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Das Buch "Schubladentexte" präsentiert über Jahre in der Schublade gesammelte Gedichte vom Prosagedicht bis zum Haiku und zu Aphorismen, die sich vom Inhalt oder der Form her in die zahlreichen erschienen Bücher des Autors nicht einbinden ließen. Daher ist das Besondere an dieser Veröffentlichung die inhaltliche und formale Vielfalt der Texte. Nun hat Fritz Deppert sich entschlossen, diese Texte, die ihm am Herzen lagen und trotzdem ein Schattendasein führten, aus der Schublade hervorzuholen, sie in einem besonderen Buch zu veröffentlichen und damit sein Schaffen, wenn man von der Prosa absieht, in der ganzen Bandbreite vorzustellen.
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Seitenzahl: 60
Veröffentlichungsjahr: 2016
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für gabriella
Ein Lyriker hat zahlreiche Texte in der Schublade, die der Grausamkeit entgangen sind, unvollkommene Gedichte wegzuwerfen, auch wenn sie einen Moment intensiven Erlebens spiegeln. Diese Texte bleiben auch in der Schublade und werden hin und wieder geprüft, ob sie nicht doch zu neuen und überzeugenden Gebilden werden können.
Die Schubladentexte in diesem Buch sind von anderer Art. Sie sind unveröffentlicht geblieben, weil sie sich aus verschiedenen Gründen in kein Buch einfügen ließen.
Der einfachere Grund ist, dass ihre Artverwandten bereits in Buchform vorliegen und sie danach entstanden sind, ohne den Umfang eines neuen Buches ausmachen zu können, zum Beispiel die Aphorismen.
Noch wichtiger sind mir Texte, die wegen ihrer Form und ihres Inhaltes in kein bisher veröffentlichtes Buch passen wollten, weil sie zu sehr den moralischen Zeigefinger heben, weil sie sonst von mir gemiedenes Pathos zelebrieren oder Themen behandeln, die nicht im Mittelpunkt meines Schreibens stehen, wie zum Beispiel religiöse (einige Texte aus dem Zyklus „Unheilig heilig“ haben den Weg in Bücher gefunden).
Zu all diesen Texten stehe ich und habe stets eine heimliche Liebe zu ihnen gehegt. Nun sollen sie in einem selbst gestalteten Druck ohne fremde Einrede erscheinen, so das Recht auf ein Buch bekommen und neben den Freunden nach Lesewilligen auf die Suche gehen, bevor ich die Schublade nicht mehr öffnen werde.
Lyrische Prosa
Totentanz
Aphorismen
Sprichwörter heutzutage
Zeigefingertexte
Unheilig Heilig
Reisehaikus
Zimmergedichte
Biobibliografie
1
Mandelbaumtraum, ich sah ihn blühen, Jahr für Jahr, märzpünktlich. Ich erinnere mich. Sich der Zuverlässigkeit üppiger Blüten vergangener Jahre zu erinnern, ist sicherer, als gleiche Wege zu gehen und nachzuprüfen, ob der Mandelbaum immer noch frühlingsblühe.
Das Weiß könnte grau geworden sein oder durch Frost und Sturm von den Zweigen gepflückt, der Baum könnte gefällt, der Frühling nur wunschgeträumt, mein Erinnern ein verjährter Irrtum sein. Ich gehe also andere Wege.
Ein zweiter Mandelbaum blüht am mir unbekannten Vorgartenort. Ihn erblickend, verlangsamt sich mein Herzschlag, mein Kopf leistet Abbitte. Frühling ist es auch im Straßengrau der Stadt.
2
Winterschwarz und -weiß die Elstern und ihre heiseren Schreie. Amseln übertönen Schwarzgefieder mit Balzmelodien.
Meisen strecken ihr Blau und Gelb bäuchlings gegen den Himmel.
Bunter ist die Palette der ungeflügelten Flora: Forsythien gelb, Gänseblümchen und Wildkirsche weiß, Krokusse vielfarbig.
Im Feinstaubgedächtnis erloschen sind die Frühjahrsfarben anderer Pflanzen und Vögel. Die Parks nehmen stattdessen geputzte Menschen aus aller Herren Länder und Moden. Obendrüber scheinen noch strahlende Sonne und unerschütterbares Himmelsblau.
3
Auf dem Frühstückstisch neigt sich im Wasserglas eine rote Tulpe zum Sonnenstern der Osterglocken.
Frühlingsduft im Einatmen und Honigsüße auf der Zunge komponieren dazu Kadenzen. Ich wärme die winterkalten Hände an der Keramiktasse mit heißem Tee.
Als dann noch die Amseln heitere Gesänge von Fichtenzweigen in das Rot und Gelb herabstreuen, schlägt auch mein Frühlingsherz wieder aus und ruft Dir zu: lass Dich umarmen, bevor zwischen frischem Rasengrün und blauem Himmel Bildschirmwinter erneut die Hoffnungen vergällen.
4
Taubenblau tropft der Tag über Hügel und über die Nacht, spiegelt sich Welle für Welle im Fluss und füllt das Tal.
Gähnend ohne Hand vor dem Mund erwachen die Schiffe, die sich den Fluss heraufgeträumt haben; sie löschen die Positionslichter und werfen Frühstücksanker.
Vielfältiges Grün setzt an den Hängen und im Tal Büsche, Bäume und Wiesen in die Morgenwelt. Tag wird’s.
Aus unseren Träumen, die ohne schiffbare Flüsse die Nacht verbracht haben, wachen wir gebeutelt auf. Manche sind schlafvergessen, an andere erinnern wir uns und öffnen uns dem Grün, das fenstereinsteigt über Augen und Mund und Herz und Hirn.
5
Eulenwege durch Lücken im Buschwerk talwärts wie die Dämmerung fällt. Der Waldkauz schreit die Amseln stumm. Da stirbt wer, wispern die Grillen, als wüssten sie bescheid.
Uns stirbt der Tag, der heiß war und die Augen blendend mit allzu hellem Licht.
Das Herz atmet auf, der Mund prostet dem Kauz hinterher mit kühlem gelbem Wein.
Glühwürmchen auf der Zunge leuchten uns heim, während die Milchstraße sich ausschüttet über der Schatten-Vermählung von Tal und Berg.
Gelber als der Wein grinst fichtenspitzenauf ein Mondgesicht.
6
Auf der Terrasse sitzend zwischen Tisch, Weinglas und der tagwarmen Hauswand erwarte ich die Nacht, wie sie herangleitet und zuerst die Hügel einnimmt, sie blau färbt und schwarz verschluckt, danach den Himmel tuscht.
Sterne blinken. Oder sind es Passagierflugzeuge auf dem Weg zu Orten, von denen ich manchmal träume: weißes Licht über weiß gekalkten Häusern, blauen Dächern und blauem Meer.
Im Abendrot glühender Schlafmohn.
Aus den Fantasien zurückkehrend hocke ich wie blind in der mondlosen Nacht, meine Hände ertasten das Weinglas und orientieren sich am Sternbild des Großen Wagens. Ich proste dem Polarstern zu.
Wissend nun, wo Norden und wo Süden ist, kehre ich in das Haus zurück, verschließe die Tür und verberge den Schlüssel unter dem Kopfkissen.
7
Die Straßenschlange glüht durch strohbleich sterbende Felder. Hitze rauchblau, Wiesen und Sonnenschirme verblühen. Kein Wind, keine Stimme, kein Schritt. Auch nicht die Fluggeräusche der Vögel. Nur Blätter fallen, als wäre schon Herbst.
Antennen empfangen Sonne und leiten sie in die Räume unserer Lethargien. Gehirn und Kniekehlen, Achseln und Armbeugen schwitzen sich müde.
Draußen, soviel wissen wir noch, welken Hundsrosen, Hagebutten schrumpfen. Die Nacht löscht auch diese Bilder mit heißem Atem.
Vor Wetternachrichten sitzend, trainieren wir das Überleben des nächsten Tags
8
Nur eine Wolke, weiße Brüste prall vor blauem Himmelstuch, sie schweben. Sie schweben sanft und lautlos mit magischer Langsamkeit.
Während sie vom linken zum rechten Fensterrand treiben, schaue ich zu, gedankenfrei geworden.
Sie wandern in eine andere Welt, unaufhaltsam wie die Vergänglichkeiten im Leben. Diesseits Ruhe und Stille als währten sie unendlich. Jenseits Zeitlosigkeit, keine Botschaften und weder Schuld noch Unschuld, weder Warum noch Wohin.
Auch der Tag hat sich nicht verändert. Mein Pulsschlag könnte langsamer geworden sein.
9
Im Wald stehend umschließen mit Bäume und Büsche, so wie sie es taten, als ich Kind war und die Feuer in den Städten fürchtete wie die Menschen, die sie entfacht hatten. Entkommen war ich, Angst im Körper und in der Seele. Vor meinem Versteck bluteten die Heidelbeeren, die Rehe flohen die Schreie der Sirenen.
Im Wald stehend, erinnere ich mich der Geborgenheiten, die mich Kind sein ließen auf Zeit. Meine Hände streichen über Baumrinden, meine Augen tanzen im windbewegten Laub.
10
Was nicht alles am Fenster vorbeifliegt: die schwarze Amsel, die gefleckte Elster mit der Schwanzlanze, vom Himmel herabstürzend Kondensstreifen und Wolkenteile, der weiße Schneeball; auch gerufene Wörter.
Es macht Lust zwischen Wand und Wand ebenfalls das Fliegen zu üben. Die Vorhänge klatschen schon Beifall.
11
Rosen duftrot in dieser Jahreszeit. Sie öffnen sich dem Gewitterregen. Der weiß nichts von Liebesgefühlen und zerpflückt ihre Blätter. Danach wässert er die Wurzeln und behängt die Stiele mit der Würze frischer Erde. Blauhimmel entkommend fliegen Krähen blitz- und donnergeil gegen die Wolkentürme.
Das Birkenlaub flüstert es mir in die Ohren: der Sommer geht zuende. Ich lebe meinem Winter zu.
12
Das Wetter schlägt um und erzeugt Dunkelheiten, in denen die Augen nur Erinnertes zur Kenntnis nehmen, ohne die Lider schließen zu müssen. Sie gehen vom einen zum anderen Bild, als durchblätterten sie Galeriekataloge.