdrücken aktives Bezahlen überflüssig macht und einer globalen Weltwährung den Weg bahnt. Wer das Buch von Häring liest, weiß, warum das keine Verheißung ist.

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Seitenzahl: 343

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NORBERT HÄRING

SCHÖNES NEUES GELD

PayPal, WeChat, Amazon Go – Uns droht eine totalitäre Weltwährung

Campus VerlagFrankfurt/New York

Über das Buch

In unserer Bezahlwelt tobt ein Krieg gegen das Bargeld. Es geht um kommerzielle Interessen und um die technologiegetriebenen Geschäftsmodelle von Mastercard, Microsoft, Apple und Co. Und es geht um die Freiheit des Individuums.

Der Wirtschaftsexperte Norbert Häring belegt, wie eine Allianz aus großen Technologie- und Finanzkonzernen, reichen Stiftungen, Regierungen und Organisationen an einem umfassenden System der digitalen finanziellen Überwachung und Kontrolle baut: Wir sind auf dem Weg in ein (vertragsungebundenes) Pay-as-you-go-System, das mittels Gesichtserkennung und Fingerabdrücken aktives Bezahlen überflüssig macht und einer globalen Weltwährung den Weg bahnt. Wer das Buch von Häring liest, weiß, warum das keine Verheißung ist.

Vita

Norbert Häring ist promovierter Volkswirt, Wirtschaftsjournalist und Autor populärer Wirtschaftsbücher. Sein Buch Ökonomie 2.0 erhielt den Wirtschaftsbuchpreis 2007 von getAbstract. Er schreibt für das Handelsblatt und betreibt den Blog »Geld und mehr«. 2014 wurde er mit dem Preis der Keynes-Gesellschaft für Wirtschaftspublizistik ausgezeichnet. Die von ihm 2011 mitbegründete internationale Ökonomenvereinigung World Economics Association hat über 12 000 Mitglieder. 2016 veröffentlichte er das Buch Die Abschaffung des Bargelds und die Folgen.

Inhalt

Einführung und Überblick

Dem einen sin Uhl, dem andern sin Nachtigall

Eine weltweit koordinierte Kampagne

Digitale Tendenz zum Weltgeld

Lesehinweise

1.MasterCard, Bill Gates und ihr »Krieg gegen das Bargeld«

Die Besser-als-Bargeld-Allianz

Die Motive der Allianzpartner

USAID, die Weltbank und die öffentlich-private Partnerschaft

Von Mikrokrediten über finanzielle Inklusion zur Bargeldabschaffung

Finanzielle Inklusion als Neusprech für Bargeldbeseitigung

Falsche Versprechungen und gekaufte Beweise

Bill Gates’ Allianz für Finanzielle Inklusion

Schauplatz Kenia: Fragwürdiges Musterbeispiel für Inklusion mit mobilem Geld

2.Unzertrennlich: Finanzielle Inklusion und biometrische Datenbanken

Arme haben kein Recht auf Datenschutz

Geheimdienste als treibende Kraft

Flüchtlinge als wehrlose Versuchskaninchen

Schauplatz Indien: Bargeldabschaffung und eine biometrische Mega-Datenbank

Ein Augenzeugenbericht zur Bargeldbeseitigung

Variable Begründung für eine radikale Maßnahme

Viele Spuren führen nach Washington

Eine biometrische Datenbank für eine Milliarde Menschen

Wieder führen die Spuren in die USA

Direkter Zugang für Geheimdienste

3.Der heimliche Krieg der Schattenmächte gegen das Bargeld

Die G20-Regierungen im Dienste der Besser-als-Bargeld-Allianz

Standardsetzer als Geheimtruppe gegen das Bargeld

Die Financial Action Task Force

Die BIZ und ihre Satelliten

Die Standardsetzer werden eingeschworen und machen eifrig mit

Schauplatz Malawi (und andere übereifrige arme Länder): Ein Rätsel

Die Mafiamethoden der transnationalen Schattenmächte

Die Methode für Industrieländer: Gruppendruck

Schauplatz Deutschland (und Europa): Auf leisen Sohlen ins System

Die Harvard-Kampagne

Mit Geldwäscheregeln gegen das Bargeld

Bankgeheimnis war einmal

Biometrische Überwachung in Trippelschritten

4.Im ost-westlichen Panopticon

Schauplatz China: Überwachung und Volkserziehung in Vollendung

Lob aus dem Westen

Die westliche Variante

Hilfsbereite Zuchtmeister

Die Einschläge kommen näher

Wohin unsere PayPal-Daten gehen

Mit Hilfe und im Auftrag der Schlapphüte

Weltbeherrschungsfantasien aus dem Silicon Valley

Amazon und der Plattform-Kapitalismus

Auf dem Weg zu einer totalitären Weltwährung

Kann sich ein konkurrierendes chinesisches Geldsystem behaupten?

5.Widerstände, trojanische Pferde und Lösungen

Die Hoffnung auf Bitcoin und digitales Notenbankgeld trügt

Ein Instrument für die Mächtigen

Staatliche Kryptowährungen sind eine Mogelpackung

Trojanisches Pferd Dateneigentum

Wirksame Wege des Widerstands

Schauplatz Leipzig: Das Recht auf Barzahlung vor dem Bundesverwaltungsgericht

Gemeinsam geht es

Dank

Literaturverzeichnis

Anmerkungen

Einführung und Überblick

1. MasterCard, Bill Gates und ihr »Krieg gegen das Bargeld«

2. Unzertrennlich: Finanzielle Inklusion und biometrische Datenbanken

3.Der heimliche Krieg der Schattenmächte gegen das Bargeld

4. Im ost-westlichen Panopticon

5. Widerstände, trojanische Pferde und Lösungen

Einführung und Überblick

Die Zukunft des Bezahlens ist 2018 in der Gegenwart angekommen. In Seattle, an der Westküste der USA, eröffnete das erste Amazon-Go-Ladengeschäft für die Allgemeinheit. Wer dort einkauft, braucht dank »modernster Einkaufstechnologie« nicht mehr Schlange zu stehen. Kunden müssen nur einmal die zugehörige App kostenlos auf ihr Smartphone herunterladen. Danach können sie sich nach Belieben im Laden bedienen, ihre Auswahl an Produkten aus dem Regal nehmen, in ihre Tasche packen und wieder gehen. Alles Weitere macht die Technik. Wenn ein Kunde zum Beispiel Marmelade in seine Tasche gelegt hat und dann feststellt, dass er doch lieber Honig hätte, legt er die Marmelade einfach wieder zurück ins Regal. Die Amazon-Überwachungstechnik registriert das und streicht die Marmelade wieder von der Rechnung. Kurz nachdem der Kunde den Laden verlassen hat, ohne von irgendwelchen Kassierern oder Ladendetektiven behelligt worden zu sein, bekommt er eine Rechnung auf sein Smartphone und das Geld wird vom Amazon-Konto abgebucht.

Bequemer geht es kaum. Das aktive Bezahlen ist in dieser Konsumutopie, die gerade Realität wird, abgeschafft. Das Abkassieren geht automatisch ohne unsere Beteiligung. Wir müssen nicht einmal mehr eine Karte zücken oder eine Unterschrift leisten. Der Verkäufer und derjenige, der unser Geld verwaltet, werden eins. Wohin die Reise gehen soll, ist klar – und sie geht weit über die Amazon-Welt hinaus: Alle Bequemlichkeit ist auf unserer Seite, alle Macht auf der anderen.

In China wird gerade eine andere Utopie Realität. Geld als Haupttriebfeder und Belohnung des wirtschaftlichen Handelns wird abgelöst von penibel gemessener Tugendhaftigkeit. Die Regierung führt ein umfassendes System zur Bewertung ihrer Bürger ein. Wer von den Kameras mit Gesichtserkennung dabei ertappt wird, dass er bei Rot über die Ampel geht, bekommt Punkte vom Sozialpunktekonto abgezogen. Wer Kunden besonders freundlich bedient, bekommt welche dazu. Wer zu wenige Sozialpunkte auf dem Konto hat, kann sich kein Ticket für einen Flug oder den Schnellzug mehr kaufen und auch keine schöne Wohnung mehr mieten oder gar erwerben. Bezahlt wird mit den Allround-Apps WeChat oder Alipay, die man sich wie eine Kombination von Facebook, Google, WhatsApp und Amazon vorstellen kann. Da WeChat mit Gesichtserkennung und weiteren biometrischen Merkmalen operiert und eng mit der Regierung zusammenarbeitet, fungiert die App inzwischen sogar als amtlicher Identitätsnachweis. WeChat registriert und speichert alles, was die Teilnehmer mit ihrem Geld machen, und kooperiert mit den Sozialpunktebehörden. Wer den halben Tag Computerspiele spielt oder eine Rechnung nicht bezahlt, hat schlechte Karten. So schön die Vorstellung ist, dass tugendhaftes Verhalten mehr gewürdigt wird als der schnöde Mammon: Wenn eine kommunistische Einheitspartei verbindlich für alle vorschreibt, was gutes und was schlechtes Verhalten ist, und das auch noch überwachen und sanktionieren kann, dann ist das eine totalitäre Gesellschaft ohne individuelle Freiheit.

Ganz anders die schöne neue Bezahlwelt der Amazon-Go-Gesellschaft – zumindest auf den ersten Blick. Hier schreibt uns keine Obrigkeit vor, wie wir uns verhalten sollen, solange wir uns im Rahmen der Gesetze bewegen. Aber auf den zweiten Blick ist die Schnittmenge mit dem chinesischen Sozialpunktesystem unangenehm groß: Grundlage beider Systeme ist die zuverlässige automatische Identifizierung der Handelnden und die lückenlose automatische Überwachung ihres Handelns. In den chinesischen Städten erfassen Kameras mit Gesichtserkennungssoftware die Passanten auf Schritt und Tritt, genauso wie im Amazon-Go-Laden.

Amazon Go ist nur ein besonders fortschrittliches Beispiel der Pay as you go-Bezahlwelt, bei der immer stärker einzelne Handlungen und Nutzungen überwacht und automatisch abgerechnet werden. Bei Amazon Go ist jeder Griff ins Regal eine Kaufhandlung und muss entsprechend überwacht und abgerechnet werden. Das ist ganz klar der Weg, auf den wir als Gesellschaft geschickt werden. Man verkauft uns kein Computerprogramm mehr, über das wir frei verfügen können. Stattdessen sollen wir Programme mieten, die in der Cloud, also auf fremden Computern, laufen. Entsprechend wird alles, was wir damit machen, gespeichert und überwacht. Bei Bedarf kann unser Zugang blockiert werden. Wir kaufen kein Fahrrad mehr, sondern nutzen Leihfahrräder und zahlen automatisch pro Kilometer oder Stunde. Statt Steuern für Autobahnen zu zahlen, wird uns für jeden gefahrenen Kilometer Geld abgezogen. Wir besitzen kein Auto mehr, sondern mieten Autos nach Bedarf, mit oder ohne Fahrer, minuten- oder kilometerweise. Die Zahl der Beispiele steigt Monat für Monat. Bald werden wir auf Schritt und Klick kleine Bezahlvorgänge auslösen und es kaum bemerken.

Diese Pay as you go-Bezahlwelt braucht und bewirkt die gleiche totale Überwachung, wie sie in China bereits vorangetrieben wird. Sie macht das Individuum, das nichts mehr körperlich besitzt und also auch nicht mehr uneingeschränkt darüber verfügen kann, abhängig von denjenigen, die die Kontrolle über seine Bücher haben. Wenn sie entscheiden, dass jemand nicht mehr genug finanzielle Ansprüche hat oder auf andere Weise das Recht verwirkt hat, sein digitales Geld für die Miete von Dingen einzusetzen, die andere besitzen, wird das Individuum völlig handlungsunfähig. So wie Joe Chip in Philip K. Dicks Zukunftsroman Ubik aus dem Jahr 1966, der seine Wohnung nicht mehr verlassen kann, bis jemand die Tür dafür bezahlt, sich zu öffnen. Die geniale Vorstellungskraft von Dick, der mit der Romanvorlage für den Film Blade Runner berühmt wurde, lässt sich daran ermessen, dass damals das Bezahlen mit Buchgeld noch bei Weitem nicht die Norm war und der Begriff Sharing Economy erst ein halbes Jahrhundert später auftauchte.

Dank automatischer Gesichtserkennung und ähnlichen Techniken zur Umsetzung des Pay as you go-Systems verschmilzt die reale, analoge Welt mit der digitalen. Jeder unserer Schritte in der realen Welt wird mit digitalen Daten nachgebildet und gespeichert. Diese Daten werden zu umfassenden Persönlichkeitsprofilen zusammengeführt, die sich jeder kaufen kann, der das Geld dafür hat, vom potenziellen Arbeitgeber bis zum potenziellen Kreditgeber oder Vermieter. Anders als in China werden bei uns die Daten und die Beeinflussungsmöglichkeiten (noch) nicht so sehr genutzt, um die Menschen zu gesellschaftlich erwünschtem Verhalten zu erziehen. Es geht vor allem darum, sie zu noch besseren Konsumenten zu machen. Aber es gibt auch schon einige Anwendungen in Richtung des chinesischen Modells.

Dass die neuen digitalen Bezahlverfahren so viele Daten produzieren und so viele sensible Daten von uns verlangen, ist die Hauptattraktion für diejenigen, die diese Systeme einführen wollen. Hier ziehen Regierungen, die ihre Bevölkerung überwachen möchten, mit Konzernen an einem Strang, die zuverlässige Daten haben wollen. Das setzt voraus, dass beide uns in der digitalen Welt jederzeit genau identifizieren können. Hier trifft es sich gut, dass man für die Pay as you go-Welt genau diese Totalüberwachung aus vermeintlich harmlosen Gründen braucht. So werden die neuen Bezahlverfahren als einer der Haupttreiber für die Einführung und Ausweitung biometrischer Identifizierung im Alltag genutzt – durch Fingerabdrücke, Gesichtserkennung und künftig vielleicht sogar DNA. Das geschieht absichtsvoll, systematisch und weltweit, wie ich in diesem Buch zeigen werde.

Dem einen sin Uhl, dem andern sin Nachtigall

Solange jede zweite Transaktion mit Bargeld ausgeführt wird, ist ein umfassendes digitales Abbild davon, was die Bevölkerung tut, kaum möglich. Die hartnäckige Vorliebe der Menschen für Bares hält den Weg in die Pay as you go-Welt auf. Diese Vorliebe ist gut begründet. Denn auch wenn die Gegner des Bargelds viel Mühe darauf verwenden, es anachronistisch erscheinen zu lassen, hat es doch viele Vorteile für seine Nutzer. Und: Diese Vorteile werden mit zunehmender Digitalisierung von immer mehr Lebensbereichen immer größer.

Die Vorteile von analogem Geld:

Transaktionen mit Bargeld sind anonym. Außer denjenigen, die die Transaktion vor Ort beobachten, kann niemand nachverfolgen, was ich wann wo bei wem gekauft habe. Das gilt für Geheimdienste und Bankangestellte, Sozialpunktebehörden, Kreditratingagenturen, allgemeine Auskunfteien, aber auch für Ehepartner und Eltern. Wir möchten nicht unbedingt immer, dass diese genau sehen können, wann, wo und was wir im Laufe eines jeden Tages gegessen, getrunken und gekauft haben.

Mit Bargeld müssen weder Verkäufer noch Käufer in Vorleistung treten. Beide sind gegen eine Insolvenz oder Betrug der Gegenseite geschützt. Wer einem Unbekannten einen Gebrauchtwagen verkauft, möchte sich nicht darauf verlassen müssen, dass dieser irgendwann später das Geld überweist. Umgekehrt möchte niemand einem Unbekannten größere Geldbeträge überweisen, bevor er die Ware in Besitz hat. Neuere, schnelle digitale Bezahlverfahren erwecken zwar den Anschein, das sei auch bei ihnen gewährleistet. In Wahrheit ist das aber nicht so. Man hat keine Garantie, dass das Geld nicht zurückgebucht wird.

Barzahlungen ermöglichen außerdem eine gute Kontrolle der Ausgaben. Das ist vor allem für die Menschen wichtig, die darauf achten müssen, dass am Ende des Budgets nicht zu viel vom Monat übrig ist. Wer alles digital bezahlt, auch Kleinbeträge, der wird mit elektronischen Belegen so überschwemmt, dass eine wirksame Kontrolle der Rechnungen und der Ausgaben nicht mehr realistisch ist.

Bargeld ist ein krisenfestes Zahlungsmittel. Es benötigt keine technische Infrastruktur. Es kann auch bei größeren technischen Störungen als Zahlungsmittel verwendet werden. Im Zivilschutzkonzept der Bundesregierung wird der Bevölkerung sogar ausdrücklich nahegelegt, für Not- und Krisenfälle ausreichend Bargeld vorzuhalten. Wenn wir nur noch digitale Bezahlverfahren zur Verfügung haben, dann reicht ein Ausfall des Internets oder eines großen Mobilnetzes, um große Teile des wirtschaftlichen Lebens lahmzulegen. Wir müssen dann schauen, wie wir eine Übernachtung und die Rückreise bezahlen, wenn wir unterwegs sind.

Bargeld ermächtigt. Wenn uns aufgrund eines Irrtums oder aus einem sonstigen Grund plötzlich die Konten gesperrt werden, sind wir ohne Bargeld hilflos. Mit Bargeld können wir auch in solchen Fällen weiter reisen, übernachten, essen und trinken.

Bargeld ist ein inklusives Zahlungsmittel. Es kann praktisch ohne Zugangsbeschränkungen verwendet werden. Kinder und Menschen mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen können mit Bargeld erheblich leichter und sicherer umgehen als mit digitalem Geld. Man gibt seinem Kind ohne weiteres 5 Euro mit, damit es sich etwas kaufen kann. Bei der eigenen Kreditkarte würden wir vernünftigerweise zögern. Da mutet es fast schon bizarr an, dass die weltweite Kampagne gegen das inklusive Zahlungsmittel Bargeld, wie wir noch sehen werden, ausgerechnet mit dem Schlachtruf der finanziellen Inklusion arbeitet.

Bargeld ist außerdem fast unsere einzige Möglichkeit, Geld so zu halten, dass es bei einer Bankenpleite nicht einfach weg ist. Digitales Geld ist im Grunde nichts anderes als ein Guthaben bei einer Bank, also eine Schuld der Bank uns gegenüber. Geht die Bank pleite, ist das Geld weg, jedenfalls dann, wenn es nicht durch eine zahlungsfähige Einlagensicherung abgesichert ist. Bei einer Pleite großer Banken oder vieler Banken sind alle bestehenden Einlagensicherungssysteme heillos überfordert.

Auch vor Negativzinsen als mildere Form der Enteignung im Fall von Problemen der Banken schützt Bargeld.

Bargeld ist für die Nutzer das kostengünstigste Bezahlverfahren. Den Kreditkartenunternehmen und Banken müssen wir entweder direkt oder indirekt etwas dafür bezahlen, dass sie Zahlungen für uns abwickeln. Indirekt zahlen wir, wenn der Händler abkassiert wird und die Kosten auf die Preise und damit letztlich auf uns umlegt. Die Gewinnspannen der weltweit führenden Kreditkartenanbieter, Visa und MasterCard, sind hoch. Irgendwer muss dafür bezahlen.

Nicht verschweigen darf man, dass auch Steuerhinterzieher und Kriminelle die Anonymität des Bargelds schätzen und es gern nutzen, solange es um kleine und mittlere Beträge geht. Die Vorteile dieser kleinen Gruppe der Bargeldnutzer sind das Hauptargument, das gegen das Bargeld angeführt wird.

Was dem einen sin Uhl, ist dem andern sin Nachtigall, heißt ein plattdeutsches Sprichwort. Banken, Zahlungsverkehrsabwickler, IT-Unternehmer, der Staat und zum Teil die Händler empfinden das, was die Nutzer als Vorteile sehen, als Nachteile.

Für diejenigen, die uns möglichst viel verkaufen und möglichst viel Kredit geben wollen, ist es von Nachteil, dass Bargeld uns dabei hilft, unser Geldausgeben zu kontrollieren. Die Geheimdienste und Sicherheitsbehörden halten die Anonymität für einen großen Nachteil. Es lässt sich auch kaum bestreiten, dass die Verbrechensbekämpfung leichterfällt, wenn die Kommissare guten Zugang zu umfassenden Konto- und Telekommunikationsdaten haben. Kein Krimi, in dem uns das nicht deutlich vor Augen geführt wird. Wenn man allerdings gänzlich verhindern wollte, dass auch Kriminelle sich die bürgerlichen Freiheiten zunutze machen, dann müsste man diese abschaffen – und das käme einer Abschaffung der Demokratie gleich. Es kann immer nur um einen vernünftigen Ausgleich gehen. Der sollte in einem offenen, demokratischen Verfahren bestimmt werden. Wie wir jedoch noch sehen werden, wird die Abschaffung der Privatsphäre in Finanzdingen fernab der Parlamente in einem diffusen transnationalen Nirgendwo beschlossen, von Gruppen, die sich demokratischer Kontrolle gekonnt entziehen.

Auch für die Zahlungsabwickler und die IT-Branche, die unsere wertvollen Finanzdaten haben wollen, ist die Anonymität des Bargelds ein Ärgernis. Denn jede Transaktion, die wir ohne Datenspuren ausführen, verzerrt das Profil, das sie von uns erstellen, und entwertet es dadurch. Im Zweifel werden wir doch gerade die interessanten Transaktionen gerne bar abwickeln, die Rückschlüsse auf eine eingeschränkte statistische Kreditwürdigkeit zulassen oder die niedrige Attraktivität als Arbeitnehmer, schlechte Gesundheit oder Risikofreude signalisieren könnten. Je umfassender die Datenspeicherung und Auswertung wird, desto lästiger ist dieses Refugium für den Schutz unserer besonders sensiblen Daten für die Gegenseite. Arbeitgeber, die krankheitsanfällige oder politisch unangepasste Kandidaten aussortieren möchten, oder Versicherer, die nur Gesunde und vorsichtige Menschen versichern wollen, werden weniger für mein Profil zahlen, wenn es ihnen nicht zuverlässig verrät, ob ich rauche, viel Geld für Medikamente ausgebe oder eine radikale Zeitschrift lese.

Die Banken hätten es lieber, wenn unser Geld im Bankensystem eingesperrt bliebe, weil wir es nicht mehr als Bargeld abziehen können. Wenn dann das Bankensystem das nächste Mal kollektiv vor die Wand fährt, können einfach die eingesperrten Guthaben der Kunden entwertet werden, um die Banken zu sanieren. Die Kontoguthaben, auch Einlagen genannt, stehen auf der Sollseite der Bankbilanz. Sie sind eine Schuld den Einlegern gegenüber. Wenn auf der Habenseite der Bilanz nicht mehr genug steht, weil Verluste das Eigenkapital aufgezehrt haben, kann man die Bilanz sanieren, indem auch die Einlagen reduziert werden. Das kann entweder auf einen Streich geschehen, wie während der Finanzkrise in Zypern, oder allmählich, mit hohen Negativzinsen für ein paar Jahre. Wenn man minus 4 Prozent Zinsen auf sein Bankguthaben bekommt, ist es nach drei Jahren um gut ein Zehntel geschrumpft und die Schuld der Banken entsprechend geringer. Dann brauchen die Banken sich nicht mehr darauf verlassen, dass der Staat einspringt und sie rettet. Und der Staat ist ein großes Problem los.

Wie bei den Vorteilen von Münzen und Scheinen sollen auch die Nachteile von Bargeld für Steuerhinterzieher und Kriminelle nicht vergessen werden. Bargeld kann nur schwer und unter großem Risiko in großen Beträgen transportiert werden. Die beiden Gruppen nutzen daher spezialisierte Anwaltskanzleien und Banken, um digitales Geld, auch Buchgeld oder Giralgeld genannt, unter Verschleierung der wahren Herkunft oder Besitzverhältnisse in Steueroasen zu verbringen oder in den legalen Geldkreislauf einzuschleusen. Das wird zwar alles aufgezeichnet, aber mit gefälschten Rechnungen und ähnlichen Tricks lassen sich die Bücher passend frisieren. Davon, dass die großvolumigen illegalen und grauen Geldverschiebungen meist mit digitalem Geld getätigt werden, ist nie die Rede, wenn so argumentiert wird, als könne man mit einer Zurückdrängung des Bargelds Steuerhinterziehung, Kriminalität und sogar Terror beseitigen.

Und schließlich verdienen Unternehmen wie Visa, Microsoft und Vodafone, die die technische Infrastruktur bereitstellen, nichts an Bargeldtransaktionen. Jede Transaktion, die digitalisiert wird, ist für sie zusätzliches Geschäft. Wenn die alternative Bezahloption Bargeld wegfällt oder teurer wird, bietet das diesen Akteuren zudem die Chance, die eigenen Margen zu erhöhen.

Und so fahren Visa, MasterCard und Co. weltweit große Medienkampagnen, um uns klarzumachen, wie dumm und altmodisch das selbstständige Bezahlen mit Bargeld ist und wie modern und bequem das Bezahlen-Lassen. Sie bezahlen Restaurants dafür, die Bargeldannahme zu verweigern, und sorgen dafür, dass das groß durch die Medien geht. Sie statten Verkäufer von Obdachlosenzeitungen mit Lesegeräten aus, weil das unschlagbare PR bringt. Regierungen weltweit erlassen Gesetze und Regulierungen, die das Selber-Bezahlen verbieten, begrenzen, erschweren, teurer machen und in den Ruch des Kriminellen bringen.

Nicht nur die chinesische Regierung will alles über ihre Bürger wissen. Auch westliche Regierungen lieben den gläsernen Bürger. Die globale Führungsmacht USA will sogar nach Möglichkeit alle Erdenbürger zuverlässig digital erfasst und kontrolliert sehen. Das soll dem sogenannten Krieg gegen den Terror dienen, aber auch die eigene Machtposition gegenüber Alliierten und Gegnern stärken. Und so kommt es, dass Regierungen aller Couleur, von Schweden bis Saudi-Arabien, einträchtig in einer ganz großen, öffentlich-privaten »Partnerschaft« gegen das Bargeld zusammenarbeiten, mit den global führenden amerikanischen Finanz- und IT-Konzernen als Partner.

Eine weltweit koordinierte Kampagne

Die überfallartige Entscheidung der indischen Regierung von November 2016, den größten Teil des umlaufenden Bargelds aus dem Verkehr zu ziehen, war nur das extremste Beispiel. Bei uns läuft das eleganter und indirekter ab. Da werden immer mehr Geldautomaten abgebaut, und die Banken verlangen plötzlich Gebühren für Barabhebungen. Händlern wird verboten, Kreditkartenkosten an Kunden weiterzugeben, und Taxifahrer müssen plötzlich Verträge mit Kreditkartenfirmen abschließen. Banken und Kaufleute, die mit Bargeld hantieren, werden mit schikanösen Regeln überzogen, die angeblich der Geldwäschebekämpfung dienen. Reisende, die mit wenigen Tausend Euro Bargeld über die Grenze wollen, müssen inzwischen damit rechnen, dass ein Zöllner das Geld konfisziert.

Wenn es nach der Prognose des ehemaligen Deutsche-Bank-Chefs John Cryan von Anfang 2016 geht, wird es im Jahr 2025 auch bei uns kein Bargeld mehr geben. Nach dem Willen führender Politiker von SPD und CDU im Bundestag würde man es uns bald verbieten, größere Rechnungen ohne Einschaltung der Finanzbranche selbst zu begleichen. Einige andere europäische Länder haben bereits solche Barzahlungsobergrenzen. Parallel wird dafür gesorgt, dass nichts mehr von dem, was wir digital bezahlen, den Polizeibehörden, den Sozial- und Steuerbehörden und den Geheimdiensten verborgen bleibt. Die letzten Reste des Bankgeheimnisses wurden beseitigt.

Weltweit lässt sich in den letzten Jahren Ähnliches beobachten. Und das ist kein Zufall. Malawi, Nigeria, die Philippinen, Mexiko und Dutzende weitere Länder haben sogar feierlich erklärt, bald bargeldfrei werden zu wollen. In all diesen Ländern werden parallel zum Kampf gegen das Bargeld zentrale Regierungsdatenbanken mit den biometrischen Merkmalen aller Einwohner aufgebaut. All das ist Teil einer gut organsierten globalen Kampagne. Genauer gesagt sind es zwei Kampagnen, die eng miteinander verbunden sind. Die eine wird unter dem Schlagwort finanzielle Inklusion geführt. Das ist eine schönfärberische Umschreibung von Bargeldbeseitigung. Die zweite Kampagne versammelt sich hinter dem Schlachtruf digitale Identität. Unter dem Vorwand, jedem neu geborenen Erdenbürger einen Identitätsnachweis geben zu wollen, wie das die Entwicklungsziele der Vereinten Nationen fordern, betreibt diese Kampagne die zwangsweise biometrische Erfassung jedes Einzelnen – also auch der großen Mehrheit derer, die schon lange reichlich mit Identitätsnachweisen ausgestattet sind.

Betrieben werden diese Kampagnen von der G20-Gruppe der wichtigsten Wirtschaftsnationen, angeführt von der US-Regierung und im Konzert mit großen US-Konzernen und deren Stiftungen. Sie alle haben gemeinsam eine Globale Partnerschaft für finanzielle Inklusion gebildet. Deren Ziel ist es, die Digitalisierung des Zahlungsverkehrs und die biometrisch-digitale Erfassung aller Bürger weltweit durchzusetzen. Einbezogen in diese Partnerschaft ist eine ganze Batterie öffentlich-privater Allianzen, darunter eine Besser-als-Bargeld-Allianz, mit MasterCard, Visa, der Stiftung von Microsoft-Gründer Bill Gates und dem US-Außenministerium als Kernmitgliedern.

Hinter den Tarnbegriffen finanzielle Inklusion, Recht auf Identität und Überwindung der digitalen Kluft verstecken die immer gleichen Unternehmen wie MasterCard, Visa, PayPal, Microsoft und Vodafone ihre kommerziellen Interessen. Einbezogen in die globale Anti-Bargeld-Kampagne sind die ebenso informellen wie mächtigen transnationalen Gremien, in denen Bankaufseher, Regulierer und Sicherheitsbehörden gemeinsame Standards für Finanzgeschäfte entwickeln. Diese Standards werden überall Gesetz, auch bei uns, ohne dass Volksvertreter oder Datenschützer etwas zu sagen hätten. Die Standardsetzer haben sich von der Globalen Partnerschaft für finanzielle Inklusion darauf verpflichten lassen, ihre Standards möglichst bargeldfeindlich und überwachungsfreundlich auszugestalten. Vertreter der Bundesbank und der deutschen Behörden machen mit.

Aus dem transnationalen Schattenreich dieser Standardsetzer kommen die Vorgaben, die dazu führen, dass die EU-Kommission laut über Bargeldobergrenzen nachdenkt und dass sie dem Zoll die Kompetenz gibt, Bargeld jederzeit zu beschlagnahmen. Dort haben die schikanösen Regeln ihren Ursprung, mit denen Banken und Händler überzogen werden, um selbst bei Bargeld-Kleinbeträgen das letzte angebliche Geldwäscherisiko auszuschließen, während man die großen Fische weiter gewähren lässt. In diesem Schattenreich werden die Regeln verabredet, die dafür sorgen, dass man im Internet fast nicht mehr anonym einkaufen kann. Öffentlichkeit und Parlamente bekommen von dieser Entwicklung kaum etwas mit. So erklärt sich, dass die Totalüberwachung und langfristige Speicherung unserer digitalen Finanztransaktionen fast unbemerkt und unkommentiert bleibt, während über die weniger weitgehende Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsdaten zu Recht heftig gestritten wird. Über Letztere wird in Parlamenten diskutiert und entschieden, während Erstere demokratiefern im transnationalen Nirgendwo ausgekungelt werden.

Deutlich ruppiger als in den Industrieländern treiben MasterCard und Co. die Bargeldabschaffung in den Entwicklungs- und Schwellenländern voran. Wer sich den informellen Anti-Bargeld-Regeln der Standardsetzer nicht »freiwillig« unterwirft, der bekommt Hilfsgelder gestrichen oder kommt gar auf eine schwarze Liste nicht kooperativer Staaten. Wer nicht genug Eifer beim Thema Bargeldbeseitigung und bei der digital-biometrischen Erfassung der Bürger zeigt, wird bei den Überprüfungen durch Weltbank und Internationalen Währungsfonds schlecht bewertet, und das kann schlimme wirtschaftliche Folgen haben. Als Zuckerbrot finanziert die Stiftung von Bill Gates eine Allianz für Finanzielle Inklusion, die Zentralbanken von Entwicklungsländern mit Geld und mit technischer Hilfe von MasterCard und Visa beim Ausbau des digitalen Zahlungsverkehrs unterstützt. Das hat in mehreren großen Ländern schon zu MasterCard-Bezahlkarten geführt, die als staatliche Personalausweise fungieren. Die Inklusionsallianz von Gates ist auch mitverantwortlich dafür, dass arme Kenianer heute genötigt werden, an einen britisch kontrollierten Anbieter mobilen Geldes bis zu 40 Prozent Transaktionskosten abzudrücken.

Digitale Tendenz zum Weltgeld

Ein Grundprinzip der Digitalwirtschaft lautet: The winner takes it all, alles für den Sieger. Wer die Nase weit genug vorne hat, der wird irgendwann zu einem Fast-Monopolisten. Das hat vor allem zwei Gründe. Zum einen lassen Vernetzungsvorteile viele digitale Leistungen umso nützlicher werden, je mehr Menschen diese nutzen. Das gilt für eine Social-Media-Plattform ebenso wie für ein Computerprogramm, einen Bezahldienst oder eine Währung. Zum anderen kostet es oft fast nichts, eine digitale Leistung einem weiteren Kunden zur Verfügung zu stellen. Die Produktionskosten pro Stück oder Kunde sind daher umso niedriger, je mehr Kunden man hat. Nicht von ungefähr haben die Digitalunternehmen Apple, Amazon, Alphabet (Google), Microsoft und Facebook zusammen mit ein paar chinesischen Digitalunternehmen wie Alibaba und Tencent innerhalb weniger Jahre die Spitzenplätze der weltweit wertvollsten Unternehmen gestürmt. Sie vereinigen jeweils fast das gesamte Geschäft ihrer Branche auf sich und haben mangels Konkurrenz extrem hohe Gewinnmargen.

Digitales Geld lässt sich praktisch zu Nullkosten herstellen und international verbreiten, und es ist für die potenziellen Verwender umso nützlicher, je mehr andere dieses Geld nutzen. Aus diesen Gründen kann auch in Währungsfragen derjenige, der die Nase weit genug vorne hat, seine Konkurrenten immer weiter hinter sich lassen – jedenfalls, wenn die nationalen Regierungen sich dem nicht effektiv widersetzen können. Die mit Macht vorangetriebene globale Digitalisierung wird für eine Verdrängungskonkurrenz der Währungen sorgen, die darauf hinauslaufen könnte, dass es am Ende eine Weltwährung gibt.

Die Hoheit über das Geld war bisher ein wesentlicher Machtfaktor nationaler Regierungen. Die Macht könnte daher zunehmend von den Hauptstädten in das Machtzentrum der Digitalwirtschaft wandern. Dieses liegt an der Westküste der USA. Dort dürfte auch das Machtzentrum eines möglichen künftigen globalen Währungsraums liegen. Die Dirigenten der IT-Konzerne haben durchaus Ambitionen erkennen lassen, die Macht zu übernehmen, die die nationalen Regierungen verlieren.

Was die Möchtegern-Weltherrscher aus dem Silicon Valley uns an Vorteilen der neuen Bezahlwelt verheißen, ähnelt dem Szenario, das Aldous Huxley 1932 in seinem berühmten Zukunftsroman Schöne neue Welt beschrieben hat: Die Kriminalität ist ausgerottet, weil die Überwachung einfach zu gut ist. Jeder zahlt seine Steuern. Sozialbetrug ist unmöglich. Eine Selbstschädigung der Menschen durch Unvernunft wird wirksam unterbunden. Wer Bluthochdruck hat, wird sich keine Schweinshaxe mehr kaufen, weil er sonst seine Krankenversicherung verliert. Fast alle sind glücklich in Huxleys schöner neuer Welt – werden sie doch darauf konditioniert, mit ihrem Los und ihrem Platz in der Gesellschaft zufrieden zu sein, und freizügig mit stimmungsaufhellenden Drogen versorgt. Und doch deuten die meisten Leser das Buch als eine Horrorvision. Denn eigenständiges Denken und Handeln ist in Huxleys schöner neuer Welt nur noch für die oberste Schicht der Entscheidungsträger vorgesehen.

Huxley hat seinem Roman ein Zitat des russischen Philosophen Nikolai Berdjajew vorangestellt: »Utopien sind verwirklichbar. Das Leben strebt ihnen entgegen. Aber vielleicht wird ein neues Jahrhundert kommen, in dem Intellektuelle darüber nachdenken, wie man Utopien verhindern kann, und zu einer nicht-utopischen Gesellschaft zurückkehren, weniger perfekt und dafür freier.« Im Vorwort für eine Neuauflage schrieb Huxley 1949: »Alles in allem sieht es ganz so aus, als wäre uns Utopia viel näher, als irgendjemand es sich vor nur fünfzehn Jahren hätte vorstellen können. Damals verlegte ich diese Utopie sechshundert Jahre in die Zukunft. Heute scheint es durchaus möglich, dass uns dieser Schrecken binnen eines einzigen Jahrhunderts auf den Hals kommt.«1

Huxley hatte Recht. Ganz offenkundig ist das 21. Jahrhundert die Epoche, in der wir verhindern müssen, dass bestimmte Utopien Wirklichkeit werden, die schon auf dem besten Weg dazu sind. Das können wir nur schaffen, wenn es uns gelingt, sie zu entzaubern – solange sie noch nicht die neue Normalität geworden sind und die Menschen gar nicht mehr außerhalb dieser Utopien denken können.

In Anbetracht der mächtigen Phalanx, gegen die das Bargeld und die bürgerlichen Freiheiten zu verteidigen sind, kann man niemandem den Wunsch nach einer technologischen Wunderwaffe verdenken. Kryptowährungen wie Bitcoin ziehen solche Hoffnungen auf sich. Sie verheißen, die guten Eigenschaften des Bargelds in die digitale Zukunft zu überführen. Sie versprechen Anonymität und den Schutz des Geldvermögens vor Bankenpleiten. Andere begeistern sich stattdessen für die Möglichkeit, dass der Staat selbst, über seine Zentralbank, ein Kryptogeld als digitalen Nachfolger des Bargelds herausbringt. Ein Geld, das nicht von Konkursen der Geschäftsbanken gefährdet wird, weil die Zentralbank selbst dafür garantiert. Ein Geld, bei dem der Staat dafür sorgt, dass ein ausreichendes Maß an Privatsphäre gewahrt bleibt.

Doch die Hoffnung, gesellschaftlichen Problemen mit technischen Lösungen beizukommen, ist immer trügerisch. Technische Lösungen erfüllen diese Aufgabe, wenn die gesellschaftlichen Bedingungen und Machtverhältnisse dafür günstig sind. Wenn nicht, werden die Mächtigen jedes technische Mittel, das wir gegen sie wenden möchten, einfach gegen uns wenden, so wie es bei den Kryptowährungen bereits absehbar und bei staatlichem Kryptogeld kaum anders denkbar ist.

Stattdessen müssen wir den Weg gesellschaftlicher Veränderung gehen. Wir müssen die Volksvertreter aus ihrem Tiefschlaf reißen. Wir müssen ihnen und unseren Mitbürgern erklären, was gespielt wird. Sie müssen wissen, dass der Rückgang des Barzahlens keine Entwicklung ist, die von selbst stattfindet (und die mitnichten unausweichlich ist), sondern dass sie mit großem Nachdruck absichtsvoll betrieben wird. Regierungsvertreter, Bundesbanker und Vertreter der Europäischen Zentralbank müssen unter Rechtfertigungsdruck kommen, wenn sie bargeldfeindliche Standards mitbeschließen. Sie müssen uns erklären, wie es sein kann, dass sie sich in einer globalen Partnerschaft mit Konzernen wie MasterCard und Visa zusammengetan haben, um uns das Bargeld zu verleiden. Wenn diese Partnerschaft gesprengt wird, so wird man bald sehen, dass das Bargeld eine Renaissance erlebt, anstatt zu verschwinden. Denn in einer Welt, in der immer mehr von dem, was wir tun, digital erfasst und gespeichert wird, bietet das Barzahlen eine Oase der Selbstbestimmung und Privatsphäre, die immer wertvoller wird.

Lesehinweise

Das Manuskript zu diesem Buch wurde Ende Mai 2018 abgeschlossen. Spätere Entwicklungen werden allenfalls kurz erwähnt. Die Quellen der präsentierten Informationen sind in nach Kapiteln getrennten Endnoten aufgeführt. Magazin- und Zeitungsartikel, die mit (online) gekennzeichnet sind, können über den Titel per Suchmaschine aufgerufen werden. In Einzelfällen sind sie allerdings nur für Abonnenten zur Gänze sichtbar. Die meisten zitierten Studien sind ebenfalls im Internet über den Titel abrufbar. Im Literaturverzeichnis sind aus Gründen der Übersichtlichkeit nur Bücher, wissenschaftliche Aufsätze und Studien oder Broschüren aufgeführt, nicht jedoch Pressemitteilungen und Artikel in Tageszeitungen und Magazinen. Zitate wurden in aller Regel von mir aus dem Englischen übersetzt. Eine Übersetzungsunschärfe sollte daher mitgedacht werden. Oft stehen die Endnotenziffern am Ende eines Absatzes. Der Quellenverweis bezieht sich dann auf den gesamten Text ab Absatzbeginn oder ab der letzten Ziffer im gleichen Absatz.

1.MasterCard, Bill Gates und ihr »Krieg gegen das Bargeld«

Wenn jemand von einem »Krieg gegen das Bargeld« schreibt, erscheint er selbst wohlmeinenden Lesern leicht als Schwarzmaler mit paranoiden Anwandlungen. Viele kommen jedoch erfahrungsgemäß ins Grübeln, wenn sie erfahren, dass es eine Better Than Cash Alliance gibt, also eine Besser-als-Bargeld-Allianz, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, weltweit Bargeld durch digitale Bezahlverfahren zu ersetzen, und dass sie darin von den Regierungen der 20 größten Wirtschaftsnationen ausdrücklich unterstützt wird. Nachdenklich sollte auch stimmen, dass der Ausdruck War on Cash, also Krieg gegen das Bargeld, nicht etwa eine Übertreibung verbissener Verteidiger des Bargelds ist. Vielmehr haben Mitglieder ebendieser Besser-als-Bargeld-Allianz selbst den Ausdruck als Schlachtruf für die Steigerung ihrer Gewinne geprägt.

Auf einer Konferenz zum Zahlungsverkehr im Jahr 2005 sprachen MasterCard-Vertreter davon, mit einer neuen Generation von Kartenlösungen »in den Krieg zu ziehen«. Konkurrent Visa gab sich zuversichtlich, »den Krieg gegen das Bargeld« zu gewinnen. Gemeinsam wollten sie »Bargeld aus dem Finanzsystem eliminieren«. In einem wohlmeinenden Bericht des Branchenblatts European Card Review mit dem Titel War on Cash heißt es dazu: »Obwohl Banken und Regierungen der Wunsch eint, Bargeld aus dem System zu entfernen, überlassen die Regierungen den anderen die Initiative, weil sie sich sorgen, dass der Krieg gegen das Bargeld in der Öffentlichkeit nicht gut ankommt.«1 Der zuständige Abteilungsleiter der EU-Kommission wird zitiert mit den Worten: »Wir teilen die Ziele des Kriegs gegen das Bargeld, aber um einen richtigen Krieg gegen das Bargeld zu führen, braucht man eine passende Preissetzung.«2 Das sollte wohl heißen: »Macht Kartenzahlungen billiger, dann werden wir das Bargeld schneller los.« Alexander Labak, Präsident von MasterCard Europe, erklärte in seiner Rede zur Zukunft nach dem Bargeld, dass man den Krieg gegen das Bargeld gewinnen müsse – und werde, denn »altmodische Münzen und Scheine bedeuten beträchtliche Kosten für unsere Gesellschaft«.3 Die EU-Kommission assistierte mit windigen Berechnungen über die angeblich hohen Kosten des Bargelds. Den Grund für den Eifer lieferte die amerikanische Unternehmensberatung McKinsey mit einer Berechnung, wonach die Gewinne der Finanzbranche massiv steigen würden, wenn sie Bargeld zurückdrängen könnten.

Auf ihren Branchentreffen und vor Investment-Analysten können Banken und Kartenfirmen gar nicht laut genug gegen das Bargeld trommeln. Gegenüber der Öffentlichkeit aber ist es erklärte Strategie leisezutreten. Die Bargeldverdrängung soll als ungeplanter Nebeneffekt anderweitig motivierter Maßnahmen erscheinen und graduell daherkommen, empfiehlt der Internationale Währungsfonds (IWF). Regierungen rät der IWF, den Privatsektor vorzuschicken. Denn mit direkten staatlichen Eingriffen provoziere man unnötigen Widerstand in der Bevölkerung. Die Regierungen sollen mit harmlos erscheinenden Schritten anfangen, wie etwa der Abschaffung von großen Geldscheinen und mit zunächst großzügigen Obergrenzen für Barzahlungen. All diese Maßnahmen sollen ungeplant erscheinen, in Wahrheit jedoch international koordiniert und eng mit der privaten Finanzbranche abgestimmt werden, so der IWF-Autor.4

Was man sich an solchen »harmlos erscheinenden Schritten« ausdenken kann und inzwischen auch vielerorts umgesetzt hat, stellte McKinsey den Regierungen in einem Papier zum Zahlungsverkehr zusammen:5 Darin heißt es, Regierungen, Banken und Interessenträger der Bezahlbranche müssten zusammenarbeiten, um einen »systematischen Krieg gegen das Bargeld« zu führen. Als unauffällige Maßnahmen könne man Händlern das Akzeptieren von Kartenzahlungen vorschreiben und verbieten, die Kosten an die kartenzahlenden Kunden weiterzugeben. Den Bargeldverwendern aber sollen »die wahren Kosten« auferlegt werden, einschließlich aller indirekten. Die Standards für Sicherheit und Wartung im Bargeldkreislauf sollten hochgesetzt werden, um Bargeld teurer zu machen. In Finnland sei es gelungen, Bargeld stark zurückzudrängen, indem die Zahlungsdienstleister ein Kartell bildeten und Bargeld deutlich verteuerten, preist McKinsey. Auch in Kanada, Norwegen und Australien hätten die Zentralbanken sich mit den anderen Banken zusammengetan, um das Gleiche zu erreichen.

Die Besser-als-Bargeld-Allianz

Die Alliierten von Visa und MasterCard im Krieg gegen das Bargeld sind nicht schwer zu finden, wenn man einmal auf die Besser-als-Bargeld-Allianz gestoßen ist, die sich zwar im Hintergrund hält, aber ihre Existenz nicht verheimlicht. Gründungsmitglieder waren 2012, neben der Stiftung von Microsoft-Gründer Bill Gates und seiner Frau Melinda, das Omidyar Network von Ebay-Gründer Pierre Omidyar, die große US-Bank Citibank und der Kreditkartenanbieter Visa sowie die Ford-Stiftung. Das US-Außenministerium ist über die dort angesiedelte Entwicklungshilfebehörde USAID mit dabei. Der United Nations Capital Development Fund (UNCDF) in New York stellt das Sekretariat.

MasterCard war nicht unter den offiziellen Gründern. Man wollte die Medien wohl doch nicht mit der Nase auf die Heuchelei stoßen, dass ein Unternehmen, das bis dahin aus kommerziellen Gründen dem Bargeld den Krieg erklärt hatte, zu den Gründern zählte. Erst mit einem Jahr Schamfrist schloss sich MasterCard dieser öffentlich-privaten Anti-Bargeld-Allianz aus Silicon Valley, Wall Street und US-Regierung an.6 Mit »Silicon Valley« als Kurzform sollen im Weiteren alle IT-Konzerne und Start-ups der US-Westküste gemeint sein, auch wenn ihr Hauptquartier nicht in jedem Fall in der Region mit dem Spitznamen »Siliziumtal«, südlich von San Francisco, liegt. Mit der »Wall Street« sind die großen, weltweit aktiven US-Finanzunternehmen gemeint.

Es gibt ein deutliches Indiz dafür, dass MasterCard neben dem US-Außenministerium und der Gates-Stiftung zu den treibenden Kräften der Allianz-Gründung gehörte. In den beiden Jahren davor waren die Gates-Stiftung und MasterCard die größten Spender des UNCDF. Sie kamen gemeinsam für über 20 Prozent des Budgets der Organisation auf, während sie in den Jahren zuvor nur kleine Summen beigetragen hatten. Diese Großzügigkeit dürfte in New York die Bereitschaft gesteigert haben, der Besser-als-Bargeld-Allianz den erbetenen Platz im eigenen Haus zu geben und damit die Möglichkeit, nach außen so zu tun, als gehöre man zur UN. Das verleiht scheinbare Legitimität. Dabei gehört der UNCDF nicht einmal richtig zur UN-Familie. Er ist eine autonome Organisation unter dem Dach der UN, so etwas wie deren illegitimes Kind, finanzschwach und daher mit Geld leicht für solche Unternehmungen zu gewinnen.7 Man gehört auch noch nicht zu den Vereinten Nationen, nur weil eine Organisation mit »UN« im Namen die Büroräume und eine Adresse zur Verfügung stellt. Dennoch tut die Lobby-Gruppe offensiv so, als habe sie ein UN-Mandat. Wenn sie eine Broschüre veröffentlicht, die Regierungen und sonstige Kooperationspartner für den Kampf gegen das Bargeld mobilisieren soll, dann vermarktet sie diese regelmäßig als UN-Bericht und nennt sich »eine UN-basierte Organisation«.8

Die offizielle Programmatik der Allianz steckt in der länglichen Überschrift der Pressemitteilung, mit der MasterCard den eigenen Beitritt verkündete: 1,5-Millionen-Dollar Zusage stärkt das Momentum der globalen Bewegung, die die Menschen durch Umstellung von Bargeld auf elektronisches Bezahlen ermächtigen und das Wirtschaftswachstum steigern will. Man sei begeistert, mit der Allianz die Menschen über die hohen Kosten des Bargelds unterrichten zu können, schrieb MasterCard. Regierungen, »Nichtregierungsorganisationen«9 und Unternehmen müssten eine Allianz bilden, um das zu beenden.10 Es gehört schon Chuzpe dazu, von »Ermächtigung« zu sprechen, wenn man den Menschen die Möglichkeit nehmen will, mit Zahlungsmitteln unter eigener Kontrolle selbst zu bezahlen, und sie stattdessen zwingen möchte, Mittelsmänner einzuschalten und Zahlungsmittel zu verwenden, über die andere die letztendliche Kontrolle haben.

Bis 2010 ging es MasterCard beim Krieg gegen das Bargeld darum, die eigenen Gewinne zu steigern. 2011 entdeckte das Unternehmen dann offenbar, dass es wichtiger ist, die Welt zu verbessern und die Armut zu bekämpfen. Die Rede vom »Krieg gegen das Bargeld« ist seither nicht mehr opportun. Die vermutlich letzte Veröffentlichung, in der der Ausdruck von MasterCard selbst verwendet wurde, stammt aus dem Jahr 2010. Damals schrieb das Wirtschaftsmagazin Forbes in einem Artikel über die großen Gewinnsteigerungen, die MasterCard erwartete: »Die Gewinne, sagt das Unternehmen, kommen vom Wachstum elektronischer Bezahlverfahren, das angetrieben wird von dem, was MasterCard-Chef Ajay Banga den Krieg gegen das Bargeld nennt.«11

Die Besser-als-Bargeld-Allianz erklärt ihre Ziele auf ihrer Website so: »Digitales Bezahlen hat sich zu einem wichtigen Werkzeug zur Förderung der finanziellen Inklusion entwickelt, weil es die Kosten von Finanzdiensten für die Armen senkt und die Sicherheit und Bequemlichkeit der Nutzung von Spar-, Zahlungsverkehrs- und Versicherungsprodukten erhöht.«12 Was bis dahin »Krieg gegen das Bargeld« hieß, kommt seither unter der menschenfreundlich klingenden Wendung »finanzielle Inklusion« daher. Der Leser denkt dabei unwillkürlich an Kinder und Jugendliche mit Handicap, die in den Klassenverband ihrer nicht behinderten Altersgenossen aufgenommen werden, anstatt in spezielle Einrichtungen »abgeschoben« zu werden.

In der Praxis bedeutet finanzielle Inklusion jedoch das Gleiche wie vorher der Krieg gegen das Bargeld. Es geht darum, dass weniger bar bezahlt werden soll, insbesondere von armen Menschen, die bisher kaum Bankdienstleistungen nutzen. Dagegen ist im Prinzip nichts einzuwenden. Es ist das ganz normale kommerzielle Ziel von Finanzdienstleistern, das durchaus mit den Interessen möglicher Kunden harmonieren kann. Wenn die Finanzbranche den Armen Angebote macht, die bezahlbar und nützlicher sind als das kostenlose Bargeld, dann hilft das diesen Armen und bringt gleichzeitig den Unternehmen Gewinne. Das ist das segensreiche Wirken der Marktwirtschaft. Etwas Besonderes und besonders Förderungswürdiges ist es jedoch nicht. Das versuchen die Propagandisten der Bargeldbeseitigung daraus zu machen, indem sie argumentieren, finanzielle Inklusion sei so etwas wie ein Wundermittel gegen Armut und Unterentwicklung. »Finanzielle Inklusion wird weithin als essenziell für die Bekämpfung der Armut und das Erzielen von inklusivem Wachstum betrachtet«, verheißt die Besser-als-Bargeld-Allianz in verräterischem Passiv auf ihrer Webseite. Auch die Ungleichheit wird angeblich vermindert, wenn weniger bar bezahlt wird.

Seit sie die Ausweitung des eigenen Geschäfts als unabdingbar für die Bekämpfung von Armut und Unterentwicklung definiert haben, können MasterCard und Visa offen eine vermeintlich wohlmeinende Verschwörung zur globalen Beseitigung des Bargelds vorantreiben. Auch wenn man tunlichst keine Pressekonferenzen abhält und bestrebt ist, die Sache in Spezialistenkreisen zu halten, ist echte Geheimhaltung nicht nötig. Wenn die Mitglieder der Allianz eigennütziger Motive verdächtigt werden, müssen sie ihr Geschäftsinteresse nicht einmal leugnen. Denn dieses Geschäftsinteresse deckt sich angeblich vollständig mit dem noblen Ziel der globalen Armutsbekämpfung.

Worum es den Kreditkartenunternehmen in Wirklichkeit geht und gehen muss, brachte 2010 der Branchennewsletter Nilson Report besonders treffend auf den Punkt: »Visa und MasterCard werden neues Geschäft generieren müssen, und das ist in Übersee. Sie brauchen neues jungfräuliches Territorium, in dem die Margen nicht durch Wettbewerb gedrückt sind.«13

Im Lauf der Jahre wurden von Washington eine ganze Reihe von Entwicklungs- und Schwellenländern mit Nachdruck und Erfolg eingeladen, bei der Besser-als-Bargeld-Allianz Mitglied zu werden.

Die Motive der Allianzpartner

Es sind nicht nur die Kreditkartenunternehmen, die ihre kommerziellen Interessen hinter der Fassade der Weltverbesserer verstecken. Nach einer Studie des McKinsey Global Institute würde die Finanzbranche jedes Jahr die astronomische und sicherlich übertriebene Summe von 400 Milliarden Dollar an direkten Kosten sparen, wenn der Zahlungsverkehr voll digitalisiert wäre. Die größere und aktivere Kundenbasis könnte darüber hinaus die Einnahmen um 4,2 Billionen Dollar jährlich steigern.14

Das erklärt, trotz aller Übertreibung, ganz gut, warum die Citibank als Gründungsmitglied der Besser-als-Bargeld-Allianz