Sexarbeit - Jenny Künkel - E-Book

Sexarbeit E-Book

Jenny Künkel

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Beschreibung

»Obwohl viele Menschen sich selbst nicht vorstellen können, für einen Mindestlohn die Ausscheidungen fremder Menschen zu beseitigen, wird die Freiwilligkeit in der Pflege nicht infrage gestellt. Hingegen wird die Bereitschaft, sexuelle Bedürfnisse zu befriedigen, bei gleicher Ausgangslage immer nur als Folge von Not, Gewalt oder eines schlechten Charakters interpretiert.« – Aus dem Vorwort von Kathrin Schrader Das Thema Sexarbeit ist hoch umkämpft. Das Buch vereint unterschiedliche Zugänge zu dem aufwühlenden Thema und arbeitet aktuelle Debatten und Gesetze auf. Dabei kommen auch Sexarbeiter*innen selbst zu Wort. Bisweilen werden feministische Perspektiven auf eine Forderung nach Abschaffung von Prostitution reduziert. Das Buch zeigt, dass Feminismus nur im Plural existiert und intersektional zu denken ist. Das heißt, dass z.B. auch Klasse und Nationalität berücksichtigt werden müssen. Dementsprechend verknüpfen die Sexarbeiter*innen im Band ihre Forderungen mit Arbeitskämpfen, Trans*- und Queer-Aktivismus, den Kämpfen der Migration oder Care-Revolution.

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Seitenzahl: 117

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Kathrin Schrader & Jenny Künkel (Hg.)

Sexarbeit

Feministische Perspektiven

geschlechterdschungel

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar

Kathrin Schrader & Jenny Künkel (Hg.): Sexarbeit

unrast transparent – geschlechterdschungel, Band 10

2. Auflage, Juni 2022

eBook UNRAST Verlag, Dezember 2023

ISBN 978-3-95405-168-7

© UNRAST Verlag, Münster

www.unrast-verlag.de | [email protected]

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Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung

sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner

Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter

Verwendung elektronischer Systeme vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlag: UNRAST Verlag, Münster

Satz: UNRAST Verlag, Münster

Inhalt

Kathrin SchraderFeministische Perspektiven auf Sexarbeit – ein Vorwort

Jenny KünkelProstitutionsdiskurse und Regulierungen

Sibylla FlüggeDie Rechtsstellung der Sexarbeiter*innen nach dem Prostituiertenschutzgesetz

Undine de RivièreWas ist schon »normal«?

Maya Maga (M)ein Weg der heiligen Hure

maizDefinitionsmacht im Terrain der Sexarbeit – Wer sieht wo und wie die strukturelle Gewalt und Diskriminierung?

Gudrun GrebSexarbeit ist Arbeit

Manuel Hurschmann & Benedict EickhoffMann-männliche Sexarbeit – ein Cocktail aus prekärer Männlichkeit und sexueller Devianz

Initiative Sex Workers SolidaritySex Workers Solidarity – eine gewerkschaftlich-feministische Perspektive

Stephanie KleeCare-Revolution & Prostitution – Ein anderer Blickwinkel macht’s

Anmerkungen

Kathrin Schrader(Frankfurt University of Applied Sciences)

Feministische Perspektiven auf Sexarbeit – ein Vorwort

Während der Arbeit an diesem Vorwort ist zwischen den Herausgeberinnen eine intensive Diskussion darüber entstanden, wie wir uns dem Thema nähern wollen. Ist Sexarbeit ein dem Kapitalismus inhärentes Ausbeutungsverhältnis, das immer nur im Kontext einer generellen Kapitalismuskritik zu betrachten ist – eine Position, die ohne Frage richtig ist – oder sollte zuerst gezeigt werden, wie ihr durch moralische Bewertungen immer noch der Status einer vollwertigen Arbeit und damit auch die bisher errungenen Arbeitnehmer*innenrechte vorenthalten werden? Die Positionen schließen sich nicht aus, können aber nur schwer gleichwertig nebeneinander in einem Vorwort behandelt werden. Deshalb wird in diesem Vorwort nur die Position untermauert, dass Sexarbeit überhaupt erst einmal als berufliche Tätigkeit wie jede andere anerkannt sein muss, um sie dann kapitalismuskritisch betrachten zu können.

Jede Gesellschaft, auch eine kapitalistische Gesellschaft, ist auf das Überleben und das minimale Wohlergehen ihrer Mitglieder angewiesen. Sie braucht dafür Menschen, die kochen, waschen, einkaufen, pflegen, zuhören, in den Arm nehmen, trösten, streicheln und sich sorgen. Für viele Menschen gehört zu den Grundbedürfnissen auch die sexuelle Befriedigung – nicht immer nur als schnell vollzogener Beischlaf, sondern auch als Bestandteil menschlicher Zuwendung. Ohne diese Zuwendung entstünde nicht nur individuelles Leid, sondern die kapitalistische Akkumulation würde zusammenbrechen, weil die Reproduktion der Arbeitskraft nur unvollständig oder gar nicht erfolgen könnte. Trotz dieser immensen Bedeutung werden die Arbeiter*innen im Care-Bereich ausgebeutet, schlecht oder oft gar nicht bezahlt und häufig auch noch stigmatisiert. Das Sexgewerbe hat hier eine besonders ambivalente Position. Einerseits trifft die Stigmatisierung jene Care-Arbeiter*innen, die in prekarisierten Verhältnissen sexuelle Dienstleistung anbieten müssen, besonders hart. Andererseits können bei geschickter Vermarktung von Seriosität und Vertraulichkeit mit sexuellen Dienstleistungen sehr hohe Verdienste erzielt werden. Mit einer langlebigen Abwertung des Berufsstandes, einer moralischen Verurteilung und damit einhergehender Stigmatisierung der Personen sind jedoch ausnahmslos alle Sexarbeiter*innen konfrontiert.

Sexarbeit wird nicht wie andere Gewerbe bewertet und reguliert. Die deutsche Wirtschaftspolitik fördert die exportorientierte Arbeit im ›unmoralischen‹ Rüstungsbereich, unternimmt wegen der Gewerbefreiheit wenig gegen das ausbeuterische Verleihen von Arbeitskräften und lässt den Güterverkehr auf den Straßen ungehemmt wachsen, um die Lagerhaltungs- und damit die Produktionskosten zu senken. Das Sexgewerbe hingegen, das nur selten seinen Kund*innen schadet, das dem Menschen im wahrsten Sinne des Wortes zugewandt ist, das kaum Rohstoffe verbraucht und die Umwelt nicht zerstört, wird partiell kriminalisiert und es wird ihm die volle gewerberechtliche Anerkennung verweigert. Mit einer vorrangigen ordnungs- und strafrechtlichen Regulierung werden Bedingungen geschaffen, die Ausbeutung und Gewalt eher fördern als verhindern. Niemand kann sinnvoll begründen, warum die Legislative und Exekutive mit großem Aufwand Sexarbeit sanktioniert und reglementiert, während ihr für die Vermeidung und Verfolgung verbrecherischer Cum-Ex-Geschäfte leider die Ressourcen fehlen.

Sexuelle Dienstleistung ist keine Straftat, sondern ein Leibdienst außerhalb der Familie, aus der unsere Gesellschaft im Zuge der Durchsetzung und Fortentwicklung des Kapitalismus, oft auch gegen die Widerstände konservativer Kräfte, bereits die Produktion, den Schutz und auch große Teile der Reproduktion, wie die Erziehung, die Ernährung, die Unterhaltung und die Körperpflege ausgelagert hat. Warum tut sich dieselbe kapitalistische Gesellschaft damit so schwer, dass auch die Bedürfnisse nach Sexualität mittels Dienstleistung befriedigt werden? Breite Teile der Gesellschaft haben kein Problem damit, zu akzeptieren, dass jemand freiwillig seinen Körper und manchmal auch seine Psyche zur Aufrechterhaltung des staatlichen Gewaltmonopols schädigt, finden es aber völlig inakzeptabel, dies in den Diensten einer individuellen Sexualität zu riskieren. Obwohl viele Menschen sich selbst nicht vorstellen können, für einen Mindestlohn die Ausscheidungen fremder Menschen zu beseitigen, wird die Freiwilligkeit in der Pflege nicht infrage gestellt. Hingegen wird die Bereitschaft, sexuelle Bedürfnisse zu befriedigen, bei gleicher Ausgangslage immer nur als Folge von Not, Gewalt oder eines schlechten Charakters interpretiert.

Diese Gesellschaft muss endlich aufhören, so zu tun, als wäre die Sexarbeit das Problem und nicht die Bedingungen, unter denen sie geleistet wird. Aktuell fordern verschiedene gesellschaftliche Kräfte aus christlicher und radikalfeministischer Perspektive eine rigide Kontrolle oder sogar das Verbot von Sexarbeit. Eine solche Position kann einer feministischen Betrachtung nicht standhalten, weil sie ausschließlich moralisch und paternalistisch argumentiert. Wie fragwürdig bzw. problematisch solche Sichtweisen sind, wird deutlich, wenn wir uns bewusstmachen, dass die Gesellschaft gegenwärtig mit dem institutionalisierten Missbrauch in ›hochmoralischen‹ Organisationen und Institutionen wie Sportvereinen, Schulen und Kirche konfrontiert wird und sich trotz intensiver polizeilicher Überwachung die Anzahl der Ermittlungen bezüglich »Sexueller Ausbeutung«[1] in der Prostitution (Bundeskriminalamt 2018) bundesweit im niedrigen dreistelligen Bereich bewegt und daraus nicht abgeleitet wird, dass ein breiter gesellschaftlicher Kampf gegen Sexismus und sexuelle Gewalt in allen Institutionen notwendig wäre, sondern eine einzelne Berufsgruppe herausgegriffen wird, um sie ordnungsrechtlich zu registrieren und zentrale Bestandteile ihrer Arbeit über Erlasse und Regularien zu kriminalisieren und sich dabei ganz paternalistisch darauf zu berufen, dass dies nur ihrem Schutz diene.

Sexarbeit ist wie andere Arbeitsbereiche auch von klassistischen, heteronormativen, rassistischen und bodyistischen Herrschaftsverhältnissen durchzogen. Um besser verstehen zu können, warum in diesem Tätigkeitsfeld keine tarifliche Gestaltung der Arbeitsbedingungen existiert, Gewerkschaften sich nicht zuständig fühlen, es keine Berufsgenossenschaften gibt und somit die Gesundheitsämter – und manchmal auch die Polizei – über die Arbeitsbedingungen wachen und dem Sexgewerbe die Selbstorganisation leider manchmal auch durch linke und feministische Kreise erschwert wird, soll kurz ein Blick in die Vergangenheit geworfen werden.

Im dritten Band seiner »Geschichte des Alltags des deutschen Volkes« schreibt Jürgen Kuczynski im Kapitel über die Entfremdung, dass auf die außerhäusig arbeitenden, ›freien‹ Arbeiter in den Manufakturen des 17. und 18. Jahrhunderts herabgesehen wurde. Eine solche Arbeit wurde als minderwertig und einem anständigen Menschen nicht würdig angesehen. Ein armes Landmädchen, dass sich, statt im Hause der Eltern zu arbeiten, in einer Manufaktur verdingte, unterschied sich in dieser Sichtweise nicht von einer Bettlerin und Hure.

»War doch die Ideen-Assoziation zwischen einer Hure und einer Manufakturarbeiterin schon dadurch gegeben, dass die erstere ihre Körper öffentlich anbietet und die letztere ›public work‹ tat, öffentlich, nicht im eigenen Heim arbeitete. Auf der anderen Seite entsprach dieses Urteil auch der faktischen Lebensweise zahlreicher Manufakturarbeiterinnen ebenso wie dem Typ der Männer, mit denen sie zusammenarbeiteten. Es waren Menschen ohne Eigentum, Wurzellose und unsichere Existenzen, die im Gegensatz zu allen anderen Werktätigen standen« (Kuczynski 1977: 155f.).

Nun war es auch damals schon so, dass die Frauen ihre sexuellen Dienste anboten und nicht ihren Körper. Das Zitat zeigt auch, dass selbst eine tiefgründige Analyse, wenn sie sich mit Prostitution befasst, ihr Ergebnis hauptsächlich moralisch bewertet und nicht ausschließlich arbeitssoziologisch oder arbeitswerttheoretisch. Trotzdem ist es eine interessante Position, wenn sie mit der feministischen Marx-Analyse Silvia Federicis (2012) zusammengedacht wird. Marx maß der Ausbeutung von Frauen und Kindern in der Reproduktionsarbeit nicht dieselbe Bedeutung bei, wie in der kapitalistischen Akkumulation. Die Ausbeutung von Frauen beschränkte sich nicht nur auf die industrielle Lohnarbeit, sondern sie wurden im großen Bereich der Hausarbeit ebenfalls ausgebeutet. Federici postuliert, dass kaum ein anderer Autor seiner Zeit so eindringlich die brutale Ausbeutung von Frauen und Kindern im Fabriksystem beschrieben hat, wie Marx (Federici 2017). Allerdings kritisiert sie, dass er die Geschlechterproblematik vernachlässige, »abgesehen von moralisierenden Anmerkungen, die Fabrikarbeit rege Frauen zu promiskem Verhalten und einer Vernachlässigung der familiären Pflichten an. Selten tauchen Frauen bei Marx als handelnde und kämpferische Subjekte auf. Sie erscheinen zumeist als Opfer« (ebd.: 87). Marx erkannte, dass sich Arbeitskraft reproduzieren muss, was aber seiner Meinung nach in Gänze durch die Warenproduktion vollzogen wird. Mit dem Lohn verdienen die Arbeiter alle existenziell erforderlichen Mittel und über den Konsum von Waren reproduzieren sie sich selbst. Federici postuliert, Marx ignoriere andere Formen der Arbeit, wie die Essenszubereitung oder auch den Geschlechtsverkehr. Er stelle die Lohnarbeiter als sich selbst reproduzierend dar. Damit komme ich zu einem wichtigen Aspekt in Federicis Überlegungen: »Marx imagined a totally asexual worker« (Federici 2019: ohne Seiten). Die Erfahrung all derjenigen, deren Arbeit die kapitalistische Akkumulation weltweit ohne Entlohnung befeuert, wird an den Rand gedrängt (Federici 2017). Ein wichtiger Teil der Reproduktionsarbeit, den Frauen – damals vor allem im Haus – leisten (mussten), wird nicht gesehen. Die Befriedigung der Grundbedürfnisse der Lohnarbeiter*innen erscheine als autarker Kauf von Waren.

»Dabei drückt Marx sich um das Thema Sex herum, ob in der Ehe oder als Ware. Prostituierte gelten Marx nicht als Arbeiterinnen, sondern verkörpern die gesellschaftliche Erniedrigung der Frau und gehören zum ›tiefste[n] Niederschlag der relativen Überbevölkerung‹, zum Lumpenproletariat (Marx 1867, 673), das er an anderer Stelle als ›Abhub aller Klassen‹ bezeichnete (Marx 1852, 161)« (Federici 2017: 89).

Durch den Bedeutungszuwachs der Industrie und die erfolgreichen Arbeitskämpfe im 19. Jahrhundert wurde die außerhalb der Familie geleistete Arbeit aufgewertet – ohne dass dies jedoch positive Auswirkungen auf die Sexarbeit hatte.

Die feministische Forschung hat herausgearbeitet, dass die ökonomische Abwertung, die moralische Aufwertung als Liebesdienst und die Erfüllung der weiblichen Rolle und Pflichten mit der Entstehung des bürgerlichen Familienleitbilds einhergehen. Sorgetätigkeiten werden dem Weiblichen zugeordnet, während das Männliche in die Welt geht, diese lenkt, konstruiert und leitet. Die Prinzipien des frühen patriarchalen Kapitalismus ordnen die Care-Arbeiten zunächst dem Privaten zu (vgl. u.a. Hausen 1976; Klinger 2012). Somit verbindet die strukturelle Verschränkung von Warenproduktion und sozialer Reproduktion Care und Weiblichkeit.

Feministinnen versuchten immer wieder, Sorgetätigkeiten als geleistete Arbeit sichtbar zu machen, sie aufzuwerten und damit einer angemessenen Entlohnung zuzuführen. Jedoch stießen sie auch hier auf ein moralisches Tabu, wenn es um Sexarbeit ging. Sexualität blieb im ›Dunkel des Hauses‘ und wurde dort als Liebesdienst geleistet, aber oft auch nur als Leibdienst zelebriert – die Abhängigkeiten der Frauen ließ ihnen da keine Wahl. Es gab aber schon immer Frauen, die sexuelle Dienste öffentlich anboten. Sie galten in den meisten Epochen als ›unanständig‹, also keinem Stand zugehörig, und wurden im 19. Jahrhundert zusätzlich mit einem bürgerlich normativen Konstrukt von Weiblichkeit konfrontiert, da sich das bürgerliche Familienleitbild durchgesetzt hatte und damit auch die moralische Zuschreibung an die Frau als fürsorglich Liebende.

Der historische Exkurs sollte noch einmal verdeutlichen, dass damals wie heute Sexarbeit in die kapitalistische Verwertung eingebettet und wie der gesamte Care-Bereich von Herrschaftsverhältnissen durchzogen ist, was dazu führt, dass der Grad der Ausbeutung zunimmt, je vulnerabler[2] die Care-Arbeiter*in ist. Gleichzeitig ist es für marginalisierte und vulnerable Menschen schwierig und manchmal auch gefährlich, ihr Erfahrungswissen in die gesellschaftlichen Diskurse einzubringen. Sie haben eine abgewertete Sprecher*innenposition, ihre Standpunkte gelten als ›subjektiv‹ und es wird oft ›wissenschaftlich objektiv‹ über sie gerichtet.

Unter dem Aspekt der »Politisierung der Sozialwissenschaften« wollten Peter Brückner und Alfred Krovoza 1972 die »Objektivität« aufheben und den unterdrückten »objektivierten« Standpunkt der Arbeiterbewegung einnehmen (Brückner / Krovoza 1972: 40). Auch Michel Foucault versuchte mittels der genealogischen Methode durch Rekurs auf »unterdrückte Wissensarten« dem abstrakten Objektivismus der Humanwissenschaften epistemisch entgegenzutreten (vgl. Kögler 1994: 15 ff. sowie Foucault 1978). Foucaults genealogische Sozialanalyse entfaltet gegenüber dem verdinglichenden Diskurs der Humanwissenschaften, der letztlich dem System und der Stabilisierung von Herrschaft dient, das direkte Wissen und die konkrete Erfahrung der Unterdrückten selbst:

»Aus der bewussten Übernahme des Standpunkts der Ausgegrenzten soll sich so ein gewissermaßen unmittelbarer Wahrheitsgehalt des Wissens über die soziale Machtsituation ergeben, eben weil sich dieses Wissen selbst aus der Erfahrung der Kämpfe, des Leidens und der Unterdrückung herleitet« (Kögler 1994: 16).

Diese Umkehrung der Blickrichtung, ein Denken vom Subjektstandpunkt aus, das Erfahrungswissen sichtbar macht, praktiziert noch radikaler Gayatri Chakravorty Spivak (Spivak 2008: 119-148; 2010). Ihre postkoloniale Kritik basiert auf der Dekonstruktion von Subjektkonzeptionen. Sie verweist auf die einseitige Viktimisierung marginalisierter Frauen des globalen Südens und reflektiert immer wieder die Schwierigkeit ihrer (Selbst-)Repräsentation. Während sie sich kritisch mit den Arbeiten der Subaltern Studies Group auseinandersetzte, entwickelte sie das Konzept des »strategischen Essenzialismus« (Spivak / Landry / MacLean 1996: 288). Die Subaltern Studies Group beschreibe in ihren Veröffentlichungen ein essenzialisiertes, sich selbst bewusstes subalternes Subjekt. Diese Darstellung beruhe auf solidarisch-politischen Beweggründen, um die hegemoniale Erzählung zu dekonstruieren (ebd.: 204 f.). Dabei geht Spivak sowohl theoretisch als auch politisch vor. Das dekonstruktivistische Diktum »the subaltern cannot speak« begründet sie mit dem Standpunkt, dass es unmöglich ist, sich gegenüber einer Struktur, die man angreift und zugleich verinnerlicht hat, zu verweigern (Spivak 1993: 60). Sie kritisiert, dass Ausschlüsse und Privilegien oft zugunsten von theoretischer Reinheit nicht analysiert, sondern vernachlässigt würden (Spivak / Harasym 1990: 12). Aufgrund realer Ungleichheiten, die aus der kapitalistischen Arbeitsteilung sowie aus kulturellen Hierarchien entstünden, sei das Materiell-Konkrete für marginalisierte Menschen als politische Forderung zwingend.

Bezogen auf unser Thema stellt sich die Frage, wie die Situation der Sexarbeiter*innen sichtbar gemacht werden kann, ohne vom herrschenden Diskurs vereinnahmt zu werden. Die Betroffenen selbst sprechen zu lassen, ist eine Lösung, die wir, die Herausgeberinnen, verfolgen, aber wir lassen auch andere Autor*innen zu Wort kommen, die sich parteilich und solidarisch mit den Arbeitsbedingungen auseinandersetzen. Das Buch versucht, die Heterogenität abzubilden und unterschiedliche Stimmen einzufangen, jedoch produziert auch der heterogene Diskurs Leerstellen und manche Position findet sich nicht wieder. Hier bitten wir um Verständnis und freuen uns auf nachfolgende Autor*innen, die diese Leerstellen bearbeiten.