Illusion, Desillusionierung und Ironie in der Psychoanalyse - John Steiner - E-Book

Illusion, Desillusionierung und Ironie in der Psychoanalyse E-Book

John Steiner

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Beschreibung

Wenn die Illusion zusammenbricht ... Die konsequente Weiterführung von John Steiners bahnbrechendem Konzept des seelischen Rückzugs So können Therapeut:innen stagnierende Behandlungen wieder voranbringen Für die Arbeit mit schwer traumatisierten Patient:innen, die sich extrem zurückziehen Phasen der Illusion und der Desillusionierung bilden einen wesentlichen Teil des psychischen Erlebens schwer traumatisierter Patient:innen. In seinem neuen Buch entwickelt John Steiner Konzepte, die es Therapeut:innen erlauben, sich in ihre Patient:innen einzufühlen, eine beobachtende Position einzunehmen und sie bei der Rückkehr aus der illusionären Welt in die Realität zu begleiten. Er beschreibt, wie eine ironische Haltung den Therapeut:innen die Möglichkeit gibt, sich mit den Gefühlen und Illusionen des Patienten zu identifizieren und gleichzeitig quasi neben sich zu treten und wieder zu einer neutralen Wahrnehmung zurückzukehren. Alle, die mit psychisch schwer erkrankten Menschen arbeiten, werden von Steiners neuen Konzepten und Fallschilderungen profitieren.

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Seitenzahl: 442

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Cover for EPUB

John Steiner

Illusion, Desillusionierung und Ironie in der Psychoanalyse

Mit Geleitworten von Jay Greenberg und Heinz Weiß

Aus dem Englischen von Antje Vaihinger

Klett-Cotta

Zu diesem Buch

Illusion, Desillusionierung und Ironie in der Psychoanalyse erkundet und erarbeitet die Rolle, die Illusionen und Tagträume in unserem Alltag und in der Psychoanalyse spielen. Anhand von klinischen Beispielen und literarischen Werken werden idealisierte Illusionen und deren unvermeidliche Desillusionierung, wenn sie auf die Realität treffen, sorgfältig untersucht.

Idealisierte Phantasien, die ein zeitloses Universum(1) einschließen, führen angesichts der Realität unweigerlich zu einer Desillusionierung, denn zur Realität gehören ein Bewusstsein der Zeit, des Alterns und schließlich des Todes. Wenn Illusionen als Phantasien erkannt werden und nicht wie Tatsachen behandelt werden, kann das Ideal als ein Symbol internalisiert werden und ein Maßstab für Exzellenz sein. Steiner zeigt, dass sowohl die Grausamkeit der Wahrheit als auch das Trügerische der Illusionen erkannt werden müssen und dass der Verzicht auf Omnipotenz eine kritische und schwierige Entwicklungsaufgabe ist, die in der Analyse wiedererlebt wird.

Illusion, Desillusionierung und Ironie in der Psychoanalyse wird für jeden Psychoanalytiker oder Psychotherapeuten hilfreich sein, wenn er den Rückzug seines Patienten in eine Phantasiewelt und seine Auseinandersetzungen mit der Realität zu verstehen versucht.

Impressum

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Klett-Cotta

www.klett-cotta.de

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »Illusion, Disillusion, and Irony in Psychoanalysis« bei Routledge, London

© 2020 by John Steiner

Authorised translation from the English language edition published by Routledge, a member of the Taylor & Francis Group

All Rights Reserved

Für die deutsche Ausgabe

© 2023 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Cover: Bettina Herrmann, Stuttgart

unter Verwendung einer Abbildung von Arsgera/Adobe Stock

Gesetzt von Eberl & Koesel Studio, Kempten

Gedruckt und gebunden von Friedrich Pustet GmbH & Co. KG, Regensburg

ISBN 978-3-608-98088-2

E-Book ISBN 978-3-608-12148-3

PDF-E-Book ISBN 978-3-608-20616-6

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhalt

Danksagungen

Geleitwort von Jay Greenberg

Geleitwort von Heinz Weiß

Einleitung

Kapitel 1

Die Illusion vom Paradies

Phantasien und Tagträume von einem idealen Zustand

Die Illusion vom Paradies

Das Paradies in der Mythologie

Miltons Paradies

Der Mechanismus der Spaltung: räumlich und zeitlich

Die Zeitlosigkeit in der Illusion vom Paradies

Die Zeit in Keats’ »Ode to a Grecian Urn«

Rilke und Freud

Die Zeitvorstellung des Wissenschaftlers

Die Liebe vor und nach dem Sündenfall

Die Welt sehen, wie sie ist, heißt die Zeit, Arbeit, Liebe und den Tod einbeziehen

Der Wert der Realität und die Wichtigkeit der Illusion

Die Kollusion mit Familienmitgliedern unterstützt die Idealisierung

Wie real ist die Illusion?

Illusion und Symbolisierung

Persekutorische Rückzugsorte

Kapitel 2

Von Milton lernen

Die Angst vor Bloßstellung

Das Ideal als ein Symbol für Vollkommenheit

Die Rolle des idealen Objekts als Maßstab für das Gute bei Milton und bei Klein

Die Kluft zwischen dem Menschlichen und dem Göttlichen

Die ständig lauernden Gefahren der Allmacht und der Hybris

Die Vermenschlichung Gottes, wenn er als autoritärer Vater gezeichnet wird

Das Ideal-Ich und das Ich-Ideal

Satans Arglist

Miltons Mitgefühl und Verständnis für Luzifers Ungehorsam

Struktur, Hierarchie und Neid

Kreativität und Unterschied

Reue und Mitgefühl

Adam und Eva stellen sich ihrer Zukunft

»Gottes Wege vor den Menschen hochzuhalten«

Kapitel 3

Die Brutalität der Wahrheit und die Bedeutung der Freundlichkeit

Die Brutalität der Wahrheit in

Die Wildente

E. M. Forster und die Notwendigkeit, freundlich zu sein

Der Analytiker als Eiferer

Kapitel 4

Gebrauch und Missbrauch der Omnipotenz bei der Reise des Heros

Die Reise des Heros

Loslösung und Individuation in der kindlichen Entwicklung

Desillusionierung in einer Behandlung

Klinisches Material. Mr. A

Die erste Sitzung: Der Zusammenbruch des Ideals von einem hilfreichen Vater

Diskussion

Die nächste Sitzung: Bedauern und Traurigkeit

Diskussion

Herausforderungen für den Heros, der zurückkehren möchte

Die Kennzeichen eines wahren Helden: das Scheitern der Omnipotenz anzuerkennen und zur Realität zurückzukehren

Kapitel 5

Desillusionierung, Demütigung und die Perversion der Tatsachen des Lebens

Der Unterschied zwischen dem Akzeptieren der Realität und der Unterwerfung unter eine Autorität

Demütigung und Hierarchie

Perversionen als Verdrehungen der

facts of life

Die Kompromissbildung in Freuds Beschreibung des Fetischismus

Romantische Neufassungen der Illusion vom Paradies

Die Umwandlung des vereitelten Begehrens in Hass

Der reuelose Satan

Die

facts of life

und ihre Verdrehung

Die erste Tatsache: Die Realität der Abhängigkeit von einem äußeren guten Objekt

Die zweite Tatsache: Die Realität der sexuellen Beziehung der Eltern

Die dritte Tatsache: Die Anerkennung der Unausweichlichkeit von Vergänglichkeit und letztlich Tod

Perverse Szenarien und Teilobjektbeziehungen

Verdrehungen der ersten Tatsache des Lebens: Narzisstische Perversionen

Verdrehungen der zweiten Tatsache des Lebens: Ödipale Perversionen

Verdrehungen der dritten Tatsache des Lebens: Die Erotisierung des libidinösen Narzissmus

Die Fähigkeit, eine Desillusionierung zu überleben, die Realität zu akzeptieren und liebesfähig zu werden

Kapitel 6

Wenn es unerträglich ist, weiblich zu sein

Der Schatz und die Verletzlichkeit des Weiblichen

Das Auftauchen der Geschlechtsunterschiede

Hindernisse für Fortschritte in einer Analyse

Freuds Pessimismus: So gelangt man ans »Ende seiner Tätigkeit«

Ein gegen das Leben gerichteter Trieb, der als Neid zum Ausdruck kommt

Wodurch wird Neid ausgelöst?

Neid und die Ablehnung der Weiblichkeit

Die kreative Verbindung neu definiert

Phallische Omnipotenz und narzisstische Organisationen

Der Verzicht auf die Omnipotenz

Phantasien über eine weibliche Verstümmelung

Rezeptivität und Denken

Klinisches Material: Mrs A

Ein Fragment aus einer Sitzung

Diskussion

Fazit

Kapitel 7

Die mitfühlende Vorstellungskraft

Verstehen mithilfe einfühlsamer Intuition

Das Stadium der distanzierten Beobachtung

Es ist notwendig, flexibel zwischen Identifizierung und Beobachtung zu wechseln

Keats und die mitfühlende Vorstellungskraft

Ode to a Nightingale

Klinisches Beispiel

Klinisches Material, Mr A

Diskussion

Eine weitere Sitzung

Diskussion

Flexible projektive Identifizierung und Ironie

Flexible projektive Identifizierung und die Urszene

Kapitel 8

Wie sich ein Trauma auf die Fähigkeit auswirkt, mit Desillusionierungen zurechtzukommen

Das Trauma, das Ödipus zugefügt wurde

Die Phantasie einer idealen Familie als Abwehr eines Traumas

Die Illusion vom Paradies

Desillusionierung

Tatsächliche und verletzende körperliche und seelische Traumata

Universelle Phantasien und spezifische Traumata, die auf Misshandlungen beruhen

Ödipus als ein Verletzter, der auf Rache sinnt

Die Entdeckung und Verwerfung der Verführungstheorie

Die Bedeutung der unbewussten Schuldgefühle für eine psychische Veränderung

Desillusionierung und Nachträglichkeit

Kapitel 9

Lernen von Don Quijote

Das Verbrennen der Bücher

Die ironische Haltung

Das Goldene Zeitalter und die Illusion vom Paradies

Die Suche nach Bewunderung

Das idealisierte Objekt seiner Liebe

Überheblichkeit und Geringschätzung des idealisierten Objekts

Mambrins Helm

Die Weigerung, den Helm abzusetzen

Das verwundete Ohr im Kampf mit dem Basken

Die Rückkehr des Barbiers, dessen Helm gestohlen wurde

Der Weg zu Vernunft und Tod

Kapitel 10

Phantasie und Realität in Einklang bringen

Die dramatische Ironie von Sophokles’ Ödipus

Kollusionen zur Vermeidung der Realität

Ödipus’ Einstellung

Das Zeugnis des Teiresias

Jokastes Haltung

Kreons Haltung

Die Haltung der Ältesten

Die Vertuschung

Ödipus’ bemerkenswertes Streben nach Wahrheit und die grauenhafte Auflösung

Komische, romantische, tragische und ironische Sichtweisen der Realität

Die ironische Sichtweise

Das Subjektive und das Objektive

Das Zerbrechen der Ironie und die Entstehung des Konkreten

Literatur

Register

Danksagungen

Ich möchte dem Melanie Klein Trust für seine Unterstützung danken und ebenso den vielen Kolleginnen und Kollegen, die Entwürfe für einzelne Kapitel dieses Buches gelesen haben, insbesondere Priscilla Roth, Ignes Sodre und vor allem Susan Lawrence. Die West Lodge Annual Conferences, die ich seit 1995 zusammen mit Michael Feldman, Priscilla Roth und Ron Britton durchführe, waren eine Quelle der Inspiration, genauso wie die Diskussionen und klinischen Präsentationen in meinem Post Graduate Workshop. Auch Mary Block möchte ich für ihre editorische Hilfe danken.

Wie immer war meine Frau Deborah an der Entstehung des Buches sowohl als Ehefrau als auch als kritische Leserin aktiv beteiligt. Sie konnte wegen ihres inzwischen eingeschränkten Sehvermögens das Manuskript nicht mehr selbst lesen, trug aber viele Korrekturvorschläge und inhaltliche Ergänzungen bei, wenn ich ihr die Kapitel, oft mehrmals, vorlas.

Dank für die Erlaubnis zum Nachdruck

an den Verlag Taylor & Francis Ltd., www.tandfonline.com:

Steiner, J. (2013). The Ideal and the Real in Klein and Milton: Some Observations on Reading Paradise Lost. Psychoanalytic Quarterly 82: 897–923.

Steiner, J. (2015). The Use and Abuse of Omnipotence in the Journey of the Hero. Psychoanalytic Quarterly 84: 695–718.

Steiner, J. (2016). Illusion, Disillusion, and Irony in Psychoanalysis. Psychoanalytic Quarterly 85: 427–447.

Steiner, J. (2018). Overcoming Obstacles in Analysis: Is It Possible to Relinquish Omnipotence and Accept Receptive Femininity? Psychoanalytic Quarterly 87: 1–20.

Steiner, J. (2018). Overcoming Obstacles: Response to Rosemary H. Balsam. Psychoanalytic Quarterly 87: 33–37.

Steiner, J. (2018). The Trauma and Disillusionment of Oedipus. International Journal of Psychoanalysis 99: 555–568.

Steiner, J. (2018). Time and the Garden of Eden Illusion. International Journal of Psychoanalysis 99: 1274–1287.

Steiner, J. (2020). Learning from Don Quixote. International Journal of Psychoanalysis 101, 1–12.

Geleitwort von Jay Greenberg

In diesem Band entwickelt John Steiner die bahnbrechenden Ideen weiter, die er in seinem mittlerweile klassischen Buch Psychic Retreats vorgestellt hat. Er beschäftigte sich in diesem Buch mit einer bestimmten Gruppe von Patienten, die im Allgemeinen als schwer behandelbar gelten. Diese schwer gestörten Patienten sind nicht in der Lage, den Schmerz eines auch nur minimalen Kontakts mit der Realität zu ertragen, auch nicht in der Begegnung mit dem Therapeuten, an den sie sich in der Hoffnung auf Linderung ihres Leidens gewandt haben. Daher haben sie sich in die Sicherheit aufwendig konstruierter seelischer Zufluchtsorte zurückgezogen, die ihnen eine illusorische Befriedigung bieten.

Steiners vorsichtig erkundende, mitfühlende und immer sehr differenzierte Vorschläge für den Umgang mit diesen Patienten haben eine ganze Generation von Analytikern durch einige der schwierigsten Momente ihrer Arbeit begleitet. Und nun hat der Autor, überraschend und hilfreich für uns alle, dargelegt, dass seine Ausführungen nicht nur auf seine Patienten, sondern in einem weiteren Sinn auf uns alle zutreffen. Über das Bedürfnis, sich in eine Welt der Illusionen zurückzuziehen und ein persönliches Paradies zu schaffen, schreibt er: »Dasselbe gilt für uns, denn auch wir sind Patienten und haben ernsthafte Probleme mit der Realität« (S. 196, Don Quijote).

Manche dieser schwerwiegenden Probleme sind, wie Steiner uns zeigt, individuell sehr spezifisch und beruhen auf leidvollen Erfahrungen mit Grausamkeit oder Vernachlässigung. In den Gründungsmythen der westlichen und anderer Kulturen kommen sie und auch die emotional komplexen Folgen einer brutalen Behandlung beredt zum Ausdruck. Ödipus war, wie Steiner schreibt, ein traumatisiertes Kind. Was ihm zugefügt wurde, erwies sich als noch gravierender, als die Menschen, die ihm am nächsten standen, stillschweigend übereinkamen, die ihm zugefügten Traumata zu verleugnen.

Andere schwerwiegende Probleme sind inhärente und unvermeidliche Aspekte des Menschsein(1)s. Die Tatsachen des Lebens(1), die wir ignorieren, wenn wir uns in Illusionen vom Paradies zurückziehen, »beinhalten auch die Erkenntnis, dass Zeit nie stillsteht. Der Schock der Desillusionierung(1) kann traumatisch sein, weil uns das Vergehen der Zeit nicht nur zu erkennen zwingt, dass alle guten Dinge irgendwann vorbei sind, sondern dass dies auch für das Leben selbst gilt« (S. 126).

Weil wir nicht nur in eine unaufhaltsam voranschreitende Zeit eingebettet sind, sondern auch in die unausweichliche Vergänglichkeit all dessen, was wir lieben, und unserer eigenen Sterblichkeit ausgesetzt sind, stehen wir ständig vor der Aufgabe, mit den uns gesetzten Grenzen zurechtzukommen, Grenzen, die uns in Verbindung mit unseren Möglichkeiten ausmachen. Man könnte auch sagen, dass wir immer (wenn auch selten bewusst) mit einem Trauerprozess beschäftigt sind. Die Herausforderung besteht darin, diese Trauer zuzulassen und unsere Verluste auf eine Weise durchzuarbeiten, die uns ein kreatives Leben ermöglicht.

In einem Bild, auf das Steiner in seinem Buch mehrfach zurückkommt, beschreibt er die beiden Vertreibungen, die das Thema von Miltons Paradise Lost sind. Adam und Eva(1) betrauern den Verlust des Paradieses und akzeptieren ihre Erniedrigung und ihre Schuldgefühle, was ihnen letztendlich ermöglicht, sich auf die Realität einzustellen, in der sie sich wiederfinden, und ihre Möglichkeiten zu nutzen. Die Befriedigung durch Arbeit, die Freuden der Sexualität(1) und auch die schönen Aspekte des Lebens in einer sich ständig verändernden Welt können erfüllender sein als das Leben ohne jede Anstrengung in einem statischen Paradies, wie sie es hinter sich gelassen haben. Luzifer dagegen ist nicht in der Lage, mit irgendeinem der Gefühle zurechtzukommen, die der Verlust seiner idealisierten Beziehung zu Gott oder die Verbannung aus dem Himmel in ihm ausgelöst haben. Die Folge ist, dass das Licht erlischt – buchstäblich in seinem Namen, da er von nun an Satan genannt wird, und in der Welt der Dunkelheit, in der er zwar herrscht, aber auf ewig eingeschlossen ist.

Aber Steiner ist ein viel zu scharfsinniger und ruheloser Denker, um sich mit dieser Darstellung oder überhaupt mit einer einzelnen Geschichte zufriedenzugeben. Er ist in den Jahren, seit er Psychic Retreats geschrieben hat, immer mehr zu der Auffassung gelangt, dass Illusionen eine wichtige Rolle in unser aller Leben spielen. Denn Illusionen sind, auch wenn sie pathologisch sein können und zu Abwehrzwecken eingesetzt werden, unentbehrlich. Auch wenn sie uns davon abhalten, die Schönheiten der Realität samt ihrer Vergänglichkeit(1) in vollem Umfang zu genießen, gewähren sie uns doch den Trost und die Befriedigung, die wir zeitweise brauchen. Steiner zeigt uns, »dass wir hin und wieder nicht umhinkommen, der Wahrheit auszuweichen und eine Illusion zu akzeptieren, dass wir uns aber der Wahrheit über uns selbst und unsere Welt stellen müssen, wenn wir uns weiterentwickeln wollen« (S. 21, Einleitung).

Es wäre ein Fehler, diesen Prozess trotz seiner Auswirkungen auf die Entwicklung für einen Vorgang zu halten, der auch nur annähernd linear verläuft. In Steiners Vision ist nichts einfach linear; alles ist sowohl das eine als auch das andere, was diejenigen unter uns, die zu einer ironischen Sichtweise in der Lage sind, am meisten zu schätzen wissen. Dies gilt sowohl für unsere klinische Arbeit als auch für unser Leben außerhalb unserer Praxisräume. Steiner ist ein Meister darin, uns vor Augen zu führen, dass der analytische Prozess, trotz all seiner technischen Aspekte, vor allem eine Begegnung zwischen zwei Menschen ist, die beide ihre Hoffnungen, Kämpfe und Verletzlichkeit mitbringen.

Infolgedessen betrachtet Steiner die psychoanalytische Situation mit einer Tiefe und Nuanciertheit, die im psychoanalytischen Diskurs immer selten anzutreffen war. Nicht nur die Patienten brauchen und erleben Illusionen, schreibt er, sondern auch die Analytiker. Und die Illusionen des Analytikers entspringen nicht einfach seiner Gegenübertragung, wie sie konventionell verstanden wird. Wir sollten bedenken: Jedes Mal, wenn wir durch einen Akt der mitfühlenden Vorstellungskraft Zugang zum inneren Erleben eines Patienten haben, freuen wir uns über eine Illusion der Nähe, die auf einem Gefühl der Omnipotenz(1) beruht. Und jedes Mal, wenn wir uns daraus wieder lösen und betrachten, was wir gemacht haben, müssen wir uns dem Verlust der Illusion, an der wir uns erfreut haben, stellen und ihn betrauern.

Da der Analytiker aufgrund seines Menschseins Illusionen genauso unterworfen ist wie jeder andere auch, muss er immer darauf achten, auf welche Weise er seine Patienten beeinflusst. Im 3. Kapitel spricht Steiner in einer wundervollen Formulierung über den »Analytiker als Eiferer(1)« (S. 97) und erinnert uns daran, dass unsere Illusionen sich verzerrend auf unsere Wahrnehmung der Komplexität des analytischen Prozesses und der analytischen Veränderungen auswirken können. Mit selten zu erlebender Weisheit und Bescheidenheit erinnert der Autor uns daran, dass es immer schwer zu unterscheiden ist, ob der Patient die Realität akzeptiert oder sich der (analytischen) Autorität unterworfen hat; unsere persönlichen Illusionen können dazu führen, dass wir blind sind für dieses Problem.

Der beste Schutz davor sei, so lehrt Steiner, uns um eine (1)ironische Sichtweise zu bemühen, die es uns ermöglicht, empathisch auf unsere Analysanden einzugehen und sie gleichzeitig aus der Perspektive des Außenstehenden zu beobachten. Eine ähnliche Perspektive sollten wir, so Steiner, auch in Bezug auf unser eigenes Beteiligtsein einnehmen. In einer Passage, die nur von einem Analytiker geschrieben werden konnte, der sich ein Leben lang mit der Macht und den Qualen unserer Methode auseinander gesetzt hat, schreibt er, »dass ein Sinn für Ironie uns in diesen Fällen Schutz bieten kann, weil er uns immer auf etwas Lächerliches und Komisches in unserer eigenen Haltung aufmerksam macht und uns so davor bewahren kann, uns selbst allzu ernst zu nehmen« (S. 98, 3. Kapitel).

Obwohl Steiner bei vielem, was er zu sagen hat, auf Beispiele aus klassischen Werken der Literatur zurückgreift, um seine Auffassung von der Universalität von Illusionen und Desillusionierung zu verdeutlichen, ist dies bei Weitem nicht die einzige oder wichtigste Determinante der Art und Weise, in der er sich mit den Themen auseinandersetzt, die das ganze Buch durchziehen. In seiner Einleitung schreibt er, dass er sich entschlossen habe, in der Literatur nach Beispielen zur Veranschaulichung seiner Überlegungen zu suchen, nachdem er sich aus Altersgründen aus der klinischen Arbeit zurückgezogen hatte. (Allerdings ist mir aufgefallen, dass er häufig sehr wohl klinisches Material einbezieht, Material, das ausnahmslos inspirierend und aufschlussreich ist.) Die Entscheidung, seine Überlegungen anhand von Beispielen aus der Literatur vorzustellen, ist ein Geschenk an seine Leser, weil sie uns die Chance eröffnet, große Literatur mit seinen Augen zu lesen: Steiner bewegt sich mühelos elegant von Sophokles über Milton zu Ibsen, Keats, Cervantes, Shakespeare und vielen anderen. An vielen Stellen eröffnet die Art und Weise, wie er seine Ideen im Kontext dieser, auch uns seit langem bekannten Werke vorstellt, überraschende und erhellende Einblicke.

Aber neben der Tiefe und Vielfalt seiner Lektüre bleibt uns ständig präsent, wie er selbst seine Entscheidung erlebt hat, weniger Zeit auf Beispiele aus seiner klinischen Praxis zu verwenden. Mit der Ehrlichkeit und Bescheidenheit, die das ganze Buch kennzeichnen, schreibt Steiner, dass »dieser Rückgriff ein gewisses Bedauern« (S. 18, Einleitung) auslöst. Das stimmt natürlich und macht gleichzeitig deutlich, dass er selbst durchlebt, worüber er schreibt, nämlich dass er die Vergänglichkeit spürt und etwas verloren hat, das er geliebt und das ihn über Jahrzehnte inspiriert hat.

Das Ergebnis ist, dass wir, wenn wir von Steiners Erkenntnissen erfahren, gleichzeitig aus erster Hand seine Bemühungen miterleben, seine Kreativität und Leidenschaft beizubehalten, sogar oder gerade dann, wenn er selbst spürt, was die Zeit ihm genommen hat. Seine Entscheidung, sein Bedauern darüber mit uns zu teilen, verleiht allem, was er uns vermittelt, Tiefe und Eindringlichkeit. Zusammen mit der Brillanz seiner Darstellung spüren wir auf jeder Seite, wofür sein Herz schlägt. Ihn auf seiner Reise zu begleiten vertieft unser Verständnis für die Verluste und Möglichkeiten, die unser Leben formen.

Geleitwort von Heinz Weiß

John Steiners Buch führt einen Zyklus weiter, der 1993 mit seinem Band Orte des seelischen Rückzugs begann, auf den 2006 Sehen und Gesehenwerden(1) mit der Thematik von Erniedrigung und Scham folgte und der 2014 mit seinem dritten Buch Seelische Rückzugsorte verlassen einen vorläufigen Abschluss fand. Es ist publikationshistorisch bedeutsam, dass der vollständige Zyklus bisher nur in deutscher Sprache vorliegt und auch der neue Band wieder bei Klett-Cotta erscheint.

Er handelt von der großen Frage, wie wir uns der Wirklichkeit stellen können, ohne den Verlust der Illusionen, mit denen wir in die Welt eintreten, als allzu traumatisch zu erleben. Manchmal verfestigen sich diese Illusionen in Zuständen seelischen Rückzugs und bringen dann jede seelische Entwicklung zum Erliegen. Manchmal werden sie versteckt, um Erniedrigung und Beschämung zu entgehen. Oder sie werden auf raffinierte Weise getarnt und umgeleitet, wo sie unser Leben wie eine Nebenströmung umspielen, sodass wir die Wirklichkeit immer nur zum Teil akzeptieren.

Aber omnipotente Illusionen(1) werden auch gebraucht, um mutige Entdeckungen zu machen und neue Horizonte zu erschließen. John Steiners Werk ist vielleicht das beste Beispiel hierfür. Letztlich müssen wir aber, wie der Autor zeigt, bereit sein, sie zum richtigen Zeitpunkt zu betrauern und aufzugeben, um uns mit der Wirklichkeit zu versöhnen. So sind sowohl die Freuden der Illusion als auch die Schmerzen der Desillusionierung wiederkehrende Erfahrungen auf unserer Reise durch das menschliche Leben.

Was bedeutet es dann, sich der Wahrheit anzunähern? Diese Frage, um die das ganze psychoanalytische Unternehmen kreist, ist das Thema von John Steiners neuem Buch. Und sie hat, wie der Autor in den einzelnen Kapiteln zeigt, unmittelbare Auswirkungen auf die Art und Weise, wie wir unseren Patienten zuhören. Und wie wir mit ihnen reden. Denn wenn wir diese Unternehmung als Entdeckungsreise begreifen und uns nicht mit den flachen Aussagen eines evidenzbasierten Wissens begnügen, dann müssen wir bereit sein, auch unsere eigenen omnipotenten Phantasien, die Verwendung unserer Theorie und die Richtigkeit unserer Deutungen in Frage zu stellen. Denn Akzeptanz der Wirklichkeit ist etwas anderes als Unterwerfung(1) unter eine Autorität, die nur Rache und Ressentiment hervorbringt.

William Shakespeare, John Milton, Henrik Ibsen, die Dichter der antiken Tragödien, John Keats und Miguel de Cervantes sind die Wegbegleiter, denen sich John Steiner(1) auf seiner Reise anvertraut. Und natürlich spielen die Erfahrungen mit seinen eigenen Patienten eine ebenso wichtige Rolle.

Wahrheit kann, wie das Schicksal des Ödipus zeigt, manchmal überaus grausam sein, und wir nehmen Zuflucht zu Illusionen, um uns vor ihr zu schützen. Die Psychoanalyse versucht die verborgene Wahrheit aufzudecken. Aber ist Wahrheit, die ohne Freundlichkeit vermittelt wird, wirklich wahr? Und ist Freundlichkeit, die die Wahrheit umgeht, wirklich freundlich? Freundlich zumindest in dem Sinne, in dem das Englische von genuine kindness spricht? Steiners Antwort lautet, dass Wahrheit und Mitgefühl stets zusammengehören.

Hier, wie im ganzen Buch, kommt John Steiners Auseinandersetzung mit Melanie Kleins Behandlungstechnischen Vorlesungen (1936) und Klinischen Seminaren (1958) zum Ausdruck, die er in den Archiven entdeckt und vor wenigen Jahren erstmals veröffentlicht hat (Klein 2017). Die psychoanalytische Behandlung könne, wie Klein erklärt, nicht in einer Laboratoriumsatmosphäre stattfinden. Sie verlange vom Analytiker, emotional völlig lebendig zu sein und zugleich gedanklich Abstand nehmen zu können – ein Gleichgewicht, das nicht immer leicht zu halten ist.

Rezeptivität(1), Empathie(1) und Wissbegierde(1) sind die Grundelemente der psychoanalytischen Haltung. Ähnlich dem Zuschauer in der klassischen Tragödie nehmen wir an den Leidenschaften unserer Patienten teil, werden in ihre Illusionen verstrickt, teilen ihre Befürchtungen und Ängste. Aber erst wenn es uns gelingt, diese Identifikationen wieder aufzugeben und in eine beobachtende Position zurückzukehren, können wir die Wirklichkeit umfassender verstehen. Einfühlung ohne Beobachtung kann dazu führen, in einer bestimmten Identifikation steckenzubleiben, Beobachtung ohne Einfühlung hingegen läuft Gefahr, sich in einer distanzierten Beurteilung zu verfestigen. So wiederholt sich in der Pendelbewegung zwischen empathischer Identifikation und beobachtender Wahrnehmung das Wechselspiel zwischen Illusion und Desillusionierung.

Und genau hier kommt der Begriff der Ironie(1) ins Spiel: die Fähigkeit mitzufühlen, zu beobachten, und zugleich jene feine Distanz gegenüber den eigenen Mutmaßungen zu bewahren, die die Voraussetzung für jedes wirkliche Verstehen ist. In der Ironie ist die omnipotente Macht der Illusion(1) gebrochen, aber sie erlaubt zugleich, eine versöhnliche Einstellung gegenüber der Wirklichkeit einzunehmen.

Im Englischen bedeutet Ironie vor allem: neben sich treten zu können, die eigenen Auffassungen nicht allzu ernst zu nehmen – also Erkenntniszuversicht und Bereitschaft in eine andere Perspektive zu wechseln, was manchmal auch Humor einschließt. Dies beinhaltet nicht zuletzt die Fähigkeit, sich zwischen konkretem und symbolischem Denken hin- und herzubewegen.

An dieser Stelle, so John Steiner,(2) könne der Analytiker von Don Quijote lernen. Von jenem traurigen Helden, der seine Würde zu bewahren sucht, indem er sich in seinen bizarren Luftschlössern gegen die Erfahrung der Zeit stellt, aber die Wirklichkeit doch nie ganz aus dem Auge verliert. Das Visier seiner Rüstung wird zum Symbol dafür, wie wir uns alle manchmal in eine harte Schale zurückziehen, die uns Sicherheit und Halt verspricht, unseren Blick auf die Wirklichkeit aber verstellt. Denn auch wir sind nicht vor der Gefahr geschützt, unsere Theorie wie eine ›Rüstung‹ zu verwenden und dem Patienten unsere Vorstellungen von Gesundheit aufzudrängen, statt ihm dabei zu helfen, den Aufbau seiner subjektiven Welt zu verstehen.

Eine solche Einstellung beinhaltet neben Unerschrockenheit und Wahrheitsliebe eine Toleranz für Verschiedenheit und Gelassenheit – eine Haltung, die John Steiner(1) mit dem Begriff ›Großzügigkeit‹ (generosity) umschreibt. Es ist diese Haltung, die für seinen persönlichen Stil zuzuhören und zu deuten sehr charakteristisch ist. John Steiner hat einmal bemerkt, die Psychoanalyse sei ebenso listening cure wie talking cure – also eine Kunst des Aufnehmens und Zuhörens, die kreative Imagination ermöglicht. Deshalb ist Großzügigkeit(1) neben Rezeptivität(1), Empathie(1) und Wissbegierde(2) das vierte Element, das die analytische Haltung charakterisiert. Steiner(3) sieht in ihr – mehr noch als in der Dankbarkeit (1)(Klein 1957) – das Gegenstück zum Neid.

Und es kommt noch ein weiterer Faktor hinzu, der sich wie ein roter Faden durch John Steiners Buch und auch durch seine allerneuesten Arbeiten zieht: die Anerkennung der Realität der Zeit. Illusionen müssen betrauert werden, um keine traumatischen Narben zu hinterlassen, und dieser Prozess ist oft schmerzlich. Er hat letztlich mit der Anerkennung der Tatsache zu tun, dass alle guten – wie auch alle schlechten – Erfahrungen im menschlichen Leben endlich sind. Um trauern zu können, sind wir auf Erinnerungen angewiesen. Aber ohne zu trauern, gäbe es auch kein Erinnern.

So hat es einmal Roger (1)Money-Kyrle (1971) formuliert, auf den sich John Steiner immer wieder bezieht. Der Leser, der John Steiner auf seinen Erkundungen zu Trauma, Wiedergutmachung und Desillusionierung folgt, der mit ihm die Verbindungen zwischen Neid und Wiederholungszwang erforscht und die verschiedenen Formen projektiver Identifizierung untersucht, die sowohl den Gefahren therapeutischer Verstrickung als auch der kreativen Imagination zugrunde liegen, wird immer wieder Neues entdecken und vertraute Erfahrungen in einem neuen Licht sehen. In diesem Sinne stellt John Steiners neues Buch einen sehr grundlegenden Beitrag zu der Frage dar, was Psychoanalyse eigentlich ist und in welche Richtung sie sich gegenwärtig weiterbewegt. Ein Beitrag, der für den praktizierenden Kliniker genauso klar und herausfordernd geschrieben ist wie für den interessierten Leser und Fachkollegen aus den Nachbarwissenschaften und der ebenso wie Steiners frühere Arbeiten über die Fachgrenzen hinaus breite Anerkennung finden wird.

Einleitung

Ein zentrales Thema in allen Kapiteln dieses Buches ist die Tatsache, dass Illusionen universell und allgegenwärtig sind. Wir müssen akzeptieren, dass es sie gibt, aber letztlich müssen sie auch als Illusionen erkannt werden, weil sonst weder eine Weiterentwicklung möglich ist noch die Rückkehr zur Realität in den Blick genommen werden kann. Genauso wie wir Abwehrmaßnahmen brauchen, brauchen wir Illusionen, aber wir müssen auch in der Lage sein, sie aufzugeben und uns der Realität zu stellen. Der Konflikt zwischen dem Wunsch, der Realität auszuweichen, und dem Wunsch, sie zu akzeptieren, ist ein wesentlicher Aspekt der conditio humana, und dazu gehört auch, dass wir sowohl unsere Stärken als auch unsere Grenzen akzeptieren. Um beides, Illusionen und die Realität, zu akzeptieren, brauchen wir die Fähigkeit, unterschiedliche und auch widersprüchliche Einstellungen und Überzeugungen gleichermaßen zuzulassen. Ich werde später darauf eingehen, wie diese Akzeptanz mithilfe einer Portion Ironie besser gelingt.

Illusionen(1) kann man sich als seelische Zustände vorstellen, in die wir uns zurückziehen können, meistens um verschiedenerlei Ängsten und Schmerzen zu entkommen, manchmal aber auch, weil sie mit einer unmittelbaren Gratifikation verknüpft sind. Wir weichen unangenehmen Aspekten der Realität aus und ersetzen sie durch tröstliche, beruhigende und lustvolle Phantasien(1).1 Äußeren Gefahren gegenüber können wir uns blind stellen und unangenehmen inneren Impulsen können wir ebenfalls ausweichen. Wegen ihrer Abwehrfunktion lassen sich Illusionen(1) als eine besondere Form eines seelischen Rückzugsortes(1) auffassen, an den wir uns zurückziehen und an dem wir uns an einer idealisierten alternativen Welt erfreuen können. Daher lässt sich dieses Buch als eine Weiterentwicklung meiner früheren Arbeiten über seelische Rückzugsorte(1) betrachten (Steiner 1993, 2011), wobei es mir jetzt nicht nur um die damals untersuchte Abwehrfunktion der seelischen Rückzugsorte geht, sondern auch um neuere Überlegungen angesichts idealer Zustände einerseits und des Traumas(1) der Desillusionierung(1) andererseits. (1)

Die idealisierten Illusionen(1), an die ich denke, spielen in unserem Seelenleben eine wichtige Rolle, manchmal als bewusste Vorstellungen einer glückseligen Zeit, die wir früher einmal erlebt haben, und manchmal als unbewusste Phantasien(1) eines idealisierten Zustands, der erst nach dem Trauma der Desillusionierung deutlich wird. In den meisten dieser Zustände geht es in der einen oder anderen Form um die Zeit als Säugling an der Brust, eine Zeit, in der wir uns der Phantasie hingaben, die Mutter gehöre uns allein und wir wären die Einzigen, denen ihre ganze Liebe gilt. Ich bezeichne diese Phantasien als Illusionen vom Paradies(1) und vermute, dass sie allen Lesern vertraut sind. Manchmal wird die Analyse idealisiert, und manchmal wird sie entwertet, vor allem, wenn sie mit anderen Beziehungen verglichen wird, aus denen der Analytiker ausgeschlossen ist (Steiner 2008). Weniger oft wird erkannt, dass die Illusion vom Paradies(2) vielen beunruhigenden Erfahrungen zugrunde liegt, in denen Enttäuschungen und Frustrationen wach wurden, weil die versprochene Vollkommenheit nicht erreicht wurde. Auf das Gefühl, verraten worden zu sein, weil sich die versprochene Vollkommenheit nicht eingestellt hat und die Illusion durch den Kontakt mit der Realität erschüttert wurde, folgen sowohl innerhalb wie außerhalb der Übertragung in der Regel Wut und Hass.

In drei Kapiteln wird klinisches Material vorgestellt, im 5. und 7. Kapitel aus der Behandlung von Herrn A. und im 6. Kapitel von Frau A. Da ich inzwischen im Ruhestand bin und nicht mehr als Analytiker praktiziere, musste ich auf bereits veröffentlichtes Material zurückgreifen, hoffe aber, auch damit die klinische Relevanz meiner Überlegungen deutlich machen zu können. In anderen Kapiteln fühlte ich mich ermutigt, Beispiele aus der Literatur heranzuziehen, in der sich viele detaillierte Beschreibungen von Illusionen(1)(1) und Desillusionierungen finden lassen. Vielleicht löst dieser Rückgriff ein gewisses Bedauern aus, aber ich meine, dass Dichter und Schriftsteller uns oft Einsichten vermitteln, die für uns als Psychoanalytiker sehr relevant sind. Dabei ist zu bedenken, dass ich diese literarischen Beispiele mit dem Blick eines Klinikers betrachte und nicht mit dem eines Literaturkritikers. Was ich in ihnen sehe, versuche ich auf die klinische Situation anzuwenden, und ich gehe davon aus, dass der analytisch geschulte Leser in der Lage sein wird, meine Ideen auf seine eigene klinische Erfahrung zu beziehen und selbst zu entscheiden, inwieweit er von ihnen Gebrauch machen kann. Das gilt natürlich ganz allgemein für klinisches Material. Selbst wenn ausführliche und nahezu wörtlich wiedergegebene Sitzungsprotokolle vorgelegt werden, müssen die dargelegten Ideen von anderen untersucht und auf ihre Anwendbarkeit überprüft werden. Nicht klinisch tätigen Lesern bleibt es überlassen, die Brauchbarkeit meiner Ideen anhand ihrer eigenen Lebenserfahrung und Literaturkenntnisse einzuschätzen.

Ich beginne mit dem biblischen Mythos der Vertreibung aus dem Paradies in Miltons(1)(1) Darstellung in Paradise Lost, die mir geholfen hat, viele Aspekte idealisierter Illusionen zu verstehen. Vieles verdanke ich auch Ibsens(1) Schauspiel Die Wildente, (1)Joseph Campbells(1)(2) Buch Journey of a Hero sowie Gedichten von Keats und Shakespeare, die mir alle dabei halfen, klinisch relevante Ideen anschaulich zu machen. Sophokles’ Drama König Ödipus(1)(1)haben Psychoanalytiker unter zahllosen Gesichtspunkten betrachtet, und ich greife hier auf diese Diskussion wegen ihrer Relevanz für mein Thema »Illusion, Desillusionierung und Ironie(1)« zurück.

Einige Patienten glauben, sich früher einmal in einem paradiesischen Zustand befunden zu haben und zu Unrecht daraus vertrieben worden zu sein. Derartige Zustände versuchen sie dann in ihrem Alltag und in ihrer Analyse wiederherzustellen. Manchmal sind sie sogar überzeugt, das sei ihnen gelungen, sodass nicht selten idealisierte Familien(1) und idealisierte Übertragungsbeziehungen(1) geschildert werden. Häufiger allerdings wird die Illusion vom Paradies als ein Zustand erlebt, den es gegeben und an dem man sich erfreut haben sollte. Wenn diese Illusion erschüttert wird, gibt das Gefühl, ungerechtfertigt aus dem Garten Eden vertrieben worden zu sein, häufig Anlass zu Ressentiments, die zu einem paranoid gefärbten und auf Groll basierenden seelischen Rückzug führen können. Und selbst dann spielt die Illusion vom Paradies(3)(1)eine wichtige Rolle, wenn sie nämlich Erwartungen schürt, die zum Maßstab der tatsächlichen Erfahrungen gemacht werden.

Wir alle brauchen Illusionen, um uns vor den Auswirkungen der Realität zu schützen, sowohl vor den erschreckenden Begegnungen mit den Härten und Grausamkeiten des Lebens als auch vor den ebenso erschreckenden Bildern, in denen unsere inneren Gedanken und Gefühle zum Ausdruck kommen. Auch wenn wir uns auf Abenteuer einlassen, vor denen wir, realistisch betrachtet, besser zurückgeschreckt wären, machen wir uns Illusionen über unsere Fähigkeit, Hindernisse zu überwinden(1). Ohne Illusionen wäre das Leben manchmal unerträglich und zu anderen Zeiten unerträglich fade. Wir brauchen Illusionen, um uns davor zu schützen, uns die Wahrheit über uns selbst und die Welt, in der wir leben, eingestehen zu müssen, und um uns zu vergewissern, dass wir in einem Umfeld leben, das nicht von Ängsten und Depressionen heimgesucht wird.

Vielleicht wirkt es befremdlich, dass ich Illusionen so viel Bedeutung einräume, da wir Psychoanalytiker gleichzeitig vermitteln, dass eine wichtige Voraussetzung für seelische Gesundheit darin besteht, sich der Wahrheit zu stellen. In einer nichtrealen Welt zu leben, beraubt uns der Freuden und Befriedigungen, die die Realität bereithält. Illusionen als wichtig zu bezeichnen, ist nur so lange berechtigt, wie sie ein vorübergehendes Hilfsmittel sind. Wenn wir uns weiterentwickeln wollen, müssen wir die reale Welt früher oder später wieder berücksichtigen. Wir beziehen sogar Kraft aus Freuds Bemerkung, dass der Respekt vor der Wahrheit(1) von zentraler Bedeutung für die analytische Haltung sei.

»Und endlich ist nicht zu vergessen, daß die analytische Beziehung auf Wahrheitsliebe, d. h. auf die Anerkennung der Realität gegründet ist und jeden Schein und Trug ausschließt« (Freud 1937, S. 94, Hervorh. durch J. S.).

Andere haben die Bedeutung der Wahrheit noch deutlicher herausgearbeitet, und Bion(1) meinte sogar, sie sei als Nahrung für die Seele(1) genauso wichtig wie die Ernährung für den Körper (1970). In einer berühmten und von Bion zitierten Bemerkung bekräftigt Dr. Johnson(1), dass die Wahrheit solide und dauerhaft sei, und räumt gleichzeitig ein, sie biete vielleicht nicht viel Trost.

»Ich weiß nicht, ob es sehr tröstlich ist, das Leben so zu sehen, wie es ist; aber der Trost, den die Wahrheit spendet, wenn es denn eine gibt, ist solide und dauerhaft, der sich aber aus dem Irrtum herleitet, muß ebenso wie sein Ursprung falsch und flüchtig sein« (zitiert nach Bion 1970, S. 15).

Wie es aussieht, brauchen wir sowohl das Tröstliche einer Illusion(1) als auch die Solidität und Dauerhaftigkeit(1) der Wahrheit. Auf diesen Punkt wies insbesondere Winnicott hin, als er davon sprach, dass die hingebungsvolle Zuwendung seiner Mutter es dem Säugling leicht mache, in der Illusion zu leben, er habe sie omnipotent unter Kontrolle.

»Die Mutter ermöglicht zu Anfang dem Säugling durch eine fast hundertprozentige Anpassung die Illusion, ihre Brust sei ein Teil seiner selbst. Sie ist gleichsam magisch steuerbar. Das gleiche läßt sich in Bezug auf die Säuglingspflege im allgemeinen sagen – in den ruhigen Phasen zwischen den Erregungszuständen. Omnipotenz ist eine nahezu reale Erfahrung. Die Aufgabe der Mutter besteht dann darin, dem Kind allmählich seine Illusionen zu nehmen, aber sie kann nicht auf Erfolg hoffen, wenn sie nicht zunächst fähig war, ihm ausreichende Gelegenheiten zu (1)Illusionen zu geben« (1)(Winnicott 1953, S. 306).

Ich vermute, dass die »fast hundertprozentige Anpassung« ihrerseits eine idealisierte Illusion ist und nur in der Phantasie stattfindet, während Winnicotts Hauptargument von der Notwendigkeit der Desillusionierung für mein Thema von zentraler Bedeutung ist. Aus meinem Buch wird hoffentlich zu folgern sein, dass wir hin und wieder nicht umhinkommen, der Wahrheit auszuweichen und eine Illusion zu akzeptieren, dass wir uns aber der Wahrheit über uns selbst und unsere Welt stellen müssen, wenn wir uns weiterentwickeln wollen. Das bedeutet, dass uns die Freuden der Illusion und die Schmerzen der Desillusionierung(1)(1) auf unserem Lebensweg immer wieder begegnen werden.

Die Illusion vom Paradies

Eine besonders (4)häufige (1)und wichtige Illusion entstammt der weitverbreiteten Überzeugung, dass es früher einmal eine Zeit der Glückseligkeit gegeben habe, die tragischerweise vorbei ist, aber auf magische Weise wiederbelebt werden könnte. Der Prototyp für dieses Ideal ist die Phantasie von einer Zeit der uneingeschränkten Befriedigung an der Brust der Mutter(1), in der das Mutter-Säugling-Paar sich ausschließlich aneinander erfreute. Wie bei jeder anderen Illusion geht auch diese Zeit der Glückseligkeit durch eine mehr oder weniger traumatische Erfahrung zu Ende, nämlich durch die Entdeckung des Säuglings, dass die Mutter ein von ihm unabhängiges Leben führt und nicht nur ihm gehört. Zu der Desillusionierung(1) kann es im Zuge der Entwöhnung kommen oder durch die Erfahrung, dass ein tatsächliches oder phantasiertes Geschwisterkind zur Welt kommt, entscheidend ist aber vor allem die Entdeckung, dass das Seelenleben der Mutter nicht der omnipotenten Kontrolle des Säuglings unterliegt.

Das Pendant für diese weitverbreitete Illusion findet sich in der(1)(1)mythologischen Geschichte unserer Kultur, in der jedes Zeitalter sein eigenes Paradies gehabt zu haben scheint. Am bekanntesten ist vielleicht die biblische Geschichte, aber in den meisten Kulturen gibt es ähnliche Mythen. So beschreibt Hesiod(1) (7. Jh. v. Chr.) ein Goldenes Zeitalter(1)(1) ohne Kummer, Mühe und Not, das in der ländlichen Harmonie Arkadiens anklingt, in dem Pan sich einer uneingeschränkten Herrschaft erfreute. Die Verbindung dieser Mythen mit der individuellen Phantasie einer glückseligen Zeit an der Brust der Mutter wird durch den idealisierten Charakter vieler dieser Mythen bestätigt. Sehr anschaulich kommt dies in Cervantes(1)’ Version des Goldenen Zeitalters(2) zum Ausdruck, in der Don Quijote eine idyllische Zeit beschreibt, die plötzlich zu Ende ist, wenn er schockiert die Beziehung seiner Eltern entdeckt und sich auf Geschwister gefasst macht.

»O glückliche Zeit, o Ära voll Glück, welche die Altvordern die goldene genannt […], weil jene, die damals lebten, die beiden Wörter noch nicht kannten, die da heißen dein und mein. In jener geheiligten Zeit gehörte jedwedes Ding allen gemeinsam. Für die tägliche Nahrung musste der Mensch nur die Hand ausstrecken, und schon empfing er sie von den stämmigen Eichen […].

Alles war Frieden, war Eintracht, war Freundschaft. Noch hatte es die krumme Pflugschar nicht gewagt, in den barmherzigen Eingeweiden unser aller Urmutter zu graben und zu wühlen, nein, damals ergoss ihr fruchtbarer, weiter Schoß ohne Zwang allüberall, was ihre Kinder, denen sie zu eigen war, sättigen, erhalten und ergötzen konnte« (Cervantes 2016 [1605], Bd. I, S. 99).

Bei dieser Version der Illusion vom Paradies(2)(3), auf die ich im 9. Kapitel noch genauer eingehen werde, besteht meines Erachtens das Goldene Zeitalter für Don Quijote in der Phantasie von einer präödipalen Existenz(1)(1), in der die Reinheit und Unschuld der Mutter noch nicht in Frage gestellt waren und es die Illusion eines idealisierten Mutter-Säugling-Paares gab.

Anhand der deutlichen Verwandtschaft (2)zwischen(2) mythologischen Darstellungen und den Berichten über individuelle Erfahrungen können wir über die persönliche und klinische Relevanz der Schilderungen nachdenken, die beispielsweise in Cervantes’ Don Quijote und Miltons Paradise Lost(1)enthalten (1)sind. Insbesondere bei Milton werden die Einzelheiten der Glückseligkeit im Paradies und die Schrecken der Desillusionierung so schön und emotional überzeugend in einer Weise geschildert, die ich zutiefst berührend und klinisch relevant finde. Sie erhellt Faktoren, von denen einzelne Patienten betroffen sind, und vertieft unser Verständnis sowohl des kindlichen Erlebens als auch dessen Wiederholung in der Übertragung.

Der zweifache Ansatz in der analytischen Haltung

Eine Illusion zu akzeptieren, ist ein wichtiger Aspekt der analytischen Haltung(1). (1)Wenn wir unseren Patienten zuhören, lassen wir uns in ihre Geschichte hineinziehen, wir identifizieren uns mit ihrer Situation, wir teilen ihre Phantasiewelt und haben Teil an ihren Freuden und Sorgen. Wir sind innerlich beteiligt an ihren Dramen, genauso wie wir im Theater mit den Figuren eines Schauspiels, das wir auf der Bühne sehen, mitfühlen oder mit dem Helden in einem Roman, den wir lesen. Voraussetzung für diese Art innerer Beteiligung ist, dass wir unsere Zweifel ruhen lassen und uns einer Illusion hingeben können, aber irgendwann müssen wir natürlich wieder Abstand gewinnen, um über den Patienten vom Standpunkt eines Beobachters aus nachdenken zu können, genauso wie wir über die Bedeutung eines Schauspiels nachdenken, nachdem wir das Theater verlassen haben. Denn dann wird uns die Diskrepanz bewusst zwischen der Phantasiewelt, die wir vorübergehend geteilt haben, und der wirklichen Welt, in der wir wieder erwachen und die wir letzten Endes akzeptieren müssen.

Bei meiner Diskussion dieses Themas gebe ich zunächst den Hinweis von Aristoteles(1) wieder, dass in einer Tragödie typischerweise Furcht und Mitleid geweckt werden. Im Kontext meiner Überlegungen bezieht sich die Furcht auf die Angst, was uns selbst passieren könnte, wenn wir mit dem Held(1)en identifiziert sind, und Mitleid spüren wir, wenn wir uns aus dieser Identifizierung lösen und dem Leiden zusehen, während es geschieht – nicht uns, sondern jemandem, der uns wichtig geworden ist. Unter diesen und ähnlichen Empfindungen leidet auch der Analytiker, während er seinem Patienten zuhört, was zunächst zu einer empathischen Reaktion führt und dann zu dem Versuch, als Beobachter Hypothesen zu bilden über das, was gerade passiert. Schließlich fügen sich das empathische subjektive Teilen einer Erfahrung und der eher objektive Versuch, die Situation von außen zu betrachten, zu einem Bild dessen, was gerade zwischen dem Patienten und dem Analytiker vor sich geht. Daraus können sich Hypothesen ergeben, die wiederum durch Deutungen überprüft werden, auf die weitere Momente der Beteiligung und Beobachtung folgen.

Ironie und die analytische Haltung

Ironie(1)(1) ist in diesem Buch durchweg ein wichtiges Thema und wird im 10. Kapitel genauer untersucht. Jedoch sollte die Ironie bereits an dieser Stelle kurz erwähnt werden, weil der von mir beschriebene zweifache Ansatz leichter gelingt, wenn dank der Fähigkeit zur Ironie gegensätzliche Ideen und Überzeugungen nebeneinander bestehen können. Mithilfe der Ironie kann der Analytiker die Illusionen seines Patienten tolerieren und sogar teilen und ist doch, meistens jedenfalls, in der Lage, sich ihnen wieder zu entziehen und die Situation anhand einer objektiveren Sichtweise einzuschätzen. Dieser Prozess steckt voller Ungewissheiten, und ich weise in diesem Buch mehrfach darauf hin, dass wir nicht vergessen dürfen, dass unser Verstehen des Patienten immer ein vorläufiges ist und immer wieder durch die weitere Beobachtung der Übertragung überprüft, bestätigt und modifiziert werden sollte. Ich meine, dass die Fähigkeit zu einem gesunden Selbstzweifel mit der Fähigkeit zur Ironie einhergeht, einer Eigenschaft, die wir bei den meisten großen Schriftstellern antreffen, besonders brillant ausgeprägt ist sie bei Sophokles, Shakespeare und Cervantes.

Das verlorene Paradies

Da Milton(5)(2)im wahrsten Sinn des Wortes an die Existenz Gottes glaubte, wirkt es vielleicht etwas überraschend, sein Buch Paradise Lost als ein Werk der Ironie aufzufassen. Aber das Gedicht zeichnet sich insbesondere durch eine Vielfalt unterschiedlicher Sichtweisen aus. Bei Milton ist Gott ein Symbol für das absolut Gute, und gleichzeitig stellt er ihn als einen reizbaren und tyrannischen Autokraten dar. Satan wird als ein Symbol des absolut Bösen gezeichnet und gleichzeitig wird er voller Mitgefühl als jemand dargestellt, der grausam und ungerecht behandelt wird. Blake(1) fand, dass Milton Satan besonders schöne Zeilen widmete, und er fügte hinzu, »daß er [Milton] ein wirklicher Dichter war und von des Teufels Partei, ohne es zu wissen« (1)(Blake 1825–27, S. 217). Für Milton war es wichtig, »heilig Gottes Wege vor den Menschen(1)« (Milton 1667, 1. Buch, 32) hochzuhalten, gerade weil er erkannt hatte, dass gegensätzliche Sichtweisen möglich waren. Beeindruckend an dem Gedicht ist, dass es widersprüchliche Deutungen von Gott als einer Figur zulässt, die sowohl geliebt als auch gehasst werden kann.

Ich begann mich für Das verlorene Paradies zu interessieren, als ich mich mit den Themen Scham und Demütigung(1) beschäftigte, mit Gefühlen, die in diesem Werk bei der Vertreibung aus dem Paradies so anschaulich geschildert werden (Steiner 2006a, 2011). Das offensichtliche Leiden ist nicht nur dem Verlust eines idealen Zustands geschuldet, sondern schließt auch das Gefühl ein, ungerecht behandelt und bloßgestellt worden zu sein. Ich sah darin immer eine Darstellung der Gefühle eines Säuglings, der aus einem idealisierten Ort auftaucht, an dem ihm die Brust der Mutter und damit auch ihre Liebe gehörten, und der sich allmählich etwas realistischer in einer Welt wiederfindet, in der es noch andere Menschen gibt. Dabei spielen Schuldgefühle(1), zunächst aber vor allem Schamgefühle(1) eine Rolle, weil das Kind sich als klein und bedürftig wahrgenommen fühlt, was einen schmerzlichen Kontrast bildet zu dem vorherigen Gefühl der omnipotenten Kontrolle, das sich jetzt als Illusion herausstellt (Steiner 2006a, 2011).

Es gibt noch viele weitere klinische Bereiche, die durch das Gedicht erhellt werden, und trotz der offensichtlichen Kluft zwischen Miltons Ansichten und heutigen Vorstellungen hat es mich beeindruckt, wie wenig der zeitliche Abstand und die unterschiedlichen Perspektiven uns daran hindern, das Gedicht und die darin enthaltenen Einsichten wertzuschätzen. Die idealisierten Phantasien(1) in Miltons Paradies werden im 1. Kapitel untersucht, wobei ich zu zeigen versuche, wie leicht es ist, sich durch die Vorstellung von einer nie endenden Vollkommenheit verführen zu lassen. Zunächst lassen wir uns hineinziehen in die Freude an der mühelosen Befriedigung, und das Verbot, vom Baum der Erkenntnis zu essen, wirkt wie eine etwas verwirrende, aber unwesentliche Einschränkung. Wenn wir jedoch einen Schritt zurücktreten und uns überlegen, wie es wirklich gewesen wäre, im Paradies zu leben, merken wir, wie sowohl die individuelle Phantasie von einem Zustand der Vollkommenheit an der Brust der Mutter als auch der historische Mythos von einem Paradies nur dann ideal wären, wenn Zeit keine Bedeutung hat. In der realen Welt gibt es Perfektion nur in idyllischen Momenten, und nur in der Illusion vom Paradies(1) sind sie von Dauer. Mehr noch, ein Leben, in dem Zeit keine Rolle spielt und das auf den ersten Blick so ideal wirkt, zeigt sich bald von seiner Schattenseite. Wenn sich nichts verändert, wird alles bald eintönig und langweilig. Adam und Eva sind nie hungrig, ihnen ist nie kalt, es gibt keine Erinnerungen an ihre Kindheit, keine Gefühle des Bedauerns oder Verlusts. Milton beschreibt eine idealisierte(1) und eher leidenschaftslose sexuelle Beziehung(1), es gibt keine Aggression, kein Bedauern und keine Sehnsucht. Es gibt weder Gewalt noch Totschlag, weil die Tiere friedlich nebeneinander leben, und selbst die Schmerzen und Ängste bei der Geburt eines Kindes werden erst nach dem Sündenfall(1) erwähnt. Der nie endende Genuss lässt das Ideal einer romantischen Vollkommenheit entstehen, die zunächst anziehend wirkt, aber bald verblasst und sich als oberflächlich und unbefriedigend herausstellt. Tieferreichende Empfindungen entstehen erst, wenn das Paradies vergangen ist und die Realität außerhalb des Paradieses in den Blick kommt. Uns wird dann klar, dass idealisierte und persekutorische(1) Zustände durch den Mechanismus der Spaltung(1) auseinandergehalten worden waren, durch den es in der Mythologie vom Paradies zu einem vollkommenen Himmel einerseits und einer verfolgenden Hölle andererseits kommt. Das Wissen um Gut und Böse beinhaltet auch die Erkenntnis, dass zu einer Spaltung beide Seiten gehören müssen und dass Satan der notwendige Gegenspieler Gottes ist, also verstoßen werden muss, wenn an der Vollkommenheit des Himmels festgehalten werden soll. Wenn wir die Zeit einbeziehen, sehen wir nicht nur die räumliche Version der Spaltung(1) zwischen Gut und Böse, sondern auch, dass Spaltung zeitlich begrenzt ist und dass die frühe Erfahrung des Säuglings aus dem Wechsel zwischen idealisierten glückseligen Zuständen besteht und Zuständen, in denen er sich verfolgt fühlt.

Der gewaltige Schock der Vertreibung aus dem Paradies erinnert sehr anschaulich an die Empfindungen des Babys, das nicht mehr glaubt, über die ideale Brust zu verfügen. Auch diese schreckliche Desillusionierung, die so grausam und ungerecht wirken kann, weckt unser Mitgefühl, bis wir einen Schritt zurücktreten und entdecken, dass das, was als Strafe für Ungehorsam(1)(1) erlebt wurde, nicht mehr und nicht weniger ist als eine Rückkehr zur Realität. Ohne Illusionen befinden wir uns in einer Welt, in der wir uns den Freuden und den Schmerzen des Lebens stellen müssen. In Miltons Bericht verurteilt Gott Adam und(1) Eva zu den Schmerzen des Gebärens, sie müssen für ihren Lebensunterhalt arbeiten und sich angesichts des unausweichlichen Alterns und des Todes der Tatsache ihrer Sterblichkeit stellen. Diese Tatsachen des Lebens, die im Paradies verleugnet waren, beinhalten auch die Erkenntnis, dass Zeit nie stillsteht. Der Schock der Desillusionierung(1)(1) kann traumatisch sein, weil uns die Zeit nicht nur zu erkennen zwingt, dass alle guten Dinge irgendwann vorbei sind, sondern dass dies auch für das Leben selbst gilt.

Die Desillusionierung wird im 2. Kapitel, in dem die Vertreibung Adams und Evas mit der Verstoßung(1)(1) Luzifers verglichen(1) wird, genauer untersucht. Adam und Eva akzeptieren letzten Endes ihr Schicksal und sind in der Lage, das verlorene Paradies zu betrauern und damit auch die Illusion der Allmacht aufzugeben, die ihnen so viel Freude bereitet hatte. Dieses Bereuen ist Luzifer(1), (1)der die ihm durch Gott zugefügte Erniedrigung nicht hinnehmen kann, nicht möglich. Er hatte sich der Erkenntnis fügen müssen, dass er in Gottes Gunst keinen herausragenden Platz mehr einnahm, und rebellierte. Zusammen mit seiner Horde an Engeln zettelte er im Himmel den schrecklichen Krieg an, der schließlich zu seinem Sturz und der Verstoß(2)ung(2) in die Hölle führte. Auch hier lässt Milton keinen Zweifel aufkommen, dass die Reinheit des Himmels aufrechterhalten und das Böse in ein eigenes Reich verwiesen werden musste, aber sein Mitgefühl mit Luzifer ist sehr deutlich zu spüren. Er schildert, wie provozierend es für Luzifer gewesen sein muss, als, anscheinend aus heiterem Himmel, Christus als Gottes Liebling eingeführt wurde, dem alle Engel huldigen mussten. Diese Mischung aus Mitgefühl und unwiderlegbarer Logik zu verstehen, gelingt besser, wenn mithilfe der Fähigkeit zur Ironie beide Einstellungen nebeneinander Platz haben.

Für Milton war Gott ein Ideal(1), das internalisiert werden und als Modell für Vollkommenheit dienen konnte. Für Klein spielten die guten Aspekte der Brust(1) eine ähnliche Rolle.

»In der Analyse unserer Patienten stellen wir fest, daß die guten Aspekte der Brust den Prototyp mütterlicher Güte, unerschöpflicher Geduld und Großherzigkeit sowie der Kreativität darstellen. Eben diese Phantasien und Triebbedürfnisse(1) statten das primäre Objekt in solch hohem Maß mit guten Eigenschaften aus, daß es die Grundlage der Hoffnung, des Vertrauens und des Glaubens an das Gute bleibt« (Klein 1957, S. 289).

Milton weist warnend darauf hin, dass die Vollkommenheit Gottes(1) dem Menschen nicht zusteht, der sich der Kluft zwischen seiner eigenen Unvollkommenheit und dem durch Gott verkörperten Ideal stellen muss. Für Luzifer war dieser Abstand unerträglich; er stiftete eine Rebellion gegen Gott an, die mit großer Grausamkeit niedergeschlagen wurde, als er kopfüber in die Hölle gestürzt wurde.

»Him the Almighty Power

Hurld headlong flaming from th’ Ethereal Skie

With hideous ruine and combustion down

To bottomless perdition, there to dwell

In Adamantine Chains and penal Fire,

Who durst defie th’ Omnipotent to Arm«

(Milton, Erstes Buch, 49).2

Der entscheidende Punkt ist, sich der Desillusionierung(1) zu stellen(1). Weil Adam und Eva ihre Glückseligkeit aufgeben und den Verlust des Paradieses betrauern können, gelingt ihnen dies, nicht aber Luzifer. Er kann den Verlust der Allmacht nicht akzeptieren und ist gezwungen, in seinem abgesonderten Bereich zu leben, wo er sich dem nie endenden Hass auf die Güte Gottes widmet. Genauso wie Gott letztlich das vollkommene Gute repräsentiert, steht Luzifer, der nun Satan genannt wird, für das vollkommene Böse. Sowohl Milton als auch Klein beschreiben, wie das ideale Objekt innerlich als ein Symbol errichtet wird, das zur Grundlage für Hoffnung, Vertrauen und den Glauben an das Gute wird, nachdem der Verlust akzeptiert wurde. Dies entspricht der Vorstellung, dass das gute Objekt nur dann betrauert und aus einem konkreten Besitz in ein Symbol transformiert werden kann, wenn es gelingt, sich dem Verlust der Allmacht zu stellen. Wie wichtig diese Unterscheidung zwischen dem Idealen und dem Realen ist, wird im Zusammenhang mit den Illusionen vom Paradies deutlich, in denen das Ideal pathologisch wird, weil es nicht mehr als ein Modell der Vollkommenheit dient, sondern als ein Ziel, das bereits erreicht wurde, oder als ein Zustand, den wir unbedingt wieder herstellen wollen.

Die Grausamkeit der Wahrheit

Im 3. Kapitel wird der zweifache (1)analytische Ansatz anhand von Ibsens Schauspiel Die Wildente in der Beziehung zwischen (1)dem Publikum und dem Geschehen auf der Bühne untersucht. Als Zuschauer akzeptieren wir zu Beginn des Dramas, wie wichtig es ist, sich der Wahrheit zu stellen, aber nach und nach erfassen wir, wie brutal und traumatisch die Wahrheit sein kann. In der Figur Gregers erschafft Ibsen einen Anwalt der Wahrheit, der schließlich – mit tragischen Konsequenzen – die Illusionen zerstört, die die Familie seines Freundes Hjalmar zusammengehalten haben. Irgendwann stellt sich heraus, dass Greger mit seiner selbstgerechten Überlegenheit durchaus eigene Motive verfolgt hat und dass seine Version der Wahrheit sehr parteiisch ist.

Die Wahrheit kann mit ihrer unerbittlichen Logik(1) sehr grausam sein. Idealisiert man die Wahrheit, übersieht man leicht, wie sehr man vielleicht, um angesichts der menschlichen Begrenztheit zu überleben, auf Illusionen angewiesen ist. Mir ermöglicht dieses Thema, darauf aufmerksam zu machen, wie wichtig Freundlichkeit in der Beziehung zwischen dem Betrachter und seinem Objekt ist. Dabei geht es mir natürlich vor allem um die klinische Beziehung zwischen dem Analytiker und seinem Patienten. Ich zitiere aus der Arbeit E. M. Forster(1)s, um deutlich zu machen, dass Freundlichkeit nicht nur wichtig ist, um die Grausamkeit der Wahrheit abzumildern, sondern um sie wahrhaftiger zu machen. Wenn Wahrheit aus einer rigiden, engen Perspektive betrachtet wird, entgeht uns, dass sie auf unbewussten Phantasien(2) beruhen kann, die verleugnet werden. Erst wenn diese einbezogen werden, kann eine umfassendere Wahrheit erkennbar werden, die menschliche Schwächen akzeptiert, auch unsere eigenen. Dazu gehört auch, dass wir erkennen, wann die Suche nach der Wahrheit den Analytiker zu einem Eiferer(2) werden lässt, der (1)eine bestimmte Sicht der Wahrheit auf Kosten der Gesamtsituation idealisiert.

Die Reise des Helden

Im 4. Kapitel wird am(1) Beispiel (1)der Journey of the Hero gezeigt, wie wichtig (1)Omnipotenzgefühle sind, wenn es darum geht, sich auf eine gefährliche Reise zu begeben. Natürlich muss der Held(2)