Schwestern des Mondes: Vampirblut - Yasmine Galenorn - E-Book

Schwestern des Mondes: Vampirblut E-Book

Yasmine Galenorn

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Beschreibung

"Der neunte Roman über die magische Fantasy-Welt aus Sicht der Vampirschwester Menolly. Die D'Artigo-Schwester sind drei sexy Mitglieder des Anderwelt-Nachrichtendienstes. Camille, eine Hexe, Delilah, eine Werkatze, und Menolly, eine Vampirin, wurden auf die Erde strafversetzt. Zusammen mit ihren Liebhabern müssen sie sowohl die Erde als auch die Anderwelt retten. Menolly, eine der drei »Schwestern des Mondes«, hat alle Hände voll zu tun: Sie muss einen Mörder überführen, einer alten Freundin einen ungewöhnlichen Gefallen tun und kräftig in der Vampirpolitik mitmischen. Als wäre das nicht genug, tauchen auch noch der mächtige und attraktive Roman und ein wahres Heer an Geistern auf, die Menollys Leben ordentlich durcheinanderbringen. Wer kann da noch behaupten, untot zu sein, wäre langweilig? Der neunte Band der »Schwestern des Mondes«-Reihe von Bestseller-Autorin Yasmine Galenorn. »Schwestern des Mondes: Vampirblut« von Yasmine Galenorn ist ein eBook von feelings*emotional eBooks. Mehr von uns ausgewählte erotische, romantische, prickelnde, herzbeglückende eBooks findest Du auf unserer Facebook-Seite. Genieße jede Woche eine neue Geschichte - wir freuen uns auf Dich!"

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Yasemine Galenorn

Schwestern des Mondes: Vampirblut

Roman

Aus dem Englischen von Katharina Volk

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

MottoKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Kapitel 24Kapitel 25DanksagungDie HauptpersonenGlossarPlaylist zu Vampirblut

In jedem Haus spukt es. Jeder Mensch hat seine Gespenster. Ganze Scharen von Geistern folgen uns überallhin. Wir sind nie allein.

– Barney Sarecky

 

Menschen sterben voll Verzweiflung, Geister hingegen in Ekstase.

– Honoré de Balzac

[home]

Kapitel 1

Nicht zu fassen, dass ich schon wieder einen neuen Barkeeper brauche.« Ich lehnte mich auf meinem Stuhl zurück und legte die Füße auf den Schreibtisch. Luke hatte einen guten Grund dafür, nicht mehr in der Bar zu arbeiten, aber deswegen brauchte ich mich ja nicht darüber zu freuen. Und sein Nachfolger – Shawn, ein Vampir – war der Herausforderung nicht gewachsen. Ich hatte mir seine Unfähigkeit hinter der Bar und seinen zweifelhaften Umgang mit den Gästen zwei Wochen lang angeschaut. Als ich ihn dabei ertappte, wie er sich in zwei meiner Stammgäste verbeißen wollte, war ich mit meiner Geduld am Ende und warf ihn raus. Niemand vergriff sich an meinen Stammgästen, und schon gar nicht in meiner Bar.

Doch Shawn hinterließ eine Lücke. Im Wayfarer war viel los, wie in jeder Bar zwischen Thanksgiving und Weihnachten, und wir brauchten jedes Paar Hände. Wir hatten früh angefangen mit Anderwelt-Festessen vom Grill zu Thanksgiving, und am Wochenende hatte ich einen künstlichen Weihnachtsbaum in der Ecke aufgestellt und Weihnachtsboni verteilt, damit meine Angestellten einkaufen gehen konnten. Jetzt war die erste Dezemberwoche fast um, und der wichtigste Anlass, die Wintersonnenwende – und Weihnachten für diejenigen meiner Gäste, die es feierten –, stand noch bevor. Die Partys wurden mit jedem Abend wüster und lauter, je mehr Leute hereindrängten, erschöpft vom Shoppen und gestresst vom allgemeinen Feiertags-Chaos.

Nerissa hob mit einer Geste des Bedauerns die Hände. »Was soll ich sagen, Süße? Es tut mir leid, aber so läuft das nun mal.« Sie stand neben mir, und nun beugte sie sich herab und zog langsam eine Spur von Küssen von meiner Wange über meinen Hals. »Ich würde für dich arbeiten, wenn ich nicht schon diesen anderen Job hätte.«

»Du wärst eine phantastische Barkeeperin. Und ich könnte dich hierher ins Büro zerren, und wir könnten uns lieben, wann immer wir wollen.«

»Wir würden zu sonst nichts mehr kommen«, erwiderte sie.

Ich lachte und zuckte dann mit den Schultern. »Ich weiß, ich weiß – Personal einzustellen gehört nun mal dazu, wenn man eine Bar besitzt, aber es geht mir verdammt noch mal auf die Nerven.«

Ich bog den Kopf zurück, und sie küsste mich auf den Mund. Ich genoss die Lippen meiner goldenen Göttin, die kribbelnde Wellen des Begehrens durch meinen Körper rieseln ließen. Ich konnte nur noch daran denken, wie sehr ich sie wollte. Hier. Jetzt. Als ich nach ihrer Brust griff und mit den Fingern über ihre Rundung strich, wurden wir von einem Klopfen an der Tür unterbrochen.

»Schlechtes Timing.« Ich blickte bedauernd zu ihr auf. »Ein andermal?«

»Immer doch.« Widerstrebend trat sie zurück und setzte sich auf den Stuhl neben meinem Schreibtisch.

Als Werpuma war Nerissa eine verdorbene Aphrodite, aber sie war auch sehr diplomatisch und wusste, wann ich als Geschäftsfrau entsprechend auftreten musste. Sie saß steif auf dem Stuhl und sah in ihrem korrekten Kostüm und mit dem goldbraunen Haarknoten aus wie eine Bibliothekarin, die nur darauf wartete, die Sau rauszulassen. Alle wussten, dass wir zusammen waren, aber vor dem Personal sah es eben nicht gut aus, wenn die Chefin herumknutschte.

»Herein.« Ich wartete, und Chrysandra öffnete die Tür und schob den Kopf durch den Türspalt. »Was gibt’s?«

Sie sah Nerissa an, dann mich, und grinste. »Tut mir leid, wenn ich störe, Chefin, aber da draußen ist jemand, der einen Job sucht. Ich bin nicht sicher, aber vielleicht willst du ihn dir mal anschauen.«

»ÜW?« Ich hatte beschlossen, nur noch Übernatürliche Wesen einzustellen. Der Wayfarer zog viel zu viele potenzielle Problemfälle an, als dass ich es weiterhin mit Vollblutmenschen versuchen wollte. Chrysandra konnte inzwischen mit allen möglichen Übernatürlichen umgehen, aber als Barkeeper brauchte ich jemanden, der auch als Rausschmeißer fungieren konnte, wenn ich nicht da war.

Pieder, der Riese, machte seine Sache gut, aber er arbeitete tagsüber, und ich suchte jemanden für die Nachtschicht. Vielleicht hätte ich einfach gleich einen zweiten Türsteher anheuern sollen, wo ich schon mal dabei war, aber da ich an den meisten Abenden in der Bar arbeitete, war der oft nicht nötig. Sich mit Vampiren anzulegen, war ausgesprochen dumm, und die meisten meiner Stammgäste hatten schnell gelernt, dass es besser war, mich nicht zu verärgern.

Sie nickte. »Ja, aber ich weiß nicht genau, welche Art. Er fühlt sich irgendwie komisch an.« Ihr Gesichtsausdruck sagte mir, dass er sie entweder nervös machte oder einfach so seltsam war, dass sie nicht wusste, was sie von ihm halten sollte. Ich hatte festgestellt, dass Chrysandra für einen VBM – einen Vollblutmenschen – ein recht gutes übersinnliches Gespür besaß, und sie nahm so einiges wahr.

»Schick ihn rein.« Ich wandte mich an Nerissa. »Schätzchen, macht es dir etwas aus, wenn ich das Vorstellungsgespräch unter vier Augen führe?«

»Kein Problem. Aber bist du sicher, dass du allein mit ihm sprechen willst?« Sie strich mir zärtlich übers Gesicht. »Ich kann auch bleiben.«

»Neunzig Prozent der Geschöpfe, die mir so begegnen, kann ich in der Luft zerreißen, wenn sie Ärger machen. Vergiss nicht, dass ich eine Vampirin bin, Liebste. Vergiss das nie.« Ich nahm ihre Hand und hielt sie einen Moment lang fest. Ich liebte sie sehr, und deshalb durfte sie nie vergessen, dass ich ein gefährliches Raubtier war. Das war meine Natur, und ich akzeptierte sie, und manchmal genoss ich sie auch.

»Nein, nie«, flüsterte sie leise. Dann folgte sie Chrysandra hinaus, und die Bewegung ihres Rocks machte mich verrückt. Ich wollte beide Hände unter den Saum schieben und ihre goldenen Oberschenkel hinaufstreichen. Nachdem Dredge mit mir fertig gewesen war, hatte ich meine Sexualität lange unterdrückt, doch Nerissa hatte sie wieder freigesetzt, und zwar mit Volldampf, und jetzt konnte nichts diesen Geist zurück in die Flasche stopfen.

Ich stellte die Füße auf den Boden und rückte die Unterlagen auf meinem Schreibtisch zurecht. Die Inventur näherte sich mit Riesenschritten, denn das Jahr ging zu Ende, und ich musste alles in der Bar komplett erfassen.

Außerdem wollte ich den Wayfarer auch für Übernachtungsgäste öffnen. Wir hatten die Zimmer oben entrümpelt, Böden geschliffen, frisch gestrichen und neu eingerichtet, und jetzt hatte ich Platz für sieben Gäste, die sich drei Badezimmer teilen würden.

Übernachtungsgäste bedeuteten jedoch, dass ich ein Zimmermädchen brauchen würde. Außerdem musste ich mir jemanden suchen, der den Zimmerservice machte, Gepäck trug und sich auch sonst um die Bedürfnisse unserer Besucher aus der Anderwelt kümmerte. Denn die erwartete ich hauptsächlich. Ich hatte allerdings beschlossen, keine Goblins, Oger oder sonst jemanden aufzunehmen, der sehr wahrscheinlich Ärger machen würde.

Da der Wayfarer offiziell einem Anderwelt-Bürger gehörte – nämlich mir –, zählte er nicht zum Erdwelt-Hoheitsgebiet. Ich konnte also diskriminieren, soviel ich wollte. Und Widerlinge und Schurken im Wayfarer übernachten zu lassen, entsprach nicht meiner Vorstellung von Chancengleichheit. Schon gar nicht, solange meine Schwestern und ich einen Krieg gegen Dämonen führten.

Die Tür ging auf, und ein Mann trat über die Schwelle. Als ich ihn von Kopf bis Fuß musterte, fand ich mich angemessen beeindruckt. Ich bezweifelte nicht, dass dieser Kerl Leute aus der Bar schmeißen konnte.

Masse hatte er, so viel war klar. Er war zwar nur eins siebzig groß, aber die Muskeln an seinen Oberarmen waren wahre Kunstwerke, und seine Oberschenkel sahen stark genug aus, um dazwischen einen Schädel zu knacken. Sein Haar, pechschwarz mit einer weißen Strähne, war zu einem dicken Pferdeschwanz gebunden, der zwischen den Schultern endete. Die freie Stirn betonte Augen, die so grün waren wie die meiner Schwester Delilah. Er schien etwa Mitte dreißig zu sein, aber wenn er ein ÜW war, wer konnte da schon wissen, wie alt er tatsächlich war?

Und das war mein zweiter Eindruck: Ein ÜW, unübersehbar. Ich merkte sofort, dass er kein Mensch war. Dieser Kerl strahlte eine heftige Energie aus. Sogar ich, so kopfblind, wie man mit einem kräftigen Schuss Feenblut nur sein konnte, spürte sie deutlich.

»Guten Abend. Ich bin Menolly D’Artigo. Und Sie sind …?« Ich stand auf und ging um meinen Schreibtisch herum. Mit meinen knapp eins fünfundfünfzig musste ich zu ihm aufblicken. Aber ich hätte ihn mühelos ausschalten können. Einer der Vorteile, wenn man ein Vampir war: unglaubliche Kraft, die einem nicht anzusehen war. Ich wies auf einen Stuhl und setzte mich auf die Schreibtischkante.

»Derrick. Derrick Means.« Er setzte sich, lehnte sich zurück und musterte mich. »Sie sehen auch aus wie ein Vampir«, sagte er.

Ich blinzelte verblüfft. Noch nie hatte mir das jemand ins Gesicht gesagt, aber na ja … Er hörte sich nicht so an, als wollte er mich damit beleidigen.

»Gut. Das bin ich nämlich auch, und jemand, der für mich arbeitet, muss das nicht nur tolerieren, sondern wahrhaftig akzeptieren. Und Sie?«

Er zog eine Augenbraue hoch und verschränkte die Arme. »Ich gehöre zum Dachsvolk. Ich bin ein Freund von Katrina. Sie sagte, bei Ihnen könnte ich mich ruhig um einen Job bewerben, obwohl Sie ein Vampir sind. Und dass auch schon ein Werwolf für Sie gearbeitet hat.«

Dachsvolk? Waren die jetzt auch in die Stadt gezogen?

Ich verstand, warum er so vorsichtig war. Werwesen und Vampire kamen nicht immer miteinander aus. Aber ich war ja nicht nur irgendein Vampir – ich war obendrein halb Fee, halb menschlich. Und Katrina war eine gute Freundin. Sie war eine Werwölfin und hatte sich ein bisschen in meinen ehemaligen Barkeeper verliebt, ehe der in die Anderwelt fliehen musste, um seine Schwester zu beschützen.

Ich runzelte die Stirn. Mit jemandem vom Dachsvolk hatte ich noch nie zu tun gehabt, und ich wusste kaum etwas darüber, wie sie so waren. Aber er sah wirklich so aus, als würde er keinen Augenblick zögern, schwierige Gäste an die frische Luft zu befördern.

»Erzählen Sie mir doch, was Sie bisher beruflich gemacht haben. Und gehören Sie zu einem Clan, oder sind Sie Einzelgänger?«

»Hab zu einem Clan gehört, aber ich wollte die Stadt kennenlernen und mal sehen, wie das Leben hier so ist. Seattle gefällt mir, aber von hier aus ist es schwierig, Kontakt zu meiner Familie zu halten. Wir bleiben über E-Mail in Verbindung, aber ich sehe sie nur selten.« Er stieß ein langes Seufzen aus, das verdächtig gereizt klang, und ließ sich dann wieder auf dem Stuhl zurücksinken.

»Und Ihre Berufserfahrung?«

»Ich habe fünfzehn Jahre als Barkeeper gearbeitet und kein Problem damit, auch den Rausschmeißer zu machen, und ich bin noch nie gefeuert worden.« Er reichte mir ein Blatt Papier. Zu meiner Überraschung handelte es sich um einen Lebenslauf. Einen ordentlichen, detaillierten Lebenslauf. Normalerweise kamen die Leute bei mir einfach rein und baten um einen Job. Bestenfalls bekam ich mal ein Bewerbungsschreiben.

»Weshalb möchten Sie im Wayfarer arbeiten?« Ich überflog seinen Lebenslauf. Da schien alles in Ordnung zu sein. In meinem Bauch schrillten jedenfalls nicht sofort die Alarmglocken.

»Weil ich einen Job brauche. Sie brauchen einen Barkeeper. Und ich nehme an, Sie werden keinen Aufstand machen, wenn ich mir die Vollmondnächte freinehmen will.« Er beugte sich vor. »Ich bin gut, ich bin loyal, und ich werde hier nüchtern auf der Matte stehen, wann immer Sie mich brauchen. Ich mache keine Frauen an – jedenfalls nicht bei der Arbeit. Wenn Sie Referenzen wollen, rufen Sie meine ehemaligen Arbeitgeber an, die Nummern stehen da drauf.«

Ich starrte auf die Liste. Applegate’s Bar, Wyson’s Pub, die Okinofo Lounge … keine Edelbars, aber auch keine miesen Pinten. Das waren solide Kneipen mit ordentlichem Publikum. Ich stieß die Luft aus und blickte zu ihm auf. »Warten Sie bitte draußen an einem der Tische.«

Nachdem er mit einem Nicken breitbeinig hinausmarschiert war, rief ich ein paar der Bars an. Niemand hatte irgendetwas Schlechtes über ihn zu sagen, und ein paarmal wurde er hochgelobt, obwohl ich da eindeutig eine gewisse Spannung heraushörte. Aber das störte mich nicht weiter – das war oft so, wenn VBM mit Übernatürlichen zu tun hatten. Ich traf meine Entscheidung und ging nach vorn in die Bar.

Derrick hatte eine Cola light vor sich stehen.

Ich glitt auf die Bank der Sitznische, ihm gegenüber. Ich würde ihn wohl einstellen, also ging ich zum Du über. »Trinkst du? Nimmst du Drogen?«

Er schüttelte den Kopf. »Ich trinke manchmal Bier oder einen Whisky, aber nie im Dienst. Drogen und das Dachsvolk sind keine gute Kombination. Wir neigen zum Jähzorn, das gebe ich offen zu. Aber ich kenne meine Grenzen.«

»Okay, das ist mein Angebot.« Ich wies auf die Bar. »Ich brauche dringend jemanden, und zwar sofort. Wenn du noch diese Woche anfangen könntest, am liebsten heute Abend, umso besser. Deine Schicht geht von vier Uhr nachmittags bis zwei Uhr nachts, aber wenn wir Inventur machen, müsstest du auch mal tagsüber arbeiten. Und du musst erreichbar sein und notfalls einspringen können – manchmal kann ich nachts nicht reinkommen, und ich kann nicht immer absehen, wann das der Fall sein wird. Was sagst du?«

Er nickte. »Ich arbeite gern. Ich habe nichts gegen Überstunden. Was ich nicht selbst zum Leben brauche, schicke ich zu meiner Mutter nach Hause, für sie und meine Geschwister.«

Das machte ihn mir noch sympathischer. »Das ist gut. Ich kann dir für den Anfang fünfzehn Dollar pro Stunde anbieten. Wenn du so viel Erfahrung hast, wie du sagst, und in drei Monaten noch hier bist, zahle ich dir siebzehn pro Stunde. An eines musst du vor allem denken: Ich bin die Chefin. Während du hier bist, tust du, was ich sage, und du bleibst hübsch sauber. Also, willst du den Job?«

Er hob sein Glas. »Auf dich, Chefin.«

Damit war immerhin eines meiner Probleme gelöst. Doch es dauerte nicht lange, bis das nächste auftauchte. Ich zeigte Derrick die Bar, sah mir an, wie er mit den Flaschen hantierte und – wirklich beeindruckend – mit den Gästen umging, als plötzlich Chase Johnson lässig die Bar betrat.

Chase war Polizist, der Ex-Freund meiner Schwester Delilah, und er gehörte inzwischen praktisch zur Familie. Er trug stets Armani und roch wie eine wandelnde Taco-Bude. Außerdem war er ein verdammt guter Detective.

Nach all den Streitereien, die hinter uns lagen, musste ich eines anerkennen: Er hatte Situationen überstanden, die den durchschnittlichen VBM ins Irrenhaus gebracht hätten. Ach ja, und da war noch eine Kleinigkeit – Chase war so gut wie unsterblich, zumindest nach menschlichen Maßstäben gemessen. Er hatte den Nektar des Lebens zu trinken bekommen, weil er sonst gestorben wäre, und damit hatte er den restlichen VBM eine Menge voraus.

Er warf Derrick einen Blick zu und nickte, dann sah er mich fragend an.

»Das ist Chase Johnson, AETT-Detective und ein Freund der Chefin. Gehört fast zur Familie. Also sei nett zu ihm.«

Derrick nickte. »Freut mich, Sie kennenzulernen, Detective.«

»Chase, das ist Derrick – mein neuer Barkeeper. Derrick, würdest du uns ein paar Minuten allein lassen? Chase hat etwas mit mir zu besprechen. Oder?«

»Ja, obwohl ich mir wünsche, ich hätte nur auf ein Bier vorbeigeschaut.« Er verabschiedete sich mit einem Händedruck von Derrick und folgte mir dann zu einem anderen Tisch. »Werwolf?«

»Dachsvolk. Werdachs.«

»Himmel – gibt es denn von jedem Tier auf Erden eine Werversion?« Chase schnaubte und rieb sich eine perfekt in Form gezupfte Augenbraue.

»So ziemlich. Was gibt’s, Johnson?«

»Ärger. Hast du Zeit, mich schnell ins Hauptquartier zu begleiten? Vampirproblem. Glaube ich.« Er seufzte tief.

Verdammt. »Vampirproblem« hörte ich gar nicht gern, denn wenn Chase wegen irgendwelcher Vampire zu mir kam, bedeutete das normalerweise Tote. Normalerweise ermordet. In letzter Zeit hatte die nächtliche Aktivität stark zugenommen, aber ich bekam vom allgemeinen Klatsch kaum mehr etwas mit, seit ich nicht mehr bei den Anonymen Bluttrinkern war – einer Selbsthilfegruppe für neue Vampire, mit deren Leiter Wade Stevens, ebenfalls Vampir, ich mal gut Freund gewesen war. Jetzt hatte ich es schwerer, Geheimnissen auf die Spur zu kommen. Ich musste mich auf das verlassen, was ich von Sassy Branson erfuhr, aber die wurde immer launischer. Ich hatte schon ernsthaft daran gedacht, meine »Tochter« Erin von der älteren Vampirin wegzuholen.

»Ich sage schnell Chrysandra Bescheid.« Ich eilte zu meiner Kellnerin hinüber und tippte ihr auf den Arm. »Behalte Derrick im Auge. Hilf ihm, sich hier zurechtzufinden. Chase braucht mich.«

»Kein Problem, Menolly. Aber bist du sicher …? Ich meine, das ist sein erster Abend.« Sie wirkte besorgt. Normalerweise hätte ich vermutet, dass sie wegen der zusätzlichen Arbeit nervös sei, doch heute Abend blieb ich stehen, sah ihr in die Augen und versuchte, dahinterzukommen, was sie so nervös machte.

»Hast du ein schlechtes Gefühl bei ihm?« Ich neigte den Kopf zur Seite und ließ ihr Zeit.

Sie warf einen Blick zu ihm hinüber und schüttelte dann langsam den Kopf. »Nein, gar nicht … aber … irgendetwas ist mit ihm. Ich kann es auch nicht genau sagen. Er ist mehr, als er zu sein scheint, aber ich spüre keine … Er ist nicht feindselig, aber ich glaube, er bringt Gefahr mit sich.«

»Das trifft heutzutage auf die meisten Übernatürlichen zu.« Ich runzelte die Stirn. »Hol Tavah aus dem Keller. Riki soll da unten für sie übernehmen. Falls irgendetwas schiefgeht, müsste Tavah damit fertig werden.«

Tavah war eine Vampirin, die ihre Nächte im Keller des Wayfarer verbrachte, das Portal bewachte und die Gäste überprüfte, die durchkamen. Sie hielt die Irren vom Wayfarer fern und ließ die zahlenden Gäste ein.

»Okay, mache ich.« Sie rannte die Treppe hinunter, während ich zu Derrick an die Bar eilte. »Hör zu, Derrick, ich muss weg. Chrysandra wird dir helfen, und solange ich weg bin, haben sie und Tavah hier das Sagen. Ich komme so bald wie möglich zurück. Okay?«

Er nickte, den Blick auf den Drink geheftet, den er gerade mixte. »Kein Problem. Geht klar.«

Und sobald ich Tavah am Kopf der Treppe auftauchen sah, folgte ich Chase hinaus in die eisige Nacht.

 

Die Winter in Seattle schwankten zwischen mild und scheußlich, doch in den letzten zwei Jahren war er ziemlich hart gewesen. Anstelle des unaufhörlichen Regens hatte es sogar Schnee gegeben, so viel Schnee, dass die ganze Stadt für ein paar Tage zum Erliegen gekommen war. Im vergangenen Jahr war der Riesengott Loki mit seinem Fenriswolf dafür verantwortlich gewesen – er war wegen meines Meisters, der inzwischen tot war, über die Stadt hereingebrochen. Dieses Jahr hatte ich eher das Gefühl, dass natürliche Phänomene dahintersteckten. La Niña war zu Besuch, und es war kälter und nasser als sonst.

Und jetzt, zweieinhalb Wochen vor dem Julfest, war es kalt genug für Schnee. Ich hatte schon überlegt, ob ich Schneereifen für meinen Jaguar brauchte.

Mir machte die Kälte nichts aus, doch Chase knöpfte sich den Trenchcoat zu, ehe wir hinaustraten. Er hielt mir die Tür auf – im Grunde seines Herzens war er ein Gentleman –, und wir eilten zu seinem Wagen. Ich sah ihm an, dass er fror, und beim Atmen schnaufte er Wölkchen aus wie eine kleine Dampfmaschine.

Auf den Straßen drängten sich die Leute auf der Suche nach Weihnachtsschnäppchen. Während wir durch den dichten Verkehr krochen, schaltete Chase das Radio ein, und Danny Elfmans Stimme plärrte Dead Man’s Party aus den Lautsprechern.

»Mann, ich weiß noch, wie ich dazu in einem Club in der Stadt getanzt habe, vor fast fünfzehn Jahren«, bemerkte er beiläufig. »Ich ging auf die Highschool und war mit einem Mädchen namens Glenda zusammen. Sie hatte sich das Haar meterhoch toupiert und stand total auf Retro. Immer diese Pailletten und glitzernden Lycra-Klamotten – sie sah aus wie eine von den B-52s.«

Ich warf ihm einen Seitenblick zu. »Vermisst du diese Zeit? Früher, als du noch nichts von uns und den Dämonen wusstest?«

Er trommelte mit den Fingern auf dem Lenkrad herum, während er darauf wartete, dass die Autoschlange sich wieder ein Stück weiterschob. »Fangfrage. Die kann ich gar nicht ehrlich beantworten.« Er lächelte mich schief von der Seite an und fügte hinzu: »Ja, schon, aber nur, weil das Leben damals viel einfacher war. Es gab nur Schwarz und Weiß. Jedenfalls muss ich sagen, seit ihr drei in mein Leben getreten seid, war mir nie mehr langweilig. Himmelangst, ja. Aber langweilig? Nie.«

Ich schnaubte, beugte mich vor und stellte die Musik lauter. »Wenn du Lust hast, kannst du gern mit Nerissa und mir durch die Clubs ziehen, solange wir nicht in einen Vampirclub wollen. Wir sind zwei verdammt gute Tänzerinnen.«

Nun war es Chase, der ein wenig höhnisch kicherte. »Schon klar. Tausend andere Männer würden mich darum beneiden, aber ich weiß nicht, ob das noch mein Stil ist. Andererseits … könnte ganz lustig werden. Verdammt, ich habe keine Ahnung, was jetzt überhaupt mein Stil ist.« Er klang verloren und ein wenig ängstlich. »Schau mal, der Weihnachtsmann.«

Vor einer kleinen Boutique bimmelte ein Weihnachtsmann, der für die South Street Mission Spenden sammelte. Der Winter war hart und kalt, und eine Menge Leute hatten ihren Job verloren. Santas Miene ließ ahnen, dass er nicht gerade viel Geld für den guten Zweck zusammenbekam.

»Der Weihnachtsmann ist in Wirklichkeit echt zum Fürchten. Camille ist ihm mal begegnet, als sie noch klein war.« Ich starrte den Pseudo-Weihnachtsmann durch die Autoscheibe an und schwieg. Der Weihnachtsmann, der Geschenke verteilt. Die Zahnfee, von der es Geld für ausgefallene Zähne gibt. Der Osterhase, der die Eier versteckt. Die Menschen klammerten sich an ihre Mythen in der Hoffnung, dass die sie gegen Unglück und das Böse schützen und ihnen Wohlstand und Sicherheit bringen würden. Wie wenig sie doch über die Wahrheit wussten, die sich hinter ihren Märchen verbarg, oder über die Monster, die tatsächlich ihren Kamin herabrutschten.

Ich drehte die Lautstärke auf, als Oingo Boingo von Ladytron abgelöst wurden. Ein bisschen tat Chase mir leid. Wir hatten einen dicken Schraubenzieher ins Getriebe seines Lebens fallen lassen. Er würde nie wieder so sein wie früher, sein Leben nicht so, wie er es vor sich gesehen hatte. Kollateralschaden. Wir hinterließen allmählich eine hässliche Spur der Verwüstung, und die würde noch viel breiter werden, bis dieser Krieg gegen die Dämonen irgendwann vorbei war.

Wir brauchten weitere zwanzig Minuten, um das Hauptquartier der AETTs zu erreichen – der Anderwelt-Erdwelt-Tatort-Teams. Dieses Gebäude kannte ich nur zu gut. Meine Schwestern und ich gingen irgendwie dauernd hier ein und aus, vor allem seit der Krieg gegen Schattenschwinge richtig eskaliert war.

Der Großteil des Gebäudekomplexes lag unter der Erde. Im untersten Stockwerk befanden sich Leichenschauhaus, Labor und Archiv. Im zweiten Untergeschoss lagen Arrestzellen für Anderweltbürger mit magischen oder sonst wie besonderen Kräften. Darüber war das Arsenal, eine gewaltige Ansammlung interessanter Waffen, die gegen alles Mögliche wirkten, von Werwölfen bis Riesen. Im Erdgeschoss lagen die Büros und die Klinik. Delilah hatte einmal angedeutet, dass es womöglich ein weiteres Stockwerk unterhalb des Leichenkellers gab, aber wir wussten nicht, was dort sein könnte oder ob es tatsächlich existierte.

Chase führte mich schnurstracks zu seinem Büro, nicht ins Leichenschauhaus. Ein gutes Zeichen, fand ich. Schnurstracks ins Leichenschauhaus war übel. Schnurstracks ins Leichenschauhaus bedeutete unmittelbare Gefahr, und im Moment war mir wirklich nicht nach Ärger zumute.

Doch als ich mich Chase gegenüber an den Tisch setzte, fiel mein Blick auf die Fotos, die aus einer Akte auf seinem Schreibtisch gerutscht waren. Scheiße. Blut und noch mehr Blut. Irgendwie schwamm in letzter Zeit alles in Blut.

»Das da ist der Ärger, nehme ich an?« Mit einem Nicken wies ich auf die Fotos.

»Ja, und ich wünsche mir nichts sehnlicher, als dass jemand sie abholt und so weit wie möglich wegbringt.« Er seufzte tief. »Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Wenn ich gewöhnliche Vampirmorde vor mir hätte, wüsste ich zumindest, womit ich es zu tun habe, aber das hier sieht nach etwas anderem aus.« Er bedeutete mir, näher an den Tisch zu rücken, und legte die Fotos in einer Reihe vor mir aus.

Sie zeigten vier Frauen, alle mit offensichtlichen Bissspuren am Hals. Vampiropfer, kein Zweifel.

»Sieht für mich nicht ungewöhnlich aus«, sagte ich.

»Ja, das könnte man meinen, nicht? Aber sieh dir die Frauen noch einmal an. Schau genau hin. Fällt dir nichts Seltsames auf?« Stirnrunzelnd lehnte er sich auf seinem Bürostuhl zurück, schlug das linke Bein über das rechte und verschränkte die Finger. »Ich würde wirklich gern deine ehrliche Meinung hören, weil ich mich vergewissern will, dass ich nicht nur den Mond anheule.«

Ich studierte die Fotos. Frauen, alle hübsch, alle in den Dreißigern, schien es jedenfalls. Alle … Augenblick mal. Muster. Da war ein Muster zu erkennen.

»Sie haben alle langes, braunes Haar, stufig geschnitten. Alle vier haben braune Augen, und ich würde sie alle auf etwa sechzig Kilo schätzen. Wie groß waren sie?«

»Alle zwischen eins fünfundsechzig und eins siebzig. Du siehst es also auch?«

»Ja. Gab es sonst irgendeine Verbindung zwischen ihnen? Weitere Ähnlichkeiten in der Art, wie sie gestorben sind?« Mir kam ein scheußlicher Gedanke, und ich hatte das Gefühl, dass Chase schon zu demselben Schluss gekommen war.

»Offensichtlich wurden alle bei Nacht getötet und ausgeblutet. Kleine Stichwunden am Hals, aber wir können nicht zweifelsfrei nachweisen, dass sie von einem Vampir getötet wurden. Alle diese Frauen wurden in einem Umkreis von knapp acht Kilometern ermordet, im Greenbelt Park District. Und alle vier waren Nutten.« Er runzelte die Stirn. »Ich fürchte, wir haben hier einen Vampir-Serienmörder. Wenn diese Ähnlichkeit der Opfer nicht wäre, würde ich das Ganze als Werk eines abtrünnigen Vampirs abhaken, aber sie sehen sich so ähnlich, dass sie miteinander verwandt sein könnten.«

Ich starrte die Fotos an. Chase hatte recht. Sie sahen tatsächlich aus, als könnten sie Schwestern sein. Und obwohl Chase das noch nicht offiziell machen konnte, sagte mir mein Bauchgefühl, dass ein Vampir – höchstwahrscheinlich ein Einzelgänger – die Frauen attackiert hatte.

»Hast du noch ihre Leichen? Ich könnte wahrscheinlich feststellen, ob ein Vampir sie angegriffen hat, aber dazu müsste ich mir die Wunden ansehen.«

Verdammt, verdammt, verdammt. Wenn es sich tatsächlich um einen Vampir-Serienmörder handelte, stand uns gewaltiger Ärger ins Haus. Andy Gambit, Starreporter des Seattle Tattler – ein Schmierblatt, das von der Angst und der Sensationsgier seiner Leser lebte –, hatte sich auf uns eingeschossen. Seit Delilah ihn niedergeschlagen hatte, gab er sich die größte Mühe, Feen und Übernatürliche aller Arten zu verleumden. Außerdem unterstützte er die Stadtratskandidatur von Taggart Jones.

Gambits Schmutzkampagne gegen Nerissa war so erfolgreich gewesen, dass sie die Wahl verloren hatte, obwohl sie anfangs einen großen Stimmenvorsprung gehabt und alles auf ihren Sieg hingedeutet hatte. Gambit hatte sie wegen ihrer Verbindung zu mir durch den Schmutz gezogen, und es hatte funktioniert. Überraschenderweise hatte jedoch auch Taggart Jones nicht gewonnen. Der Kandidat der bürgerlichen Mitte hatte das Rennen gemacht.

Auf die Morde hier würde Gambit sich stürzen. Wenn wir dann noch etwas von einem Vampir-Serienkiller verlautbaren ließen, würden wir damit Benzin ins Feuer gießen.

Chase führte mich zum Aufzug. »Und, ist bei euch schon alles bereit fürs Julfest?«

Ich lächelte. »Mehr oder weniger. Delilah hat den Baum noch nicht umgeworfen, aber dieses Jahr haben wir ihn auch an der Decke befestigt. Camille und Iris geben sich alle Mühe, das Haus in ein Winterwunderland zu verwandeln. Jetzt brauchen wir nur noch Schnee, dann wäre alles perfekt.«

»Gibt es in der Anderwelt viel Schnee?«, fragte er und hielt mir die Tür auf.

Ich trat hinter ihm ein. »Kommt darauf an, wo in der Anderwelt. Bei uns in Y’Elestrial schneit es schon ordentlich …« Ich verstummte und biss mir auf die Lippe. Camille durfte unsere Heimatstadt jetzt nicht mehr betreten, andere Teile der Anderwelt aber schon. Also war die Stadt auch für uns tabu. »Ich vermisse die Stadt. Sie ist schön, aber ich weiß nicht, ob wir sie je wiedersehen werden.«

»Königin Tanaquar und euer Vater geben also immer noch nicht nach?« Er sah mich unsicher an, als dächte er daran, mir den Arm zu tätscheln oder so was.

Ich zuckte mit den Schultern und schüttelte den Kopf. »Als Delilah und ich von ihnen gefordert haben, alle ihre Maßnahmen gegen Camille zurückzunehmen, haben sie uns vor die Wahl gestellt: Wir sollten uns an ihre Erlasse halten oder selbst darunterfallen. Also arbeiten wir jetzt alle für Königin Asteria, und der Anderwelt-Nachrichtendienst ist Geschichte. Zumindest für uns. Zumindest vorerst.«

»Mit mir wollen sie auch nicht mehr reden«, bemerkte er. »Seit eurem Bürgerkrieg ist es beinahe so, als hätten sie entschieden, dass die AETTs nicht mehr über alles Mögliche informiert werden müssen.«

»Willkommen im Club. Vater hat alles darangesetzt, uns Schuldgefühle einzureden, aber Delilah und ich haben ihn auflaufen lassen. Wir fanden es schrecklich, uns von ihm loszusagen, aber er war nicht an unserer Seite, bis zu den Ellbogen in Dämonenblut, während wir uns gefragt haben, ob der Nächste, der durchkommt, vielleicht Schattenschwinge ist. Er weiß nicht, wie verdammt hart Camille gearbeitet hat, und er versteht die Entscheidungen nicht, zu denen sie gezwungen wurde. Wie könnten Delilah und ich danebenstehen und einfach zuschauen, wie sie unsere Schwester wegwerfen?«

Chase nickte. »Verstehe. Ja, wirklich. Und ich bewundere eure Entscheidung. Ihr drei … ganz egal, was passiert, niemand wird euch je auseinanderbringen.«

Er sah irgendwie sehnsuchtsvoll aus, und ich fragte mich, ob er Delilah vermisste. Er war jetzt, nachdem sie sich getrennt hatten, sogar öfter bei uns zu Hause als vorher, und er wirkte viel entspannter und fröhlicher. Delilah ebenfalls, obwohl sie sich gerade mit Shade, dem Halbdrachen – halb Drache, halb Stradoner –, zusammenraufte. Shade war aus der Welt des Herbstkönigs in ihr Leben spaziert, und die beiden entwickelten sich langsam zu etwas, das aussah, als könnte es das Liebespaar des Jahrhunderts werden. Ich hatte Delilah noch nie so unbekümmert und frei erlebt.

»Alles klar, Johnson?« Ich tippte ihm auf den Arm.

»Ja«, sagte er leise. »Und falls du dich fragen solltest – nein, ich vergehe nicht vor Sehnsucht nach Delilah. Ich habe entschieden, dass ich mit einer Beziehung nicht klarkomme. Und offen gestanden, ist das auch gut so. Meine Stimmung schwankt wie verrückt, weil sich anscheinend meine übersinnlichen Kräfte entfalten. In einer Sekunde bin ich noch glücklich und zufrieden, in der nächsten plötzlich angepisst. Keine gute Basis für eine Beziehung. Sharah hat hier in Seattle jemanden aufgetan, der mir helfen wird – ich muss lernen, die Energie zu kanalisieren.«

»Das ist gut. Unbeherrschte übersinnliche Energie ist gefährlich für alle Beteiligten.« Ich hielt ihn zurück, als er den Aufzug verlassen wollte. »Die Wahrheit.«

»Worüber?« Seine dunklen Augen schimmerten, und ich musste dem Impuls widerstehen, die Hand zu heben und ihm eine widerborstige Strähne zurückzustreichen. Sie wirkte an seinem makellos gepflegten Körper so fehl am Platz, dass sie mich richtig ablenkte.

»Hast du wirklich kein Problem damit, dass meine Schwester einen neuen Freund hat? Denn falls du dir vorgestellt hast, eure Beziehung irgendwann wiederaufleben zu lassen, solltest du unbedingt jetzt etwas sagen. Sie ist dabei, sich zu verlieben, Chase. Sie verliebt sich so sehr in Shade, wie ich es bei ihr noch nie gesehen habe.« Ich wollte nicht, dass Chase sie später in Nöte brachte und sie zwang, eine Wahl zu treffen, von der Delilah glaubte, sie sei längst getroffen.

Er sah mich an, und seine Augen waren klar, doch seine Miene drückte einen Zwiespalt aus. Dann fragte er langsam: »Sie liebt diesen Kerl wirklich?«

»Ich glaube, er ist der Richtige, Chase.«

»Dann werde ich ihr Blutsbruder bleiben und mich da nicht einmischen. Denn ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, wie mein verdammtes Leben in Zukunft aussehen wird.« Er zögerte kurz. »Kann ich dich jetzt was fragen?«

Ich war so erleichtert über seine Antwort, dass ich ihm fast jeden Wunsch erfüllt hätte. Also nickte ich. »Nur zu.«

»Glaubst du, dass jemand wie Sharah je mehr in mir sehen könnte als einen Kollegen in offizieller Funktion?« Er klang zaudernd, beinahe so, als sei ihm die Frage peinlich.

Ich wusste definitiv, dass Sharah in den Detective verliebt war, doch es stand mir nicht zu, diese Frage für sie zu beantworten. Also lächelte ich Chase ermunternd an. »He, du bist eine gute Partie. Du hast auch schon eine Menge Mist gebaut, Johnson, aber du bist in Ordnung, und ich glaube, du wirst eines Tages jemanden wirklich glücklich machen. Und ob eine Frau wie Sharah sich für dich interessieren könnte? Klar, warum nicht?«

Er schien kurz nachzudenken, dann ging er mir voran zur Leichenhalle. »Wir haben die Leichen hierbehalten. Drei der Opfer haben wir noch nicht identifizieren können. Bei der vierten Frau wissen wir, wer sie ist, finden aber keine Angehörigen, die wir benachrichtigen könnten. Allerdings spricht sich so etwas auf der Straße schnell herum. Ich muss die Stricherinnen warnen, zumindest das haben sie verdient. Sie müssen Bescheid wissen, wenn da draußen ein Irrer herumläuft, der es auf Nutten abgesehen hat.«

Ich starrte die leuchtend weißen Wände der Leichenhalle an, die Waschbecken und Tische aus schimmerndem Edelstahl. Dies war mein Reich – das Reich der Toten. Hätte Dredge mich nicht wieder zum Leben erweckt, wäre ich durch die heiligen Hallen gegangen, hinüber ins Land der Silbernen Wasserfälle.

Jedes Mal, wenn ich mich der Sterblichkeit anderer stellen musste, wurde ich mit meiner eigenen Unsterblichkeit konfrontiert – und mit der Tatsache, dass ich ein Raubtier war. Ein Geschöpf, das in die Dunkelheit gehörte. Nie wieder würde ich den Sonnenschein sehen, bis zu dem Tag, da ich bereit war, alles hinzuschmeißen und zu meinen Ahnen heimzukehren. Bis dahin gab es für mich nur den Mond.

Vier Leichen lagen auf den Stahltischen, mit weißen Laken bedeckt. Makellos weiß, wie frisch gefallener Schnee vor winterlich kahlem Hintergrund.

»Ich nehme an, ihr habt sie beobachtet für den Fall, dass sie Anstalten machen, sich zu erheben?«

Er nickte. »Ja. Keinerlei Anzeichen. Ich glaube, sie sind wirklich tot.«

Ich näherte mich der ersten Leiche und schlug das Laken zurück. Die Frau war unirdisch in ihrer Stille, ihrer Starre. Wie eine Statue oder eine Eisskulptur lag sie da, blass ausgeblutet. Ich beugte mich vor und untersuchte die Bisswunden an ihrem Hals. Vampir. Ich konnte ihn spüren, ihn riechen. Der Vampir, der diese Frau getötet hatte, war männlich und noch recht jung – zumindest als Vampir. Das konnte ich immerhin mit Sicherheit sagen. Rasch untersuchte ich die anderen Leichen, und wie auf den Fotos war die Ähnlichkeit verblüffend. Sie hätten Schwestern sein können.

In gewisser Weise sind sie das, dachte ich. Schwestern im Tode. Alle waren von demselben Vampir getötet worden. Ich konnte ihn an den Frauen riechen, seine Haut, sein …

O Scheiße. Ich fuhr zurück und begann zu zittern. Es gab nicht viel, was mich aus der Fassung brachte, aber das hier – das war zu vertraut und die Erinnerung, die ich nie, niemals würde abschütteln können, noch zu frisch.

»Habt ihr festgestellt, ob sie vergewaltigt wurden?« Meine Stimme klang schärfer, als ich beabsichtigt hatte, aber ich konnte nichts daran ändern.

Chase sah mich an, und sein neutraler Gesichtsausdruck wich einer gequälten Miene. »Ja, haben wir. Ich hatte gehofft, dass ich es dir nicht würde sagen müssen. Ich weiß, was das bei dir auslöst.«

»Sie wurden vergewaltigt, richtig? Sperma habt ihr sicher keines gefunden, aber Verletzungen, Risswunden, Blutergüsse. Ich kann es riechen. Ich rieche auch die Blutlust … nicht nur um die Bisswunden.« Plötzlich drehte sich der Saal um mich, meine Fangzähne fuhren aus, und ich geriet in Panik. Ich musste hier raus. »Chase, ich muss nach oben, ich muss raus. Sofort.«

»Komm.« Er führte mich mit einer Geste hinaus, fasste mich aber klugerweise nicht an.

Als wir den Aufzug erreichten, streckte ich abwehrend die Hand aus. »Du fährst besser nicht mit mir hoch. Das ist im Augenblick zu gefährlich. Wir treffen uns draußen vor dem Eingang.«

Er stellte keine Fragen, sondern trat zurück und überließ mir den Aufzug. Ich drückte auf die Taste für das Erdgeschoss und zählte die Sekunden. Der Aufzug war nicht langsam, doch es kam mir so vor, als wäre ich tausend Jahre lang darin eingesperrt gewesen, bis er endlich im Erdgeschoss ankam und ich mich schleunigst nach draußen verziehen konnte.

Tausend Jahre voller Erinnerungen, voll Sehnsucht nach Freiheit, tausend Jahre Zeit für die Frage, ob wir es mit einem neuen Dredge zu tun bekamen.

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Kapitel 2

Chase folgte mir nach draußen. »Alles in Ordnung?«

Langsam blickte ich zu ihm auf und ließ ihn meine Fangzähne sehen. »Nein, nicht ganz, aber das wird gleich wieder. Nur … manche Erinnerungen wird man nie los. Manche Taten lassen sich nicht ungeschehen machen. Mein Erlebnis mit Dredge war grauenhafter als alles, was du dir vorstellen kannst. Karvanak war vielleicht ähnlich übel, aber Dredge … Er hat den Schmerz anderer genossen. Demütigung und Erniedrigung. Er hat gelacht, wenn ich geschrien habe, Chase. Er hat gelacht, als sähe er irgendeine alberne Sitcom im Fernsehen. Und dann … als er …«

Plötzlich überwältigte mich die Erinnerung an sein lachendes Gesicht, als er mich bestieg, meinen blutenden Körper vergewaltigte, an den kleinen Schnittwunden zerrte, die er über Stunden in meine Haut geritzt hatte, und einen Moment lang schwankte der Boden unter meinen Füßen. Ich wollte jagen, hetzen, töten – doch Dredge war nur noch Staub. Ich hatte ihn schon vernichtet, und jetzt konnte ich ihm nichts mehr antun.

»Menolly, Menolly – komm zu dir. Hör mir zu!« Chase’ Stimme drang durch den Nebel der Blutlust wie ein Skalpell und schlitzte den Schleier aus Hunger vor meinem Geist so plötzlich auf, dass ich das Gefühl hatte, aus einer Hülle geschleudert zu werden.

Blinzelnd schüttelte ich den Kopf und starrte ihn an. »Wie hast du das gemacht?«

»Was denn?« Er sah mich verständnislos an. »Was habe ich gemacht?«

»Du hast mich aus der Blutlust gerissen. Wenn ich in diesem Zustand bin, kann kaum etwas durch den Hunger bis zu mir vordringen, geschweige denn, mich aus diesem Rausch aufrütteln. Camille kann es, aber sie hat die Macht der Mondmutter im Rücken. Ältere Vampire können es – und ganz selten taucht irgendjemand anderes mit dieser Gabe auf, aber kaum jemals ein VBM.« Ich musterte ihn schweigend und fragte mich, was für Kräfte in unserem Detective erwacht sein mochten, als er den Nektar des Lebens bekommen hatte.

»Ich habe keine Ahnung, wie ich das gemacht haben soll, aber ich bin froh, dass es funktioniert hat. Ich habe nämlich gerade keinen Strohhalm dabei und auch keine Lust, einen Longdrink abzugeben.« Er runzelte die Stirn. »Was ist passiert?«

»Ein Flashback. Die habe ich immer noch ab und zu, aber viel seltener, seit wir Dredge zu Staub zerblasen haben. Davor habe ich Dredges Folter fast jeden Tag im Traum wieder durchlebt. Und ich konnte es nicht verhindern – ich kann ja nicht aufwachen. Aber wenn das nachts passiert, verfalle ich in einen Blutrausch, und das Raubtier in mir übernimmt die Kontrolle und sucht ein Ventil für den Schmerz dieser Erinnerungen. In den letzten Monaten ist das nur noch ein paarmal passiert.«

»Das ist doch gut, oder? Glaubst du, dass du je davon freikommen wirst?«

»Man kann den Verursacher töten, aber von manchen Sünden kann auch deren Opfer nie reingewaschen werden. Was auch immer Karvanak dir angetan hat, kannst du das so leicht vergessen?«

Er schüttelte den Kopf. »Und das war nur mein Finger und ein bisschen … leichte Folter. Aber was du durchgemacht hast … ja, ich verstehe.«

»Wechseln wir das Thema. Schreib mir die Fundorte der Leichen auf. Wir können feststellen, ob sie auf einer Ley-Linie liegen oder in der Nähe irgendwelcher bekannten Vampirnester.« Mein Kopf war schon wieder klar, Panik und Hunger abgeklungen, und ich vermutete, dass Chase irgendwie mehr damit zu tun hatte, als er ahnte.

»Komm wieder mit rein. Yugi kann dir alle Informationen geben, die du brauchst.« An der Tür blieb er stehen. »Danke, Menolly. Ich weiß, dass du nicht mehr verpflichtet bist, uns bei solchen Sachen zu helfen – und dass ich dich damit von deiner eigenen Arbeit abhalte. Ich will dir nur sagen, dass ich deine Hilfe sehr zu schätzen weiß.«

Nicht zum ersten Mal, seit wir uns kennengelernt hatten, blickte ich zu unserem Detective auf und sah wieder eine neue Facette seiner Persönlichkeit hervorscheinen. Er war menschlich und unvollkommen, doch selbst die Götter hatten ihre Fehler. Johnson hatte mehr eingesteckt, als die meisten VBM verkraften könnten, und marschierte trotzdem erhobenen Hauptes weiter. Er war von Dämonen gefoltert worden und hatte es geschafft, das einigermaßen unbeschadet zu überstehen. Er hatte an unserer Seite gegen Dämonen, Ghule und Zombies gekämpft, und an seinem Mut konnte niemand zweifeln. Von seiner Neigung zur Untreue abgesehen, gehörte Chase eindeutig zu den guten Jungs.

Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und tat etwas, das ich höchst selten tat, selbst bei meinen Schwestern. Ich küsste ihn auf die Wange.

Er blinzelte, hob langsam die Hand und berührte sein Gesicht. »Wofür war das denn?«

»Dass du mich das fragen musst, beweist endgültig, wie sehr du das verdient hast. Und jetzt hör auf zu quatschen, rein mit dir. Wir müssen einen Serienmörder fangen.«

 

So – dann ist wohl eine kleine Vorstellungsrunde angebracht. Ich bin Menolly D’Artigo, eine Jian-tu, die zur Vampirin gemacht wurde. Jian-tu bedeutet … na ja, ein vergleichbarer Job in der Erdwelt wäre der eines Ninja, nur mit etwas weniger Meuchelmord. Aber ich bin einem Haufen Vampire buchstäblich in den Schoß gefallen, oder vielmehr in ihr Nest. Dredge, der widerlichste Abschaum, den die Anderwelt je gesehen hat, bekam mich zu fassen, folterte, vergewaltigte und tötete mich und ließ mich dann als Vampirin wiederauferstehen. Danach verbrachte ich ein ganzes Jahr in einer Art Reha-Klinik und lernte, wie ich es schaffen konnte, meine Familie oder Freunde nicht zu töten.

Ich bin halb Fee, halb Mensch, und wie meine Schwestern Camille, eine verflucht gute Hexe und Priesterin der Mondmutter, und Delilah, die Werkatze, die außerdem eine Todesmaid ist, arbeite ich für den Anderwelt-Nachrichtendienst. Oder vielmehr arbeitete, bis vor ein paar Wochen. Also, letzten Monat haben die Königin unseres Stadtstaates zu Hause in der Anderwelt und ihr Liebhaber – unser Vater – Camille als Verräterin verstoßen. Ein abgekartetes Spiel, aber das machte es nicht leichter. Delilah und ich haben uns hinter Camille gestellt und wurden dafür ebenfalls rausgeschmissen, also arbeiten wir jetzt alle für Königin Asteria, die Herrscherin von Elqaneve, dem Elfenreich.

Wir sind in einen hässlichen Krieg gegen Dämonen verwickelt und versuchen zu verhindern, dass Schattenschwinge, Dämonenfürst und Herrscher der Unterirdischen Reiche, einen Riesencoup gegen Erdwelt und Anderwelt durchzieht. Dazu braucht er so viele Geistsiegel – Bruchstücke eines uralten Artefakts –, wie er kriegen kann. Wir liefern uns einen Wettlauf mit ihm, um sie vor ihm zu finden. Fünf haben wir schon in Sicherheit bringen können. Eines hat er. Drei sind noch im Spiel.

Bisher sind wir mit ihm und seinen Horden fertig geworden, doch vor einem Monat haben sie unser Haus verwüstet, also bemühen wir uns jetzt nach Kräften, uns neu zu organisieren und stärker aufzustellen. Inzwischen gibt es so viele Variable, dass wir uns einfach einen Tag nach dem anderen vornehmen und das Beste hoffen. Aber in letzter Zeit bedeutet das Beste anscheinend, dass wir ziemlich oft Prügel einstecken müssen. Und einige unserer Freunde haben die bittere Erfahrung gemacht, dass ihre Freundschaft mit uns zu schweren Verletzungen führen kann … oder zum Tod. Wir tun, was wir können, aber eines Tages werden wir unser Glück überstrapazieren.

Bestenfalls dürfen wir hoffen, dass wir doch irgendwie siegen werden. Im schlimmsten Fall hoffen wir, dass unser Ende zumindest so schnell und schmerzlos wie möglich sein wird, denn offen gestanden, je tiefer wir selbst sinken müssen, desto pessimistischer werden wir. Aber solange wir nicht wissen, in welche Richtung das Pendel ausschlagen wird, treten wir so vielen Dämonen wie möglich in den Arsch, und wenn wir untergehen, werden wir möglichst viele von ihnen mitnehmen. Denn wir haben die Gewissheit, dass wir auf der richtigen Seite kämpfen. Und das ist eine Menge wert in dieser kalten, herzlosen Welt.

 

Auf dem Rückweg zur Bar dachte ich über Chase’ Fall nach. Ein Vampir-Serienkiller stellte ein gewaltiges Problem dar. Ich galt bei den Vampiren, die sich überhaupt dafür interessieren könnten, als Persona non grata. Für diejenigen, die so einen Perversen noch anfeuern würden, war ich Erzfeind Nummer eins. Was bedeutete, dass ich praktisch nirgends mehr dazugehörte.

Sassy Branson – eine Society-Lady, die zur Vampirin geworden war und sich um die einzige Tochter kümmerte, die ich je verwandelt hatte – würde mir vielleicht helfen. Allerdings hatte Sassy selbst so ihre Probleme, und die machten sich immer stärker bemerkbar. In letzter Zeit vertraute ich ihr nicht mehr voll und ganz. Aber Wade, der Leiter der Anonymen Bluttrinker, und seine Schar von Anhängern hatten unmissverständlich klargemacht, dass ich nicht mehr willkommen war.

Im Wayfarer war mächtig was los, als ich in die Bar zurückkam, doch Derrick wurde mit der Menge der Gäste offenbar spielend fertig. Ich winkte ihm zu und ging weiter in mein Büro.

Chrysandra steckte den Kopf durch den Türspalt. »Ich soll dir von Nerissa ausrichten, dass sie schon gegangen ist. Sie ruft dich nachher an.«

»Danke, Süße«, sagte ich und grübelte weiter darüber nach, wer uns in dieser Sache helfen könnte. Delilah war vorgeblich Privatdetektivin, aber das war eher ihre AND-Tarnung, obwohl sie schon sehr geschickt darin war, Informationen auszugraben. Auf gar keinen Fall würde ich sie auf die Suche nach irgendwelchen Informationen über Vampire schicken. Das konnte nicht gutgehen. Nein, wir brauchten Unterstützung von der untoten Seite.

Zögerlich griff ich nach einer Einladung auf cremefarbenem Papier und starrte wieder einmal darauf. Ich hatte sie noch nicht beantwortet – na ja, nur mit einem Vielleicht. Doch der Mann, der sie mir geschickt hatte, konnte uns womöglich helfen. Genau genommen war er nicht nur ein Mann. Er war ein Vampir, aber ich war äußerst vorsichtig, wenn es darum ging, auch nur in seine Nähe zu kommen.

Seufzend griff ich zum Telefon und wählte die angegebene Nummer.

 

Sowohl Kätzchen als auch Camille waren auf, als ich nach Hause kam. Ich hatte angerufen und sie gebeten, sich noch mal aus dem Bett zu schwingen, weil wir dringend etwas besprechen mussten und ich nicht bis morgen Abend warten wollte.

Camille nippte an einer Tasse dampfendem Tee. Sie trug ein hauchdünnes schwarzes Nachthemd, hatte sich einen gemütlichen Fleecebademantel um die Schultern gelegt und sah umwerfend aus. Ihr rabenschwarzes Haar schien noch länger gewachsen zu sein, und ihre Kurven füllten das Nachtgewand genau richtig aus. Ein Glück, dass wir Schwestern sind, sonst könnte ich den Blick nicht mehr von ihr losreißen, dachte ich.

Delilah hingegen trug einen rosafarbenen Flanell-Schlafanzug mit einem Kätzchen vorne drauf, dazu flauschige Pantoffeln, die mich an Tribbels erinnerten. Sie hatte ein Glas warme Milch vor sich und knabberte Kekse.

Ich zog mir Stiefel und Jacke aus und setzte mich im Schneidersitz in den großen Sessel, den Smoky für unser Wohnzimmer gekauft hatte – als Ersatz für einen, der draufgegangen war, als die Dämonen unser Haus verwüstet hatten. Eigentlich waren fast alle Möbel neu, und an manchen Innenwänden waren noch Krater zu sehen, wo die Treggarts Löcher in die Gipskartonplatten geschlagen hatten.

Die Jungs hatten die Schäden außen am Haus schon komplett repariert, arbeiteten sich jetzt durch das Innere und kümmerten sich auch um Kleinigkeiten.

»Wir haben ein Problem. Chase hat mich heute Abend ins Hauptquartier gerufen. Offenbar läuft da draußen ein Vampir-Serienkiller herum.« Ich lehnte mich in die Kissen zurück und schloss die Augen. Es fühlte sich himmlisch an, zu Hause zu sein. Ich ging gerne aus, amüsierte mich mit meiner Freundin auf den Tanzflächen der Clubs oder in der Bar mit meinen Leuten, aber wenn die Nacht zu Ende ging, wollte ich zu Hause sein, mit Maggie spielen, unserer süßen kleinen Schildpatt-Gargoyle, mit meinen Schwestern und Iris herumhängen und einfach … einfach nur sein.

»Großartig. Noch ein Harold, der es statt auf Feen eben auf Vampire abgesehen hat?« Camille verzog angewidert das Gesicht. Beim Gedanken an Harold Young fühlte sie sich immer noch sehr unwohl. Wie wir alle. Das schlimmste aller Ungeheuer, dabei war er ein VBM gewesen. Gerade das machte ihn ja so abscheulich – er war ganz Mensch gewesen, was sein Blut anging. Aber ganz Dämon bis in die tiefste Seele.

»Nein – kein Serienmörder, der Vampire tötet. Ein vampirischer Serienmörder. Er tötet junge Frauen.« Ich schilderte ihnen, was Chase mir gezeigt hatte. »Er muss entweder ein recht neuer Vampir sein oder neu in der Gegend, außer irgendetwas ist mit ihm geschehen, das diesen extremen Blutrausch ausgelöst hat.«

Es klingelte an der Tür, und wir starrten alle zum Flur hinüber. Es war drei Uhr morgens. Wer zum Teufel könnte um diese Zeit vor unserer Tür stehen?

»Ist das vielleicht Nerissa?« Delilah stand auf, doch ich bedeutete ihr, sich wieder hinzusetzen. Lautlos ging ich zur Tür und wünschte, ich hätte meine Stiefel nicht schon ausgezogen.

Wir waren alle sehr misstrauisch geworden seit dem Kampf im Oktober, bei dem Iris beinahe umgekommen wäre. Unwissentlich hatten wir unser Haus nicht genug gegen eine solche Invasion gesichert, und wir hatten dafür bezahlt. Danach hatten wir uns ein paar Elfen-Gorillas von Königin Asterias Truppen drüben in der Anderwelt erbettelt. Sie sahen nicht sonderlich stark aus, doch die drei um unser Haus postierten Wachen waren absolut tödlich, was ihre körperlichen und magischen Kampfkünste anging. Trenyth, die rechte Hand von Königin Asteria, hatte dafür gesorgt, dass sie vorerst bei uns bleiben würden.

Wir hatten zwei Türspione, einen auf Iris’ Augenhöhe und einen auf Delilahs. Ich spähte durch Iris’ Spion und sah zu meiner Überraschung meine Tochter vor der Haustür stehen.

»Erin?« Was zum Teufel hatte sie hier zu suchen, und ganz allein? Es gefiel mir nicht, dass sie ohne Aufsicht herumlief. Vielleicht war ich als Mutter eine überängstliche Glucke, aber ich kannte die Gefahren da draußen, ich wusste, wie groß der Hunger eines Neulings war und wie leicht man ihm erliegen konnte.

Ich riss die Tür auf.

»Erin, was tust du hier? Ist Sassy auch da?« Ich blickte an ihr vorbei und suchte den Garten vor dem Haus ab, doch von der älteren Vampirin war nichts zu sehen.

Erin schüttelte den Kopf und fiel vor mir auf die Knie. In ihrer Meisterin würde sie immer ein gottähnliches Wesen sehen, und sie würde sich lange davor fürchten, meinen Unmut zu erregen. Zumindest bis zu dem Tag, da sie stark genug wurde, mich zu vernichten. Doch wenn man bedachte, wer mich verwandelt hatte, würde dieser Tag wahrscheinlich nie kommen.

Dredge war einer der stärksten, tödlichsten Vampire gewesen, den es in der Erdwelt wie in der Anderwelt je gegeben hatte, und ich hatte direkt aus seinen Adern getrunken. Erin stammte nur im zweiten Grad von ihm ab, und außerdem war sie menschlich.

Als ich Erin vor etwas über einem Jahr verwandelt hatte, war sie neunundvierzig Jahre alt gewesen. Sie war eher der maskuline Typ gewesen, bis Sassy sie unter ihre Fittiche genommen hatte. Jetzt trug Erin Chanel, war elegant frisiert, und ihr sonnengebräunter Teint war zu schneeweißer Haut verblasst, wie sie die meisten Vampire hatten. Erin würde nie schön sein, jedenfalls in den Augen der meisten Leute. Doch sie hatte ein Herz aus Gold, selbst in ihrem neuen Dasein.

Ich streckte die Hand aus, damit sie sie küssen konnte, wie es Sitte war. Sie drückte die Lippen auf meine blasse Haut, und ich gab ihr einen Wink, dass sie aufstehen solle. »Komm herein. Was ist passiert? Warum bist du hier? Wenn du mich brauchst, hättest du einfach anrufen können, dann wäre ich sofort zu euch rübergekommen.«

Ich führte sie ins Wohnzimmer und bedeutete Camille und Delilah mit einem Nicken, uns allein zu lassen. Es war nicht gut, wenn Erin viel Zeit unter Lebenden verbrachte. Noch nicht. Die Versuchung, von ihnen zu trinken, war zu machtvoll. In Neulingen brannte der Durst gewaltig.

Erin winkte meinen Schwestern zu, und sie erwiderten die Geste im Gehen. Camille wirkte verletzt. Erin war ihre Freundin gewesen, und Dredge hatte sie als Druckmittel benutzt, als er hergekommen war, um mich zu bestrafen. Kollateralschaden. Unsere Feinde hatten bisher zwei von Camilles besten Freunden getötet.

»Wir warten in der Küche«, sagte Delilah, ehe sie in den Flur schlüpfte.

Ich bedeutete Erin, sich neben mich zu setzen. »Was ist los? Warum bist du hier?« Vampire hielten sich üblicherweise nicht mit Smalltalk auf. Das waren nur vergeudete Worte.

»Ich mache mir Sorgen um Sassy.« Erin sah mich an, und ihre hellbraunen Augen verblassten schon wie in Nebel. Sie nahmen eine graue Färbung an, was bei den meisten Vampiren im Lauf der Zeit passierte. Sie fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und rieb sich mit zwei Fingern die Stirn. »Meisterin, Sassy ist … mit ihr stimmt etwas nicht.«

»Was stimmt nicht mit ihr? Kannst du mir das näher erklären?« Ich hatte das scheußliche Gefühl, die Antwort schon zu kennen, aber ich hoffte, dass ich mich irrte.

»Letzte Nacht war jemand bei ihr. Ich weiß nicht, wer, aber es war ein anderer Vampir. Er hat …« Sie hielt inne, schluckte, und Angst verdüsterte ihre Miene. »Ich will Sassy nicht in Schwierigkeiten bringen. Sie hat so viel für mich getan.« Als ein klarer, bewusster Ausdruck in ihre Augen trat, erkannte ich, dass Erin tatsächlich reifer wurde und dazulernte.

»Sag es mir. Ich weiß, dass du Angst hast, aber mir kannst du alles sagen.« Ich hob die Hand und streichelte sacht ihre Wange. Ich hatte mir geschworen, niemals einen anderen Vampir zu erwecken, doch hier saß sie, auf ewig meine Tochter, bis eine von uns in die Sonne ging. Wie hätte es mir gleichgültig sein können, was mit ihr geschah? Außerdem würde ihr Verhalten auf mich zurückfallen.

Erin erschauerte bei meiner Berührung und legte ihre Hand auf meine. »Ich weiß. Deshalb bin ich ja zu dir gekommen. Gestern Nacht hatte sie Besuch – ein Vampir, aber ich kenne seinen Namen nicht. Er hat ein Mädchen mitgebracht. Sassy hat mir befohlen, in mein Zimmer zu gehen und dort zu bleiben, weil sie jetzt zu tun habe. Ich war wütend. Kurz zuvor hatten wir uns gestritten. Ich wollte meine Jeans anziehen, aber sie hat von mir verlangt, irgendwelche Designerklamotten zu tragen … Jedenfalls sind sie und dieser Kerl mit dem Mädchen verschwunden, und ich habe so getan, als würde ich in mein Zimmer gehen. Ich weiß, dass ich ihr gehorchen soll, aber irgendetwas fühlte sich gar nicht gut an.«

Mein Magen sackte in Richtung Kniekehlen, denn ich ahnte schon, wie das ausgehen musste. »Was ist dann passiert?«

»Ich bin ihnen gefolgt. Sie haben das Mädchen runter in Sassys Versteck gebracht. Ich konnte sie beobachten, ohne gesehen zu werden. Sie sind über sie hergefallen, Menolly. Ich wollte so gern zu ihnen gehen und trinken, aber ich habe mich gezwungen, an das zu denken, was du mich über Ehre gelehrt hast, und welcher Weg der richtige ist. Und ich glaube, die junge Frau wollte das nicht. Sie … haben sich auf sie gestürzt, und …« Sie erbleichte – sofern das bei einem Vampir möglich war – und senkte den Kopf. Sie sah aus, als sei ihr schlecht. »Es war schlimm. Wirklich übel. Ich habe Sassy noch nie so grausam erlebt.«

»Was hat sie getan?« Ich wollte es nicht wissen, doch das half nichts.

»Sie hat sie geleckt, es ihr mit der Zunge besorgt, und dann von ihr getrunken. Da unten. Die Frau hat angefangen zu schreien, aber dann ist sie in Trance gefallen. Als Sassy fertig war, hat der männliche Vampir sie sich vorgenommen. Keinem von beiden ging es nur um Nahrung. Und dann … haben sie sie ausgesaugt. Ich bin sicher, dass sie tot ist«, flüsterte Erin, und blutige Tränen rannen aus ihren Augenwinkeln. »Es war widerlich. Ich bin in mein Zimmer gelaufen und habe den Mund gehalten. Am liebsten wäre ich sofort hergekommen, aber wenn sie gemerkt hätten, dass ich verschwunden bin, hätten sie mich gejagt. Heute Nacht ist Sassy auf einer Party, sie hat mich zu Hause gelassen, also habe ich mich rausgeschlichen.«

Ich starrte meine Tochter an. Was zum Teufel hatte ich mir dabei gedacht, sie der Fürsorge einer Person zu überlassen, die ich gar nicht richtig kannte? Was hatte ich getan, verflucht? Ich wollte irgendetwas kaputt schlagen, hielt mich jedoch zurück. Wenn ich noch ein Loch in die Wand machte, würde ich mir von Iris etwas anhören müssen.

»Was hat Janet denn zu diesem Treiben gesagt?« Janet war schon ihr Leben lang bei Sassy – eine Mischung aus großer Schwester und Dienstmädchen. Die alte Dame war so herzerfrischend wie Julia Child und so prüde wie Emily Post. Ich fand ihre Art, sich um Sassy zu kümmern, sehr liebenswert.

»Nicht viel. Ich glaube, sie weiß gar nichts davon. Janet ist sehr krank«, sagte Erin mit gesenktem Blick.

Mein Magen sackte noch ein Stück tiefer. Janet litt an einem Gehirntumor, der langsam ihr Leben aufzehrte. »Ist sie … ist es der Krebs?«

»Ja, ich glaube, sie ist im Endstadium. Sie verbringt jetzt viel Zeit im Bett. Und sie hat Angst, Menolly. Sassy … Sassy spricht ständig davon, sie zu verwandeln, und Janet fleht sie immer wieder an, es nicht zu tun.«

»Mist. Was glaubst du, wie lange Janet noch zu leben hat?« Ich biss mir auf die Lippe, denn ich hätte weinen können. Janet hatte es nicht verdient, am Ende ihres Lebens so geplagt zu werden, und die alte Sassy wäre nicht im Traum darauf gekommen, ihre beste Freundin zur Vampirin zu machen.

»Höchstens ein paar Tage, aber es könnte jeden Moment so weit sein. Sie hat nach dir gefragt.«

»Ich besuche sie, sobald ich kann – vielleicht schon morgen Nacht. Versprochen. Und du kehrst vorerst nicht dorthin zurück. Du schläfst hier, bei mir. Aber du musst mir versprechen, dass du dich benehmen wirst. Ich suche dir einen Platz, wo du sicherer sein wirst.« Ich stand auf und streckte beide Hände aus. Sie ergriff sie und lächelte mich tapfer an. Erin mochte bei ihrem Tod eine erwachsene Frau gewesen sein, doch während der ersten Jahre nach der Erweckung fielen alle Vampire in eine linkische Phase zurück. Erin war sozusagen eine Frau mittleren Alters und zugleich ein schüchterner Teenager.

»Komm mit. Ich bringe dich in meinen Unterschlupf und hole dir etwas Blut – wart’s nur ab, bis du von dem Zeug gekostet hast, das Morio für mich macht. Das ist beinahe so gut, wie wieder lebendig zu sein.« In der Anwesenheit eines Neulings vom Leben zu sprechen, war nicht ideal. Erin betrauerte noch ihren Verlust, aber mein Yokai-kitsune-Schwager bereitete aromatisiertes Blut für mich zu, und damit würde Erin zumindest einen Hauch ihres früheren Lebens auf der Zunge schmecken.

»Komm.« Ich führte sie in die Küche. Delilah und Camille blickten auf. »Erin wird heute bei uns übernachten. Sie schläft in meinem Unterschlupf. Ich hole ihr nur eine Flasche Blut und mache es ihr bequem, dann bin ich wieder da.«

Camille lächelte uns herzlich entgegen. »Erin, wie schön, dich wiederzusehen.«

Erin starrte sie sehnsüchtig an. »Ich weiß. Ich wünschte nur …« Ihre Stimme erstarb. Ich nahm eine Flasche Blut mit Erdbeermilchshake-Geschmack aus dem Kühlschrank und führte sie hinter das Bücherregal zu der geheimen Treppe, die in meinen Keller hinunterführte. Dann schaltete ich ihr den Fernseher ein, und sobald sie es sich mit dem Blut gemütlich gemacht hatte, ging ich wieder nach oben.

Delilah und Camille warteten schon gespannt. »Ärger. Ich habe gewaltigen Ärger am Hals.« Ich berichtete ihnen, was Erin mir erzählt hatte.

»Doch nicht Sassy!« Delilah blieb der Mund offen stehen. »Was zum Teufel machen wir jetzt? Wie sollen wir sie aufhalten?«

»Sassy hat mir vor ein paar Monaten anvertraut, dass das Raubtier in ihr stärker wird und sie Schwierigkeiten hat, es zu kontrollieren. Offenbar hat sie die Wahrheit gesagt.« Ich starrte meine Hände an. »Einerseits geht es mich nichts an. Vampire töten jeden Tag Menschen, und ich tue im Allgemeinen nichts dagegen. Aber vor einem halben Jahr musste ich ihr versprechen, dass ich ihr ein Ende machen würde, wenn sie ihr wahres Selbst aus den Augen verliert. Sie wollte nicht so werden.«

»Hast du etwa vor, sie zu töten?« Camille biss sich auf die Lippe, und Tränen rannen ihr über die Wangen. »Sassy ist unsere Freundin. Können wir ihr nicht irgendwie helfen?«

»Ich bin selbst hin- und hergerissen.« Ich blickte auf, als Iris in die Küche kam, mit Maggie auf der Hüfte. »Hallo, Iris – wir haben Besuch. Geh nicht allein in meinen Keller, ja? Erin bleibt eine Weile bei uns, und ich glaube nicht, dass sie gefährlich ist, aber sie ist noch so neu, dass ich es nicht riskieren kann, sie mit irgendeiner von euch allein zu lassen.«

Iris blinzelte verschlafen und nickte. »Natürlich. Möchtest du mir vielleicht erklären, warum wir eine Vampirin zu Gast haben?«

»Weil Sassy die Grenze zum Raubtier überschritten hat.« Ich streckte die Arme nach unserer kleinen Gargoyle aus, und Iris gab sie mir. »Maggie, mein Schätzchen, wie geht es dir heute? Haben wir dich geweckt?«