Skalp-Killer - J.S. Ranket - E-Book
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Skalp-Killer E-Book

J.S. Ranket

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Beschreibung

Weil ein anderer für ihn büßen musste, konnte er jahrelang ungestört töten. Bis er einen fatalen Fehler beging … Eigentlich wollte Kommissarin Kara Matthes nur einen entspannten Urlaub mit ihrem neuen Freund Lukas verbringen. Als sie auf einem Ausflug ein übel zugerichtetes Mädchen finden, glauben sie deshalb auch zunächst nur an einen Unfall. Doch schon bald müssen sie feststellen, dass sie dabei offenbar über ein Geheimnis gestolpert sind, das am besten verborgen geblieben wäre. Ihre erste gemeinsame Reise entwickelt sich plötzlich zu einem Wettlauf um Leben und Tod, bei dem nicht nur ein irrer Killer hinter ihnen her ist.

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Seitenzahl: 283

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J.S. Ranket

Skalp-Killer

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

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Anmerkung des Autors und Danksagung

Impressum neobooks

-1-

Das hätte sich Kara Matthes eigentlich denken können! So einfach in das Büro des Dezernatsleiters spazieren und sich um die ausgeschriebene Stelle bewerben, musste ja in die Hose gehen. Auch wenn sie eine der Jahrgangsbesten war. Aber wahrscheinlich war ihr, wie so häufig, ihre große Klappe auf die Füße gefallen.

Und dabei hatte alles so gut angefangen. Der Chef blätterte wohlwollend in ihren Unterlagen und stellte ein paar Fragen, die sie, nach seinem Gesichtsausdruck zu urteilen, recht professionell beantwortete. Blöderweise kam dann die Hauptkommissarin, in deren Team besagte Stelle zu besetzen war, dazu. Die dämliche Zicke konnte sie von Anfang an nicht leiden und mäkelte so ziemlich an allem herum. Wahrscheinlich wollte sie nicht, dass sie in ihrem Sandkasten mitspielte und womöglich den anderen Kollegen den Kopf verdrehte. Aber schließlich konnte Kara nichts dafür, dass sie hübsch war. Niemals würde sie ihre sportliche Figur in irgendwelchen Schlabberklamotten verstecken oder ihre schwarze Mähne unter eine Mütze stopfen.

„Wir melden uns bei Ihnen“, säuselte die arrogante Kuh übertrieben freundlich nach einer guten halben Stunde. Doch genau genommen hieß das wohl: „Lecken Sie uns am Arsch!“

Aber so war Kara zumindest vor schwachsinnigen Fragen flüchtiger Bekannter und neugieriger Nachbarn sicher. Ihre richtigen Freunde hatten jedenfalls sehr schnell kapiert, dass es keine ständigen SOKOs oder Mordkommissionen gab. Auch wenn das im Fernsehen laufend so suggeriert wurde. SOKO dies und SOKO das hörte sich auf jeden Fall spektakulärer an als Abteilung 1 des Landeskriminalamtes Berlin. Sonderkommissionen werden in der Regel nur für die Aufklärung einer bedeutenden Straftat oder eines Vermisstenfalles gebildet.

Wie zum Beispiel beim Verschwinden des gesunden Menschenverstandes.

Da die globale Erwärmung schon längst von der globalen Verblödung überholt wurde, sollte man einmal ernsthaft über die Einrichtung einer SOKO nachdenken, die in diese Richtung ermittelte. Denn hinter dem abendlichen Verdummungsprogramm des Fernsehens, schien offensichtlich das organisierte Verbrechen zu stecken.

Aber vielleicht war ein guter Film ja auch die beste Ablenkung für sie.

Kara würde sich zu Hause einfach ein nicht allzu blutiges, aber dafür kniffeliges Meisterwerk aus dem Netz ziehen und sich dann bei Chips und Dosenbier von den unvorhersehbaren Wendungen überraschen lassen. Sie stand sowieso eher auf die Aha-Effekte als auf abgetrennte Körperteile. Für einen entspannten Krimiabend fehlten ihr jetzt nur noch die fettigen Kohlehydrate und Alkohol.

Aber zum Glück hatte der kleine Supermarkt in ihrem trendigen Szeneviertel bis spät in die Nacht geöffnet. Der indische Besitzer hieß zwar Sanjay, doch der Laden glich in verblüffender Weise dem Kwik-E-Mart aus den Simpsons. Nur ohne Duff-Bier, aber dafür mit vernünftigen Preisen.

Von dem nervigen Gedudel aus den Lautsprechern bekam Kara nur wenig mit. Sie hatte ihre Sennheiser über die Ohren gestülpt und ließ sich von dem Soundtrack zu Berlin Calling, der von dem Musikgenie Paul Kalkbrenner geschrieben wurde, einlullen. Denn Rammstein wäre nach dem Desaster im Polizeipräsidium eher kontraproduktiv gewesen.

Und so bemerkte sie die Veränderung, die um sie herum geschah, überhaupt nicht.

Ein kleines Mädchen, das sie vom Sehen her kannte und eigentlich um diese Zeit schon längst im Bett liegen müsste, klammerte sich plötzlich hilfesuchend an eine Tüte Gummibärchen, während Sanjay hinter der Kasse zeitlupenlangsam die Hände hob. Erst als sie in den Lauf einer Pistole blickte, wurde ihr bewusst, was hier gerade vor sich ging.

Der finster aussehende Typ hatte sich ein Tuch über den Mund gezogen, das mit einem knochigen Unterkiefer bedruckt war und so seinen Kopf in einen Totenschädel verwandelte. Mit der Waffe bedeutete er ihr, dass sie ihre Kopfhörer abnehmen sollte.

„Da rüber!“, zischte er bedrohlich leise, nachdem sie ihre Sennheiser heruntergezogen hatte.

Kara wich langsam ein paar Schritte zurück und schob sich schützend vor die Kleine. Das, was sie bis jetzt nur aus Trainingsszenarien kannte, war plötzlich beängstigende Realität geworden. Sie hatte sich schon öfter gefragt, wann sie denn ihre Feuertaufe bestehen müsste. Und vor allem, ob sich das irgendwie ankündigen würde. Denn in der Regel passierte ja so etwas im Dienst und nicht beim Kauf von Dosenbier. Aber so beschissen wie dieser Tag gelaufen war, musste er ja im Chaos enden. Jetzt konnte sie nur hoffen, dass Sanjay keinen Mist baute und so viel Kohle unter dem Tresen hatte, dass der Blödmann mit der Knarre zufrieden war.

Leider hatte das bisschen Elektro-Pop bei Weitem nicht ausgereicht, um ihren Adrenalinspiegel ausreichend zu senken. Trotzdem standen der Eigenschutz und natürlich der Schutz Unbeteiligter an erster Stelle. Außerdem war die Neunmillimeter, mit der Gangster auf sie zielte, echt.

„Die … die … die Kasse … das Geld!“, stieß er gehetzt hervor, als er seine Waffe aufgeregt in Sanjays Richtung schwenkte.

Offenbar stand er noch am Anfang seiner Verbrecherkarriere und vollständige Sätze gehörten noch nicht zu seinem Repertoire. Aber gerade das machte ihn brandgefährlich. Während richtige Profis mit ihren Opfern häufig freundlich plauderten, verloren Anfänger recht schnell die Nerven und ballerten wild um sich, wenn etwas nicht genau nach Plan lief.

Dummerweise fand gerade ein Teil von Karas Gehirn die Situation derart skurril, dass sich ihre Mundwinkel unwillkürlich nach oben zogen. Sie hatte zwar nicht erwartet, dass sich ein Supermarkträuber mit einer rhetorisch ausgefeilten Rede aufhielt, doch ein paar Verben sollten schon dabei sein. Verzweifelt versuchte sie, ihre Gesichtszüge unter Kontrolle zu bringen, doch ein kleines Glucksen konnte sie nicht mehr vermeiden.

Der Typ fuhr herum und hielt ihr seine Waffe so dicht vor das Gesicht, dass sie die Züge im Lauf sehen konnte. Dann drehte er sie direkt vor ihren Augen langsam auf die Seite. Das, was im Film immer recht cool aussah, war in der Realität ausgesprochener Schwachsinn. Denn so traf man auf eine größere Entfernung so ziemlich alles, aber nicht das, worauf man zielte. Aber auch wenn das auf diese kurze Distanz keine Rolle spielte, kribbelte es Kara irgendwie in den Fingern. Sollte der Kerl heute Erfolg haben, dann wurde er bestimmt mutiger.

Bis es irgendwann doch Tote oder Verletzte gab.

„Wir melden uns bei Ihnen.“ Dieser Satz kreiste Kara immer noch im Kopf herum. Vielleicht sah man sich ja schneller wieder, als sie alle zusammen gedacht hatten.

„Was ist so lustig, du dämliche Schlampe?“, keuchte der Kerl wütend.

„Meine Dienstwaffe hat eine integrierte Abzugssicherung, weil sie im Einsatz immer durchgeladen ist“, klärte sie ihn auf. Dann schielte sie demonstrativ auf seine Neunmillimeter. „Auch wenn du schon eine Patrone im Lauf hast, musst du deine noch manuell entsichern…“ Sie machte eine bedeutungsvolle Pause. „… was du aber offensichtlich nicht getan hast.“

„Halts Maul“, stieß der Räuber aggressiv hervor, „verarschen kann ich mich selbst!“ Trotzdem konnte man eine leichte Unsicherheit in seiner Stimme hören.

„Kara ist wirklich bei der Kripo“, bestätigte Sanjay mit erhobenen Händen vom Tresen aus.

Sie nutzte den kurzen Augenblick, in dem er zu dem Inder blickte, um aus der Schusslinie abzutauchen und seine Hand nach oben zu drücken. Einen Wimpernschlag später landete ihr Fuß in seinen Eiern.

Der Typ machte ein Geräusch wie ein kaputter Blasebalg. Dann drehte er sich um seine eigene Achse und taumelte mit lautem Gebrüll gegen ein Süßigkeitenregal, bevor er in einer Chipswolke zu Boden ging.

Blitzschnell kickte Kara seine Waffe zur Seite und drehte seinen Arm auf den Rücken.

„Du bist verhaftet, Arschloch!“, zischte sie triumphierend in sein Ohr.

-2-

Ein paar Jahre und zwei gescheiterte Beziehungen später hatte Kara den Job der Zicke. Ohne auf einen wartenden Partner, oder vielleicht sogar Kinder, Rücksicht nehmen zu müssen, konnte sie jetzt nach Herzenslust Leute herumkommandieren. Was sie aber natürlich nicht tat. Sie ergriff lieber jede passende Gelegenheit, um den Büromief hinter sich zu lassen und mit ihren Kollegen vor Ort zu ermitteln. Da kam ihr das klitzekleine Personaldefizit, das eine Schwangere und eine kaputte Bandscheibe in ihre Abteilung gerissen hatte, gerade recht.

„Hast du mal eine Minute, Chefin?“, wollte Jan Sünderhauf wissen.

Der stämmige Oberkommissar hatte seinen Kopf durch die Tür ihres Büros gesteckt und wedelte vielsagend mit einer Akte herum.

„Aber immer“, antwortete Kara.

„Wetzels Name ist schon wieder im Zusammenhang mit illegalem Waffenbesitz aufgetaucht“, berichtete er, nachdem er sich geräuschvoll in einem Sessel vor ihrem Schreibtisch niedergelassen hatte.

„Interessant!“

Der kauzige Alte erkannte die Existenz der Bundesrepublik nicht an und hatte kurzerhand seine riesige Apfelplantage zum exterritorialen Gebiet erklärt.

„Wir sollten ihm mal einen kleinen Besuch abstatten …“, fuhr Sünderhauf fort.

„… und ein bisschen auf den Busch klopfen“, vervollständigte sie den Satz ihres Kollegen.

„Genau“, bestätigte er erfreut.

„Na dann los!“ Kara kramte ihre Dienstwaffe aus der Schublade und schlüpfte in ihre Jacke. „Dieser ganze Schriftkram macht mich noch völlig irre.“

„Augen auf bei der Beförderung!“, gluckste Sünderhauf.

Mit dem freundschaftlichen Klaps seiner Chefin hatte er jedoch nicht gerechnet.

Nach einer knappen halben Stunde erreichten sie Wetzels Hof. Er lag inmitten von gefühlt einer Million Apfelbäumen und hätte gut als Werbung für den deutschen Obstanbau herhalten können. Es war sicher nur noch eine Frage von ein paar Tagen, bis sich dutzende Erntehelfer auf die süßen Früchte stürzen würden. Allerdings war jetzt keine Menschenseele zu sehen.

Sünderhauf quetschte ihren Passat zwischen zwei kleine Traktoren, dann stiegen sie aus. Am Himmel hatten sich hohe Wolkenberge aufgetürmt, doch es war noch angenehm warm. Außerdem hing der Duft der Bäume so schwer wie Blei in der Luft. Nur mit Mühe widerstand Kara der Versuchung, einfach einen Apfel zu pflücken und herzhaft hineinzubeißen. Aber wahrscheinlich hätte ihr das nur eine Anzeige von dem kauzigen Alten eingebracht.

Nachdem auf ihr Klingeln niemand reagiert hatte, umrundeten die beiden das Wohnhaus. Auf der Rückseite, dort wo sich ein flaches Wirtschaftsgebäude befand, führte ein befestigter Weg in direkt in die Plantage.

Aber auch die niedrige Halle war völlig ausgestorben. Da blieb eigentlich nur noch die Garage übrig.

Gerade als die zwei Kommissare darauf zusteuerten, wurde das Tor von innen aufgeschoben. Die Gestalt im Halbdunkel wirkte wie ein Guerilla-Kämpfer aus einem schrägen Abenteuerfilm. Mit Springerstiefeln, Kampfanzug und einem Barrett auf dem Kopf.

„Herr Wetzel, wir sind von der Polizei“, begann Sünderhauf freundlich.

„Ich weiß, wer Sie sind“, blaffte der Alte, „und ich muss Ihnen mitteilen, dass Sie sich unrechtmäßig hier aufhalten.“

Es hätte nicht viel gefehlt und Kara hätte laut losgelacht. Der zugegebenermaßen recht stattliche Opa konnte doch nicht ernsthaft annehmen, dass sich zwei Kriminalbeamte von seiner Fantasieuniform beeindrucken ließen. Trotzdem musste sie professionell bleiben.

„Herr Wetzel, wir möchten wirklich nur mit Ihnen reden“, fuhr Kara in dem beschwichtigenden Tonfall ihres Kollegen fort.

Statt einer Antwort verschwand er in der Garage und kurz darauf wurden die beiden von einigen Schüssen gezwungen, in Deckung zu gehen.

Kara, die so etwas irgendwie geahnt hatte, hechtete zur Seite und rollte sich hinter einen Erntewagen. Reflexartig riss sie im Sprung ihre Waffe aus dem Holster und schoss zurück. Als der Lärm verhallt war, hörte sie, wie in der Garage ein Motor startete und Sekundenbruchteile später jagte mit quietschenden Reifen ein bulliger Land Rover Defender heraus. Er legte vor der Garage eine beeindruckende Wendung hin, bevor er in der Plantage verschwand.

„Verdammte Kacke!“ Kara war aufgesprungen und trat mit dem Fuß wütend gegen ein Rad des Erntewagens. „Ist der irre oder was? Man kann doch nicht zu jedem Idioten das SEK mitnehmen.“

Dann blickte sie zu Sünderhauf.

Ihr Kollege hatte zwischen den Bäumen Schutz gesucht und starrte mit offenem Mund der Staubwolke hinterher. Dann kippte er langsam zur Seite.

„Oh Scheiße!“

Kara sprintete los. Dass eine simple Befragung in einem solchen Desaster enden würde, konnte nun wirklich keiner ahnen. Noch im Laufen riss sie ihr Smartphone aus der Tasche und drückte die Schnellwahltaste der Einsatzleitstelle. Gerade als sie neben Sünderhauf in die Knie ging, stand die Verbindung.

„Kollege angeschossen!“, brüllte sie aufgeregt in das Telefon. „Der Täter heißt Harald Wetzel und flüchtet in einem dunkelgrünen Land Rover von seiner Apfelplantage.“

„Wie schwer ist der Kollege verletzt?“, wollte die Stimme am anderen Ende wissen.

„Keine Ahnung“, kreischte Kara aufgeregt, während sie kräftig Sünderhaufs Wange tätschelte. „Schwer eben!“

Seine Haut war kalkweiß, die Augenlider flatterten und an der rechten Schulter färbte sich sein Hemd langsam scharlachrot. Kara riss es mit einem kräftigen Ruck herunter. In der Höhe des Schlüsselbeins klaffte eine kleine Wunde, aus der ein beständiger Blutstrom quoll, der mit Luftblasen durchsetzt war. Aus einer plötzlichen Eingebung heraus bohrte Kara ihren linken Zeigfinger in das blubbernde Loch.

Es fühlte sich ein wenig so an, als würde er in warmen Himbeerpudding stecken, und an seiner Spitze konnte sie doch tatsächliche ein Pulsieren spüren. Sie wusste nicht, ob das gut oder schlecht war, aber die Blutung wurde deutlich schwächer und versiegte nach ein paar Augenblicken fast völlig.

„Ich glaube, dass seine Lunge verletzt ist“, stieß Kara immer noch aufgeregt hervor.

„Hilfe ist unterwegs und die Fahndung ist raus, Frau Matthes“, bestätigte die Leitstelle. Natürlich wussten die, wer da anrief, und konnten selbstverständlich auch ihr Handy orten.

„Danke“, hauchte Kara kraftlos.

Wenn sie jetzt keinen Krampf im Finger bekam, dann standen Sünderhaufs Chancen wahrscheinlich recht gut. So weit sie das beurteilen konnte, verschlechterte sich sein Zustand jedenfalls nicht weiter.

„Mach ja keinen Scheiß, Alter!“, versuchte sie es mit einer Portion Galgenhumor. „Wenn du das hier verbockst, dann kriegst du einen Monat Innendienst aufgebrummt.“

Gerade als Kara das Wort „aufgebrummt“ ausgesprochen hatte, hörte sie in der Ferne ein dumpfes Röhren, das schnell näher kam. Doch eigentlich konnte das noch nicht die versprochene Hilfe sein, denn der Helikopter müsste ja praktisch in der Nähe auf den Einsatz gewartet haben Aber als kurz darauf ein rot-weißes Etwas über sie hinwegdonnerte, machte ihr Herz einen gewaltigen Sprung. Sie hörte, wie der Hubschrauber sich langsam entfernte, mehrmals hin und her flog und dann wieder ein Stück näher kam. Gleichzeitig meldete sich ihr Smartphone.

Das hieß, sie sah auf dem Display den eingehenden Anruf, denn das Klatschen der Rotorblätter löschte jedes andere Geräusch aus. Hektisch fummelte sie ihre Ohrhörer aus der Tasche und stöpselte sie ein.

„Wo genau sind Sie denn?“, wollte die Leitstelle wissen. „Der Hubschrauber sagt, dass er Sie nicht finden kann.“

„Da stehen ein paar Trecker auf dem Hof“, versuchte Kara ihren Standort zu erklären, „und ungefähr fünfzig Meter Richtung Norden …“

„Ich schalte Sie mal auf den Rettungsdienstkanal“, schlug die Leitstelle vor, „da können Sie mit denen direkt reden.“

„Gute Idee“, brüllte Kara in ihr Telefon.

„Hier ist Christoph 82“, tönte es kurz darauf in ihren Ohren. „Wo genau befinden Sie sich?“

„Auf dem Hof stehen ein paar Trecker“, begann Kara erneut. „Wir sind nördlich davon zwischen den Bäumen.“

„Ich kann hier nicht landen“, zerschlug die Stimme in ihren Ohren die Hoffnung auf schnelle Hilfe. „Es wird also ein paar Minuten dauern, bis wir bei Ihnen sind.“

„Seid ihr bescheuert!“, kreischte Kara. „Mein Kollege kratzt hier gleich ab und ihr sucht gemütlich einen Parkplatz.“

Natürlich wusste sie, dass die Besatzung keine Bruchlandung riskieren durfte, aber wütend war sie trotzdem.

„Wie schwer ist denn der Patient verletzt?“, meldete sich plötzlich eine andere Stimme. Offensichtlich war das der Notarzt.

„Er hat eine Schusswunde in der Brust, die fürchterlich geblutet und geblubbert hat“, schilderte Kara Sünderhaufs Zustand. „Ich habe erst einmal meinen Finger reingesteckt und sie so zum Stillstand gebracht. Aber jetzt sollten Sie sich verdammt nochmal beeilen, denn da drin pulsiert es ganz komisch.“

„Habe ich das richtig verstanden, dass Sie eine penetrierende Schussverletzung mit Ihrem Finger tamponieren?“, wollte der Notarzt sichtlich verwirrt wissen.

„Keine Ahnung, was ich da gerade mache“, brüllte Kara in ihr Handy. „Auf jeden Fall sollten Sie, statt zu quatschen, Ihre Kiste irgendwo runterbringen!“

„Okay.“ Das war jetzt wahrscheinlich wieder der Pilot. „Ich versuche mal was, aber das wird echt heftig. Sie sollten deshalb ein bisschen in Deckung gehen und sich vorsichtshalber von ihrer Frisur verabschieden.“

„Arschloch!“

Kaum hatte sich Kara schützend vor ihren Kollegen gehockt, da wurde sie von einer unsichtbaren Faust zu Boden gedrückt. Die Luft um sie herum vibrierte, während die reifen Früchte von den Bäumen gerissen wurden und auf sie eintrommelten wie hunderte Tennisbälle. Trotzdem wollte sie wissen, wo der Hubschrauber denn jetzt tatsächlich landete und drehte ihren Kopf ein wenig zur Seite.

Es war genau der letzte Apfel, der ihr linkes Auge traf und sie so fast k.o. schlug.

Vor ihr tanzten bunte Kreise und in ihrem Kopf startete gerade ein Düsenjet. Zum Glück schälten sich aus dem milchigen Nebel, der sie plötzlich umgab, zwei Gestalten, die geradewegs auf sie zustürmten. Sie wurde sanft zur Seite gedrückt, dann spürte sie, wie sich etwas Metallenes neben ihrem Finger in Sünderhaufs Brust schob. Und als sie kurz darauf das „Fertig“ hörte, hätte sie vor Freude heulen können.

Dummerweise kippte sie stattdessen neben ihrem Kollegen ins Gras.

-3-

Missmutig blickte Kara in den Spiegel. Ihr Auge schillerte in allen Farben des Regenbogens und ihr Rücken fühlte sich an, als hätte sie ein Grizzlybär in die Mangel genommen. Zum Glück hatte ihr der Einsatz auf der Plantage lediglich eine saftige Gehirnerschütterung eingebracht und Sünderhauf riss schon wieder dämliche Witze, als sie sich bei ihrer Entlassung von ihm verabschiedete.

Darüberhinaus war Wetzel nicht sehr weit gekommen. Eine Streife hatte ihn auf der Bundesstraße entdeckt und nicht lange gefackelt, nachdem sie mitbekommen hatten, dass er einen Kollegen niedergeschossen hatte. In amerikanischer Polizeimanier hatten sie seine Reifen durchlöchert und den Land Rover dadurch in den Seitengraben befördert. Jetzt saß er in Untersuchungshaft, wo ein halbes Dutzend Anklagepunkte auf ihn warteten.

Gerade als Kara prüfend über ihr Augenlid fuhr, klingelte es.

Der durchtrainierte Typ vor ihrer Tür hatte einen Karton in der Hand und wirkte wie ein Surfer, der sich auf dem Weg zum Meer verlaufen hatte. Wahrscheinlich fielen bei seinem Lächeln die Frauen scharenweise in Ohnmacht und deshalb vermutete sie natürlich sofort irgendeine Betrügerei.

„Ja bitte?!“, blaffte sie aus diesem Grund relativ unfreundlich.

„Kara Matthes?“ Sein Lächeln wurde noch breiter.

„Wie ich sehe, können Sie zumindest das Klingelschild lesen“, stellte sie misstrauisch fest. Wer bei ihrem Anblick immer noch grinste wie ein Honigkuchenpferd, machte sich äußerst verdächtig. Vorsichtshalber tastete sie mit ihrer rechten Hand nach dem Reizgas, das sie neben der Tür in einer alten Keksdose deponiert hatte.

„Ich habe die Kerle, die Ihnen Ihr blaues Auge verpasst haben, erwischt und ihnen dann ganz langsam die Haut abgezogen …“, fuhr der kernige Surfer fort.

„Geht es Ihnen nicht gut?“, unterbrach ihn Kara, während sie die Gaskartusche fest umschloss.

„… schließlich habe ich ihnen so richtig die Hölle heiß gemacht.“ Triumphierend riss er den Karton auf.

Verblüfft starrte Kara auf einen leckeren Apfelkuchen. Dann schoss ihr Blick zwischen den knusprigen Streuseln und seinem Gesicht hin und her.

„Was … was ist das?“, stotterte sie ungläubig.

„Ein Apfelkuchen“, verkündete er grinsend. „Sorry, ich habe mich ja noch gar nicht vorgestellt.“ Er deutete eine Verbeugung an. „Mein Name ist Lukas Reusch und ich bin der Pilot.“

Plötzlich flackerten einige Erinnerungsfetzen in Karas Gehirn auf. Ihr Gegenüber hatte sich um sie gekümmert, während der Notarzt und der Sanitäter Sünderhauf versorgten.

„Oh …!“

Kara spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss. Wenn sie gewusst hätte, dass sie heute noch Herrenbesuch bekommen würde, dann hätte sie zumindest auf ihren Wohlfühlpullover verzichtet. Aber zumindest waren ihre nackten Beine ein echter Hingucker. Auch wenn ihr Füße in fetten Knuddelsocken steckten. Zum Glück schaffte sie es, das Reizgas unauffällig zurück in die Keksdose zu legen. Sonst dachte er womöglich noch, sie sei eine überarbeitete Irre, die mit dem Singleleben nicht zurecht kam. Apropos Single, warum traf man solche Typen nicht mal, wenn man einen scharfen Mini und High Heels anhatte?

„Eigentlich wollte ich Ihnen den Kuchen ins Krankenhaus bringen“, fuhr Lukas in einem entschuldigenden Tonfall fort. „Aber Sie waren ja schneller wieder draußen, als Sie drin waren.“

„Tja, so bin ich nun mal“, stellte Kara fest. Dann trat sie einen Schritt zur Seite. „Wollen Sie vielleicht einen Kaffee?“

„Aber gerne“, nahm Lukas das Angebot an und schob sich vorsichtig an Kara vorbei. „Ich arbeite bei der Luftrettung und dort ist Kaffee praktisch ein Grundnahrungsmittel.“ „Da können wir auch gleich mal testen, ob meine Zukunft vielleicht im Bäckerhandwerk liegt“, fuhr er fort, während er sich interessiert umschaute.

Die Wohnung war recht großzügig geschnitten und verströmte den heimeligen Charme eines sanierten Altbaus. Mit geschliffenen Dielen und Türen, die noch aus richtigem Holz bestanden. Befriedigt stellte er fest, dass er sich offensichtlich in einem typischen Frauenhaushalt befand. Denn es gab weder Autozeitschriften und die Schuhe im Flur waren höchstens Größe achtunddreißig.

„Ist das nicht manchmal ein bisschen laut?“wollte Lukas nach einem Blick aus dem weit geöffneten Fenster wissen. In Sichtweite befanden sich mindestens drei Kneipen mit Freisitzen, die logischerweise bei dem Wetter voll besetzt waren.

„Damit muss man eben leben, wenn man hier wohnen will“, antwortete Kara, nachdem sie die Kaffeemaschine gestartet und einladend auf den Esstisch gedeutet hatte. „Aber dafür ist es hinten raus richtig ruhig und es wird nie langweilig.“ „Wie haben Sie denn überhaupt meine Adresse herausbekommen?“, wollte sie anschließend wissen.

„Offiziell waren Sie ja unsere Patientin“, klärte Lukas sie auf, als er sich gesetzt hatte, „und da haben wir nun mal die Personalien.“

„Demzufolge bringen Sie also jedem einen Kuchen vorbei?“, vermutete Kara mit einem verschmitzten Lächeln.

„Nur denen, die ich k.o. geschlagen habe“, gab er ebenfalls grinsend zurück. „Also sorry nochmal.“

„Kein Problem“, wiegelte Kara ab. „Schließlich war ja mein Kollege in einem kritischen Zustand und Sie haben sich ja dann um mich gekümmert.“ Dann goss sie den frisch gebrühten Kaffee in zwei große Töpfe, platzierte einen vor ihrem Gast und setzte sich ebenfalls.

„Das bisschen Blutdruckmessen war doch selbstverständlich“, stellte Lukas fest, während er vorsichtig nippte, „denn eigentlich bin ich nur für die Maschine zuständig.“ „Aber ich habe mir die wichtigsten Sachen angeeignet, damit ich nicht allzu dämlich dastehe, wenn ein paar zusätzliche Hände gebraucht werden.“

„Na dann lassen sie uns doch mal testen, wie es mit Ihren Backkünsten aussieht“, forderte Kara, während sie ihm ein riesiges Messer reichte.

Eine Minute später musste sie eingestehen, dass Lukas Reusch ein bisschen mehr als Kamikaze-Landungen draufhatte.

„Sind Sie sicher, dass Sie den Kuchen nicht doch gekauft haben?“, wollte Kara schmatzend und mit einem ironischen Unterton wissen.

„Völlig sicher“, bestätigte Lukas augenzwinkernd. „Mit einer Backmischung bekommt das jeder Idiot hin. Allerdings ist das Schälen und Schnippeln auch nicht ohne.“

Nachdem Kara ihr Stück verputzt hatte, lehnte sie sich entspannt zurück und musterte unauffällig ihren Überraschungsgast. Nun konnte sie ein wenig die Kriminalistin heraushängen lassen. Denn wer glaubte, dass er ihr den Kuchen aus reiner Nächstenliebe vorbeigebracht hatte, der glaubte bestimmt auch an den Weihnachtsmann.

„Jetzt lassen Sie mal die Hosen herunter, Lukas Reusch!“, forderte Kara in ihrem Ermittlungston. „Was wollen Sie wirklich?“

„Sie kennenlernen“, gab er unumwunden zu.

„Wie bitte?“ Kara dachte, sie hätte sich verhört.

„Ich wollte Sie kennenlernen“, wiederholte Lukas.

„Im Moment sehe ich so aus, als würde ich keiner Kneipenschlägerei aus dem Weg gehen“, stellte Kara verwirrt fest. „und da wollen Sie mich kennenlernen?“ „Sie sind nicht etwa masochistisch veranlagt oder so?“

„Keineswegs“, antwortete er im Brustton der Überzeugung. „Aber nachdem Sie da draußen die volle Breitseite abbekommen haben, wirkten Sie irgendwie sehr verletzlich. Ich meine, Sie hatten ’ne fette Knarre an Ihrem Gürtel, aber sind immer wieder gegen mich gekippt. So wie ein kleines Mädchen, das hoffnungslos übermüdet ist und nur noch schlafen will.“ Lukas machte eine kurze Pause und verschränkte dann überlegen die Arme. „Ich fühlte mich für Sie verantwortlich und …“ Er schluckte aufgeregt. „… fand das alles andere als unangenehm.“

Karas Wangen begannen zu glühen. Mit so etwas hatte sie nun wirklich nicht gerechnet. Höfliche Zurückhaltung schien nicht gerade zu den Tugenden ihres Besuchers zu gehören. Während sie in der Öffentlichkeit Annäherungsversuche sofort im Keim ersticken konnte, war man einem Apfelkuchenüberfall in der eigenen Wohnung praktisch hilflos ausgeliefert.

„Ich fühle mich sehr geschmeichelt“, antwortete sie mit einem bedauernden Lächeln, „aber ich muss Ihre Hoffnungen, auf was auch immer, leider enttäuschen.“

„Der Kaffee mit Ihnen war das allemal wert“, gab Lukas tapfer zurück.

„Hören Sie“, fuhr Kara fort, weil sie plötzlich das Gefühl hatte, sich erklären zu müssen, „das würde nicht gut gehen.“ „Mein Job ist nicht gerade familienfreundlich und außerdem habe ich ein besonderes Talent, meine Beziehungen in kürzester Zeit gegen die Wand zu fahren.“ Sie holte tief Luft. „Und aus dem Alter mit den schnellen Nummern bin ich schon lange raus.“

„Entschuldigung, aber Sie haben da irgendetwas falsch verstanden.“ Lukas drohten die Augen aus dem Kopf zu fallen. Die Kommissarin war zwar eine richtig Hübsche, aber wieso sie annahm, er wollte mit ihr sofort ins Bett hüpfen, war ihm ein Rätsel. „Ich war vorher Pilot bei der Bundeswehr und kenne mich deshalb mit gecrashten Beziehungen auch bestens aus“, fügte er hinzu. „Also ich weiß ja nicht, wie das bei Ihnen bis jetzt gelaufen ist, aber normalerweise verabredet man sich zu einem Kaffee, wenn man jemanden interessant findet.“

„Oh Mist!“ Kara zog peinlich berührt ihre Schultern nach oben. Sie war ja so etwas von dämlich. „Ich habe Ihnen ja gleich gesagt, dass ich es immer versaue“, schob sie mit einem verlegenen Lächeln hinterher.

Jetzt tat sie Lukas schon fast ein wenig leid. Deshalb versuchte er es mit ein bisschen schrägem Humor.

„Alternativ hätten wir ja auch ins Kino gehen können“, stellte er mit einem schelmischen Grinsen fest. „Aber vielleicht nicht unbedingt in einen 3D-Film, mit Ihrem Auge können Sie froh sein, wenn Sie wenigstens 2D sehen.“

Kara prustete los. „Der Kuchen war auf jeden Fall die bessere Idee.“ Dann strich sie sich nachdenklich mit der Hand über das Kinn. „Vielleicht sollten wir so tun, als wären Sie nie hier gewesen und das mit dem Kino in zwei, drei Wochen einfach mal probieren.“

„Na dann werde ich zusehen, dass ich hier wegkomme“, antwortete Lukas zuversichtlich, während er sich hochstemmte. „Es ist schon fast dunkel und wir wollen doch nicht, dass die Nachbarn schlecht von Ihnen denken.“

„Ich bringe Sie noch hinaus“, kündigte Kara mit einem dankbaren Lächeln an.

Sie hatte die Tür bereits einen Spaltbreit geöffnet, doch dann zögerte sie. Potentielle Liebhaber versuchten ja meist, sich mit Blumen, Pralinen oder Wein einzuschmeicheln. Ein selbstgebackener Kuchen war dagegen eine ganz andere Liga. Eigentlich sollte man niemanden einfach so wieder gehen lassen, der mit einem selbstgebackenen Kuchen vor der Wohnung stand.

Demonstrativ schlug Kara die Tür wieder zu, drehte sich langsam zu ihrem Gast herum und lächelte hintergründig.

„Wenn Sie schon backen können, wie gut ist dann Ihr Frühstück?“

-4-

Corey Adams hatte das Stadtzentrum von Reno schon lange hinter sich gelassen. Der Highway folgte jetzt in einem weiten Bogen dem Tal, an dessen Ende die rotbraunen Berge in den Himmel wuchsen. Nur ein paar flache Gebäude und eine Tankstelle säumten noch den Straßenrand, bevor auch sie das Band aus grauem Asphalt in die unendliche Weite entließen.

Im Radio spielte gerade ein Countrysender einen uralten Johnny-Cash-Song, als er die blonde Tramperin zwischen einer Ansammlung von klapprigen Reklameschildern bemerkte. Sie trug knallenge Jeans, ein lässiges Top und lümmelte auf ihrem Rucksack herum, während sie ihren Daumen ein wenig unmotiviert in den Wind hielt. Offensichtlich waren ihre Bemühungen, eine Mitfahrgelegenheit zu ergattern, nicht von besonders viel Erfolg gekrönt.

Was er sich bei ihrem Aussehen eigentlich nicht vorstellen konnte.

Aber eigentlich hatte sie mehr Glück als Verstand, dass er gerade jetzt vorbeikam. Viel zu schnell stiegen die jungen Dinger zu den falschen Leuten ins Auto und tauchten danach nie wieder auf. Wie konnte man nur so blauäugig sein? Er wollte sich überhaupt nicht vorstellen, was der blonden Schönheit dabei alles zustoßen könnte.

Adams setzte den Blinker und lenkte seinen Dodge Caravan vorsichtig auf den Seitenstreifen, um nicht allzu viel Staub aufzuwirbeln. Dann ließ er die Seitenscheibe herunter.

„Wo soll’s denn hingehen?“

Die junge Frau kam zögernd näher, schielte skeptisch in das Innere des Vans und lächelte schließlich verlegen. Denn Adams war von seinem Auftreten her der typische Familienvater, der unbewusst ein gewisses Vertrauen ausstrahlte.

„Nach Norden“, antwortete sie immer noch zurückhaltend.

„Na dann spring rein“, gab Adams zurück. „Ich fahre bis Seattle, viel weiter nach Norden geht es eigentlich nicht.“

Nur ganz kurz hatte er überlegt, ob er die junge Frau siezen sollte. Aber das fand er bei einem Teenager – und wenn nicht, dann war sie höchstens Anfang zwanzig – doch ein wenig unpassend.

„Na das ist ja perfekt“, stellte sie erfreut fest, während sie ihren Rucksack auf die Rückbank wuchtete. Anschließend rutschte sie auf den Beifahrersitz und streckte ihm ihre Hand entgegen. „Ich bin Ashley, sehr angenehm.“

„Corey Adams, hi“, erwiderte er ein bisschen steif. Man musste sich ja nicht gleich mit der ganzen Welt duzen, nur weil man jemandem einen Gefallen tat.

Doch Ashley schien das nicht weiter zu stören.

„Sehr nett, dass Sie mich mitnehmen, Mister Adams“, bedankte sie sich höflich, bevor sie sich anschnallte.

„Kein Problem“, wiegelte er ab. „Es ist immer schön, wenn jemand dabei ist, der einen im Notfall wecken kann, wenn man einschläft und in den Gegenverkehr gerät.“

Ashley prustete los. „Keine Sorge, bei meinem Kreischen wachen sogar Tote wieder auf.“

Adams beschleunigte ebenso vorsichtig, wie er abgebremst hatte, und stellte anschließend den Tempomat auf spießige dreiundsechzig Meilen.

„Ich hoffe, du weißt, dass Trampen gefährlich sein kann und man sich seine Mitfahrgelegenheit sehr sorgfältig aussuchen sollte“, fuhr er ein bisschen vorwurfsvoll fort.

„Aber natürlich“, bestätigte Ashley. „Bei einem Truck, der mir nicht koscher vorkam, bin ich sogar wieder ausgestiegen.“

Zufrieden registrierte er, dass sich seine Begleitung entspannt zurücklehnte, nachdem sie das Familienfoto auf dem Armaturenbrett entdeckt hatte.

„Bis wohin genau in den Norden willst du denn eigentlich?“, wollte er wissen.

„So weit wie möglich“, antwortete Ashley schwammig, während sie sich ihre langen Haare aus dem Gesicht strich. „Seattle klingt eigentlich gar nicht schlecht.“

Adams vermied es, nachzufragen. Wenn sie ihm ihre Geschichte erzählen wollte, dann würde sie von ganz allein damit anfangen. Er konnte es ohnehin nicht leiden, wenn andere nur aus Höflichkeit Interesse heuchelten und dann nur mit halbem Ohr zuhörten. Sicher war die Kleine eine von den vielen Namenlosen, die nach einem Streit oder aus anderen nichtigen Gründen die Brücken hinter sich abbrachen, um in einer anderen Stadt neu zu beginnen.

Nach einer knappen halben Stunde Fahrt, in der sie die Eintönigkeit der Landschaft mit belanglosem Smalltalk totschlugen, tauchte in der Ferne ein zusammengewürfelter Haufen niedriger Gebäude auf. Natürlich mit der obligatorischen Tankstelle und einem Diner, dessen Leuchtreklame trotz der nachmittäglichen Sonne wirkte wie die Lichtshow eines Rockkonzertes.

„Also ich habe heute nur gefrühstückt und könnte einen saftigen Burger vertragen“, kündigte Adams eine kleine Rast an. „Wie sieht’s mit dir aus?“

Aus den Augenwinkeln beobachtete er, wie Ashley heimlich den Inhalt ihrer Geldbörse inspizierte.

„Du bist selbstverständlich eingeladen“, fügte er schnell hinzu, bevor sie antworten konnte.

„Das kommt überhaupt nicht infrage“, protestierte sie halbherzig. „Dafür, dass Sie mich mitnehmen, sollte ich eigentlich Sie einladen.“

„Ein zweites Menü wird mich schon nicht in den finanziellen Ruin treiben“, entgegnete Adams. „Außerdem bist du ja gewissermaßen mein Gast und da wäre es ziemlich unhöflich, wenn ich dich das übernehmen lasse.“

„Einverstanden“, stimmte Ashley grinsend zu. „Aber beschweren Sie sich hinterher bloß nicht darüber, dass ich reinhaue wie ein Holzfäller.“

Wenige Minuten später quetschte Adams seinen Van zwischen zwei riesige Pick-ups, denn das Diner war recht gut besucht. Das bedeutete, dass es entweder sehr lecker war oder es eben im Umkreis von zwanzig Meilen nichts anderes gab. Als sie allerdings kurz darauf von einer Kellnerin zu einem freien Tisch geführt wurden, mussten sie feststellen, dass es offensichtlich ersteres war. Denn auch wenn die mit rotem Leder bezogenen Bänke nicht für einen längeren Aufenthalt gemacht waren, sah es auf den Tellern der anderen Gäste äußerst appetitlich aus.

Nach einem kurzen Blick in die Speisekarte bestellte Adams einen Blue Cheese Burger mit Home Fries und Ashley ein riesiges T-Bone Steak, die in atemberaubender Geschwindigkeit vor ihnen standen.

„Du hast das mit der Holzfällerportion ernst gemeint“, stellte Adams nach dem ersten Bissen lächelnd fest.

„Jep …“, bestätigte Ashley schmatzend, „… und für einen Marshmallow Chocolate Shake ist mit Sicherheit auch noch Platz.“

„Ich habe mir angewöhnt, in der Nacht durchzufahren“, fuhr Adams fort, „deshalb werde ich auf Süßes verzichten und stattdessen etwas Koffeinhaltiges zu mir nehmen.“

„Was machen Sie denn so beruflich?“, wollte Ashley wissen, während sie mit ihrem Messer an dem T-förmigen Knochen herumschabte.

„Ich bin Vertreter“, antwortete Adams. „Unsere Firma verkauft Baumaschinen und ich klappere auf den Weg in den Norden noch einige Kunden ab.“ Dann wischte er sich mit einer Serviette einen Tropfen Barbecue Sauce vom Kinn. „Eigentlich läuft das heutzutage alles über das Internet, aber wir setzen auf den persönlichen Kontakt und da muss ich eben ein paar Meilen herunterreißen. Zum Glück ist mein Boss mit der Spesenabrechnung nicht allzu kleinlich, sodass dabei immer noch ein paar Dollar extra hängenbleiben.“

Jetzt hielt Adams den Zeitpunkt für gekommen, um die Kleine auch ein bisschen auszufragen.

„Und was ist mit dir?“, hakte er nach, nachdem die Kellnerin die Bestellung von Ashleys Kalorienbombe aufgenommen hatte.

„Weiß nicht“, gab sie gelangweilt zurück, „Hauptsache weg von hier.“ „Ich habe einen recht guten High School Abschluss und gehe vielleicht aufs College.“ Sie malte mit ihrer Gabel wilde Kreise in den roten Fleischsaft, der aus dem Rest ihres Steaks tropfte. „Andererseits sind ja in Seattle auch die Firmensitze von Boeing und Microsoft und eventuell ich finde da einen Job.“

„Mit Sicherheit“, bestätigte Adams. Es verhielt sich also genau so, wie er von Anfang an gedacht hatte.

Dann wurde der Michshake serviert. So wie er aussah, konnte er bestimmt mehrere Diabetiker ins Koma versetzen. Doch seinem schlanken Gegenüber würde er bestimmt nur wenig anhaben.

„Vielleicht sollte ich mir das mit dem Nachtisch doch noch einmal überlegen“, stellte er mit einem schiefen Blick auf Ashleys Becher fest. „Am besten schaue ich noch mal in die Speisekarte.“

Adams griff ein bisschen zu hastig nach der dünnen Mappe, die in dem Serviettenständer in der Tischmitte klemmte, und stieß mit seiner Hand gegen den rot-weiß-geringelten Strohhalm.

„Sorry“, murmelte er, bevor er sich durch die Hochglanzfolien blätterte.

„Nix passiert“, wiegelte Ashley ab. Dann sog sie die halb geschmolzene Eiscreme in ihren Mund.

Aber da waren die farblosen Kügelchen, die Adams unauffällig in ihren Shake fallen lassen hatte, längst versunken.

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