Seelenlehre - Formenlehre - Alois Mailänder - E-Book

Seelenlehre - Formenlehre E-Book

Alois Mailänder

0,0

Beschreibung

In seiner Seelenlehre beschreibt Mailänder die seelischen Vorgänge in der Mystik in nüchterner Selbstbeobachtung mit poetischer Sprache. Für Mailänders Formenlehre gibt es Vorbilder bei Jakob Böhme. In dessen Emblematik findet man ähnliche Gedankengänge. Die Schriften von Jakob Boehme und Paracelsus als Vorbilder für Mailänder zu bezeichnen, scheint konstruiert zu sein. Aber es ist nachgewiesen, dass die Schriften der Boehme - Schüler John Pordage und Jane Leade im schwäbischen Pietismus hoch geschätzt und auch im Hauskreis von Mailänder vorgelesen und kommentiert wurden.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 102

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Abbildung 1: Alois Mailänder (1889)

„Er glich in vielen seiner Erlebnisse dem Seher Jakob Böhme, der heute jedem Gebildeten bekannt ist als wunderbarer Mensch; er übertraf ihn als Hellseher in manchem Grade, aber himmelhoch übertraf er ihn durch die erwähnte Erkenntnis, dass ein Weggehen von der Welt falsch ist, so erhaben diese Weltflucht auch scheinen mag.“

Gustav Meyrink über Alois Mailänder in „Die Verwandlung des Blutes“

Mein besonderer Dank gilt Christine Eike. Sie hat in mühseliger Arbeit die vorliegende Textfassung mit dem handschriftlichen Original verglichen und wesentliche Berichtigungen angebracht.

Danken möchte ich auch Frau Bärbel Mund und der Niedersächsischen Staats- und Universitäts bibliothek Göttingen für das sorgfältige Anfertigen von Scans der Originalschriften sowie die Erlaubnis, die Texte von Alois Mailänder aus der Handschrift von Wilhelm Hübbe-Schleiden zu publizieren.

Von mir selbst wurden die Schriften Mailänders aufgesucht, ihre Herkunft von Mailänder gesichert, die Texte in Maschinenschrift übertragen, Anordnung und Abschnitte gestaltet und für den Druck vorbereitet.

Erik Dilloo-Heidger, Überlingen am Bodensee, 2021

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

I.1 Ein kurzer Blick auf Alois Mailänder

I.2 Der Anlass zu Mailänders Schriften

I.3 Die Grundgedanken der Formenlehre

I.4 Die Seelenlehre

I.5 Wie entstanden die Seelen- und die Formenlehre?

Der Text der Seelenlehre

Der Text der Formenlehre

III.1 Buchstaben - und Zahlenschlüssel

III.2 Formen–Sprache der Erkenntnis (im Geiste)

III.3 Formen–Sprache des Feuers (Liebe)

III.4 Lebenssprache der inneren Iche

Verzeichnisse

IV.1 Quellennachweis

IV.2 Literaturverzeichnis

I. Einleitung

I.1 Ein kurzer Blick auf Alois Mailänder

Wer war Alois Mailänder?

Sein Leben ist schnell erzählt. Geboren wurde er 1843 in Fidazhofen, einem kleinen Vorort von Ravensburg im schwäbischen Hinterland des Bodensees. Seine Mutter kam als Saisonarbeiterin aus dem österreichischen Tirol; sie war arm und Alois war ihr einziges Kind, das sie als alleinstehende Mutter großzog. Mailänders Vater ist unbekannt geblieben. Die Armut war so groß, dass Alois Mailänder (1843-1905) nie eine Schule besuchen konnte. Er blieb zeitlebens ein Analphabet, der wenig mehr als seinen Namen schreiben konnte. Erstaunlicherweise führte er in den letzten zwanzig Jahren seines Lebens eine umfangreiche Korrespondenz mit Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten in ganz Europa aus Wien, Prag, Berlin, Leipzig, Hamburg, Wuppertal und selbst aus London und Boston. Seine Briefe wurden nach seinem Diktat von seiner Frau Karoline, seiner Schwägerin Crescentia Gabele oder anderen Menschen seiner Hausgemeinschaft geschrieben beziehungsweise ihm vorgelesen. Seine Schüler waren anfänglich Handwerker aus seinem Lebensumkreis, später dann weitete sich der Umfang seiner Adressaten und es kamen Künstler, Adelige und Industrielle dazu; bekannte Namen wie der deutsche Konsul von Persien, Gustav Gebhard, oder der Generalfeldmarschall des österreichischen Generalstabs, Blasius von Schemua, gehörten ebenso dazu wie das mittellose Maler- Ehepaar Pollak, der Multimillionär Oskar Baron von Hoffmann aus Leipzig oder die unter Pseudonym schreibenden österreichischen Schriftstellerinnen Alice Gurschner und Sophie Gräfin von Attems-Heiligenkreuz. Mailänders bekannteste Schüler waren zweifellos die beiden Schriftsteller Gustav Meyrink und Karl Weinfurter, sowie die beiden Theosophen Franz Hartmann und Wilhelm Hübbe-Schleiden. Diese führten viele ihrer Freunde und Anhänger ebenfalls zu Alois Mailänder.

Wie konnte ein so einfacher Mensch ohne Schulbildung für so viele Menschen wichtig werden? Gustav Meyrink bezifferte die Anzahl von Mailänders Schülerinnen und Schüler mit der Zahl 541, genauer lässt sich das heute wohl nicht mehr bestimmen. Jeden von seinen Schülern hat Mailänder betreut und begleitet durch persönliche Worte in Briefen und als aufmerksamer Zuhörer bei Gesprächen und Besuchen in seinem Heim. Von einem seiner Schüler sind Briefe, wie sie Mailänder schrieb, erhalten2. Von einem anderen Schüler sind ebenfalls zwei kleine Schriften erhalten, die auf Worten von Mailänder beruhen3. Diese Schriften erhielten den Namen «Seelenlehre» und «Formenlehre». Im hier vorliegenden Buch werden sie zum ersten Mal der Öffentlichkeit vorgestellt.

Den hier vorliegenden Text haben wir einem Schüler von Alois Mailänder, Wilhelm Hübbe-Schleiden (1846-1916), zu verdanken. Dieser hat den ursprünglichen Text für seinen persönlichen Gebrauch abgeschrieben. Hübbe-Schleiden hatte zunächst den Schwager von Alois Mailänder, Nikolaus Gabele, im Salon von Gräfin Caroline von Spreti in München kennen gelernt. Caroline von Spreti war die Schwester von Franz Hartmann und kannte aus ihrer Jugendzeit in Kempten Nikolaus Gabele. Nikolaus Gabeles Mutter war in Kempten „bekannt als eine Frau, die besondere okkulte Kräfte (Siddhis) besaß, durch die sie kranke oder besessene Menschen und Tiere heilte und viel Gutes stiftete“4, wie Franz Hartmann berichtete. Nachdem Hübbe-Schleiden nach München gezogen war, besuchte er in der Weihnachtszeit 1884 den Salon der Gräfin von Spreti, wo er, wie eben angedeutet, über Umwege mit Alois Mailänder bekannt wurde. Schon kurze Zeit danach erhielt er von Mailänder die ersten Übungen und Anweisungen für seine eigenen Meditationen5.

Elf Jahre später, von Ende Juli bis Anfang Oktober 1896 verweilte Hübbe-Schleiden dann für mehrere Wochen (mit Unterbrechungen) bei Mailänder in dessen Heim in Dreieichenhain zwischen Darmstadt und Frankfurt/Main. In dieser Zeit wurden die Abschriften angefertigt, die für den vorliegenden Text verwendet wurden (siehe I.5).6

1 Meyrink, Gustav; Die Verwandlung des Blutes. Meyrinkiana VI, 14 Blatt 23. Erste Druckfassung: Ullstein 1922

2 Mailänder, Alois; Dilloo-Heidger, Erik (Hrsg); 44 Briefe an Gustav Meyrink. Norderstedt 2020

3 Mailänder, Alois; Seelenlehre. Formenlehre. Nachlass Wilhelm Hübbe-Schleiden. Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen; Cod_MS_W_Huebbe_Schleiden_1018

4 Hartmann, Franz; Denkwürdige Erinnerungen aus dem Leben des Verfassers der ‘Lotusblüthen’; In: „Lotusblüthen“. Oktober 1897 S.603f

5 Hübbe-Schleiden; Notizbucheintrag ohne Datum, 1885 Blatt 12 notiert: «Gabele fragen zu jetziger Übung» Cod_MS_W_Huebbe_Schleiden_1012_4 Notizbuch

6 Im Sommer 1896 verbrachte Hübbe-Schleiden mehrere Wochen bei Mailänder (27-31.7.86; 1.-9.08.96 und 22.9.-3.10.96). Darüber schreibt er in seinen Tagebüchern 1896: Cod_Ms_W_Huebbe_Schleiden_1013_15 Cod_Ms_W_Huebbe_Schleiden_1013_16 und Cod_Ms_W_Huebbe_Schleiden_1013_18

I.2 Der Anlass zu Mailänders Schriften

Mailänders Seelen- und Formenlehre sind erst gegen Ende seines Lebens entstanden. Mailänder starb mit 62 Jahren. Bis zu seinem siebenundvierzigsten Lebensjahr war er als Fabrikarbeiter in einer mechanischen Weberei tätig. Der Arbeitstag war lang, 11 und 12 Stunden, man arbeitete sechs Tage die Woche für geringen Lohn. In dieser Zeit hatte Mailänder nur Schüler aus seinem unmittelbaren Lebensumfeld. Für Korrespondenzen oder schriftstellerische Tätigkeit war weder Zeit noch Kraft vorhanden. Nach dem Jahr 1886 änderte sich das. Zuerst zog er im Jahr 1886 von seinem bisherigen Wohnort in Kempten im Allgäu nach Vohwinkel bei Elberfeld. Dort lebte Mary Gebhard, die ihn als Mäzenin finanziell unterstützte. Anfangs arbeitete er auch in Elberfeld weiterhin als Weber in einer Fabrik. Doch dann ging es ihm gesundheitlich schlecht, er bekam Blutstürze und seine Mäzene beschlossen, für ihn eine andere Lebenssituation zu schaffen. Im Jahr 1890 wurde für ihn ein Haus mit landwirtschaftlichem Anwesen in Dreieichenhain erworben und er wurde finanziell unterstützt, so dass er sich ganz seiner Tätigkeit als geistlicher Berater seinen Schülern widmen konnte. In der Zeit nach 1890 entstanden die Briefe und auch die Schriften, die von ihm erhalten sind7.

Alois Mailänders Mäzenin Mary Gebhard war als Gattin eines erfolgreichen Fabrikbesitzers in der Lage, für Mailänder und seine ganze Hausgemeinschaft von etwa zehn Personen finanziell aufzukommen. Frau Gebhard war allem Spirituellen gegenüber sehr aufgeschlossen. In den Jahren 1871 bis 1875 hatte sie den französischen Okkultisten Eliphas Lévi unterstützt und ihn in ihrem Haus aufgenommen, als während des deutsch- französischen Krieges die Lebensumstände in Paris unerträglich geworden waren. Nach 1883 unterstützte Frau Gebhard Madame Blavatsky, die Begründerin der damals weltweit sich ausbreitenden theosophischen Bewegung. Nach 1886 war Alois Mailänder ihr ans Herz gewachsen. Doch Marys Engagement für Mailänder war nicht nur altruistisch. Sie brauchte dringend seinen Rat und seine geistliche Unterstützung. Denn zu dem Zeitpunkt, als sie ihn kennen lernte, waren ihre beiden jüngsten Söhne Hermann (†1881) und Walter (†1886) durch Suicid aus dem Leben geschieden. Alois Mailänder konnte in dieser Situation von seelischer Bedrängnis und Not Mary Gebhard und ihrer gesamten Familie Beistand leisten.

Es war diese außergewöhnliche Lebenssituation, die Alois Mailänder mit der Familie Gebhard verband und dadurch mit der Welt der Theosophen in einen Kontakt brachte. Weitaus die meisten Menschen, die in der Folgezeit seine Schüler wurden, hatten irgend etwas mit der theosophischen Bewegung zu tun.

Ob Mary Gebhard in irgend einer Weise an der Niederschrift der Seelen- und Formenlehre beteiligt war, kann man nicht sagen. Ein Großteil der Aphorismen hat eine dialogische Form nach dem Muster „Schülerfrage – Meisterantwort“. Dies könnte darauf hinweisen, dass jemand Alois Mailänder gegenübersaß, der (oder die) dann die Worte des Lehrers zu Papier brachte.

7 Mehr zur Biographie von Alois Mailänder ist nachzulesen in: Mailänder, Alois; Dilloo-Heidger, Erik; 44 Briefe an Gustav Meyrink. BoD Norderstedt 2020.

I.3 Die Grundgedanken der Formenlehre

Der Name der Seelenlehre erklärt sich von selbst; nicht aber der Titel „Formenlehre“. Für Mailänders Formenlehre gibt es Vorbilder, allerdings nicht im 19.Jahrhundert, in dem Mailänders Schrift entstanden ist, sondern in der Renaissance bei Paracelsus, der in seiner Naturlehre über die Signatur der Dinge sprach. Auch bei Jakob Böhme findet man ähnliche Gedankengänge wie in Mailänders Formenlehre. Diese zeitlich so fern liegenden Schriften als „Vorbilder“ für Mailänder zu bezeichnen, scheint konstruiert zu sein. Dem ist aber nicht so. Denn zumindest die Schriften von Jakob Böhme und besonders die seiner Schüler John Pordage und Jane Lead wurden im schwäbischen Pietismus hoch geschätzt und in der Folge auch in Mailänders Hausgemeinschaft gelesen und kommentiert.8

Die Signaturenlehre des Paracelsus hatte ihren Ursprung im Altertum, als man davon überzeugt war, dass eine jegliche Heilpflanze eine „Signatur“ in sich trage, also verschiedene Erkennungszeichen, an denen man erkennen könne, wofür eine Pflanze geschaffen sei. Man drückte dies in den Worten aus: Wer die „Signaturen“ kenne, also wer „im Buch der Natur zu lesen“ verstehe, der könne heilen.

Vom selben Grundgedanken angeregt, hatte Jakob Böhme eine Schrift verfasst, die den Namen „De Signature Rerum“9

(Über die Zeichenhaftigkeit der Dinge) trug und in der Jakob Böhme ein jegliches Geschöpf der Welt in seiner Bezogenheit zum Schöpfer deutete. Diesen Grundgedanken findet man in Alois Mailänders Formenlehre wieder, allerdings in anderer Weise als bei Jakob Böhme.

Ein Bild ist stets mehrdeutig und kann, wenn man es richtig benützt, einen sehr umfassenden Kontext bezeichnen. Die Sprache der Bilder ist poetisch. Und auch die Träume und das Unbewusste sprechen sich in Bildern aus. Bilder sprechen uns unmittelbar an, tiefer als abstrakte Begriffe. In dieser Art muss man sich Mailänders Formenlehre nähern. Wenn man sich immer wieder aufs Neue mit Mailänders Symbolen beschäftigt, fangen diese Bilder an zu „sprechen“. Die Formenlehre von Alois Mailänder diente dem Zweck, den religiösen Gehalt von Bildern und Symbolen aufzeigen. Wenn man sie im eigenen Traumleben wiederentdeckt, soll man sich ihnen bewusst zuwenden. Wenn man von ihnen erfüllt ist, soll man darüber meditieren. Mailänders Schrift über die Formen ist eine Art „Traum-“ oder „Symbol-Lexikon“ für Bilder in ihren biblischen Beziehungen.

Man findet interessante Ähnlichkeiten, aber auch Sinnverschiebungen, wenn man Mailänders „Formenlexikon“ einmal mit einem gängigen, populären „Traumlexikon“ vergleicht. Ein herkömmliches „Traumlexikon“ ist in der Regel ein vordergründigs Zuschreiben von Bildern auf einen seelischen Zusammenhang. Bei Mailänder ist dies nicht so. Er arbeitete auf einer Ebene, die man – reflektiert und mit wissenschaftlichem Hintergrund – am ehesten bei C.G.Jung wiederfinden kann.

8 Der Brief von Crescentia Gabele an Gustav Meyrink vom 25.6.1897 verweist auf Schriften des Böhme-Schülers John Pordage.

9 Böhme, Jakob; De Signatura Rerum, Das ist: Von der Geburt und Bezeichnung aller Wesen: Wie alle Wesen aus einem Einigen Mysterio urständen; und wie sich dasselbe Mysterium von Ewigkeit immer in sich selber erbähre, und wie das Gute ins Böse, und das Böse ins Gute verwandelt werde. Item: Wie die äussere Cur des Leibes durch seine Gleichheit müsse geführet werden. Was jedes Dinges Anfang auch Zerbrechung und Heilung sey. Amsterdam 1682

I.4 Die Seelenlehre

Alois Mailänder erlebte in den Jahren 1876 und 1877 eine tiefe Lebenskrise, die ihm ein tiefes Leid brachte. Damals verlor er seinen einzigen Sohn10