Schwarze Wurzeln - Katharina Oguntoye - E-Book

Schwarze Wurzeln E-Book

Katharina Oguntoye

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Beschreibung

Katharina Onguntoye beleuchtet die Lebenssituation von Afrikaner*innen und Afro-Deutschen in Deutschland von 1884 bis 1950. Bisher war der Blick auf Schwarze Menschen in Deutschland bestimmt von der Sicht der deutschen Mehrheitsgesellschaft. Gefragt wurde danach, wie Schwarze Menschen in dieser Gesellschaft wahrgenommen bzw. ausgegrenzt werden und dabei wurden ihre Geschichte und ihr Leben lediglich als exotisches Beiwerk oder marginale Einzelfälle dargestellt. "Schwarze Wurzeln" stellt dem erstmals einen Überblick über die Situation der Afrikaner*innen und Afro-Deutschen für die gesamte Periode der neueren deutschen Geschichte bis nach dem Zweiten Weltkrieg entgege. Der Schwerpunkt liegt auf den Lebenswirklichkeiten und der Perspektive der schwarzen Menschen in Deutschland.

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Katharina Oguntoye

Schwarze Wurzeln

Afro-deutscheFamiliengeschichtenvon 1884 bis 1950

Über die Autorin

Katharina Oguntoye, nigerianisch-deutsche Historikerin, Jahrgang 1959, hat die afro-deutsche Bewegung mitgeprägt, unter anderem als eine der Herausgeberinnen des Buches „Farbe bekennen. Afrodeutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte.“ (1986) und als Gründungsmitglied der „Initiative Schwarze Menschen in Deutschland“. Seit 1996 ist sie Leiterin des von ihr mitbegründeten Interkulturellen Netzwerks in Berlin, Joliba e.V.

Über das Buch

Katharina Oguntoye beleuchtet die Lebenssituation von Afrikaner*innen und Afro-Deutschen in Deutschland von 1884 bis 1950. Bisher war der Blick auf Schwarze Menschen in Deutschland bestimmt von der Sicht der deutschen Mehrheitsgesellschaft. Gefragt wurde danach, wie Schwarze Menschen in dieser Gesellschaft wahrgenommen bzw. ausgegrenzt werden und dabei wurden ihre Geschichte und ihr Leben lediglich als exotisches Beiwerk oder marginale Einzelfälle dargestellt.

„Schwarze Wurzeln“ stellt dem erstmals einen Überblick über die Situation der Afrikaner*innen und Afro-Deutschen für die gesamte Periode der neueren deutschen Geschichte bis nach dem Zweiten Weltkrieg entgegen. Der Schwerpunkt liegt auf den Lebenswirklichkeiten und den Perspektiven der Schwarzen Menschen in Deutschland.

Die vorliegende Arbeit wurde als Magisterarbeit im WS 1995/96 an der Technischen Universität Berlin im Fachbereich Geschichte eingereicht. Der Titel lautete »Zur Lebenssituation von AfrikanerInnen und Afro-Deutschen in Deutschland von 1884 bis 1950. Unter besonderer Betrachtung der Familie Diek.«

Ich widme dieses Buch meiner wundervollen Mutter Edith Oguntoye – ohne sie wäre ich nicht die, die ich heute bin – und allen Schwarzen und ihren Familien in Deutschland in der Vergangenheit, der Gegenwart und in der Zukunft.

Katharina Oguntoye

Inhalt

Danksagung

Vorwort 2020

Vorwort zur Veröffentlichung im Februar 1997

1.Einleitung

1.1Vorwort

1.2Quellen

2.Situation im Kaiserreich und in der Weimarer Republik

2.1Der rechtliche Status der AfrikanerInnen und Afro-Deutschen in Deutschland

2.1.1Naturalisation und Schutzgebietsangehörigkeit

2.1.2Schutzgebietsangehörigkeit nach 1918

2.2Gründe und Umstände der Einreise und Ausreise von AfrikanerInnen nach und von Deutschland

2.2.1Die Einreise

2.2.2Die Ausreise

2.3Leben in Deutschland

2.3.1Ausbildung und Erwerbstätigkeit

2.3.2Familiengründung

2.3.3Politische Aktivitäten der Afrikaner in Deutschland und ihre Beziehung zum Afrikanischen Heimatland

3.Die Situation während des Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit

3.1.Die Behandlung der Afrikaner in Deutschland durch die nationalsozialistischen Behörden

3.1.1Rechtssituation

3.1.2Erwerbssituation

3.1.3Nationalsozialistische Kolonialpolitik

3.1.4Verfolgung durch den NS-Staat

3.2Afrikaner und Afro-Deutsche in deutschen Spielfilmen

4.Die Familie Diek

4.1Ankunft des Mandenga Diek in Deutschland

4.2Familiengründung in Danzig

4.3»Das war die schlimmste Zeit, danach ging es uns besser« – die NS-Zeit

4.4Nach dem Krieg

5.Schlußbemerkung

6.Anhang

6.1Dokumente

6.2Personenlisten

Personenliste mit Aktenquellenverzeichnis

6.3Fotodokumentation (Auswahl)

6.4Literaturliste

Danksagung

Ich möchte die Gelegenheit nutzen, mich bei den Menschen zu bedanken, die mich in der langen Zeit der Arbeit begleitet haben. Bei Edith Oguntoye für die Hilfe bei der Transkription und stetige Ermutigung. Bei Ilona Pache für ihre Unterstützung im praktischen und emotionellen Bereich. Dank auch an Maria Schmidt und Dorothea Köhler für das Korrekturlesen. Herzlichen Dank an Doris Reiprich, die ich sehr vermisse, an Herbert Reiprich und Erika Ngambi für ihre Offenheit und Großzügigkeit, mit der sie ihr Wissen und Erinnerungen mit uns teilten. Ohne sie hätte ich meine Arbeit so nicht tun können. Danke auch an Theodor Michael für seine Hinweise und an Beryl Adomako, Abenaa Adomako und Paulette Reed-Anderson. Dank schulde ich auch der Arbeit von May Ayim und den Freunden und Freundinnen von der Initiative Schwarze Deutsche und Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) und der Afrodeutschen Frauengruppe (ADEFRA). Wir sind in den letzten zehn Jahren einen weiten Weg gegangen und konnten vieles verändern, obwohl es uns als Bewegung erst seit kurzer Zeit gibt. Nicht vergessen möchte ich, meiner Familie in Heidelberg, den Freibergers, zu danken, für ihre Sympathie und ihr Vertrauen in mich. Meiner Lebenspartnerin Carolyn Gammon danke ich für ihre Liebe und ihren Ansporn, wenn ich nachlassen wollte. Es ist mir auch wichtig, den Frauen vom Hoho Verlag Christine Hoffmann zu danken, dass sie dieses Buch so kurzfristig angenommen haben und für die reibungslose und freundliche Zusammenarbeit.

Vorwort 2020

Als ich Ende der Neunzehnneunziger meine Forschungsarbeit zur Lebenssituation von schwarzen Menschen in Deutschland begann, war es mein Wunsch herauszufinden, wie Afrikanerinnen und Afrikaner und ihre Familien in Deutschland in der Zeit des deutschen Kaiserreichs, der Weimarer Republik und unter der Nazi-Herrschaft gelebt haben. Ich sagte mir, ich lebe heute und ich weiß, welche Möglichkeiten und welche Hürden im Leben eines Schwarzen Menschen in Deutschland auftauchen. Daraus schloss ich, dass auch unsere Vorgänger ihren Weg gefunden haben.

Seitens der Mainstream-Geschichtswissenschaft wurde ich eher entmutigt: »…Da werden Sie wohl nichts finden….«, denn zumeist findet sich in den Archiven, Bibliotheken und Dokumenten die Sicht der »Sieger«, der »Dominanten« Gesellschaftsgruppen und die staatsrechtlichen Vorgänge.

Während meines Studiums und im Zuge dieser Forschung erkannte ich die Bedeutung der Fragestellung. Es zeigte sich, dass in Akten, Papieren und Dokumenten sehr wohl die Spuren der einfachen Menschen verborgen waren. Zu meiner Überraschung konnte ich eine Fülle erster originaler Dokumentenbestände erschließen und auswerten. Ich war der Familie Diek, das sind Mandenga und Emily Diek und ihre Töchter Erika und Doris, gefolgt, die mit ihrer Erzählung in dem Buch »Farbe bekennen« uns Afro-deutschen erstmals einen Einblick auf das Leben Schwarzer Menschen in Deutschland seit dem Kaiserreich gegeben haben. Die Hinweise aus ihrer mündlichen Erzählung gaben zahlreiche Anhaltspunkte für weitere Recherchen. So war es mir möglich, in meiner Forschungsarbeit zahlreiche andere Protagonisten und Schwarze Familien zu finden.

Es hat mich sehr gefreut, dass meine Entscheidung, im Sprachstil zugänglich und nachvollziehbar zu bleiben, dieses Buch nicht nur für Fachleute interessant machte, sondern auch für viele Menschen aus der afro-deutschen Community und alle Anderen, die sich dafür interessierten. Die vorliegende Arbeit enthält ausführliche Quellenangaben. Wusste ich nur allzu gut, dass alle meine Aussagen kritisch hinterfragt würden. Der positive Aspekt der zahlreichen Zitate war, dass andere Forscher*innen sich so die von mir genannten Quellen auch erschließen konnten. So kam der Stein ins Rollen.

Leider ist die Originalausgabe, erschienen unter dem Titel »Eine afro-deutsche Geschichte« bereits seit mehreren Jahren vergriffen. Der ursprüngliche Verlag Hoho-Hoffmann hatte seine verlegerische Tätigkeit eingestellt. Trotzdem war die Nachfrage kontinuierlich und Studierende und Forschende, baten mich um Leihkopien. Der Orlanda Verlag und die Autorin hoffen, viele dieser Lesewünsche nun mit der Neuausgabe (neuer Satz) unter dem Titel »Schwarze Wurzeln. Afro-Deutsche Familiengeschichten von 1884–1950« erfüllen zu können und die Informationen über die Lebenssituation und -umstände von Schwarzen Menschen und ihren Familien in Deutschland verbreiten zu können.

Katharina Oguntoye, Berlin Mai 2020

Vorwort zur Veröffentlichung im Februar 1997

Schwarze Menschen in Deutschland, gibt es das denn? In dem Buch »Farbe bekennen. Afro-Deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte.« (Berlin 1986) konnten wir diese Frage mit ja beantworten, sind aus der Vereinzelung, in der wir lebten, herausgetreten und haben uns als Afro-Deutsche und Schwarze Deutsche selbst benannt. In den Jahren 1986/87 fand sich nach und nach die Schwarze Bewegung zusammen und wir Schwarze Deutsche begaben uns auf die Suche nach unserer Identität. Das war aufregend und schwierig zugleich. Aufregend, weil wir uns endlich begegneten und einander kennenlernen konnten, und auch weil wir die einmalige Chance bekamen, direkten Einfluss darauf zu nehmen, wie sich das Leben von Schwarzen Menschen in Deutschland entwickeln würde. Schwierig war es aber auch wegen der gravierenden Auswirkungen, die Rassismus für uns hat. Bei dem, was wir zu tun hatten, konnten wir nicht auf Vorbilder zurückgreifen, welche uns Anregung und Richtung hätten geben können. (Unsere Vorbilder kamen aus anderen Ländern und kulturellen Zusammenhängen.) Und in der Geschichte Deutschlands schienen wir nicht vorzukommen. Afrikaner in Deutschland um die Jahrhundertwende, gab es das? Diese Frage hatte keine direkte Antwort, vielmehr zog sie weitere Fragen nach sich. Im Gespräch bekam ich oft zu hören, das gab es bestimmt nicht und wenn doch Afrikaner hier lebten, hätten sie in der »feindlichen« deutschen Umwelt nicht überleben oder sich gar in die Gesellschaft einfügen können.

Ich dagegen war überzeugt, dass Afrikaner und ihre Nachkommen in Deutschland gelebt haben, doch außer dem Interview mit Doris Reiprich und Erika Ngambi in »Farbe bekennen« gab es keine Literatur und Erkenntnisse zu diesem Themenkomplex. Dies war mein Ausgangspunkt, als ich die Recherche für meine Magisterarbeit 1990 begann. Ich nahm die Herausforderung an, Quellen für die Erforschung der Geschichte der AfrikanerInnen und Afro-Deutschen in Deutschland zu entdecken und zu erschließen. Ich ging ins Staatsarchiv und in Stadtarchive, um Orginaldokumente zu finden. Ich befragte die reichhaltige Literatur zur Kolonialzeit auf Querverweise zu afrikanischstämmigen Menschen in Deutschland. Das wichtigste Hilfsmittel hierbei war, die richtigen Fragen an das vorhandene Material zu stellen. Um die effektivste Fragestellung zu entwickeln, half mir das Wissen über die Lebensumstände von AfrikanerInnen in Deutschland heute und über mein eigenes Leben.

Wer waren die afrikanischen Menschen, die Ende des 19. Jahrhunderts nach Deutschland kamen? Welches waren ihre Motive und wie lebten sie hier? Haben sie sich politisch und kulturell in der deutschen Gesellschaft engagiert, und mit welchen Problemen mussten sie sich auseinandersetzen? Wie erging es ihnen in der Zeit der NS-Herrschaft? Wie gestaltete sich ihr Familien- und Berufsleben?

Ich fand überraschenderweise vielfältige Informationen in unterschiedlichen Akten und in der Sekundärliteratur verstreut. Um sie vergleichen und auswerten zu können, fertigte ich ein Verzeichnis der Personen und des Inhalts der Akten an, sowie eine Personenliste mit inhaltlichen Stichworten. Die Personenliste und ein Teil der Fotodokumentation ist dem Buch im Anhang beigefügt. Die Fotografien werden mit der freundlichen Genehmigung von Herrn Herbert Reiprich abgebildet.

Die Forschung zum Themenfeld »Afrikaner in Deutschland« geht nun rasch voran, mehrere Wissenschaftlerlnnen haben sich dem Gebiet zugewandt und das allgemeine Interesse daran ist gestiegen. Um die Ergebnisse meiner Forschung möglichst schnell zugänglich zu machen, entschied ich mich für den Abdruck der Magisterarbeit in der ursprünglichen Form. Es steht zu erwarten, dass in diesem und in den nächsten Jahren die Forschungsarbeiten verschiedener Wissenschaftlerlnnen zum Leben der Menschen afrikanischer Herkunft in Deutschland veröffentlicht werden und zwar zu unterschiedlichen Einzelgebieten, u.a. zur Staatsangehörigkeit, zu verschiedenen Zeitabschnitten, wie z.B. zur Zeit des NS-Regimes oder der Nachkriegszeit.

Seit ich dieses Manuskript vor anderthalb Jahren abgeschlossen habe, sind weitere Fakten bekannt geworden. Vor allem zur Situation in der NS-Zeit sind nun mehr Informationen über die Verfolgung der Menschen afrikanischer Herkunft in Deutschland und Europa, und über ihre Lebensbedingungen, vorhanden.

Die vorliegende Arbeit bietet einen Überblick der Geschichte der Schwarzen Menschen in Deutschland für den gewählten Zeitraum an. Dieser soll einer eklektischen Betrachtungsweise entgegengesetzt werden, mit der diese Geschichte bisher gesehen wurde, nämlich als die Aneinanderreihung von Einzelfällen und »exotischen« Anekdoten.

Ein wichtiges Element im Lernen und Verstehen der Geschichte Schwarzer Menschen ist die Wahrnehmung. Das hervorstechendste Merkmal der Geschichte Schwarzer Menschen in den letzten Jahrhunderten ist der Widerspruch zwischen extremer Sichtbarkeit bei gleichzeitiger extremer Unsichtbarkeit. Die Sichtbarkeit ist bedingt durch Rassismus. Die von Rassismus geprägte Gesellschaft geht von der Prämisse aus, dass die verschiedene Hautfarbe (hier »schwarze« Hautfarbe) zu einer »natürlichen« Reaktion derjenigen mit anderer Hautfarbe (sprich: »weißer« Hautfarbe) führt. Doch persönliche als auch historisch-kulturelle und soziale Erfahrungen zeigen die Unrichtigkeit dieser Annahme. Die Wahrnehmung und Beurteilung eines Gegenübers oder seiner Hautfarbe sind politisch und sozio-kulturell determinierte Übereinkünfte/Mechanismen wie die von Geschlecht, Kleidung, Sprache u. a.

Die unausweichliche Unsichtbarkeit wird bestimmt von der Wertungshierarchie, auf der die Ideologie des Rassismus beruht und bestimmt, dass die unterdrückte Gruppe nicht in ihrer Eigenständigkeit und individuellen Ausprägung sichtbar werden darf, da ansonsten die Erfindung des »Anderen«, z.B. dessen angebliche Minderwertigkeit, Kindlichkeit, Abhängigkeit u.v.a.m., nicht aufrechterhalten werden kann. Die Message heißt also: »du bist immer erkennbar, wir können dich immer herausgreifen.« Und gleichzeitig: »du bist nichts, deine Sicht, deine Perspektive zählt nicht.«

Es ist aber selbstverständlich, dass es vielerlei Situationen gibt, in denen sich diese Prämisse auflöst, in denen die Hautfarbe gar keine Rolle spielt, ganz als hätte es nie rassistische Vorgaben gegeben. Und genau diese Erfahrung lehrt uns, dass Rasse lediglich ein Konstrukt ist und Rassismus, sich auf diese konstruierte Vorstellung berufend, lediglich die Unterdrückung und Ausbeutung von Menschen rechtfertigen soll.

Die Übersicht und Struktur dieser Arbeit möchten als Handwerkzeug dienen, um diesen Kreislauf zu durchbrechen und einen Weg zu ermöglichen, wie das Leben von Menschen afrikanischer Herkunft in Deutschland in seiner Vielfältigkeit gesehen werden kann. Geschichte wird immer da spannend, wo wir Menschen begegnen. Personen und Persönlichkeiten, die als handelnde Subjekte die Geschichte, also unsere Vergangenheit, mitgestalteten und damit auch unsere Gegenwart beeinflussten.

Es ist einfach schade, wenn wir von den Begebenheiten und Ereignissen in unserer Vergangenheit nicht wissen, denn dann bleibt uns ein Teil des Fundamentes verborgen, auf dem wir unsere Zukunft bauen wollen.

Katharina Oguntoye, Berlin Januar 1997.

1.Einleitung

1.1Vorwort

In dieser Arbeit wird die Lebenssituation von AfrikanerInnen und Afro-Deutschen1 in Deutschland seit der Errichtung deutscher Kolonien 1884 bis zum Ende des Zweiten Weltkrieg umrissen werden. Der gewählte Zeitraum umfasst drei Perioden der deutschen Geschichte, nämlich das Kaiserreich, die Weimarer Republik und die Zeit des Nationalsozialismus. Dies ist auch die zeitliche Gliederung der vorliegenden Arbeit.

Der Ausgangspunkt für meine Recherche zum Themas war die Betrachtung der afrikanisch-deutschen Familie Diek, deren Familienbiographie seit der Ankunft des Kameruners Mandenga Diek 1891 in Hamburg fünf Generationen in Deutschland umschließt. Die Bereitschaft der Familie, in Interviews und Gesprächen offen über ihre Erlebnisse zu berichten und ihre privaten Dokumente zur Verfügung zu stellen, gab vielfältige Hinweise auf themenspezifische Fragestellungen und Quellen.

Im Verlauf der Arbeit wird unregelmäßig auf Einzelheiten aus der Familiengeschichte eingegangen, soweit sie als typische Beispiele für die Untersuchungsgruppe gewertet werden können. Am Ende der Arbeit wird die Geschichte der Dieks im Zusammenhang nachgezeichnet. Dabei werden auch die Untersuchungsergebnisse zusammenfassend betrachtet.

Im Anhang befindet sich ein Personenprotokoll (siehe Anhang 6.3) zu dieser Arbeit, darin werden die Afrikaner namentlich und mit einem inhaltlichen Stichwort aufgeführt, so wie sie in den Kapiteln auftauchen. Das Personenprotokoll soll das Lesen als auch das Wiederfinden der zahlreichen Beispielfälle aus den Akten erleichtern.

Bisher liegen, soweit mir bekannt, keine historischen Untersuchungen zur Lebenssituation von AfrikanerInnen und Afro-Deutschen in Deutschland für den gewählten Zeitraum vor.2 Zur Erforschung des Themas werden auf Grund der Quellenlage zwei historische Methoden zur Anwendung kommen: die herkömmliche der Auswertung von Archivmaterialien und die neuere der Oral Historie. Mündliche Überlieferung ist für das Thema von großer Bedeutung, weil die schriftlichen Quellen, die größtenteils erst noch erschlossen werden müssen, nur im geringen Maße vorhanden sind. Auch geben die Auskünfte der Zeitzeugen Einblicke in die Befindlichkeit der Untersuchungsgruppe, die durch die in der Regel amtlichen Dokumente nicht möglich wären. Die Quellen werden weiter unten genauer vorgestellt. Zuvor noch einige allgemeine Überlegungen zum Thema.

Dass historische Untersuchungen zu AfrikanerInnen und Afro-Deutschen in Deutschland bisher nur in verschwindend geringer Zahl entstanden sind3, kann nicht allein mit der kleinen Zahl der betroffenen Personen begründet oder mit dem Argument erklärt werden, Deutschland sei nur für eine kurze Zeitspanne Kolonialmacht gewesen. Immerhin beträgt diese »kurze« Zeitspanne 34 Jahre, und der Verweis auf die geringe Zahl einer Minderheit gibt noch keine befriedigende Auskunft über ihre gesellschaftliche Relevanz und ihre soziale Situation.

Ein möglicher Grund dafür, warum Afrikaner und Afro- Deutsche bisher nicht in das Blickfeld wissenschaftlicher Forschung gerieten, ist die Bewertung, die der Begriff »deutsch« erfährt. Die Konnotation des Begriffs »deutsch« beinhaltete mehr als die Bezeichnung einer Nationalität oder Staatzugehörigkeit. Vor allem nach dem Entstehen des Nationalismus Ende des 18. Jahrhunderts wird häufig auch das Konzept der Überlegenheit aufgrund der germanischen Abstammung mitgedacht. Dieses Konzept von »deutsch« als »rein weiß« hat alle in Deutschland lebenden Personen nicht europäischer ethnischer und kultureller Herkunft zur Unsichtbarkeit verurteilt. Sofern sie überhaupt wahrgenommen werden, werden sie als das Fremde, das Andere ausgegrenzt. Unter diesen Umständen ist es nicht verwunderlich, dass die Existenz von Schwarzen Deutschen außerhalb des Bewusstseins und der Wahrnehmung des allgemeinen Bewusstseins und auch des Fachinteresses lag. Die vorliegende Arbeit will Materialien für die objektive Beurteilung der Personengruppe und ihrer Geschichte in Deutschland bereitstellen. Bisher wurde das Leben von Afrikanern in Deutschland und in Europa nur in Einzelbeispielen beschrieben und diese dann als »exotische« Randerscheinungen eingeordnet. Deshalb werden hier die Grundzüge aufgezeigt und in den Zusammenhang gestellt.

1.2Quellen

Die Hauptquelle für die vorliegende Arbeit bildet eine ausgewählte Gruppe von Akten des Reichskolonialamtes.4 Für diese Untersuchung wurden die Akten auf Hinweise zur Untersuchungsgruppe durchgesehen und für die Auswertung ein Inhaltsverzeichnis über die jeweils enthaltenen Daten angefertigt.5 In den vierzehn Akten befinden sich spezifische Aussagen zu den Verhältnissen der Afrikaner und Afro-Deutschen in Deutschland, sofern diese in die Zuständigkeit des Auswärtigen Amtes und später des Reichskolonialamtes (RKA) fielen oder mit den Interessen Deutschlands in überseeischen Besitzungen verbunden waren. Dazu gehörten Beschwerden der Afrikaner über die deutsche Kolonialverwaltung ebenso wie der »Zuzug und die Heimschaffung von Afrikanern aus den deutschen Kolonien«, wie es in einem Aktentitel heißt, oder die Reichsangehörigkeitsverhältnisse der AfrikanerInnen wie auch die Frage der schwarz-weißen Ehen und der daraus entstammenden Kinder.

Im Wesentlichen sind es die politischen Hintergründe, die die Entscheidungen und Maßnahmen des Reichskolonialamtes bestimmten. So enthalten die Akten in der Regel Vorgänge, in denen die Haltung der deutschen Regierung zu bestimmten aktuellen Fragen festgestellt werden soll und in denen AfrikanerInnen in strittige Fälle verwickelt sind. Das heißt, die Personengruppe, die im Mittelpunkt des Interesses dieser Untersuchung steht, erscheint in dieser Quelle vor allem unter rechtlichen Gesichtspunkten. So gibt diese Quelle direkte Hinweise auf den rechtlichen Status der Untersuchungsgruppe im deutschen Recht. In der Untersuchung wird auf die Staatsangehörigkeit bzw. Naturalisation von AfrikanerInnen in Deutschland und in den deutschen Kolonien eingegangen. Dabei wird der in der Quelle immer wieder auftauchende Vergleich zur rechtlichen Lage der Afrikaner in anderen Staaten mit Kolonien wie Großbritannien, Frankreich und anderen hier nur insofern behandelt werden, als dies zur Darstellung der Situation in Deutschland nötig ist.

Für die Behandlung der Afrikaner durch den nationalsozialistischen Staat gaben die Akten von 1933 bis 1945 ganz konkrete Hinweise. So enthalten sie z.B. Aussagen zur rechtlichen Situation nach 1933 wie auch zu den akuten Auswirkungen der Rassenpolitik des NS-Staates auf die zum Teil schon lange vor dem ersten Weltkrieg nach Deutschland gekommenen und seither in Deutschland lebenden Afrikaner. Die Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes, die zum damaligen Zeitpunkt für diese Personen zuständig war, ist sowohl in Kontinuität zu den vorhergegangenen Perioden als auch in Übereinstimmung mit der neuen Regierung um die Verbesserung der Lage der Afrikaner bemüht gewesen. Das hatte vor allem außenpolitische Gründe, wie zu zeigen sein wird.

Die zweite Quelle sind zwei Interviews, die die Autorin der vorliegenden Arbeit und May Ayim (vormals Opitz) mit den Töchtern des Mandenga Diek, Frau Doris Reiprich und Frau Erika Ngambi am 20.4.1985 und am 24.10.1985 gemacht haben.6

In seinem Aufsatz »Oral Historie als Erfahrungswissenschaft« benennt Alexander von Plato7 einige Bereiche, in denen er die Anwendung der Oral Historie als besonders nützlich einschätzt. Dieses ist dort der Fall, wo es

1) um die Rekonstruktion von Ereignissen und Abläufen geht und für die keine oder nur mangelhafte andere Quellen vorliegen; oder es

2) um die Bedeutung von Vorerfahrung für weitere historische Abschnitte geht; oder wenn

3) die »Innenansichten« bestimmter sozialer Gruppen bearbeitet werden; und wenn

4) die Dynamik zwischen Generationen; oder auch

5) die Dynamik innerhalb von Biografien oder deren Selbstkonstruktionen untersucht werden sollen.8

Diese Ansätze zur Interpretation von mündlicher Überlieferung geben ausgezeichnete Anregungen für die Auswertung von Interviews mit Zeitzeugen zum vorliegenden Thema, da hier alle von Plato genannten Punkte zutreffen. Allerdings ist die vorliegende Arbeit keine Oral Historie-Arbeit, vielmehr stützt sich die Untersuchung überwiegend auf das Aktenmaterial des RKA und des Auswärtigen Amtes. Das Interview stellt jedoch eine wichtige Ergänzung für den Bereich der Erfahrungsgeschichte dar und erhält daher entsprechenden Raum in der Arbeit. Wann immer möglich, wird das Interview als Belegquelle für einzelne Bereiche mit herangezogen, unter anderem auch, weil darin Zeitzeugen aus der Untersuchungsgruppe zu Wort kommen und die Ereignisse dadurch anschaulicher werden.

1) Rekonstruktion von Ereignissen und Abläufen

Es wird deutlich, dass es gilt, afrodeutsche Geschichte zunächst einmal zu rekonstruieren, trotz schlechter Quellenlage bzw. obwohl die Quellen zumeist noch zu erschließen sind. Vielfältige Fragen sind zum Thema offen, so zum Beispiel die nach der sozialen und ökonomischen Lebensgrundlage und den Lebensumständen der zu untersuchenden Gruppe in Deutschland und nach ihrer politischen Rolle und Betätigung. Wie sah diese Personengruppe sich selbst, wie wurde sie von ihrer Umwelt wahrgenommen bzw. eingeordnet? Im Einzelnen interessieren auch die Umstände der Einreise bzw. Einwanderung nach Deutschland, der personenrechtliche Status, die Lebens- und Arbeitsbedingungen, die Behandlung durch die staatlichen Stellen, die Situation bei der Familiengründung, die politischen und sozialen Aktivitäten der Personengruppe und ihr Verhältnis zu ihren afrikanischen Heimatländern.

2) Bedeutung von Vorerfahrung für weitere historische Abschnitte

Die Erfahrung der Afrikaner und Afro-Deutschen in Deutschland ist von Beginn an von Brüchen gekennzeichnet. Die erste Generation musste den Wechsel von einem Kontinent zum anderen und den Übertritt von einer Kultur in eine grundsätzlich unterschiedliche verarbeiten. Später erlebten sie nicht nur das Ende des Kaiserreichs und das Ende des deutschen Kolonialreiches, sondern auch die Verfolgung und Bedrohung während des Nationalsozialismus und die anschließende Befreiung.

Wie diese Veränderung individuell als auch kollektiv erlebt und verarbeitet wurde, ist ein wichtiger Aspekt, um die Lage der Untersuchungsgruppe beurteilen zu können.

3) »Innenansichten« bestimmter sozialer Gruppen

Dieser Aspekt würde eine größere Anzahl von Interviews und die Befragung einer größeren Anzahl von Zeitzeugen erfordern, um dadurch genügend Material für eine vergleichende Auswertung zu erhalten. Das konnte für diese Untersuchung nicht geleistet werden, sodass die Aussagen zu diesem Bereich beschränkt sind.

Trotzdem konnten aus dem zur Verfügung stehenden Interview vielfältige Informationen zum Innenverhältnis der Gruppe der Afrikaner und Afro-Deutschen gewonnen werden, weil die Familie Diek eine sozial sehr aufgeschlossene und aktive Familie war. So berichten sie zum Beispiel von Treffen in privaten Zusammenhängen als auch von solchen aus beruflichen Gründen. Wie diese Zusammenkünfte im Bereich der Schauspielerei und der Artistik zustande kamen und welche Gefühle sie begleiteten, erfahren wir aus keiner anderen Quelle als dem Interview.

4) Die Dynamik zwischen Generationen

Die Betrachtung der Dynamik zwischen den Generationen der Untersuchungsgruppe ist deshalb von Interesse, weil es sich bei der Geschichte von AfrikanerInnen und Afro-Deutschen in Deutschland um eine Immigrationsproblematik handelt – mit all ihren unterschiedlichen Situationen für die verschiedenen Generationen. Auch die Tatsache, dass die Mehrzahl der afrikanisch-deutschen Familien ethnisch gemischt ist, führt zu spezifischen Dynamiken zwischen den Generationen.

Auch dieser Aspekt wird sich hauptsächlich durch die Auswertung von Interviews mit den Betroffenen erschließen. In dieser Arbeit jedoch wird die Generationsproblematik nur tangential behandelt.

5) Die Dynamik innerhalb von Biografien oder deren Selbstkonstruktionen

Die schon in den vorhergehenden Punkten genannten Umstände für die Situation der Afrikaner und Afro-Deutschen in Deutschland bedingen spezifische Konfliktfelder und Spannungsverhältnisse sowohl für das einzelne Individuum als auch für die gesamte Gruppe. Dazu ist neben der Immigrationsthematik und der Erfahrung der Verfolgung während der NS-Zeit auch die Erfahrung von rassistisch motivierter Diskriminierung zu zählen.

Ausgelöst durch diese emotionsgeladenen Erfahrungen ergeben sich bei der Interpretation der Aussagen der Zeitzeugen Probleme, die auf ungenauer Erinnerung und Problemen bei der Selbstkonstruktion von Biografien beruhen. Mit der kritischen Auswertung der Quellen wird diesem Problem begegnet werden können. In der vorliegenden Arbeit wird auch durch den Vergleich mit den Informationen aus den schriftlichen Quellen größere Genauigkeit erzielt.

1Die Bezeichnung afro-deutsch ist relativ neu, deshalb soll sie an dieser Stelle kurz definiert werden. Der Begriff »afro-deutsch« ist 1986 entstanden und bezeichnet Schwarze Deutsche afrikanischer Herkunft. Der Begriff bezieht sich auf Personen mit bikultureller Herkunft und mit deutscher Sozialisation. Gemeinsamer Nenner für diese durchaus heterogene Personengruppe sind: die deutsche Staatsangehörigkeit, überwiegend deutsche Sozialisation, Bezug zu einer afrikanischen oder afrikanischstämmigen Kultur. Es müssen keinesfalls alle drei Kriterien zutreffen. Zum Beispiel hat zwar heute die Mehrzahl der Afro-Deutschen die deutsche Staatsbürgerschaft, doch noch vor zwanzig Jahren war dies keineswegs die Regel. Wie gerade die Staatsangehörigkeit für die zu betrachtende Personengruppe von den jeweiligen gesetzlichen Bestimmungen und Gesetzesauslegungen abhängig ist, wird ein Thema dieser Darstellung sein.

2Arbeiten, die sich mit Aspekten des Themas befassen sind; Opitz, May, Afro-Deutsche. Ihre Kultur- und Sozialgeschichte auf dem Hintergrund gesellschaftlicher Veränderungen, Regensburg 1986. Die Diplomarbeit in Pädagogik enthält einige wenige Angaben zu den ersten Afrikanerinnen in Deutschland vom Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert. Für das Thema der vorliegenden Arbeit verwertbare Ausführungen zur Lebenssituation der Untersuchungsgruppe sind in dieser umfangreichen Arbeit zur Kulturgeschichte nicht enthalten; Amoateng, John, Schwarze Deutsche. Eine ethnische Minderheit in der Bundesrepublik Deutschland – ihre Geschichte sowie die Entwicklung und Bedeutung ihrer Eigenorganisation, Berlin 1991. Diese Diplomarbeit wurde im Fachbereich Politische Wissenschaften eingereicht und befasst sich vor allem mit der Entstehung und Entwicklung der Initiative Schwarze Deutsche (ISD), die 1986 gegründet wurde. Zur Lebenssituation der Untersuchungsgruppe für unseren Zeitraum standen auch dieser Arbeit kaum Informationen zur Verfügung. Lediglich für ein Einzelbeispiel um 1900, nämlich das von Martin Dibobe, konnte der Autor einige Fakten ermitteln, die auch in meiner Untersuchung aufgenommen wurden; Pommerin, Reiner, »Sterilisierung der Rheinlandbastarde». Das Schicksal einer farbigen deutschen Minderheit 1918-1937, Düsseldorf 1979. Die Untersuchung folgt dem Lebensweg der Kinder mit bi-ethnischer Herkunft, die nach dem Ersten Weltkrieg im Rheinland geboren wurden. Obwohl die Untersuchungsgruppe nur teilweise mit der für die vorliegende Arbeit übereinstimmt, konnten ihre Forschungsergebnisse als Quelle für das Kapitel zur NS-Zeit verwendet werden; Rüger, Adolf, Imperialismus, Sozialreformismus und antikoloniale demokratische Alternative. Zielvorstellungen von AfrikanerInnen in Deutschland im Jahre 1919, ins Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, S. 1293-1308, Jg. 23, Berlin (Ost) 1975. Dem Aufsatz konnten wichtige Hinweise für das Kapitel über die Aktivitäten von AfrikanerInnen in Deutschland entnommen werden.

3Historische Arbeiten zum Themenbereich sind: Debrunner, Hans Werner, Presence and Prestige: Africans in Europe. A History of Africans in Europe before 1918, Basel 1979, Chapter 10.3, Africans in Germany and Switzerland 1890-1918, page 351-367. Debrunner hat mit seinem breit angelegten Werk das Thema der Afrikaner in Europa sehr umfassend bearbeitet. Der Autor hat eine Vielzahl von Einzelbeispielen seit dem frühen Mittelalter zusammengetragen. Um die Detailfülle zu ordnen, führt er zu jeder afrikanischen Person, die sich in Europa aufhielt, stichwortartige Bio-Biblographien auf. Die Untersuchungsergebnisse für Deutschland zwischen 1884 und 1918 haben viele Übereinstimmungen mit denen der vorliegenden Untersuchung. Jedoch beschäftigt sich das kurze Kapitel bei Debrunner fast ausschließlich mit Personen, die sich nur kurze Zeit in Deutschland aufhielten. Am wichtigsten für meine Untersuchung waren Debrunners Erkenntnisse zur Ausbildung von AfrikanerInnen in Deutschland durch Missionsgesellschaften; Martin, Peter, Schwarze Teufel, edle Mohren. Afrikaner im Bewusstsein und Geschichte der Deutschen, Hamburg 1993. Schwerpunkt des Buches ist das Bild der Afrikaner im Mittelalter und die frühe Neuzeit in Deutschland. Einzelbeispiele, unseren Untersuchungszeitraum betreffend, sind lediglich die der Afrikaner in den Militärmusikkorps der Kaiserzeit.

4Liste der Aktenbezeichnungen siehe Anhang 6.2.

5Das Personenverzeichnis und eine Auswahl der Familienfotos befinden sich im Anhang 6.4 und 6.5.

6Auszüge aus den Interviews wurden veröffentlicht in Farbe bekennen. Afro-Deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte, Oguntoye/Opitz/Schultz (Hg.), Berlin 1986.

7Plato, Alexander von, Oral Historie als Erfahrungswissenschaft. Zum Stand der »mündlichen Geschichte« in Deutschland, ins Bios – Zeitschrift f. Biographieforschung und Oral Historie, Heft 1/199, S. 97-119.

8ebenda S. 104.

2.Situation im Kaiserreich und in der Weimarer Republik

Im Folgenden wird der Kontext für die Situation der Afrikaner im Kaiserreich und in der darauffolgenden Periode der Weimarer Republik dargestellt, dabei erschließt sich die deutsche Situation im Vergleich zu anderen Kolonialstaaten, und die Motivationen für die Behandlung der Afrikaner in Deutschland wird besser verständlich. Einleitend wird die Haltung Englands, Frankreichs und Deutschlands verglichen.

Koloniales Selbstverständnis der Kolonialmächte

Als 1884/85 im Anschluss an die Absprachen der Berliner Westafrikakonferenz die deutsche Regierung unter Bismarck offizielle Kolonien in Afrika errichtete9, war dem eine mehr als hundertjährige Präsenz deutscher Forschungsreisender, Unternehmer und Missionare auf dem afrikanischen Kontinent vorausgegangen. Somit gehörte Deutschland zu den Ländern, die zuerst »nur« mittelbar an der kolonialen Expansion Europas teilgenommen hatten. Deutschland hatte nicht zu den frühen Kolonialmächten gehört, da der Nationalstaat sich erst spät gebildet hatte und damit eine ökonomische Zersplitterung verbunden war. Deutschland war keine Seemacht, weil der Staat nicht über die finanziellen und strukturellen Mittel verfügte, um eine Handels- und Kriegsflotte aufzubauen.

Dies unterschied Deutschland von den frühen Kolonialmächten England, Frankreich und Spanien, Portugal und den Niederlanden, die jeweils über eine oder beide Voraussetzungen verfügten, den Zentralstaat und/oder eine Seeflotte.

Ein Hauptargument gegen die Errichtung formeller Kolonien waren die enorm hohen Kosten einer Kolonialverwaltung. Die ProArgumente betonten den hohen Prestigewert von Kolonien für eine Großmacht und gingen davon aus, dass eine industrielle Volkswirtschaft auf die Rohstoffzufuhr aus Kolonialgebieten angewiesen sein würde.

Welchen ökonomischen Nutzen Kolonien für die Mutterländer hatten, wird auch heute noch kontrovers diskutiert. Für diese Arbeit ist der ökonomische Aspekt jedoch nicht weiter von Bedeutung, vielmehr interessiert hier die ideologische Begründung, die bei der Errichtung von Kolonien angeführt wurden.

Die ideologischen Begründungen der jeweiligen Kolonialmächte unterschieden sich nur graduell und hatten auf die tatsächliche Kolonisation keinen großen Einfluss; für die historische Beurteilung des Kolonialismus und seiner Folgen für die kolonialisierten Völker ist die unterschiedliche Behandlung der Kolonien durch die Kolonialmächte jedoch von Interesse. Für unser Thema betrifft dies vor allem den Rechtsstatus, den eine Kolonie hatte, da von diesem der Rechtsstatus der Afrikaner abhängig war. Der Rechtsstatus wurde für die Afrikaner in der Regel erst dann relevant, wenn sie sich in Europa selbst befanden. Für die Lage in den Kolonien waren die jeweilige Verwaltungsstruktur und die »Eingeborenenpolitik« der Kolonialmacht entscheidend.

Das britische Kolonialreich, »the Empire«, verfügte über eine lange Erfahrung in der Ausübung von kolonialer Herrschaft, wobei sich das traditionell liberal eingestellte Britannien verschiedenster Rechtsformen bediente, die den örtlichen Gegebenheiten angepasst werden konnten. Es gab mindestens sieben verschiedene Möglichkeiten der Bindung an Großbritannien, davon sind hier nur zwei von Belang, auf die sich letztendlich die direkte Herrschaftsausübung beschränkte. Dies waren zum einen der rechtliche Status einer Kronkolonie und zum anderen der des Protektorats. Eine Kronkolonie hat in verschiedenster Abstufung eine parlamentarische Beteiligung der Bevölkerung, manchmal einschließlich kleiner Teile der schwarzen Bevölkerung der Kolonie, an der Innenpolitik. Bei einem Protektorat blieb die althergebrachte Regierung erhalten, wurde aber von den Briten kontrolliert. Der grundlegende Unterschied zwischen beiden Rechtsformen war, dass die Bewohner einer Kronkolonie britische Untertanen waren und diejenigen der Protektorate nicht.

Frankreichs Selbstverständnis ist auf dem von Paris aus regierten Zentralstaat begründet, und die Kolonien wurden als ein Bestandteil der »unteilbaren« Republik betrachtet, der »Grande Nation«. Die eigene Kultur, einschließlich der egalitären Menschenrechte als eine der Errungenschaften der Französischen Revolution, wurde als einzigartig und überragend angesehen und die Kolonialbestrebungen damit gerechtfertigt, diese Kulturwerte anderen (wilden) Völkern bringen zu wollen. Zu Beginn der Kolonisierung wurden afrikanische Gebiete durch Protektoratsverträge unter französische Hoheit gebracht. 1904 wurden die Kolonien dann der Zentralregierung in Paris unterstellt, indem ihre Souveränitätsrechte durch Parlamentsbeschluss aufgehoben wurden.

Die französische Auffassung führte dazu, dass die Afrikaner als »schwarze Franzosen« betrachtet wurden. Die Auffassung war die, dass alle Menschen gleich seien, wenn sie die gleichen Möglichkeiten hätten. Also wurde den AfrikanerInnen Bildung zugestanden. Eine strikte Rassentrennung in den Kolonien war aufgrund der Gleichheitsvorstellung kein Schwerpunkt der französischen Kolonialpolitik.

An dieser Stelle muss klar betont werden, um möglichen Missverständnissen vorzubeugen, dass vorauszusetzen ist, dass alle Kolonialmächte von der Überlegenheit der weißen Menschen überzeugt waren und schwarzen Menschen gegenüber rassistische Vorurteile vertreten wurden. Was hier betrachtet werden soll, sind ideelle Werte, die zu unterschiedlichen Ausprägungen bei den rechtlichen Formen des Status und der Behandlung von AfrikanerInnen führten.

Die Haltung des Deutschen Reiches zeichnete sich gegenüber dem Sinn und Nutzen von Kolonien für Deutschland durch Zögern aus.10 Die Ambivalenz der deutschen Regierung gegenüber den Kolonien wird z.B. in der dürftigen Ausstattung der Kolonialabteilung deutlich, die im Auswärtigen Amt eingerichtet wurde.11 Und auch dadurch, dass die Kolonien als Schutzgebiete bezeichnet wurden und die Staatsgewalt im deutschen Kolonialrecht als Schutzgewalt bezeichnet wurde.12 Da es sich nun de facto um Kolonien handelte, stellt sich die Frage nach dem Entstehen dieser Benennung. Von Hoffmann führt in seinem Buch zum deutschen Kolonialrecht an, für die Entstehung des Begriffes Schutzgewalt seien folgende Punkte von Bedeutung:

»… die Oberhoheit des Reiches über die Kolonialgesellschaften, der Schutz der neuerworbenen Gebiete, der Schutz der Europäer und die in den Schutzverträgen gegenüber den Häuptlingen eingegangenen sogenannten ursprünglichen Schutzverpflichtungen.«13