Schrei vor Angst - Dania Dicken - E-Book
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Dania Dicken

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Beschreibung

Unter Tränen starrte sie an die Decke. „Warum tust du das?“ Das war eine gute Frage. Weil es ihm Macht gab. Weil es ihn befriedigte. So konnte er die Welt vergessen und alles darin, was ihn frustrierte. Hier ging es nur um ihn und darum, was er wollte. Und er tat es, weil er es konnte. So einfach war das.

Entführen, vergewaltigen, töten – als er einmal damit begonnen hat, kann Rick nicht mehr damit aufhören. In der ruhigen Kleinstadt Klamath Falls lebt der Elektriker vordergründig ein unauffälliges Leben mit seiner schwangeren Frau Clarice und seiner Tochter, doch in seiner Hütte in den Bergen zeigt der Oregon Strangler seinen Opfern sein wahres Gesicht. Jahrelang lebt er seine sadistischen Neigungen unentdeckt aus und avanciert zum gefürchteten Serienmörder. Doch als seine Aggression auch seine Familie trifft, kommt es zur Katastrophe …

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Dania Dicken

 

 

Schrei vor Angst

Oregon Strangler

 

 

 

Vorgeschichte zu

Die Seele des Bösen

 

 

Psychothriller

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Nur wenig ist anregender als die erste gelungene Missetat.

 

Donatien Alphonse François Marquis de Sade

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Vorbemerkung

 

 

 

Bücher über Verbrechensopfer und die Ermittler, die zur Aufklärung der Taten herangezogen werden, gibt es bereits unzählige. In diesem Buch geht es jedoch schwerpunktmäßig um einen sadistischen Serienmörder, seine Gedanken- und Gefühlswelt. Vor dem Hintergrund meiner Recherchen zu meinen bereits veröffentlichten Psychothrillern habe ich mich hier ebenso darum bemüht, seine Motive und Taten möglichst realistisch zu schildern. Auch teils drastische Gewaltdarstellungen sind deshalb Bestandteil dieses Textes. Die Auseinandersetzung damit war beim Schreiben oft nicht leicht, weshalb ich das Geschriebene nicht einfach unkommentiert stehen lassen wollte.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Klamath Falls, Oregon, 30. Januar 1989

 

Der nächste Güterzug rauschte hinter dem Gebäude vorbei. Mit geschlossenen Augen konzentrierte Rick sich für einen Moment auf das Dröhnen und ließ seinen Rhythmus eins mit dem gleichmäßigen Rattern der Waggons auf den Schienen werden. Valerie versuchte, ein wenig lauter zu stöhnen, aber das unterstrich nur ihr Schauspiel. Genervt hielt Rick inne und öffnete die Augen.

„Willst du dir noch was extra verdienen?“, fragte er.

Gespannt drehte Valerie sich zu ihm um. „Was schwebt dir vor?“

„Ich will dich fesseln.“

„So was mache ich nicht.“

„Ach, komm. Du kennst mich doch.“

„Nein.“

„Zwanzig Mäuse extra?“

Valerie zögerte kurz, dann nickte sie. „Meinetwegen. Für dich tue ich doch alles.“

Sie schmierte ihm nur Honig ums Maul, aber so klar ihm das auch war, so egal war es ihm auch. Er bezahlte sie schließlich dafür, dass sie tat, was er wollte.

Er gab ihr einen Klaps auf den Po, bevor er aufstand. Dieser Prachthintern bot wirklich einen besonderen Anblick. Verdammt sexy, wie sie da am Boden kniete und ihm zu Willen war … Aber das ging noch besser.

„Hast du Handschellen?“, fragte er.

„Nein. Nehmen wir das hier.“ Sie zog den Gürtel von ihrem Morgenmantel ab und reichte ihn Rick. Er musste ihr nicht sagen, dass sie sich aufs Bett legen sollte. Sie tat es einfach und beobachtete ihn die ganze Zeit mit ihrem typisch lasziven Blick, während er sich über sie beugte und sie mit dem langen Seidenband fesselte.

Dafür nahm er sich Zeit. Es musste schließlich funktionieren. Er tat nicht nur so. Erst ein Handgelenk, dann das nächste … ein Knoten dazwischen, nur zur Sicherheit … und schließlich an den Bettpfosten damit. Als er fertig war, grinste er zufrieden.

„Komm her“, raunte Valerie ihm zu und spreizte die Beine einladend. Er war sofort wieder bei der Sache. Grinsend beugte er sich über sie und machte da weiter, wo sie vorhin aufgehört hatten. Sie so zu sehen, törnte ihn noch mehr an als ohnehin schon. Genüsslich räkelte sie sich unter ihm, war ihm gänzlich ausgeliefert. Der Druck wurde schon beinahe schmerzhaft. Er nahm sie mit tiefen Stößen und genoss es einfach nur.

„Gefällt dir das?“, fragte sie. Es war die übliche Frage, die eine gute Dienstleisterin hin und wieder stellte, aber in diesem Moment wollte er sie nicht reden hören. Er wollte maximal ihr Stöhnen hören. Mit einer raschen Bewegung griff er neben sich, schnappte sich ihren Slip und steckte ihn ihr grob in den Mund. Als Valerie jetzt zu zappeln und zu schreien begann, musste er sich zusammenreißen, um sich nicht von seiner Ekstase mitreißen zu lassen.

„Halt still“, zischte er und drückte sie mit einer Hand am Brustbein nieder. Dann grinste er. „Ist doch bloß ein Spiel.“

„Hmm“, machte Valerie mürrisch, aber sie war besänftigt. Das war gut, schließlich sollte nicht gleich Jimbos ganzes Hinterhofbordell wissen, was er hier gerade machte.

Für einen Moment verharrte Rick reglos und nahm bewusst ein paar Atemzüge. Es sollte noch nicht zu Ende sein. Gerade jetzt nicht, das wollte er erst noch auskosten.

Dann legte er wieder los. Die Art und Weise, wie Valerie ihn ansah, machte ihn verdammt scharf. Ihm war, als hätte er ein wenig Angst in ihren Augen aufblitzen sehen. Nur eine kleine Prise, aber sie war da. Er sah sie genau.

Sie stöhnte immer noch, weil das ihr Job war. Mit ihrem Slip im Mund klang das richtig heiß.

Er genoss es, hielt immer wieder inne, ließ sich Zeit. Dafür war es einfach zu schön. Als Valerie irgendwann ungeduldig wurde und zu zappeln begann, überkam es ihn doch und er explodierte geradezu, ohne es zu wollen. Für einen Moment hielt er die Luft an und erstarrte, dann löste er sich von ihr und ließ sich keuchend neben sie auf die Matratze fallen. Mit erstickten Lauten und heftigem Gezappel gab Valerie ihm zu verstehen, dass er sie losmachen sollte, aber Rick rührte sich nicht gleich. Zuerst griff er nach seinen Shorts und streifte sie wieder über, bevor er Valerie den Slip aus dem Mund zog und sie langsam losband.

„Ich hoffe, es hat dir gefallen.“ Ihre Stimme zitterte leicht, als sie das sagte.

„Und ob“, erwiderte Rick. Er holte sein Portemonnaie aus seiner Jeans und nahm in einer großspurigen Geste einen Zwanzig-Dollar-Schein heraus. Den Rest hatte er ihr schon im Voraus gegeben.

„Danke, mein Süßer“, sagte Valerie und nahm ihm den Geldschein ab, nachdem sie sich in ihren Morgenmantel gehüllt hatte. Rick zog seine Jeans, sein Unterhemd und den Pullover wieder an, bevor er nach seiner dicken Winterjacke griff. Draußen war es beschissen kalt, es herrschte strenger Frost.

„Ich danke dir“, sagte er betont charmant, grinste breit und verschwand schließlich. Mit seinen dicken Stiefeln polterte er die Treppe herunter und folgte dem grellrot beleuchten Flur bis zum Ausgang. Als er die Hintertür aufstieß, schlug ihm schneidend kalte Luft entgegen.

Er ging zu seinem Auto, das er völlig unbeeindruckt keine dreißig Meter weiter am Straßenrand geparkt hatte. Wer um diese Zeit noch in der Gegend unterwegs war, war vermutlich selbst Kunde bei Jimbo. Sein kleines Bordell lag zwischen Autowerkstätten und der Free Will Church of God in der Nähe der Amtrak-Station von Klamath Falls.

Verdammtes Dreckskaff, dachte Rick stumm, während er in seinen Pontiac Sunbird stieg und betete, dass der altersschwache Motor ansprang. Sein Atem kondensierte in Wolken, aus dem Radio plärrte Dirty Diana von Michael Jackson. Die Zündkerzen gaben ihr Bestes, dann startete der Motor endlich.

Weil er keine Lust hatte, sich den Arsch länger abzufrieren als nötig, machte er sich auf den Weg zum Veterans Memorial Park und fuhr dort auf den Highway 95 nach Norden auf. Keine zwei Meilen später verließ er den Highway wieder an der nächsten Abfahrt, hielt sich nach Westen und bog noch zweimal ab, dann war er am Ziel. Langsam und leise ließ er den Sunbird in die Einfahrt rollen und stellte den Motor ab. Im Haus war es dunkel und still, das konnte er beim Aussteigen schon sehen. Gut so. Wenn Clarice schon schlief, stellte sie wenigstens keine Fragen.

Mit ihr konnte er so etwas wie vorhin nicht machen. Wollte er auch gar nicht. Das ging nicht, sie war schließlich seine Frau. Sie hatte ein Gesicht, einen Namen. Valerie hingegen war ihm egal, sie war nur eine billige kleine Nutte, bei der er den Druck ablassen konnte, der irgendwo hin musste. Vor allem jetzt.

Rick schloss die Haustür auf, zog seine Jacke und die Stiefel aus und ging noch einmal in die Küche zum Kühlschrank. Er nahm den Kanister mit Orangensaft heraus, setzte die Öffnung an die Lippen und nahm ein paar gierige Schlucke der herrlich kalten Flüssigkeit. Das tat gut.

So leise wie möglich schlich er die Treppe hinauf. Er wusste, wo die Stufen knarzten und versuchte, dort nicht aufzutreten. Mucksmäuschenstill pirschte er am Kinderzimmer vorbei. Bloß jetzt das Balg nicht wecken, das konnte er überhaupt nicht brauchen.

Leise ließ er die Tür zum Schlafzimmer aufschwingen. In der Dunkelheit hörte er die leisen und gleichmäßigen Atemzüge seiner Frau. Sie schlief. Es war auch schon kurz vor Mitternacht, deshalb hatte er mit nichts anderem gerechnet.

Er ging ins Bad, um sich auszuziehen und die Zähne zu putzen. Schließlich zog er noch ein T-Shirt über, bevor er vorsichtig zu Clarice ins Bett stieg.

Sie lag ihm zugewandt auf der Seite. Die roten Leuchtziffern des Radioweckers verströmten ein fahles Licht, in dem er ihre sanften Gesichtszüge betrachtete. Wirklich hübsch, seine Clarice, obwohl sie ihm blond besser gefallen hätte.

Ihr rechter Arm ruhte auf ihrem großen runden Bauch, den er auch unter der Decke noch erahnen konnte. Wenn er es richtig im Kopf hatte, war sie im siebten Monat. Zwei Monate noch, bis er wieder Vater wurde. Zwei Monate noch, in denen sie ihn am ausgestreckten Arm verhungern ließ – vermutlich eher mehr, denn nach der Geburt würde sie ihn auch nicht ranlassen.

Hätte er das mal vorher gewusst. Seine Besuche bei Valerie gingen ganz schön ins Geld. Das konnte so nicht weitergehen, aber diese Schwangerschaft war anders als die erste. Clarice beschwerte sich dauernd über Rückenschmerzen und hatte ziemlich lang ziemlich viel gekotzt.

Rick legte sich auf den Rücken und starrte an die Decke. Nein, bei ihr konnte er sich wirklich nicht vorstellen, sie zu fesseln und dann Sex mit ihr zu haben. Das ging nicht. Irgendwie fühlte sich das falsch an.

Aber bei Valerie hatte es sich richtig angefühlt. Gut. Vor allem dann, als er dieses panische Glitzern in ihren Augen bemerkt hatte. Eigentlich hatte es gereicht, sie gefesselt zu sehen und zu wissen, dass er gerade das Sagen über sie hatte. Sie dann noch ordentlich ranzunehmen, war nur noch das Sahnehäubchen gewesen.

Er versuchte, sich nicht vorzustellen, wie er mal Sex mit einer Frau hatte, die wirklich Angst vor ihm hatte. Die sich wehrte. Die sich unter ihm wand und zappelte und schrie …

Rick hielt die Luft an und versuchte, wieder runterzukommen. Er hatte zwar eben erst Sex mit Valerie gehabt, aber er spürte schon wieder, wie sich bei all diesen Gedanken etwas regte.

Er stellte sich ja schon länger vor, eine Frau beim Sex zu fesseln. Sie vielleicht sogar zu schlagen. Jetzt bei Valerie hatte er getestet, ob das sein Ding war, und verdammt, das war es wirklich.

Aber es war nur ein Spiel gewesen. Rick wollte es richtig haben. Mit Schreien und Tränen. Er hatte keine Ahnung, warum, und eigentlich war es ihm auch egal. Doch der Wunsch wurde dringender. Er nahm Gestalt an. Er wollte sich eine Frau schnappen, irgendeine Fremde, und er wollte sie zwingen. Er wollte tun und lassen, wonach ihm der Sinn stand. Diese Gedanken wurden immer bohrender und drängender, ganz gleich, wie sehr er sie auch zu verdrängen versuchte.

 

 

 

Klamath Falls, Oregon, 6. Februar 1989

 

Mit Handschuhen Auto zu fahren war zwar nicht besonders einfach, aber bei unter Minus zwanzig Grad blieb ihm wohl nichts anderes übrig. Der Sunbird hatte asthmatisch geröchelt, als er ihn gestartet hatte, aber immerhin war er angesprungen. Wenigstens lag gerade nicht viel Schnee, so dass er keine Schneeketten brauchte. Das hätte ja gerade noch gefehlt.

Während er der Oregon Avenue nach Hause folgte, versuchte er, sich nicht zu sehr über Benson aufzuregen. Dämlicher Scheißkerl. Am liebsten hätte Rick ihm den Hals umgedreht. Vielleicht war es wirklich an der Zeit, sich einen neuen Job zu suchen. Als Elektriker würde er schon was finden, gute Leute wurden in Klamath Falls immer gesucht. Und er machte seine Sache gut, auch wenn Benson das nicht in seine Birne bekam. Ignoranter Idiot.

Rick bog in seine Straße ein, prügelte den Sunbird die Steigung hinauf und lenkte ihn in die Einfahrt. Vom Dach seines Hauses hingen immer noch Eiszapfen, auf den Schindeln lag Schnee. Verfluchter Winter, warum lebten sie eigentlich nicht in Südkalifornien? Da musste man nicht mal heizen.

Er hatte die Haustür kaum aufgeschlossen, als schnelle Schritte sich ihm näherten. Kristy tapste übermütig in seine Richtung und strahlte übers ganze Gesicht. „Daddy!“

„Wen haben wir denn da?“ Rick strich seiner Tochter zwischen den zwei kleinen blonden Zöpfchen über den Kopf und warf einen Blick in die Küche, wo Clarice am Herd stand.

„Das riecht gut“, befand  Rick.

„Irish Stew. Das magst du doch so gern.“

„Ja, vor allem an so kalten Tagen wie heute.“

„Allerdings. Wir waren noch nicht draußen, das wollte ich mit der Kleinen nicht.“

Kristy sprang vor ihrem Vater herum und streckte die Arme in die Höhe. Er verstand, nahm sie hoch und hielt sie auf dem Arm. Er ging mit ihr in den Flur, wo er Jacke, Schuhe, Mütze und Handschuhe auszog. Im Haus war es gut geheizt, das gefiel ihm. Er genoss es auch, nach einem harten Arbeitstag so begrüßt zu werden. Kristy freute sich jedes Mal wie wahnsinnig, wenn sie ihn sah. Seine süße kleine Tochter. Sie war wirklich süß – blondes Haar, blaue Kulleraugen, ein niedliches Gesicht. Zum Glück hatte sie mehr von ihrer Mutter als von ihm, und ihre Mutter sah wirklich gut aus. Das musste er ihr ja lassen.

Nachdem er alles abgelegt hatte, nahm er Kristy wieder auf den Arm und ging mit ihr ins Wohnzimmer, wo er sich mit ihr aufs Sofa setzte. Sie zeigte ihm ihr Bilderbuch, während er die Füße hochlegte. Einfach den Feierabend genießen.

Es dauerte nicht mehr lang, bis das Essen fertig war. Clarice balancierte den Topf oberhalb ihres großen runden Bauches zum Esstisch, nachdem sie den Tisch bereits eingedeckt hatte. Sie erkundigte sich bei Rick, was er trinken wollte, und bat ihn, Kristy in ihren Hochstuhl zu setzen. Sie sollte nicht mehr schwer heben, hatte ihr Arzt gesagt, und Kristy wog fast dreizehn Kilo.

Einträchtig saßen sie am Tisch bei Irish Stew. Rick besaß irische Vorfahren und hatte das Gericht oft bei seinen Großeltern bekommen. Wenn Clarice ihm eine Freude machen wollte, kochte sie es ihm, was er nett von ihr fand.

Er hatte sie auf der Party eines Freundes kennengelernt. Sie war zu der anderen High School in Klamath Falls gegangen, deshalb war er ihr zuvor noch nicht begegnet. Bei ihrer ersten Begegnung war er neunzehn, sie noch achtzehn. Er hatte sie auf Anhieb gemocht. Sie war hübsch, hatte feine, gleichmäßige Gesichtszüge, geheimnisvolle braune Augen, trug ihr schulterlanges brünettes Haar in einer Dauerwelle, so wie viele junge Frauen ihres Alters. Und sie hatte eine tolle Figur. Alles an ihr hatte ihm gefallen und deshalb hatte er angefangen, mit ihr auszugehen. Er war ihr erster Freund, was er nicht verstand. Ja, sie war ein ruhiger Typ, fast ein wenig schüchtern, drängte sich nicht in den Vordergrund.

Sie hatte nach ihrem Abschluss begonnen, bei Maclean als Sekretärin zu arbeiten, während Rick bereits seine erste Stelle als Elektriker angetreten hatte. Sie waren ins Kino gegangen, im Sommer an den See gefahren, hatten sich mit Freunden getroffen und Spaß gehabt. Im Hause Foster war Clarice ein gern gesehener Gast, was man umgekehrt nicht in gleichem Maße sagen konnte. Clarice hatte einen Bruder, Paul, der Rick nicht leiden konnte und ihn das bei jeder sich bietenden Gelegenheit deutlich spüren ließ. Clarice hatte Rick auch erzählt, wie Paul versuchte, gegen ihn zu stänkern und sie dazu zu bringen, sich von ihm zu trennen – aber dann hatte sie Rick Anfang 1986 gesagt, dass sie schwanger war.

Das änderte alles. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Rick nicht darüber nachgedacht, was die Zukunft bringen sollte. Clarice war seine Freundin, weil sie ihn anbetete. Er bekam alles von ihr, sie war aufmerksam, las ihm seine Wünsche von den Lippen ab – und wenn er Sex wollte, hatten sie Sex. Da hatte es nie Probleme gegeben. Er konnte wirklich nicht klagen. Aber heiraten? Eine Familie gründen?

Immerhin hatte das den Vorteil gehabt, dass Paul Masters endlich die Klappe gehalten hatte. Im Frühsommer 1986 hatten Rick und Clarice geheiratet, Ende August war dann Kristy geboren, sie hatten das Haus gekauft und waren zusammengezogen.

In diesem Moment hatte Rick zum ersten Mal bezweifelt, ob das alles so eine gute Idee war. Nachts, wenn Kristy schrie und ihm den Schlaf raubte. Wenn Clarice sie stillte und deshalb nichts von ihm wissen wollte. Wenn es selbst oben im Flur noch nach vollgekackten Windeln stank. Das Kind war teuer, raubte ihm nicht nur sprichwörtlich den Schlaf und plötzlich war er Hausbesitzer und Familienvater. Mit einundzwanzig.

Ein Auftrag bei der Arbeit führte ihn wenig später ins Oregon Institute of Technology nördlich von Klamath Falls, die Elektrik in einem neu angebauten Trakt verlegen. In diesem Moment hatte es ihm einen Stich versetzt, dass er nie die Mittel gehabt hatte, um ans College zu gehen. Jetzt war es zu spät. Clarice arbeitete nicht mehr, sie war zu Hause bei Kristy, sorgte sich um Kind und Haus und Rick fand das auch sehr richtig so, denn eine Mutter gehörte zum Kind und er liebte es, wenn das Haus bei seiner Rückkehr von der Arbeit in Ordnung war. Clarice vermisste die Arbeit bei Maclean nicht, aber natürlich fehlte ihnen jetzt Geld, obwohl sie ein Maul mehr zu stopfen hatten. Also musste Rick ran und das Geld beschaffen. Da blieb für solche Tagträumereien wie das College keine Zeit.

Und jetzt war Clarice wieder schwanger. Richtig geplant gewesen war das nicht, es war einfach irgendwie passiert. Im April erwarteten sie jetzt ihr zweites Kind. Wenn der Arzt mit seinem Ultraschallgerät Recht behielt, wurde es wieder ein Mädchen. Clarice wollte sie gern Kim kennen. Rick war es egal. Er freute sich nicht gerade auf noch mehr vollgekackte Windeln und seit sie schwanger war, hatte er keinen Sex mehr mit Clarice gehabt.

Langsam nagte es an ihm. Alles nagte an ihm. Eigentlich hatte er nicht in Klamath Falls versauern wollen mit Ehefrau und zwei Kindern am Bein. Zwei Mädchen. Es hätte ja wenigstens ein Kind ein Junge sein können, mit dem er auf Bäume klettern und Fußball spielen konnte …

Doch als er zu Kristy blickte, die fröhlich an einem Stück Kartoffel aus dem Irish Stew herum lutschte, lächelte er. Sie hatte auch einiges von ihm und jetzt, da sie älter wurde und langsam das Sprechen lernte, konnte er ihrer Existenz sogar etwas abgewinnen.

Mal sehen, wie das mit einem zweiten Kind wurde. Vielleicht gewöhnte er sich ja irgendwann mal an das alles. Aber immerhin Clarice war glücklich damit, das war ja auch schon was. Und wenn das zweite Kind erst mal da war, kam er vielleicht auch wieder zum Zug.

Es sei denn, das nagende Gefühl tief in seinem Inneren kam vorher zum Ausbruch …

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Worden, Oregon, 22. Februar 1989

 

Es war der erste Tag seit Wochen, an dem es nicht mehr fror wie in einem Eisschrank. Der Tag, auf den er gewartet hatte, spätestens seit seiner letzten Begegnung mit Valerie. Da hatte er gemerkt, dass das sein Ding war. Genau das. Aber nicht die softe Version mit Schauspielerei und gegen Geld.

Nein, die echte. Mit richtigen Tränen und gedämpften Schreien und Angst.

Mit tief ins Gesicht gezogener Baseballkappe saß er jetzt seit einer guten halben Stunde am Tresen im Truckstop am Highway in Worden, einer winzigen versprengten Ortschaft fünfzehn Meilen südlich von Klamath Falls – und wartete.

Er hatte keine Ahnung, ob es klappte. Das musste er sehen. Clarice hatte er etwas von Überstunden erzählt, einem wichtigen Auftrag, er wisse nicht, wann er nach Hause komme. Sie hatte es akzeptiert. Das tat sie meistens, sie hatte ihre Tochter und war ziemlich glücklich damit. Manchmal war sie ein Schaf.

In seinem Kofferraum lagen Stricke, Handschellen und Gewebeband – das Gute von Home Depot. Nicht billig, aber hier ging es auch um was. Wenn er einen Fisch am Haken hatte, hatte er nur einen Versuch. Es musste klappen. Er setzte alles auf diese eine Karte.

Wochenlang hatte er mit sich gerungen. Eigentlich noch länger. Viel länger. Die Idee war ja älter, nur hatte er nie angenommen, dass er es jemals in die Tat umsetzen könnte. Aber wenn er es richtig anstellte …

Sein Großvater hatte eine Jagdhütte in den Grampian Hills, eine knappe halbe Stunde von Klamath Falls entfernt. Die hatte er sich vor einigen Tagen angesehen und war dort gewesen, bevor er nach Worden gefahren war. Er hatte dafür gesorgt, dass ein wenig Glut in dem kleinen Kamin glomm und den Frost aus der Hütte vertrieb. Sonst machte es bestimmt keinen Spaß, dafür war es gerade einfach zu kalt.

Aber es duldete keinen Aufschub mehr. Vorausgesetzt, er war erfolgreich.

In Klamath Falls auf die Jagd zu gehen, hatte er nicht gewagt. Er war auch nicht sicher, ob Worden weit genug entfernt lag, aber der Barkeeper interessierte sich nicht die Bohne für ihn. Ein weiterer wichtiger Punkt, den er abhaken konnte.

Er begann dennoch daran zu zweifeln, ob seine Idee, in einem Truck Stop zu warten, so geistreich war, als die Tür aufschwang und endlich doch eine junge Frau hereinkam. Bislang war Rick mit dem Barkeeper und ein paar Truckern allein gewesen, aber vielleicht kam da jetzt seine Chance.

Und sie war blond.

Rick beobachtete sie. Nicht zu offensichtlich, aber er ließ sie nicht aus den Augen, als sie sich ebenfalls an die Bar begab und drei Hocker weiter Platz nahm.

„Gibt’s hier auch was zu essen?“, fragte sie den Barkeeper.

„Sicher.“ Er schob ihr die Karte hin, die sie zu studieren begann. Rick musterte sie weiter im Augenwinkel. Er schätzte sie etwas jünger als sich selbst, vielleicht drei oder vier Jahre. Unter ihrer dicken Winterjacke erkannte er nicht viel, aber sie hatte schlanke Beine. Nicht schlecht.

Nachdem sie ihre Wahl getroffen und Chicken Wings mit Pommes bestellt hatte, nickte er ihr zu. „Auf der Durchreise?“

Sie nickte. „Auf dem Weg nach Sacramento.“

„Da hast du ja noch was vor.“

„Ich weiß. Vorhin hätte ich in Klamath Falls bleiben sollen, da gab es wenigstens Motels. Jetzt sitze ich hier mitten in der Pampa, es ist arschkalt und hier kann man nicht mal übernachten, aber wenigstens bin ich den stinkenden Kerl los und was zu essen gibt’s auch.“

„Klingt doch erst mal gut.“

Sie nickte langsam. „Ich glaub, bis nach Sacramento schaffe ich es heute sowieso nicht mehr. Nicht ohne mit irgendeinem gruseligen Typen zu fahren, der bestimmt mein Erstgeborenes als Gegenleistung will.“

Rick lachte. Humor hatte sie und als sie jetzt ihre dicke Daunenjacke auszog, erhaschte er einen Blick auf ihren Körper. Gut proportioniert. Sexy.

Sie kamen ins Gespräch. Er lud sie auf ein Bier ein und als ihr Essen kam, setzten sie sich zusammen an einen Tisch. Während er so dasaß und sich mit ihr über Gott und die Welt unterhielt, arbeitete es in ihm.

Sollte er? Sollte er nicht? Sie war hübsch, das musste er ihr lassen. Ein Glücksgriff. Ahnungslos erzählte sie ihm, dass sie aus Bend gekommen war und ihre Schwester in Sacramento besuchen wollte. Rick bot ihr selbstlos an, sie später mit zurück nach Klamath Falls zu nehmen, was sie ohne zu zögern annahm.

„Das wäre nett. Dann muss ich heute Nacht hier draußen nicht erfrieren.“

„Kein Problem“, erwiderte Rick, der immer noch seine Baseballkappe trug und tunlichst darauf achtete, dass niemand mitbekam, worüber er mit ihr sprach.

„Wie heißt du eigentlich?“, erkundigte er sich schließlich bei ihr.

„Mary, und du?“

„Paul.“ Kleiner Scherz am Rande. Er stellte sich gerade vor, wie irgendwann die Polizei bei seinem verhassten Schwager klingelte und ihn wegen eines Mordes befragte, und grinste in sich hinein.

„Kommst du hier aus der Gegend?“, fragte Mary.

Rick wollte schon verneinen, doch dann fragte er: „Warum willst du das wissen?“

Offensiv lächelte sie ihn an. „Weil du mir sympathisch bist.“

Es machte Klick. Hatte sie ihm gerade wirklich gesagt, dass sie sich für ihn interessierte?

„Sympathisch“, wiederholte er mit hochgezogener Augenbraue.

„Was, kennt ihr Landeier das hier nicht, dass Frauen mit euch flirten?“ Sie lachte.

„Ach, so eine bist du“, sagte Rick im Scherz.

„Was für eine bin ich denn?“

„Du hast es ja faustdick hinter den Ohren.“

Mary lächelte nur zustimmend und errötete leicht. Rick beschloss, aufs Ganze zu gehen.

„Du musst heute nicht in einem Motel übernachten, wenn du nicht willst.“

Sie verstand sofort. „Bietest du mir dein Sofa an?“

„Mein Sofa ist sehr bequem.“

„Das will ich ausprobieren“, sagte sie.

Sie sagte es tatsächlich. Rick schluckte und versuchte, sich seine aufkommende Unsicherheit nicht anmerken zu lassen.

Es klappte. Es funktionierte tatsächlich. Wie im Rausch beobachtete er Mary beim Bezahlen. Sie hatte schlanke, gründlich manikürte Finger. Sie gefiel ihm verdammt gut. Schon fast zu gut.

Er würde es tun.

Mary begleitete ihn nach draußen und folgte ihm zu seinem Auto. Ein letztes Mal schaute er sich um, bevor er einstieg. Niemand zu sehen. Keine Zeugen dafür, dass Mary ihn begleitete. Es war längst stockfinster, deshalb kamen sie ungesehen auf den Highway nach Klamath Falls.

Sie saß neben ihm. Er konnte sie atmen hören. Rick versuchte, sie nicht anzusehen, damit er sich aufs Fahren konzentrieren konnte. Wenn er sich sonst vorstellte, was passieren konnte, ging alles mit ihm durch …

„Dass du keine Freundin hast“, sagte Mary überrascht, um wieder mit ihm ins Gespräch zu kommen.

„Im Moment nicht, nein.“

Er konnte sich nicht auf ein Gespräch konzentrieren. Das ging einfach nicht. Gerade war er damit beschäftigt, sich zu überlegen, wie er sie in die Hütte kriegen sollte. Unbemerkt. Am besten ohne Gegenwehr. Und wenn sie dort war, würde er sie an das alte Bett fesseln, das dort stand, und er würde das tun, wonach jede Faser seines Körpers mit fast brennender Intensität verlangte.

Und danach würde er sie töten. Er musste. Ansonsten würde er eine Zeugin laufen lassen.

Das ging nicht. Das konnte er nicht tun. Ausgeschlossen.

Während er stur auf die Straße starrte und vor sich hin grübelte, musterte Mary ihn und suchte erneut das Gespräch, aber seine Antworten blieben einsilbig. Sein Puls raste, er versuchte aber, sich nichts anmerken zu lassen. Das war verdammt schwer. Unfassbar schwer. Dann verließ er den Highway in Richtung Stuart Lenox und hoffte, dass Mary es nicht merkte und keine Schilder las.

Aber sie merkte es natürlich. Sie hatten das Willkommensschild von Stuart Lenox gerade hinter sich gelassen, als sie ihn ansah.

„Wir fahren nicht nach Klamath Falls?“

„Nicht direkt, nein“, behauptete er und räusperte sich. „Ich wohne etwas außerhalb.“

„Okay.“ Es klang verhalten. In ihr arbeitete es, das spürte er.

Rasch setzte er alles daran, Stuart Lenox zu verlassen und wieder nach Süden zu fahren. Er fuhr die ganze Zeit einen Umweg, aber das war ihm erst kurz vor der Abfahrt klar geworden.

Er durfte jetzt nicht die Nerven verlieren. Jetzt ging es um alles.

Sie hatten die Ortschaft gerade hinter sich gelassen, als er auf eine Nebenstraße abbog und am Straßenrand hielt.

„Was ist los?“, fragte Mary.

Doch Rick antwortete nicht. Er schnallte sich ab, wandte sich ihr zu und legte beide Hände um ihre Kehle. Entsetzt schrie sie auf, bevor ihr die Luft wegblieb, und sie versuchte, nach ihm zu schlagen und ihren Gurt zu lösen, aber Rick gab sich große Mühe, sie so fest zu würgen wie irgend möglich. Mary protestierte erstickt, geriet in Panik und war völlig kopflos, was in dem Moment sein Vorteil war. Sie schaffte es nicht, sich gegen ihn zu wehren und sackte schließlich bewusstlos in sich zusammen.

Das reichte ihm. Er sprang sofort aus dem Wagen, rannte um die Motorhaube herum und riss die Beifahrertür auf. Als sie offen stand, rief er sich zur Ruhe und ging zum Kofferraum, wo er die Handschellen herausholte. Nachdem er Mary abgeschnallt hatte, fesselte er ihr die Hände mit den Handschellen auf dem Rücken und wuchtete sie aus dem Auto. Sie war verdammt schwer, aber das schreckte ihn nicht. Mit zusammengebissenen Zähnen schleifte er sie zum Kofferraum und legte sie hinein, bevor er die Rolle mit Klebeband nahm und ein Stück davon abriss, um es ihr auf den Mund zu kleben. Nur um sicher zu gehen. Er musste schließlich immer noch ein Stück fahren.

Ohnmächtig und reglos lag sie da und merkte nicht, wie er sie anstarrte und zufrieden grinste, bevor er die Kofferraumklappe schloss. Das war der Hammer. So verdammt einfach. Es kam ihm zugute, dass er ganz gut aussah und nicht wie der letzte Hillbilly herumlief. So war sie ihm einfach in die Falle getappt und hatte nicht kommen sehen, was jetzt geschah.

Sie gehörte jetzt ihm. Und er würde es auskosten.

Er stieg wieder ins Auto und fuhr weiter. Das Radio hatte er ausgeschaltet und lauschte immer wieder darauf, ob er Laute aus dem Kofferraum hörte, doch es blieb still. Gut so.

Er versuchte, sich auf die Fahrt durch die schneebedeckten, aber düsteren Hügel zu konzentrieren und nicht schon jetzt am Steuer seinen Fantasien hinzugeben. Das war zu früh. Trotzdem konnte er nichts dagegen tun, dass ihm die Hose etwas eng wurde. Verdammt.

Zehn Meilen musste er noch fahren, bis er am Ziel war. Es war sein Glück, dass der kleine Wirtschaftsweg, den er am Ende befahren musste, von den umgebenden Nadelbäumen so geschützt war, dass dort kaum Schnee lag. Noch ein Grund mehr für einen Pick-Up oder vielleicht für den GMC Jimmy, den er schon seit längerem interessant fand. Wer weiß, vielleicht konnte er Clarice von den Vorzügen eines neuen Autos überzeugen, wenn sie erst mal zwei Kinder hatten.

Er wurde von dumpfen Schlägen aus seinen Gedanken gerissen. Sie war also wieder wach. Vermutlich hatte das Holpern des Autos auf dem Waldweg sie aus ihrer Ohnmacht gerissen.

Rick störte sich nicht weiter daran. Sie waren bereits mitten im Wald, weit und breit war niemand. Er folgte dem Weg bis zu seinem Ende, stellte den Motor ab und stieg aus. Für einen kurzen Moment war es ruhig im Kofferraum. Rick hob die Taschenlampe, die er gerade noch aus dem Handschuhfach geholt hatte, und schaltete sie ein, bevor er den Kofferraum öffnete. Zwar stand gerade ein voller Mond am Himmel, aber hier draußen im Wald war es trotzdem beschissen dunkel.

Er ließ die Kofferraumklappe aufschwingen und leuchtete Mary mitten ins Gesicht. Sie blinzelte geblendet und begann, erstickte Schreie auszustoßen, als sie ihn erkannte.

„Schade, Mary“, sagte er grinsend. Was für ein Anblick, wie sie ihn panisch anstarrte, jeder Möglichkeit beraubt, mit ihm zu sprechen oder zu schreien. Nicht, dass es im Wald jemanden interessiert hätte, wenn sie schrie.

Er beugte sich zu ihr hinab und packte sie, um sie aus dem Kofferraum zu zerren. Mary wimmerte erstickt und versuchte irgendwie, sich von ihm loszureißen, aber er hatte es kommen sehen. Um sie unter Kontrolle zu halten, griff er mit einer Hand in ihr Haar und krallte sich darin fest. Sie stieß einen schrillen Schmerzenslaut aus und jammerte, während Rick alles im Kofferraum zusammensuchte, was er brauchte. Mit der Lampe und allen Utensilien in der Hand marschierte er los, nachdem er alles abgeschlossen hatte, und zerrte Mary entschlossen hinter sich her.

Sie weinte leise. Seine Vorfreude wuchs. So hatte er sich das gar nicht vorgestellt. So intensiv.

An der Hütte angekommen, schloss er die Tür auf und stieß Mary hindurch. Als er sie losließ, wollte sie gleich weglaufen, aber da verriegelte er schon die Tür und blieb unbeeindruckt davor stehen. Ängstlich starrte sie ihn an, bevor sie sich in der Hütte umschaute. Inzwischen war es tatsächlich nicht mehr arschkalt, obwohl die Glut im Kaminofen nur noch zaghaft glomm.

„Ich fürchte, du bist bei der falschen Person eingestiegen“, sagte Rick. „Und mein Name ist auch nicht Paul, aber das hast du dir sicher schon gedacht.“

Erneut begann Mary zu schluchzen. Sie wich zurück, als er auf sie zu kam, aber sie konnte nirgends hin. Rick packte sie wieder an den Haaren, schleifte sie zum Bett und warf sie rücklings darauf nieder.

Mary kreischte erstickt, sie zappelte und wehrte sich nach Kräften, als Rick versuchte, sie mit den Stricken ans Bett zu fesseln, die er vorab schon daran befestigt hatte. Als sie ihm ins Gesicht trat, brüllte er vor Wut, beugte sich über sie und legte erneut die Hände um ihre Kehle, um sie zu würgen, bis sie bewusstlos war.  

Das klappte gut. Zufrieden betrachtete er sein Werk und schloss die Handschellen auf, dann fesselte er ihre Hände an die Bettpfosten und machte danach mit ihren Füßen weiter. Die Kleidung interessierte ihn nicht, dafür hatte er ja ein Messer. Aber er wollte noch nicht loslegen. Sie sollte wach sein, wenn er das tat.

Er zog seine Schuhe aus, entledigte sich seines Hemdes und seiner Hose, so dass er bloß noch in Unterwäsche dastand. Dann legte er ein paar Holzscheite im Kaminofen nach. Die Fensterläden waren verriegelt, er war mit Mary allein im Wald. Fantastisch.

Es dauerte nicht lang, bis sie wieder zu sich kam. Erneut begann sie, heftig zu zappeln, als sie Rick sah. Sie protestierte erstickt, wimmerte und zerrte wie verrückt an ihren Fesseln, doch sie war hilflos. Grinsend beobachtete er sie dabei.

„Nicht doch“, sagte er spöttisch. „Wir haben doch noch gar nicht angefangen.“

Flehend starrte sie ihn an, dann schloss sie die Augen und weinte einfach nur. Für Rick war es der Startschuss. Er setzte sein Messer an ihrer Kleidung an und schnitt ihr ein Kleidungsstück nach dem anderen vom Körper, bis sie bloß noch in Unterwäsche dalag. Die ganze Zeit über weinte sie hemmungslos und wimmerte leise.

„Du weißt, worauf das hinausläuft, oder?“, fragte er. Als sie nicht antwortete, schlug er sie und brüllte sie an.

„Ich rede mit dir, du kleines Miststück!“ Als er seine Frage jetzt wiederholte, nickte sie. Mit dem Messer zerschnitt er ihren BH und betrachtete sie eingehend, bevor er auch ihren Slip zerschnitt und seine Shorts auszog. Zu sehen, wie Mary sich verzweifelt und ängstlich wand, machte ihn verdammt heiß. Er kletterte aufs Bett zwischen ihre Beine, beugte sich über sie und grinste.

„Ein bisschen Spaß gefällig?“

Schluchzend schloss Mary die Augen und ballte die Hände zu Fäusten, als er sie anfasste. Dann tat er es. Er entlockte ihr einen Schrei, hielt für einen Moment inne und kostete es einfach nur aus. Rick schloss die Augen und genoss es, sie zu spüren, sie weinen zu hören, ihren stoßweisen Atem.

Jetzt war es echt. Verdammt echt. Er zwang sie – und zwar genau so, wie er sich das vorgestellt hatte. Nur, dass es viel besser war als in seiner Vorstellung.

Mary ließ es über sich ergehen. Sie sah ihn die ganze Zeit über nicht an, bis er sie anbrüllte, schlug und dazu zwang. Er wollte, dass sie ihm in die Augen sah, während er sich seinen Spaß gönnte. Immer wieder musste er innehalten, damit es nicht viel zu schnell vorbei war, aber irgendwann hatte er sich nicht mehr unter Kontrolle und sank stöhnend auf sie nieder. Mary erstarrte und gab keinen Laut mehr von sich.

Er hätte gar nicht beschreiben können, wie sich das anfühlte. Fantastisch. Jede Faser seines Körpers war von Befriedigung erfüllt. Es war wie eine Erlösung. Er konnte sich gar nicht erinnern, wann er sich zuletzt so zufrieden, regelrecht glücklich gefühlt hatte. Es war ein absolutes Hochgefühl.

Langsam stand er auf und zog seine Shorts und das T-Shirt wieder über. So warm war es in der Hütte dann doch nicht. Mary starrte an die Decke und ignorierte ihn.

Rick streckte sich zufrieden und atmete tief durch. Er nahm den Stuhl, der vor dem Kamin stand, und schob ihn neben das Bett. Dann beugte er sich über Mary.

„Wenn ich das Klebeband entferne, wirst du dann brav sein? Nicht, dass dich hier irgendjemand hören würde. Wir sind meilenweit von der nächsten Siedlung entfernt.“

Flehend sah Mary ihn an und nickte, deshalb entfernte Rick das Klebeband von ihrem Mund und sah sie zufrieden an. Sie schrie nicht, aber sie sprach ihn an.

„Bring mich bitte nicht um“, bat sie leise.

„Denkst du, das werde ich?“

„Ich weiß es nicht. Tu es bitte nicht. Wenn du mich einfach nur laufen lässt, sage ich niemandem etwas. Versprochen!“

„Wer sagt denn überhaupt, dass ich dich laufen lasse?“ Rick grinste breit.

„Bitte lass mich gehen …“

Belustigt musterte er sie. „Es hat doch gerade erst angefangen, Spaß zu machen.“

Wieder schluchzte sie. „Meine Schwester wartet in Sacramento auf mich. Bitte, ich … ich muss da hin. Bitte bring mich nicht um …“

„Was interessiert mich deine Schwester?“, fragte Rick.

Unter Tränen starrte Mary an die Decke. „Warum tust du das?“

Das war eine gute Frage. Weil es ihm Macht gab. Weil es ihn befriedigte. So konnte er die Welt vergessen und alles darin, was ihn frustrierte. Seinen verfluchten Chef, seine schwangere Frau, seine gottverfluchte Heimatstadt, einfach alles. Hier ging es nur um ihn und darum, was er wollte.

Und er tat es, weil er es konnte. So einfach war das.

„Weil es Spaß macht“, sagte er.

„Das macht dir Spaß?“

„Findest du das krank?“

Mary erwiderte nichts. „Bitte lass mich gehen. Bitte …“

Für einen langen Augenblick sah Rick sie nur an, dann schüttelte er den Kopf.

„Nein. Dafür macht es wirklich zu viel Spaß.“

Mit diesen Worten holte er sein Messer und berührte mit der Spitze der Klinge Marys Haut am Halsansatz. Sie wagte kaum zu atmen. Er ließ die Messerklinge langsam zwischen ihren Brüsten hindurch bis zu ihrem Bauchnabel und noch tiefer wandern. Als sie jetzt ängstlich zu wimmern begann, schloss er kurz die Augen und genoss diese Laute. Er löste das aus. Er sorgte dafür, dass sie panische Angst hatte. Ach, am liebsten hätte er ja schon wieder …

Aber weil er noch nicht wieder konnte, konzentrierte er sich darauf, sich anders mit ihr zu beschäftigen. Er machte ihr mit dem Messer Angst, damit sie weinte und ihn anbettelte, er möge sie doch in Ruhe lassen. Es war fast, als könne er ihre Angst riechen.

Als sie irgendwann doch zu schreien begann, schlug er sie. Ihre Brust hob und senkte sich unter hektischen Atemzügen, deshalb beugte er sich irgendwann über sie und gab dem Bedürfnis nach, ihr weitere Schmerzen zuzufügen, um zu beobachten, wie sie sich wand und um Gnade bettelte. Er war noch immer nicht bereit, wieder Sex mit ihr zu haben, aber er wollte sie spüren. Ganz instinktiv berührte er ihre Haut mit den Lippen und entlockte ihr einen Schrei, als er sie biss.

Er konnte nicht mehr aufhören. Sie gehörte jetzt ihm. Als ihm ihr Jammern zu viel wurde, holte er das Klebeband und brachte sie wieder zum Schweigen. Ja, so war es besser. Das gefiel ihm gut. Dann machte er sich daran, ihr Schnittwunden beizubringen.

Irgendwie musste er sich die Zeit ja vertreiben, bis er wieder konnte, und absolut alles, was er tat, war unglaublich aufregend und intensiv. Er musste es ausprobieren. Er hatte da einen Menschen in seiner Gewalt, mit dem er wirklich alles anstellen konnte. Alles, was er wollte. Das musste er auskosten.

Er vergaß die Zeit. Er verlor sich völlig in seiner Folter und beobachtete jede von Marys Reaktionen. Das alles saugte er in sich auf wie ein Schwamm und wusste, davon würde er nun niemals wieder genug kriegen. Ausgeschlossen.

Während er sie quälte, überlegte er in aller Ruhe, wie er sie umbringen sollte. Er beschloss, es zu tun, wenn er wieder Sex mit ihr hatte. Und er würde sie erwürgen. Instinktiv wusste er, dass das richtig war.

Irgendwann spürte er, dass der Moment gekommen war. Mary wand sich wimmernd unter ihm, als er sie wieder vergewaltigte. Auch das saugte er in sich auf. Er inhalierte es, er kostete es aus. Jede Sekunde lang. Sie konnte nichts dagegen tun.

Dann beschloss er, es zu einem Ende zu bringen, und legte seine Hände um ihren Hals. Er beugte sich vor und sah ihr in die Augen, während er entschlossen zudrückte. Fester als zuvor. Mary geriet in Panik. Er konnte die Todesangst in ihren Augen sehen, als er ihr die Luft abdrückte. Ihr Wimmern klang schrill. Sie zappelte heftig unter ihm und kämpfte um ihr Leben. Im Dämmerlicht des Kaminfeuers sah er, dass ihre Augen sich langsam rot färbten. Das hatte er sich nie bewusst gemacht, aber die kleinen Äderchen platzten. Inzwischen gab sie keine Laute mehr von sich. Sie zappelte noch, aber es wurde schwächer. Ihre Blicke trafen sich und ihre weit aufgerissenen Augen ließen ihn tief in ihre Seele schauen, zumindest fühlte es sich für ihn so an. Dann wurde ihr Blick glasig und Rick wusste sofort, dass er diesen Anblick nie vergessen würde. Das war in diesem Moment der Gipfel der Lust für ihn, er erstarrte keuchend und spürte Erleichterung. Doch er drückte weiterhin zu, denn er wusste, beim Erwürgen trat der Tod erst nach Minuten ein. Er wollte es jetzt nicht versauen. Er war immer noch bei der Sache.

Irgendwann ließ er los. Mary rührte sich nicht. Sie atmete nicht mehr und als er nach ihrem Puls tastete, fand er nichts. Allmählich kam die Erkenntnis, dass er sie tatsächlich umgebracht hatte. Ihm war nach Lachen zumute.

Mit wackligen Knien stieg er vom Bett, zog sich wieder an und starrte dabei die ganze Zeit auf Marys Leichnam. Seine erste.

Und garantiert nicht seine letzte.

Er musterte sie beinahe sentimental. Selbst jetzt im Tod war sie noch wunderschön. Vielleicht schöner als vorher. Ihre toten Augen starrten ins Nichts, was ihm nicht gefiel. Er schloss sie vorsichtig und nickte zufrieden. So war es besser.

Sie hatte reine, ebene, makellose Haut. Ihr langes blondes Haar wallte über die Matratze. Eigentlich war das ja ein Verlust.

Ihm wurde kalt. Als er seinen Pullover überstreifte, fiel sein Blick auf seine Uhr. Vier Uhr nachts. Wenn er klug war, versuchte er gleich, ihre Leiche verschwinden zu lassen. Um diese Zeit merkte es garantiert niemand. Und für Clarice würde ihm schon eine Erklärung einfallen.

Er zerschnitt die Stricke, mit denen er Mary ans Bett gefesselt hatte, aber das Klebeband ließ er auf ihren Lippen. Sollte doch alle Welt wissen, dass sie kein schönes Ende gefunden hatte. An ihrem Hals bildeten sich Blutergüsse, die er durch das Würgen verursacht hatte.

Absolute Macht. Das war es. Er hatte es so unaussprechlich genossen und während er Mary mühsam auf seine Schulter wuchtete, um sie aus der Hütte zu tragen, wurde ihm klar, dass er das wieder tun würde. Tun musste. Er hatte gar keine Wahl.

Im Schein des Mondlichts trug er Marys Leichnam durch den Wald und legte sie in den Kofferraum seines Wagens, bevor er noch einmal zur Hütte zurückkehrte, um notdürftig Ordnung zu schaffen und sie abzuschließen. Als er damit fertig war, stieg er in den Wagen und stellte dann fest, dass Marys Rucksack noch im Fußraum auf der Beifahrerseite stand.

So viel Zeit musste sein.

Er griff danach und begann, darin herumzustöbern. Kleidung, ein Kulturbeutel, ein Buch. Nichts Spannendes. Dann fand er ihr Portemonnaie und betrachtete interessiert ihren Führerschein. Mary McPhee, zwanzig, aus Bend, Oregon. Kurzerhand zog er den Führerschein heraus und steckte ihn in seine Hosentasche.

Den würde er behalten. Ein Andenken an Mary. Das musste einfach sein.

Er stieg noch einmal aus, warf den Rucksack zu Marys Leiche in den Kofferraum und fuhr schließlich los. Nach kurzem Überlegen beschloss er, Mary in der Einöde zwischen Mount McLoughlin und Pelican Butte loszuwerden. Das war nicht so weit weg, wie er es gern gehabt hätte, aber immerhin weit genug, um jeden Verdacht abzulenken – und schön einsam, so dass man sie im Idealfall gar nicht fand.

Er war eine gute Stunde dorthin unterwegs und schlug sich irgendwo kurz vor dem Four Mile Lake in die Wildnis. Vergraben konnte er sie nicht, weil der Boden gefroren war, doch nach einem kurzen Stück kreuzte der Lost Creek seinen Weg. Das war doch gar nicht schlecht.

Kurzerhand ließ Rick die Leiche ins Wasser gleiten und beschloss, den Dingen ihren Lauf zu lassen. Die Natur hatte sie wieder.

In diesem Moment funktionierte er einfach. Dass er jemanden getötet hatte, erfüllte ihn mit keiner Regung und nun musste er sehen, dass er die Leiche los wurde.

Ohne den Mond wäre er verloren gewesen, was ihm verriet, dass er in Zukunft mehr auf solche Details achten musste. Er wollte ja nicht, dass es an so etwas scheiterte.

Er beobachtete, wie die Leiche langsam in dem kleinen Bach davon trieb. Ein Problem weniger.

Inzwischen war es kurz nach fünf. Rick war furchtbar müde, aber er beschloss, nach Klamath Falls zu fahren und zu Hause so zu tun, als sei er irgendwann nach Hause gekommen und hätte dort geschlafen. Dann würde er so tun, als würde er zur Arbeit fahren und unterwegs seinen Chef anrufen, um ihm zu sagen, dass er krank war.

Und dann fuhr er am besten einfach in die Hütte zurück und schlief sich dort aus. So konnte er sich erholen und in Ruhe darüber nachdenken, wie es weitergehen sollte … Perfekt.

Sterbensmüde folgte er der Straße durch den Wald und am Upper Klamath Lake vorbei bis nach Hause. Es war immer noch dunkel, als er zu Hause eintraf und mucksmäuschenstill ins Schlafzimmer schlich. Dort lag Clarice und schlief. Glücklicherweise hatte sie einen festen Schlaf, deshalb merkte sie nicht gleich, wie Rick sich ins Bett legte, nachdem er sich im Bad ausgezogen hatte, und erst mal das Bett zerwühlte, als hätte er die ganze Nacht darin geschlafen. Davon erwachte Clarice schließlich doch und blinzelte müde.

„Wie spät ist es?“, wisperte sie.

„Zwanzig vor sieben. Ich muss zur Arbeit. Bleib ruhig liegen.“

Sie machte nur ein zustimmendes Geräusch und schloss die Augen wieder. In dem Moment kam es ihm gar nicht irre vor, dass er neben seiner Ehefrau im Bett lag, nachdem er eine Anhalterin vergewaltigt und ermordet hatte. Grinsend ging er ins Bad und zog sich wieder an.

 

 

 

 

 

 

Klamath Falls, Oregon, 15. April 1989

 

In diesem Moment waren Rick eindeutig zu viele Kinder im Haus. Natürlich hatten Paul und Michelle ihre Kinder nicht in Portland gelassen. Rick versuchte, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Sein Neffe Tom war nur wenig älter als Kristy, deshalb verstanden die beiden sich gut. Eine Sorge weniger. Die beiden waren endlich zum Spielen im Garten verschwunden. Aber die kleine Angela brüllte zum Herzerweichen und Michelle war gerade damit beschäftigt, ihr die Windel zu wechseln. Noch mehr Windeln. Windeln überall.

Rick war ohnehin gereizt, weil Schlaf gerade Mangelware war. Genau eine Woche zuvor hatten bei Clarice endlich Wehen eingesetzt, weshalb er sie nachts um halb drei ins Sky Lakes Medical Center gefahren hatte. In den Kreißsaal begleitet hatte er sie nicht, das hatte er schon bei Kristys Geburt nicht getan. Wegen Kristy war er aber wieder nach Hause gefahren, schließlich konnte sie nicht einfach allein bleiben. Prompt war er zu Hause wieder eingeschlafen und erst morgens wieder mit Kristy ins Krankenhaus gefahren, um dort seine neugeborene Tochter in Augenschein zu nehmen.

Man hatte Clarice bereits auf ein Zimmer gebracht, wo sie ihn und Kristy abgekämpft, aber glücklich mit einem winzigen Menschen im Arm erwartet hatte. Kristy war maßlos entzückt gewesen und hatte ihre kleine Schwester mit großen Augen bestaunt, doch auch Rick musste der Krankenschwester Recht geben: Er war Vater einer ziemlich niedlichen kleinen Tochter geworden. Die zweite.

Dann hatte Clarice ihm die dreieinhalb Kilo Mensch in den Arm gedrückt und er hatte begutachtet, was er denn da in die Welt gesetzt hatte.

Die winzige Kim hatte eine hübsche kleine Stupsnase, einen winzigen Schmollmund und schon beeindruckend viele Haare auf dem Kopf. Das allein wäre gar nicht so interessant gewesen, aber ihre Haare waren feuerrot. Musste ein Erbe seiner irischen Wurzeln sein, dachte Rick. Sie war ziemlich gut geraten und wohl problemlos und schnell geboren. Das beruhigte ihn, denn Kristys Geburt war etwas schwieriger gewesen und Clarice hatte ihn lang auf Distanz gehalten. Hoffentlich war das jetzt anders.

Michelle kehrte mit Angela auf dem Arm ins Wohnzimmer zurück. Rick saß mit einer Flasche Budweiser in seinem Sessel und starrte müde aus dem Fenster, während Paul sich neben seine Schwester gesetzt hatte und die kleine Kim im Arm wiegte.

„Wunderschön“, sagte er gerührt. Michelle kam mit Angela näher und setzte sich neben Paul, damit Angela das Baby ansehen konnte. Dann schaute sie zu Rick.

„Die Haarfarbe stammt dann aus deiner Familie, oder?“

„Vermutlich“, erwiderte er und nahm noch einen Schluck Bier. „Sowohl mein Großvater als auch mein Onkel Davie hatten rote Haare.“

„Sie ist wirklich entzückend“, fand Michelle. „Und Kim ist auch ein schöner Name.“

„Freut mich, dass er dir gefällt“, sagte Clarice. Angela unternahm erste tapsige Schritte am Sofa vorbei. Wenig später erwachte Kim und begann nach wenigen Augenblicken zu weinen.

„Hast du etwa auch die Windel voll?“, überlegte Clarice und quälte sich vom Sofa hoch, um ihre Tochter nach oben zu bringen und nachzusehen. Rick rührte sich nicht, sondern nahm nur noch einen Schluck Bier, während Clarice Schritt für Schritt die Treppe erklomm. Missbilligend blickte Paul zu seinem Schwager, sagte aber nichts.

Wenig später verstummte das Weinen erst einmal. Einige Minuten später kehrte Clarice mit einem wachen und fröhlichen Baby zurück, doch diese Stimmung hielt nicht lang.

---ENDE DER LESEPROBE---