Sid Vicious - Alan Parker - E-Book

Sid Vicious E-Book

Alan Parker

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Beschreibung

Die offizielle und umfassende Biografie des enfants terrible des Punk, Sid Vicious. Alan Parker, eine Ikone des Musikjounalismus, hat sich des Themas mit Unsterstützung von Sids Mutter angenommen. Das Ergebnis ist ein offenes, ehrliches und schockierendes Zeugnis der Punk-Ära und einer ihrer größten Stars. Diese Biografie enthüllt auch erstmals die Geschehnisse im Zimmer des Chelsea Hotels in den frühen Morgenstunden des 12. Oktober 1978, als Nancy unter mysteriösen Umständen starb. Illustriert mit rund 70 zum Teil unveröffentlichten Fotografien von Sid Vicious und den Sex Pistols, darunter Bilder von Dennis Morris, Bob Gruen und Roberta Bayley.

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Seitenzahl: 148

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IMPRESSUM

2. Auflage der deutschen Ausgabe Oktober 2011 Titelbild: Dennis Morris Copyright by Alan Parker Übersetzung: Melinda Oros Lektorat: Christoph Straßer Satz: [d] Ligo design + development

ISBN: 978-3-86608-155-0

Titel der Originalausgabe: Vicious - too fast to live veröffentlicht Februar 2004 von Creation Books www.creationbooks.comCopyright © Alan Parker 2003 Alle Rechte vorbehalten.

Ein Nachdruck oder eine andere Verwertung ist nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags gestattet.

U books-Verlag Wellenburger Str. 1 86420 Diedorf www.ubooks.de

Die Rechte an den Fotos liegen bei den Fotografen.

 

INHALTSVERZEICHNIS

EINLEITUNG

KAPITEL 1

KAPITEL 2

KAPITEL 3

KAPITEL 4

KAPITEL 5

KAPITEL 6

KAPITEL 7

KAPITEL 8

KAPITEL 9

KAPITEL 10

KAPITEL 11

KAPITEL 12

KAPITEL 13

KAPITEL 14

KAPITEL 15

KAPITEL 16

KAPITEL 17

KAPITEL 18

KAPITEL 19

KAPITEL 20

ANHANG

EINLEITUNG

Was bewog mich dazu, mag mancher sich vielleicht zu Recht fragen, mich ein weiteres Mal an ein Buch über Sid Vicious heranzuwagen, vierzehn Jahre nachdem ich den Entwurf des ersten Werkes abgegeben hatte? Nun, dafür gibt es gute Gründe. Zunächst muss erwähnt werden, dass <Sid’s Way>, die erste Biographie, in Zusammenarbeit mit seiner Mutter Anne Beverley verfasst wurde — ein Umstand, der das Buch in den Augen vieler Leser wahrscheinlich umso interessanter erscheinen ließ. Doch der Einfluss von Mrs. Beverley führte leider dazu, dass das ursprüngliche Manuskript überarbeitet und alles herausgestrichen wurde, was ihren Sohn nicht im <rechten Licht> präsentierte. Am Ende lag schließlich ein Werk vor, das mehr Bilder als Text beinhaltete. Und genau das hat mich immer gestört, denn wir hatten exzellentes Material auf Tonband aufgezeichnet, durften es aber nicht verwenden.

In diesem Zusammenhang möchte ich Euch auf folgende Website hinweisen: www.avpphila.org. Sie wurde von Nancys Mutter Deborah Spungen erstellt, und Ihr werdet schnell feststellen, warum es wichtig ist, darauf einen Blick geworfen zu haben.

Das eigentliche Motiv, dieses Buch zu schreiben, war jedoch ein anderes: Ich wollte den Namen eines Mannes reinwaschen, dessen Platten ich als Schüler gekauft hatte — ohne zu wissen, dass er kaum auf einer von ihnen tatsächlich selbst gespielt hatte. Ein Mann, ob geliebt oder verhasst, starb mit dem Wort <Mörder> auf seiner Stirn. Doch jemanden umzubringen, das sagen alle, die ihn kannten und von mir in den vergangenen Jahren zu diesem Thema befragt wurden, ist etwas, wozu er gar nicht fähig gewesen wäre. Und diese Einschätzung stimmte, wie sich herausstellen sollte: Es wurde zweifelsfrei bewiesen, dass ein anderer Nancy Spungen ermordet hatte!

Nachdem ich davon erfahren hatte, begab ich mich insgesamt drei Mal nach New York, um mir die Fakten im Zusammenhang mit ihrem Tod genauer anzusehen. Dabei traf ich mich während meines dritten Aufenthalts mit einigen ehemaligen Mitarbeitern des New York Police Departments auf ein Bier — und sie bestätigten diese Theorie — eine Theorie, die Anne Beverley mir vor ihrem Tod bewusst gemacht hatte.

Was meinen Entschluss, Sids Leben noch einmal neu zu beleuchten, zusätzlich beförderte, waren die Pläne seiner alten Plattenfirma. Bei EMI Records war man nämlich der Meinung, dass es angesichts seines 25. Todestags an der Zeit wäre, ein entsprechendes Vicious-Album zu veröffentlichen, mit einigen Extras und einer klasse Aufmachung.

Just in der Woche, als dies beschlossen wurde, war ich mit James Williamson, dem Macher von Creation Publishing, etwas trinken. Ich erwähnte das Sid-Album und er fragte, ob ich noch immer die alten Interview-Bänder mit Anne Beverley hätte. Natürlich hatte ich die noch. Auch Sids Zeit in Paris und New York hatte mich brennend interessiert, lange nachdem das erste Buch abgeschlossen war.

Und plötzlich wurde mir klar, was ich zu tun hatte: Die Zeit war reif für ein neues Sid-Vicious-Buch!

Darzustellen, wie es wirklich gewesen ist, ja, das war längst überfällig. Die knappe Deadline des 25. Todestages vor Augen fühlte ich mich geradezu beflügelt — der Zeitpunkt war perfekt.

Ich habe keinen aus der Familie Spungen, auch Nancys Mutter Deborah nicht, je getroffen. Wobei ich ihren Bruder David — so wurde mir später erzählt — in einem New Yorker Feinkostgeschäft irgendwann nur um einige Minuten verpasst haben soll. Doch es ist mir wichtig, dass sie wissen: Ich bin diesen Weg für sie ebenso gegangen wie für Anne Beverley oder die anderen ihrer Familie. Einer meiner Freunde starb vor ein paar Jahren an einer Überdosis Heroin, und ich bin geneigt zu denken, dass, hätte ich Deborahs hervorragendes Buch <And I Don’t Want To Live This Life> vor seinem Tod gelesen, ich ihm vielleicht eine größere Hilfe gewesen wäre.

Wie gut kannte ich Anne Beverley? Einfache Antwort: In der Tat sehr gut. Habe ich ihr vertraut? Ja. Sie schien immer sehr fair in der Beurteilung von Menschen. Habe ich sie verstanden? Das zu beurteilen, ist nach wie vor schwierig. Nun, manchmal war ich sicherlich überzeugt davon, manchmal blieben am Ende aber auch Zweifel. Was weiß ich von Sid, was es bisher noch nicht zu lesen gab? Ziemlich viel eigentlich. Ich denke, es ist an der Zeit, dass die ganze Wahrheit ans Tageslicht kommt. In einem Band.

Bin ich immer noch ein großer Sex Pistols Fan? Nach vier Büchern, von denen eines unveröffentlicht bleiben wird, bin ich mir nicht mehr sicher. Viele Ereignisse der letzten Jahre, vor allem die Crystal Palace Show 2002, haben einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen. Um ehrlich zu sein, ich habe meine doch recht umfangreiche Sex-Pistols-Sammlung Anfang 2003 verkauft. Einige Sachen habe ich allerdings behalten. Anscheinend konnte ich doch nicht hundertprozentig Abschied nehmen …

<You are the reason for my laughter and my sorrow, blow out the candle, I will burn again tomorrow.> — Ein einfacher Dank an diejenigen, die wissen, was damit gemeint ist.

Ende September 2003 wird dieses Buch abgeschlossen sein. Dann, im Dezember, werde ich gemeinsam mit meinem Verleger nach New York reisen, ein letztes Mal das Chelsea Hotel besuchen — gewissermaßen als Schlusspunkt hinter diesen Teil meines Lebens — und weiterziehen. Das Zimmer Nummer 100, in dem Nancy ermordet wurde, gibt es nicht mehr. Sie haben dort nur noch Zimmer, die bis 99 gehen, dann geht es weiter mit 101. Und wenn Ihr jemals ins Chelsea kommen solltet, erwähnt Sid und Nancy bitte nicht. Die Leute dort reagieren alles andere als freundlich, wenn sie ihre Namen hören.

Es gibt einige Menschen, denen ich in entsprechender Reihenfolge danken möchte, dass sie dieses Projekt ermöglicht haben: James Williamson — er war maßgeblich an der Realisierung beteiligt; Steve Woolf (EMI) — er hat es zu mehr als nur einem einfachen Buch gemacht; Robert Kirby (PDF) — es ist gut, jemanden im Kampf an seiner Seite zu haben; Lucy Granville — sie hat die Welt auf meine Arbeit aufmerksam gemacht; Karen (Planet PR) — sie hat von Anfang an hinter mir gestanden; Edward Christie (Abstract Sounds) — er hat unerschütterlich an mich geglaubt; Chris Charlesworth (Omnibus) — er hat mir als Erster eine Chance gegeben; Anne Beverley — ohne sie hätte eines Tages so mancher allein diesen Pistols-Film für die <Realität> gehalten; Steve & Martin (Chrysalis TV) — sie haben die Flamme am Brennen gehalten; Jonathan Richards, mein Verleger — er meint stets: «Just do it!», dafür danke ich ihm; Sil Wilcox (Cruisin’ Music) — er hat mir dabei geholfen, das Ding in Ordnung zu bringen; Mark Arnold — er hat an die Sache geglaubt; Keith Bateson — er hat das Projekt mit verwirklicht; Vicky Mockett, wo immer sie auch sein mag — sie hat für den Anfang gesorgt.

Außerdem gilt mein Dank all den lieben Menschen, die meinetwegen die Zeit mit Sid ein zweites Mal durchlebt und mich freigiebig mit Kaffee, Keksen und wertvollen Informationen versorgt haben. Wenn es ein Leben nach dem Punkrock gibt, seid Ihr auf meiner Gästeliste: Jonathan McCaughey, Mick O’Shea, Uncle George X, Alan Garvin, Incredibly Sexy Kelly, Dave Pearce, Rav Singh, Simon Mattock, Melissa Palmer — meine Seelenverwandte, Phil Hendriks, Steve Burch, Ian Duckworth, Goz — mein Tätowierer (RIP), Phil Strongman, Wayne Connolly, Brian Jackson, Jack Kane, Scott Murphy, Andy Davis, Pat Gilbert, Ellie, Joe Alvarez, Tom & Lee (Vivianne Westwood), Maz, Little Aussie Ruth, Fi und Paul Burgess.

<I ain’t no vision, I’m the man who loves you inside and out, backwards and forwards with my heart hanging out.> — Aus ganzem Herzen für die meisten oben Erwähnten.

An meine Eltern und mein Bruder David: Einfach danke! Die ganze Sache hat fünfzehn Jahre gedauert, nur um zum Ausgangspunkt zurückzukehren — und jetzt endlich geht es an die Öffentlichkeit. An Jake Burns, Bruce Foxton, Ian McCallum und Steve Grantley bzw. Stiff Little Finger an Dich: Danke, dass Ihr mir das Gefühl gegeben habt, Teil einer Rock-‘n’-Roll-Familie zu sein …

Es waren wohl zu viele Fotografen, als dass ich jeden einzelnen würdigen könnte, deshalb geht mein herzlicher Dank stellvertretend an Bob Gruen, Dennis Morris, Roberta Bayley, Ray Stevenson, Ian Dickson und allen anderen bei Rex Features Ltd.

Sid Vicious wäre 2004 siebenundvierzig Jahre alt geworden und, höchstwahrscheinlich, noch nicht lange aus einem der härtesten amerikanischen Gefängnisse freigekommen, in dem er wegen eines Mordes saß, den er nie begangen hatte.

Warum brauchen wir ein neues Buch über ihn? Die Antwort ist einfach: Es ist an der Zeit, ehrlich zu sein!

Alan ParkerMaida Vale, LondonOktober 2003

Foto: Roberta Bayley

 

KAPITEL 1

Face front you got the future shining like a piece of gold, but I swear as we get closer it looks more like a lump of coal (aus All The Young Punks von The Clash)

Ich traf Anne Beverley zum ersten Mal Ende September 1988, und eigentlich war sie es, die mich auf die Idee mit der Biographie brachte: Sie fragte ganz unverblümt, ob ich nicht ein Buch über ihren Sohn schreiben wollte. Zu dieser Zeit hatte ich gerade die Phase der Fanzines hinter mir gelassen und war in der Welt des Rockjournalismus angekommen. Doch die Vorstellung, mehr als drei Seiten über jemanden zu schreiben, erschien mir damals als der reinste Horror.

In den letzten Tagen bei Spiral Scratch meinte der Verleger Lee Wood zu mir, ich solle die Idee aufgreifen und etwas daraus machen. Also nahm ich erneut Kontakt zu Anne auf, und sie schlug vor, dass wir uns bei einem Essen in Swadlincote treffen sollten. Sie hasste London, zu viele schlechte Erinnerungen und die Geister der Vergangenheit an jeder Ecke.

Sid als Kleinkind (1960). wie er im Garten der Eltern John Ritchies herumtobt. (Foto: Anne Beverley)

Es war ein Freitagnachmittag, als ich mich auf den Weg machte. Ich hatte keine Ahnung, wohin ich da eigentlich fuhr, setzte mich einfach in den Zug nach Burton-On-Trent. Dort, so hatte Anne gesagt, wollte sie mich abholen. In Birmingham New Street musste ich umsteigen — eine Station, an der immer noch ein altes Werbeplakat für britisches Gas zu sehen war mit der Aufschrift: If You See Sid Tell Him … Ich lachte in mich hinein. Das Abenteuer sollte beginnen …

John Simon Ritchie wurde am 10. Mai 1957 geboren, und es existiert lediglich eine Geburtsurkunde zu seiner Person. Einundzwanzig Jahre später, nachdem er seinen Traum wahrgemacht hatte und Popstar geworden war, starb er. Doch den Totenschein, den seine Mutter damals entgegennahm, war auf Simon John Beverley ausgestellt, der wiederum nie eine Geburtsurkunde hatte.

John Ritchie mit Baby Sid

John Ritchie senior hatte Anne Randall kennen gelernt, als sie für kurze Zeit Mitglied der RAF war. Ritchie selbst gehörte der königlichen Garde vor dem Buckingham Palace an.

Während Anne in späteren Jahren mit Begeisterung von der RAF spricht, zeigen die vorliegenden Informationen, dass ihre Mitgliedschaft nicht länger als zwei Monate gewesen sein kann. Was John Ritchie anbelangt, so war sein Arbeitsplatz tatsächlich eine Zeit lang der Buckingham Palace, doch diesen Posten gab er lange vor 1977 auf. Eine Tatsache, die John Lydons musikalische Untermalung im Film <The Filth And The Fury>, in dem Sids Vater Wache schiebt, während sein Sohn den A&M-Plattendeal unterzeichnet, einigermaßen albern erscheinen lässt.

Dieses Buch erzählt nicht die Geschichte der Sex Pistols. Eine intensive Auseinandersetzung mit ihnen findet hier nicht statt — dafür möchte ich mich auch nicht entschuldigen. Wenn Ihr etwas über die Pistols erfahren wollt, lest <England’s Dreaming> von John Savage, das bei Faber & Faber erschienen ist. Sehr zu empfehlen! Dieses Buch hier hingegen soll einen besseren Einblick ins Leben von Simon John Beverley ermöglichen.

Es heißt, Anne Randall schmolz dahin und fiel in die wartenden Arme von John Ritchie. In Wirklichkeit jedoch hatte sich Ritchie Hals über Kopf in Anne verliebt und machte ihr so lange den Hof, bis er schließlich eroberte, was er für seine zukünftige Braut hielt.

Anne war früh von zu Hause ausgezogen, im zarten Alter von achtzehn Jahren zur Air Force gegangen und hatte schnell geheiratet. Ich habe sie oft interviewt — es sind insgesamt über zwanzig Stunden auf Band! —, doch kein einziges Mal erwähnte sie den Namen ihres ersten Ehemannes. Sämtliche Gespräche drehten sich um John Ritchie, der ihr ein Kind geschenkt, sie aber nie geheiratet hatte. Er war aus ihrem Leben mit derselben Leichtigkeit verschwunden, mit der er zwei Jahre zuvor darin aufgetaucht war.

Bei der Geburt. des Sohnes fast pleite, kam John Ritchie auf die Idee, London und alle Probleme hinter sich zu lassen und auf Ibiza neu anzufangen — ganze dreißig Jahre vor der <Aussteiger-Generation>. Anne und Simon bzw. Sime, wie er für seine Mutter für alle Zeit heißen sollte, machten sich also auf den Weg zu der sonnenverwöhnten Insel. Sids Mutter war allerdings bereits zu diesem Zeitpunkt skeptisch, dass das Versprechen vom großen Geld mehr als nur leeres Geschwätz war … und dass John Ritchie überhaupt nachkommen und an ihrer Seite bleiben würde. Um sich auf Ibiza durchzuschlagen, benutzte Anne gefälschte Kreditkarten und profitierte von einer großen Portion Güte anderer. Sie tippte ein wenig für Freunde und drehte für alle möglichen Leute Joints.

Mutter und Sohn auf Ibiza - ohne Ahnung, was die Zukunft bereithäIt …

1961 kehrten die beiden nach London zurück. In der Vergangenheit wurde behauptet, dass Simon während des Aufenthaltes auf Ibiza eine Fremdsprache erlernt und zu Ella-Fitzgerald-Platten gesungen hätte. Außerdem sei er angeblich betrunken gewesen in der Nacht, als ein Freund Annes prophezeite, dass er Premierminister werden würde. Leider waren all das nur unglückliche Versuche, der Vergangenheit ihres Sohnes ein wenig Farbe zu verleihen … und ein Schriftsteller, der um sein erstes Werk bemüht war und einer Mutter voller Trauer etwas Trost spenden wollte.

Das erste Problem, mit dem sie bei ihrer Ankunft in London konfrontiert wurden, war Annes Aussehen. Der dortigen Mode entsprechend hatten die Frauen tagsüber eine hochtoupierte Frisur und einen Rock zu tragen, der fünf Zentimeter bis unterhalb die Knie reichte. Doch Annes Haarpracht war gerade mal zwei Zentimeter lang und ihr Rock endete fünf Zentimeter über dem Knie, von den engen Jeans, die sie bei Gelegenheit trug, ganz zu schweigen. Mitten in Soho zog sie damit die anzüglichsten und verächtlichsten Bemerkungen auf sich, die man sich vorstellen kann. Natürlich bekam Simon das alles mit.

Anne gab ihrem Sohn einen Leitsatz mit, der sein Image bestimmen sollte: «Du bist du, und du kannst alles tun und lassen, was du willst, solange du keinem Schaden zufügst. Du sollst die Möglichkeit haben, alles zu tun, was du verfickt noch mal willst.»

In solch jungen Jahren, erzählte sie mir später, kann man sicher sein, dass all dies ihn geprägt hat. Der junge zukünftige Sex Pistol wechselte die Schule fast so oft wie die Mutter die Adresse oder den Arbeitsplatz; Simon hasste die verschiedenen Schulen, die er besuchte. Schließlich verschwand er aus der Stoke Newington Church Street im Alter von fünfzehn Jahren, gänzlich entgegen Annes Vorstellungen.

Bereits lange vor dieser Zeit war John Simon Ritchie zu Simon John Beverley geworden. Bald, nachdem der Vater sich aus dem Staub gemacht hatte, war Anne dazu übergegangen, ihren Sohn Simon zu nennen. John hätte schließlich nach all dem, was vorgefallen war, nur allzu deutlich den Bezug auf John Ritchie erkennen lassen.

Ende des Jahres 1964 war Anne Chris Beverley begegnet und hatte sich Hals über Kopf in ihn verliebt. Chris kam aus einem völlig anderen sozialen Hintergrund als Anne oder ihre Familie. Seinen Lebensstil konnte man wohl als <eine Stufe höher> bezeichnen.

Anne erzählte mir bei unserem zweiten Treffen, dass die Tatsache, ihn getroffen zu haben, wie ein Sechser im Lotto gewesen war.

Bowie-Boy und <Wild Thing>

Nach wildem Umwerben heirateten sie im Februar 1965. Doch bevor Chris es schaffte, den ganzen Papierkram zu bewältigen, der für Simons Adoption notwendig gewesen wäre, starb er völlig unerwartet noch im August desselben Jahres. Sein Verlust setzte Anne weitaus mehr zu, als es nach außen hin zu erkennen war. Für die Öffentlichkeit spielte sie die Harte, biss die Zähne zusammen und kämpfte weiter, die Realität jedoch sah ganz anders aus. Nachts ging sie an Chris’ Grab, nur um mit ihm zu reden, bei ihm zu sein und sich bewusst zu machen, dass sein Tod Wirklichkeit war. Immer wieder redete sie sich ein, dass Tragödien nicht länger Teil ihres Lebens sein würden — und mit diesem Bewusstsein konnte sie weiterkämpfen, weiterleben …

In dieser Zeit wurde Simon von seiner bisherigen Schule genommen und konnte dank einer Nanny, die alte Dame, die auch für Chris Beverley gesorgt hatte, und der finanziellen Unterstützung von Chris’ Eltern fortan eine private Schule besuchen. Bereits am ersten Tag seines Aufenthalts dort stieß er die anderen vor den Kopf, indem er behauptete, er glaube nicht an Gott. Er war kein widerspenstiges Kind, aber es gefiel ihm zu zeigen, dass er Leute schockieren konnte. Wohlgemerkt, dasselbe Kind, von dem seine Nanny später berichtete, dass ihn nichts glücklicher machte, als stundenlang dazusitzen und mit Action Man Kämpfe auszutragen.

Zu gegebener Zeit würde Sid selbst zu einer Actionfigur werden.

In dieser Phase wurde das Leben etwas geordneter. Anne kaufte ihrem Sohn ein Fahrrad auf Raten, das nicht nur für die Schule nützlich war, sondern den beiden auch erlaubte, Radtouren am Wochenende zu machen. Obwohl er kein Intellektueller in der Schule war, zeigte Simon eine große Aufgeschlossenheit gegenüber Geschichte.