Schwarzbuch Markenfirmen - Klaus Werner-Lobo - E-Book

Schwarzbuch Markenfirmen E-Book

Klaus Werner-Lobo

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Beschreibung

Große Konzerne verfolgen vor allem ein Ziel: maximalen Profit. Menschenwürdige Arbeitsbedingungen, ethische Grundsätze und Umweltschutz fallen diesem Ziel oft zum Opfer. Daran hat sich seit 2001, als die erste Ausgabe des "Schwarzbuch Markenfirmen" erschien, wenig geändert. Finanz- und Wirtschaftskrisen und die fortschreitende Globalisierung haben die Welt seither stark verändert. Die Autoren nehmen nicht nur neue Global Player (Facebook, Google, Apple) unter die Lupe, sondern auch Banken und altbekannte Klassiker (etwa Coca-Cola). Auch der Macht, die jede und jeder einzelne von uns hat, widmen sich die Autoren, denn die Möglichkeiten, wie wir uns einbringen können, haben sich in den vergangenen Jahren ebenso verändert.

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Deuticke E-Book

Klaus Werner-Lobo / Hans Weiss

Schwarzbuch Markenfirmen

Die Welt im Griff der Konzerne

Deuticke

Alle Links, die im Buch unter Weitere Infos und in den Anmerkungen zitiert sind, finden sich auch auf der Homepage: http://markenfirmen.com/links/firmenname, also zum Beispiel: http://markenfirmen.com/links/adidas

Die Informationen dort werden ergänzt und aktualisiert.

ISBN 978-3-552-06273-3

Alle Rechte vorbehalten

© Deuticke im Paul Zsolnay Verlag Wien 2014

Umschlag: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich

Satz: Eva Kaltenbrunner-Dorfinger, Wien

Unser gesamtes lieferbares Programm und viele andere Informationen

finden Sie unter www.hanser-literaturverlage.de

Erfahren Sie mehr über uns und unsere Autoren auf www.facebook.com/ZsolnayDeuticke

Datenkonvertierung E-Book:

Kreutzfeldt digital, Hamburg

Inhalt

Vorwort

Die Welt der Konzerne

Für ihre Profite beuten Weltkonzerne, Banken und bekannte Markenfirmen Menschen aus, zerstören die Umwelt und bringen unsere Demokratie in Gefahr.

Was tun? Was tun!

Sind wir der neoliberalen Globalisierung und der Gier der Konzerne hilflos ausgeliefert? Nein: Jeder und jede kann etwas beitragen, um unsere Welt besser und solidarischer zu gestalten. Konsumverzicht reicht dafür nicht: Wir müssen aktiv werden – am besten gemeinsam und lustvoll.

Globale Konzerngesetzgebung

Ein schleichender Umbau des Völkerrechts ermöglicht es den Konzernen, ganze Länder zu verklagen, und setzt sich damit über demokratische Gesetzgebungen hinweg. Die Folge: Milliardenentschädigungen fließen von den SteuerzahlerInnen direkt in die Konzernkassen.

Steuern zahlen – nein danke!

Die Kleinen schröpfen wir, und die Großen küssen wir. Das ist der heimliche Wahlspruch der Politik – in allen Ländern, weltweit. Man sieht das vor allem an den Steuerleistungen multinationaler Konzerne: wenig, weniger oder gar nichts. In Mitteleuropa und vor allem in Deutschland und Österreich: fast nichts.

Lug und Trug bei Lebensmitteln

Die einen sterben an Hunger und die anderen an Überfluss. Beides spielt sich auf ein und derselben Erde, aber in verschiedenen Welten ab. Und für beides sind Nahrungsmittel- und Handelskonzerne mitverantwortlich.

Skrupellose Medikamentenversuche

Indien bietet Pharmakonzernen ideale Bedingungen für Medikamentenversuche: bettelarme Menschen ohne Krankenversicherung, eine korrumpierte Medizin, profitorientierte Forschungsorganisationen, desinteressierte Ethikkommissionen, minimale Entschädigungszahlungen bei Todesfällen und hohe staatliche Förderungen. Eine Undercover-Recherche bei indischen Krebsärzten.

Moderne Sklaverei

Mode, Sportartikel, Spielzeug, Elektronik und vieles mehr werden heute zum Großteil in so genannten Billiglohnländern produziert – zu menschenunwürdigen Bedingungen und zu Preisen, von denen ArbeiterInnen kaum leben können. Die Folge hemmungslosen Kaufrauschs und schwindelerregender Konzernprofite ist das Elend derer, die unsere Konsumgüter herstellen.

Zerstörerische Energien

Die großen Energie- und Erdölkonzerne sind die Hauptverantwortlichen für einige der schlimmsten Katastrophen unserer Zeit. Sie diktieren die Politik zahlreicher Länder und blockieren dringend notwendige Entwicklungsschritte hin zu einer nachhaltigen und gerechten Zukunft.

Firmenporträts

Anmerkungen

Anmerkungen Firmenporträts

Lektüreliste

Vorwort

Als im Jahr 2001 die erste Ausgabe des »Schwarzbuch Markenfirmen« erschien, konnten wir nicht ahnen, wie groß das Interesse an unseren Recherchen sein würde: Fast 200.000 verkaufte Exemplare im deutschen Sprachraum und insgesamt fünfzehn Übersetzungen (neben Bulgarisch, Chinesisch, Griechisch, Holländisch, Italienisch, Japanisch, Koreanisch, Polnisch, Rumänisch, Russisch, Schwedisch, Türkisch und Ungarisch wurde das Buch zweimal auf Spanisch übersetzt – in Lateinamerika und Spanien, wo es jeweils monatelang auf den Bestsellerlisten war) zeugen davon, dass immer mehr Menschen die Macht der Marken und Multis nicht einfach so hinnehmen, sondern sich über die Hintergründe globaler Ausbeutung und Profitgier auf Kosten von Mensch, Umwelt und Demokratie informieren möchten. Viele gehen noch weiter und haben unsere Recherchen zum Anlass genommen, ihr Leben zumindest in Teilbereichen zu ändern: bewusster zu konsumieren und aktiv an der gerechten Gestaltung unserer Gesellschaft und am Schutz der Lebensgrundlagen unseres Planeten mitzuwirken.

Das »Schwarzbuch Markenfirmen«, damals von Medien als »Bibel der Globalisierungskritik« bezeichnet, gehört mittlerweile auch in vielen Schulen zum fixen Lehrplan, was uns besonders freut: Denn wenn wir eine ganze Generation der mit Milliardenaufwand betriebenen Gehirnwäsche aus Konsumrausch und Markenwahn der Konzerne und ihrer Lobbys überlassen, dann brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn die »Geiz ist geil«-Ideologie, brutales Konkurrenzdenken und Profitgier anstelle von Solidarität, Respekt und Mitgefühl gesellschaftsfähig werden.

In der Welt der Konzerne gelten diese Werte nämlich nichts. Um ihre Milliardengewinne zu steigern, profitieren fast alle großen und bekannten Marken von schlimmsten Formen der Ausbeutung bis hin zu Kinderarbeit und Sklaverei, von Waffenhandel, Tierquälerei und Umweltzerstörung. Sie gefährden Lebensräume und ganze Volkswirtschaften – und die Zukunft unseres Planeten. Gleichzeitig investieren sie Milliarden in Werbung, Imagepflege und Kampagnen, die ihre »soziale Unternehmensverantwortung« unter Beweis stellen sollen. Die deutsche Wochenzeitschrift Spiegel schrieb damals: »Das Buch attackiert die Konzerne an ihrer empfindlichsten Stelle: ihrem Ruf.« Die Firmen wussten, dass unsere Vorwürfe stimmen – schließlich hat uns kein einziges Unternehmen verklagt. Bis heute nicht.

Heute, fast fünfzehn Jahre nach Erscheinen der Erstausgabe, wird es Zeit für eine vollständig neu geschriebene Fassung des »Schwarzbuch Markenfirmen«. Vieles hat sich seit damals geändert – und vieles, allzu vieles, ist leider gleich geblieben: Während wir zu Beginn des Jahrtausends wegen unserer Kritik von vielen Medien noch scheel angesehen wurden, ist spätestens seit der Finanzkrise 2009 die Kritik am globalisierten Raubtierkapitalismus in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Wenn wir zunächst selbst noch an die »Marktmacht der KonsumentInnen«1 geglaubt haben, so müssen wir heute feststellen, dass es nicht ausreicht, »fair« und ökologisch einzukaufen, sondern dass es für eine Änderung der Verhältnisse politisches Engagement, demokratische Teilhabe und letztlich auch Widerstand gegen die Macht der Multis und ihre politischen Erfüllungsgehilfen in den Regierungen braucht.

Aber ist es nicht so, dass einige Markenfirmen aus den Vorwürfen gelernt haben und nun weniger skrupellos agieren? Ist nicht soziale Unternehmensverantwortung, die vielzitierte »Corporate Social Responsibility«, in aller Munde?

Im Großen und Ganzen kann man sagen: Die Konzerne haben ihre Strategien schlicht und einfach an die neuen Markterfordernisse angepasst – und dazu gehört unter anderem auch ein gestiegenes Bewusstsein für globale Zusammenhänge. Auf manche Vorwürfe trifft man heute seltener – allen voran auf Kinderarbeit im unmittelbaren Produktionsumfeld bekannter Unternehmen. Die rangiert nämlich in der »Beliebtheitsskala« von Konsumentinnen und Konsumenten ganz unten, und negative Schlagzeilen bringen schlechtes Image. Deshalb haben die meisten Multis heute mehr Kontrollen und Vorschriften für Lieferanten eingeführt – ohne diesen aber mehr zu bezahlen. Denn die Profite sollen ja gleich bleiben. Daher müssen lokale Produktionsstätten eben andere Möglichkeiten finden, um Multis billig beliefern zu können – womit sich die Formen der Ausbeutung lediglich verlagert haben. Manchmal einfach nur von einem Land ins andere, wo es noch keine so strengen Kontrollen gibt. Die Deregulierung der Weltwirtschaft, die Privatisierung öffentlicher Güter und Dienstleistungen sowie die Errichtung von Freihandelszonen ohne demokratische Kontrolle werden weiterhin ungebremst vorangetrieben.

Zur Beruhigung kritischer Konsumentinnen und Konsumenten führen einige Konzerne heute sogar eigene Gütesiegel, die angeblich fairen Handel belegen sollen. Wie wir in diesem Buch zeigen, lassen aber auch da soziale und ökologische Standards oft zu wünschen übrig. Und auch wenn einzelne Regionen heute ökonomisch besser dastehen als vor einigen Jahren, sind die Reichen dieser Welt um ein Vielfaches reicher geworden, während Armut, Hunger und Elend immer unerträglichere Ausmaße annehmen. Besonders stark betroffen sind Frauen: Oft ernähren sie die Familie fast allein, erhalten aber meist viel weniger Lohn als Männer. Siebzig Prozent der Armen auf der Welt sind weiblich. Alle Frauen gemeinsam beziehen nur ein Zehntel aller Einkommen und besitzen nur ein Hundertstel aller Vermögen.

Und noch etwas ist uns bei den Recherchen aufgefallen: Die Ausbeutung von Menschen durch Konzerne ist näher gerückt. Sie bahnt sich – nachdem sie sich in den letzten Jahrzehnten vorwiegend nach Asien, Afrika und Lateinamerika verlagert hat – wieder ihren Weg zurück in die Industrieländer. In den letzten Jahren wurden auch in Europa oder den USA immer mehr Fälle schwerwiegender Arbeits- und Menschenrechtsverletzungen bekannt.

Die rasant steigende weltweite Vernetzung von Menschen hat auch eine Beschleunigung globaler Informationsflüsse zur Folge, die dafür sorgt, dass wir heute wesentlich schneller von globalisierter Ausbeutung in Bangladesch, Sibirien oder El Salvador erfahren. Dennoch gibt es viele Missstände, die nur durch aufwändige Recherchen an die Öffentlichkeit gebracht werden. So musste sich Hans Weiss monatelang als korrupter Berater von Pharmakonzernen ausgeben, um nachweisen zu können, wie indische Brustkrebs-Patientinnen von der Medizin als »menschliche Versuchskaninchen« missbraucht werden sollten.

Was wir mit diesem Buch aber auch zeigen wollen: dass der Machtmissbrauch und die Machenschaften der Konzerne keine Einzelfälle sind, sondern System haben. Die neoliberale Globalisierung ist kein Naturgesetz, sondern wurde von Konzernlobbys und Regierungen in Gesetze gegossen, um die Profitinteressen Einzelner zu bedienen – zum Schaden aller. Deutlich wird das vor allem auch an der Tatsache, dass die von uns porträtierten Konzerne in manchen europäischen Ländern – etwa in Deutschland und Österreich – fast keine Gewinnsteuern bezahlen, obwohl sie auch hier hochprofitabel sind (siehe dazu Kapitel »Steuern zahlen – nein danke!«).

Die Auswahl der Konzerne, die wir am Ende dieses Buches porträtiert haben, bedeutet keineswegs, dass die in unserer Liste nicht genannten Unternehmen fairere oder respektvollere Handelsbeziehungen pflegen. Die fünfzig »Bösen«, die wir beschreiben, stellen beispielhaft einen Mix aus marktdominanten Firmen unterschiedlicher Konsumbereiche dar. Gemeinsam repräsentieren sie einen Umsatz von rund 2,9 Billionen Euro – das ist um einiges mehr als das gesamte Bruttoinlandsprodukt von Deutschland.

Einzelne hier porträtierte Marken zu meiden, löst noch keine Probleme. Nur gemeinsame, organisierte Aktionen und gesetzliche Regeln können die Multis zu Veränderungen zwingen. In vielen Fällen – etwa bei lebenswichtigen Medikamenten oder elektronischen Geräten – haben wir nicht einmal die Wahl von fair gehandelten Alternativen. Auch wir Autoren konsumieren mehr oder weniger regelmäßig Produkte oder Dienstleistungen vieler der von uns porträtierten Unternehmen. Natürlich haben wir für unsere Recherchen auch Computer, Mobiltelefone und Google benutzt und betreiben auf facebook.com/markenfirmen eine eigene Seite, auf der wir regelmäßig über aktuelle Entwicklungen informieren. Denn es geht nicht primär ums »gute Gewissen« (das bekanntlich ein allzu sanftes Ruhekissen ist), sondern darum, durch Information und gesellschaftliches Engagement zu einer Änderung gesetzlicher Rahmenbedingungen zum Schutz von Umwelt, Demokratie und Menschenrechten beizutragen. In einem eigenen Kapitel beschreibt Klaus Werner-Lobo, was jeder und jede Einzelne von uns konkret tun kann, um skrupellosen Konzernen zu Leibe zu rücken und gemeinsam mit anderen politische Veränderungen herbeizuführen.

Obwohl wir oft danach gefragt werden, wäre es unmöglich oder zumindest unseriös, ein »Weißbuch Markenfirmen« zu verfassen: Multinationale Konzerne profitieren von globaler Ungleichheit – das ist die Grundlage ihrer Existenz. Das Gegenmodell dazu heißt: kleinere, regional und ökologisch wirtschaftende Unternehmen, deren Geschäftsgrundlage nicht maximale Profite, sondern auch gute Beziehungen zu Beschäftigten, Umwelt, Nachbarschaft sowie Kundinnen und Kunden sind. Auf politischer Ebene hat das Gegenmodell zur Dominanz von Kapital und Konzernen einen altbekannten Namen: Demokratie. Für die gilt es zu kämpfen, denn: Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf.

Zu guter Letzt bedanken wir uns bei Bernhard Drumel, Christian Felber, Corinna Milborn und Thomas Seifert für ihre Buchbeiträge und ihr kritisches Feedback. Klaus Werner-Lobo bedankt sich bei Luisa Lobo und Nico Werner-Lobo sowie bei seinen Eltern für ihre Geduld und ihre Liebe.

Klaus Werner-Lobo und Hans Weiss

Wien, Juni 2014

Die Welt der Konzerne

Für ihre Profite beuten Weltkonzerne, Banken und bekannte Markenfirmen Menschen aus, zerstören die Umwelt und bringen unsere Demokratie in Gefahr. Klaus Werner-Lobo

Wer heute durch eine beliebige Einkaufsstraße in einer fast beliebigen westlichen Stadt oder in so gut wie allen Metropolen der Welt spaziert, könnte leicht vergessen, wo er oder sie sich gerade befindet: Fast überall leuchten einem – mit immer geringer werdenden regionalen Unterschieden – ähnliche Markenlogos entgegen, und sogar die Häuserfronten mit ihren großflächigen Schaufenstern scheinen sich einander immer mehr anzupassen. Nicht umsonst werden die großen Einkaufszentralen und Shoppingcenter »Konsumtempel« genannt: Der Akt des Einkaufens scheint zur sinnstiftenden Religion geworden zu sein, die Schnäppchenjagd verkehrt etwas, das früher einmal als Todsünde galt, in etwas Positives: »Geiz ist geil« will uns der ehemalige Werbespruch eines Handelskonzerns weismachen.

Doch was steckt hinter diesen Hochglanzfassaden? Wie »geil« ist dieser Geiz für jene, die die dort verkauften Produkte herstellen oder die Rohstoffe dafür liefern? Wer profitiert davon, und wer bezahlt für diese Profite? Und was bedeutet die Konzentration und Globalisierung von Markenmacht und Handelsströmen für uns selbst, für unsere regionalen Wirtschaftskreisläufe, unsere Arbeitsplätze und Sozialsysteme?

Fast alle Markenprodukte, mit denen wir im Alltag zu tun haben, werden von multinationalen Konzernen vermarktet. Hergestellt werden sie aber häufig von lokalen Unternehmen, die zwar rechtlich von den Multis unabhängig sind, aber meist in einem wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnis zu ihnen stehen, da diese sowohl die Qualitätsstandards als auch die Abnahmemengen und Preise diktieren. Bei den lokalen Lieferanten handelt es sich oft um kleinere Landwirtschaften (zum Besipiel in der Kakaoernte für Nestlé und Co.) oder Hinterhoffabriken, in denen etwa Kleidungsstücke für westliche Modekonzerne genäht werden. Oder auch um Riesenunternehmen wie die taiwanesische Firma Foxconn mit ihren über 1,2 Millionen MitarbeiterInnen, die in China Elektronikteile unter anderem für Apple, Dell, Hewlett-Packard, Microsoft, Nintendo und Sony produzieren.

Zum Teil sind Marken- und Konzernnamen identisch – etwa bei Adidas, McDonald’s oder Shell. Bei weiteren – wie beim iPhone von Apple – wissen die meisten, zu welcher Firma das Produkt gehört. Bei anderen Produkten wiederum stehen die Konzernnamen eher im Hintergrund, und man muss schon genauer hinsehen, um zum Beispiel zu wissen, dass etwa die Markenrechte an Lacoste-Parfüms, die Firma Gillette oder die Babymarke Pampers zu Procter & Gamble gehören, wie diese aus den USA stammende Grafik zeigt (in Europa gibt es teilweise andere Markenbezeichnungen, die wir in den Firmenporträts am Ende dieses Buches möglichst vollständig aufgelistet haben).

Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass etwa die britische Kosmetikkette Body Shop, die damit wirbt, bei ihren Kosmetika auf Tierversuche zu verzichten, zum französischen L’Oréal-Konzern gehört, an dem der Schweizer Lebensmittelriese Nestlé maßgeblich beteiligt ist, der seit Jahrzehnten für unterschiedlichste Menschenrechtsverletzungen und von Tierschutzorganisationen auch für grausame Tierversuche kritisiert wurde?1

Die weltweiten Konzernzusammenschlüsse und gegenseitigen Beteiligungen werden immer unübersichtlicher. Ende 2011 sorgte eine Studie der angesehenen Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich für Aufsehen, die die Konzernverflechtungen untereinander untersuchte: Ein Netzwerk von nur 147 Konzernen übe eine rund vierzigprozentige Kontrolle über 43.000 international tätige Unternehmen aus, so die Autoren. Mithilfe dieser Netzwerke würden nur 1,7 Prozent der multinationalen Firmen achtzig Prozent der Umsätze weltweit kontrollieren.2

Weniger umstritten sind die Zahlen der Handels- und Entwicklungskonferenz der Vereinten Nationen (UNCTAD). Nach ihren Angaben lag die Zahl der transnationalen Unternehmen Ende der 1960er Jahre bei etwa 10.000. Seit Mitte der achtziger Jahre stieg sie immer schneller an, bis sie mit dem Ausbruch der weltweiten Finanzkrise 2008 erstmals ins Stocken geriet. Gab es im Jahr 1990 noch 35.000 transnationale Unternehmen, stieg die Zahl im Jahr 2000 bereits auf 63.000 und erreichte 2008 ihren bisherigen Höchststand mit 82.000 transnationalen Firmen mit mehr als 800.000 Tochterunternehmen.3

Damit dominieren die Multis die weltweiten Handelsströme. Laut dem »Global Investment Report 2013« der UNCTAD wird die globale Wertschöpfungskette aus dem Handel mit Gütern und Dienstleistungen zu achtzig Prozent von transnationalen Unternehmen bestimmt.4 Und obwohl es infolge der Finanzkrise 2009 zu vereinzelten Einbrüchen kam, stiegen auch die Umsätze und Gewinne der meisten multinationalen Unternehmen an.

Das Bruttoinlandsprodukt (Abkürzung: BIP) ist ein Maß für die wirtschaftliche Leistung eines Landes. In Zahlen drückt es den Wert jener Waren und Dienstleistungen aus, welche die Bevölkerung eines Landes innerhalb eines Jahres verbraucht.

Der Umsatz oder Erlös eines Unternehmens umfasst die gesamte Geldsumme, die eine Firma innerhalb eines bestimmten Zeitraumes durch den Verkauf von Waren oder Dienstleistungen erwirbt. Der Umsatz ist nicht zu verwechseln mit dem Gewinn, der nach Abzug der Ausgaben übrig bleibt.

Die Wirtschaftskraft dieser Multis – und damit auch ihre politische Macht – übertrifft teilweise diejenige auch wirtschaftlich starker Länder, wie die folgende Tabelle zeigt, in der wir das Bruttoinlandsprodukt der reichsten Länder mit dem Umsatz der führenden Konzerne verglichen haben.5

Land/Konzern

BIP/Umsatz (in Mrd. US$)

1

USA

16 245

2

China

8227

3

Japan

5960

4

Deutschland

3428

5

Frankreich

2613

6

Großbritannien

2472

7

Brasilien

2253

8

Russische Föderation

2015

9

Italien

2015

10

Indien

1842

11

Kanada

1821

12

Australien

1532

13

Spanien

1323

14

Mexiko

1178

15

Korea, Rep.

1130

16

Indonesien

878

17

Türkei

789

18

Niederlande

771

19

Saudi-Arabien

711

20

Schweiz

631

21

Schweden

524

22

Iran

514

23

Norwegen

500

24

Polen

490

25

Belgien

483

26

Royal Dutch Shell

482

27

Argentinien

476

28

Wal-Mart Stores

469

29

ExxonMobil

450

30

Sinopec Group

428

31

China National Petroleum

409

32

Österreich

395

33

BP

388

34

Südafrika

384

35

Venezuela

381

36

Kolumbien

370

37

Thailand

366

38

Vereinigte Arabische Emirate

349

39

Dänemark

315

40

Malaysia

305

41

State Grid

298

42

Singapur

275

43

Chile

270

44

Toyota Motor

266

45

Hongkong, China

263

46

Ägypten

263

47

Nigeria

263

48

Israel

258

49

Philippinen

250

50

Griechenland

249

51

Volkswagen

248

52

Finnland

248

53

Total

234

54

Chevron

234

55

Pakistan

225

56

Glencore Xstrata

214

57

Portugal

212

58

Irland

211

59

Irak

210

60

Algerien

206

61

Peru

204

62

Kasachstan

204

63

Tschechische Republik

196

64

Rumänien

193

65

Japan Post Holdings

191

66

Samsung Electronics

179

67

Ukraine

176

68

Katar

171

69

E.ON

170

70

Phillips 66

170

71

ENI

168

72

Neuseeland

167

73

Berkshire Hathaway

163

74

Kuwait

161

75

Apple

157

76

Vietnam

156

77

AXA

155

78

Gazprom

154

79

General Motors

152

80

Daimler

147

81

General Electric

147

82

Petrobras

144

83

EXOR Group

142

84

Valero Energy

138

85

Ford Motor

134

86

Industrial & Commercial Bank of China

134

87

Hon Pai Precision Industry

132

88

Allianz

131

89

Nippon Telegraph & Telephone

129

90

ING Group

128

91

AT&T

127

92

Fannie Mae

127

93

Pemex

125

94

GDF Suez

125

95

Ungarn

125

96

PDVSA

125

97

Statoil

124

98

CVS Caremark

123

99

BNP Paribas

123

100

Bangladesch

116

Die Macht der Multis

Die Liste der umsatzstärksten Unternehmen weltweit – jährlich erhoben vom US-Wirtschaftsmagazin Fortune – wird von bekannten Markenfirmen angeführt. An der Spitze der britisch-niederländische Ölkonzern Shell, gefolgt von der US-amerikanischen Supermarktkette Walmart und der US-Ölfirma ExxonMobil. Bald dahinter folgen weitere bekannte Marken wir Toyota, Volkswagen, Apple, Daimler, Siemens, Nestlé, Sony usw.

Multinationale Konzerne spielen heute eine ähnliche Rolle wie früher einmal die Weltreiche der großen Kaiser- und Königshäuser. Ihre Macht und ihr Einfluss erstrecken sich über Kontinente, ihre Regeln schreiben sie sich selbst, sie sind kaum einer demokratischen Kontrolle unterworfen. Und sie betrachten Länder und die darin lebende Bevölkerung allzu häufig als Mittel, ihren Reichtum zu mehren. Wenn reiche Unternehmen aber auch in demokratischen Ländern mehr Macht und Einfluss haben als die Mehrheit der Bevölkerung, dann steht die Demokratie selbst auf dem Spiel.

Wie ist es so weit gekommen?

Um die konzerngesteuerte Globalisierung zu verstehen, hilft es, einen kurzen Blick in die Geschichte der Weltwirtschaft zu werfen.

Seit der Industrialisierung Europas im 18. Jahrhundert ist die kapitalistische Marktwirtschaft das bestimmende Wirtschaftssystem. Güter und Dienstleistungen werden nach Angebot und Nachfrage gehandelt. So kann jeder, der Geld hat, Güter kaufen oder jemanden bezahlen, der für ihn arbeitet und Güter produziert. Da die Güter weiterverkauft werden können, entsteht ein Kreislauf: Kapital bildet sich, mit dem wiederum Güter und Dienstleistungen produziert werden und so weiter.

Die BefürworterInnen kapitalistischer Marktwirtschaft sehen darin ein funktionierendes System. Schließlich sei es jedem vorbehalten, etwas zu verkaufen und damit seinen Besitz zu vermehren. Bill Gates zum Beispiel hatte zu Beginn seiner Karriere lediglich eine tolle Idee, aber kaum Geld. Er gründete die Firma Microsoft, und diese wurde immer größer, weil viele das von ihm entwickelte Computer-Betriebssystem Windows kaufen wollten. Heute ist Bill Gates mit einem geschätzten Vermögen von 73 Milliarden US-Dollar der reichste Mensch der Welt. Das war 2013 ungefähr ein Tausendstel des Welt-Bruttoinlandsprodukts. Etwas abstrahiert könnte man sagen: Bill Gates besitzt so viel, wie ein Tausendstel der Menschheit, also rund sieben Millionen DurchschnittsbewohnerInnen der Erde, gemeinsam in einem Jahr verdienen.

Die Mehrheit der Menschen hat weniger Glück. Sie haben entweder keine ähnlich erfolgreiche Idee oder leben unter Bedingungen, die eine solche Karriere unmöglich machen. Wer reich geboren ist, hat gute Chancen, seinen Reichtum später zu vermehren, weil er oder sie Sicherheit, Bildung und Gesundheitsversorgung genießen konnte und möglicherweise sogar bereits Kapital geerbt hat, das sich im Kapitalismus durch Investitionen, vor allem aber durch Finanzspekulation vermehren lässt. Wer aber arm geboren ist und keinen Zugang zu guter Schulbildung hatte, wer womöglich selten oder nie genug zu essen hat und keine medizinische Grundversorgung, für den ist es aussichtslos, dem Elend ohne fremde Hilfe zu entfliehen.

Kritik am Kapitalismus

Ende des 19. Jahrhunderts begannen wegen dieser Ungerechtigkeit viele Menschen, den Kapitalismus zu kritisieren. Der Bekannteste unter ihnen war Karl Marx, der seine Kritik in Büchern wie »Das Kapital« und, gemeinsam mit Friedrich Engels, im »Kommunistischen Manifest« niedergeschrieben hat. Sie strebten eine klassenlose Gesellschaft an, in der alle Güter gerecht verteilt werden sollten. Damals waren es vor allem die zahllosen ArbeiterInnen, die sich von der herrschenden Klasse der Reichen unterdrückt fühlten und gegen sie revoltierten.

Das war die Grundlage für die sozialistischen Revolutionen im 20. Jahrhundert, allen voran in Russland. Aus ihnen ging eine große Zahl sozialistischer Staaten hervor. Der Sozialismus wurde als Vorstufe des Kommunismus angesehen, der das Ideal der klassenlosen Gesellschaft darstellte, also einer Gesellschaft ohne Privateigentum und ohne soziale Unterschiede.

Doch die Realität in diesen Staaten – in erster Linie der Sowjetunion – war alles andere als gerecht. Nach der Revolution gelangten korrupte Politiker an die Macht, die ihre Völker unterdrückten und bespitzelten. Die Geschichte des realen Sozialismus der Sowjetrepubliken und der mit ihnen verbündeten Staaten ist daher eine Geschichte schlimmer Menschenrechtsverletzungen, die in Ländern wie China und Nordkorea bis heute andauert. Mit dem Fall der Berliner Mauer und dem Zusammenbruch des Realsozialismus ab dem Jahr 1989 hat sich die kapitalistische Marktwirtschaft als System weltweit durchgesetzt.

Gleichzeitig begann in den letzten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts eine neue Ära. Der technische Fortschritt durch Computer und neue Kommunikationstechnologien wie dem Internet, schnellere und billigere Transportmittel, aber auch der Abbau politischer Regulierungen im Welthandel (zum Beispiel von Zöllen) führten zu einer enormen Beschleunigung internationaler Verflechtungen vor allem im Bereich der Wirtschaft. Diesen Prozess nennt man Globalisierung.

Global Village

Das Internet hat die Welt zum »globalen Dorf« gemacht, in dem sich Menschen verschiedener Kontinente zum virtuellen Kaffeetratsch zusammenfinden können. Unser Alltag gleicht allerdings eher einem »globalen Supermarkt«: Unsere Jeans werden aus indischer Baumwolle in China genäht und von einer US-Firma verkauft, unsere Handys zum Beispiel bei Foxconn in China aus Bauteilen zusammengebaut, deren Rohstoffe aus dem Kongo stammen und in Deutschland von der ehemaligen Bayer-Tochterfirma H.C. Starck verarbeitet wurden.

Übers Internet kann man mittlerweile sogar Leute buchen, die von Indien aus Schreibarbeiten erledigen, die Steuererklärung fürs deutsche Finanzamt vorbereiten oder den Gebrauchtwagen in einer Berliner Garage verkaufen. So haben bereits viele Firmen ihre telefonischen Kundenservices nach Indien ausgelagert – perfekt europäische Sprachen sprechende InderInnen arbeiten nämlich inzwischen oft günstiger, als wenn man jemanden in Europa beschäftigen würde.

Die Globalisierung schafft damit zwar Arbeitsplätze in Billiglohnländern – die allerdings bei uns verlorengehen. Gleichzeitig bedeutet das nach marktwirtschaftlichen Kriterien: Arbeit muss, egal wo auf der Welt, so billig wie möglich sein. Was in vielen demokratischen Staaten seit Beginn des Kapitalismus mühsam erkämpft wurde – also etwa Mindestlöhne, menschenwürdige Arbeitsbedingungen, gewerkschaftliche Organisation –, wird dadurch häufig wertlos: Wenn’s nicht billig genug ist, wird eben woanders investiert.

Der globale Standortwettbewerb bringt vor allem denen Vorteile, die ohnehin schon relativ reich sind. Ein kleiner Bauer kann seine Produkte beispielsweise nur auf lokalen Märkten verkaufen. Er ist davon abhängig, dass ihm dort Preise gezahlt werden, die ihm und seiner Familie das Überleben ermöglichen. Für einen großen Agrarkonzern ist dagegen die ganze Welt ein einziger Markt: Rohstoffe können dort eingekauft werden, wo sie gerade am billigsten sind, er kann sie dann woanders zu niedrigen Kosten weiterverarbeiten lassen und am Ende weltweit zum Verkauf anbieten.

Wenn etwa bis in die achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts in den Fabriken von Adidas im bayerischen Herzogenaurach Schuhe produziert wurden, musste die Firma deutsche Sozial- und Umweltstandards respektieren. Tausende Menschen fanden dort eine Arbeit, mit der sie ihre Familien ernähren konnten. Heute werden die Sneakers mit den drei Streifen von ArbeiterInnen in China oder Indonesien genäht, die dafür zum Teil nicht einmal fünfzig Cent pro Paar erhalten.

Wem hat die Globalisierung in diesem Beispiel also etwas gebracht? Der indonesischen Arbeiterin, die von ihrem Monatslohn – siehe auch das Kapitel »Moderne Sklaverei« – kaum leben, geschweige denn eine Familie ernähren kann? Den Menschen, die ihren Job in Herzogenaurach verloren haben? Der Umwelt, die durch die Massentransporte dieser Produkte um den halben Erdball belastet wird? Westlichen KonsumentInnen, die für einen Adidas-Schuh locker hundert Euro hinlegen, von denen der weitaus überwiegende Teil nicht in die Herstellungskosten, sondern in Marketing und Konzernprofite fließt? Oder möglicherweise nur dem Konzern und seinen EigentümerInnen, der diese Profite auf Kosten von uns allen erwirtschaftet?

Wie aber sieht die Macht der Konzerne aus? Sehen wir uns einmal die Liste der hundert größten Unternehmen der Welt an6: Im Jahr 2013 hatte davon je ein knappes Drittel seinen Sitz in den USA oder in Europa, gefolgt von der Industriemacht Japan und – das ist eine relativ junge Entwicklung – den staatlichen Konzernen der aufstrebenden Weltmacht China. Diese Länder beziehungsweise die Europäische Union sind auch die größten Wirtschaftsmächte der Welt.

Konzernmacht in den USA

Die Vereinigten Staaten von Amerika sind, gemessen an ihrem Bruttoinlandsprodukt, das reichste Land der Erde. Trotzdem lebt rund ein Sechstel der US-Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Viele hausen in Slums, haben keinen Zugang zu guten Schulen oder zu modernen Krankenhäusern. Der Gini-Index, der die soziale Ungleichheit misst, liegt in den USA sogar höher als in manchen Entwicklungsländern.7 Innerhalb der 34 Industrieländer der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) verzeichnen nur Mexiko, Chile und die Türkei eine höhere Differenz zwischen Arm und Reich als die Vereinigten Staaten.8

Die reichen US-BürgerInnen führen dagegen ein Leben in Saus und Braus – auf Kosten des Weltklimas: 25 Prozent, also ein Viertel, der weltweiten Treibhausgase stammen aus den USA, dabei macht ihr Anteil an der Weltbevölkerung gerade einmal vier Prozent aus.

Der Grund für die Armut in den Vereinigten Staaten liegt in der extrem ungerechten Verteilung des Reichtums. Denn immerhin sind die USA die Heimat der meisten Milliardäre und Multimillionäre der Welt. Hinzu kommt, dass die größten Konzerne der Erde dort ihren Sitz haben. Auch wenn die Demokraten unter Barack Obama im Vergleich zu den Republikanern etwas mehr auf sozialen Ausgleich setzen, werden die Interessen der reichen Minderheit und der Konzerne nach wie vor durch niedrige Steuern, Deregulierungsmaßnahmen und Freihandelsabkommen geschützt. Auch die Außen- und Sicherheitspolitik dient wesentlich mehr den Großkonzernen (zum Beispiel der Waffenindustrie) als dem Schutz demokratischer Werte. Knapp 700 Milliarden Dollar gaben die USA etwa im Jahr 2012 für Rüstung aus.

Das hat viele Gründe. Um in Amerika Wahlen zu gewinnen, braucht man viel Geld: Fast sechs Milliarden Dollar kostete der Präsidentschaftswahlkampf 2012. Da dieses Geld zu einem großen Teil von Konzernen und Vermögenden kommt, bleiben Regierungen ihren Financiers in der Pflicht: Wer zahlt, schafft an.9 Zum Beispiel wenn es darum geht, wirksame Klimaschutzmaßnahmen zu verhindern, die die Konzerngewinne schmälern könnten. Neben US-Ölkonzernen wie ExxonMobil geben auch deutsche Unternehmen Millionenbeträge für das Anti-Klimaschutz-Lobbying in den USA aus: Laut europäischem Klimaschutzdachverband CAN haben die Chemieriesen Bayer und BASF sowie der Stromriese E.ON im Kongresswahlkampf 2010 Geld an Kandidaten gespendet. Etwa achtzig Prozent des Geldes sollen an Kandidaten geflossen sein, die die Ursachen des Klimawandels leugnen oder wirkungsvolle Klimagesetze blockieren. Die Konzerne bestritten die Vorwürfe.10

Außerdem finanzieren Konzerne pseudowissenschaftliche Studien und ganze Universitäten, um damit die öffentliche Meinung zu manipulieren. So haben von 2003 bis 2010 insgesamt 140 Stiftungen 558 Millionen Dollar an 91 konservative Institute verteilt, die gegen den Einfluss des Staates etwa beim Umweltschutz kämpfen. Nach Recherchen der Washington Post hat ein verschachteltes System aus Organisationen allein im Wahlkampf 2012 über 400 Millionen Dollar für rechte und neoliberale Propaganda ausgegeben, um Stimmung gegen Themen wie Klimaschutz oder Gesundheitsreform zu machen.11

Dazu kommt, dass alle großen Medien selbst im Eigentum von Konzernen stehen. NBC Universal, Google, die Walt Disney Company, News Corp. Viacom und Time Warner dominieren den Kommunikationsmarkt und machen Milliardengewinne mit Werbung – vor allem für Konzerne und Markenfirmen. Tiefer gehende Kritik am System des neoliberalen Kapitalismus oder an den Machenschaften einzelner Konzerne ist in den Medien dieser Konzerne dann eher die Ausnahme (wie die Suchmaschine Google Informationen manipuliert, finden Sie in den Firmenporträts).

Für die herrschende Politik bedeutet das: Wer sich gegen Konzerninteressen stellt, bleibt nicht lange an der Macht. Oder hat im Regelfall gar keine Chance, dorthin zu kommen.

Europa der Konzerne

Mit dem Fall der Berliner Mauer hat sich auch in ganz Europa die kapitalistische Marktwirtschaft durchgesetzt. In vielen Ländern gilt aber immer noch das Sozialstaatsprinzip, das in Deutschland sogar im Grundgesetz (Artikel 20) verankert ist: »Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.« Mithilfe von Sozialleistungen und Investitionen in öffentliche Infrastruktur, Schulen, Universitäten, Gesundheitssysteme, Kultur u.a. schafft der Staat einen gewissen sozialen Ausgleich und konnte so in vielen Ländern Mittel- und Westeuropas jahrzehntelang relativ erfolgreich Armut bekämpfen. In den letzten Jahren wurden diese Errungenschaften von neoliberalen Regierungen immer mehr einem angeblichen Sparzwang preisgegeben. Die Europäische Union verordnet ihren Mitgliedsländern eine so genannte Austeritätspolitik: Um die Schuldenquote zu senken, werden öffentliche Ausgaben und Dienstleistungen eingeschränkt oder privatisiert. Diese Sparpolitik betrifft aber meist nicht jene Bereiche, die ohnehin privilegiert sind – wenn wir etwa an Bankenrettungspakete oder Subventionen an die Agrarindustrie denken –, sondern zum Besispiel Investitionen in Bildung, Gesundheit, Armutsbekämpfung, Kultur, also in unsere Zukunft. Maßgebliche ExpertInnen sind sich daher einig, dass Austerität volkswirtschaftlich schädlich ist.12

Außerdem ist Europa in den letzten Jahren tendenziell immer reicher geworden: Das Bruttoinlandsprodukt der EU und der meisten ihrer Mitgliedsländer stieg in den letzten Jahren stetig – mit einem kurzen Einbruch im Jahr 2009 infolge der Finanzkrise. Allerdings waren es auch in Europa Wohlhabende und Konzerne, die ihren Reichtum trotz oder sogar mit der Krise vermehrt haben, während auch hier immer mehr Menschen von Armut bedroht sind und ins Elend rutschen.

Die multinationalen Konzerne sind häufig an der Börse notierte Unternehmen, an denen Menschen oder Institutionen (zum Beispiel andere Konzerne, Banken oder Investmentfonds) Anteile in Form von Aktien besitzen. Man bezeichnet diese Eigentümer als Shareholder. Ein Konzern soll seinen Shareholdern in möglichst kurzer Zeit möglichst hohe Gewinne bescheren, weil diese sonst Aktien anderer Unternehmen kaufen. Anders als kleinere, lokale Firmen haben die Multis aufgrund ihrer Größe die Möglichkeit, die Regierungen einzelner Staaten unter Druck zu setzen. Sie drohen zum Beispiel damit, mit ihren Investitionen in Länder mit niedrigeren Steuern, Löhnen und Umweltstandards abzuwandern. Auch KapitalbesitzerInnen lagern immer häufiger ihr Vermögen auf anonymen Konten in so genannten Steueroasen, also in Ländern wie Lichtenstein oder den Bahamas-Inseln, die keine oder nur sehr niedrige Steuern einheben.

Aus Angst vor diesem Szenario senken Regierungen Sozial- und Umweltstandards und haben die Steuern auf Vermögen und Gewinne so weit herabgesetzt, dass gerade die Reichen fast nichts mehr zur Finanzierung des Staates und der Sozialsysteme beitragen. Laut OECD beträgt der Anteil vermögensbezogener Steuern in Deutschland lediglich 0,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, der Durchschnitt der Industrieländer liegt bei 1,6 Prozent.13

Außerdem schaffen große Konzerne im Vergleich zu kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) viel weniger Jobs. Während KMU ihre Gewinne häufig in die Firma reinvestieren und lokal mit hohem Arbeitsaufwand und höheren arbeitsrechtlichen Standards produzieren, werden in Großunternehmen auf jede nur erdenkliche Art Arbeitsplätze wegrationalisiert, um möglichst hohe Renditen, also schnelle Profite abliefern zu können.14

Deshalb sollten wir auch aufhören, verallgemeinernd von »der Wirtschaft« zu sprechen. Das Wort kommt von »Werte schaffen«, etwas, das regional arbeitende, kleinere Unternehmen in diesem Sinne auch häufig tun, weil sie nicht nur Einkommen und Arbeitsplätze generieren, sondern weil UnternehmerInnen hier auch häufiger aus eigenem Interesse auf so genannte Stakeholderinteressen Rücksicht nehmen: Die unmittelbare Umwelt zu verschmutzen oder Angestellte, NachbarInnen und KonsumentInnen schlecht zu behandeln, mit denen man täglich zu tun hat, fällt schnell auf einen selbst zurück. Für Konzerne und Aktiengesellschaften zählt das alles nichts: Ihre einzige Aufgabe ist es, sehr kurzfristig rentable Quartalsergebnisse, also schnelle Profite im Vierteljahresrhythmus zu erzielen und damit die Shareholder reicher zu machen. Die wiederum kriegen im Normalfall die für ihre Profitinteressen zerstörten Lebensräume oder ausgebeuteten Menschen niemals zu Gesicht.

Dafür ist ihr Reichtum in den letzten Jahrzehnten, ungeachtet der Weltwirtschaftskrise, rasant gestiegen. Der »Global Wealth Report 2013« zeigt zum Beispiel, dass sich vor allem jene über einen kräftigen Zuwachs freuen konnten, die ihr Geld in Aktien angelegt haben: Die Börsenkurse legten deutlich zu, das in Wertpapieren investierte Vermögen wuchs innerhalb eines Jahres um durchschnittlich 10,4 Prozent.15 2013 kam eine Million Menschen neu zu jenen hinzu, die über ein anlagefähiges Vermögen von über einer Million US-Dollar verfügen.16

Nie gab es zum Beispiel in Deutschland mehr Milliardäre als heute. Die einhundert Reichsten besaßen 2013 zusammen 336 Milliarden Euro, so das Manager Magazin. Das ist mehr als die Gesamtausgaben des deutschen Bundeshaushalts (2013: 310 Milliarden Euro).17 Zum Vergleich: Für die steigende Zahl der etwas über drei Millionen arbeitslosen »Hartz-IV«-EmpfängerInnen gab der Staat rund 32 Milliarden aus.

Die Kluft zwischen Arm und Reich wird auch in Deutschland immer größer: Die Armutsquote stieg von 2006 bis 2012 von 14 auf 15,2 Prozent, stellte das im Mai 2014 veröffentlichte Jahresgutachten des Paritätischen Verbandes fest. Außerdem stieg auch die Zahl der privaten SchuldnerInnen. Jede/r zehnte Erwachsene gelte mittlerweile als überschuldet und habe im Schnitt mehr als 30.000 Euro Schulden. Gleichzeitig gab es noch nie so viel privates Vermögen wie jetzt: insgesamt 7,4 Billionen Euro, davon sind 5,1 Billionen Grund- und Immobilienbesitz.

»Noch nie war im vereinigten Deutschland die Spanne zwischen Arm und Reich größer«, so der Verbandsvorsitzende Rolf Rosenbrock. Es habe noch nie so viele Erwerbstätige gegeben, aber auch noch nie mehr Mini-Jobs, unterbezahlte Teilzeitbeschäftigung und befristete Arbeitsverhältnisse. Die Qualität des Arbeitsmarktes habe in den vergangenen Jahren rapide abgenommen, »gute Arbeit« werde immer seltener.18

Insgesamt zählte das Manager Magazin 135 Milliardenvermögen – mehr als je zuvor. Die reichsten Deutschen kamen aus den Familien der Aldi-Gründer Karl und Theo Albrecht: Platz eins belegte der mittlerweile verstorbene Karl Albrecht mit einem Vermögen von 17,8 Milliarden Euro. Der zurückgezogen lebende Milliardär sei damit der am längsten amtierende Reichste eines Landes auf der Welt gewesen, gefolgt von der Familie seines 2010 verstorbenen Bruders Theo Albrecht mit einem Vermögen von sechzehn Milliarden Euro. Ebenfalls mit einer Discountkette reich geworden ist die Nummer drei der Milliardärsliste: Dieter Schwarz, Gründer von Lidl und Kaufland, verfügte laut Manager Magazin über ein Vermögen von dreizehn Milliarden Euro – eine Milliarde mehr als noch im Jahr zuvor.19

Wie aber sieht der Einfluss der Konzerne und KapitalbesitzerInnen auf die europäische Politik konkret aus?

Der Einfluss der Wirtschaftslobbys

Großunternehmen und ihre EigentümerInnen haben mächtige Interessenvertretungen, in Deutschland zum Beispiel den Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK), in Österreich die Wirtschaftskammer oder die Industriellenvereinigung, in der Schweiz die economiesuisse. Diese versuchen, direkten Einfluss auf die Regierungen zu nehmen oder mithilfe von Medien auf die öffentliche Meinungsbildung einzuwirken. Man nennt das Lobbyismus.

Lobbyismus ist nichts grundsätzlich Schlechtes: Alle gesellschaftlichen Gruppen, auch ArbeitnehmerInnen, die in Gewerkschaften organisiert sind, Umweltvereine, Menschenrechtsorganisationen oder VertreterInnen von Minderheiten, betreiben Lobbyismus, um ihren Anliegen Gehör zu verschaffen. Allerdings haben die Interessenvertretungen der Wirtschaftseliten wegen ihrer finanziellen Macht sehr viel mehr Möglichkeiten, Druck auf PolitikerInnen oder Medien auszuüben. Der langjährige Lobbyist Daniel Guéguen warnt, dass »in Zukunft immer schärfere Lobbystrategien« angewendet würden, die »vermutlich Praktiken wie Manipulation, Destabilisierung und Desinformation beinhalten«.20

Ein Großteil der wirtschaftspolitisch relevanten Entscheidungen in Europa wird heute in Brüssel getroffen. Dort sind zurzeit etwa 20.000 LobbyistInnen tätig. Besonders effektiv lobbyieren Tabakunternehmen, Energiekonzerne, Pharma- und Chemieunternehmen, Rüstungskonzerne, Lebensmittelhersteller und Autohersteller, schreibt die Süddeutsche Zeitung.21 Und Banken: Einer Statistik des EU-Parlaments zufolge versuchen 700 Finanz-Lobbyisten die europäische Gesetzgebung mit einem jährlichen Budget von 350 Millionen Euro zu beeinflussen. Kein Wunder: Nach der Finanzkrise gerieten zahlreiche Großbanken ins Strudeln. Und ausgerechnet diejenigen, die immer dem Freien Markt das Wort geredet hatten und staatliche Einflussnahme für ein Übel hielten, wollten nun mithilfe staatlicher Bankenrettungspakete vor dem Konkurs bewahrt bleiben. Nach dem Motto »too big to fail« werden so wir SteuerzahlerInnen gezwungen, die gescheiterten Spekulationsgeschäfte von Großbanken in Milliardenhöhe nachträglich zu finanzieren – während sich die Spekulanten und EigentümerInnen mit fetten Gewinnen aus dem Staub machen.

Ein anderes Beispiel für Lobbyismus ist das Verhalten von Ölkonzernen wie ExxonMobil, aber auch von deutschen Automobilherstellern wie BMW, Daimler und Porsche, die durch aggressives Lobbying zu verhindern versuchen, dass die EU verbindliche Maßnahmen zum Klimaschutz durch CO2-Reduzierung ergreift. Manchmal zeigen sich Konzerne auch von der »großzügigen« Seite: So wurden der litauischen Ratspräsidentschaft für die Dauer von sechs Monaten kostenlos 180 BMW-Autos zur Verfügung gestellt. Zufällig hatte diese darüber zu entscheiden, ob ein strittiges Gesetz zur CO2-Reduktion im EU-Ministerrat aufgerufen wird.22

Neben der EU-Kommission und dem EU-Rat, die so gut wie keiner demokratischen Kontrolle unterliegen, dafür aber so gut wie alle relevanten Entscheidungen treffen, ist auch vielen Abgeordneten des EU-Parlaments die Mitarbeit von Interessenvertretungen willkommen, da ihr Arbeitspensum hoch ist und über eine Vielzahl von Gesetzestexten entschieden werden muss. So ist eine große Zahl von EU-Gesetzen fast wortwörtlich von dem abgeschrieben, was die VertreterInnen der Konzerne in ihren Wunschlisten an die PolitikerInnen formuliert haben.

Besonders mächtig sei die Lobby der europäischen Lebensmittelindustrie, schreibt der Spiegel23: Mit 274.000 Unternehmen, einem Jahresumsatz von mehr als 950 Milliarden Euro und mehr als vier Millionen Beschäftigten ist sie einer der wichtigsten Arbeitgeber in Europa. Weil die Gesetzgebung im Lebensmittelsektor schon lange in Brüssel gemacht wird, ist die Branche seit Jahrzehnten vor Ort und gilt als besonders gut vernetzt. Und versucht dort zum Beispiel – etwa im Auftrag des Gentechnik-Riesen Monsanto – die Zulassung gentechnisch veränderter Nahrungsmittel durchzusetzen – gegen den Willen einer überwiegenden Mehrheit der europäischen Bevölkerung.

Immer häufiger verschwimmt auch die Rolle zwischen Konzernlobbyisten, Politik und Spitzenbeamten. »Tatsächlich wächst die Zahl der deutschen Konzerne, die ehemalige Staatsdiener verpflichtet haben, damit diese rund um den Globus ihre politischen Interessen vertreten«, schrieb die Zeit im Dezember 2013.24 »Ich bin verpflichtet worden, um für Daimler weltweit politische Interessenvertretung zu organisieren«, zitiert sie etwa einen ehemaligen Sprecher des Auswärtigen Amtes. Dessen früherer Staatssekretär Wolfgang Ischinger wiederum lobbyiert für den Versicherungskonzern Allianz günstige Bedingungen in Ländern wie China und Indien. Die Zeit bezeichnet ehemalige Spitzenbeamte und Politiker, die nun zum Beispiel für mehr Freihandel oder weniger Klimaschutz lobbyieren, als »Außenminister der Konzerne«. Neben der Allianz und Daimler arbeiten sie bei Volkswagen, der Deutschen Bank, Siemens und BP. »Und zwei Spitzenbeamte sind inzwischen wieder für die Regierung tätig. Das war allerdings so geplant; beide Seiten sollen vom Wechsel zwischen Staatsdienst und Wirtschaft profitieren.«

Der deutsche Exkanzler Gerhard Schröder, sein österreichisches Pendant Alfred Gusenbauer, ja sogar der grüne Exminister Joschka Fischer – die Liste ehemaliger PolitikerInnen im Sold höchst umstrittener Konzerne ist lang.

Um klassisches Lobbying transparenter zu machen, richteten Kommission und Parlament 2008 ein gemeinsames, freiwilliges Transparenzregister für InteressenvertreterInnen der Konzerne samt ihren Lobbyingbudgets ein. Im Sommer 2013 zogen die Lobby-Wächter in Brüssel eine negative Bilanz: Freiwillig funktioniert nicht. Bestenfalls ein Viertel der bekannten Brüsseler Lobby-Organisationen sind dort registriert. Die europäische Transparenz-Initiative Alter-EU bemängelt, dass Anwaltsbüros, Think-Tanks, aber auch Konzerne und Organisationen fehlen. Angaben seien falsch oder unvollständig. Mehr als einhundert große Unternehmen, von denen bekannt ist, dass sie in Kontakten mit EU-Beamten stehen, seien in dem Register gar nicht verzeichnet. Dazu gehörten zunächst Adidas und Apple, die Autohersteller General Motors, Porsche und Nissan, der Bierkonzern Heineken, das Bergbauunternehmen Rio Tinto, Disney und SAP. Auch große Banken wie Banco Santander, BBVA, Goldman Sachs, HSBC und UBS würden fehlen.25 Manche Angaben seien zudem völlig unrealistisch. »Es ist eindeutig nicht glaubwürdig, dass kleinere Unternehmen aus der Druck- oder Kühlschrankbranche mehr Geld für EU-Lobbying ausgeben als weit größere und politisch aktive Unternehmen wie Shell, Google oder BNP Paribas«, schrieb die Transparenz-Initiative.26

Neben dem direkten Einfluss auf die europäische oder nationalstaatliche Gesetzgebung mithilfe ihrer Lobbys drängen die Konzerne seit langem auf den Abschluss internationaler Freihandelsabkommen, für deren Einhaltung eigene internationale Gerichte sorgen sollen. Sie sollen die Multis davor schützen, dass demokratisch kontrollierte Parlamente und Institutionen ihre grenzenlosen Profite zum Beispiel durch höhere Umwelt- oder Sozialstandards schmälern. Diesem Thema haben wir ein eigenes Kapitel gewidmet (siehe Seite 84).

Die Macht der Medien

Warum aber akzeptieren die WählerInnen Entscheidungen, die zwar Konzerne und Multimillionäre reicher machen, gleichzeitig aber Umwelt, Demokratie und Sozialsysteme gefährden? Immerhin ist doch zumindest ein Großteil der erwachsenen EU-Bevölkerung – zumindest jene, die das Glück einer EU-Staatsbürgerschaft genießen27 – wahlberechtigt und kann die Zusammensetzung nationaler Parlamente und des EU-Parlaments mitbestimmen.

Auch hier gilt: Wer zahlt, schafft an. Und so lässt sich auch öffentliche Meinung kaufen. Auch in Europa sind die meisten Medien wirtschaftlich von den Multis abhängig. Die großen Verlage und Rundfunkanstalten befinden sich im Eigentum von Konzernen mit Milliardenumsätzen wie Bertelsmann, Vivendi, Springer oder ProSiebenSat.1, die auch journalistisch eigene Interessen verfolgen. Dazu kommen die Interessen der Werbeindustrie, denen sich – ebenso wie dem Einfluss regierender Parteien – auch die verbliebenen öffentlich-rechtlichen Sender nicht immer entziehen können. Das heißt nicht, dass sich nicht auch innerhalb dieser Verlagsgruppen Redaktionen und JournalistInnen um ein Höchstmaß an Unabhängigkeit und kritischer Berichterstattung bemühen. Doch je mehr Medien selbst dem Ziel der Profitmaximierung unterworfen sind, desto weniger kann man sich von ihnen kritische Distanz zu den Profiteuren erwarten. Wir sind also darauf angewiesen, diese kritische Distanz selbst zu üben – indem wir uns aus mehreren, möglichst unabhängigen Quellen informieren, selbst mit Betroffenen sprechen und uns bewusst machen, dass hinter jeder Information auch Interessen stehen.

Mehr privat, weniger Staat

Schulen, Universitäten, Krankenhäuser, die Post, die Müllabfuhr, öffentliche Verkehrsmittel und Straßen, aber auch die Versorgung der Bevölkerung mit Trinkwasser, Strom und Gas – all das ist oder war bis vor kurzem in den meisten Ländern Aufgabe des Staates. Man wollte sicherstellen, dass für alle BürgerInnen der Zugang zu diesen grundlegenden Gütern und Dienstleistungen gewährleistet ist. In den letzten Jahren allerdings gibt es immer intensivere Bestrebungen hin zu mehr Privatisierung. Zunehmend werden staatliche Unternehmen an private Konzerne verkauft, die nun marktwirtschaftlich und gewinnorientiert ihre Dienste anbieten.

Diese haben vor allem ein Ziel: Sie wollen hohe Gewinne machen. Trinkwasser, Wohnraum, Heizung, Bildung, Gesundheit, Mobilität oder Kultur sollten aber das Grundrecht jedes Menschen und nicht den Profitinteressen privater Konzerne unterworfen sein. Wir sind darauf angewiesen, dass sie allen Mitgliedern der Gesellschaft, auch den ärmeren, in ausreichender Qualität und zu fairen Preisen zur Verfügung stehen. Das gilt zumindest dann, wenn wir in einer halbwegs gerechten Gesellschaft leben wollen, in der keiner hungert, jedes Kind zur Schule gehen kann und Krankheiten unabhängig vom Einkommen mit den bestmöglichen Mitteln behandelt werden.

Die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen hat zwar Konzerne reicher gemacht, der Allgemeinheit aber geschadet. In Großbritannien wurden beispielsweise die Trinkwasserversorgung und später die Eisenbahn privatisiert. Das führte dazu, dass die Preise enorm stiegen, während der Service immer schlechter wurde: Bei der Bahn fuhren immer weniger Züge, und die KundInnen mussten große Verspätungen in Kauf nehmen. Da das Schienennetz nicht mehr ausreichend gewartet wurde, kam es sogar zu schweren Unfällen mit vielen Toten. Erst nachdem es 2002 wieder von einem staatlichen Unternehmen übernommen wurde, entspricht es nun wieder europäischen Sicherheitsstandards.

In Bolivien, einem der ärmsten Länder der Welt, verkaufte man die Trinkwasseranlagen der Stadt Cochabamba an den amerikanischen Konzern Bechtel. In der Folge sank die Wasserqualität, wieder stiegen die Preise, und die ärmere Bevölkerung konnte sich nun gar kein Wasser mehr leisten. Deshalb mussten viele Privatisierungen nach heftigen Protesten wieder zurückgenommen werden.

Trotz der für die meisten Menschen desaströsen Folgen drängen die Konzerne und ihre Lobbys auf weitere Liberalisierungen des Marktes. Dabei haben sie mächtige Verbündete. Die einflussreichsten von ihnen sind drei internationale Organisationen, die die neoliberale Globalisierung aktiv vorangetrieben haben: die Weltbank, der Weltwährungsfonds (IWF) und die Welthandelsorganisation (WTO).

Die Weltbank

Die Weltbank wurde 1944 zur Finanzierung des Wiederaufbaus von Europa nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet und hat sich mittlerweile der Armutsbekämpfung vor allem in Asien, Afrika und Lateinamerika verschrieben. Ihre Eigentümer sind alle Mitgliedsstaaten. Das Stimmrecht ist allerdings nach der Höhe der Anteile gewichtet und damit mehrheitlich in der Hand reicher Länder – allen voran USA, Japan, China und Deutschland.

Die Weltbank verleiht viel Geld an Entwicklungsländer, gibt ihnen also Kredite. Mit diesen werden zahlreiche Großprojekte finanziert, an denen multinationale Konzerne gut verdienen, unter denen aber die einheimische Bevölkerung und die Umwelt leiden. Dazu zählen zum Beispiel Riesenstaudämme für Wasserkraftwerke oder Erdölpipelines. Dass dadurch Hunderttausende Menschen gezwungen werden, ihre Heimat zu verlassen, und häufig ihre Lebensgrundlage verlieren, schert die Mächtigen der Weltbank wenig. Selbst Wünsche von Diktatoren wie der Bau riesiger Regierungspaläste wurden regelmäßig erfüllt. Die Schaffung demokratischer Strukturen war die längste Zeit kein Kriterium für die Vergabe von Krediten.

Stattdessen knüpft die Weltbank die Geldvergabe an die Regierungen armer Länder seit Anfang der achtziger Jahre an strenge wirtschaftspolitische Bedingungen. Man spricht von »Strukturanpassungsprogrammen«, mit denen die staatlichen Infrastrukturen der »Bittstellerländer« an die Anforderungen der freien Marktwirtschaft angepasst werden sollen: Gehälter müssen gekürzt, öffentliche Einrichtungen privatisiert und Sozialausgaben radikal zurückgefahren werden. In der Folge haben viele dieser Staaten kein Geld mehr für öffentliche Einrichtungen und sind zur Privatisierung gezwungen. Das wiederum freut die Konzerne, die nun privat solche Einrichtungen betreiben können – vor allem für Reiche, denn schließlich sollen ja hohe Profite dabei herausspringen.

Der Internationale Währungsfonds (IWF)

Der IWF arbeitet seit seiner Gründung im Jahr 1946 eng mit der Weltbank zusammen. Er hat 188 Mitgliedsstaaten, wobei auch hier die reicheren Länder höhere Stimmenanteile haben. Gegründet wurde er, um stabile Wechselkurse zwischen den unterschiedlichen Währungen (zum Beispiel Dollar und Euro) und einen geordneten Ablauf internationaler Geschäfte mit Devisen (ausländischen Währungen) zu gewährleisten. Außerdem soll er das weltweite Wirtschaftswachstum fördern und dafür sorgen, dass Länder mit hohen Schulden diese auch bezahlen können. Ärmere Länder sind nämlich meistens stark verschuldet. Das hat viele Ursachen. Allesamt haben sie aber nichts damit zu tun, dass die Bevölkerungen dieser Länder über ihre Verhältnisse gelebt hätten. Im Gegenteil, diese Menschen haben schon immer draufgezahlt.

So müssen etwa die sechzig Millionen KongolesInnen heute Schulden zurückzahlen, die die belgischen Kolonialherren bis 1960 und danach Diktator Mobutu Sese Seko mit Unterstützung westlicher Regierungen angehäuft haben. Milliarden der von Mobutu geraubten Gelder lagern heute noch auf Schweizer Konten, während ein Großteil der Bevölkerung Hunger leidet. In Brasilien ließen die Militärdiktatoren, die dort bis 1984 herrschten, mithilfe des Siemens-Konzerns und deutscher Banken völlig überteuerte Atomkraftwerke bauen und verursachten einen Schuldenberg, der heute noch abbezahlt wird.

Damit dieser Schuldendienst geleistet werden kann, leiht der IWF gefährdeten Ländern vorübergehend Geld, doch knüpft er daran wie die Weltbank Bedingungen: Die kreditnehmenden Staaten sollen dafür Sorge tragen, dass ihre Ausgaben für öffentliche Dienst- und Sozialleistungen sinken. Das führt wiederum zu Privatisierungen, von denen die multinationalen Konzerne profitieren.

Die Welthandelsorganisation (WTO)

Die WTO (World Trade Organization) ist unter den drei großen Globalisierungsinstitutionen diejenige, die sich am aggressivsten für die Interessen multinationaler Konzerne einsetzt. Dazu gehört auch, internationale Vorschriften zum Schutz von Menschenrechten und Umwelt zu bekämpfen, wenn diese die Profite schmälern könnten.

Gegründet wurde die WTO1995. Ihren Sitz hat sie in Genf. IWF und Weltbank sind in Washington beheimatet. Im Gegensatz zu den anderen beiden Organisationen gilt in der WTO das Einstimmigkeitsprinzip: Jedes der Anfang 2014160 Mitgliedsländer verfügt bei den Arbeitstreffen und in der Generalversammlung über eine Stimme. Dennoch ist die WTO keinesfalls demokratisch organisiert, denn vielen ärmeren Ländern ist es gar nicht möglich, an den zahlreichen Sitzungen teilzunehmen. Da aber jede abwesende Stimme als Ja-Stimme gewertet wird, fällt das Ergebnis fast immer im Sinne der reichen Staaten aus. Noch problematischer ist, dass sich die so genannten »Entwicklungsländer« aufgrund ihrer vielfältigen Abhängigkeiten von den mächtigen Industrieländern kaum trauen, sich gegen deren Entscheidungen aufzulehnen. Zum Teil werden brutale Erpressungsstrategien angewandt: Kürzung der Entwicklungshilfe oder militärischen Hilfe, Rücknahme von Schuldenstreichungen u.Ä.

Ziel der WTO ist es, durch internationale Verträge die Interessen von Kapitaleigentümern und Unternehmen im globalen Handel zu schützen. Diese Verträge kann sie mithilfe von Handelssanktionen weltweit durchsetzen: Wenn sich ein Land nicht daran hält, muss es seine Gesetze ändern oder empfindlich hohe Strafen zahlen. Mit dieser Politik ist es der WTO möglich, auch dann den Konzernen zu ihrem »Recht« zu verhelfen, wenn sie sich dabei gegen den demokratischen Willen der Bevölkerungen ihrer Mitgliedsländer stellt.

Dank des massiven Widerstands zivilgesellschaftlicher Gruppen aus dem Norden und sozialer Bewegungen aus dem Süden konnten die radikalsten Pläne der WTO bisher verhindert oder zumindest abgemildert werden.

Mit dem »Allgemeinen Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen« (GATS) versucht die WTO, möglichst alle Dienstleistungen in den WTO