Schwarzweißdenken - Sara Maria Behbehani - E-Book

Schwarzweißdenken E-Book

Sara Maria Behbehani

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Beschreibung

Die junge Journalistin Sara Maria Behbehani schreibt mit genauso viel Wut wie Einfühlungsvermögen, mit Verve und persönlichem Engagement, wie das gesellschaftliche Gespräch über und der tägliche Einsatz gegen Rassismus gelingen kann. Ihre Botschaft: Es ist alles viel komplizierter als wir denken. Und trotzdem kann es so viel einfacher werden, wenn wir anfangen, einander zuzuhören. Die Proteste im Rahmen von Black Lives Matter im Sommer 2020 waren lautstark in Deutschland, aber schnell wieder vorbei. Wenn es allerdings um strukturellen Rassismus im Alltag, um die Benachteiligung nicht-weißer Menschen in der eigenen Lebenswelt geht, dann herrscht oftmals dröhnendes Schweigen. Anti-Rassismus gerne, aber bitte nicht zu teuer – das scheint bis heute die Devise der stillen Mehrheit in Deutschland zu sein, wenn es um den Kampf gegen Diskriminierung jener Menschen geht, die noch immer viel zu oft als "Fremde" gelesen werden. - Der blinde Fleck im Kampf gegen Rassismus: was die weiße Mehrheitsgesellschaft nicht sehen will. - Ein Ausweg aus den Polarisierungen - Persönlich, emphatisch, anschaulich: auf dem Weg zu einem neuen Diskurs - Warum Identitätspolitik nicht ohne Solidarität funktionieren kann Die NSU-Morde, Halle und Hanau – der rechte Hass ist Alltag in Deutschland. Doch erst die Rassismusdebatte aus den USA führte dazu, dass große Teile der deutschen Zivilgesellschaft aktiv protestieren. Warum aber mobilisiert Black Lives Matter stärker als das, was vor der eigenen Haustür passiert? Sara Behbehanis These: weil man sich Anti-Rassismus aus den USA wie den neuesten Sneaker an- und ausziehen kann. Aber für das, was hier passiert, ist jede*r verantwortlich. Behbehani fordert: Es ist an der Zeit, dass die Träger*innen weißer Privilegien sich ernsthaft mit den Lebenswelten der »Anderen« auseinandersetzen, es ist Zeit, dass ein neuer Dialog beginnt. Ihr Buch ist eine beeindruckende Anleitung fürs Zuhören in einer polarisierten Migrationsgesellschaft. Mit ihrem energischen Plädoyer für ein besseres Miteinander weitet sie den Blick in einer verengten Debatte und zeigt neue Wege, um aufeinander zuzugehen. Sara Maria Behbehanis politisches Sachbuch ist eine beeindruckende Anleitung fürs Zuhören in einer polarisierten Migrationsgesellschaft. Mit ihrem energischen Plädoyer für ein besseres Miteinander weitet sie den Blick in einer verengten Rassismus-Debatte und zeigt neue Wege, um aufeinander zuzugehen.

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Sara Maria Behbehani

Schwarzweißdenken

Was es heißt, ehrlich über Rassismus zu sprechen

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Die NSU-Morde, Halle und Hanau – der rechte Hass ist Alltag in Deutschland. Doch erst die Rassismusdebatte aus den USA führte dazu, dass große Teile der deutschen Zivilgesellschaft aktiv protestieren. Warum aber mobilisiert #blacklivesmatter stärker als das, was vor der eigenen Haustür passiert? Sara Maria Behbehanis These: weil man sich Anti-Rassismus aus den USA wie den neuesten Sneaker an- und ausziehen kann. Aber für das, was hier passiert, ist jeder selbst verantwortlich. Sie fordert: Es ist an der Zeit, dass die Träger weißer Privilegien sich ernsthaft mit den Lebenswelten der »Anderen« auseinandersetzen, es ist Zeit, dass ein neuer Dialog auf beiden Seiten beginnt. Ihr Buch ist eine beeindruckende Anleitung fürs Zuhören in einer aufgeregten Gesellschaft.

Inhaltsübersicht

Widmung

Prolog

Vom Anderssein

Die Fremden als Wanderer

Fremdheit als Konstruktion: wie jemand zum anderen gemacht wird

Der Alltag der anderen: wie sich Rassismus anfühlt

Ignoranz oder Rassismus? Die Macht der Wörter

Die dunklen Ränder: Kriminalität und Parallelgesellschaften

Ungleiche Bildungschancen: über die Privilegien der Büchermenschen

Einwanderungsgesetz – wir haben es selbst in der Hand

Die Sache mit der Quote

Von der Heimatlosigkeit oder: Wie Integration wirklich gelingen kann

Das Leben in zwei Welten

Warum es keine Rolle spielt, Ausländer zu sein

Was Integration sein kann

Identitätspolitik – ihre Forderung und ihre Schwächen

Sprache als Tor in die Wirklichkeit

Das Grundgesetz – die Basis jeder Integration

Das Problem mit der sexuellen Aufklärung

Warum wird es einem so schwer gemacht, sich als Deutscher zu fühlen?

Eine Liebeserklärung an Deutschland und warum wir keine Leitkultur brauchen

Warum all der Hass?

Am Anfang war das Wort – weil Worte Taten schaffen

Solange wir leben, müssen wir uns entscheiden – warum es keine Begründung für Hass geben kann

Der Hass auf die Fremden

Angst vor dem Verlust der Heimat

Hass in Systemen – Entindividualisierung und Gleichmachung

Wenn Politik aus Angst gemacht wird

Angst, Hass und alternative Wirklichkeiten

An alle, die noch Zweifel haben

Wieso uns der Krieg in Syrien und der Hunger in Afrika nicht egal sein können

»Wir sind hier, um euch zu helfen«

Nicht unsere Verantwortung – oder doch?

Das Eingreifen des Westens im Nahen Osten

Eine Frage der Glaubwürdigkeit

Gegen die Heuchelei und die moralische Überlegenheit

Wir müssen Fluchtursachen bekämpfen, nicht Geflüchtete

Am Scheideweg – Europa muss seine Stimme finden

Ein Plädoyer für das Zuhören und was das mit George Floyd zu tun hat

Gegen den Bruch

Medien in der Krise

Das Teufelsrad der Klickzahl

Die Gleichzeitigkeit der Krise im 21. Jahrhundert: gegen den nationalen Egozentrismus

Warum Respekt vor Politikern so wichtig ist

Wie wir einander zuhören lernen

Definition einer Grenze

Was würde ich tun?

Das Licht, das durch die Risse scheint

Dank

Meiner Familie

und all jenen, die den Menschen sehen

Prolog

Es ist der 6. Juni 2020. 25000 Menschen haben sich in München zum Protest versammelt. Die meisten stehen auf dem Königsplatz, die restlichen sind auf die Zufahrtsstraßen geströmt. Es sind Tausende, die mit einem Mal niederknien – auf den Stufen der Glyptothek, dort also, wo sonst die Jugendlichen an lauen Abenden auf den Stufen sitzen und Wein oder Bier trinken, und gegenüber, am oberen Ende der Treppe zur staatlichen Antikensammlung, wo sonst sommers Tango getanzt wird. Dort, wo einst die Nationalsozialisten aufmarschierten, wo einst Bücher verbrannt wurden und Heinrich Heine recht behalten sollte, als er schrieb: »Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.«

An diesem Ort also knien im Juni 2020 all diese Menschen fast zehn Minuten lang, um ein Zeichen gegen Rassismus zu setzen. Neun Minuten und 28 Sekunden sind es, die sie dazu gebracht haben. Neun Minuten und 28 Sekunden, in denen jede und jeder dieser vornehmlich jungen, gebildeten, internetaffinen Generation, die da zusammengekommen ist, einem weißen Polizisten dabei zusehen konnte, wie er den Schwarzen US-Amerikaner George Floyd ermordete, ganz gleich, wie oft der längst ikonische Satz »I can’t breathe« seine Lippen verließ.

Die Grausamkeit, die da auf der anderen Seite des Atlantiks passiert war, war im Juni dieses in vielerlei Hinsicht so unerträglichen Jahres plötzlich ganz nah. Die knapp zehn Minuten Todeskampf hatten sich in den eigenen vier Wänden erleben lassen, gepresst auf einen Bildschirm, auf das Handy in der eigenen Hand. Ein Todeskampf, durch einen Polizisten verschuldet, und damit durch die Staatsgewalt, die doch eigentlich die Aufgabe hat, Leib und Leben zu beschützen. Die Empörung war nicht nur jenseits des Atlantiks riesig, sondern auch in Deutschland. Instagram-Timelines färbten sich schwarz. #blackouttuesday, #blacklivesmatter. Nur eines war wichtig: Niemals #alllivesmatter, diesen Hashtag hatten schließlich schon die Rechten gekapert. Ohnehin sollte es jetzt mal um das Leben Schwarzer Menschen gehen. Hunderttausende gingen deutschlandweit auf die Straßen und knieten nieder.

Deutschland erlebte nach George Floyds Tod eine gewaltige Antirassismusbewegung, die in Form und Ausmaß ungesehen war. Es war ein engagiertes Gedenken und ein wütender Protest, das also, was den Opfern des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds und den Opfern der Attentate von Halle, Hanau oder Kassel bislang verwehrt geblieben ist.

Im Juni 2020 redete Deutschland mit einem Mal über Rassismus. Nur eben in erster Linie über einen Rassismus, der sich gegen Schwarze richtet: Medienvertreterinnen befragten sogleich Schwarze zu Polizeigewalt in Deutschland. Politiker suchten sich die wenigen Schwarzen in ihren eigenen Reihen und machten Instagram-Live-Schalten zum Thema.

Sicher ist dieser Impuls verständlich. Sicher ist es richtig und wichtig, auch in Deutschland über Rassismus, der sich gegen Schwarze richtet, zu sprechen. Denn dieser Rassismus existiert, strukturell und im Alltag, und es war längst überfällig, dafür ein breites Bewusstsein zu schaffen.

Dennoch ging der Protest im Frühjahr und Sommer 2020 und die damit einhergehende mediale Diskussion in Talkshows, Print- und sozialen Medien weitgehend an den innerdeutschen Realitäten vorbei. Menschen aus migrantischen Kontexten hatten dies früh angesprochen. Doch nur wenige der Protestierenden mit durchaus ehrenwerten Motiven schienen sich dessen bewusst zu sein.

Aber: Man kann eine Debatte und Bewegung nicht einfach aus den USA unreflektiert importieren, als ginge es um einen neuen Nike-Schuh oder das jüngste iPhone. Will man die Debatte über Rassismus in der deutschen Gesellschaft im Allgemeinen und im Speziellen, etwa in den Reihen der Polizei, so führen, dass sie strukturelle Veränderungen nach sich zieht, muss sie in den hiesigen strukturellen Problemen ihren Ausgangspunkt haben. Auch darf der Protest gegen Rassismus keine Hype-artigen Züge annehmen, denn dazu ist das Thema zu ernst und zu bedeutsam. Hypes verblassen, und es sollte nicht irgendwie »in« sein, sich gegen Rassismus und Polizeigewalt einzusetzen – denn was einmal »in« ist, kann auch schnell wieder »out« sein.

Die Bewegung, die aus den USA über den Atlantik schwappte, war immer schon und immer nur auf die Vereinigten Staaten zugeschnitten. Wegen der Zusammensetzung der Bevölkerung, des historischen Hintergrunds von Einwanderung und Sklaverei sowie des Handelns der Polizei war sie zu keiner Zeit auf die Verhältnisse der Bundesrepublik übertragbar.

Denn Rassismus richtet sich in Deutschland nun einmal keineswegs nur oder überwiegend gegen Schwarze. Alle, die nicht »typisch deutsch« aussehen und als »fremd« gelesen werden, können davon berichten, von Personenkontrollen, die eigentlich Gesichtskontrollen sind, und von all den anderen Erscheinungsformen des Rassismus. Er hat viele Gesichter, er zeigt sich im scheinbar normalen Alltag bis hin zu den Morden des NSU und von Hanau.

Ich frage mich bis heute, warum offenbar so viele Deutsche mehr Empathie für einen ermordeten Schwarzen in den USA aufbringen als für einen ermordeten Türken im eigenen Land. Warum hat diese Gesellschaft das Schicksal George Floyds mehr bewegt als das Enver Şimşeks? Warum überhaupt werden weit mehr Deutsche den Namen Floyds kennen und etwas mit ihm verbinden, während sie längst vergessen oder nie gewusst haben, wer Enver Şimşek war? Nun, Enver Şimşek war das erste Opfer des NSU.

Es gab rassistisch motivierte Morde in Deutschland, auch 2020. Massenproteste haben sie nicht ausgelöst. Das mag daran liegen, dass man Floyd beim Ersticken zusehen musste, und daran, dass ihn ein Polizist umbrachte und kein Mensch, den man als »irren Nazi« abtun kann.

Doch das reicht als Erklärung nicht. Offensichtlich ging den Demonstranten ein Ereignis, das von den USA ausgehend international Empörung hervorrief, näher als das, was im eigenen Land passierte und immer noch passiert. Es mag leichter sein, sich für etwas Fernes zu engagieren, das für das eigene Leben kaum Relevanz hat, als für das Nahe. Denn das würde erfordern, sich auch mit dem eigenen Verhalten auseinanderzusetzen: Wie divers ist die deutsche Gesellschaft? Welche Vorurteile bestehen weiterhin gegenüber Menschen mit Migrationserfahrung? Und welche Kontakte gibt es überhaupt zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft, Religion und Hautfarbe?

Auch in Deutschland müssten diese Fragen gestellt werden. Alle Seiten müssten das. Doch zu wenig ist bisher in dieser Richtung geschehen.

Zu Zeiten der Black-Lives-Matter-Proteste in Deutschland habe ich erlebt, dass das Reden über Rassismus niemals einfach und für alle Seiten geprägt von individuellen Gefühlen ist. Auf der Seite der von Rassismus Betroffenen ebenso wie auf der Seite jener Menschen, die sich angegriffen und ungerecht behandelt fühlen, weil sie meinen, man würde ihnen Rassismus unterstellen, obwohl sie doch genau das Gegenteil wollten. Und natürlich auch auf der Seite derer, die Rassismus aus jeder Pore atmen. Gerade deswegen müssen wir darüber sprechen.

Ohne Frage, die Black-Lives-Matter-Proteste haben viel Gutes gehabt, denn sie haben Menschen zum Nachdenken und zum Umdenken gebracht. Sie haben ein Bewusstsein dafür geschaffen, dass auch Deutschland ein Problem mit rechten Polizisten und Soldaten hat. Viele weiße Deutsche haben gelernt, dass sie unhinterfragte Privilegien genießen, von denen Menschen mit einem »anderen« Aussehen nur träumen können. Zugleich aber haben diese Proteste manche nicht weiße Menschen in Deutschland, gerade aus der muslimischen Community, tief verletzt. Denn offensichtlich war das Leben ihrer Brüder und Schwestern, das Rassismus mitten in Deutschland, mitten unter uns, zum Opfer gefallen ist, eine ähnliche Solidaritätsbekundung nicht wert.

Trotz der Corona-Pandemie wurde also im Juni 2020 über Rassismus geredet, und endlich gab es genug Menschen, die diese Debatte ins Rampenlicht ziehen wollten und deren Erschütterung weit genug reichte, um endlich etwas ändern zu wollen. Artikel über Artikel erschienen, Links wurden geteilt, politische Forderungen aufgestellt. Gerade aber mit dem Abstand von heute wird klar: Dieser Protest und diese Debatte ist immer noch vor allem in einer bestimmten Blase so wichtig. Obwohl Hunderttausende damals gegen Rassismus demonstrierten, hat dieser Protest ganz viele eben nicht erreicht – und noch weniger an den gesellschaftlichen Verhältnissen geändert.

Auch damals schon gab es genug Deutsche, die Rassismus in Deutschland als Luxusproblem abgetan haben, schließlich hätten es die Menschen hier ja viel besser als in anderen Ländern, Deutschland sei schon ziemlich gut. Was also sollte das alles? Und ebenso gab es solche, die nur den Hype sahen. Sie zogen den Vergleich mit denen, die 2015 am Münchner Hauptbahnhof standen und klatschten, als Geflüchtete eintrafen. Das wird schon vergehen, sagten sie, wie alles vergeht.

Zum Teil sollten sie recht behalten, denn mediale Feuer brennen zwar heftig, aber oft nur kurz. Eine Zeit lang reden alle darüber, doch bald ist es nichts weiter als eine ferne Erinnerung: Ach ja, da war mal was. Und so wird 2020 auch das Jahr von George Floyd und der Black-Lives-Matter-Proteste sein. Kein Jahresrückblick kam ohne das Thema aus. Nur: Ein Rückblick bedeutet immer, dass da etwas war, was jetzt vorbei ist.

Und genau das darf mit dem Thema Rassismus in der deutschen Gesellschaft nicht passieren. Dieses Feuer darf nicht erlöschen. Wir müssen uns der Debatte stellen und den systemischen, flächendeckenden Rassismus in der Bundesrepublik in all seinen Facetten verstehen lernen, und zwar nicht nur in bestimmten Filterblasen und medialen Echokammern, sondern in der breiten Öffentlichkeit.

Wir müssen uns jetzt zuhören. Wir müssen uns jetzt kennenlernen. Jetzt, nicht erst dann, wenn es zu spät ist. Nicht erst dann, wenn sich ein Bruch durch die deutsche Gesellschaft zieht, wie wir ihn bisher nur aus den USA kennen. Nicht erst dann, wenn von einem Menschen nichts weiter übrig ist als sein sterbendes Gesicht, neun Minuten und 28 Sekunden lang auf einen Bildschirm gepresst.

Daher dieses Buch. Daher dieses Schreiben.

Es ist ein suchendes Schreiben, gleichsam in den offenen Raum hinein, das manchmal auch in den Zynismus oder die Polemik abrutscht, weil manche Dinge so besser zu ertragen sind. Vor allem aber ist es ein Schreiben zwischen Mut und Vertrauen. Mut, weil es ihn kostet, um zu sagen, was ich zu sagen habe. Vertrauen, weil ich denke, dass man es verstehen kann. Es ist ein Schreiben, das nicht versucht, Schuld zuzuweisen, sondern zu begreifen. Weil ich daran glaube, dass man eine ganze Menge begreifen kann. Und dass wir alle versuchen sollten, einander ein bisschen besser zu verstehen.

Vom Anderssein

Ich bin Deutsche. Das steht am Anfang und am Ende von allem, worum es in diesem Buch geht, das muss am Anfang und am Ende von allem stehen, da meine Sicht auf die Dinge nicht anders zu begreifen ist. Meine Muttersprache ist Deutsch. Mein Pass ist deutsch. Ich bin deutsch. Das einzige nicht Deutsche an mir ist mein Aussehen, denn die iranischen und die deutschen Wurzeln stehen mir beide sichtbar in mein Gesicht geschrieben. Dennoch habe ich mich immer irgendwie deutsch gefühlt.

Ich wachse auf als ein Kind wie so viele andere, mit der deutschen Kultur und all den deutschen Eigenheiten, die nun einmal zu dieser Gesellschaft dazugehören. An Weihnachten gehe ich in die Kirche und singe im Kinderchor. Ganz vorne sitzt mein Vater und filmt. Ich hole die Geschenke unter dem Weihnachtsbaum hervor, und an Ostern suche ich die Eier, die meine Mutter frühmorgens im Garten versteckt hat. Dass etwas anders sein könnte an mir, anders als bei den anderen, bei denen es auch so läuft, dessen bin ich mir lange Zeit nicht bewusst. Dieses Gefühl muss erst reifen. Bis heute weiß ich nicht so recht, was ich mit diesem Gefühl anfangen soll, denn es ist nicht mein Gefühl. Es ist das Gefühl der anderen, das Gefühl, das sie mir geben. Und ich habe nicht vor, es zu meinem eigenen zu machen. Bis heute sehe ich nicht ein, dass irgendetwas an mir »anders« sein soll, denn da ist nichts. Es braucht eine Weile, bis ich mir dieser Problematik aber überhaupt bewusst werde, denn lange fliege ich unter dem Radar: Ich wachse auf in einer privilegierten Gegend von Bremen, gehe auf eine Privatschule, die sich nur Eltern ohne Geldsorgen leisten können. »Ausländer« oder »Migranten« gibt es dort kaum. Man könnte denken, dass ich in dieser Umgebung durch meinen Nachnamen oder mein Aussehen besondere Aufmerksamkeit auf mich ziehe. Das Gegenteil war der Fall. Ich falle nicht auf und das Strebertum ist mir schon früh eingeschrieben, dass ich als eine der Jahrgangsbesten das Abitur mache, nur die logische Konsequenz.

Ich sage das nicht, um anzugeben. Ich sage es auch nicht, weil es für mich eine besondere Rolle spielt. Ich sage es, weil die Menschen heute gerne in mir jemand anderen sehen, wenn sie von mir lesen oder hören. Sie sehen in mir die Migrantin, die es geschafft hat. Das gelungene Vorbild jeder Integration. Die Ausländerin, die hier in diesem reichen Land eine Chance bekommen und genutzt hat und dafür dankbar sein soll. Diese Menschen sprechen mir gerne das Recht ab, den Rassismus in diesem Land zu kritisieren, denn schließlich hat mir dieses Land ja das privilegierte Leben, das ich führen darf, erst ermöglicht. Leider hängt dieses Bild überaus schief in seinem Rahmen, und deswegen bemühe ich mich schon zu Beginn dieses Buches darum, es geradezurücken.

Das erste Mal, dass mir jemand das Gefühl gab, dass es da etwas anderes geben könnte, etwas Nichtdeutsches, war während der Mittelstufe auf dem Gymnasium. Um Fördergelder zu erhalten, musste die Schule einen bestimmten Anteil an Schülern mit Migrationshintergrund aufweisen. (Ich glaube nicht, dass diese Schule auch nur annähernd an die erforderliche Prozentzahl herangekommen ist.) Die Lehrerin fragte die Klasse ab, wer Migrationshintergrund hatte, sollte sich melden. Kein Finger ging hoch. Meiner auch nicht. Warum auch? Ein Migrationshintergrund war gefragt, und ich hatte keinen. In Bremen geboren, aufgewachsen und großgezogen. Was sollte irgendwie migrantisch an mir sein? Die Lehrerin starrte mich an. Ich blieb stumm. Was wollte die von mir? Warum sah die mich so an? Irgendwann sprach sie es aus: »Du … du hast doch einen Migrationshintergrund.«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, wieso?«

»Na ja, dein Nachname …«

»Und?«

»Dann sind deine Eltern nicht deutsch.«

»Doch.« Schließlich hatten zu diesem Zeitpunkt beide meiner Eltern längst den deutschen Pass.

»Aber deine Eltern sind nicht in Deutschland geboren.«

»Nein, mein Vater kommt aus Iran.«

Da war er also ermittelt der gewünschte Migrationshintergrund. Die Lehrerin lächelte zufrieden und schrieb mich auf eine Liste. Für mich war das absonderlich. Ich versuchte zu widersprechen, sagte, dass das dann doch der Migrationshintergrund meines Vaters sei und nicht meiner, aber das tat nichts mehr zur Sache.

»Ist doch jetzt egal.«

Ich blieb auf der Liste stehen.

Heute würde ich mich automatisch melden, wenn in irgendeiner Gruppe nach einem Migrationshintergrund gefragt wäre. Ich würde auch gar nicht weiter darüber nachdenken, heute ist das für mich selbstverständlich. Schließlich habe ich inzwischen gelernt, dass ich einen Migrationshintergrund habe. Ich habe gelernt, dass er mir bei der Wohnungssuche schadet, weil Vermieter lieber keinen Geflüchteten bei sich wohnen haben wollen. Und ich habe gelernt, dass er mir bei der Jobsuche nützt, weil Unternehmen sich gerne mit Nachnamen schmücken, die so klingen wie meiner. Dann können sie sich selbst und andere davon überzeugen, divers zu sein. Für die Realität spielt das freilich keine Rolle. Vielleicht wären Vermieterinnen erleichtert, wenn sie mich kennenlernten, weil ich doch eine ordentliche Deutsche bin, und die Menschen aus den Chefetagen enttäuscht, weil ich nicht besonders viel Diversität mitbringe. Vielleicht aber wäre es auch umgekehrt: weil die Vermieter sich nicht moralisch überlegen und wohltätig fühlen können, wenn sie ihre Wohnungen doch keiner Geflüchteten überlassen. Und Unternehmen hätten zwar den tollen Namen, mit dem sie nach außen einen guten Eindruck machen, doch für die Firma selbst hätten sie am Ende einfach nur eine deutsche Streberin mit Bestnoten eingestellt.

So oder so, als junges Mädchen wusste ich all das noch nicht, und der Vorfall beschäftigte mich. Ich kam nach Hause, berichtete meinem Vater davon und hörte das erste Mal in meinem Leben das Wort »Quotenmigrantin«. Er fand, ich sollte meinen Namen und die Vorteile, die er mir bringt, wenn irgendwo eine Quotenmigrantin gebraucht wird, ruhig nutzen. Generell sollte ich meinen Nachnamen und meinen Migrationshintergrund überall dort nutzen, wo es sich anbietet. Nachteile würde er mir ohnehin noch genug bringen, dessen war er sich sicher.

Doch ich mochte dieses Wort nicht. In mir löste all das, was heute längst zu meinen Gewissheiten dazugehört, Unbehagen aus. Etwas nutzen, für das ich nichts konnte? Einen Vorteil aus etwas ziehen, für das ich keine Leistung erbracht hatte? Mir kam das schräg vor. Unaufrichtig. Und von welchen Nachteilen mein Vater sprach, das wusste ich zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht.

Aber Kinder werden groß. Und ich verließ mein kleines, heiles Biotop im Bremer Nobelviertel. Es kam 2015, und etwas änderte sich in diesem Land.

Auf einmal kamen Menschen nach Deutschland, die so aussehen wie ich. Immer öfter wurde ich gefragt, wo ich so gut Deutsch gelernt habe. Plötzlich wollten Menschen, denen ich zum ersten Mal begegnete, wissen, wie ich bloß Alkohol trinken kann und warum ich eigentlich kein Kopftuch trage. Am Flughafen, als ich in den Sommerurlaub in die Türkei reisen wollte, sollte ich angeben, wohin ich will, wie lange ich bleibe, was ich in München mache, was sich in meinem Koffer befindet und was ich vom sogenannten Islamischen Staat und einem möglichen Grenzübertritt nach Syrien halte. Nun, nicht viel. Auch bei meiner Rückkehr aus der Türkei werde ich wieder aus der Menge gezogen. Sprengstoffkontrolle.

An der Uni lobte mich dann eine Professorin, die mich eigentlich schon aus dem letzten Semester hätte kennen müssen, dafür, dass ich so schnell so einwandfreies Deutsch gelernt habe. Ein anderer Professor fuhr mich an, dass wir Migranten, ja wir bräuchten uns jetzt nicht auch noch einbilden, Germanistik studieren zu wollen. Dafür wäre unser Deutsch ja ohnehin nicht gut genug.

Auch Freundinnen und Freunde fingen an, in mir etwas Fremdes zu sehen. Durchaus gebildete, mir überaus wohlgesinnte Menschen sehen in mir wahlweise die Perserprinzessin oder die Terroristin der Hamas, der man den Palästinenserschal, den man aus dem Urlaub mitgebracht hat, um den Kopf wickeln kann und die sich im nächsten Moment in die Luft sprengen will. Eine Weile sehe ich mir das Spektakel an, zu dieser Zeit noch leicht belustigt, weil ich noch nicht ganz verstehe, was hier vor sich geht.

Als Deutschland im September 2015 wieder Grenzkontrollen einführt, versicherte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz im heute journal gegenüber Moderatorin Marietta Slomka: »Wenn Sie sich in Ihr Auto setzen und über die Grenze fahren, werden Sie nicht angehalten.« Ich habe mir diesen Satz gemerkt. Und ich werde ihn auch nicht wieder vergessen. Denn das war der Moment, in dem mir klar wurde: Marietta Slomka wird nicht angehalten. Aber ich vielleicht schon. Denn damals hat Deutschland, so fühlt es sich für mich an, noch etwas anderes eingeführt als Grenzkontrollen: Gesichtskontrollen.

 

Vielleicht war es auch nur das erste Mal, dass ich die Gesichtskontrollen erkannt habe. Ich wurde mit einem Mal sichtbar gemacht.

Diese Erfahrungen sind Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund keineswegs neu. (Ich sage sogenannter Migrationshintergrund, weil wohl die allermeisten in ihrem Familienstammbaum eine Geschichte von Wanderung und Migration aufweisen können. Doch wenn man Menschen mit »mit Migrationshintergrund« betitelt, meint man selten den Mann mit schwedischem Vater oder die Frau mit amerikanischer Mutter.) Dieser Migrationshintergrund ist immer an das Aussehen gekoppelt, und dieses Aussehen hat dann »nicht-deutsch« zu sein, und das hat in erster Linie etwas mit Hautfarbe zu tun. Menschen mit Migrationshintergrund sind Menschen, die man anhand ihres Aussehens schnell irgendwo in Afrika, im Nahen Osten, in Asien oder in Osteuropa verorten kann. Am besten haben sie noch eine andere Religion als das Christentum. Und schon wird es sehr schnell sehr schwierig, jemandem zu erklären, dass man deutsch ist, schließlich ist die Zugehörigkeit zu einer anderen Religion immer noch die ultimative Bestätigung dafür, dass jemand einfach nicht deutsch sein kann! Erstaunlich für einen säkularen Staat, in dem sich die Kirchenaustritte häufen und das Land durchsetzt ist von U-Boot-Christen, die nur einmal im Jahr ihre Religion für sich entdecken und an Weihnachten in der Kirche auftauchen.

Was heißt überhaupt »deutsch sein« und »zu Deutschland gehören«? Haben wir nicht klare Landesgrenzen? Man mag es gut finden oder nicht, doch erst einmal gehört alles dazu, was sich innerhalb dieser Grenzen befindet: der Junge, das Mädchen, der Mann, die Frau und jeder diverse Mensch. Das Christentum, das Judentum, der Islam, und was immer irgendjemand noch gern glauben mag, ebenso wie die Atheisten und Agnostiker. Die Demokraten, die Rechtsextremen, die Feministen und die Frauenfeinde, die Ausländer, die Menschen mit Migrationshintergrund und die Rassisten, die Milliardäre und die Bettler. Sie alle gehören nolens volens dazu. Der eine hätte gern weniger von dem einen, der andere gern weniger von dem anderen.

Wichtig ist allein die Frage, wie wir damit umgehen. Die formale und oft realitätsferne Diskussion über Zugehörigkeit zieht eine Grenze zwischen Menschen, und es ist genau diese Grenze, die so viel Schaden anrichtet. Sie unterscheidet zwischen normal und anders, zwischen denen, die dazugehören, und denen, die Fremde sind. Sie schließt gleichermaßen ein und aus. Diese Grenze maßt sich an zu urteilen, wer am Leben in diesem Land gleichberechtigt teilhaben darf und wer nicht. Dass das ungeheuer schädlich ist, muss gar nicht erst diskutiert werden.

Dabei spielt es für die Erfahrung, zum Fremden gemacht zu werden, keine Rolle, ob man in Deutschland geboren wurde oder nicht, ob man einen deutschen Pass hat oder nicht. Deutlich wird allein, dass Fremdheit weniger mit dem Menschen zu tun hat, der als fremd angesehen wird, als mit demjenigen, der sein Gegenüber als fremd ansieht.

Die Fremden als Wanderer

Schon 1908 beschrieb der Philosoph und Soziologe Georg Simmel in seinem Exkurs über den Fremden den »Wanderer als Sinnbild des Fremden« und schuf damit einen grundlegenden Text der Migrationssoziologie. Denn der Wanderer, den er meinte, war »nicht der Wanderer, der heute kommt und morgen geht, sondern der Wanderer, der heute kommt und morgen bleibt«. Er ist der Fremde, der ein neues räumliches und soziales Umfeld betritt, das ihm zunächst fremd ist und in dem er als der Fremde auffällt.

Eben dieses Verhältnis aus räumlicher Nähe und soziokultureller Entfernung lässt sich auch heute noch auf unser Verständnis von Migration anwenden: Migrantinnen und Migranten, die nach Deutschland kommen, sind jene Wanderer, die gekommen sind, um zu bleiben, und dabei aus einem anderen soziokulturellen Umfeld stammen. Die einen sehen dies als Bereicherung, die anderen als Bedrohung. Simmel beschreibt es als »eine ganz positive Beziehung, eine besondere Wechselwirkungsform«.

Was auffällt, ist, dass Fremdheit bei Simmel zum Beziehungsbegriff wird: Sie zieht eine Grenze zwischen dem Eigenen und dem Anderen. Das Bild des Wanderers bedeutet, dass er das uns Ferne zu uns bringt. Durch den Wanderer werden das Ferne und Fremde Teil unserer Welt. Distanz, so Simmel, ist das Nahe, das uns fern ist. Fremdheit aber ist das Ferne, das uns nah liegt. Und so bereichern die Wandernden die Gruppe, zu der sie stoßen, mit ihren Qualitäten. Und eben das haben alle, die nach Deutschland kamen, um zu bleiben, getan. Deutschland brauchte und braucht diese Wanderinnen und Wanderer.

 

Eine von vielen Gruppen solcher Wanderer sind die türkischen Gastarbeiter Die Menschen, die aus der Türkei nach Deutschland migriert sind, stellen nicht nur eine der größten Communitys von Menschen mit Migrationshintergrund, sie stehen auch exemplarisch für die Dynamik von Migration, Integration, Wanderschaft und Ankunft.

Die Geschichte der türkischen Wanderer beginnt im Oktober 1961 mit der Unterzeichnung des sogenannten Anwerbeabkommens, mit dem die Entsendung von Arbeitskräften aus der Türkei nach Deutschland geregelt wurde: Türkische Arbeitssuchende bekamen die Chance, sich auf Arbeitsplätze in Deutschland zu bewerben, und die boomende junge Bundesrepublik profitierte vom Zustrom an Arbeitskräften.

Die Ankommenden konnten unterschiedlicher kaum sein: Männer, Frauen, Junge, Alte, Angehörige verschiedener Ethnien und Religionen. Nur eines hatten sie gemeinsam: In den meisten Fällen hatten sie keine abgeschlossene Berufsausbildung, denn das war ausdrücklich nicht erwünscht. So stellte die Bundesrepublik sicher, dass sie billige Arbeitskräfte für Jobs bekam, die die Deutschen nicht mehr machen wollten. Die Ankunft der Gastarbeiter bot vielen Deutschen so die Möglichkeit, sich höher zu qualifizieren und in bessergestellte Jobs aufzusteigen. Manche der Gastarbeiter also, die eine Ausbildung hatten, erwähnten sie den deutschen Beamten gegenüber lieber nicht. Wichtiger war ohnehin, dass sie gesund und kräftig waren.

 

Dass Fremdheit auf Gegenseitigkeit beruht, zeigt das Wort »Gurbet«. Im Türkischen wurde es zur Zeit der Gastarbeiter zum Synonym für Deutschland: die Fremde. Fremdheit ist immer ein Beziehungsbegriff. Und sie hängt an dem, was ich kenne, und dem, was für mich fremd ist. Es waren die türkischen Gastarbeiter, die Anfang der 1960er-Jahre das Ferne nach Deutschland brachten und das Deutsche wiederum in die Ferne der Türkei. Denn das Bild, das sich die türkischen Wanderer von den Deutschen machten, machten sie zur Erzählung in ihrer alten Heimat. Und das Bild, das sich die Deutschen von den Türken machten, machten sie zur Erzählung in der Bundesrepublik.

Das zu verstehen, kann helfen, Vorurteile obsolet zu machen. Was die Deutschen damals an Türkinnen und Türken kennenlernten, war kein repräsentatives Bild der türkischen Gesellschaft. Schließlich hatte die Bundesrepublik selbst ausgewählt, wer reindurfte und wer nicht. Mit dem türkischen Gelehrten konnte man hier nichts anfangen, mit dem kräftigen Bauarbeiter schon. Als kleines Gedankenexperiment lässt sich fragen, was in der Türkei für ein Deutschlandbild bestünde, wäre in den 1960er-Jahren eine Million ungebildeter, arbeitssuchender Deutscher dorthin gezogen.

Das zu verstehen, ist enorm wichtig, denn das Bild, das durch eine bestimmte Gruppe von Migranten entsteht, ist niemals repräsentativ für die gesamte Gesellschaft, aus der sie emigrieren. Erst recht nicht, wenn das Zielland ihrer Migration selbst eine Auswahl trifft.

Genau das geschieht seit 2015 wieder verstärkt in Deutschland. Deutschland selbst prägt, wer ins Land kommt. Dies gilt gerade für die Menschen, die versuchen, über die Mittelmeerroute in die EU und nach Deutschland zu kommen. Es ist nicht weiter verwunderlich, dass es vor allem junge Männer sind, die diese Reise wagen: Wenn alle Fluchtrouten verschlossen und jede legale Form der Flucht unterbunden ist, wer kommt dann? Wer traut sich über das Mittelmeer? Die Ärztin, die zwischen fallenden Bomben genug Arbeit zu tun hat? Der Professor, der zumindest versuchen kann, etwas zu leisten und Bildung zu vermitteln? Die Mutter mit ihrem kleinen Kind, das sie den ganzen unerträglichen Weg tragen müsste, und weiß, dass sie ihm womöglich beim Ertrinken zusehen muss? Eher nicht. Wahrscheinlich werden es die sein, die sich für kräftig genug halten, um eine solche Odyssee durchzustehen. Jene, die nichts mehr zu verlieren haben. Jene, die die Hoffnungslosigkeit auf die Flucht schickt, und die in Kauf nehmen, im Mittelmeer zu sterben, weil ihnen ihr eigenes Land keine Zukunft mehr bietet.

Durch politische Entscheidungen werden Barrieren errichtet und Menschen von der Migration ausgeschlossen, nur um dann jene anzuprangern, die es trotzdem versuchen. Das ist geradezu grotesk. Die Geschichte der Gastarbeiter hätte uns eines Besseren belehren sollen.

 

Stattdessen werden dieselben Fehler wieder begangen. 1961 wie heute ging niemand davon aus, dass die Wanderer bleiben würden, auf keiner Seite. Die türkischen Gastarbeiter waren in Mehrbettzimmern und Baracken untergebracht. Sie sollten und wollten arbeiten, vom Deutschlernen und von Integration sprach damals niemand. Doch als dann Arbeitsverträge entfristet, Aufenthaltsgenehmigungen verlängert und Familien wieder zusammengeführt wurden, traten Probleme im gesellschaftlichen Zusammenleben auf, die bis heute bestehen.

Wie sinnvoll ist es vor diesem Hintergrund, geflüchtete Menschen heute wieder in Heimen und Mehrbettzimmern unterzubringen, auf unbestimmte Zeit und ohne Ansage oder Perspektive, und ihnen über einen längeren Zeitraum hinweg nicht mal die Möglichkeit zu geben, einen Deutschkurs zu besuchen?

Wir müssten schlauer sein. Integration und ein gegenseitiges Kennenlernen müssen am Anfang von allem stehen – bevor auf beiden Seiten Bilder entstehen, die nicht mehr geradezurücken sind. Bevor wir wieder nur unter uns bleiben, in unseren Gruppen, in unseren Blasen und nichts von der Vielfältigkeit dieses Landes sehen und verstehen.

Entsteht nicht von Anfang an Vertrautheit, können einzelne Ereignisse die kollektive Wahrnehmung prägen – so geschehen im Zuge der Kölner Silvesternacht 2015, als 661 Frauen meldeten, Opfer einer Sexualstraftat geworden zu sein. Sie berichteten von Spießrutenläufen durch eine Menge von nordafrikanisch aussehenden Migranten. Bundesjustizminister Heiko Maas sagte damals: »Wenn tausend Menschen sich zu einer enthemmten Horde zusammenfinden und das offenbar so geplant war, dann ist das nicht weniger als ein zeitweiliger Zivilisationsbruch.«

Diese Nacht hat die Stimmung im Land nachhaltig verändert. Der Fremde war nicht mehr der geflohene, schutzbedürftige Mensch, den man für seine Ankunft am Münchner Hauptbahnhof beklatschte und dem man eine neue, sichere Heimat bieten wollte. Der Fremde war die Frauen vergewaltigende Männerhorde. Aus Gastfreundschaft wurden Misstrauen, Angst und Ablehnung.

Es ist wichtig zu verstehen, wie diese Wanderer unser Bild des Fremden prägen. Es ist auch wichtig zu begreifen, dass diese Kölner Silvesternacht ein einmaliger Vorgang war, der von einer ganz bestimmten Gruppe verübt wurde, die nicht repräsentativ stehen kann für eine Million Geflüchtete, die 2015 gekommen sind.

 

Das Problem an solch einschneidenden Vorkommnissen ist, dass sie prägender sind, als sie sein dürften – weil der übergroße Teil der deutschen Mehrheitsgesellschaft keinen Kontakt zu jungen Irakern, Algeriern oder Marokkanern hatte, die vor Kurzem nach Deutschland gekommen waren.

Was ich von den Deutschen höre, das kann ich immer in Relation zu einer ganzen Gesellschaft setzen, weil ich genug von den Deutschen und der deutschen Gesellschaft weiß, weil ich mich tagtäglich unter ihnen bewege. Nur weil ich als Deutsche über rechtsextreme Chatgruppen in irgendwelchen Polizei- und Bundeswehreinheiten höre, ist für mich nicht jeder Polizist oder Soldat ein Nazi. Wenn ich vom Missbrauchsfall in Lügde lese, dann ist für mich trotzdem nicht jeder Deutsche auf einem Campingplatz ein widerwärtiger Sexualstraftäter.

So ernüchternd es auch klingen mag, aber aufgrund der oben geschilderten gegenseitigen Sprachlosigkeit prägt die Kölner Silvesternacht wohl bis heute das Bild von »den« Nordafrikanern in Deutschland nachhaltig.

 

Es mag sich trivial anhören, doch gilt es zu begreifen und zu reflektieren, dass jede Gruppe ab einer bestimmten Größe Menschen aller und nicht nur einer Art umfasst. Anders formuliert, inzwischen gibt es in Deutschland so viele Migrantinnen und Migranten, dass jede Art von Mensch, die unter den Deutschen existiert, auch unter den Migranten zu finden ist: den liebevollen Vater, den grausamen Vergewaltiger, die hervorragende Medizinerin, den brutalen Kinderschänder, die weise Professorin, die verbohrte Extremistin, den aufopfernden Lehrer, die religiöse Fanatikerin. Das wird es alles geben.

Wichtig für das Bild, das ich, das wir uns machen, ist aber, wen ich kenne. Doch das gesellschaftliche Zusammenleben, das heißt, wie die Systeme Schule, Ausbildung, Beruf, Freizeit und nicht zuletzt das politische Leben strukturiert sind, sorgt leider dafür, dass ich und ganz viele andere Deutsche ganz viele Migrantinnen und Migranten eben nicht kennen – und andersherum. Wir leben noch immer nebeneinander statt miteinander, in unseren abgeschirmten Welten, in denen die Vorurteile hochkochen.

Dabei will ich niemandem die Schuld an den Verhältnissen geben. Die Entstehung von Vorurteilen ist zu einem gewissen Grad ein natürlicher menschlicher Vorgang, gerade wenn vieles unbekannt ist. Dann wird reduziert auf das, was die Nachrichten berichten. Nur produziert das kein repräsentatives Bild gesellschaftlicher Wirklichkeit, keine Abbildung unserer Gesellschaft, wie sie ist, sondern ein Bild, in dem Vorkommnisse, die gerade eine Abweichung von der Norm darstellen, das größte Gewicht bekommen. Im schlechtesten Fall wird diese Abweichung dann zum Ausgangspunkt einer Erzählung über eine gesamte Gruppe von Menschen.

Um einander und sich selbst besser zu verstehen und die von gruppenbezogenen Vorurteilen verzerrte Wahrnehmung zu korrigieren, muss das Gegenüber als ein Du wahrgenommen werden, das zählt, mit seinem ganzen Fühlen, Denken und Handeln, genau wie ich mich als Ich wahrnehme. Jede und jeder trägt dafür Verantwortung.

Meine eigene in dieser Hinsicht verzerrte Wahrnehmung der Wirklichkeit ist mir auf einer Hochzeit im Frühjahr 2020 bewusst geworden. Dort habe ich verstanden, wie verkehrt die Realität in meinem Kopf ist, wie geprägt durch das, was ich kenne oder zu kennen glaube, und dem, was ich selbst durch die Medien als Realität gespiegelt bekomme. Und das hatte was mit – Achtung Reizthema – Religion zu tun.

Bis dahin war ich mehr oder weniger überzeugt: Das Christentum kenne ich gut, der Islam ist mir fremd. Schließlich bin ich mit dem Christentum aufgewachsen, und auf meiner Schule gab es regelmäßig christliche Andachten. Auch wenn ich nie wirklich etwas mit Religionen, Gott und seinem Personal auf Erden anfangen konnte, egal, welcher Religion. Kirche ist nichts Fremdes für mich. Manchmal gehe ich sogar gern hinein. Für die Stille und die vielen Kerzen, die dann leuchten, und die Orgel, die manchmal spielt.

Beim Islam ist das anders. Der Islam ist mir fremd. Wenn ich eine Moschee betrete, muss ich mir ein Gewand überziehen, was mir genauso fremd ist wie die muslimischen religiösen Praktiken: Die Männer, die sich zum Gebet immer wieder Richtung Boden neigen, und die Rufe der Muezzin sind mir unbekannt, erscheinen mir darin gar befremdlich – ganz im Gegensatz zu den Kirchenglocken, die für mich etwas Heimeliges haben, weil sie mich an Kindheit, Kinderchor und Sommerferien bei meinen Großeltern auf dem Land erinnern.

Nun war besagte Hochzeit aber eine überaus christliche Hochzeit zweier wunderbarer Menschen. Dort wurde mir das Christentum nun auch fremd und darin befremdlich, denn es passierte etwas, das ich so bisher noch nicht kannte. Die Gäste und das Brautpaar sangen und lobten Gott, indem sie die Augen schlossen, die Arme Richtung Himmel ausstreckten und sich zur Musik hin und her bewegten. Die Szenerie erinnerte mich an die mir so fremden Gebete der Muslime, und mir wurde klar, wie tief dieses Bild eines muslimischen Gebets in meinem Kopf verankert war, weil es immer wieder im Fernsehen zu sehen ist, etwa wenn sich die Pilger in scheinbar unendlichen Kreisbewegungen um die Kaaba in Mekka drehen. Die Muslime hingegen, die ich persönlich kenne und täglich sehe, habe ich nie in dieses Fernsehbild einbezogen, obwohl sie entweder gar nicht oder im Privaten, unsichtbar für mich beten. Von den Christen wiederum hatte sich das Bild eingebrannt, dass sie gar nicht beten oder aber im Privaten beten und selbst in der Kirche nur zurückhaltend. Nun stand ich auf dieser Hochzeit und sah: Es gibt auch Christinnen und Christen, die ihre Religion lautstark zelebrieren und in Gesängen und Bewegungen ihre Verbindung zu Gott suchen.

In dem Moment wurde mir bewusst, dass mir das Christentum genauso fremd sein kann wie der Islam. Und Muslime weniger fremd als Christen. Es kommt nur darauf an, was ich kenne, wem ich begegne und vor allem: was ich in meiner selektiven Wahrnehmung aufnehme. Ich werde überall auf der Welt, in Deutschland, in Afrika oder im Nahen Osten, Fremdes und Vertrautes zugleich finden.

Sich das bewusst zu machen, ist ein erster Schritt, um hinter die Vorurteile, hinter die medialen Bilder und Erzählungen zu blicken und die Menschen zu sehen, die eben keine homogene Gruppe sind, sondern Individuen. Das Problem in Deutschland aber ist, dass wir uns weder richtig kennengelernt haben noch uns heute richtig kennenlernen (ein Problem übrigens, das auf Gegenseitigkeit beruht): Nach 1960 haben wir uns nicht die Mühe gemacht, die türkischen Gastarbeiter kennenzulernen, und heute lernen wir die Geflüchteten nicht kennen, die zum Teil immer noch in den Heimen festsitzen. Heute lebt die vierte Generation der ersten türkischen Wanderer in Deutschland. Ungefähr drei Millionen Menschen leben derzeit in Deutschland, die eine Zuwanderungsgeschichte haben, die mit der Türkei in Verbindung steht, eine halbe Million von ihnen ist bereits in Deutschland geboren, und nur noch 1,6 Millionen sind türkische Staatsangehörige.

Dennoch werden diese Deutschen – so wie ich und viele andere mit einem sogenannten Migrationshintergrund – immer noch als die Fremden angesehen. Obwohl wir keine Wanderer sind. Obwohl wir nicht gekommen sind, um zu bleiben. Obwohl wir hier geboren wurden, wie so viele andere weiße Deutsche auch. Obwohl wir uns gerne als ganz normale Deutsche fühlen würden. Doch irgendetwas in dieser Gesellschaft lässt uns nicht. Und so bleibt das Fremde fremd. Und dieses Irgendetwas hat damit zu tun, wie das Fremde als fremd konstruiert wird.

Fremdheit als Konstruktion: wie jemand zum anderen gemacht wird

Im Frühjahr 2016 machte ich mein erstes Praktikum bei der Süddeutschen Zeitung. Unter dem Eindruck der angekommenen Geflüchteten, der Grenzkontrollen und seiner für mich doch spürbaren Folgen wollte ich mit Experten über die Erfahrung sprechen, plötzlich als Fremde wahrgenommen zu werden. Damals hatte ich noch die naive Vorstellung, dass man den Menschen nur sagen musste, was sie da taten, wenn sie mich immer wieder zur Ausländerin deklarierten, damit sie es erkennen und damit aufhören.

Einen klugen Menschen fand ich in Iman Attia, Professorin für Rassismusforschung und Kritische Diversity Studies in Berlin. Sie machte mir schnell klar, dass meine Erfahrungen weder einzigartig noch irgendwie neu waren und auch nichts mit dem Herbst 2015 zu tun hatten – auch wenn ich mir in diesem Punkt bis heute nicht ganz sicher bin.

Attia erläuterte, dass es eine lange Tradition sei, dass Araberinnen, Nordafrikaner und generell Muslime in Europa zu Fremden gemacht werden. Sie betonte dabei das Machen gegenüber dem Sein bzw. die Folgen des Machens für das Sein: »Fremde sind zu Fremden gemachte Personen. Das, was wir heute unter Fremden verstehen, sind diejenigen, die in einem historisch-gesellschaftlichen Prozess dazu gemacht werden. Das ist ein diskursiver Prozess, er wird zur Wirklichkeit, aber erst als Folge des Fremdgemachtwerdens.«

Fremdheit ist also zunächst eine Konstruktion und erst infolgedessen real. Wie Menschen das Fremde wahrnehmen, so Attia, hinge von dem Vorwissen und damit der Erwartungshaltung ab, mit der man dem Fremden gegenübertritt. Entweder man nimmt das Fremde gar nicht wahr, man tritt ihm neugierig gegenüber, oder aber man zieht eine Grenze. In einem gesellschaftlichen Kontext, der bestimmte Menschen zu Fremden macht, fällt die erste Option meist weg: Zu Fremden gemachte Menschen können gar nicht nicht (die doppelte Verneinung ist hier richtig) als Fremde wahrgenommen werden, ihre Wahrnehmung als fremd aber reflektiert werden. »Wie man reagiert«, erklärte sie, »ist letztendlich eine Frage von Sozialisation und Kultur und auch von der Bereitschaft, sich über sich selbst zu wundern und die eigene Wahrnehmung zu reflektieren.« Ebenso aber bestimme der gesellschaftliche Diskurs die Wahrnehmung von Menschen als Fremde: »Wenn wir von klein auf überall hören und sehen, dass bestimmte Menschen, Verhaltensweisen, Umgangsweisen fremd sind, dann wird der Blick fixiert und es bedarf eines bewussten Prozesses, um diese Assoziationen kritisch zu reflektieren und vielleicht, irgendwann ablegen zu können.« Was laut Attia entstehe, sei eine Markierung von Menschen als Fremde über ihre Haut- oder Haarfarbe, über ihre Sprache oder ihre Religion.

»Wenn wir diese Markierungen nicht so lesen würden, würden wir diese Menschen gar nicht erst als Fremde wahrnehmen, sondern Gemeinsamkeiten entdecken oder andere Differenzen, vielleicht auch verstehen, dass manche Unterschiede daher rühren, dass diese Menschen zu Fremden gemacht wurden und ihnen damit Barrieren in den Weg gestellt wurden, sie gezwungen wurden, sich mit Positionierungen und Diskriminierung auseinanderzusetzen.«

Den Prozess, der andere zu anderen macht, bezeichnete Attia als Othering und greift damit ein Konzept auf, das schon von Georg Wilhelm Friedrich Hegel oder Simone de Beauvoir geprägt wurde und das später von Edward Said auf diesen Begriff gebracht wurde.

Othering vollzieht sich in drei Schritten: der Essentialisierung, der Homogenisierung und der Dichotomisierung. Essentialisierung bedeutet, dass Unterschiede zu zentralen, alles erklärenden Unterschieden werden. Homogenisierung ist die Annahme, dass alle einer bestimmten Gruppe angehörigen Menschen gleich sind. Dichotomisierung bedeutet, dass es einen fundamentalen Unterschied zwischen der eigenen und der fremden Gruppe gebe. Insbesondere in Europa seien diese Othering-Prozesse entscheidend für die Herstellung des anderen – und damit eine notwendige Bedingung für Rassismus. Denn beim Rassismus, so erklärte mir Attia, ginge es allgemein um zwei Dinge:

»Einmal darum, so etwas wie eine kulturelle Dominanz oder Identität zu kreieren oder zu festigen. Und Europa ist immer schon groß darin gewesen, zu meinen, sich gegen andere konturieren zu müssen, um sich über sie zu stellen. Der andere Aspekt ist ein materieller, bei dem es darum geht, gewisse Privilegien, die man hat, zu legitimieren. Wobei dabei die ganze Geschichte des Kolonialismus einfach ausgeblendet wird.«

Warum der Kolonialismus bis heute eine entscheidende Rolle spielt, darauf komme ich noch zurück. Nie vergessen werde ich das, was Iman Attia mir ganz zum Schluss sagte. Bis heute denke ich, dass es diese Worte sind, die dabei helfen können, einen neuen Blick auf den Fremden zu bekommen, um das Othering zu überwinden: »Fremd sind wir uns alle. Weil jeder Mensch einzigartig ist.«

Dass jeder einzigartig und damit alle gleich, weil alle anders sind, das ist die Einstellung, mit der jeder Mensch die Welt entdeckt: Als Kind fällt einem nicht auf, dass irgendetwas anders sein soll, hat man doch weder ein klares Selbstbild noch ein Bewusstsein für die Unterschiede zwischen sich und anderen. Das ging gerade mir so, die ich nur mit einer Identität aufgewachsen bin. Ich hätte nie gedacht, dass irgendetwas an mir fremd sein sollte.

Und doch entfalteten die Prozesse des Otherings, noch bevor ich es verstehen, geschweige denn mir einen Begriff davon machen konnte, ihre Wirkung – wobei ich