Seelische Rückzugsorte verlassen - John Steiner - E-Book

Seelische Rückzugsorte verlassen E-Book

John Steiner

4,8
29,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Mit seinem Konzept der seelischen Rückzugsorte hat John Steiner neue Wege in der Therapie von Patienten mit schweren Persönlichkeitsstörungen aufgezeigt. Hier veranschaulicht er, wie die therapeutische Arbeit gestaltet werden kann, wenn man den Patienten zum Verlassen dieser Rückzugsorte veranlassen will. John Steiner eröffnet neue Möglichkeiten zur Behandlung von stark belasteten Patienten, die sich in eine selbstgewählte Isolation gleichsam wie in ein Versteck zurückgezogen haben. Er beschreibt die Herausforderungen, die sich daraus für die therapeutische Beziehung ergeben: - wenn sich Therapeut und Patient in einen Machtkampfverwickeln, - wenn Verlustängste überhand nehmen, - wenn Trauer und Schuldgefühle unerträglich werden, - wenn Fortschritte in der Behandlung erneut mit Gefühlender Verlegenheit und Beschämung einhergehen. Mit detaillierten klinischen Beispielen bietet »Seelische Rückzugsorte verlassen« einen einzigartigen Einblick in die therapeutischen Schritte.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 220

Bewertungen
4,8 (18 Bewertungen)
15
3
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



John Steiner

SEELISCHE RÜCKZUGSORTE VERLASSEN

THERAPEUTISCHE SCHRITTE ZUR AUFGABE DER BORDERLINE-POSITION

Herausgegeben, eingeleitet und mit einem Vorwort von Heinz Weiß und Claudia Frank

Aus dem Englischen von Antje Vaihinger

Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Einige Kapitel erschienen in J. Steiner, Seeing and Being Seen.

Emerging from a Psychic Retreat. London, New York (Routledge), 2011.

© John Steiner 2011

Für die deutsche Ausgabe

Klett-Cotta

www.klett-cotta.de

© 2014 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung

Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Umschlag: Roland Sazinger, Stuttgart

Unter Verwendung eines Fotos von © Spectral Design/fotolia

Datenkonvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Printausgabe: ISBN 978-3-608-94716-8

E-Book: ISBN 978-3-608-10671-8

PDF-E-Book: ISBN 978-3-608-20241-0

Dieses E-Book entspricht der 1. Auflage 2014 der Printausgabe.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhalt

Einführung

Einleitung zu Kapitel 1

Kapitel 1Hilflosigkeit und Machtausübung in der analytischen Sitzung

Einleitung zu Kapitel 2

Kapitel 2Wiederholungszwang, Neid und Todestrieb

Einleitung zu Kapitel 3

Kapitel 3Containment, Enactment und Kommunikation

Einleitung zu Kapitel 4

Kapitel 4Das betäubende Gefühl von Wirklichkeit

Einleitung zu Kapitel 5

Kapitel 5Das Ziel der Psychoanalyse in Theorie und Praxis

Einleitung zu Kapitel 6

Kapitel 6Der Konflikt zwischen Trauer und Melancholie

Nachweis der Erstveröffentlichungen

Literatur

Einführung

John Steiners Buch Orte des seelischen Rückzugs (1993) wurde schon bald nach seiner Erstveröffentlichung zu einem Standardwerk für das Verständnis von Patienten mit Borderline-Problemen. Steiner beschreibt darin hoch organisierte Abwehrstrukturen, wie sie allerdings nicht nur bei psychotischen und Borderline-Patienten im engeren Sinn, sondern in Zeiten besonderer psychischer Belastung manchmal auch bei neurotischen und normalen Persönlichkeiten anzutreffen sind.

Mit dem von ihm eingeführten Begriff der »Borderline-Position« sowie den originellen Weiterentwicklungen, die er am Konzept der »pathologischen Persönlichkeitsorganisationen« vornahm, hat Steiner nicht nur die theoretische Diskussion innerhalb der Psychoanalyse vorangebracht, sondern auch neue behandlungstechnische Perspektiven eröffnet. Anhand von detailliertem klinischem Material zeigte er in den Orten des seelischen Rückzugs auf, wie solche Organisationen aufgebaut sind, durch welche Mechanismen sie zusammengehalten werden und welchen komplexen psychischen Funktionen sie im Einzelnen dienen. Klinisch treten diese Psychic Retreats in langen Phasen des Stillstands, in Sackgassen-Situationen sowie als unzugängliche Enklaven in Erscheinung, in die sich der Patient oft wie in ein Versteck zurückzieht, in dem er nur schwer zu erreichen ist.

Hatte Steiner in seinem ersten Buch den Aufbau solcher Rückzugsorte beschrieben, so stellte er in seinem zweiten Werk die Frage, was es für solche Patienten bedeutet, sich der Erfahrung des Sehens und Gesehenwerdens zu stellen. Der 2006 zuerst in deutscher Sprache erschienene Band Narzißtische Einbrüche: Sehen und Gesehenwerden untersucht die Gefühle von Verlegenheit, Beschämung und Erniedrigung, die dabei zu überwinden sind und die oft für beide – Analytiker und Patient – machtvolle Hindernisse bilden.

In konsequenter Weiterführung dieser Fragestellungen behandelt der nun vorliegende dritte Band das Verlassen des seelischen Rückzugs. Er enthält sechs Arbeiten, die zwischen 1996 und 2011 entstanden sind. Hier erkundet Steiner Wege, die aus der Einsamkeit dieser Rückzugsorte herausführen. Es versteht sich von selbst, dass diese Wege manchmal nur schwer zu begehen sind. Denn wer die falsche Sicherheit des Rückzugs verlässt, ist vielfältigen Gefährdungen ausgesetzt. Eindringlich weist Steiner auf die Abgründe, Sackgassen und Engpässe hin, denen Analytiker und Analysand auf diesem Weg begegnen.

Und doch ist sein drittes Werk ein hoffnungsvolles Buch. Denn es betont, dass die Anstrengungen, die unternommen werden müssen, durchaus lohnend sein können. Zu den Erfahrungen, denen Analytiker und Patient ausgesetzt sind, gehören das Aufgeben von vermeintlicher Sicherheit und Überlegenheit, das Erleben von Hilflosigkeit und Ohnmacht sowie die schmerzvolle Auseinandersetzung mit Trauer und Schuld: Erfahrungen, denen sich der Analytiker nicht nur von »außen« nähern kann, sondern in die er im Verlauf der Behandlung unmittelbar einbezogen wird. Um dem Sog des Rückzugsorts zu widerstehen, muss er sich zunächst der eigenen Verwicklung stellen, damit die Behandlung nicht in der ewigen Wiederkehr des Gleichen endet.

Steiner beschreibt die Macht des Wiederholungszwangs und untersucht die Kräfte, die in ihm wirksam werden. Er legt offen, wie sich zwischen Analytiker und Patient manchmal ein Kampf um Vorherrschaft entwickelt, in dem sich beide vor Gefühlen der Schwäche und Unterlegenheit schützen. Er beschreibt die Tragik solcher Inszenierungen, die scheinbar jede Veränderung blockieren, zugleich aber auch etwas von der Not des Patienten vermitteln, die oft nur auf diesem Wege zu verstehen ist. Nicht selten entsteht dann das, was Steiner in Anlehnung an Bion das »überwältigende Gefühl von Wirklichkeit« nennt – ein Zustand, der eine betäubende Wirkung hat und in dem die Fähigkeit zu symbolischem Denken vorübergehend verloren geht. Um diese Fähigkeit wiederzuerlangen, muss der Analytiker zu einer Haltung zurückfinden, die zugleich rezeptiv und beobachtend ist, was nach Steiners Auffassung an die Anerkennung von Endlichkeit und Begrenztheit, d. h. an schmerzliche Loslösungsprozesse gebunden ist, in deren Verlauf Wiedergutmachungsvorgänge in Gang kommen. Von daher kann er die Ziele der psychoanalytischen Behandlung neu formulieren und beschreibt im Schlusskapitel den »Konflikt zwischen Trauer und Melancholie«.

Die hier versammelten Arbeiten John Steiners – denen wir in diesem Buch jeweils kurze Einleitungen voranstellen – wurden zum Teil im Rahmen von Forschungsseminaren der Abteilung für Psychosomatische Medizin des Robert-Bosch-Krankenhauses vor einer Gruppe deutscher, schweizerischer und italienischer Kollegen vorgetragen. Für die kontinuierliche Förderung dieser Seminare sind wir der Robert Bosch Stiftung, Stuttgart, zu besonderem Dank verpflichtet. Ebenso gilt unser Dank dem International Journal of Psychoanalysis, dem Psychoanalytic Quarterly, dem Routledge-Verlag (London, New York) sowie der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung für die Überlassung der Rechte an den deutschen Übersetzungen. Die bibliografischen Angaben zu den Erstveröffentlichungen sind am Ende des Bandes aufgeführt.

Ganz besonders danken wir Antje Vaihinger, die die Übersetzung der englischen Originaltexte in der ihr eigenen Sorgfalt und Qualität besorgt hat. Schließlich danken wir Heinz Beyer, Thomas Reichert und dem Verlag Klett-Cotta, Stuttgart, für das Lektorat, die Beratung und geduldige Begleitung bei der Herstellung dieses Buches. John Steiner hat mit seiner Ermutigung und Unterstützung wesentlich dazu beigetragen, dass dieser Band entstehen konnte. Wir wünschen seinem Buch eine ähnlich positive Aufnahme, wie sie seine beiden ersten Werke weit über die Grenzen der Fachöffentlichkeit hinaus erfahren haben.

Stuttgart, im Januar 2014

Heinz Weiß und Claudia Frank

Einleitung zu Kapitel 1

Hilflosigkeit ist ein elementares Gefühl, das nach schneller Abhilfe verlangt. Im folgenden Kapitel untersucht Steiner, wie manchmal massive und verzweifelte Abwehrversuche in Gang gesetzt werden, wenn dieses Gefühl unerträglich wird und kein aufnehmendes Objekt zur Verfügung steht. Paradoxerweise münden diese Abwehrbemühungen dann selbst oft in eine Situation, in der keine Hilfe mehr annehmbar ist, weil die eigene Hilflosigkeit als Ohnmacht, Beschämung und Erniedrigung erlebt wird.

Um diesen unerträglichen Gefühlen zu entgehen, neigen manche Patienten dazu, sich mit einem machtvollen, narzisstischen Objekt zu identifizieren. Sie verleugnen ihre Hilflosigkeit und machen andere hilflos, indem sie die damit verbundenen Gefühle von Ohnmacht und Hilflosigkeit in ihr Gegenüber projizieren. Auf diese Weise erreichen sie Entlastung, allerdings um den Preis des Verlusts von Entwicklung und Verständigung.

Wie Steiner darlegt, kann sich auch der Analytiker auf diese Weise hilflos gemacht fühlen, und das damit einhergehende Unbehagen mag ihn veranlassen, seine verstehende Position aufzugeben und konkrete »Hilfe« anzubieten. Diese – so Steiner – ist für den Patienten aber u. a. deshalb nicht annehmbar, weil sie ihn erneut mit der Erfahrung von Schwäche und Abhängigkeit konfrontiert.

Auf diese Weise kann ein Machtkampf in Gang kommen, der zu einer Pattsituation und unter Umständen zu einer Blockade des analytischen Prozesses führt. Steiner beschäftigt sich insbesondere mit der Frage, wie der Analytiker sein eigenes Erleben von Hilflosigkeit abwehrt und wie er dadurch Teil einer narzisstischen Organisation wird, in der es um Verletzung, Groll und Vorherrschaft geht. Er kann dabei an seine früheren Arbeiten über Groll (Steiner 1996 a), Scham (Steiner 2006 a) und den »Kampf um Vorherrschaft in der ödipalen Situation« (Steiner 1999) anknüpfen, in denen ihn diese Themen immer wieder beschäftigten.

Hatte er darin auf die kollusive Verstrickung des Analytikers mit der pathologischen Persönlichkeitsorganisation des Analysanden hingewiesen, so betont er jetzt, dass sich der Analytiker der Vergeblichkeit seiner Bemühungen stellen müsse, um wieder zu einer rezeptiven Haltung zurückzufinden. Es ist dieses Akzeptieren der eigenen Hilflosigkeit, das ihn in der hier beschriebenen Behandlung dazu befähigte, aus der Rivalität mit seinem Patienten herauszutreten und wieder freier über die entstandene Situation nachzudenken. Wie Steiner zeigt, half diese Bewegung wiederum dem Patienten, seine hinter Anklagen versteckte Not einzugestehen und sich Gefühlen des Bedauerns und des Verlusts offener zu stellen.

Eine solche Entwicklung kann gerade narzisstischen Patienten ein Auftauchen aus ihrem psychischen Rückzug ermöglichen. Denn gerade sie können »es nicht ertragen, sich selbst als klein, unreif, schwach und desorganisiert wahrzunehmen, weil […] [sie] diesen Zustand mit Hilflosigkeit« gleichsetzen (S. 26). Bezugnehmend auf die in seinem Buch Narzißtische Einbrüche (Steiner 2006 a) entwickelten Überlegungen zum Sehen und Gesehenwerden weist Steiner noch einmal darauf hin, welche mitunter quälenden Gefühle von Scham und Verlegenheit dabei zu überwinden sind.

Einige grundsätzliche Überlegungen zur Bedeutung von Macht und Abhängigkeit innerhalb der analytischen Beziehung sowie zur paranoid-schizoiden und depressiven Version des Ödipuskomplexes beschließen die vorliegende Arbeit. Sie werden in den folgenden Kapiteln vertieft und immer wieder aufgegriffen.

KAPITEL 1Hilflosigkeit und Machtausübung in der analytischen Sitzung

Angewiesen und hilflos zu sein ist eine der Erfahrungen, die wir am meisten fürchten, der wir aber ausgesetzt sind. Wenn niemand da ist, der unser Rufen hören, unsere Not erkennen und ihr abhelfen kann, haben wir Angst, verlassen und verfolgt zu werden. Diese Angst entstammt der frühkindlichen Hilflosigkeit und langen Abhängigkeit und äußert sich unmittelbar in dem Bedürfnis, ein für uns verfügbares und innerlich zugängliches Objekt zu finden. Der Patient braucht ein Objekt, das sich von ihm erreichen und beeindrucken lässt und das seine Ängste aufnehmen kann, ein Objekt also, das emotional auf ihn eingeht und ihn versteht, statt zu agieren. Wenn die Angst des Patienten sehr groß ist, vermittelt er seine Not durch projektive Identifizierung auf einem konkretistischen Niveau. Diese konkretistischen Projektionen erschweren in der Analyse das Containment, weil sie eher Handlungen als Verständnis auslösen.

Ein Containment findet daher immer nur teilweise statt. Misslingt es, werden massive Abwehrmanöver in Gang gesetzt, am häufigsten in der Form, dass die Bedürftigkeit verneint und durch eine narzisstische Form der Objektbeziehung ersetzt wird. Das bedürftige, hilflose und allein gelassene Selbst wird nach außen projiziert und verleugnet, und der Patient identifiziert sich mit einem elterlichen Objekt, von dem er Hilfe erwartet und nicht annimmt, dass dieses Objekt selbst Hilfe braucht. Hat der Patient dagegen diese Helferrolle übernommen, fühlt er sich verpflichtet, sich um ein vernachlässigtes und vorwurfsvolles Objekt zu kümmern, das Hilfe einfordert, sodass oft manische und omnipotente Mechanismen eingesetzt werden, um die eigene Verzweiflung in Schach zu halten. Die scheinbare Hilfsbereitschaft des Patienten anderen gegenüber zielt dann in erster Linie darauf ab, sich um sein eigenes verwundetes Selbst zu kümmern. Diese Wendung hat selten Erfolg und wird vom Objekt meistens auch nicht gewürdigt. Wenn seine Bemühungen misslingen, reagiert der Helfer in der Regel voller Groll, ist frustriert und wütend.1

Gelingt es dem Patienten nicht, seiner Helferrolle erfolgreich zu entsprechen, gerät seine narzisstische Überlegenheit, die er für die Aufrechterhaltung seines Gleichgewichts braucht, in Gefahr. In einer solchen Situation kann der Patient möglicherweise nur noch über seinen Unmut und seine Wut sprechen, was es dem Analytiker erschweren kann, diese Gefühle aufzunehmen und zu akzeptieren, statt auf sie zu reagieren. Wahrscheinlich waren es Umstände wie diese, die Betty Joseph beschreiben ließen, wie ein Teil des in der Sitzung anwesenden Patienten »in Wirklichkeit dafür [sorgte], daß ein anderer, bedürftigerer oder potentiell ansprechbarer und aufnahmefähiger Teil abgespalten bleibt« (Joseph 1975, S. 116). Weil es dem Analytiker wichtig ist, seinen Patienten zu erreichen, wird er möglicherweise frustriert sein und sich genötigt fühlen, eine aktive Rolle zu übernehmen.

Das Bedürfnis des Patienten, die Rolle des rational Helfenden beizubehalten, kann sich als sehr hartnäckig erweisen und zu einer Auseinandersetzung über die Frage führen, wer eigentlich die Situation bestimmt. Im Erleben des Patienten wird seine Überlegenheit durch die Analyse bedroht; sollte er unterliegen, fürchtet er, zusammenzubrechen und in eine Hilflosigkeit zurückversetzt zu werden, gegen die er sich durch seinen Narzissmus zu schützen versuchte. Er fürchtet, dass der Analytiker ihm die Kontrolle entreißen und sich selbst in eine überlegene Position bringen könnte, sodass er, der Patient, beschämt, missbraucht, ausgenutzt und verwundbar zurückbleiben würde. Manchmal erweckt es den Anschein, als stünden beide, Patient wie Analytiker, unter dem Druck, jeweils die überlegene Position eines Helfers für sich zu beanspruchen, was zu einem Kampf um Macht und Einfluss führt.

Mittlerweile wissen wir, wie narzisstische Beziehungen in Übertragungs-Gegenübertragungs-Interaktionen wiederbelebt werden (Money-Kyrle 1968, 1971; Racker 1957), aber der Analytiker merkt vielleicht nicht immer, in welchem Ausmaß er selbst involviert ist. Wenn er den Machtkampf wahrnimmt, erfasst er manchmal, wie er in einer Inszenierung gefangen ist und eine Rolle in der Abwehrorganisation des Patienten übernommen hat. Vielleicht kann er dann seine Containerfunktion wieder ausüben und versuchen, die unbewussten Mitteilungen des Patienten aufzunehmen und zu verstehen.

Klinisches Material

Ich werde diese Themen am Beispiel eines Patienten,2 Herrn B.s, schildern, der oft schwer zu erreichen war. Ich möchte zeigen, wie ich mich in dieser Situation veranlasst fühlte, ihn aktiv erreichen zu wollen. In solchen Zeiten war es eher der Analytiker als der Patient, der den Wunsch nach Kontakt hatte, was manchmal bedeutete, dass ich mich bemühte, ihn zu erreichen, obwohl klar war, dass ich dazu wieder einmal nicht in der Lage war. Es dauerte eine Weile, bevor ich erkannte, dass ich mich sehr ähnlich wie der Patient verhielt. Er war entschlossen, nicht nur gegenüber seiner Familie, sondern auch mir gegenüber hilfreich zu sein, aber trotz dieser Anstrengungen ließ sich kein sinnvoller Kontakt zwischen uns herstellen. Ich spürte, dass ich ihn nicht erreichen konnte, und realisierte erst später, dass auch er mich nicht erreichen konnte.

Zunächst möchte ich beschreiben, wie der Kampf um die Frage, wer in unserer Beziehung der Dominierende war, in der Analyse viel Raum einnahm, und dann auf Momente eingehen, in denen eine andere Stimmung entstand, in der ich mich zurücknehmen und aufnahmebereiter sein konnte. Diese »anderen« Momente waren durch eine Traurigkeit geprägt, die etwas mit dem Wissen um Verluste zu tun hatte. Sie kamen zustande, wenn ich erkannte, dass meine übertriebene Aktivität mein Gefühl innerer Hilflosigkeit überdeckte. Ich konnte sehen, dass es von meiner Seite zu einer Kollusion mit der Phantasie des Patienten, etwas omnipotent wiederherstellen zu können, gekommen war und dass auch ich versucht hatte, einem Desaster zuvorzukommen, und den Patienten wieder zur Vernunft bringen wollte. Danach war ich in der Lage, mir einzugestehen, dass ich den Patienten nicht vor seinem Ausagieren bewahren konnte, was zur Folge hatte, dass mein Gefühl der Hilflosigkeit einer Traurigkeit Platz machte. Ich hatte meinen Patienten verloren und musste diesen Verlust betrauern, nicht nur den Verlust meines Patienten, sondern auch den meiner eigenen Omnipotenz.

Ich möchte nicht viele Informationen über Herrn B.s Hintergrund geben und nur mitteilen, dass er von dem Wunsch beherrscht war, beruflich erfolgreich zu sein. Obwohl er Ende 30 war, wirkte er wie ein Adoleszenter, der in einer Phantasiewelt gefangen war, die ihm Ruhm und Reichtum bescheren sollte und in der es kein Versagen gab. Seit dem Tod seines Vaters vor etwa zehn Jahren war die Beziehung zu seiner Mutter schwierig. Er stritt sich immer wieder heftig mit Familienmitgliedern und Kollegen, denen er Heuchelei und Verrat vorwarf. Wiederholt berichtete er in dramatischen und ausschweifenden Schilderungen, wie schrecklich er missverstanden werde, und sprach über seinen Hass auf alle, die ihm keine Wertschätzung entgegenbrachten. Er wollte unbedingt respektiert werden; gelang ihm dies nicht, drohten ihm Hilflosigkeit und Beschämung. Es war schwer einzuschätzen, wie zutreffend seine Schilderungen waren; sie wirkten oft so sehr dramatisiert und unrealistisch, dass ich das Bedürfnis hatte, ihn vor der darin zum Ausdruck kommenden grandiosen Omnipotenz zu schützen. Gleichzeitig schienen seine Pläne zur Wiederherstellung der familiären Verhältnisse etwas Grundlegendes über die Art und Weise zu vermitteln, wie er sich um seine Objekte kümmern wollte – genauso sollten diese sich dann auch ihm gegenüber verhalten. Wurden seine Anstrengungen, anderen zu helfen, frustriert, schmiedete er bewusste Rachepläne, in denen es oft darum ging, durch beruflichen Erfolg Macht zu erlangen, um dann die Rolle des gütigen Alleinherrschers einnehmen zu können.

Seine dramatisierten und ausufernden Berichte über die häuslichen Interaktionen standen in auffälligem Kontrast zu der Tatsache, dass er auf die Analyse und das Setting überhaupt nicht reagierte. Andere Patienten, das Klingeln an der Tür oder seines Telefons oder alltägliche Vorkommnisse wurden nicht erwähnt. Er war überrascht, als ich meinte, er könnte auf etwas, was ich sagte, auf meine Wochenenden und Urlaube, auf Fehler und Agieren von meiner Seite, also auf Dinge, die ihm sicherlich zu schaffen machten, irgendwie reagieren.

Besonders entmutigend war, dass er meine Deutungen offensichtlich nicht verstand und nicht auf sie reagierte. Er bestand darauf, dass meine Bemerkungen ihm eine konkrete Hilfe sein sollten, wenn sie denn irgendeinen Nutzen haben sollten. Er sagte, er verstehe, was ich meine, wenn ich ihn auf etwas hinwies, dass er aber schlicht nichts dabei empfinde. Besonders ungeduldig reagierte er auf Deutungen im Zusammenhang mit Urlauben, die ihm, wie er meinte, doch nur willkommen seien, weil er dann nicht zur Analyse kommen müsste. Er war lediglich mit der schrecklichen Beziehung zu seiner Mutter beschäftigt, die ihm so viel Kummer bereitete. Im Vergleich dazu bedeutete ihm meine Arbeit anscheinend wenig.

Ich hatte den Eindruck, dass ein bedürftiger, potentiell ansprechbarer und empfänglicher Teil bei ihm abgespalten und nicht zu erreichen war. Er schien auch nicht in der Lage zu sein, mich zu erreichen und mir seine Gefühle wirklich zu vermitteln. Er verhielt sich, als denke er, nur durch die Identifikation mit mächtigen, aber unzuverlässigen und nicht zur Verfügung stehenden inneren Figuren Abhängigkeit vermeiden und überleben zu können.

Die erste Sitzung: Der Kampf darum, hilfreich zu sein

Kurz vor einer Analysepause begann er eine Sitzung mit der Bemerkung, wir wüssten doch beide, dass es nichts bringe, wenn er im Einzelnen über seine Wut spreche, da es immer nur dasselbe sei. Dann schilderte er einen Streit mit seiner Mutter beim Frühstück; sie hatte ihn behandelt wie einen kleinen Jungen und sich über sein Verhalten beschwert. Er helfe ihr nie im Haushalt und denke immer nur an seine Arbeit, die nach ihrer Meinung sowieso nie zu etwas führen werde. Sie zählte eine lange Liste seiner Mängel auf, und er habe ihr, wie üblich, zugestimmt. Er sagte, er wisse, dass sie Recht habe, und trotzdem mache ihn seine Wut ganz fertig.

Dieses Mal, sagte er, war es noch schlimmer als sonst. Er sei voller gewalttätiger, sogar suizidaler Phantasien. Er wisse nicht, warum er noch zu Hause lebe, vielleicht aus Feigheit oder aus Bosheit. Die erste Hälfte der Sitzung verging auf diese Weise, und obwohl ich vermutlich seine Reaktion als hysterisch abtun sollte, hatte ich den Eindruck, er wünsche sich gleichzeitig, dass ich erkennen solle, dass etwas Schreckliches ablief, das er nicht aus eigener Kraft stoppen konnte.

Ich deutete ihm, dass er sich in einer Situation gefangen fühle, die er nicht aushalten, der er aber auch nicht entkommen könne. Er ging darüber hinweg und fuhr mit seiner Schilderung einer zunehmend frustrierten und wenig einfühlsamen Auseinandersetzung fort: Er solle, so die Mutter, einfach seinen Mist aufräumen und aufhören, sich so gehen zu lassen. Ich meinte, er wünsche sich von mir, dass ich Partei ergriffe und mich entweder auf die Seite seiner Mutter und ihrer Vorwürfe schlüge oder ihn in seiner Wut auf sie unterstützte. Auch diese Bemerkung überging er und setzte seinen Bericht fort: Am liebsten wäre er tot, sagte er. Seine Mutter solle sehen, dass sie ihn in den Selbstmord treibe. Er dachte daran, sich ein Messer aus der Küche zu holen, als sie sich weigerte anzuerkennen, wer er war. Dann änderte sich die Stimmung etwas, und er sagte, er habe versucht, sich mit anderen Dingen abzulenken, und sich einen Nachmittag lang um seinen zweijährigen Neffen gekümmert. Das habe ihm gutgetan, die Wirkung habe aber nicht angehalten.

Ich deutete ihm, dass er sich von mir wünsche, ich möge sehen, dass es auch noch andere Gefühle bei ihm gebe, die zuvor wegen des lautstarken Streits, dessen Affekte auch zwischen uns spürbar waren und ausgehalten werden mussten, nicht zu merken waren. Vielleicht habe er den Eindruck, dass ich jetzt nicht mehr so frustriert sei und mich eher auf ihn einstellen könne. Er antwortete nicht gleich, schien aber zugehört zu haben. Nach einigen Minuten griff er seine farbigen Schilderungen der gegen ihn gerichteten Angriffe und seiner wütenden Reaktionen wieder auf. Ich hatte den Eindruck, dass ich ihn für einen Moment erreicht hatte, und deutete, dass er vielleicht nicht nur wütend, sondern auch traurig sei, weil diese angenehmeren Gefühle nicht von Dauer seien und er sie nicht festhalten könne. Ich meinte, er sei sich sehr klar darüber, dass meine Ferien in wenigen Tagen beginnen würden, und suche verzweifelt nach einem Weg, etwas bei mir zu bewirken. Aber er glaube nicht, dass ich den Zustand aushalten könne, in dem ich ihn zurückließe, was bedeute, dass ich seinen Kummer nicht hören und ernstnehmen würde.

Er wies meine Deutung provokativ zurück und meinte ironisch, es wäre schon hilfreich, wenn ich ihm sagen könnte, was er in dieser Krise tun solle. Aber er fügte hinzu, er wisse, wie vergeblich seine Frage sei, da ich ihm nie einen Rat geben würde. Ich deutete, dass er es schwer ertragen könne, mich jetzt zur Verfügung zu haben, wo ich ihn doch bald verlassen würde. Er antwortete, er wäre blöd genug gewesen, seiner Mutter zu sagen, dass er sich vernachlässigt fühlte, und natürlich hätte sie ihm das als Vorwurf zurückgegeben. Es beweise ihm, dass es Zeitverschwendung sei, sich etwas für sich selbst zu wünschen. Nach meinem Eindruck brachte er seine zynische Überzeugung zum Ausdruck, dass ich weder willens noch in der Lage sei, auf seine Bedürfnisse einzugehen. Wenn er sich verstanden fühlte, war er für einen Moment erleichtert, konnte aber sein Misstrauen nicht ablegen, dass ich ihm etwas vormachte und mich nur für ihn interessierte, um ihn zu provozieren.

Diskussion der ersten Sitzung

Sowohl die Wut des Patienten wie auch meine Reaktion darauf waren mir sehr vertraut. Wenn er mit seinen Streitereien beschäftigt war, war es unmöglich, seinen bedürftigen Selbstanteil mit Worten zu erreichen, der gleichzeitig unzugänglich wie auffallend präsent war. Die Gegenübertragung war schwer erträglich, ich fühlte mich ständig unter dem Druck, seine Übertreibungen entweder nicht ernst zu nehmen oder ihm vorzuhalten, dass er dramatisiere und meine Bemühungen zurückweise.

Solchen und ähnlichen Berichten über heftige und grausame Beschuldigungen, die Wut und Verzweiflung in ihm hervorriefen, war ich in der Analyse dieses Patienten immer wieder ausgesetzt. Sie überzeugten mich nie wirklich, vielleicht weil sie so dramatisiert klangen. Hinter all den Zankereien waren sein großes Unglück und seine Verzweiflung zu spüren, die unerträglich für ihn waren, ihn aber gefangen hielten und nicht zu stoppen waren. Wenn ich die Auseinandersetzungen für bare Münze nahm, geriet ich unter Druck, mich einzumischen und Partei zu ergreifen, als müsste ich entweder ein Kind vor seiner tyrannischen Mutter oder eine Mutter vor ihrem unverschämten Kind schützen.

Was mich provozierte, war nicht so sehr das Gefühl, angegriffen zu werden, sondern seine in meinen Augen aussichtslosen Methoden, mit der Situation fertigzuwerden. Ich hatte das Gefühl, eine sadomasochistische Szene betrachten zu müssen, und kam mir vor wie ein Vater, der etwas Ungerechtes und Grausames miterlebt, das er verhindern können sollte, obwohl mich die Erfahrung gelehrt hatte, dass dies nicht in meiner Macht lag. So schlich sich unvermeidlich ein kritischer Ton in meine Deutungen ein, sodass sie wie die Botschaft klangen, er solle sich vernünftiger benehmen. Manchmal signalisierte ich vermutlich, er könne seiner Mutter mehr Paroli bieten und hätte vielleicht schon längst bei ihr ausziehen sollen, und manchmal brachten mich seine Dramatisierungen dazu, ihm die Verzweiflung nicht abzunehmen, von der er mich überzeugen wollte. Ich versuchte diese Art von Anspielungen zu vermeiden, ließ mich aber wohl zu Enactments (Joseph 2003; Steiner 2006 b) verleiten, in denen meine Deutungen zwar hilfreich sein sollten, aber unweigerlich herablassend klangen.

Dass ich seine Wut mit der bevorstehenden Ferienpause verknüpfte, vergrößerte seinen Ärger nur. Dass ich ihn in dieser schrecklichen Wut zurückließ, gebe nur meine Hilflosigkeit wieder, versuchte ich ihm zu zeigen, aber das löste bei ihm nach meinem Eindruck nur das Gefühl aus, ich müsste in der Lage sein, etwas dagegen zu unternehmen. Ironisch bemerkte er, ich solle ihm wenigstens sagen, was er in dieser Krise tun sollte. Ich ärgerte mich darüber, dass er nur konkrete Hilfestellungen akzeptieren wollte und mit meinem Verständnis für seine Situation nichts anfangen konnte. Ich konnte nur schwer akzeptieren, dass er damit die Grundlage dessen, wofür die Analyse stand, zurückwies, und fühlte mich zu weiteren Aktivitäten provoziert.

Als er über seinen Neffen sprach, wirkte er weniger wütend, und ich konnte ihm deuten, dass er jetzt eher in der Lage war, zuzulassen, dass ich mich mit ihm beschäftigte. Allerdings war dieser Moment von kurzer Dauer; er fand, dass ich mich ihm wie einem kleinen Kind zuwandte, und fühlte sich sofort in seiner narzisstischen Omnipotenz bedroht. Für sein Gefühl redete ich mit ihm aus der Position eines Erwachsenen, der dabei war, ihn in einer hilflosen Verfassung zurückzulassen, was bei ihm nur wieder das unerträgliche Gefühl der Beschämung wachrief.

Die zweite Sitzung: Reaktionen auf Verluste

Immer wieder mal gab es in diesen lautstarken, wuterfüllten Sitzungen auch Momente, in denen er zugänglicher wirkte. Die Firma, in der er arbeitete, machte schwierige Zeiten durch, einigen seiner Kollegen wurde gekündigt. Er überlegte sich Alternativen und plante, sich vielleicht selbständig zu machen. Optimistisch bestand er darauf, dass das eine oder andere seiner Projekte seine Krise in einen Triumph verwandeln würde. Aber er wurde des ewigen Auf und Ab auch müde und sehnte sich nach mehr Stabilität und Sicherheit.