Sexuelle Funktionsstörungen bei Männern - Julia Velten - E-Book

Sexuelle Funktionsstörungen bei Männern E-Book

Julia Velten

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Beschreibung

Viele Männer erleben sexuelle Schwierigkeiten, wie z. B. vorzeitigen Samenerguss, Probleme mit sexueller Erregung bzw. Erektion oder verringertes sexuelles Verlangen. Der Band liefert eine aktuelle Beschreibung sexueller Funktionsstörungen bei Männern und stellt die psychotherapeutische Behandlung dar. Der Band beschreibt zunächst die wesentlichen Störungsbilder und stellt die diagnostischen Kriterien vor. Es werden Hinweise zur Abgrenzung sexueller Funktionsstörungen von nicht klinischen sexuellen Problemen sowie sexuellen Schwierigkeiten im Rahmen anderer Störungen gegeben. Zudem wird über validierte Verfahren zur Diagnostik sexueller Störungen sowie zur Verlaufskontrolle innerhalb der Behandlung informiert. Praxisorientiert werden therapeutische Interventionen vorgestellt, die – mit entsprechenden Modifikationen – bei allen sexuellen Funktionsstörungen von Männern eingesetzt werden können. Dazu werden neben Sexual- und Psychoedukation sowie sexualtherapeutischen Paarübungen (Sensate Focus) auch körperbezogene Selbsterfahrungsübungen und kognitive Interventionen beschrieben. Schließlich geht der Band auf den Umgang mit Schwierigkeiten ein, die im Behandlungsverlauf auftreten können, und veranschaulicht das psychotherapeutische Vorgehen an einem ausführlichen Fallbeispiel.

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Julia Velten

Umut C. Özdemir

Sexuelle Funktionsstörungen bei Männern

Fortschritte der Psychotherapie

Band 87

Sexuelle Funktionsstörungen bei Männern

PD Dr. Julia Velten, Dipl.-Psych. Umut C. Özdemir

Die Reihe wird herausgegeben von:

Prof. Dr. Martin Hautzinger, Prof. Dr. Tania Lincoln, Prof. Dr. Jürgen Margraf, Prof. Dr. Winfried Rief, Prof. Dr. Brunna Tuschen-Caffier

Die Reihe wurde begründet von:

Dietmar Schulte, Klaus Grawe, Kurt Hahlweg, Dieter Vaitl

PD Dr. rer. nat. Julia Velten, geb. 1984. 2004 – 2009 Studium der Psychologie in Bielefeld. 2009 – 2013 Ausbildung zur Psychologischen Psychotherapeutin (Verhaltenstherapie). 2009 – 2012 klinische Tätigkeit in Bad Oeynhausen und Bad Salzuflen. Seit 2012 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Forschungs- und Behandlungszentrum für psychische Gesundheit an der Ruhr-Universität Bochum. 2016 Promotion. 2020 Habilitation. Tätigkeit als Psychotherapeutin sowie als Dozentin in der Psychotherapieausbildung.

Dipl.-Psych. Umut C. Özdemir, geb. 1986. 2006 – 2012 Studium der Psychologie in Würzburg. 2014 – 2020 Tätigkeit als klinischer und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin der Charité – Universitätsmedizin Berlin. 2013 – 2015 Curriculäre Weiterbildung in Sexualtherapie. 2015 – 2021 postgradualer Weiterbildungsstudiengang in Psychologischer Psychotherapie (Verhaltenstherapie) am Zentrum für Psychotherapie der Humboldt-Universität zu Berlin (ZPHU). 2018 – 2020 Zusatzqualifikation Gruppenpsychotherapie. Seit 2020 Dozent in der Ausbildung Psychologische Psychotherapie sowie Aufklärung zu sexualpsychologischen Themen in klassischen und sozialen Medien. Seit 2022 in eigener Praxis niedergelassen.

Wichtiger Hinweis: Der Verlag hat gemeinsam mit den Autor:innen bzw. den Herausgeber:innen große Mühe darauf verwandt, dass alle in diesem Buch enthaltenen Informationen (Programme, Verfahren, Mengen, Dosierungen, Applikationen, Internetlinks etc.) entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abgedruckt oder in digitaler Form wiedergegeben wurden. Trotz sorgfältiger Manuskriptherstellung und Korrektur des Satzes und der digitalen Produkte können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autor:innen bzw. Herausgeber:innen und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.

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Fax +49 551 999 50 111

[email protected]

www.hogrefe.de

Satz: Matthias Lenke, Weimar

Format: EPUB

1. Auflage 2023

© 2023 Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen

(E-Book-ISBN [PDF] 978-3-8409-2911-3; E-Book-ISBN [EPUB] 978-3-8444-2911-4)

ISBN 978-3-8017-2911-0

https://doi.org/10.1026/02911-000

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Zitierfähigkeit: Dieses EPUB beinhaltet Seitenzahlen zwischen senkrechten Strichen (Beispiel: |1|), die den Seitenzahlen der gedruckten Ausgabe und des E-Books im PDF-Format entsprechen.

Inhaltsverzeichnis

1  Beschreibung der Störungen

1.1  Bezeichnung

1.2  Definition

1.2.1  Hypoaktives sexuelles Verlangen

1.2.2  Erektionsstörung

1.2.3  Vorzeitige Ejakulation

1.2.4  Verzögerte Ejakulation

1.2.5  Substanz-/Medikamenteninduzierte sexuelle Funktionsstörung

1.3  Epidemiologie

1.3.1  Hypoaktives sexuelles Verlangen

1.3.2  Erektionsstörung

1.3.3  Vorzeitige Ejakulation

1.3.4  Verzögerte Ejakulation

1.4  Verlauf und Prognose

1.5  Differenzialdiagnose

1.5.1  Subklinische sexuelle Probleme

1.5.2  Abgrenzung verschiedener sexueller Funktionsstörungen

1.5.3  Abgrenzung sexueller Funktionsstörungen von anderen psychischen Störungen

1.5.4  Körperlich bedingte sexuelle Störungen

1.6  Komorbidität

1.6.1  Komorbide sexuelle Funktionsstörungen

1.6.2  Depressive Störungen

1.6.3  Psychotische Störungen

1.6.4  Angst- und Zwangsstörungen

1.6.5  Posttraumatische Belastungsstörung

1.6.6  Substanzmissbrauch

1.6.7  Persönlichkeitsstörungen

1.6.8  Körperliche Erkrankungen

1.7  Diagnostische Verfahren und Dokumentationshilfen

2  Ätiologische Faktoren und Störungsmodelle

2.1  Psychische Faktoren

2.1.1  Persönlichkeit

2.1.2  Kognitionen

2.1.3  Versagensangst

2.1.4  Sexuelle Exzitation und Inhibition

2.1.5  Selbstbefriedigung

2.1.6  Körperbild

2.2  Körperliche Faktoren

2.2.1  Lebensstil und Gesundheit

2.2.2  Onkologische Erkrankungen

2.2.3  Hormone

2.2.4  Beckenboden

2.2.5  Weitere körperliche Faktoren

2.3  Partnerschaft

2.3.1  Unterschiede im sexuellen Verlangen

2.3.2  Sexuelle Kommunikation

2.3.3  Partnerschaftsprobleme

2.4  Soziokulturelle Faktoren

2.4.1  Männlichkeitsmythos

2.4.2  Sex als penetrativer Geschlechtsverkehr

2.5  Biopsychosoziales Störungsmodell sexueller Funktionsstörungen

2.6  Emotional-kognitives Störungsmodell sexueller Funktionsstörungen

3  Diagnostik und Indikation

3.1  Kommunikation und Sprache

3.2  Problemexploration

3.3  Verhaltensanalyse

3.4  Sexualanamnese

3.4.1  Partnerbezogenes Sexualverhalten und -erleben

3.4.2  Selbstbefriedigung

3.4.3  Sexuelle Orientierung

3.4.4  Partnerschaft

3.4.5  Psychosexuelle und allgemeine Entwicklung

3.5  Behandlungsmotivation und Zielklärung

3.5.1  Therapieanlass

3.5.2  Selbst- und Fremdmotivation

3.5.3  Erarbeitung der Behandlungsziele

4  Behandlung

4.1  Setting und Rahmenbedingungen

4.1.1  Sexualberatung oder Sexualtherapie

4.1.2  Einzel- oder Paarbehandlung

4.1.3  Sitzungsfrequenz und -dauer

4.2  Psycho- und Sexualedukation

4.2.1  Physiologie des Penis und der Erektion

4.2.2  Penisform und -größe

4.2.3  Vielfältigkeit der sexuellen Reaktion

4.3  Körperübungen

4.3.1  Spiegelübungen

4.3.2  Beckenbodenübungen

4.4  Kognitive Interventionen

4.5  Paarübungen

4.5.1  Sensualitätsübungen

4.5.2  Sexuelle Kommunikation

4.6  Störungsspezifische Besonderheiten

4.6.1  Hypoaktives sexuelles Verlangen

4.6.2  Erektionsstörungen

4.6.3  Vorzeitige Ejakulation

4.6.4  Verzögerte Ejakulation

4.7  Pharmakologische Behandlung

4.7.1  Hypoaktives sexuelles Verlangen

4.7.2  Erektionsstörung

4.7.3  Vorzeitige Ejakulation

4.7.4  Verzögerte Ejakulation

4.8  Wirkungsweise der Methoden

4.9  Effektivität der Behandlung

4.9.1  Erektionsstörungen

4.9.2  Vorzeitige Ejakulation

4.10  Probleme bei der Durchführung

4.10.1  Fehlende Therapiemotivation

4.10.2  Übungen werden nicht durchgeführt

4.10.3  Probleme bei den Übungen werden nicht angesprochen

4.10.4  Patienten legen Fokus auf körperliche Funktion

4.10.5  Patienten zweifeln, ob Psychotherapeutinnen ihre Beschwerden nachempfinden können

5  Fallbeispiel

6  Weiterführende Literatur

7  Literatur

8  Kompetenzziele und Lernkontrollfragen

9  Anhang

Screening für sexuelle Probleme bei Männern (SSP-M)

Strukturiertes Interview für sexuelle Funktionsstörungen nach ICD-11 bei Männern (SISF-M)

Karten

Exploration eines sexuellen Problems und angrenzender Störungsbereiche

Exploration des partnerbezogenen Sexualverhaltens und -erlebens

Exploration der Selbstbefriedigung und Fragen zur Nutzung von Pornografie und sexuellen Fantasien

Exploration des Partnerschaftsstatus sowie der Partnerschaftszufriedenheit und -konflikte

Exploration von Entwicklungsfaktoren

Hinweise zu den Karten

|1|1  Beschreibung der Störungen

1.1  Bezeichnung

Fallbeispiel 1: Herr A. – Erektionsstörung mit körperlichen und psychischen Faktoren

Herr A., ein 42-jähriger Mann, stellt sich als Patient in einer psychotherapeutischen Praxis vor. Er berichtet im Erstgespräch, dass er seit sieben Jahren mit seiner Partnerin verheiratet sei. Das Paar habe jedoch seit drei Jahren keinen Geschlechtsverkehr mehr. Herr A. führe dies vor allem auf seinen beidseitigen Leistenbruch zurück, den er damals, vor drei Jahren, gehabt habe. Die Leistenbrüche hätten Schmerzen bei der Erektion ausgelöst, sodass er auch heute noch „eine Barriere im Kopf“ habe. Morgendliche Spontanerektionen seien vorhanden. Bei der Selbstbefriedigung werde sein Penis in der Regel steif, er bekomme jedoch „nur eine etwa 80 %ige Erektion“. Eine typische Problemsituation ergebe sich, wenn das Paar abends im Bett liege, kuschele und sich küsse. Er gehe dann davon aus, dass seine Partnerin Geschlechtsverkehr haben wolle und sorge sich, ob er denn dieses Mal erneut „keinen hochbekomme“. Das setze ihn unter Druck und er „funktioniere nicht mehr“. Dabei sei es doch das, was ein Mann beim Sex können müsse: Eine Erektion bekommen und der Partnerin einen Orgasmus verschaffen.

Bei vielen Männern steht ein aktives Sexualleben für Gesundheit und körperliche Leistungsfähigkeit. Sie erwarten von sich ein stetes sexuelles Wollen und Können mit unerschütterlich hoher „Potenz“ und steter „Manneskraft“. Treten nun Schwierigkeiten mit der sexuellen Funktion auf, also kommt der Höhepunkt zu schnell oder die Erektion zu spät bzw. gar nicht, wird dies als Schwäche oder Unzulänglichkeit ausgelegt und tabuisiert. Wiederholen sich nun sexuelle Schwierigkeiten, ist die erste Anlaufstelle in der Regel die urologische Praxis. Oftmals stellen sich Männer dort mit dem Wunsch vor, es möge eine rein körperliche Ursache für ihr sexuelles Problem gefunden werden, welche mithilfe der richtigen Medikation ein für alle Mal behoben werden könne. Negative Gedanken oder Gefühle als auslösende oder wesentliche Begleitfaktoren werden von den Betroffenen ungern bedacht.

Diese vereinfachte Sicht auf sexuelle Probleme wird jedoch längst nicht von allen Männern geteilt. Viele erkennen an, dass Versagensängste, Leistungsdruck, Sorgen über das Problem oder Vermeidung von sexuellen Begegnungen zu einer Verstärkung der Beschwerden beitragen. Tatsächlich liegen die Ursachen für sexuelle Probleme selten auf der Hand: Die meisten Störungen werden durch eine Vielzahl prädisponierender, auslösender und aufrechterhaltender Faktoren beeinflusst. Psychische und körperliche Faktoren können ebenso wie partnerschaftliche Einflüsse dafür sorgen, dass sexuelle Probleme entstehen bzw. einen chronischen Verlauf nehmen.

|2|Zu den häufigsten sexuellen Problemen bei Männern gehören der vorzeitige Samenerguss sowie Schwierigkeiten damit, eine Erektion zu bekommen oder beim Sex aufrechtzuerhalten. Geringes bzw. fehlendes sexuelles Verlangen oder ein verzögerter Samenerguss sind weitere Problembereiche. Wenn derartige sexuelle Probleme häufig und langanhaltend auftreten und der Mann darunter leidet, kann eine sexuelle Funktionsstörung diagnostiziert werden.

Wenige betroffene Männer suchen ein spezifisches psychosoziales Behandlungsangebot für sexuelle Störungen auf und stellen sich z. B. in einer Sexualberatungsstelle vor. Im Rahmen von Psychotherapien stellen sexuelle Störungen ebenfalls nur selten den Behandlungsanlass dar, sondern kommen vielfach erst im Laufe der Behandlung ans Licht (Velten et al., 2021). Wesentlich dafür, dass sexuelle Störungsbilder erkannt und behandelt werden können, ist das aktive Nachfragen von Seiten der Psychotherapeut:innen. Dabei sollten Behandelnde keine falsche Scheu haben: Die meisten Betroffenen wünschen sich, dass aktiv nach sexuellen Problemen gefragt wird. Daher ist eine standardmäßige Exploration der sexuellen Funktion und sexueller Schwierigkeiten sinnvoll, auch wenn der Patient diesen Themenbereich nicht von sich aus anspricht.

Modelle der sexuellen Reaktion sind ein wichtiges Hilfsmittel für die Exploration sexueller Probleme. Ein Modell, welches dazu dient, verschiedene sexuelle Probleme voneinander abzugrenzen und dadurch die Kommunikation mit dem Patienten zu erleichtern, ist das lineare Modell der sexuellen Reaktion (Kaplan, 1974; Masters & Johnson, 1970). Dieses Modell ist in den 1970er Jahren erstmalig publiziert worden und wird seitdem in weitgehend unveränderter Form zur Diagnostik sexueller Funktionsstörungen genutzt. Laut diesem Modell läuft die sexuelle Reaktion in vier nacheinander ablaufenden Phasen ab (vgl. Abbildung 1).

Abbildung 1:  Lineares Modell der sexuellen Reaktion (nach Masters & Johnson, 1970; Kaplan, 1974)

|3|Abbildung 1 zeigt zudem eine Variante, nach der die sexuelle Reaktion bei Männern vom „normalen“ Ablauf abweichen kann: So ist bei Männern mit einem vorzeitigen Samenerguss nur eine sehr kurze Erregungsphase vorgeschaltet, bevor es zum Orgasmus kommt.

In der Phase des sexuellen Verlangens spürt der Mann ein sexuelles Interesse bzw. den Wunsch nach Sexualität. Nach Beginn der sexuellen Stimulation beginnt die Erregungsphase mit verstärkter Durchblutung der Genitalien, Erektion des Penis sowie verstärkter autonomer Erregung mit erhöhtem Blutdruck und beschleunigtem Puls. Die Plateauphase beschreibt den kurzen Zeitraum starker Erregung vor Eintreten des Orgasmus bzw. der Ejakulation. Diese ist durch eine weitere Steigerung von Puls und Blutdruck sowie erhöhte Muskelanspannung gekennzeichnet. Aus den Cowperschen Drüsen wird in dieser Phase das Präejakulat, auch Lusttropfen genannt, abgegeben. In der Orgasmusphase wird die größte Intensität der Lustempfindung erlebt; diese Phase dauert zumeist einige Sekunden an. Es kommt zu unwillkürlichen, rhythmischen Muskelkontraktionen in der Genital- und Analregion und es kommt zur Ejakulation von Sperma. Ejakulation und Orgasmus sind dabei nicht gleichzusetzen, treten jedoch in der Regel gleichzeitig ein. Die autonome Erregung erreicht beim Orgasmus ihren Höhepunkt. Während der anschließenden Rückbildungs- oder Refraktärphase lässt die autonome Erregung nach und die Genitalien kehren in ihren Ursprungszustand zurück. Während dieser Phase ist eine genitale Reaktion auf sexuelle Reize erschwert und es kann in der Regel zu keiner neuen Erektion und keinem weiteren Orgasmus kommen.

Schwierigkeiten können in jeder Phase der Reaktion auftreten und diese unterbrechen oder stören. Das lineare Modell der sexuellen Reaktion bildet den Rahmen für die Störungsbilder, die bis zum heutigen Tag in den Diagnosesystemen aufgeführt werden (z. B. Erektionsstörungen, die der Erregungsphase zugeordnet werden).

1.2  Definition

Während die Einführung der fünften Edition des Diagnostischen und Statistischen Manuals psychischer Störungen (DSM-5; American Psychiatric Association [APA], 2013) eine deutliche Revision der sexuellen Störungen bei Frauen im Vergleich zur Vorgängerversion und zur zehnten Edition des Diagnosesystems der Weltgesundheitsorganisation, der ICD-10 (Dilling, Mombour & Schmidt, 2005), zur Folge hatte, wurden die sexuellen Funktionsstörungen des Mannes nur kleinen Veränderungen unterzogen. Diese beinhalten im Wesentlichen überarbeitete Störungsbezeichnungen sowie eine Präzisierung einzelner Störungskategorien durch Häufigkeits- oder Dauerkriterien. Die deutschen Störungsbezeichnungen der ICD-11 sind zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses Buches erst in vorläufiger Form bekannt. Änderungen zur finalen Version sind möglich. Erfreulicherweise unterscheiden sich die Diagnosen in der ICD-11 nicht sehr stark von denen des DSM-5 (Reed et al., 2016), was eine Orientierung im klinischen Alltag erleichtert.

Auch wenn die spezifischen Störungsdiagnosen von der ICD-10 zur ICD-11 nur kleinen Veränderungen unterzogen wurden, gibt es jedoch grundsätzliche Änderungen in der Systematik, mit der sexuelle Funktionsstörungen diagnostiziert werden. So existieren in der ICD-10 noch zwei Kapitel, in denen sexuelle Störungen ohne orga|4|nische Ursache (Kapitel F52: Sexuelle Funktionsstörungen) von Störungsbildern mit organischer Ursache (Kapitel N: Krankheiten des Urogenitalsystems) getrennt dargestellt werden.

Diese Zweiteilung wird in der ICD-11 aufgegeben, sodass Störungen der sexuellen Funktion im Kapitel Zustände mit Bezug zur sexuellen Gesundheit (Conditions related to Sexual Health) zu finden sind. Diese Veränderung wird dem Perspektivenwechsel gerecht, der in Bezug auf sexuelle Störungen in den letzten Jahrzehnten stattgefunden hat und der eine künstliche Unterteilung nach körperlichen und psychischen Ursachen wenig sinnvoll erscheinen lässt. Im Rahmen einer multifaktoriellen Ätiologie wirken psychische, soziokulturelle oder partnerschaftsbezogene Faktoren für die Entstehung und Aufrechterhaltung sexueller Störungen zusammen (vgl. Kapitel 2.5). Dementsprechend können in der ICD-11 individuell relevante ätiologische Faktoren gemeinsam mit der Diagnose vermerkt werden.

Ätiologische Aspekte bei sexuellen Funktionsstörungen in der ICD-11:

Medizinische Krankheitsbilder, Verletzungen oder Folgen von Operationen oder Strahlenbehandlungen,

psychologische oder Verhaltensfaktoren, inkl. psychischen Störungen,

Gebrauch psychoaktiver Substanzen oder Medikation,

fehlendes Wissen oder fehlende Erfahrungen,

Partnerschaftsfaktoren,

kulturelle Faktoren,

andere ätiologische Faktoren.

Die Neuordnung der Störungsbilder in der ICD-11 führt dazu, dass sexuelle Störungen nicht mehr im Kapitel der psychischen und Verhaltensstörungen aufgeführt sind. Dies birgt das Risiko, dass psychologische Psychotherapeut:innen nicht mehr als Ansprechpersonen für diese Störungsbilder wahrgenommen werden, was möglicherweise zu einer Verlagerung hin zu ärztlichen Behandlungen sowie einer stärkeren Medikalisierung von sexuellen Störungen führt. Ob diese Veränderung Schwierigkeiten bei der Abrechnung von psychologischer Psychotherapie für sexuelle Störungen zur Folge hat, ist nicht abzusehen (Schwesig et al., 2022).

Eine sexuelle Störung kann nach DSM-5 und ICD-11 nur vergeben werden, wenn persönlicher Leidensdruck vorliegt. Das Vorliegen interpersoneller Konflikte mit einer Partnerin bzw. einem Partner reicht für eine Diagnosestellung nicht aus. Dies stellt sicher, dass eine Diagnose nicht ausschließlich aufgrund von unterschiedlichen sexuellen Wünschen und Vorlieben in der Partnerschaft gestellt wird.

Zudem ist eine hinreichende Dauer der Symptome von mehreren (ICD-11) bzw. mindestens sechs Monaten (DSM-5) notwendig. Die meisten Symptome müssen häufig (ICD-11) bzw. in mindestens 75 % der sexuellen Situationen (DSM-5) auftreten und müssen über das hinausgehen, was in Bezug auf Alter und Lebenssituation des Mannes als erwartbar gelten kann. Diese Kriterien erleichtern die Abgrenzung zwischen subklinischen sexuellen Problemen und klinisch relevanten sexuellen Funktionsstörungen. Es wird dem Umstand Rechnung getragen, dass sexuelle Erlebens- und Verhaltensweisen zeitliche Fluktuationen aufweisen und diese häufig funktional bzw. adaptiv (z. B. als Reaktion auf eine akute Belastungssituation) und nicht als sexuelle Funktionsstörung zu werten sind.

|5|Für eine Diagnose nach DSM-5 muss sichergestellt sein, dass die Symptome nicht ausschließlich auf Stressoren in der Paarbeziehung, Medikamenten- bzw. Substanzeinnahme bzw. einen medizinischen Krankheitsfaktor zurückzuführen sind. Wie bereits dargestellt, können in der ICD-11 sexuelle Störungen auch dann diagnostiziert werden, wenn diese z. B. wesentlich durch eine Medikation hervorgerufen werden.

In allen Diagnosesystemen kann spezifiziert werden, ob die Störung lebenslang besteht oder nach einer Phase des relativ normalen sexuellen Funktionierens erworben wurde. Des Weiteren kann angegeben werden, ob die Störung in allen sexuellen Situationen generalisiert oder situativ (z. B. nur bei bestimmten sexuellen Aktivitäten oder bestimmten Partner:innen) auftritt.

Im DSM-5 kann durch ein Schweregrad-Rating (leicht, mittel, schwer) angegeben werden, wie beeinträchtigend oder belastend die jeweilige sexuelle Störung erlebt wird. Tabelle 1 gibt einen Überblick über die verschiedenen sexuellen Funktionsstörungen beim Mann.

Tabelle 1:  Sexuelle Funktionsstörungen bei Männern nach DSM-5, ICD-10 und ICD-11

DSM-5

ICD-10

ICD-11*

Störungen mit verringertem sexuellem Verlangen

Störung mit verminderter sexueller Appetenz beim Mann

Mangel oder Verlust von sexuellem Verlangen (F52.0)

Hypoaktives sexuelles Verlangen (HA00)

Sexuelle Aversion (F52.10)

Mangelnde sexuelle Befriedigung (F52.11)

Störungen der sexuellen Erregung

Erektionsstörung

Versagen genitaler Reaktionen (F52.2) oder Impotenz organischen Ursprungs (N48.4)

Männliche sexuelle Erregungsstörung/Erektionsstörung (HA01.1)

Orgasmusstörungen

Vorzeitige (Frühe) Ejakulation

Ejaculatio praecox (F52.4)

Vorzeitige Ejakulation (HA03.0)

Verzögerte Ejakulation

Orgasmusstörung (F52.3)

Verzögerte Ejakulation (HA03.1)

Sonstige näher bezeichnete sexuelle Funktionsstörungen

Andere näher bezeichnete sexuelle Funktionsstörungen

Sonstige sexuelle Funktionsstörungen, nicht verursacht durch eine organische Störung oder Krankheit (F52.8)

Sonstige näher bezeichnete Krankheiten des Penis (N48.8)

Sonstige näher bezeichnete sexuelle Funktionsstörungen (HA01Y)

* Übersetzungen ins Deutsche basieren auf einer vorläufigen Version der ICD-11. Finale Bezeichnungen können abweichen (Stand Aug. 2022).