Schwestern des Mondes: Katzenmond - Yasmine Galenorn - E-Book

Schwestern des Mondes: Katzenmond E-Book

Yasmine Galenorn

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Beschreibung

"Der elfte magische Fantasy-Roman von Yasmine Galenorn voller knisternder Spannung und abenteuerlichen Geschehnissen. Die D'Artigo-Schwester sind drei sexy Mitglieder des Anderwelt-Nachrichtendienstes. Camille, eine Hexe, Delilah, eine Werkatze, und Menolly, eine Vampirin, wurden auf die Erde strafversetzt. Zusammen mit ihren Liebhabern müssen sie sowohl die Erde als auch die Anderwelt retten. Delilah, die zweite im Bunde der D'Artigo-Schwestern, muss sich mit einer Gruppe von gefährlichen Gestaltwandlern auseinandersetzen, die eine Allianz mit einer Bande brutaler Hexer eingegangen ist. Zu allem Überfluss ist auch die Bedrohung durch den Dämonenherrscher Schattenschwinge ebenfalls noch nicht gebannt, denn Schattenschwinge schickt einen neuen Mann in die Auseinandersetzung … Der elfte Band der »Schwestern des Mondes«-Reihe von Bestseller-Autorin Yasmine Galenorn. »Schwestern des Mondes: Katzenmond« von Yasmine Galenorn ist ein eBook von feelings*emotional eBooks. Mehr von uns ausgewählte erotische, romantische, prickelnde, herzbeglückende eBooks findest Du auf unserer Facebook-Seite. Genieße jede Woche eine neue Geschichte - wir freuen uns auf Dich!"

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Yasmine Galenorn

Schwestern des Mondes: KATZENMOND

Roman

Aus dem Englischen von Katharina Volk

Knaur e-books

Über dieses Buch

»Delilah?«, drang Yugis Stimme leicht hallend an mein Ohr. Er klang so hektisch, dass ich ihn kaum verstehen konnte. »Bitte, wir brauchen euch hier, sofort. Wir haben einen Notfall.«

»Was ist passiert?«

»Es gab einen Bombenanschlag.«

 

Inhaltsübersicht

WidmungMottoKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Die HauptpersonenGlossarPlaylist für KatzenmondDanksagung
[home]

Für Meerclar, meinen eigenen kleinen schwarzen »Panther«.

[home]

Ein zweifelhafter Freund ist schlimmer als ein sicherer Feind. Ist jemand mit Gewissheit das eine oder das andere, wissen wir, wie wir ihm zu begegnen haben.

Aesop

 

Auf einem Schlachtfeld herrscht beständiges Chaos. Sieger wird sein, wer dieses Chaos kontrolliert, sowohl sein eigenes wie auch das seiner Feinde.

Napoleon Bonaparte

[home]

Kapitel 1

Ich muss mich übergeben! Weg da!« Iris drängte sich an mir vorbei und rannte ins Bad. Ich konnte sie würgen hören, dann rauschte die Toilettenspülung, und Wasser plätscherte im Waschbecken.

Ich verzog das Gesicht, und da sie offenbar allein zurechtkam, legte ich letzte Hand an mein Outfit. Ich war keine Expertin in Sachen Mode und konnte nur immer wieder hoffen: O ihr Götter, lasst mich schick genug sein für diesen Abend.

Meine Jeans war neu, zur Abwechslung also ohne Risse, und tiefschwarz. Dazu trug ich ein leuchtend fuchsiafarbenes Tanktop mit einem Strasskätzchen vorne drauf. Meinen praktischen braunen Ledergürtel hatte ich gegen einen weißen mit silberner Schnalle getauscht und widerwillig auf meine kampftauglichen Stiefel verzichtet. Stattdessen trug ich knöchelhohe Stiefeletten aus Wildleder mit siebeneinhalb Zentimeter hohen Absätzen, womit ich es insgesamt auf eins neunzig brachte.

Mein igelartig geschnittenes Haar hatte nach der dreifarbig-scheckigen Katastrophe inzwischen wieder die natürliche goldblonde Farbe. Allerdings war mir die dann recht langweilig erschienen, so dass ich schließlich Iris gebeten hatte, mir kräftige platinblonde Strähnchen zu färben, und ein paar schwarze, so dass ich jetzt getigert war. Die tätowierten Ranken auf meinen Armen waren ein bisschen dunkler geworden – sie schienen sich von Woche zu Woche kräftiger zu färben. Camille hatte mir beim Schminken geholfen, und ich sah halbwegs clubtauglich aus. Normalerweise verbrachte ich meine Abende vor dem Fernseher, mit Küsschen von Shade und haufenweise Knabberkram. Wenn wir nicht gerade unterwegs waren, um ein paar Dämonen in den Arsch zu treten.

Ich schlüpfte in meine schwarze Lederjacke, setzte mich geduldig auf die Bettkante und griff nach einem meiner Katzenspielzeuge. Diese Quietschmaus mochte ich besonders – sie brachte mich zum Grinsen, sogar in meiner menschlichen Gestalt. Ich schüttelte sie, bis sie ein schrilles Quieken ausstieß.

Iris schob den Kopf durch den Türspalt.

»Hörst du endlich auf mit diesem Gequietsche? Seit zwei Wochen spielst du Tag und Nacht mit diesem Ding. Wenn du es nicht sofort weglegst, werfe ich es in den Müll.«

»Nicht meine Quietschmaus!« Hastig ließ ich sie fallen. Ich liebte meine Quietschmaus, und niemand durfte sie mir wegnehmen.

Iris hatte ihr Make-up in Ordnung gebracht, und mit einem Blick, der mir sagte, dass sie Zweifel an unseren Plänen für heute Abend hatte, schob sie sich aus dem Bad. Tapfer stemmte sie ein Lächeln. »Sehe ich ordentlich aus?«

So gereizt sie eben noch gewirkt hatte, erkannte ich doch, dass die Talonhaltija nervös war. Man sah zwar noch nichts von ihrer Schwangerschaft – sie war in der sechsten Woche –, aber ihre Hormone spielten ihr übel mit, etwa so, wie Jimi Hendrix seiner Gitarre. Obendrein würde sie morgen heiraten, und so war unser finnischer Hausgeist ein ziemliches Nervenbündel.

»Du siehst wunderschön aus«, sagte ich.

Trotz allem, was sie durchmachte, strahlte Iris geradezu von innen heraus. Ihr knöchellanges Haar glänzte wie gesponnenes Gold, ihre Haut war glatt und makellos – zumindest in dieser Hinsicht bekam die Schwangerschaft ihr gut. Ihre runden Augen leuchteten so blau wie der frühe Morgenhimmel. Und an ihrer Figur war noch nichts zu sehen – Iris war kurvenreich und vollbusig, und obwohl sie nicht einmal eins zwanzig groß war, schlug sie mich in Sachen Weiblichkeit um Längen. Dieses feminine Äußere täuschte allerdings – Iris konnte mächtig austeilen, sowohl magisch wie auch mit den Fäusten.

Sie starrte mich einen Moment lang an, dann wischte sie hastig und verlegen ein paar Tränen weg, um ihre Wimperntusche zu retten. Selig lächelte sie mich an. »Das ist so lieb von dir. Würdest du mir die Haare flechten? Ich wünschte wirklich, ich könnte ihnen befehlen, sich selber zu sortieren, wie Smoky.«

»Ich glaube, eine Menge Leute hätten gern ein paar seiner Fähigkeiten. Und anderen Attribute.« Ich schob sie auf einen Stuhl und teilte ihr Haar in drei dicke Stränge. »Ich würde eine Menge darum geben, nach jeder Schlacht immer noch auszusehen wie aus dem Ei gepellt.«

Ich flocht die drei Stränge zu einem langen Zopf und fixierte das Ende mit einem Haargummi. Dann wickelte Iris sich den Zopf in einem komplizierten Muster um den Kopf und ließ nur das Ende wie einen Pferdeschwanz auf den Rücken herabhängen. Zum Schluss kam noch ein leuchtend gelbes Band samt Schleife daran. Das Ganze erinnerte mich sehr an Barbara Edens Frisur in Bezaubernde Jeannie.

»Ja, das wäre mir auch sehr lieb. Dann hätte ich nicht so viel zu waschen.«

Iris lachte und strich ihren Rock glatt – zu dem prächtigen Kobaltblau trug sie eine hellgraue Bluse und Pumps von der gleichen Farbe wie das Haarband. Der finnische Hausgeist sah aus wie eine hübsche Sekretärin, nicht wie die Hohepriesterin, die sie tatsächlich war. Talonhaltijas waren gut darin, sich unauffällig einzufügen, und konnten einem dennoch im Kampf mächtig in den Hintern treten.

»Menolly ist hoffentlich nicht traurig wegen ihrer Versprechensfeier mit Nerissa? Sie hatten sich doch den zweiten Februar ausgesucht und jetzt … haben sie meinetwegen ihre Pläne verschoben.«

»Machst du Witze? Das macht den beiden überhaupt nichts aus. So haben sie noch mehr Zeit, sich vorzubereiten.« Ich wusste, dass Iris fürchtete, mit ihrer Hochzeit die Zeremonie meiner Schwester verdrängt zu haben. Aber weder Menolly noch ihre Liebste waren deswegen irgendwie angefressen.

»Bist du sicher, dass ich ihnen damit nicht auf die Zehen getreten bin?«

»Ganz sicher. Also, bist du fertig?« Ich stand auf und griff nach meiner Handtasche.

Sie schloss die Augen und presste eine Hand auf den Bauch. »Mein Magen fühlt sich nicht so an, als würde er je wieder für irgendetwas bereit sein, aber wir sollten los.« Als wir mein Zimmer verließen, blickte sie zu mir auf. »Morgen um diese Zeit bin ich Iris O’Shea. Bruces Frau. Was zum Teufel habe ich mir eigentlich dabei gedacht?«

Ich lachte über ihren leicht panischen Gesichtsausdruck. »Du heiratest den Leprechaun, den du liebst, Iris. Und du bekommst ein Kind von ihm, also gewöhn dich lieber gleich daran, dass sich dein Leben verändert.« Ich neigte den Kopf zur Seite und fügte hinzu: »Du nimmst also seinen Nachnamen an?«

Sie nickte. »Wenn Kuusi mein eigener Familienname wäre, würde ich einen Doppelnamen daraus machen. Aber … so lieb ich die Kuusis hatte, meine Familie waren sie nicht. Ich habe für sie gearbeitet, sie umsorgt und sie gemocht, aber letzten Endes waren sie meine Arbeitgeber. Da ich wieder einmal ein völlig neues Leben anfange, dachte ich mir, kann ich ebenso gut mit einem neuen Namen antreten. Aber diesmal gehört er zu jemandem, den ich liebe. Du hast recht. Das Leben verändert sich. Und ich lasse mich darauf ein.«

Auf dem Weg die Treppe hinunter fiel mir auf, dass das auf uns alle zutraf. Das Leben veränderte sich überall um uns herum. Manche Veränderungen waren gut, manche nicht. Und da wir alle an Bord gegangen waren, ließ sich die Fahrt auch nicht mehr aufhalten.

 

Die Jungs saßen mit schuldbewussten Mienen im Wohnzimmer herum. Ich fragte mich, was sie wohl ausheckten, und warf ihnen im Vorbeigehen einen schiefen Blick zu. In der Küche stießen wir auf meine beiden Schwestern, Camille und Menolly, und Menollys Geliebte Nerissa. Laute, bewundernde Pfiffe folgten uns den Flur entlang, und Iris warf mir kopfschüttelnd einen Blick zu.

»Bis wir nach Hause kommen, haben die sich ins Koma getrunken, wetten?«

»In gewisser Weise hoffe ich das sogar.« Ich wollte gar nicht daran denken, was die Jungs alles anstellten, wenn wir nicht da waren, um auf sie aufzupassen.

Menollys kupferrote Zöpfchen schimmerten, und sie war ganz in Blau gekleidet – eine enge Jeans und eine Jeansjacke über einem rostbraunen Rolli. Sogar ihre Stiefeletten waren aus Jeansstoff, die Pfennigabsätze beinahe so hoch wie Camilles.

Die war sensationell aufgemacht mit ihrem üblichen Hauch Fetischismus: Chiffonrock und glänzendes schwarzes Spaghettiträger-Top, das nicht mehr viel an ihren DD-Brüsten der Phantasie überließ, und darüber ein breiter, grüner Miedergürtel mit schwarzen Korsettstäben und silbernen Haken und Ösen. Sie balancierte auf so himmelhohen Absätzen, dass ich nicht im Traum gewagt hätte, es damit zu versuchen. In der Hand hielt sie eine glitzernde schwarze Stola.

Nerissa knabberte an einem Grissino, das sie wohl im Schrank gefunden hatte. Sie trug einen aufreizenden Rock in Puderrosa, der kaum ihren Hintern bedeckte, und ein Tanktop mit reichlich Strass. Stark, schlank und muskulös, wie sie war, erinnerte sie mich an eine Amazone. Der Werpuma scheute nicht davor zurück, das Leben mit meiner Schwester, der Vampirin, zu teilen – und sie war für jede Party zu haben.

Camille strahlte uns an, als wir hereinkamen. »Ihr seht toll aus, alle beide. Sharah treffen wir im Club. Also, ziehen wir los und überlassen den Jungs das Haus. Trillian hat mir erzählt, dass sie die Hausbar bis obenhin gefüllt haben, aber von einer Stripperin hat er nichts gesagt … Würde mich nicht überraschen, wenn sie am Ende die halbe Nacht vor dieser verdammten Xbox verbringen.«

Unsere übernatürlichen Liebhaber und Gefährten hatten eine absurde Sucht nach Videospielen entwickelt. Es war schon ulkig, zwei ausgewachsenen Dämonen beim Daddeln am jeweils neuesten Xbox-Hit zuzuschauen, aber sie betrieben das mit besessenem Ernst.

»Was ist mit Maggie? Wer kümmert sich um sie?«

»Keine Sorge um euer Gargoyle-Baby. Hanna passt auf sie auf. Maggie ist ganz vernarrt in sie.« Iris schnappte sich ihre Handtasche. »Ich bin so weit.«

»Dann gehen wir.« Camille drapierte die Stola um ihre Schultern. »Bruce überlässt uns seine Limousine samt Fahrer. Meine Damen, die Kutsche steht bereit.«

»Endlich ziehen wir mal nicht los, um uns mit irgendwelchen Ungeheuern zu prügeln.«

Im Gehen spähte ich über die Schulter zurück zu den Jungs. Sie schauten ganz unschuldsvoll drein, aber was ein Inkubus, ein Dämon, ein irischer Kobold, ein Drache, ein VBM (Vollblutmensch), ein Svartaner und ein Halbdrache (halb Schattenwandler) alles anstellen könnten, vermochte ich mir nicht einmal vorzustellen. Ohne unser wachsames Auge sich selbst überlassen, rechnete ich durchaus damit, dass wir bei unserer Rückkehr eine Ruine vorfinden könnten.

Iris hatte wohl meine Gedanken gelesen, denn als wir die Vordertreppe hinunterliefen, brummte sie: »Ich hoffe nur, dass Hanna diese Männer im Zaum halten kann.«

»Hanna ist zäh und mutig, aber ob sie so mutig ist, weiß ich auch nicht.« Camille wies mit einem Nicken auf die Limousine. »Bruces Fahrer heißt Tony. Wir sollten ihm heute Abend ein fettes Trinkgeld geben. Auf geht’s, meine Damen. Iris, das ist deine letzte Nacht als freie Frau, also lassen wir es ordentlich krachen.«

»Solange mein Abendessen nur bleibt, wo es ist«, erwiderte Iris.

Wir staksten durch den schmelzenden Schnee – endlich war der Frühling im Anmarsch, und obwohl es noch kalt war, hatte sich der Großteil des reichlichen Schnees in Matsch und stehende Pfützen verwandelt. Tony stieg aus dem Wagen, um uns die Türen zu öffnen.

Die Limousine war luxuriös, der Fond groß genug für sechs Personen. Ich schob meine Sorgen für heute Abend beiseite. Es würde schon nichts schiefgehen. Morgen war Valentinstag – und Iris’ Hochzeit. Die Götter mussten doch dieses eine Mal Gnade walten lassen, oder?

 

Der Zuckende Zombie wurde dem Hype gerecht, bis auf den albernen Namen. Der Club war nicht gerade eine Edeldisco, aber hier steppte der Bär. Die Besitzer, ein Feenpärchen aus der Anderwelt, hatten den Laden nach einem Cocktail benannt, der Spezialität des Hauses. Ich wollte unbedingt feststellen, ob der Drink so gut war, wie ich gehört hatte.

Wir schoben uns durchs Gedränge. »Glaubt ihr, wir kriegen noch einen Tisch?« Ich beobachtete die Menge auf der Tanzfläche. Die meisten Gäste waren Frauen, und auf einmal hatte ich den Verdacht, dass Menolly und Nerissa uns eine Kleinigkeit verschwiegen hatten. »He, ist das eine Lesbenbar? Nicht, dass ich was dagegen hätte, aber …«

»Nicht direkt. Und wir haben den großen Tisch ganz hinten, den sie nur für Partys reservieren, also entspann dich.« Menolly drängelte voran, und gleich darauf kamen wir an der Bar vorbei. Sie zwinkerte dem Barkeeper zu, der wie ein ganz normaler, stämmiger Kerl wirkte – allerdings spürte ich, dass er ein Werwesen war. Er wies auf den großen Tisch, über dem Luftballons schwebten. Mit baumelnden Bändern. Ich starrte sie einen Moment lang an. Das Kätzchen in mir begann zu zappeln, es wollte herauskommen und spielen, doch ich bezwang meine Instinkte und wandte mich zu Camille um.

»Luftballons? Bänder? Hältst du das für klug, wenn ich dabei bin?«

Sie schnaubte. »Kannst du dich denn nicht mal einen Abend lang beherrschen? Manchmal glaube ich, du benutzt deine Werkatzen-Seite als Vorwand dafür, dich danebenzubenehmen. Also sei ein braves Kätzchen, Delilah, und fang hier nicht an zu randalieren.«

Wir rutschten auf der Sitzbank um den Tisch herum, bis alle Platz hatten. Eine vertraute Stimme drang durch den Lärm, und Sharah drängte sich zu uns durch, eine große silberne Schachtel mit rosa Geschenkband in Händen. Sie hatte sich das blonde Haar zu einem Sechziger-Jahre-Pferdeschwanz frisiert, und ihre magere Figur in einem Go-go-Kleidchen mit kniehohen weißen Stiefeln machte den Retro-Look perfekt.

Sharah war Chases Freundin, und Chase war früher mein Freund, aber uns war klargeworden, dass wir keine Zukunft hatten, also hatten wir uns getrennt. Jetzt waren wir gute Freunde. Sharah war in diese Lücke geschlüpft, und sie schienen sich zusammen sehr wohl zu fühlen. Jedenfalls war ich klug genug, mein neugieriges Näschen da herauszuhalten.

Sie reichte mir ihr Geschenk für Iris, und ich legte es zu den anderen auf den Beistelltisch. Die Kellnerin kam und nahm reihum unsere Bestellungen auf. Iris durfte natürlich keinen Alkohol trinken, also orderte sie ein Glas Orangensaft. Camille bestellte sich Rum-Cola, Nerissa einen Mai Tai, Sharah und ich wollten Zuckende Zombies und Menolly einen Blutigen Vamp – in Wahrheit einfach Blut, aber der Name klang natürlich cooler.

»Hier, die musst du heute Abend tragen.« Camille holte ein glitzerndes Strassdiadem mit einem kleinen Schleier daran hervor und drückte es Iris auf den Kopf.

»Nur, wenn ihr euch auch was Albernes aufsetzt.« Iris wackelte mahnend mit dem Zeigefinger, und Nerissa verteilte ihre funkelnden Prinzessinnen-Krönchen. Iris sah grinsend zu, wie wir uns die Pappkronen aufsetzten, und rückte ihr Diadem zurecht.

Lady Gagas Born This Way begann, und Menolly und Nerissa entschuldigten sich und gingen tanzen. Die beiden waren ein aufsehenerregendes Paar, und während ihr Tänzchen immer aufreizender wurde, zogen sie Blicke von beiden Ufern auf sich. Ich unterdrückte ein amüsiertes Schnauben – ein paar der Frauen sahen neidisch aus, andere starrten die beiden an, als wären sie das Schärfste seit Erfindung des Teppichmessers. Nicht direkt eine Lesbenbar, von wegen. Die meisten Männer schienen sich nämlich weder für die beiden noch für sonst jemanden zu interessieren außer füreinander.

Eine ganz schön groß gewachsene Rockerbraut berührte Camille am Arm. »Willst du tanzen?«

Camille blinzelte verwundert, doch dann grinste sie und eroberte die Tanzfläche zu Weapon Of Choice. Die Bikerbraut, einen Arm um Camilles Taille geschlungen, sah mächtig beeindruckt aus – Camille hatte sich schon in der Musik verloren und wirbelte nur so über die Tanzfläche.

»Es ist so schön, sie lächeln zu sehen«, flüsterte Iris mir zu.

»Ja, ich habe mich nach Hytos Attacken gefragt, wie sie darüber hinwegkommen soll.« Ich beugte mich vor, so dass nur Iris mich hören konnte. Der Lärm hier drin war ohrenbetäubend.

»Es wird eine Weile dauern, bis sie wirklich ganz darüber hinweg ist, aber ich denke, irgendwann schafft sie das. Ihre Männer sind da eine große Hilfe, vor allem Smoky, obwohl das bestimmt nicht ganz einfach für sie ist, weil er seinem Vater so ähnlich sieht.«

Sharah beugte sich über den Tisch. »Die Sitzungen mit Nerissa helfen ihr auch. Und zumindest hat Hyto sie nicht mit irgendeiner Krankheit angesteckt.«

»Meine Schwester ist sehr stark – trotzdem, Hyto hätte es beinahe geschafft, sie zu brechen. Aber sie hat noch alles überstanden.«

Allerdings konnte ich meinem Vater nicht verzeihen, dass er nicht für Camille da gewesen war, nachdem er erfahren hatte, was passiert war. Er hatte in unserem Wohnzimmer gesessen, sich von ihr angehört, was für Gräueltaten der wahnsinnige Drache an ihr verübt hatte, und dann war er gegangen – das hatte mein Herz gegen ihn verhärtet. Seine eigene Tochter entführt und vergewaltigt, und er ging einfach wieder … Unser Cousin Shamas hatte damit gedroht, nach Hause zu reisen und ihn deshalb zur Rede zu stellen. Wir hatten ihn vorerst davon abgebracht, aber ich hatte das Gefühl, dass er wütend genug war, um es trotzdem zu tun, ob wir damit einverstanden waren oder nicht.

Iris tippte im Takt der Musik mit den Fingern auf den Tisch, als die anderen von der Tanzfläche zurückkamen.

»Hättest du auch gern getanzt?«, fragte Menolly.

Iris schüttelte den Kopf. »Keine so gute Idee. Mir ist etwas übel.«

Sharah reichte ihr eine kleine Packung Cracker. »Hier, die müssten helfen.«

Iris knabberte einen Cracker. »Ich sehe Geschenke, die nur darauf warten, ausgepackt zu werden.« Mit leuchtenden Augen deutete sie auf den Haufen Päckchen auf dem Beistelltisch. Wir hatten die Geschenke der Jungs auch mitgebracht.

»Noch nicht«, sagte ich und wechselte einen Blick mit Camille und Menolly. Ich war für die Planung dieser Party zuständig gewesen, und zu ihrer nicht geringen Bestürzung hatte ich entschieden, dass wir Iris die maximale Unterhaltung bieten würden. »Hoch mit euch beiden.«

Camille verzog das Gesicht. »O bitte, muss das wirklich sein?«

»Ja, so schmerzhaft Delilahs Gejaule auch sein kann. Das muss sein.« Menollys Augen blitzten frostig hell, und sie entblößte beim Lächeln reichlich Zähne. »Komm schon.«

Sie ging voran, und zwischen unserem Tisch und der Bühne mit dem großen Karaoke-Player tat sich eine Gasse im Gedränge auf. Ich kicherte hämisch.

»Wart’s nur ab. Dafür wirst du noch bezahlen.« Camille schüttelte den Kopf und hüpfte leichtfüßig auf die Bühne.

»He, Menolly beschwert sich auch nicht.«

»Die kann ja auch singen! Wir beide singen erbärmlich … na ja, meistens.«

Wir stiegen auf die Bühne, und Menolly warf sich vor uns beiden in Pose, breitbeinig, beide Hände um das Mikro geschlungen. Camille und ich nahmen unsere Plätze als Background-Sängerinnen ein. Die Musik wurde eingespielt, wir holten tief Luft und begannen mit unserer Darbietung von We Are Family.

Wir drehten unseren Glamour auf und ließen die Masken fallen, damit unser Feencharme voll zum Vorschein kam, und die Leute wurden wild, lachten und klatschten. Wir drehten und wanden uns zur Musik und ließen uns mit Leib und Seele auf die Nummer ein. Camille und ich waren keine guten Sängerinnen, aber wir hielten tapfer mit, während Menollys Stimme den Hauptteil trug. Über eine Woche lang hatten wir heimlich geübt, und wir waren zwar noch nicht perfekt, aber es gelang uns ganz gut, im Takt zu bleiben.

Menolly sprang mitsamt dem Mikro von der Bühne und tanzte zu Iris hinüber. Sacht schwang sie den Hausgeist auf ihre Schultern und war mit einem großen Sprung wieder auf der Bühne. Dort stellte sie Iris ab, die in unserer Mitte klatschte und mitschunkelte.

Die Leute warfen Dollarscheine »für die Braut« auf die Bühne, und als wir fertig waren – samt aller jazztanzmäßigen Peinlichkeiten –, hatten wir fünfundsiebzig Dollar und ein paar Runden Drinks spendiert bekommen. Nach denen Camille und ich überhaupt nichts mehr würden singen können.

»Ihr seid einfach wunderbar«, sagte Iris, als wir an den Tisch zurückkehrten. »Vielen Dank. Und jetzt die Geschenke?«

Ich lachte ein wenig zu laut und musste rülpsen. Wie viele Drinks hatte ich eigentlich schon intus? Ich zählte nach – vor mir standen nur vier leere Gläser, aber der Zuckende Zombie hatte es wirklich in sich. Ich wusste nicht genau, was da drin war, aber es war besser als Katzenminze.

Suchend blickte ich mich um. Ich hatte für heute Abend Unterhaltung der besonderen Art organisiert, und – und da war er. Der Kerl war prächtig, umwerfend, mit dunklem, schulterlangem Haar. Sogar in dem Kostüm – einer Polizeiuniform – war deutlich der muskulöse Body zu erkennen. Ich gab ihm einen Wink, und er kam zu uns herüber. Die Musik wurde leiser, und die anderen Gäste wandten sich zu uns um.

»Sind Sie Iris Kuusi?« Seine Stimme war samtig – so samtig, dass ich ihm am liebsten um die Beine gestrichen wäre.

Sie lief leuchtend rot an, und ihre Augen glitzerten. »Ja …?«

»Iris Kuusi, Sie haben das Recht, so laut zu schreien, wie Sie wollen. Alles, was Sie sagen, werde ich dazu verwenden, Sie noch schärfer zu machen …« Und damit gab er jemandem an der Bar ein Zeichen, Amanda Blank plärrte aus den Lautsprechern, und seine Hüfte geriet in Bewegung.

Er war ein großartiger Tänzer und bewegte sich perfekt im Takt der Rapmusik, selbst als er – Holla! Schon war die Uniformjacke ausgezogen und fiel zu Boden. Er strich mit beiden Händen die Unterarme entlang zu den Manschetten, ruckte kräftig daran, und das Hemd landete auf Iris’ Schoß. Schimmernde Muskeln tanzten, als er die Hände hinter den Kopf hob und die Hüfte kreisen ließ, dass Elvis Presley daneben ganz schön arm ausgesehen hätte.

»Wow«, hauchte Sharah leise. »Einfach … nur wow …«

»Wow trifft es gut.« Ich bekam selbst ein wenig glasige Augen. Er sah viel besser aus, als ich erwartet hatte, und sein Tanz war einfach … na ja … die Bewegungen seiner Hüften brachte wohl alle auf eindeutige Gedanken. Heiß.

Camille beäugte ihn ein wenig argwöhnisch, und Menolly ließ gelangweilt den Blick über die Menge schweifen, doch Nerissa, Sharah und Iris waren völlig auf den Striptänzer fixiert. Er schob das Becken hin und her und hatte wieder meine volle Aufmerksamkeit, als er seinen Hosenbund packte – und einfach so flog die ganze Uniformhose beiseite.

Jetzt trug er nur noch einen eng anliegenden Tanga, der nichts mehr der Vorstellungskraft überließ. An den Seiten und vorn glitzerten kleine Fransen daran, und nun bewegte er sich mit kreisender Hüfte auf Iris zu, die mit weit aufgerissenen Augen auf das starrte, was da kam.

Ich starrte auch dorthin, aber plötzlich wurde mir bewusst, dass meine Aufmerksamkeit nicht mehr dem Stripper selbst galt, sondern diesen Fransen. Die sahen aus, als könnte man wunderbar damit spielen – o ja, danach hauen, daran zerren, reinbeißen und …

Ehe ich mich zurückhalten konnte, verwandelte ich mich vor aller Augen dort am Tisch. Ein paar schrille Schreie waren zu hören, doch die meisten Leute lachten. All das war mir egal, ich stürzte mich auf das Objekt meiner Begierde. Diese Fransen – diese herrlichen glitzernden Fäden, die da baumelten und wackelten, unwiderstehlich … Ich hatte nur noch eines im Kopf: mir so ein Ding schnappen und damit herumtoben.

»Delilah! Nein!«, schallte Camilles Stimme über den Tisch, aber die Fransen waren zu hübsch und wackelten zu toll. Ehe ich mich versah, hatte ich den Stripper am Oberschenkel gepackt, hing an seinem Tanga und zupfte mit den Zähnen an den Fransen.

»Was zum … Wo kommt denn die Katze her?« Der Kerl schien von meinem Jagderfolg nicht so begeistert zu sein wie ich. Als er zurückwich, zerrte ich noch fester.

Menolly packte mich um den Bauch und versuchte mich von ihm wegzuziehen. Ich war wild entschlossen, diese Fransen mitzunehmen – das war mein tolles Spielzeug, verdammt! –, und verbiss mich mit aller Kraft darin.

Rrrratsch … und der Tanga gab nach. Triumphierend schüttelte ich das fransige Ding und begann zu schnurren. In Erwartung eines dicken Lobs blickte ich zu Menolly auf. Mir zu sagen, wie toll ich das gemacht hatte, war ja wohl das Mindeste.

Der Stripper fiel bei dem Versuch, meinen Krallen zu entkommen, vornüber und Iris beinahe auf den Schoß, doch er konnte sich noch an der Tischkante abfangen. Iris starrte den nun nackt herabhängenden Penis an, der wenige Fingerbreit vor ihrem Gesicht baumelte. Zuerst wirkte sie völlig fasziniert – dachte ich zumindest in meinem etwas wirren Katzenhirn. Doch dann öffnete sie den Mund, um etwas zu sagen, hustete stattdessen erstickt, und im nächsten Moment erbrach sie sich auf des Strippers Kronjuwelen.

 

Von da an ging es steil bergab. Der Abend war nach diesem Vorfall einfach nicht mehr zu retten. Während der Stripper sich angewidert mit einem Tuch säuberte, das der Barkeeper ihm gebracht hatte, schaffte ich es, mich so weit in den Griff zu kriegen, dass ich mich zurückverwandeln konnte. Angetrunken und mit dem Geschmack eines schweißgetränkten Tangas im Mund, räusperte ich mich und bemühte mich, nicht allzu stark zu schwanken.

Iris wischte sich zutiefst verlegen und beschämt den Mund. Sharah und Menolly kümmerten sich um den Stripper – ich sah ein paar zusätzliche Scheinchen die Hände wechseln. Camille trat auch hinzu.

»Mann, du hast irgendeinen Glamour am Laufen. Streite es gar nicht erst ab – so etwas spüre ich kilometerweit. Aber du bist ein Vollblutmensch. Also, wie geht das?« Ihre Stimme war leise, aber ich konnte sie gerade noch verstehen.

Er riss den Kopf hoch und starrte sie an. »Süße, ich habe keine Ahnung, wovon du redest.«

»Komm mir nicht so, Schätzchen. Du hast keine Ahnung, mit wem du es hier zu tun hast. Ich will nur wissen, woher du diesen Trank hast, oder was immer das ist. Wenn du mir die Wahrheit sagst, sind noch mal fünfzig extra für dich drin. Und ich werde es merken, wenn du mich belügst.« Sie zückte ihr Portemonnaie und wedelte ihm mit einem Fünfzigdollarschein vor der Nase herum.

Er zögerte und räusperte sich. Ich gab mir Mühe, mich auf seine Antwort zu konzentrieren, aber es fiel mir schwer, denn die Cocktails und die Gestaltwandelei und die Erregung dieser wackelnden Fransen hatten mich ganz schön durcheinandergebracht.

Gleich darauf zuckte der Stripper mit den Schultern. »Ach, zum Teufel. Was soll’s? Ich habe das Zeug aus einem kleinen Laden im Süden von Seattle. Alchemy heißt er, und da haben sie mir gesagt, wenn ich vor einem Auftritt drei Tropfen davon auf meinen Schwanz streiche, würde ich mehr Trinkgeld bekommen. Und die hatten so was von recht.« Er warf einen Seitenblick auf Iris, dann auf mich. »Tja, jedenfalls bis heute Abend. Das Zeug brennt ein bisschen, aber he, der Sex ist damit auch besser.«

Er klang ein wenig hoffnungsvoll, doch Camille entließ ihn mit einer deutlichen Geste.

Der Barkeeper warf uns böse Blicke zu, also sammelte Menolly die Geschenke ein, Nerissa übernahm die kleine Torte, und Camille stützte mich. So stolperten wir hinaus zu unserer Limousine. Tony wartete auf dem Parkplatz auf uns. Er öffnete die Tür, und wir krabbelten in den Wagen.

Nerissa setzte sich mit der Torte zu ihm nach vorn, Camille und Iris auf eine der langen Rücksitzbänke, und Menolly, Sharah und ich ihnen gegenüber. Wir machten uns auf den Weg nach Hause, wo wir weiterfeiern konnten, ohne noch irgendjemandem den Abend zu verderben.

 

Wir stiegen gerade rechtzeitig aus der Limousine, um zu sehen, wie Vanzir und Roz sich im Garten gegenseitig durch die Luft schleuderten. Beide waren nur mit einer Hose bekleidet, glänzten vor Öl und waren offenbar mit einer Art griechisch-römischem Ringkampf beschäftigt.

»Was zum …?« Camille starrte sie an und schüttelte den Kopf.

»Ich will es gar nicht wissen.« Mir dröhnte der Kopf. Anscheinend bekamen mir die Zuckenden Zombies nicht sonderlich gut. Mit halb zusammengekniffenen Augen bemerkte ich Bruce, der stolpernd einen Hund verfolgte – der sah Speedo, dem Basset der Nachbarn, verdächtig ähnlich. Er trug ein Paar Häschenohren. Also, Bruce, nicht Speedo.

»Um Himmels willen, wie viel die wohl getrunken haben?«

»Keine Ahnung, aber wir haben zwei Drachen auf dem Dach.« Camille deutete auf Smoky und Shade, die auf dem Dach saßen und die Beine baumeln ließen. Die beiden wirkten nicht gerade vertraut, aber ausnahmsweise stritten sie einmal nicht, sondern unterhielten sich. Ein Haufen Steine in der Nähe der vor dem Haus geparkten Autos sagte uns, dass sie wohl eine Art Drachen-Murmelspiel gespielt hatten. Wenigstens waren dabei keine Windschutzscheiben zu Bruch gegangen.

Wir wankten ins Haus und fanden Cousin Shamas, Morio und Chase im Wohnzimmer beim Pokerspielen vor. Fast die ganze Tischplatte war mit Münzen und Dollarscheinen bedeckt, und offenbar zog Chase den beiden anderen gerade die Unterhosen aus. Leere Flaschen – Nebelvuori-Branntwein, Elquanever Wein und irischer Whiskey – lagen im ganzen Raum verstreut. Es stank so nach Zigarrenrauch, dass ich mich auf der Stelle hätte übergeben können, und ich sah, dass auch Camille die Nase rümpfte. Sie riss erst einmal das Fenster auf, um ein wenig zu lüften.

»Schatz, du bist zu Hause!« Morio schielte zu Camille empor. Er stand auf, stolperte und landete bäuchlings zu ihren Füßen, wo er einfach liegen blieb und mit den Riemchen ihrer Schuhe spielte.

»Und du bist betrunken.« Sie brachte ihre Füße in Sicherheit.

»Meinst du?« Morio rülpste, rappelte sich auf und schlang einen Arm um Camilles Schultern und den anderen um Menollys. Camille warf Menolly einen Blick zu, die sich daraufhin hastig aus Morios Umarmung wand. Er unterlag immer noch dem Band, das zwischen den beiden entstanden war, als er etwas von ihrem Blut injiziert bekommen hatte. Menolly hingegen schien es abgeschüttelt zu haben … oder tat zumindest so.

»Ihr seid alle betrunken.« Ich drehte mich um, als Shade und Smoky hinter uns hereinkamen, die Bruce zwischen sich mitschleppten. »Na ja, die beiden da vielleicht nicht, aber, du meine Güte …«

Die zwei Drachen wirkten halbwegs nüchtern, aber wahrscheinlich musste schon ein ganzes Fass von irgendetwas Hochprozentigem her, um einen Drachen betrunken zu machen.

Smoky nahm Nerissa den Kuchen ab und brachte ihn in die Küche. Er kehrte mit Trillian zurück, der die Nase in ein Buch gesteckt hatte. Nach einem einzigen Blick auf Iris’ gequälte Miene legte Trillian das Buch weg, ging wieder in die Küche und kam gleich darauf mit einer Packung Cracker und einem Ginger Ale zurück. Lächelnd nippte sie an der Limonade.

Während wir es uns mit den Jungs im Wohnzimmer gemütlich machten, beging Iris den Fehler, ihnen von dem Stripper zu erzählen.

Smoky beugte sich mit wirbelnden Augen vor. »Du hast zugeschaut, wie ein anderer Mann sich zu eurer Unterhaltung ausgezogen hat?« Er funkelte Camille an.

»Beruhig dich. Iris hat ihn vollgekotzt, und damit war die Stimmung dahin.«

Trillian schnaubte. »Du hast Glück, dass wir in der Erdwelt leben und nicht drüben in der Anderwelt. Dort wärst du Tag und Nacht damit beschäftigt, irgendwelche Kerle für die Blicke zu verprügeln, die sie Camille zuwerfen. Gewöhn dich daran. Deine Frau sieht scharf aus, und das fällt eben auch anderen auf.«

»Smoky, nun hör schon auf. Trillian hat recht. Finde dich endlich damit ab und lass es gut sein«, grummelte Iris. »Und es ist nicht meine Schuld, dass meine Morgenübelkeit den ganzen Tag lang dauert!« Sie wirkte verletzt, und Camille ging zu ihr, drückte sie kurz an sich und setzte sich dann auf Smokys Schoß. Sein Haar hob sich, streichelte ihre Schultern und schlang sich um ihre Taille.

»Mit der Reaktion hat der Gentleman sicher nicht gerechnet.« Shade lachte.

»Ich weiß nicht, ob man ihn wirklich als Gentleman bezeichnen kann.« Camille berichtete, was der Striptänzer ihr über die Tinktur und den Laden erzählt hatte. »Für mich klingt das nach Hexerei. Gefällt mir gar nicht.«

Ich wollte gerade etwas sagen, als das Telefon klingelte. Yugis Stimme drang leicht hallend an mein Ohr.

»Delilah?« Yugi war Chases rechte Hand beim AETT – in der Zentrale der Anderwelt-Erdwelt-Tatort-Teams. Und er klang so hektisch, dass ich ihn kaum verstehen konnte. »Bitte, wir brauchen euch hier, sofort. Vor allem Sharah und Chase. Wir haben einen Notfall.«

»Was ist passiert?« Ein ungutes Gefühl im Bauch sagte mir, dass wir jetzt nicht in der Verfassung waren, mit irgendetwas so Dringendem fertig zu werden.

»Es gab einen Bombenanschlag auf den ÜW-Gemeinderat. Vier Tote wurden bisher bestätigt, und zwei Opfer liegen auf der Intensivstation. Wir wissen nicht, wie viele Leute überhaupt in dem Gebäude waren. Die Rettungsteams können erst rein, wenn das Entschärfungskommando grünes Licht gibt. Kommt alle her. Schnell.«

Ich legte auf, starrte hilflos das Telefon an und fragte mich, ob unter den Toten auch Freunde von uns waren. Und mir wurde bewusst, dass wir trotz diverser Feiern in unserem Privatleben jederzeit auf Abruf bereitstanden. Es würde nie wieder einen einzigen Augenblick geben, in dem wir uns vollkommen entspannen konnten – nicht, ehe wir die Dämonen zurückgeschlagen und Schattenschwinge und Konsorten endgültig aufgehalten hatten. Und auch dann … gab es allein auf dieser Welt noch Grauen genug zu bekämpfen.

»Seht zu, dass ihr irgendwie nüchtern werdet«, sagte ich laut und legte das Telefon in die Ladestation. »Sofort. Es gibt Arbeit für uns. Und die kann nicht bis morgen warten.«

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Kapitel 2

Im Wohnzimmer herrschte plötzlich Stille. Ich holte tief Luft und begann, Befehle zu bellen. »Smoky, Shade – ihr seid nüchtern, aber Smoky wird ein Auto nicht mal anrühren.«

»Ich kann fahren«, protestierte er, doch ich schüttelte den Kopf.

»Na klar, und ich kann Rauch und Feuer spucken. Netter Versuch.« Ich warf Shade meinen Autoschlüssel zu. »Du fährst meinen Jeep und nimmst Vanzir, Roz und mich mit. Menolly, du bist auch nüchtern. Du kannst Camille und ihre Männer in ihrem Auto fahren.«

Iris meldete sich zu Wort. »Bruces Fahrer könnte Chase und Sharah hinbringen. Aber irgendjemand muss hierbleiben. Jemand, der nicht sturzbetrunken ist.«

»Ja, stimmt … Okay, Smoky, du bleibst hier bei Iris und den anderen. Falls es Ärger gibt, wirst du schon damit fertig.«

»Alles klar.« Er blinzelte, und das Lächeln schwand aus seinem Gesicht. Seit sein Vater Camille entführt hatte, war die Sicherheit unseres Anwesens dank Smoky in völlig neue Dimensionen gestiegen. Wir lebten jetzt praktisch in einem Hochsicherheitssperrgebiet.

»Verdammt, gibt es irgendeine Möglichkeit, den Alkohol schneller loszuwerden?« Ich wollte nicht betrunken da reingehen. Und ich hatte das Gefühl, dass wir von jetzt an bei Partys nicht mehr viel trinken würden. Jedenfalls nie alle auf einmal.

Iris blinzelte. »Da kann ich helfen – ich habe ein Kraut, das Wunder wirkt, aber der Kater morgen früh wird nicht schön.«

»Uns bleibt nichts anderes übrig. Können wir das alle einnehmen?« Es war mir völlig egal, ob wir morgen früh alle über der Schüssel hingen. Heute Nacht mussten wir fit sein.

»Nicht alle. Aber du, Camille, Shamas, Trillian, Sharah … Rozurial könnte es auch helfen, da er ja zu den Feen gehörte, ehe er in einen Inkubus verwandelt wurde. Bei Morio oder Vanzir dagegen würde ich es ungern ausprobieren. Und bei Nerissa bin ich nicht sicher.«

»Dann her damit. Shade braucht nichts. Nerissa kann hierbleiben, also lass sie in Ruhe ausnüchtern, wenn wir weg sind. Bleiben noch Vanzir und Chase.«

»Ich brauche das auch nicht.« Trillian streckte die Hand aus. Sie zitterte kein bisschen. »Ich habe vor ein paar Stunden zwei Cognac getrunken, mehr nicht. Ich bin nüchtern.«

Iris nickte. »Gut. Chase würde ich es vielleicht noch geben, aber … verflixt … Moment!« Sie wirbelte herum und rannte zur Toilette.

Smoky packte Camille, warf sie sich über die Schulter und ging die Treppe hinauf. »Ich ziehe sie passender an«, rief er über die freie Schulter zurück. Trillian und Morio folgten ihm.

Ich zog meine Stiefeletten aus und bat Shade, mir richtige Stiefel und eine schwere Jeansjacke von oben zu holen. Die übrigen Sachen konnte ich anbehalten. Er nickte und lief zur Treppe.

Inzwischen war Iris zurückgekehrt und bat Menolly mit einem Wink, ihr zu helfen. Ich ging mit den beiden in die Küche, wo Iris ein stinkendes Kräuterbeutelchen auspackte. Doch statt das Kraut als Tee aufzubrühen, wie ich erwartet hatte, stopfte sie es in Gelatinekapseln. Dann flüsterte sie noch irgendeinen Zauber darüber und reichte mir eine der Pillen, so riesig und dick wie für ein Pferd, und dazu eine Flasche Wasser.

Ich starrte die Kapsel an und steckte sie mir schließlich in den Mund. Mühsam würgte ich sie mit reichlich Wasser herunter. Auf halbem Wege ging sie auf, ich musste rülpsen, und ein erdiger, strenger Geschmack stieg mir in den Mund. Ich verzog das Gesicht, und schon drückte Iris mir eine dicke Scheibe Butterbrot in die Hand.

»Iss. Das dämpft die erste Wirkung der Damishanya-Wurzel auf den Magen.«

»Damishanya? Ach du Scheiße. Morgen können wir streichen. Aber du hast recht, helfen wird sie.«

Damishanya war ein Kraut aus der Anderwelt mit einer gnadenlos starken Wirkung. Ich hatte es ganz vergessen, bis Iris eben die Bezeichnung erwähnt hatte, doch jetzt stand mir die Erinnerung an diese Wurzel sehr deutlich vor Augen. Als Camille, Menolly und ich uns zum ersten Mal so richtig besoffen hatten – ehe Vater uns Alkohol erlaubt hatte –, hatten wir heimlich etwas Damishanya beschafft, damit Vater uns nicht betrunken erwischte. Aber er hatte den Alkohol wie auch das Kraut meterweit gegen den Wind gerochen, und wir alle hatten seinen Zorn zu spüren bekommen. Eine ganze Woche lang hatten wir das Haus geputzt. Auf Camille war er besonders böse gewesen, weil sie die Älteste und in seinen Augen für uns verantwortlich war. Sie hatte zwei Wochen Hausarrest bekommen.

Als Camille und die anderen in die Küche kamen, verteilte Iris die Kapseln und Butterbrote, und dann machten wir uns auf den Weg hinaus zu den Autos. Roz hatte das Kraut dankend abgelehnt – offenbar war er nur ein wenig angeheitert und hatte hauptsächlich mal Dampf abgelassen. Allerdings hatte er sich rasch das Öl abgewaschen und sich angezogen. Vanzir blieb zu Hause – er war zu betrunken, um draußen irgendwem nützlich zu sein.

Also stiegen Shade, Chase, Sharah und ich in den Jeep, während Menolly Camille, Morio, Trillian und Shamas in Camilles Lexus chauffierte.

Schon als wir die Auffahrt entlangrollten, wurde mein Kopf klarer. Die Wurzel wirkte schnell. Mit einem Stich wurde mir bewusst, wie sehr ich die Gelegenheit genossen hatte, meinen Kopf mal ein Weilchen auszuschalten. Einen Augenblick lang hatten wir uns gehen lassen und alles vergessen können, was uns bedrohte. Doch nun merkte ich, wie viel Dampf ich dabei noch nicht abgelassen hatte.

 

Als wir vor dem ÜW-Gemeindehaus hielten, war ich stocknüchtern. Das bescheidene Gebäude auf einem verwilderten Grundstück samt Parkplatz mit zahlreichen Rissen im Pflaster rauchte und qualmte. Brandgeruch hing dick in der Luft und machte mir das Atmen schwer. Ich öffnete die Tür und stieg langsam aus dem Jeep.

Auf den ersten Blick dachte ich, wir hätten Glück gehabt und das Gebäude sei nicht allzu schwer beschädigt. Die anderen traten zu mir, und alle außer Morio sahen einigermaßen wach aus. Wir gingen auf das Haus zu, und nun sah ich, dass der Brand und eine Explosion ganze Arbeit geleistet hatten.

Ich starrte die verbliebenen Außenwände an, und mein Herz setzte einen Schlag aus. Ich hatte einen festen Platz im ÜW-Gemeinderat. Es hätte sehr gut sein können, dass ich heute Abend auch hier gewesen wäre, beim Treffen des Festkomitees, das unseren Ball organisierte. Und was, wenn die Bombe während einer der monatlichen Versammlungen explodiert wäre, an denen bis zu hundert Gemeindemitglieder teilnahmen?

Gedanken daran, was alles hätte passieren können, schossen mir mit einem Strom blutiger Bilder durch den Kopf, bis ich merkte, dass sich in meiner Kehle ein golfballgroßer Kloß gebildet hatte. Camille griff nach meiner Hand, während wir den Schauplatz überblickten. Die Feuerwehr hielt immer noch ihre Schläuche auf Teile des Gebäudes gerichtet, doch die meisten Flammen waren schon erloschen. Es war auch nicht mehr viel da, was sie hätten verzehren können.

»Es ist schlimm.« Yugi hatte uns gesehen und eilte herbei. Chases Stellvertreter war ein schwedischer Hüne und inzwischen zu einem Freund geworden – uns gegenüber immer hilfsbereit. Er war ein VBM, aber ein begabter Empath, und als sich unsere Blicke trafen, sah ich, dass er zitterte. Er wandte sich Chase zu.

»Es tut mir leid, dass ich nicht da war …«, begann Chase geknickt.

»Du kannst nicht jeden Tag rund um die Uhr im Dienst sein, Chef. Wer hätte denn ahnen können, dass so etwas passiert? Es gab keinerlei Vorwarnung. Hassverbrechen an Nichtmenschen nehmen in letzter Zeit zu, das stimmt, aber mit einem Bombenanschlag hat niemand gerechnet.« Yugi reichte ihm eine Akte. »Hier ist alles, was wir bisher haben.«

»Fass die Fakten bitte für alle kurz zusammen.« Chase blätterte in der Akte, aber selbst unter einer Straßenlaterne war es zu dunkel zum Lesen.

Yugi nickte. »Klar. Um zweiundzwanzig Uhr fünfundvierzig ging der Notruf ein, es habe eine Explosion gegeben, aber wir wussten nicht, wie groß und wie schlimm. Die Feuerwehr war gleich auf dem Weg. Als unser Team hier ankam, stand das Gebäude vollständig in Flammen, und die Feuerwehr konnte erst einmal nichts ausrichten. Mir ist ein komischer Geruch aufgefallen, und ich kann immer noch nicht sagen, was das war – vielleicht ist er inzwischen auch verflogen. Vor lauter Rauch rieche ich nichts anderes mehr.«

Camille und ich traten vor und schnüffelten ein bisschen herum. Shamas tat es uns gleich. Plötzlich schrie er auf, und wir drehten uns alle zu ihm um.

Er wandte sich Chase zu. »Sprengstoff, kein Zweifel, aber nicht aus der Erdwelt. Es riecht nach Canya, einer explosiven magischen Mixtur. Eine Flüssigkeit – aber normalerweise wird nur eine kleine Menge davon einer größeren Bombe beigemischt. In der Anderwelt wird es auf der Straße gehandelt, denn in den meisten Städten ist das Zeug verboten.«

»Canya? Bist du ganz sicher?«

»Glaub mir, den Geruch kenne ich.«

Camille seufzte tief. »In größeren Mengen findet man es in der Anderwelt eigentlich nur in den Südlichen Ödlanden.« Sie runzelte die Stirn. »Die Gegend wird von Hexern, Goblins und den Goldensön-Feen beherrscht – die sich bis in die Gebirge im Norden vorarbeiten. Die Goldensön sind nicht wie wir. Sie sind fremdartig, ein bisschen wie die Seher von Aladril.«

»Jetzt ist heute Nacht zum zweiten Mal von Hexern die Rede. Glaubst du, Van oder Jaycee könnten etwas damit zu tun haben?« Ich starrte sie an.

Die beiden Hexer waren uns vor ein paar Monaten entwischt, nachdem sie in der hiesigen Werwolfgemeinde gewütet und auch Camille schweren Schaden zugefügt hatten. Trotz all unserer Mühen, sie gefangen zu nehmen, waren sie verschwunden. Wir konnten eben nicht jedes Mal gewinnen, und immerhin hatten wir ihr illegales Drogenlabor zerstört und mehrere Werwölfe vor einem grausigen Tod bewahrt. Daher hatten wir uns eher glücklich geschätzt.

Camille sog scharf den Atem ein und begegnete meinem Blick. »Daran will ich lieber nicht denken. Aber wir müssen natürlich jede Möglichkeit in Betracht ziehen. Vergeltung, weil wir ihr Wolfsdorn-Geschäft zerschlagen haben?«

Wolfsdorn war ein widerliches Zeug, eine Art Droge, mit der man Werwölfe gefügig machen konnte. Und für die Herstellung wurden Werwölfe gefoltert und seziert. Wir hatten eine illegale Wolfsdorn-Küche ausgehoben, doch die Betreiber waren entkommen und liefen immer noch irgendwo da draußen herum.

»Gut möglich. Als Treggarts würden sie auch an den Sprengstoff kommen.« Ich rieb mir die Stirn. Treggarts – menschenähnliche Dämonen, die hier leicht als menschlich durchgehen konnten – wurden allmählich zu einem ständigen Ärgernis. Wir wussten nicht genau, wie sie aus den Unterirdischen Reichen hierherkamen, aber da Schattenschwinge eines der Geistsiegel besaß, hatte er wahrscheinlich herausgefunden, wie er es dazu nutzen konnte.

»Es gibt noch eine Möglichkeit, die wir nicht außer Acht lassen dürfen: Telazhar.« Camille presste die Lippen zusammen.

Telazhar war der Nekromant, der Stacia Knochenbrecherin ausgebildet hatte – eine abtrünnige Dämonengeneralin, die wir mit Mühe hatten ausschalten können. Wie wir erfahren hatten, war Telazhar aus den U-Reichen entkommen, wohin er von der Anderwelt aus verbannt worden war. Und wir hatten Grund zu der Annahme, dass er sich jetzt erdseits aufhielt.

»Was, wenn er sich mit Van und Jaycee zusammengetan hat?« Daran mochte ich eigentlich nicht mal denken, aber es musste sein.

Camille schüttelte den Kopf. »Wenn das passiert, sind wir geliefert. Hexer und Nekromanten zusammen? Als Verbündete wären sie so stark wie ein Dämonengeneral. Aber Van und Jaycee waren ja schon mit Stacia verbündet, das ist also nicht ausgeschlossen. Wir müssen dem nachgehen.«

Chase räusperte sich. »Behaltet das im Hinterkopf, aber wir sollten nicht von dieser Annahme ausgehen. Wenn ich eines gelernt habe, dann das: niemals etwas annehmen. Haltet euch an die Fakten und vermutet, so viel ihr wollt, aber denkt daran – das ist alles nur Spekulation, solange nichts bewiesen ist.« Er seufzte tief. »Vier Tote, hast du gesagt?«

Yugis Kiefer verkrampfte sich. »Fünf inzwischen. Wir haben nach meinem Anruf bei euch noch eine Leiche gefunden. Zwei Schwerverletzte ringen mit dem Tod – Mallen kümmert sich im Hauptquartier um sie. Sharah, du musst dringend dorthin. Mallen braucht deine Hilfe.«

Er wollte zu einem der uniformierten Polizisten gehen und ihn bitten, Sharah hinzufahren, doch ich hielt ihn auf. »Können wir da drin ein bisschen herumstochern?«

Yugi schüttelte den Kopf. »Erst morgen früh. Es ist noch zu gefährlich, da reinzugehen. Das restliche Dach könnte jederzeit einstürzen, und dann? Das Feuer ist noch nicht einmal vollständig gelöscht. Und wir müssen das Gebäude sorgfältig nach Beweisen absuchen, und nach …«

»Weiteren Leichen.« Ich biss die Zähne zusammen. Zu viele meiner Freunde gehörten der ÜW-Gemeinde an. Es war sehr wahrscheinlich, dass ich mindestens eines der Opfer persönlich kannte. »Wir bringen Sharah ins Hauptquartier. Ich muss mir die Opfer ansehen, es könnten auch …« Ich brachte den Satz nicht zu Ende. Stattdessen fragte ich: »Hat sich jemand nach den Opfern erkundigt? Ich nehme an, die Explosion war schon in den Nachrichten.«

Er nickte. »Ja, eine Menge Angehörige warten schon im Hauptquartier. Ich hatte gehofft, dass ihr mitkommen und uns helfen könntet. Vielleicht wäre es besser, wenn sie diese Nachricht von …« Yugi verstummte und senkte den Kopf.

»Von jemandem unserer Art erfahren?« Ich sprach mit sanfter Stimme – ich wusste, wie er das meinte, nämlich keineswegs despektierlich. Auf einmal schlang sich ein Arm um meine Taille, und Shade drückte sich an mich. Seine Lippen streiften meinen Kopf.

Ich lehnte mich in seine Umarmung. Auch ohne Worte verstand ich, was er mir sagen wollte. Er deckte mir den Rücken, in guten wie in schwierigen Zeiten. Mein Herz pochte, als der etwas exotische, moschusartige Duft, der von seinem Drachenblut rührte, um mich aufstieg, mich einhüllte und mir Kraft gab.

Camille fing meinen Blick auf und lächelte. Sie verstand mich. Sie wusste, was ich empfand, weil sie diese Gewissheit auch spürte. Von einem Drachen geliebt zu werden – und sei er ein Halbdrache –, brachte ein ganz besonderes Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit mit sich. Diese Sicherheit konnte durchbrochen werden, aber es hätte schon viel passieren müssen, um die Geborgenheit zu zerstören.

Als hätte Trillian meine Gedanken gelesen, legte er Camille die Hände auf die Schultern. Seit Hytos Misshandlungen hatte meine Schwester ihre Männer noch enger um sich versammelt, um sich sicherer zu fühlen, und sie halfen ihr von Herzen gern, womit sie nur konnten. Morio und sie hatten sich wieder auf ihre todesmagischen Rituale gestürzt, sobald er aus dem Rollstuhl entlassen worden war. Trillian hatte mit ihr straßentaugliche Selbstverteidigung mit sämtlichen fiesen Tricks trainiert, und Smoky sicherte seitdem unser Anwesen mit seiner leicht wahnsinnigen Art von Wachsamkeit.

Ich blickte zu Shade auf, unendlich dankbar für seine Unterstützung. »Danke. Gehen wir«, sagte ich dann zu den anderen. »Hier können wir heute Nacht nichts mehr tun.« Wir wandten uns ab und gingen zu den Autos – obwohl der Gedanke, dass Freunde von mir unter dem Schutt begraben sein könnten, die reinste Folter war.

 

Also, wer bin ich? Wenn ich mir schon die Zeit nehme, mich vorzustellen, sollte ich wohl als Erstes erklären, dass ich das manchmal nicht ganz genau weiß. Klar, ich bin Delilah D’Artigo, ein Doppelwerwesen: Ich kann zwei verschiedene Tiergestalten annehmen, einmal die eines langhaarigen Tigerkätzchens, das sich gern in Schwierigkeiten bringt, und zum anderen die eines schwarzen Panthers, dem der Herbstkönig gebietet. Nicht, dass ich unter Gedächtnisverlust leiden würde oder so, aber im vergangenen Jahr habe ich mich so schnell verändert, dass ich kaum mehr zu Atem komme. Manchmal betrachte ich mich im Spiegel und frage mich, wer mir daraus entgegenschaut.

Eine dieser Veränderungen ist meine Erwählung zur Todesmaid – als derzeit einzige Lebende. Die meisten Diener des Herbstkönigs sind tot, und er versammelt ihre Seelen in Haseofon, aber ich arbeite für ihn, obwohl ich noch lebe. Und eines Tages, das hat er mir versprochen, werde ich durch meinen Liebhaber Shade sein Kind gebären. Wie und wann das geschehen soll, weiß ich nicht, aber es ist meine Bestimmung, und ich glaube an das Schicksal.

Der Eintritt in den Dienst des Herbstkönigs war anfangs schwer für mich. Als meine Schwestern und ich vor ein paar Jahren in die Erdwelt kamen, war ich noch ziemlich naiv. Ich glaubte an das Gute im Menschen und so weiter. Inzwischen – tja, ich bin immer noch Optimistin, aber die rosarote Brille hab ich irgendwo unterwegs verloren. Ich gehe nicht mehr automatisch bei jedem, der mir begegnet, vom Besten aus. Heute widme ich mich meiner Pflicht von ganzem Herzen und fühle mich geehrt, den Titel Todesmaid zu tragen.

Zusammen mit meinen Schwestern Camille, einer verflucht guten Hexe und Priesterin der Mondmutter, und Menolly, einer Jian-tu-Akrobatin und Spionin, die zur Vampirin gemacht wurde, kam ich damals aus der Anderwelt herüber. Wir standen im Dienst des AND – des Anderwelt-Nachrichtendienstes –, und nachdem die Portale, die unsere getrennten Welten miteinander verbinden, wieder geöffnet wurden, versetzte man uns in die Erdwelt.

Anfangs empfingen die Menschen hier ihre magischen Brüder und Schwestern mit offenen Armen. Vor langer Zeit waren die beiden Welten eine, und diese Wiedervereinigung rührte die Herzen der meisten Erdwelt-Bewohner. Doch inzwischen war der Reiz des Neuen verflogen, VBM und ÜWs – übernatürliche Wesen – hatten immer mehr miteinander zu tun, und Hetze und rassistische Übergriffe nahmen stetig zu.

Unsere Mutter war menschlich – sie ist schon lange tot –, und unser Vater gehört zum Feenvolk. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs war Sephreh in geheimer Mission erdseits, und so begegneten und verliebten sie sich. Nach einer stürmischen Romanze brachte er sie mit zurück in die Anderwelt. Mutters Tod war ein schwerer Schlag für unsere Familie. Vaters Unterstützung zu verlieren, war fast noch schlimmer. Doch er hatte sich von Camille abgewandt, also hatten auch wir ihm den Rücken zugekehrt.

Wir haben beim AND gekündigt und unserem Vater gesagt, dass wir den Dienst erst wieder antreten würden, wenn er sich mit Camilles Aufnahme am Hof einer der Erdwelt-Feenköniginnen abfindet. Jetzt sind wir also ganz allein und stellen uns nach wie vor dem Dämonenfürsten Schattenschwinge entgegen, der die Erde und die Anderwelt zu seinem Privatvergnügen verwüsten will.

Er hat es auf die Geistsiegel abgesehen, und hinter denen sind auch wir her. Ursprünglich war es nur ein Siegel – ein Artefakt, das nach der großen Spaltung geschaffen wurde, als die großen Feenherrscher die Welten entzweirissen. Sie erschufen das Siegel, um Anderwelt, Erdwelt und Unterirdische Reiche voneinander getrennt zu halten. Dann zerbrachen sie es in neun Stücke, die sie an die Elementarfürsten verteilten, damit sie verborgen blieben. Auch einzeln haben die neun Siegel die Welten voreinander geschützt. Wenn sie wieder zusammengefügt werden, können sie sämtliche Grenzen niederreißen.

Aber manchmal laufen die Dinge eben nicht nach Wunsch. Die lange verborgenen Siegel tauchten irgendwann wieder auf. Und erregten die Aufmerksamkeit von Schattenschwinge. Da kommen wir ins Spiel. Wir stolperten in ein Wettrennen um die Siegel hinein, die wir finden müssen, ehe der Dämonenfürst sie in die Finger bekommt. Eines hat er uns gestohlen, ehe wir es in Sicherheit bringen konnten. Fünf haben wir gefunden. Bisher steht es also vier zu eins für uns, aber dass er auch nur eines der Siegel besitzt, ist gefährlich für alles und jeden.

Eigentlich arbeiten wir jetzt für Königin Asteria, die Elfenkönigin der Anderwelt – sie versteckt die Geistsiegel, die wir ihr bringen. Aber in Wahrheit arbeiten wir unabhängig und allein dafür, dass die beiden Welten eine Zukunft ohne allzu großen Schaden oder dämonische Einmischung haben. Manchmal ist das wirklich nicht leicht …

 

»Woran denkst du?« Shade schaute zu mir herüber, als ich mich im Beifahrersitz zurücklehnte und das Gesicht verzog. Ich bekam gerade Kopfschmerzen und hätte gern gewusst, wie lange es noch dauern würde, bis die Nebenwirkungen der Damishanya-Wurzel voll durchschlugen.

»Ich frage mich, wer von meinen Freunden und Bekannten unter den Toten sein mag. Wessen Familien ich gleich mit dieser Neuigkeit ins Unglück stürzen muss.« Ich rieb mir die Schläfen und wandte mich zu Chase und Sharah auf dem Rücksitz um. »Ihr habt es noch schlimmer, ich weiß. Ich will mich nicht beklagen. Es ist eben nur …«

»Nie einfach«, führte Chase meinen Gedanken zu Ende. »Glaub mir, ich verstehe dich gut, und ich würde dich nie darum bitten, mir dabei zu helfen, wenn ich nicht sicher wäre, dass deine Anwesenheit hilfreich sein wird. Ich wünschte, wir hätten Nerissa dabei. Das gehört immerhin zu ihrem Job. Sie ist eine phantastische Trauerbegleiterin.«

Ich zückte mein Handy. »Ich kann sie ja mal anrufen und fragen, wie es ihr geht.« Nach dem dritten Klingeln ging Iris dran. Ich fasste kurz zusammen, was wir erfahren hatten und wohin wir unterwegs waren. »Ist Nerissa denn fit genug, sich aus dem Haus und zum Hauptquartier zu schleppen?«

»Einen Moment.« Iris legte das Telefon hin, und während ich wartete, dachte ich darüber nach, wie gründlich jede von uns inzwischen in das Leben der anderen verstrickt war. Gleich darauf war Iris wieder da. »Sie ist praktisch nüchtern. Ich werde Bruces Fahrer bitten, sie mit der Limousine zum Hauptquartier zu bringen. Wenn ihr euch darum kümmert, dass sie auch wieder nach Hause kommt …«

»Kein Problem. Danke dir, und vielen Dank an Bruce. Richte ihr aus, dass wir uns im Hauptquartier treffen.« Ich legte auf. »Nerissa kommt.«

Chase ächzte dankbar. »Seltsam … wie sich das alles entwickelt hat.« Mehr sagte er nicht, aber ich wusste, dass er meine Stimmung aufgefangen hatte – ich kannte ihn lange genug, um das zu merken.

Nachdem er es vergeblich bei Camille versucht hatte, waren wir beide ein Paar geworden, und wir hatten einen ordentlichen Versuch einer Beziehung hingelegt. Doch die Wellen auf diesem stürmischen Meer waren einfach zu hoch gewesen. Jetzt war er mit Sharah zusammen, der Sanitäterin. Er und die Elfe schienen kompatibler zu sein. Nerissa hatte er als Opfer- und Krisenberaterin eingestellt, und außerdem war sie Menollys Verlobte. Unsere erweiterte Familie ging immer mehr Verbindungen und Verpflichtungen ein, die wir niemals hätten vorhersehen können. Das machte die Isolation wieder wett, unter der wir anfangs in der Erdwelt gelitten hatten.

 

Als wir das AETT-Hauptquartier erreichten, war Morio schon völlig nüchtern. Offenbar wurde sein Körper schnell mit Alkohol fertig. Camille sah ein wenig elend aus, und Shamas ebenfalls, und ich fühlte mich allmählich so flau und mies, wie sie aussahen. Doch wir alle hatten einen klaren Kopf, als wir Chase und Sharah in das Gebäude folgten.

Das Hauptquartier der inzwischen landesweit vertretenen Anderwelt-Erdwelt-Tatort-Teams umfasste mindestens vier Stockwerke, gerüchteweise sollte es noch ein weiteres, geheimes geben. Im Erdgeschoss waren die Polizei-Einheit und die Klinik untergebracht. Das erste Kellergeschoss war ein Hochsicherheitswaffenlager. Zweites Untergeschoss – Arrestzellen für Häftlinge aus der Anderwelt. Und ganz unten befanden sich Labor, Leichenschauhaus und Archiv. Heute Nacht mussten wir hinunter in die Leichenhalle – wie nur allzu oft.

Während der Aufzug mit leisem Raunen abwärtsfuhr, breitete sich eine ernste Stimmung aus. Ich starrte auf meine Füße, Shades Hand auf meiner Schulter. Ich wollte nicht da rein – ich wollte die Gesichter meiner gefallenen Freunde nicht sehen. Die ÜW-Gemeinde war eng verbunden, jeder kannte jeden.

Zischelnd öffneten sich die Türen, und wir verließen den Aufzug. Von dem gekachelten Boden hallte das Stakkato unserer Schritte wider. Die Wände waren erst kürzlich in einem sterilen Weiß gestrichen worden. Ob die Zuständigen gehofft hatten, die Atmosphäre mit Weiß statt dem früheren Blassblau etwas heller und heiterer zu machen, wusste ich nicht, aber jetzt fühlte sich der Flur erst recht kalt und leer an. Chase schob die Tür auf, und als ich Sharah direkt hinter ihm sah, blieb ich kurz stehen und beobachtete sie.

Die beiden passten zusammen … richtig gut. Beide mussten sich mit hässlichen Hinterlassenschaften befassen – den Nachwirkungen von Gewalt. Während ich an vorderster Front stand, war Chase besser darin, die Bruchstücke aufzusammeln, zu analysieren und die Arbeit im Hintergrund zu organisieren. Wir hatten nie einen gemeinsamen Mittelpunkt gefunden. Und dennoch hatten wir beide unseren Platz in den Schlachten, die uns bevorstanden. Und wir waren Blutsbruder und -schwester. Komme, was da wolle, wir würden einander beistehen.

Chase blickte zu mir zurück. Seine Augen schimmerten, dann blinzelte er, lächelte leicht und neigte den Kopf zur Seite, als hätte er mich sprechen gehört. Er veränderte sich, entwickelte sich, und keiner von uns wusste, was aus ihm werden könnte. Nicht einmal er selbst.

Er trat zurück und hielt uns die Tür zur Leichenhalle auf. Sharah ging direkt hinüber zu den Tischen und sprach mit Mallen, ihrem Assistenten, ebenfalls ein Elf. Er reichte ihr ein paar Tabellen, und sie überflog die Seiten.

Langsam näherte ich mich den Tischen – fünf waren es, jeder mit einem schneeweißen Tuch bedeckt. Zumindest waren sie einmal schneeweiß gewesen. Blutflecken waren von der Unterseite darauf erblüht wie Blütenblätter. Die Muster schienen die Form von Blumen nachzuahmen. Vielleicht war das auch nur meine Einbildung – wie bei einer Art grausigem Rorschachtest.

Die Körper darunter waren reglos, kein Atemzug, keine Bewegung. Wir brauchten nicht zu befürchten, dass sie als Vampire wieder aufstehen würden, wie damals, als Menolly hier einige Opfer hatte identifizieren müssen. Einfach … tot. Kalt, für immer gegangen. Ich holte tief Luft und blickte zu Mallen auf.

»Wie schlimm ist es?« Ich schluckte meine Angst herunter und hielt mir vor Augen, dass ich immerhin eine Todesmaid war. Zu meinen Pflichten gehörte es – würde es bald gehören –, Seelen durch den Schleier auf die andere Seite zu begleiten. Ich würde die seelenlosen Körper nicht nur meiner Feinde hinterlassen, sondern die eines jeden, den der Herbstkönig mir zu holen befahl.

Mallen sog scharf den Atem ein und ließ ihn langsam wieder ausströmen. »Kein hübscher Anblick. Sehr … blutig. Aber die Gesichter sind halbwegs intakt. Ich denke, man müsste sie noch erkennen können. Die Körper sind zerschmettert und verbrannt. Vier von ihnen waren ganz nah dran, als die Bombe hochging. Der fünfte … hat die Fahrt in die Klinik nicht überlebt.«

Menolly und Camille traten zu mir. Ich griff nach Camilles Hand, als Mallen das erste weiße Tuch zurückschlug. Ich zuckte zusammen. Das Gesicht kannte ich. »Tom. Thomas Creia. Er gehört zum Verde-Canis-Clan. Eine Gruppe Werwölfe, die sich im Umweltschutz engagiert haben. Er ist verheiratet. Zwei Kinder.«

Sharah notierte sich die Informationen, und wir gingen weiter zum zweiten Tisch. Wieder wurde das Tuch zurückgeschlagen. Wieder ein vertrautes Gesicht.

»Scheiße. Trixie Jones. Eine von Marions Schwestern. Gestaltwandlerin – Kojote. Alleinstehend. Ich glaube, sie war verlobt, aber sicher bin ich nicht.« Das Feuer in meiner Magengrube flackerte heißer auf. Wer immer das getan hatte, ich wollte die Schuldigen in die Finger bekommen. Jetzt.

Das dritte Tuch. Ein Mann. Ich kannte ihn vom Sehen, hätte ihn aber nicht als Freund bezeichnet. Sein Tod war nicht leicht gewesen – sein verzerrtes Gesicht sagte mir, dass er unter grässlichen Schmerzen gestorben war.

»Salvatore Tienes. Werwolf. Ist kürzlich von Arizona hierher gezogen. Ich weiß nicht, zu welchem Rudel er gehörte, nur, dass er bei einer Werwolffamilie oben in Shoreline gewohnt hat.« Ich biss mir auf die Lippe und wäre am liebsten weggelaufen. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass ich die letzten beiden Opfer nicht sehen wollte – die irrationale Angst, es würde jemand sein, der uns noch näher stand, hatte mich fest gepackt. Mallen zog das vierte Tuch zurück.

Ich starrte stumm auf den Leichnam hinab. Menolly und Camille drückten meine Hände, und Camille schnappte nach Luft. Sogar Chase trat näher und ließ dann den Kopf hängen.

»Exo Reed«, sagte er leise.

Exo kannten alle in der ÜW-Gemeinschaft. Er führte das Halcyon Hotel, das ganz auf ÜWs ausgerichtet war. Schon mehrmals hatte er uns zu Hilfe rufen müssen. Er war aktiver Waffenlobbyist und aufrechtes Mitglied der Handelskammer von Seattle. Und jetzt war er nur noch Futter für die Würmer, blutig … dahingegangen, wohin auch immer Werwölfe nach ihrem Tod gehen mochten.

Tränen brannten mir in den Augen, doch ich schluckte sie herunter und hielt mich steif aufrecht. Camille bemühte sich auch, und Menolly hatte diesen gruseligen Gesichtsausdruck, der mir sagte, dass sie den Abschaum, der das getan hatte, jetzt gleich zur Strecke bringen und in Fetzen reißen wollte.