Sehnsuchtsort Düdingen - Philip Zurkinden - E-Book

Sehnsuchtsort Düdingen E-Book

Philip Zurkinden

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Beschreibung

Düdingen; ein Dorf das sich fest im Griff des Wohlstandes und der Langeweile befindet. Der Autor berichtet mit zahlreichen Anekdoten über das Aufwachsen in einem ganz gewöhnlichen Schweizer Dorf. Dabei blickt er auf die Möglichkeiten, welche die wachen jungen Augen erblickten, die nunmehr aber vom zeitgetrübten Blick übersehen werden. Düdingen wird gewissermassen zur Projektionsfläche einer Sehnsucht nach altem Leichtsinn. Schafft man es hier vielleicht erneut, der Schwere der Vernunft zu entkommen und der kindlichen Spontaneität ihren Platz zurückzugeben?

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Seitenzahl: 53

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Trägheit der Masse

Düdingen, die vermeintlich beste aller Welten. Ein Rundum-Sicherheitspaket. Ein Rundum-sorglos-Paket. Eine Kapsel, die sich loslöst von der Mitwelt. Ein Antikosmopolit, der sich auf seinem Orbit um die Welt dreht. Ein Planet mit eigener Wohlstandsmasse, die so schwer wiegt, dass grosse Kräfte nötig sind, um die drückende, lastende Trägheit zu bewegen.

Düdingen schafft Identität durch Sprache. Der Sensler Dialekt erscheint als Sonderling inmitten der französischen bzw. berndeutschen Nachbarschaft. So entsteht eine tiefe Verwurzelung innerhalb der Region: durch die Eigenheit der Sprache in ebenjener Umlaufbahn, in ebenjener Atmosphäre, die zusammenhält und abstösst.

Doch noch ein weiterer Punkt schweisst zusammen. Es ist die erwähnte träge Wohlstandsmasse, die zu keiner Unternehmung mehr anstachelt. Der Überfluss an Anreizen führt zu einer Reizüberflutung. Führt zu einer Unfähigkeit, sie klar zu identifizieren, ihnen nachzugehen oder neue Anreize zu erschaffen. Kein Gespür fürs Momentum, keine Dringlichkeit, kein Drang, kein Sofort, kein inneres Feuer, keine Vehemenz.

All dies wären große Kräfte, die bewegen, die antreiben, die Energie verleihen. An die Stelle der Dringlichkeit und Notwendigkeit tritt das «vielleicht morgen». Langeweile ist omnipräsent – und die ist selbst zu träge, um anzuschieben. Wo alles Reizende jederzeit geschöpft werden kann, wirken Reize ausgeschöpft.

Um besser zu veranschaulichen, wie sich das auf das Leben und den Alltag der Bewohnenden dieser eigenartigen Welt auswirkt, folgen nun ein paar Erinnerungsfetzen und deren Interpretationen.

Das Sommerloch

Zurück aus den Sommerferien – oder gar nicht erst gefahren –, brennt die Sonne den Rest an Eigeninitiative aus den Poren und befeuert die Trägheit. Man begibt sich auf die Suche nach einer Tätigkeit oder nach anderen Kindern, mit denen man sich wenigstens gemeinsam langweilen kann. Es müsste ja nicht einmal ein Kind sein, das man gut kennt oder besonders mag. Es müsste halt einfach irgendein Kind sein, das eben gerade nicht in den Sommerferien ist und das Schicksal des mangelnden Antriebes mit einem teilt.

Die besten Plätze, um möglicherweise fündig zu werden, sind der Bahnhofkiosk, der Schulhausplatz mit dem damaligen Fussballplatz, die grösseren Quartiere, das Coop-Zentrum oder der Spielplatz im Gänsebergschulhaus. Der Kiosk und das Coop-Zentrum sollten dabei immer die ersten Anlaufstellen sein. Findet man dort keine Kinder, dann immerhin allerhand Ramsch, den man in sich hineinstopfen kann. Der Langeweile lässt sich durch den Konsum von verbotenen Lebensmitteln eine Zeit lang die Stirn bieten. Der Genuss ist dabei völlig zweitrangig, nur viel muss es sein. Möglichst viel, um zumindest das Gefühl zu haben, das Aufstehen und das Verlassen des Fernsehers hätten sich gelohnt.

Nun geht’s mit vollem Magen und voller Zuversicht in einen unvergesslichen Tag weiter. Irgendwo müssen die Kinder und damit die Möglichkeiten ja schliesslich sein. Wenn nicht gerade Schulferien sind, ist die Suche wesentlich leichter oder es muss gar nicht erst gesucht werden. Sport- und Kulturvereine bieten Ambition; Jugendver eine Auswege auf Zeit und Bekanntschaften fürs Leben. Nur haben die eben ihren Betrieb eingestellt oder sind im Sommerlager, und wenn du eben nicht in diesen Jugendvereinen bist, wird dir ein Teil der Bekanntschaften und Möglichkeiten verwehrt. Members only hat Tradition. Zum Glück ist Düdingen genug gross, dass es eben auch viele Nichtmember gibt, und irgendwann im Verlauf des Tages findet man die auf jeden Fall. Dann heisst es sich irgendwo auf eine Bank oder eine Schaukel setzen und nach Möglichkeiten suchen, um der Langeweile zu entfliehen. Sehr breit gefächert war das Aktivitätenrepertoire meist nicht, doch es reichte, um ein Kinderleben zu bereichern. Hier einige Beispiele:

Nochmals zum Kiosk gehen, um sich ein Eis reinzustopfen. Mit dem Fahrrad mehrfach durch einen flachen Brunnen fahren, bis der ganze Schulhausplatz nass ist. Den nächstgelegenen Sandkasten überschwemmen. In der Voraugustzeit Böller kaufen, um sie möglichst irregulär und daher brandgefährlich anzuwenden. Den Gameboy holen, um damit über das Verbindungskabel ein paar Pokémon zu tauschen. Andere Kinder hänseln, Klingelstreiche, Spielwaren ansehen, auf den Knien mit dem Skateboard einen Hang runterbrettern, möglichst hoch von der Schaukel runterspringen und Fussball spielen.

Es war Tag für Tag, Woche für Woche der immerwährend gleiche Trott. Trotzdem sollte er nie aufhören. Wie haben wir doch bereits eine Woche vor Schulbeginn unsere missliche Lage beklagt, uns nur eine Woche mehr dieser Sommerträgheit gewünscht, in der nichts musste, nichts konnte und alles war. Nicht müssen führt zu können, können führt zu wählen, wählen führt zu Überforderung und Überforderung zu Resignation. Sich anfreunden mit dem Alltagstrott, sich der Langeweile hingeben als einziger Motor, als einzige Kraft, die beim Versuch, ihr zu entkommen, noch Bewegung fordert.

Den Trott zu verlassen und neue Wege einzuschlagen würde bedeuten, auf gewisse Annehmlichkeiten zu verzichten, sich zu exponieren und zum Empfänger von möglichen Risiken zu machen. Wer sollte so etwas tun, wenn da keine Notwendigkeit und somit kein Muss ist? So mündet der Überfluss in das Meer mangelnder Initiative.

Lieblingsfach Pause

Die Schule hingegen, wenn sie wieder losgeht, strukturiert den Alltag, gibt Interessen vor und fordert. Sie fordert Initiative. Sie ist eine andere Kraft als die Langeweile. Da ist plötzlich dieses Muss, diese Notwendigkeit, die man sich während der Ferien herbeigesehnt hat.

Sie strukturiert nicht nur einen Kinderalltag, sie greift auch ins Privatleben ein. Sie gibt Hausaufgaben, um die Kinder zu motivieren, sich auch daheim mit etwas intensiver zu beschäftigen, etwas anzugehen, das bildet und nicht nur unterhält. Es ist fast so, als wüsste die Schule um den Kindertrott, als wolle sie eine aktive Stütze sein, um ihn zu durchbrechen. Die Langeweile aber ist eine nicht zu unterschätzende Kraft und lässt sich nicht durch Sinnhaftigkeit täuschen oder verjagen. Die naheliegenderen Feinde der Langeweile sind der Konsum, die Unterhaltung, Spass und Müssigkeit. Verheissungsvollere Optionen für Heranwachsende. Der Schulunterricht und die Hausaufgaben bieten jedenfalls für die meisten Kinder nicht das passende Äquivalent zu den oben erwähnten Strategien, die Langeweile zu drosseln.