Schritt ins Dunkel - Leena Lehtolainen - E-Book

Schritt ins Dunkel E-Book

Leena Lehtolainen

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Beschreibung

In Espoo, nahe Helsinki, treibt eine kriminelle Jugendgang ihr Unwesen. Zuerst geht es nur um Diebstahl, dann werden auf dem Handy des 17-jährigen Gangmitglieds Stan Zuhlin Aufnahmen sichergestellt, die auf schwere Gewaltverbrechen hinweisen. Der Junge wird verhaftet, Maria Kallio und ihr Team übernehmen den Fall. Ihre Ermittlungen führen sie in ein dunkles, hartes Milieu.  Stan gelingt es, aus dem Gefängnis freizukommen, wenig später wird er tot aufgefunden. Er wurde brutal erstochen. Bald gibt es Hinweise, die den Täter identifizieren sollen. Doch der verdächtige Junge ist erst vierzehn ... Auch persönlich beschäftigen Maria Kallio schwere Sorgen. Ihre Kollegin Johanna scheint ernsthaft krank zu sein, die Einheit steht vor dem Aus. Im Umfeld ihrer Tochter gibt es Schwierigkeiten. Maria Kallio muss sich auf ihre Ermittlung konzentrieren. Da verschwindet aus einem Kinderheim ein Junge, der auch mit dem Mord an Stan Zuhlin in Verbindung stehen könnte. Dieser Vorfall lässt alles in einem neuen Licht erscheinen. Und bald scheint der Fall so undurchsichtig wie die düsteren Novembertage in Finnland …

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Leena Lehtolainen

Schritt ins Dunkel

Maria Kallio ermittelt

 

 

Aus dem Finnischen von Gabriele Schrey-Vasara

 

Über dieses Buch

Finnlands beliebteste Ermittlerin in Höchstform. Und ein Gegner, der keinen Fehler verzeiht.

Dreizehn Messerstiche haben Stan Schulin getötet, einen Siebzehnjährigen, dessen Leiche in einem Waldstück nahe Helsinki gefunden wird. Maria Kallio kennt den Jungen: Einige Stunden zuvor hat er ihr gegenüber am Vernehmungstisch gesessen. Er steht mit Gangkriminalität in Verbindung, Videos auf seinem Computer zeigen schwere Gewaltverbrechen. Musste er deshalb sterben?

In der Nähe der Leiche greift das Team der KiJu-Abteilung einen möglichen Täter auf. Alle Hinweise sprechen gegen ihn. Doch der Verdächtige ist erst vierzehn, die Beweislage wirft Fragen auf: Die Tat scheint nicht zu ihm zu passen.

Dann verschwindet der Junge spurlos. Und plötzlich scheint der Fall so undurchsichtig wie ein düsterer Wintertag in Finnland …

 

«Lehtolainen ist eine begnadete Erzählerin, eine Unterhalterin mit Tiefgang.» Augsburger Allgemeine Zeitung

Vita

Leena Lehtolainen, 1964 geboren, lebt und arbeitet als Kritikerin und Autorin in Degerby, westlich von Helsinki. Sie ist eine der auch international erfolgreichsten finnischen Schriftstellerinnen. 1994 erschien in Deutschland der erste Roman mit der Anwältin und Kommissarin Maria Kallio, 2012 der erste Krimi um die Personenschützerin Hilja Ilveskero. Kommissarin Maria Kallio ermittelt in diesem Band bereits in ihrem sechzehnten Fall, der sie in ein düsteres und brutales Milieu führt.

Gabriele Schrey-Vasara, geboren 1953 in Rheydt, studierte Geschichte, Romanistik und Finnougristik in Göttingen und lebt seit 1979 in Helsinki. 2008 erhielt sie den Staatlichen Finnischen Übersetzerpreis.

Impressum

Die Originalausgabe erschien 2023 unter dem Titel «Pimeän risteys» bei Tammi Publishers, Helsinki.

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Februar 2024

Copyright © 2024 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg

«Pimeän risteys» Copyright © 2023 by Leena Lehtolainen

Redaktion Tanja Küddelsmann

Covergestaltung Cordula Schmidt Design, Hamburg

Coverabbildung Günter Gräfenhain/HUBER IMAGES

ISBN 978-3-644-01432-9

 

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

 

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.

 

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Hinweise des Verlags

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Alle angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Printausgabe.

 

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www.rowohlt.de

Für Siru – danke für 55 Jahre Freundschaft

1

«Guck es dir nicht an, Maria. Den Anblick wirst du nie mehr los.»

Kristo Pohjolas Stimme klang todernst. Er starrte immer noch auf die Aufnahmen, deren Anblick er mir ersparen wollte. Wir hatten den Computer beim Mitglied einer Bande beschlagnahmt, die Jugendlichen Markenkleidung und andere Wertgegenstände stahl, und suchten darauf nach Videos von den Taten. Stattdessen hatten wir etwas noch Schlimmeres gefunden.

«Danke für deine Fürsorge», antwortete ich. «Aber ich bin die Chefin des KiJu-Teams. Ich muss wissen, worum es in dem Video geht.»

«Das kann ich dir auch sagen. Du brauchst es dir nicht anzusehen. Stanislaw Schulin steckt jedenfalls in der Patsche. Und das da gibt uns vielleicht die Chance, seinen Boss zu schnappen, Anton Denissowitsch Birohbidschan.» Kristo bemühte sich, den Namen richtig auszusprechen.

«Auch bekannt unter dem Namen Biris», ergänzte ich.

Ich hielt mich nicht an Kristos Rat. Was ich kurz darauf bereute. Ich brauchte mir nur ein paar Minuten die brutale sexuelle Gewalt an sehr jungen Mädchen anzusehen, und das Frühstück wollte mir hochkommen. Die Täter waren drei weiße Männer mit Abzeichen der Wagner-Gruppe an den Uniformen.

«Aus der Ukraine?», fragte ich, bevor ich auf Stopp drückte. Kristo nickte.

Der Tatort war ein ganz gewöhnliches Wohnzimmer mit einer hellen Sitzgruppe und einem Fernseher. Am Fenster flatterten gelb geblümte Spitzengardinen. An der Wand wachte eine Ikone, doch nicht einmal der traurige Blick des Heilands hielt die Männer zurück.

Ich holte mindestens zehnmal tief Luft. Allmählich sank der Frühstücksporridge in meinen Magen zurück. Der kalte Schweiß stand mir noch auf der Stirn, unter den Achseln und Brüsten. Ich hatte mir eingebildet, in meiner mehr als fünfundzwanzigjährigen Polizeilaufbahn schon alles gesehen zu haben. Doch ich hatte mich geirrt.

«Der Rechner von Stan, wie er in Biris’ Gang genannt wird, ist voll von solchem Dreck. Er behauptet, er hätte keine Ahnung, wie die Videos bei ihm gelandet sind. Vielleicht hätte die Polizei sie ja selber hochgeladen. Tolle Ausrede für einen Siebzehnjährigen.»

Die Augen des jüngsten Mädchens blickten mich immer noch an, obwohl ich das Video ausgeschaltet hatte. Ich fragte Kristo nicht, ob die Mädchen am Ende der Aufnahme noch am Leben waren. Wenn ja, wie mochte es sein, nach so einer Tat weiterzuleben?

«Was glaubst du, warum hat Stan das Video hochgeladen? An so was kann doch nur jemand Spaß haben, der zu keinerlei Empathie fähig ist. Wir wissen ja, dass er gewaltsame Raubüberfälle begangen hat, aber dieses Video ist doch viel schlimmer. Warum wurde es aufgenommen? Ist es für irgendwelche Perverse gedacht oder als Beweismaterial für schwere Kriegsverbrechen?»

Meine Stimme war erstaunlich ruhig. Kristo wischte sich über die Glatze, bevor er antwortete.

«Vermutlich ist das einfach Handelsware. Es gibt immer einen Markt für unerträgliche Grausamkeiten, so unbegreiflich das auch ist. Aber unsere Ermittlungen bekommen dadurch eine neue Richtung. Ursprünglich haben wir ja nur Beweise für die Taten von Biris’ Bande gesucht. Sie zeichnen ja ihre eigenen Raubüberfälle auf und filmen außerdem heimlich Jugendliche in intimen Situationen. Damit erpressen sie sie, auch Verbrechen zu begehen. Zum Glück hat immerhin eines dieser Opfer sich getraut, zur Polizei zu gehen, sodass wir wenigstens einen Ausgangspunkt für unsere Ermittlungen haben.»

Ich stand vom Tisch des Besprechungsraums auf und nahm eine Flasche Mineralwasser mit Zitronengeschmack aus dem Kühlschrank. Damit füllte ich meinen Kaffeebecher, den ein Foto meiner verstorbenen Katze Venjamin schmückte. Als ich ausgetrunken hatte, war mein Mund so trocken wie zuvor. Ich bemühte mich, gleichmäßig zu atmen, während ich bis zehn und dann rückwärts bis eins zählte. Draußen war es gerade erst hell geworden, obwohl es schon nach neun Uhr war. Die Novemberwolken hingen tief über dem Espooer Polizeigebäude. Laut Wettervorhersage sollte in zwanzig Minuten Schneeregen einsetzen.

«Du meinst Savu Kettunen», sagte ich zu Kristo, der nickte. «Hoffentlich ist der Taschenalarm immer griffbereit und die Kamera an der Wohnungstür eingeschaltet. Schwer zu glauben, dass Biris sich nicht für den Verrat rächt.»

«Was ist mit Savu? Alles in Ordnung?», fragte Koivu, der gerade hereinkam, und nahm seine nasse Mütze ab. In Leppävaara regnete es also schon.

«Nichts Neues. Wir untersuchen gerade Stanislaw Schulins Computer. Es reicht wohl, wenn Tarvainen und ich die Dateien durchgehen. Sie kann Maria dann Bericht erstatten», erwiderte Kristo.

«Stan Schulins Anwalt ist übrigens unten im Erdgeschoss», sagte Koivu. «Er hat sich gleich auf mich gestürzt, weil er mich erkannt hat und weiß, dass ich in dem Fall ermittle. Mach dich bereit, Maria. Er will dich sofort sprechen.»

«Stan hat einen Anwalt, den du kennst?», fragte ich verblüfft. Obwohl Stan Schulin zu einer Bande von Berufsverbrechern gehörte, hatte ich angenommen, dass ihn irgendein Pflichtverteidiger vertrat.

«Kristian Ljungberg. Dein geliebter Ex-Freund und Kommilitone. Viel Spaß», grinste Koivu und widmete sich seinem allmorgendlichen Ritual: Er füllte die Kaffeemaschine. Vorher versuchte er noch, seine feuchte Mütze auf den Garderobenständer zu werfen, doch sie fiel auf den Boden.

«Wieso kann Stan sich Kristian leisten?», überlegte ich laut. Kristian gab sich wahrlich nicht mit Kleinkriminellen ab, sondern suchte sich seine Mandanten nach deren Zahlungsfähigkeit aus. Vor ein paar Monaten hatte er reichlich Publicity bekommen, als er einen wegen Drogenhandel und Vermittlung von Dopingmitteln angeklagten Autohändler verteidigt hatte, der auf Fotos in den sozialen Medien und Illustrierten mit vielen Stars und Politikern posiert hatte. Bevor ich weiterreden konnte, platzte Johanna Al-Sharif herein.

«Es ist so unglaublich kalt!», stöhnte sie und schaltete den Wasserkocher ein. Johanna war die fanatischste Teetrinkerin in unserer Abteilung. Die alltäglichen Routinen der anderen im Team wirkten beruhigend auf mich, sie signalisierten mir, dass die Welt nicht völlig aus den Fugen geraten war.

Sie hatten die Videos noch nicht gesehen, die wir auf Stan Schulins Computer entdeckt hatten. Wenn Kristian den jungen Mann verteidigte, würde er bald erfahren, was wir auf dessen Rechner gefunden hatten.

Auf meinem Privathandy ging eine Textnachricht ein. Ich kannte die Nummer nicht, aber ich las die Nachricht trotzdem, denn ich wollte an irgendetwas anderes denken als an das, was ich gerade gesehen hatte.

Hallo Maria, ich bin Edith, die Schwester von Iidas Mitbewohnerin Sofia. Iida hat mir Ihre Nummer gegeben. Es geht um etwas, das vielleicht Sache der Polizei ist. Kann ich Sie heute Nachmittag anrufen? Edith Jansson.

Eine Tasse knallte auf den Boden, Johanna hatte sie fallen lassen. Sie zitterte, kalter Schweiß rann ihr über die Stirn. Ihr Gesicht war grau wie der Himmel hinter dem Fenster, sie schwankte. Als sie zu fallen drohte, bekam ich sie am Rücken zu fassen, Koivu griff nach ihrem Arm, und gemeinsam schafften wir es, sie auf einen Stuhl zu bugsieren. Johannas Herz schlug doppelt so schnell wie normal. Sie begann zu würgen. Ich konnte gerade noch den Teppich wegziehen, bevor sie sich auf den Boden erbrach.

2

«Das war jetzt das dritte Mal. Zuletzt ist es Dienstagabend passiert, und davor Sonntagmorgen. Ich versteh nicht, was mit mir los ist.»

Johanna lag auf dem Sofa in meinem Dienstzimmer, denn im Besprechungsraum gab es nur Stühle. Ihr Puls hatte sich beruhigt, aber ihr Gesicht hatte immer noch keine Farbe, und sie war schweißgebadet.

«Du solltest besser mal zum Arzt gehen. Und heute auf jeden Fall nach Hause. Soll ich eine Streife fragen, ob sie dich fahren?»

Johanna ächzte. «Wenn die Kerle irgendwelche Witze über die Wechseljahre reißen, hau ihnen bitte den Spüllappen um die Ohren», trug sie mir auf. Ich versprach es. Johanna war einige Jahre jünger als ich, aber bei manchen setzten die Hitzewallungen schon mit vierzig ein. Allerdings gehörte Übelkeit meines Wissens nicht zu den Symptomen.

Unsere fünfköpfige KiJu-Abteilung stand schon seit dem Frühherbst stärker unter Druck als je zuvor. Wir waren auf Delikte spezialisiert, die von Minderjährigen begangen wurden oder gegen sie gerichtet waren, und die Fallzahlen waren in der Corona-Zeit explodiert. Die Finanzierung der Abteilung lief zum Jahresende aus, und anscheinend wusste niemand, wer sich danach um unsere ungeklärten Fälle kümmern würde. Wir alle wollten die kriminellen Aktivitäten von Biris’ Gang so weitgehend aufklären wie nur möglich. Daneben liefen Ermittlungen zu Gewalt an Schulen, Onlinemobbing und Grooming. Es hätte genug Arbeit für die doppelte Anzahl von Polizeikräften gegeben, aber selbst unser Schicksal lag noch im Dunkeln. Ich wusste nicht, wo ich Anfang des nächsten Jahres arbeiten oder ob ich vielleicht arbeitslos sein würde.

Kein Wunder, dass die Erschöpfung bei Johanna physische Symptome auslöste.

«Ich sollte mich heute mit Nadiina Järvinen treffen, der Freundin von Biris. Das Gespräch ist schon dreimal verschoben worden, mal wegen Nadiinas Bauchschmerzen, mal wegen Verdacht auf Corona», stöhnte Johanna.

«Dann wird es jetzt eben zum vierten Mal verschoben, falls Koivu nicht einspringen kann. Wann wolltet ihr euch treffen?»

«Ich hatte versprochen, sie zum Mittagessen einzuladen. Aber sie will nur mit einer Frau sprechen. Angeblich geht es um intime Dinge.»

Johanna versuchte aufzustehen, sank aber aufs Sofa zurück.

«Ist Bob den ganzen Tag eingespannt?»

Johannas Mann arbeitete als Wissenschaftler an der Aalto-Universität und hatte keine festen Dienstzeiten, dafür aber irrsinnig viele langweilige Sitzungen. Johanna versprach, Bob anzurufen. Vielleicht konnte er sie abholen, andernfalls würde eine der Streifen sie nach Hause bringen. Johanna schien sich weiter keine Sorge um ihren Zustand zu machen, aber ich wusste, dass ihr Arbeitstag mitunter bis zu sechzehn Stunden hatte. Das war ein Zeichen schlechter Führung, folglich lag die Schuld bei ihrer Vorgesetzten, also bei mir. Unser ganzes Team arbeitete voller Leidenschaft, doch manchmal zehrte die Arbeit an den geistigen wie den körperlichen Kräften, und dagegen halfen weder Betriebsausflüge noch die Sonntagsreden der obersten Polizeiführung.

Ich ließ Johanna auf dem Sofa zurück und ging nachsehen, was die anderen trieben. Ville Puupponen hatte am Morgen an einer Teamsitzung der Kinderschutzbehörde teilgenommen und war danach zur Aufgabenverteilung in den Besprechungsraum gekommen. Er berichtete, der Elfjährige, der seine Mitschüler bedroht hatte, habe den Polizisten ernster genommen als seine Lehrerin, die Rektorin oder seine Eltern.

«Ich habe also doch noch ein bisschen Autorität», grinste er und biss in einen Donut mit hellblauen Streuseln. Kristo informierte kurz über die aktuelle Situation von Stan Schulin. Ich rief am Computer den Arbeitsplan für den heutigen Tag auf, bevor ich Edith Jansson antwortete.

Können Sie gegen halb vier anrufen? Ich melde mich, falls möglich. Wollen Sie Anzeige erstatten? Maria Kallio

Ich überlegte, ob ich Sofias kleiner Schwester je begegnet war. Meine Tochter Iida war dank guter Abiturnoten zum Mathematikstudium an der Universität Helsinki zugelassen worden. Sie wohnte mit drei anderen in einer Wohngemeinschaft im Stadtteil Lauttasaari. Eine von ihnen war Sofia Jansson, Iidas Mannschaftskameradin beim Synchroneiskunstlauf. Soweit ich wusste, studierte sie Geografie. Ich hatte sie als hochgewachsenes blondes Mädchen in Erinnerung, das wegen seiner Größe immer für Hebungen und als Mittelpunkt der Mühlen eingesetzt wurde.

Das erzähle ich erst am Telefon. Oder kann ich um die Zeit zum Polizeirevier kommen? Ich wohne in der Nähe, in Grankulla.

Ich überlegte kurz. Es war Freitag, ich hatte gehofft, früh Feierabend machen zu können und endlich einmal Zeit zu finden, Taneli und seiner Partnerin Mirina beim Training zuzuschauen. Sie arbeiteten gerade an ihren neuen Paarlaufprogrammen. Aber mein Instinkt sagte mir, dass Edith Janssons Anliegen wichtig war. Ich schrieb ihr, ich würde gegen halb vier in der Eingangshalle des Polizeigebäudes auf sie warten. Sie quittierte die Nachricht mit dem hochgereckten Daumenemoji.

Koivu und Puupponen würden die Befragung der minderjährigen Mitglieder von Biris’ Bande fortsetzen. Dabei ging es um ein einziges Ziel: an Biris selbst heranzukommen. Er war bereits volljährig, doch das Dezernat für Eigentumsdelikte hatte ihn uns bereitwillig überlassen, weil die Opfer seiner Gang fast ausnahmslos minderjährig waren.

«Ich kapier allerdings nicht, warum man Vierzehnjährigen einen Gürtel für dreihundert Euro oder Turnschuhe für tausend kauft», brummte Puupponen, während er in den Anzeigen gegen Biris’ Gang blätterte.

«Du bist ja bloß neidisch, weil dein Polizistengehalt für so was nicht reicht», frotzelte Kristo Pohjola. «Juuli bettelt gerade um eine Markenhandtasche, die fast fünfhundert Euro kostet. Ihre Mutter meint, sie sollte sie bekommen, damit sie nicht gemobbt wird. Als ich Kikka gefragt habe, was schlimmer ist, gemobbt oder brutal beraubt zu werden, hat sie den Hörer aufgeknallt und anschließend in einer Textnachricht alle Polizisten runtergeputzt, weil wir es angeblich nicht schaffen, auf den Straßen von Espoo für Sicherheit zu sorgen.»

Kristo hatte sich vor Jahren von der Mutter seiner Tochter getrennt, und ihr Verhältnis war immer noch angespannt. Kikka Pohjola war aus beruflichen Gründen nach Oulu gezogen und hatte ihre Tochter mitnehmen wollen. Juuli hatte es allerdings letzten Endes vorgezogen, bei ihrem Vater zu bleiben, und nun musste Kristo sich verrenken wie ein Akrobat, um Zeit mit seiner Tochter verbringen zu können. Juuli war dreizehn, und Kristo hatte ständig Angst, sie würde doch zu ihrer Mutter ziehen wollen.

«Vielleicht liefert uns Stans Vernehmung eine Handhabe, Biris zu verhaften», sagte ich optimistischer, als ich war, und bat Kristo mit mir in den Vernehmungsraum. Er hatte bisher noch nie mit Kristian Ljungberg zu tun gehabt.

Stanislaw Schulin war siebzehn, doch man hätte ihn ohne Weiteres für zehn Jahre älter halten können. Er maß nur wenig mehr als eins siebzig, war aber massiv gebaut. Seine Augen waren auffällig blau, seine markanten Gesichtszüge durchaus anziehend. Tattoos wanden sich wie Schlangen vom Hals unter das Kinn und die Ohren, schlängelten sich um die Handgelenke und über die Handrücken. Er hatte lautstark protestiert, als er seine Ringe, seine Uhr und seine Halskette ablegen musste, bevor er in die Zelle gebracht wurde. Koskinen, der Diensthabende im Zellentrakt, hatte mir gesagt, Stans große Ringe taugten auch als Schnittwaffen oder Schlagringe.

Als Schulin den Raum betrat, knurrte er eine Art Gruß, setzte sich an den Tisch und betrachtete seine Hände.

Kristian Ljungberg wünschte uns einen guten Tag, in offiziellem Ton, als würde er uns zum ersten Mal sehen. Er maß Kristo mit seinem Blick, als wollte er abschätzen, wie viel Aufwand er betreiben musste, um sich bei ihm Respekt zu verschaffen. Kristos Glatzkopf und seine abgetragene braune Lederjacke gaben ihm bei Jugendlichen durchaus Glaubwürdigkeit, aber welche Schlüsse mochte Kristian daraus ziehen? Mich kannte er, und er machte sich ein Vergnügen daraus, mir die Arbeit mit allen gesetzlich erlaubten Mitteln zu erschweren.

Da ich beruflich mit jungen Leuten zu tun hatte, kleidete ich mich in der Regel leger. Für Stan Schulins Vernehmung hatte ich jedoch eine förmlichere Kleidung gewählt, ein bequemes dunkelgrünes Etuikleid, einen schwarzen Blazer und Lederstiefel mit fünf Zentimeter hohen Absätzen. Meine Haare hatte ich im Nacken zum Knoten gebunden, aber ein paar rote Strähnen hatten sich bereits gelöst und fielen mir über die Ohren. Vielleicht freute es Kristian, dass dazwischen schon vereinzelte graue Haare zu entdecken waren.

Er selbst hatte keine, dank seines guten Friseurs. Der viel beschäftigte Jurist schaffte es außerdem, sich um seine Kondition zu kümmern. Sein dunkelgrauer Anzug saß maßgeschneidert, zum Hemd in hellem Violett trug er eine Seidenkrawatte in verschiedenen Lilatönen. Die Krawattennadel zierte ein Amethyst. Stan Schulin wusste, was die Markenartikel von Jugendlichen wert waren, aber kannte er sich auch mit den Klamotten eines fünfzigjährigen Anwalts aus? Und vor allem: Wieso konnte Stan sich Kristian leisten, wer hatte ihn empfohlen? Natürlich hätte ich ihn danach fragen können, aber eine Antwort hätte ich wohl nicht bekommen.

«Das Handy und der Computer meines Mandanten wurden beschlagnahmt, und er wurde in der Wohnung seines Freundes festgenommen, wo er sich vorübergehend aufhielt. Da er minderjährig ist, müssen besonders gute Gründe für diese Maßnahmen vorliegen. Die Polizei hat jedoch keine Verhaftung gefordert, also gehe ich davon aus, dass mein Mandant nach dieser Vernehmung unverzüglich auf freien Fuß gesetzt wird. Vorher möchte ich allerdings die Gründe für die Konfiszierung und die Festnahme erfahren.»

«Kennst du die etwa nicht, obwohl du Stanislaw Schulins Verteidiger bist?»

Kristian warf mir einen verärgerten Blick zu.

«Nicht so schnippisch, Kallio. Ich möchte die Gründe der Polizei hören.»

«Es gibt gewichtige Gründe für den Verdacht, dass dein Mandant Diebesgut versteckt und schwere Raubüberfälle begangen hat. In der Wohnung, in der er festgenommen wurde, hat man Kleidungsstücke und Accessoires sichergestellt, die den Opfern vom Leib gestohlen wurden. Auf dem beschlagnahmten Computer ist Material gespeichert, das unseren Verdacht bestätigt. Stan und seine Kumpane haben ihre Taten auf Video aufgenommen. Entsprechende Videos wurden auch auf seinem Handy gefunden.»

Kristian seufzte, als wäre ich eine Idiotin, der man alles mehrmals erklären muss.

«Stan dreht Kurzfilme. Die Szenen sind gestellt.»

Eine ziemlich unbeholfene Erklärung, dachte ich bei mir. Man hatte nicht versucht, die Identität der Opfer auf den Raubvideos zu verschleiern. War Kristian das etwa nicht klar?

«Außerdem wurde auf seinem Computer sadistisches Material gefunden, das auf Kriegsverbrechen hindeutet», fügte Kristo Pohjola hinzu. Ich war froh, dass er die Sache zur Sprache brachte. Die Aufnahmen hatten sich in mein Gedächtnis gebrannt, und ich hätte es nicht geschafft, so ruhig darüber zu sprechen wie Kristo.

«Davon weiß mein Mandant nichts. Er hatte sein Laptop bei Treffen mit Freunden und an öffentlichen Orten bei sich. Außerdem kann man Links auch über die Cloud auf gekaperte Rechner schicken, ohne Wissen des Nutzers. Ist IT dein Spezialgebiet, Pohjola? Oder deins, Maria?», fragte Kristian spitz.

Stan Schulin stöhnte auf.

«Ich hab nix getan. Das Zeug gehört mir nicht, und ich weiß nix davon. Irgendwer hat meinen Rechner geknackt. Ich bin minderjährig, lasst …»

Kristians Blick verriet, dass er Stan am liebsten das Wort verboten hätte. Stattdessen fragte er:

«Ist mein Mandant auf den Videos zu erkennen, auf denen Jugendliche beraubt werden?»

Stan wollte etwas sagen, hielt sich diesmal aber auf Kristians Geste hin zurück. Vermutlich hatte Kristian ihm nahegelegt zu schweigen und ihm weisgemacht, es sei die Aufgabe des Anwalts, die Polizei zu vernehmen, damit wir uns unterlegen fühlten. Offenbar kannte er mich doch nicht so gut, wie er glaubte.

Während des Jurastudiums waren wir ein knappes Jahr lang zusammen gewesen. In unserem Fall traf der alte Spruch von den Gegensätzen, die sich ergänzen, nicht zu, und Kristian hatte es nicht ertragen, dass ich bei den Prüfungen besser abschnitt als er. Ich hatte das Studium abgebrochen und war in den Polizeidienst zurückgekehrt, was er als eine Art Sieg gewertet hatte. Unsere kurze Beziehung lag schon so lange zurück, dass wir uns deshalb nicht als befangen betrachteten, wenn wir beruflich miteinander zu tun hatten. Ich trug Kristian nichts nach, wir hatten damals beide beschlossen, uns zu trennen. Über seine Gefühle war ich mir nicht immer sicher. Im Beruf waren wir oft Kontrahenten, aber das bedeutete nicht zwangsläufig, dass man sich auch außerhalb der Sitzungsräume feindselig gegenüberstand. Trotzdem behandelte Kristian mich meistens wie eine Gegnerin.

Wir setzten unsere Auseinandersetzung über Stans rechtliche Stellung fort. Wenn er volljährig gewesen wäre, hätten wir ausreichende Gründe gehabt, ihn länger festzuhalten und einen gerichtlichen Haftbefehl zu beantragen. Kristian betonte, dass die Polizei bei der Hausdurchsuchung mutmaßliches Diebesgut beschlagnahmt hatte und bei der Gelegenheit an Stans digitale Endgeräte gelangt war. Für einen Minderjährigen sei der Aufenthalt in der Zelle ein traumatisches Erlebnis, unter dem auch der Schulbesuch leide. Allerdings war Stan meines Wissens trotz der gesetzlichen Schulpflicht bei keiner Lehranstalt gemeldet. Er war in Finnland geboren, aber seine Mutter war vor Jahren nach Malmö gezogen, und sein Vater war tot. Als Erziehungsberechtigter fungierte ein Onkel, der mit seiner Familie in Suvela wohnte. Anfang Januar würde Stan volljährig werden.

Unsere Fragen wurden ein ums andere Mal abgeschmettert, der junge Mann wusste, wie man sich der Polizei gegenüber verhalten musste, und die Unterstützung des erfahrenen Anwalts stärkte sein Selbstvertrauen. Er stritt alles ab, was sich abstreiten ließ. Auf ein paar Raubvideos war eine Person zu sehen, die sich so bewegte wie er, aber natürlich waren alle maskiert. Als Kristo behauptete, auf einer Aufnahme Stans Ringe zu erkennen, gelang es dem jungen Mann kaum, seine Unruhe zu verbergen.

«Die Ringe beweisen gar nichts. Die kann jeder tragen. Sogar absichtlich, als Täuschung. Lass dir was Besseres einfallen, Pohjola», ging Kristian dazwischen. «Ockhams Rasiermesser schneidet nicht immer am schärfsten, und im Dunkeln sind nicht alle Katzen grau.»

Kristians weihevoller Ausspruch brachte sowohl Stan als auch Kristo Pohjola dazu, ihn verdattert anzustarren. Der Jurist verdrehte die Sätze immer weiter, bis wir schließlich klein beigaben. Es bestand kein Grund, den Minderjährigen länger festzuhalten. Kristian versprach, dafür zu sorgen, dass Stan bei Bedarf für weitere Befragungen erreichbar war. Soweit ich wusste, hatte der junge Mann keinen Pass, aber für Biris’ Gang würde es kein Problem darstellen, einen zu beschaffen.

«Wann kriege ich mein Handy wieder?», fragte Stan beim Aufbruch.

«Ich bringe es dir am Montag vorbei», versprach Kristo freundlich lächelnd. Als sich die Tür hinter den beiden schloss, grinste er mich an. «Der hat garantiert haufenweise Ersatz in irgendeinem Versteck. Sollten wir jemanden hinter ihm herschicken, um zu sehen, wohin er als Erstes geht? Ohne Handy hält so einer nicht lange durch. Hoffentlich beklaut er nicht gleich den Erstbesten, der ihm über den Weg läuft.»

«Gute Idee. Aber was wollen wir erreichen? Dass er die Streife bemerkt und brav nach Hause geht oder dass ihm jemand in Zivil folgt und hofft, dass er uns zum Versteck führt?», überlegte ich.

Kristo sah mich nachdenklich an und rieb sich die Glatze, bevor er antwortete.

«Stan ist vielleicht nicht der Gescheiteste, aber Ljungberg hat ihm vermutlich Anweisungen gegeben. Heute geht er bestimmt erst mal nach Hause.»

«Am besten gehst du mit Tarvainen weiter das Videomaterial durch. Stan behauptet zwar, jemand anders hätte es bei ihm hochgeladen, aber wenn wir die Angreifer und die gestohlenen Sachen identifizieren können, müsste es für eine Anklage reichen.»

«Dieser Ljungberg ist anscheinend ein gerissener Fuchs», lachte Kristo. «Das könnte sich für uns noch als Vorteil erweisen. Vielleicht überredet er Stan zu einem Geständnis, in der Hoffnung auf eine kürzere Strafe.»

Kristo griff in die Brusttasche seiner Jacke, holte eine Dose Kautabak heraus und schob sich eine Portion unter die Oberlippe. Er hielt sein Laster vor seiner Tochter geheim, seit Juuli ihm eine Predigt über das Risiko von Mundkrebs und das schlechte Vorbild für Jugendliche gehalten hatte. Ich selbst hatte nach der frustrierenden Vernehmung Lust auf Salmiak, von dem ich immer einen Vorrat in meiner Schreibtischschublade hatte.

Johanna hatte auf dem Tisch im Besprechungsraum einen Zettel hinterlassen.

Bob bringt mich nach Hause. Morgen früh Termin beim Betriebsarzt. Danach melde ich mich. Ich versuche, zu Hause noch ein paar dienstliche Anrufe zu erledigen. Johanna.

Zu gewissenhaft – ist wohl eine Berufskrankheit, dachte ich. Da kam Oona Tarvainen herein. Auch sie übte ihren Beruf mit Leidenschaft aus. Sie war Anfang dreißig, promovierte Ingenieurin und Reservegefreite, hatte eine Polizeiausbildung absolviert und war bei der Polizei von West-Uusimaa mit Freuden als IT-Expertin aufgenommen worden. Zum Glück gab es keine Mindestgrenze für die Körpergröße mehr, denn Oona war noch kleiner als ich. Sie hatte alle physischen Tests glänzend bestanden und konnte nicht nur lesen, schreiben und rechnen, sondern auch analysieren.

Ich wäre gern dabei gewesen, wenn Oona und Kristo nachforschten, wie das Kriegsvideo auf Stans Computer gelangt war, aber ich hatte eine meiner unangenehmsten Aufgaben als Chefin zu erledigen. Seufzend ging ich in mein Dienstzimmer, um den Arbeitsstundenbericht auszufüllen. Dafür würde ich eine ganze Menge Salmiak brauchen.

3

Nach drei Uhr half auch kein Salmiak mehr, also kniete ich mich auf den Fußboden und fing an, mit der Nase eine horizontale Acht nachzuzeichnen, das Symbol der Ewigkeit. Beim Entspannungstraining hatte es geheißen, diese Bewegung fördere die Kreativität. Je kleiner die Acht, desto besser. Ich versuchte mich auf die Form zu konzentrieren und vor dem Treffen mit Edith Jansson alles andere aus meinem Kopf zu verbannen. Das gelang mir auch beinahe, bis Koivu ohne anzuklopfen hereinstürmte und schnaufte:

«Ich hab’s geschafft … Was zum Teufel treibst du da?»

Ich stand auf.

«Ich stimuliere mein Gehirn. Was hast du geschafft?»

«Nadiina Järvinen zum Reden zu bringen. Die Freundin von Biris. Sie ist nämlich momentan seine Ex-Freundin. Biris hat sie betrogen.»

«Hatte sie nicht gesagt, sie wollte nur mit einer Frau reden?»

Koivu lächelte. «Ich habe meinen väterlichen Charme spielen lassen. Nein, ich habe sie angerufen, um ihr zu sagen, dass Johanna krank geworden ist, und um für meine Kollegin einen neuen Termin zu vereinbaren. Nadiina hatte offenbar gerade erfahren, dass Biris mehrere Eisen im Feuer hat. Sie hatte eine Mordswut.»

«In welcher Rolle hast du sie befragt?»

Nadiina Järvinen war Anfang zwanzig, ein Jahr jünger als Biris. Soweit wir wussten, waren die beiden seit zwei Jahren liiert, und Nadiina war in Leppävaara als der gefährliche Hausdrachen von Biris berüchtigt, aber gewalttätig war sie noch nie geworden.

«Als Zeugin. Allerdings sieht die Gucci-Handtasche, die sie dabeihatte, ziemlich genauso aus wie die, die vor einem Monat in Suvela geklaut wurde.»

«Konntest du ein Foto davon machen?»

Koivu lächelte und holte sein Handy heraus. «Sie hat mir erlaubt, das ganze Gespräch aufzunehmen. Also habe ich ein Video gemacht. Das taugt vor Gericht nicht als Beweis, und einer wie dein Kristian würde die ganze Geschichte komplett zerpflücken, aber wenigstens haben wir irgendeine Grundlage. Hoffentlich verrät Nadiina Biris nicht, dass sie gesungen hat. Sonst sind ihre hübschen künstlichen Wimpern in Gefahr.»

«Schick mir das Video, ich sehe es mir heute Abend an. Jetzt muss ich zu einem Termin. Lass uns später auf Whatsapp schreiben.»

«Okay», sagte Koivu und legte mir eine Hand auf die Schulter. Ich umarmte ihn rasch. Dann ging ich nach unten ins Erdgeschoss, um zu hören, was Edith Jansson auf dem Herzen hatte.

Die junge Frau erwartete mich in der Eingangshalle. Sie wirkte wie ein Kind, das sich verlaufen hat, obwohl sie zwanzig Zentimeter größer war als ich. Sie hatte breite Schultern und die Hände einer Werferin, die langen blonden Haare waren zum Pferdeschwanz gebunden. Unter ihrer hellblauen Daunenjacke war ein dunkelgrüner Trainingsanzug mit dem Logo eines Sportvereins zu sehen.

«Edith Jansson? Ich bin Kommissarin Maria Kallio. Gehen wir nach oben in mein Dienstzimmer, da können wir ungestört reden.»

Edith nickte, dann schluckte sie. Sie blickte sich in der Eingangshalle um, in der es schon ruhig geworden war. Draußen fiel immer noch Schneeregen, die Dämmerung schien zu früh anzubrechen.

«Ich weiß nicht … Vielleicht ist es ein Fehler … Aber Iida und Sofia meinten, Sie könnten mir helfen.»

Ediths Finnisch war fehlerlos, mit einer winzigen Spur vom singenden Tonfall des Finnlandschwedischen. Sie sah mir immer noch nicht in die Augen, sondern starrte an die Decke.

«Also, ich … Ich will keine Anzeige erstatten und möchte Ihre Zeit nicht verschwenden. Vielleicht ist es gar nicht …»

«Gehen wir nach oben, dann kannst du mir in Ruhe erzählen, was dich bedrückt.» Ich bemühte mich um einen mütterlich sanften Ton. «Möchtest du etwas trinken? Kaffee, Tee, Limo?»

«Ich habe Sprudel dabei», sagte Edith und zeigte auf die Seitentasche ihres Rucksacks, in der eine dunkelgrüne Aluminiumflasche steckte. Ich ging zum Treppenhaus und öffnete die Tür mit meinem Transponder. Edith blieb stehen, wo sie war. Dann drehte sie sich um, als wollte sie weglaufen. Ich wollte ihr schon nachsetzen, begriff dann aber, dass ich kein Recht hatte, sie zum Reden zu zwingen. Ich musste nur Geduld haben.

Schließlich folgte sie mir. In ihrem ungeschminkten Gesicht waren noch Aknespuren zu sehen. Ihr Parfüm duftete nach Apfelblüten.

In meinem Büro bot ich ihr einen Platz auf dem Sofa an und setzte mich nach kurzem Überlegen an meinen Schreibtisch. Das Mädchen setzte den Rucksack ab, zog die Jacke aus, legte beides sorgfältig neben sich aufs Sofa und blickte über mich hinweg an die Wand.

«Du wolltest mir etwas erzählen, das dich bedrückt. Darf ich dir zuerst eine Frage stellen? Wie alt bist du?»

«Sechzehn. Aber ich spiele schon in der Frauenmannschaft, weil wir nicht so viele sind. Also Handball. Unsere Mannschaft heißt Grankulla Bollkatter, die Ballkatzen von Grankulla, aber es sind auch Spielerinnen aus Espoo und Kirkkonummi dabei, und Laura wohnt jetzt ja wohl in Helsinki …»

Sie verstummte kurz. Ich überlegte, ob ich das Gespräch aufnehmen oder mir Notizen machen sollte, fürchtete aber, Edith damit einzuschüchtern.

«Wir spielen in der ersten Liga, aber eher zum Vergnügen, nicht so wahnsinnig ehrgeizig. Dreimal wöchentlich Training und ein bisschen Nebenprogramm, Zirkeltraining und Jogging und so. Aber in der letzten Saison hat sich alles irgendwie verändert. Saga hat einen Jungen kennengelernt, Janne, und das fanden die anderen nicht gut. Als hätte das Saga daran gehindert, sich auf den Sport zu konzentrieren. Am Ende der Saison hat sie dann die Mannschaft verlassen. Ich hab ihr gesagt, sie soll mit Peik reden, aber sie wollte lieber aufhören. Und jetzt schikanieren sie mich, und ich hab versucht, es Peik zu sagen, aber er … Er konnte damit nichts anfangen.»

Die Worte sprudelten nur so hervor, Edith blinzelte, konnte aber nicht verhindern, dass ihr ein paar Tränen über das Gesicht liefen. Sie wischte sie mit dem Handrücken ab.

«Und wer ist Peik?»

«Peik Adlerwalt ist unser Trainer. Er war bisher total in Ordnung, aber … Als hätte er Angst vor Fiona und den anderen. Das sind ja auch die Besten, und er will sie nicht verlieren.»

«Wie schikanieren sie dich denn?»

Edith wurde rot und sagte eine Weile gar nichts, wischte sich nur noch ein paar Tränen ab, die es bis zum Kinn geschafft hatten. Ich nahm ein Papiertaschentuch aus der Schublade und reichte es ihr.

«Iida und Sofia haben gesagt, dass es genauso schlimm ist, wenn Frauen andere Frauen sexuell belästigen, wie wenn Männer das tun. Und dass es die Zicken überhaupt nichts angeht, ob ich einen Freund habe oder wie groß mein Busen ist oder was auch immer! Peik war immer so fair und verständnisvoll, ich konnte ihm erzählen, wenn ich meine Tage hatte und wegen der Schmerzen nicht voll einsatzfähig war, das war völlig okay. Aber es ist natürlich kompliziert, weil wir jetzt endlich einen guten Sponsor haben, die Firma von Ericas Vater. Peik hat Angst, dass wir das Geld verlieren, wenn er Erica zurechtweist.»

Edith putzte sich die Nase, zerknüllte das Taschentuch und riss kleine Fetzen davon ab.

«Ich hätte nicht herkommen sollen! Aber meinen Eltern kann ich es auch nicht erzählen. Die haben die heutige Welt nicht auf dem Schirm, die würden bloß sagen, geh raus aus diesem Lesbenklub. Es gibt ja noch andere Hobbys. Aber ich mag Handball, und unsere Mannschaft war bisher echt toll. Also bis zur letzten Saison. Ich kapier nicht, was damals über die gekommen ist, warum sie angefangen haben, auf Saga rumzuhacken, und jetzt auf mir.»

«Wie alt sind Fiona und Erica?»

«Zwanzig oder so. Sie studieren in Helsinki an der Uni und an der Handelshochschule. Und ich hab keine Lesbenphobie, von mir aus können sie sein, was immer sie sind, solange sie mich in Ruhe lassen!»

Ich überlegte kurz und fragte dann, ob die Mannschaft neben dem Trainer weitere Vertrauenspersonen hatte, zum Beispiel einen Mannschaftsleiter oder den Vorsitzenden des Sportvereins.

«Unsere Mannschaftsleiterin ist Ericas Mutter. Mit der kann ich nicht reden! Soll ich ihr etwa erzählen, dass ihre Tochter mich in den Oberschenkel gekniffen und sich gefragt hat, ob der muskulös genug ist?»

Die Taschentuchfetzen fielen auf den Fußboden wie Schneeflocken, doch Edith schien gar nicht zu merken, dass sie sie abriss.

«Ihr seid also ein ziemlich kleiner Kreis. Wie äußert sich das Mobbing gegen dich?»

«Saga haben sie wegen ihrem Freund angemacht. Ob sie nicht ohne Schwanz leben kann und so einen Scheiß. Wie kleine Jungs. Mich fragen sie auch aus, ob ich jemanden habe und ob ich noch Jungfrau bin. Manchmal rücken sie mir zu dicht auf die Pelle, auch wenn es keinen Grund dafür gibt. Ich dusche auch nicht mehr mit den anderen, seit Fiona mir so fest auf den Hintern gehauen hat, dass es noch tagelang zu sehen war. Dann gehe ich eben verschwitzt nach Hause.»

«Hast du deinen Mitspielerinnen gesagt, dass ihr Verhalten dir nicht gefällt?»

Kaum waren mir die Worte entschlüpft, als ich begriff, dass sie wie eine Beschuldigung klangen. Warum warst du betrunken, warum bist du mit einem Fremden mitgegangen, warum hast du nicht energisch genug Nein gesagt? Solche Fragen stellte man Opfern sexueller Gewalt. Ich sollte inzwischen gelernt haben, das nicht zu tun. Als ich gerade zu einer Entschuldigung ansetzte, antwortete Edith:

«Ich habe ihnen gesagt, dass es sie nichts angeht, ob ich einen Freund habe. Und beim Handball gibt es immer wieder Körperkontakt, das ist typisch für die Sportart. Manchmal glaube ich, ich bilde mir das Ganze bloß ein. Denken Sie auch so, so wie Peik …?»

Edith schluckte die Tränen hinunter.

«Nein. Aber du willst keine Anzeige erstatten?»

«Dann wissen sie doch gleich, dass ich es war.»

«Und wer ist eure Mannschaftskapitänin?»

«Fiona», schluchzte Edith.

Ich erinnerte mich an das Mädchen, das ich vor Jahrzehnten gewesen war. Das Mädchen, das in einer Jungenmannschaft Fußball spielte, weil es in Arpikylä keine Mädchenmannschaft gab. Das sich dort wohlfühlte, bis ihr Körper weibliche Formen annahm. Ich war zwar nur ein- oder zweimal von ein paar Spielern begrapscht worden, aber noch mehr hatte es mich verletzt, dass keiner der anderen mir beigestanden hatte. Der Trainer riss derart schmutzige Witze, dass es sinnlos gewesen wäre, mich bei ihm zu beschweren. Ich hatte schließlich kapituliert und mich lange dafür geschämt, bis ich endlich begriffen hatte, dass ich nicht immer die tapfere Einzelkämpferin zu sein brauchte.

Ich wollte nicht, dass es Edith Jansson genauso erging.

«Es ist sehr gut, dass du damit zu mir gekommen bist. Kannst du mir die Kontaktdaten von Saga und Peik geben? Ich fange bei den beiden an. Und du könntest eine Art Liste der Vorfälle aufstellen. Ich verstehe, wie bedrückend es ist, sich an unangenehme Erlebnisse zu erinnern, aber es wäre gut, wenn ich etwas Konkretes in der Hand hätte. Glaubst du, dass Saga – wie heißt sie übrigens mit Nachnamen? – bereit ist, mit mir zu reden?»

«Saga Sundholm. Ich weiß es nicht, seit dem Frühjahr haben wir keinen Kontakt mehr. Sie hat alle Verbindungen abgebrochen, als sie ging. Für Peik war es ein harter Schlag, weil Saga überhaupt keine Erklärung abgegeben hat.»

«Ich kann die beiden befragen», versprach ich, obwohl ich wusste, dass ich dafür eigentlich keine Zeit hatte. Ich fragte, ob die Mannschaft eine Webseite hatte, bei Facebook oder Instagram zu finden war. Und wann war das nächste Spiel? Nächste Woche Samstag, sagte Edith. Von zu Hause hatte ich es nicht weit zur Ballspielhalle in Kauniainen, und ein Handballspiel hatte ich mir noch nie angesehen. In meiner Jugend in Arpikylä galt Handball als Sport für feine Pinkel und wurde nicht einmal in der Oberstufe gespielt. An der Polizeischule war ich zu meiner alten Liebe, dem Fußball, zurückgekehrt und hatte gelegentlich auch Volleyball gespielt. Nur konnte ich das Netz nicht annähernd so gut erreichen wie die zwanzig Zentimeter größeren Spielerinnen. Beim Fußball war meine geringe Körpergröße manchmal von Vorteil gewesen, weil ich der Gegnerin den Ball aus überraschenden Winkeln abjagen konnte.

Ediths Handy klingelte in ihrem Rucksack, sie nahm es heraus und meldete sich.

«Hej mamma, jå jag är på väg», sagte sie auf Schwedisch und warf mir einen vielsagenden Blick zu. Ich zog einen imaginären Reißverschluss an meinem Mund zu, was Edith zum Lächeln brachte.

Ich begleitete sie nach unten und versprach, mich Anfang der Woche zu melden. Welche Arbeitszeiten mochten Handballtrainer haben? Aber Peik Adlerwalt hatte sicher noch einen anderen Job. Konnte ich ihn am Samstag stören? Wahrscheinlich fanden Trainingsstunden und Spiele gerade am Wochenende statt.

Als ich meine Sachen aus dem Büro holte, merkte ich, dass die Begegnung mit Edith mir das Herz erwärmt hatte. Als könnte ich an meinem jungen Ich etwas wiedergutmachen. Es freute mich auch, dass Iida Edith geraten hatte, sich an mich zu wenden. Sie vertraute darauf, dass ihre Mutter eine Lösung finden würde. Ich nahm mir vor, meine Tochter anzurufen, wenn ich zu Hause war und mich umgezogen hatte.

Die Pasta mit Pfifferlingen, die Antti zubereitet hatte, duftete bis zur Haustür. Er versprach obendrein, die Sauna anzuheizen. Unsere Katze Carolina sehnte sich nach Streicheleinheiten und nahm mich auf dem Sofa in Beschlag. Ich merkte, dass Koivu das Video der Befragung von Nadiina Järvinen auf mein Diensthandy geschickt hatte, konnte mich aber nicht dazu aufraffen, es mir anzusehen. Vielleicht morgen … Ich erreichte Iida, doch sie wollte gerade mit ihren Freundinnen ins Theater gehen und versprach, später zurückzurufen. Mit Carolina im Arm schlief ich auf dem Sofa ein.

Ich schrak auf, als mein Diensthandy klingelte. Es war elf Uhr, warum hatte Antti mich nicht zur Sauna geweckt? Am Telefon war Puupponen, der für unser Team Bereitschaftsdienst hatte.

«Die Teufelsstreife hat sich gemeldet. Im Wäldchen hinter dem Golfplatz in Tapiola wurde eine Leiche gefunden.»

«Aha …», murmelte ich verschlafen und wunderte mich, wieso der Fall die KiJu-Abteilung betraf.

«Das Opfer hat heute tagsüber noch bei uns in der Zelle gesessen. Montonen hat ihn erkannt, er hatte ihn ja gestern selber festgenommen.»

Plötzlich war ich hellwach. Carolina fauchte wütend, als ich so schnell aufstand, dass sie von meinem Schoß auf den Boden rutschte.

«Das Opfer ist also …»

Puupponen antwortete, bevor ich zu Ende gesprochen hatte: «Ja. Stanislaw Schulin.»

4

Ich steckte mir das Handy in den BH und schaltete den Lautsprecher ein. Dann setzte ich Kaffee auf und wusch mir das Gesicht. Draußen fiel Schneeregen, also zog ich die Goretex-Sachen an. Mütze, Handschuhe, hohe Stiefel. Antti schnarchte im Schlafzimmer, das Klingeln des Handys hatte ihn also nicht geweckt. Merkwürdig. Aber jetzt hatte ich keine Zeit, darüber nachzudenken. Ich füllte den Kaffee in einen Thermobecher und ging hinaus in den Schneeregen. Zum Glück kam der Niederschlag noch überwiegend als Regen herunter, ich brauchte die Autofenster also nicht freizukratzen, sondern nur die Scheibenwischer einzuschalten.

«Am besten fährst du über die Makslahdentie, die Nummer neunzehn ist ein großer Reihenhauskomplex mit Parkplatz. Ich bin schon da, Ivic und die anderen von der Kriminaltechnik auch. Drei Streifen durchkämmen die Umgebung.»

Ich fuhr von unserem Grundstück auf die Straße und überlegte, ob ich die Nebelscheinwerfer einschalten sollte. Der Schneeregen war wie ein dichter Vorhang, durch den man nur ab und zu einen Blick erhaschte. Auf der Erde schmolz er zu glitschigem Matsch. Es herrschte kaum Verkehr, denn die Zeit der vorweihnachtlichen Betriebsfeiern hatte noch nicht begonnen, und bei diesem Hundewetter ging nun wirklich niemand freiwillig nach draußen. Selbst Carolina hatte nicht versucht, mit mir zusammen aus dem Haus zu schlüpfen.

Ich bog in die Turveradantie ein und passierte die Ecke des Golfplatzes. Die Makslahdentie säumten friedlich aussehende Einfamilienhäuser, in vielen Fenstern schimmerte das bläuliche Licht eines Fernsehers oder Computers, aber an manchen Türen standen auch Leute. Polizeistreifen waren in dieser Gegend kein alltäglicher Anblick. Was hatte Stan Schulin hier zu suchen gehabt, er wohnte doch in Suvela? Wir hatten den jungen Mann erst am Nachmittag freigelassen. Die Freude hatte nicht lange gewährt.

Auf dem Parkplatz des Reihenhauskomplexes standen drei Streifenwagen, Puupponens funkelnagelneuer Škoda und zwei Fahrzeuge der KTU, die ihre starken Scheinwerfer auf das Wäldchen gerichtet hatten. Ich zog den Reißverschluss meiner Jacke bis zum Kinn hoch und die Mütze bis zu den Augenbrauen herunter, band die Kapuze zu und stellte fest, dass mein linker Handschuh an der Spitze des Ringfingers einen Riss hatte, durch den der Wind eindrang. Ich würde die Techniker um einen Schutzhandschuh bitten müssen.

Ich meldete Puupponen, dass ich angekommen war. Dann knipste ich die Taschenlampe an und überquerte die kleine Brücke, die in das feuchte Wäldchen führte. Die Kiefern und die schlanken Birken schwankten trostlos im Wind. Obwohl der Tote identifiziert worden war, wollte ich Stan Schulins Leiche mit eigenen Augen sehen. Das Technikerteam hatte zum Schutz ein Zelt aufgebaut, das im Wind knatterte und knarrte.

Stan war siebzehn gewesen. Für sein Alter ein abgebrühter Verbrecher, wahrscheinlich auf dem Weg in die Hochschule von Kerava, wie das Jugendgefängnis auch genannt wurde. Er hatte zwar Diebstähle und Körperverletzungen auf dem Konto, aber noch vor zwölf Stunden hätte er die Möglichkeit gehabt, seinem Leben eine andere Richtung zu geben.

Wenn er einen weniger versierten Anwalt als Kristian Ljungberg gehabt hätte, wäre er vielleicht noch am Leben. Zwar in der Zelle, aber lebendig. Mir wurde klar, wie absurd meine Überlegungen waren. Sie nützten nichts, das Einzige, was ich jetzt noch für Stan tun konnte, war, seinen Mörder vor Gericht zu bringen.

Ville Puupponen hatte rote Fäustlinge dabei, die er wild schwenkte, als er mich sah. Die KTU-Leute hatten ihre weißen Overalls angelegt, und Ville hielt auch für mich einen bereit. Zusätzliche Kleidung war mir willkommen, allerdings flatterte der Plastikanzug im Wind um mich herum, bis ich ihn ordentlich geschlossen hatte. Nun noch die Gesichtsmaske, dann war ich bereit, in das Zelt zu kriechen, in dem Ivic und Keinänen bereits Proben nahmen.

Die Leiche lag rücklings auf dem morastigen Boden, Arme und Beine ausgebreitet. Sie wies zahlreiche Stichwunden auf, vor allem an Brust und Bauch. Ich zählte ungefähr zehn, aber unter dem zähflüssigen Blut und der zerrissenen Kleidung waren möglicherweise noch mehr. Das Gesicht war zu einer Grimasse verzogen, die Eckzähne spitz wie bei einer Katze. Trotz des verzerrten Gesichts erkannte ich Stan. Die Tattoos am Hals waren teilweise verdeckt, doch die sichtbaren Muster kamen mir nur zu bekannt vor.

«Wie habt ihr den Toten identifiziert?», fragte ich Ivic.

«Das Handy lag ein paar Meter neben der Leiche. In der Hülle steckte seine Krankenversicherungskarte. Daraufhin habe ich in unserer Datenbank nach seinem Foto gesucht, weil mir so war, als hätte ich erst neulich die DNA von jemandem mit diesem Namen untersucht, und das passte», erklärte Ivic ruhig.

«Stimmt, die hast du tatsächlich untersucht. Im Zusammenhang mit den Delikten von Biris’ Gang. Dieser Stan war noch heute früh bei uns in Haft. Ist Davidoff bald hier?»

«Der hat Corona. Irgendeine Vertretung macht die Leichenschau, aber das kann bis morgen früh dauern. Wird eine kalte Nacht für die Streifen. Der Bursche hier friert immerhin nicht mehr», sagte Ivic schwermütig.

«Wie ich es sehe, sind das da Stich- und Schnittwunden. Die Tatwaffe ist vermutlich ein Messer?»

«Wahrscheinlich. In unserem Job darf man nicht zu viele Vermutungen anstellen. Die Leichenstarre hat noch nicht eingesetzt. Eine frische Tat also, vielleicht eine Stunde her.»

Das helle, kalte Licht im Zelt ließ das Moos und das trockene Laub um die Leiche wie ein hyperrealistisches Kunstwerk erscheinen. Die Scheinwerfer wärmten den geschlossenen Raum, der Zeltstoff hielt den kalten Wind ab, aber ich war trotzdem froh, nach draußen zu kommen, weg von dem Toten. Ein Siebzehnjähriger, dachte ich, was für eine verdammte Verschwendung.

Puupponen erwartete mich draußen, er rieb seine Fäustlinge gegeneinander.

«Wer hat die Leiche gefunden?», fragte ich ihn und dachte wehmütig an meinen halb vollen Kaffeebecher, den ich im Auto gelassen hatte.

«Eine Joggerin, sie wohnt im Haus 19 O. Sie läuft sonst nicht durch den Wald, aber diesmal hat sie eine Abkürzung von der Turvesuontie genommen, weil sich ihr Schuh in einer Vertiefung auf dem Fußweg mit Wasser vollgesogen hatte. Sie ist zu Hause und ziemlich aus der Fassung. Pirkkalainen hat sie befragt, aber mit der offiziellen Aussage sollten wir uns bis morgen gedulden. Sie hat den Notruf alarmiert, hat es aber nicht über sich gebracht, bei der Leiche zu warten, sondern ist nach Hause gegangen und hat geduscht.»

«Ist jemand bei ihr?»

«Ihr Mann und ihre beiden kleinen Kinder. Die Dreijährige ist aus dem Schlaf aufgeschreckt und wundert sich, dass ihre Mutter nicht aufhört zu weinen. Es war ja auch ein schrecklicher Anblick, auch wenn unsereins schon alles Mögliche erlebt hat», sagte Puupponen kraftlos. «Aber ich dachte mir, dass du die Leiche selbst sehen willst.»

Wir kannten uns seit mehr als zwanzig Jahren und hatten gelegentlich auch privat miteinander zu tun. Puupponens schlechte Witze hatten uns beiden über manche schwierige Situation hinweggeholfen. Jetzt war uns nicht danach, Witze über die Empfindsamkeit von Unbeteiligten zu reißen. Der Tod eines jungen Menschen verschlug einem einfach die Sprache.

Puupponens Funkgerät schnarrte, er nahm es in die Hand und hielt es so, dass auch ich die Stimme des Sprechers hören konnte.

«Peltonen vom Müllschuppen, hallo. Hier sind Blutspuren, und es sieht aus, als hätte jemand das Schloss aufgebrochen. Wir gehen rein.»

Puupponen machte sich sofort auf den Weg zu den Reihenhäusern, ich folgte ihm schnellen Schrittes. Als wir den Müllschuppen erreichten, war Peltonen schon drinnen, Pirkkalainen leuchtete ihm.

«Polizei! Ist hier jemand?»

Der Lichtkegel fiel auf dunkle Tropfen auf der Erde, dann auf die Altpapiertonne. Als Peltonen sie öffnete, schrie er auf. Ein blutiges Messer schob sich aus der Tonne hervor.

Peltonen wich zurück und zog seine Waffe. Da ich unbewaffnet war, nahm ich Pirkkalainen den Scheinwerfer ab, damit er seinen Kollegen absichern konnte. Das Messer wurde von einer Hand in einem Lederhandschuh gehalten. Ich ging nicht näher heran, sondern überließ es den Kollegen, den Messerhelden herauszulocken.

«Polizei! Lass das Messer fallen und steh mit erhobenen Händen auf!»

«Verpisst euch. Ich hab nichts getan.»

Die Stimme war heiser, am Ende des zweiten Satzes brach sie. Eine junge Stimme, noch im Stimmbruch. Peltonen näherte sich vorsichtig dem Abfallcontainer.

«Komm schon raus», sagte er, als würde er versuchen, einen Hundewelpen hervorzulocken, der sich irgendwo verkrochen hatte. Pirkkalainen ging um den Behälter herum und begann, ihn nach vorne zu ziehen, in der Absicht, den Messerhelden auf die Erde zu kippen. Dabei bestand allerdings die Gefahr, dass der sich versehentlich selbst verletzte.

Begleitet von weiteren Flüchen kam ein Kopf mit einer schwarzen Mütze zum Vorschein. Das runde Gesicht wirkte kindlich, der Oberkörper in dem schwarzen Hoodie war breit. Der Junge ließ das Messer fallen, wobei er versuchte, Peltonens Fuß zu treffen. Peltonen konnte ihm gerade noch ausweichen. Puupponen hob die Waffe auf und steckte sie in einen Indizienbeutel. Der Junge kletterte heraus. Er war stämmig und etwa 1,75 Meter groß. An den Füßen trug er dicksohlige weiße Sneaker, die von roten Tropfen gesprenkelt waren.

Peltonen forderte mich mit einem Blick auf, die Führung zu übernehmen. Ich trat in den Lichtkegel.

«Hallo. Ich bin Kommissarin Maria Kallio von der Polizei West-Uusimaa. Wer bist du und was machst du hier mit dem Messer?»

Keine Antwort. Der Junge blickte über mich hinweg. Sein Atem roch nach Limo und Zigaretten. Seine Gesichtshaut war fettig, an der Nase und rund um die Augenbrauen hatte er Pickel.

«Zeigst du mir bitte deinen Ausweis?», fuhr ich fort.

«Ich brauch keinen. Ich bin minderjährig. Ihr könnt mich nicht verhaften.»

Jetzt starrte der Junge mir direkt ins Gesicht. Seine Augen waren hellblau und rund, aber sein Blick wirkte viel älter als seine restliche Erscheinung.

«Dann nenn mir deinen Namen und deine Personenkennziffer.»

«Weiß ich nicht auswendig.»

Der Junge wollte es uns tatsächlich nicht leicht machen.

«Ach, nicht mal deinen Namen? Dumm gelaufen. Dann fahren wir jetzt aufs Präsidium, um ihn herauszufinden», sagte ich in meinem härtesten Tonfall, obwohl es mir zuwider war, Minderjährige zu drangsalieren. Aber da der junge Mann möglicherweise jemanden getötet hatte, durften wir ihn nicht laufen lassen. Falls er unter fünfzehn war, würde der Jugendschutz ihn in Gewahrsam nehmen.

«Ihr könnt mich nicht verhaften», wiederholte der Junge, doch sein Versuch, den harten Burschen zu mimen, scheiterte daran, dass seine Stimme bei der letzten Silbe kiekste.

«Nimm die Hände hoch», forderte Pirkkalainen ihn freundlich auf. Der Junge funkelte ihn böse an, gehorchte aber. Als Pirkkalainen ihn abtastete, zappelte er wie ein Dreijähriger, der seinen Regenanzug nicht anziehen will. Weitere Waffen trug er jedoch nicht bei sich. Peltonen griff sich an den Gürtel, aber ich schüttelte den Kopf. Es erschien mir nicht richtig, einem Kind Handschellen anzulegen. Im schlimmsten Fall würde ein Außenstehender die Szene filmen, und dann hätten wir den Salat. Ich musterte den Jungen und überlegte, wo sein Handy sein mochte. Darauf würde sich womöglich etwas finden, mit dem wir ihn identifizieren konnten.

«Bringen wir den jungen Herrn also nach Kilo. Ville, fahr du mit meinem Wagen hinter uns her», sagte ich und reichte Puupponen den Autoschlüssel. Pirkkalainen und Peltonen nickten und packten den Jungen an den Armen. Er fluchte wieder und machte sich so schlaff, dass die beiden Kollegen ihn halb schleifen und halb tragen mussten. Ich folgte ihnen zum Streifenwagen und informierte unterwegs die Funkzentrale. Ein Verdächtiger ist festgenommen und wird zur Vernehmung gebracht. Sollten die anderen hier weiterarbeiten. Die Kleidung des Jungen musste zur kriminaltechnischen Untersuchung gebracht und seine Identität geklärt werden. Da er minderjährig war, mussten wir zudem den Bereitschaftsdienst des Jugendamtes und die Erziehungsberechtigten kontaktieren.

Der Junge hatte keine Ähnlichkeit mit den Bandenmitgliedern von Biris, denen ich bisher begegnet war. Konnte er zu einer konkurrierenden Gang aus Helsinki oder Vantaa gehören? Obwohl er so jung war, wusste er, wie er sich der Polizei gegenüber zu verhalten hatte. Aber einen Fehler hatte er bereits gemacht. Er hatte nicht gefragt, welcher Tat wir ihn verdächtigten. Er wusste es schon.

5

Peltonen stieg mit dem Jungen in die Transportkabine, ich setzte mich neben Pirkkalainen auf den Beifahrersitz. Er schaltete das Blaulicht ein. Neben dem Parkplatz hatten sich ein paar Leute versammelt, jemand fotografierte das Polizeifahrzeug, aber auf dem Foto würde man wohl keine Personen erkennen können.

«Ein seltsamer Knabe», meinte Pirkkalainen. «Kennst du ihn?»

«Nein, aber den Toten kannte ich. Wir haben ihn erst heute freigelassen. Ein Mitglied von Biris’ Bande, wenn dir das was sagt.»

«Ach, einer von denen.» Pirkkalainens Stimme wurde hart. «Wir waren im August als Erste am Tatort, als die einem Mädchen fast alles abgenommen hatten. Sie hatte nur noch BH und Slip an. Jeans, Jacke, Bluse und Schuhe, alles hatten sie geklaut, außerdem die Handschuhe, den Schmuck und ihr Handy. Den Ohrring haben sie ihr so heftig abgerissen, dass das Ohrläppchen gespalten war. Das Mädchen war völlig hysterisch. Ich hätte nie gedacht, dass ich so was in meiner Nachbarschaft in Kivenlahti erleben würde.»

Pirkkalainen war ungefähr zehn Jahre jünger als ich, arbeitete also seit bald zwanzig Jahren bei der Polizei. In der Zeit sollte er eigentlich gelernt haben, dass auch in der friedlichsten Gegend schlimme Dinge passieren konnten.

«Es ist Teil der Gemengelage, in der wir ermitteln. Raubüberfälle mit Körperverletzung. Aber ich hatte nicht erwartet, dass das Ganze in Mord ausartet», antwortete ich.

Obwohl der Schneeregen nachgelassen hatte, hielt Pirkkalainen dicht vor dem Haupteingang. Puupponen parkte mein Auto hinter uns und gab mir meinen Schlüssel und den Kaffeebecher, den ich dankbar entgegennahm.

Der Junge kletterte langsam aus dem Wagen und wäre beinahe über die Schwelle gestolpert. Im hellen Licht der Eingangshalle zeichneten sich die Blutflecken auf seinen Schuhen noch deutlicher ab.

«Bringen wir den Jungen in irgendeinen Vernehmungsraum, von mir aus in die Zwei. Holst du aus dem Zellentrakt einen Overall und Schuhe, damit wir seine Kleidung zur KTU bringen können?», bat ich Puupponen. «Peltonen, bleib bitte hier, bis Puupponen zurückkommt. Dann könnt ihr wieder zur Makslahdentie fahren.»

Der Junge blieb in der Eingangshalle stehen, betrachtete die hohe Decke und den leeren Antragsschalter.

«Ihr könnt mich nicht hier festhalten. Ich bin minderjährig», wiederholte er, diesmal in weinerlichem Ton.

«Ich brauche aber Personalangaben, die uns das beweisen. Gibt es jemanden, dem wir mitteilen müssen, wo du bist? Deine Eltern, andere Erziehungsberechtigte? Ist das Jugendamt für dich zuständig?»

«Leck mich doch, Alte», erwiderte der Junge, doch seine Stimme zitterte bereits.

Wir fuhren mit dem Aufzug zum Vernehmungsraum. Der Junge ließ sich unaufgefordert auf einen Stuhl fallen und schloss die Augen. Seine linke Hand zuckte in Richtung Hosentasche. Steckte dort sein Handy? Als Puupponen mit Overall und Strümpfen ankam, schien der Junge halb zu schlafen.

«So, geh dich umziehen», sagte Puupponen und zeigte zur Toilette, die sich an den Vernehmungsraum anschloss.

«Scheiße, das Zeug zieh ich nicht an.»

«Deine Sachen werden für die kriminaltechnische Untersuchung gebraucht», antwortete ich. Obwohl ich noch nicht wusste, wie alt der Junge war, beschloss ich, beim Bereitschaftsdienst des Jugendamtes anzurufen. Die nächtliche Befragung eines Minderjährigen sollte nicht ohne Aufsicht stattfinden.

«Ihr könnt mir meine Klamotten nicht wegnehmen!», schrie der Junge. «Das da zieh ich nicht an!» Peltonen und Puupponen wechselten einen Blick, dann packten sie den Jungen an den Ellbogen und zogen ihn hoch.

«Du möchtest dich sicher selbst ausziehen. Komm mit zur Toilette», sagte Puupponen freundlich.

«Verdammte Schwuchtel!», fauchte der Junge, ließ sich aber zur Tür führen. Puupponen räusperte sich und ging mit ihm hinein. Jemand musste aufpassen, dass er nichts in der Kloschüssel versteckte. Die Streifenbeamten fuhren zum Tatort zurück. Ich trank meinen Kaffee, der immer noch heiß war und himmlisch schmeckte. Die Nummer des Jugendamtes hatte ich auf meinem Handy gespeichert. Schon nach dem ersten Klingelton meldete sich eine Frauenstimme.

«Ala-Säntti. Was gibt’s, Kallio?»

Mit Ullaliina Ala-Säntti hatte ich schon bei vielen Fällen zu tun gehabt. Ich war froh, dass gerade sie Bereitschaftsdienst hatte.

«Ein Minderjähriger unter Mordverdacht?» In Ala-Sänttis Stimme schwang Verzweiflung mit. Sie versprach, sofort zu kommen. Ich hoffte, dass sie den Jungen erkennen würde.

Aus der Toilette hörte man es fluchen, dann kam Puupponen mit der Kleidertüte zum Vorschein. In einer zweiten Tüte befanden sich die Schuhe des Jungen, in der dritten ein Handy und eine dicke Halskette, die offenbar unter dem Hoodie und der Steppweste verborgen gewesen war. Sie war doch wohl nicht aus echtem Gold?

«Gib mir mein Handy wieder!» Der Junge folgte Puupponen und wollte ihm den Indizienbeutel aus der Hand reißen, aber Puupponen war schneller als er. Der Junge fluchte wieder und überschüttete Puupponen mit allen Schimpfwörtern, die bei Teenagern gerade angesagt waren, teils in finnischer, teils in englischer Sprache.

«Setz dich», sagte ich resolut, aber freundlich und zeigte auf den bequemsten Stuhl im Zimmer. Der Junge betrachtete seinen Overall mit verwunderter Miene. Seine Füße hatten schon in den weißen Sneakern riesig gewirkt, und die Socken in Standardgröße spannten. Ich musste an einen Hundewelpen denken, mit Pfoten, die schneller wuchsen als der Rest des Körpers.

«Du hattest dich in der Altpapiertonne im gemeinsamen Müllschuppen der Reihenhausbewohner versteckt. Mit einem blutigen Messer in der Hand. Offenbar warst du in den Schuppen eingebrochen. In dem Gehölz in der Nähe wurde eine getötete Person gefunden. Du hast bisher noch nicht gefragt, warum die Polizei hinter dir her ist. Sieht ganz danach aus, dass du den Grund kennst.»

Der Junge antwortete nicht.

«Ich fange mit deiner Befragung erst an, wenn die Sozialarbeiterin vom Jugendamt hier ist. Gibt es jemanden, dem wir mitteilen sollten, wieso du heute Nacht nicht nach Hause kommst?»