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Wisława Szymborska, die berühmte polnische Dichterin und Literaturnobelpreisträgerin, widmete sich regelmäßig auch den Anliegen des literarischen Nachwuchses. In der polnischen Wochenzeitschrift »Literarisches Leben« beantwortete sie Hilfegesuche und Fragen von angehenden Autorinnen und Autoren, nahm zu eingereichten Manuskripten Stellung und offenbarte mit charmanter spitzer Feder ihre reiche Erfahrung als Leserin und Literatin.
Wenn Sie dichten und der Kugelschreiber schmiert oder die Verse an die Liebe, die Freundschaft, die Jahreszeiten hinken, dann sind Sie hier richtig: Wisława Szymborska weiß Rat. Ihre »Anregungen für angehende Literaten« sind wunderbar pointiert und so heiter wie selbstironisch, denn die Fallstricke des literarischen Geschäfts kannte sie aus der eigenen Anschauung.
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Seitenzahl: 121
Wisława Szymborska
Sie sollten dringend den Kugelschreiber wechseln
Anregungen für angehende Literaten
Aus dem Polnischen von Renate Schmidgall
Suhrkamp
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eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2023
Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage des suhrkamp taschenbuchs 5330.
© Suhrkamp Verlag AG, Berlin, 2023All works by Wisława Szymborska © The Wisława Szymborska FoundationAlle Rechte vorbehalten. Wir behalten uns auch eine Nutzung des Werks für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.
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Umschlaggestaltung: Rothfos & Gabler, Hamburg
Umschlagfoto: Wojciech Plewinski, (c) Forum/Süddeutsche Zeitung Photo
eISBN 978-3-518-77594-3
www.suhrkamp.de
Cover
Titel
Impressum
Inhalt
Informationen zum Buch
Cover
Titel
Impressum
LITERARISCHER BRIEFKASTEN
An einen Beobachter, Krakau
An H. J., Rożnica
An Harry, Stettin
An H. C. (oder G.?), Słomniki
An Barbara D., Bytom
An E. T., Lublin
An Kryst. J., Sędziszów
An M. Z., Warschau
An Ata, Kalisz
An Mars, Wieliczka
An Magro, Krynica
An J. Szym., Lodz
An Wł. P., Gdynia
An Il. C., Słupsk
An T. Z., Jelenia Góra
An Wł. T-K., Poronin
An OL, Krakau
An Kajka, Radom
An P. Z. D., Chorzów
An Łubin
An Marlon, Bochnia
An H. W., Warschau
An Z. Z., Lodz
An Nowogard
An W-icz, Lublin
An B. K., Goleniów
An M. D.
An W. K., Lublin
An Halina W., Białystok
An H. C., Krakau
An J. W., Warschau
An einen Sucher, Kudowa
An Waldemar, Krakau
An U. T., Krakau
An Eug. Ł., Inowrocław
An Tede., Chełm, Bezirk Lublin
An Z. H., Stettin
An Ula, Sopot
An Ir. Przyb., Danzig
An Pal-Zet, Skarżysko Kam.
An Grażyna, Starachowice
An Zb.-P., Lublin
An P. G., Katowice
An L. P., Kutno
An einen Bewohner von Kalisz
An Ary, Stettin
An G. A., Szczyrk
An A. O. K.
An B. L., Woiwodschaft Breslau
An Heliodor, Przemyśl
An Alkibiades, Żywiec
An R. B. Lanckorona
An Tad. G., Warschau
An Benigna K., Danzig
An Miodnica
An Marek T., Zakopane
An K. K., Bytom
An Esko, Sieradz
An Elżbieta G., Warschau
An K. K. K., Katowice
An M. G., Breslau
An Jawor aus Jawor, Breslau
An Michał, Nowy Targ
An B. Bz., Breslau
An Cz. B., Lodz
An B. K., Radom
An M. M., Breslau
An Ewa, Bytom
An Z. N-ski, Wadowice
An Me-Lon, Katowice
An M. O., Trzebień
An A. G. K.
An B-dan, Chełm, Bezirk Lublin
An H. O., Poznań
An M. Mar., Warschau
An A. M., Warschau
An M. N., Warschau
An Janusz Brt., Krakau
An Br. U., Warschau
An P-ł, Sopot
An L. G., Stettin
An E. K., Rudy Raciborskie
An Mił, Brzesko
An 3333, Kielce
An A. A., Białystok
An L. K., aus der Gegend von Krakau
An Zb. K., Poznań
An P. F., Krakau
An Ładny, Bydgoszcz
An Kamila W.
An B. G., Tarnów
An Kar. M., Sędziszów
An M. K., Lublin
An W. W. M., Katowice
An A. K., Zagłębie
An Paw. Łuk., Warschau
An M. A. K., Stettin
An Kali, Lodz
An Zygfryd Miel., Danzig
An B. D., Piastów bei Warschau
An P-ł, Lublin
An Belka, Gniezno
An Puszka, Radom
An Grzywa, Zakopane
An Ewus, Chełm, Bezirk Lublin
An T. W., Krakau
An Idem, Radomsko
An Olgierd, Olsztyn
An M. J., Warschau
An K 4, Stettin
An D. D., bei Krakau
An Pero Z., Chełm, Bezirk Lublin
An Paulina, Jelenia Góra
An L. W., Przemyśl
An M. G., Gdynia
An Wojciech Z., Kielce
An Marek aus Warschau
An B-w, Bochnia
An J. G., Bezirk Żywiec
An J. G., Zielona Góra
An einen Thomisten, Sopot
An K.W. Sz., Bytom
An G.O.
An Kali, Katowice
An Bożena W., W.
An Hi, Bochnia
An L. Ar., Krakau
An W. S., Wałbrzych
An Patyk, Kielce
An Leon und Tymoteusz
An Ludomir, Olsztyn
An L-k B-k, Słupsk
An Ł. W., Krakau
An M. S., Koszalin
An Hen. Zet., Warschau
An El. M. T., Poznań
An Piotr Gż., Krakau
An Helena B., Lublin
An Al. M., Poznań
An J. W., Warschau 32
An R. S., Olsztyn
An LO-FM, Gdynia
An Z. Ł., Brzeg
An Nikodemus R., Bytom
An Z.B., Lubiąż
An Merlin, Słupsk
An E. F., Września
An Meri, Krakau
An Leo W., Danzig
An Bożena F., Lublin
An Bolesław L-k, Warschau
An den Autor der »Welt des Pianisten«
An 71, Otwock
An P. W., Krakau
An Amaba
An Anonymos, Krakau
An M. K., Miastko
An J. St., Breslau
An Rob. W., Białystok
An Z. H., Poznań
An Dr.
Ł. K.
An Sultan
An W. H-k, Przemyśl
An Maciej JI., Kielce
An Br. K., Laski
An W. K., Bezirk Katowice
An W. und K., Kreis Koszalin
An Wald., Warschau
An L. O. 88, Nowa Huta
An Maria Dorota
An M-Ł, Warschau
An B. K. L., Zgierz
An Ka-ma
An Br. Z-ki, Danzig
An L. I. P., Koszalin
An Reg. L., Krakau
An Z. O., Olsztyn
An Baśka
An Tomasz K., Chełm, Bezirk Lublin
An K. T., Lodz
An C. P., Stettin
An Roland, Woiwodschaft Lublin
An T. K., Płock
An Elwira, Puck
An T. G., Breslau
An Honorata O.
An A. K., Słupsk
An Luda, Breslau
An Żegota, Białystok
An A. S., Ciechanowice
An A. M-K, Breslau
An Marcus, Limanowa
An Pegasus, Niepołomice
An Homo, Trzebinia
An Mimu, Krakau
An Wanda Kw., Danzig
An W. Karb, Krakau
An P. G. Kr., Warschau
An J-M. K., Myślenice
An Welur, Chełm
An Melissa V., Krakau
An A. P., Białogard
An Karol C., Krakau
An J. Grot
An E. Ł., Warschau
An Malina Z., Krynica
An S-o., Lesbos
P. C. Tac., Rom
An M. E. De Mont
An W. S., London
Gespräch über den »Literarischen Briefkasten«
Fußnoten
Informationen zum Buch
Sie sollten dringend den Kugelschreiber wechseln
Sie unterstellen uns, junge literarische Talente niederzumachen. »Diese zarten Pflänzchen«, lesen wir, »muss man hegen und pflegen, und nicht, wie ihr es macht, ihre Schwächen kritisieren, die Unzulänglichkeit einer noch nicht ausgereiften Frucht.« Wir sind gegen eine Aufzucht literarischer Pflänzchen im Treibhaus. Die Pflänzchen müssen in einem natürlichen Klima wachsen und sich rechtzeitig an dessen Bedingungen anpassen. Manchmal denkt das Pflänzchen, es werde zur Eiche heranwachsen, wir aber sehen, dass es sich um ganz normales Gras handelt. Selbst die fürsorglichste Pflege wird es nicht in eine Eiche verwandeln. Natürlich können wir uns bisweilen in der Diagnose irren. Doch wir verbieten diesen Pflänzchen ja nicht zu wachsen, reißen sie nicht mit der Wurzel aus. Sie können weiterwachsen, um irgendwann einmal unseren Irrtum zu beweisen. Wir werden uns begeistert zu unserer Niederlage bekennen. Wenn Sie unsere Rubrik übrigens mit etwas mehr gutem Willen läsen, würden Sie bemerken, dass wir immer bemüht sind, das Lobenswerte hervorzuheben, wenn wir etwas finden. Dass es relativ wenig zu loben gibt, ist nicht unsere Schuld. Literarisches Talent ist kein Massenphänomen.
*
Es kommt recht häufig vor, dass ein Redakteur des »Briefkastens« Drohbriefe lesen muss. Diese Briefe klingen ungefähr so: Bitte sagen Sie mir, ob meine Texte etwas wert sind – wenn nicht, werde ich sofort aufhören zu schreiben, werde sie zerreißen, wegwerfen, mich von meinen ruhmvollen Träumen verabschieden, an mir selbst zweifeln, werde ich ein gebrochener Mensch sein, werde ich zu trinken anfangen, werde aufhören, an den Sinn meines Lebens zu glauben, und so weiter und so fort. In solchen Fällen weiß der Redakteur nicht, was er tun soll. Denn alles, was er antworten müsste, kann gefährlich werden. Wenn er schreibt, die Prosa oder die Gedichte seien schlecht, ist die Tragödie perfekt. Wenn er schreibt, sie seien gut, wird der Autor übermütig und bildet sich sonst was auf seine Begabung ein. (Solche Fälle hat es schon gegeben.) Manche fordern auch, wir sollten unverzüglich antworten, weil sonst schreckliche Dinge geschehen könnten. Sie geben uns nicht einmal Zeit zum Nachdenken.
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Sie haben eine lange Liste von Schriftstellern angefertigt, deren Talent Redakteure und Verleger anfangs nicht erkannten, was diese später verschämt bereuten. Wir haben die Anspielung sofort verstanden und Ihre Feuilletons mit der unserer Fehlbarkeit angemessenen Demut gelesen. Sie sind nicht aktuell, aber das macht nichts. Sicher werden sie in Ihren »Gesammelten Werken« gedruckt werden, falls Sie außerdem noch etwas in der Art der »Puppe« oder des »Pharao« schreiben.
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Wir bitten Sie – was heißt da, bitten … Wir flehen Sie an: Schicken Sie uns bitte leserliche Manuskripte! Indessen erhalten wir immer wieder – vielleicht passend zum Lieben Herrn Thomas Mann – mit winzigen Buchstaben beschriebene Seiten, mit Klecksen und Schnörkeln als Unterschrift. Zu allem Überfluss können wir uns nicht angemessen revanchieren, da die Meister der Druckkunst leider noch keine unleserliche Schrift erfunden haben. Sobald das geschieht, werden wir Ihnen antworten.
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Nicht nur Manuskripte, auch Typoskripte können unleserlich sein. Sie haben uns anscheinend den zehnten Durchschlag geschickt. Erbarmen – neue Augen bekommt man nicht einmal für Devisen. Anfangs dachten wir, Sie haben eine Speisekarte in den Umschlag gesteckt. Denn in unseren Betrieben für kollektive Verpflegung wandern die guten, deutlichen Kopien in der Regel in die Buchhaltung und die schlechteren in die zitternden Hände der Kunden.
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Wir lesen und lesen, quälen uns durch die fleckigen und von Streichungen schwarzen Seiten, und plötzlich kommt uns wie eine Erleuchtung der Gedanke: Warum dürfen wir nicht auch einmal frustriert sein? Andere dürfen – und wir nicht? Warum müssen wir das lesen wollen, da doch alles davon zeugt, dass nicht einmal der Autor Lust hatte, den Text ins Reine zu schreiben? Natürlich müssen wir das nicht lesen wollen. Gründe lassen sich immer finden: Es regnet, Gienia ist dumm, das Knie tut uns weh, Ala hat eine Katze, die Kowalskis machen sich ein schönes Leben, keiner nimmt uns mit ins Kino, die Zeit vergeht, es ist langweilig, und irgendwann wird die Welt sowieso untergehen. Dann neigen wir uns wieder demütig über den Text, um ihn irgendwie zu Ende zu lesen. Aber antworten müssen wir nun wirklich nicht.
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Liebe Frau J., wir kaufen weder Ideen noch verkaufen wir sie. Auch vermitteln wir nicht den Ankauf oder Verkauf derselben. Nur einmal, aus Gutherzigkeit und ohne jeden Eigennutz, haben wir einem Bekannten eine Idee für einen Roman empfohlen – von einem Kaufmann, der sich in die Luft gesprengt hat. Der Bekannte fand die Idee jedoch zu extravagant und war der Meinung, daraus lasse sich nichts machen. Seitdem sind wir enttäuscht.
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Das Leben eines Redakteurs des »Literarischen Briefkastens« ist voller Überraschungen. Man verlangt unmögliche Dinge von uns. Da bittet man uns zum Beispiel um einen (privaten!) Brief, in dem stehen soll, wie und was man zu schreiben hat, wenn man gedruckt werden will. Andere bitten uns, Material für ihren Schulaufsatz zu sammeln oder ihnen ein Referat zu schreiben. Dritte wiederum wünschen sich eine vollständige Liste von Büchern, die man lesen sollte, als würde die Entwicklung eines Schriftstellers nicht absolute Selbständigkeit auf diesem Gebiet verlangen. Sie haben die Lektüreliste auf freundliche Art vervollständigt, Herr Marek, uns einige finnische Gedichte (im Original!) geschickt und vorgeschlagen, wir sollten etwas für die Publikation auswählen, das Sie dann gerne für uns übersetzen. Also – die Gedichte machen einen guten Eindruck, sie sind auf schönes Papier geschrieben, der Schrifttyp ist hübsch und gut lesbar, die Abstände und Ränder sind gleichmäßig, nur ein Wort ist mit blauem Kugelschreiber gestrichen, was das Gedicht nicht besonders verunstaltet und überdies von einer sorgfältigen Überarbeitung des Manuskriptes zeugt.
*
Wir sind ins Träumen geraten bei Ihren hübschen Versen voll vornehmer Affektiertheit. Hätten wir ein Schloss mit Liegenschaften, würden Sie das Amt der Hof-Poetessa bekleiden; Sie würden das Leid eines Rosenblatts besingen, auf das sich ungebeten eine Fliege gesetzt hat, und uns dafür loben, dass wir das hässliche Ding mit zarten Fingern von der zauberhaften Blüte vertreiben. Natürlich würde ein Dichter, der uns zwölf mit Bigos vergiftete Onkel präsentiert, als völlig untalentiert sofort im Kerker landen. Das Seltsamste aber ist, dass der Vers über die Rose ein Kunstwerk sein könnte und das Gedicht über die Onkel schlecht … Jaja, die Musen sind amoralisch und launisch. Manchmal favorisieren sie Lappalien. Wichtig ist aber, dass der Dichter die Sprache seiner Zeit spricht. Ihre Werke sind altmodisch in Form und Begrifflichkeit. Das ist ungewöhnlich für ein neunzehnjähriges Mädchen. Oder haben Sie die Strophen vielleicht aus dem Poesiealbum Ihrer Urgroßmutter abgeschrieben?
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