Suicide Chicks - J.S. Ranket - E-Book

Suicide Chicks E-Book

J.S. Ranket

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Beschreibung

Der zuckende Körper versetzte die Killerin in einen ekstatischen Rausch. Doch sie fand sofort die pochende Ader am Oberschenkel der gefesselten jungen Frau. Und als sie kam, bohrte sie die scharfe Klinge tief in das weiche Fleisch. Ihr erlösender Schrei übertönte das schmatzende Geräusch des herausspritzenden Blutes, während sie sich in ihr sterbendes Opfer krallte. Erst als die rote Quelle langsam versiegte, sank sie entspannt zur Seite. "Was muss man tun, um jemanden in den Selbstmord zu treiben?" Das denken sich die Betreiber einer mysteriösen Website und entführen weltweit junge Frauen, um ihren abartigen Neigungen nachzugehen. Bis sie sich zufällig die Falsche aussuchen. Plötzlich werden die Jäger zu Gejagten und sehen sich einer Gegnerin gegenüber, die absolut keine Tabus kennt. Schmerzlich müssen sie am eigenen Leib erfahren, dass sich selbst ihre Grausamkeiten noch steigern lassen. In dem blutig-bizarren Thriller gerät die junge Ärztin Kat Stark in einen Strudel aus exzessiver Gewalt und einen gnadenlosen Wettlauf gegen die Zeit, bei dem nicht nur das Leben ihrer verschwundenen Freundin, sondern auch ihr eigenes auf dem Spiel steht.

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J.S. Ranket

Suicide Chicks

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Für Franziska

Prolog

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Epilog

Anmerkung des Autors und Danksagung

Impressum neobooks

Für Franziska

Prolog

Als die Bäume noch ihr sattes Grün trugen, sah er sie zum ersten Mal. Eine Baustelle zwang ihn, einen Umweg zu nehmen. Vorbei an der Schule, die um diese Zeit ihre Schüler ausspuckte, wie der kleine Brunnen im Park das Wasser. Vielleicht wäre sie ihm gar nicht aufgefallen, aber ihre blonden Haare auf dem Rücken glichen einem goldenen Schleier und waren so akkurat geschnitten, als hätte ihr Friseur ein Lineal dazu benutzt.

Langsam rollte er mit seinem Wagen an ihr vorbei. Sie lief allein zwischen zwei größeren Gruppen von Teenagern. Während die Jungs mit pubertärem Machogehabe versuchten, soviel Eindruck wie möglich bei den Mädchen zu machen, steckten diese immer wieder kichernd ihre Köpfe zusammen und bewerten die Sprüche und Gesten nach einem geheimen Punktesystem.

Kurz blickte er durch die getönten Scheiben in ihr Gesicht und musste feststellen, dass sie viel zu jung war. Aber sie war eine richtige Schönheit mit ebenmäßigen Gesichtszügen und dezent geschminkt. Ein flüchtiger Beobachter hätte sie sicherlich auf siebzehn oder achtzehn Jahre geschätzt, doch mit seinem geübten Blick erkannte er sofort, dass sie höchstens fünfzehn war. Also definitiv zu jung. Er bevorzugte ja eher Mädchen, die ihre Weiblichkeit nicht mehr versteckten und stolz präsentierten. Und sie befand sich noch in diesem kostbaren Zwischenstadium. Kein Kind mehr, aber auch noch keine Frau. Aber in ein oder zwei Jahren würden sich sicher die jungen Männer einen Finger abschneiden, um ein Date mit ihr zu bekommen. Das heißt, wenn sie ihren trotzigen Blick ablegen würde. Denn der sagte jedem:

„Quatsch mich nicht blöd an, sonst trete ich dir in die Eier!“

Plötzlich kam Bewegung in die Gruppe hinter ihr und er verlangsamte seine Fahrt. Über Jahre hinweg hatte er ein Gespür für heikle Situationen entwickelt und erkannte die drohende Gefahr an winzigen körperlichen Reaktionen. Ein verdächtiges Augenzucken, kleine Schweißperlen oder die kurzen abgehackten Bewegungen, die einem Angriff vorausgingen. Die beiden Kerle tuschelten und stupsten sich gegenseitig an, bevor sie dann langsam zu ihr aufschlossen. Vom Typ her tippte er bei Arschloch Nummer eins auf einen verzogenen Arztsohn, während Arschloch Nummer zwei wahrscheinlich der Kapitän des High School Footballteams war.

Er ließ seinen unauffälligen Transporter mit dem Logo einer nicht existierenden Klempnerfirma langsam ausrollen und öffnete eine kalte Coca-Cola light, die er aus der kleinen Kühlbox auf dem Beifahrersitz gefischt hatte. Für ihn war es mindestens genauso erregend als heimlicher Beobachter einer Situation beizuwohnen, wie aktiv am Geschehen teilzunehmen. Und langsam stellte sich auch das altbekannte Kribbeln ein.

Arschloch Nummer zwei war nur noch eine Armlänge von ihr entfernt und lief jetzt leise im Gleichschritt hinter ihr. Vorsichtig bewegte er seine Hand in Richtung ihres wippenden Minirocks und es war völlig klar, was er vorhatte. Was für Außenstehende nach einem pubertären Spaß aussah, war für die Bloßgestellten die soziale Ächtung im Universum des Schulalltags.

Dann schoss seine Hand vor und griff nach dem weichen Stoff.

Wie aus dem Nichts glänzte etwas Metallisches zwischen ihren Fingern auf und die darauf folgende blitzartige Bewegung eines aufklappenden Butterflymessers hätte jedem Gangster aus der Bronx ein anerkennendes „Scheiße Mann!“ abgerungen. Sie wirbelte herum, die Klinge zischte in Richtung seines Kopfes und verharrte Millimeter unter seinem Kinn.

Reflexartig ging er auf die Zehenspitzen, doch der Stahl folgte ihm. Deutlich konnte man die kleine Kuhle sehen, die die Messerspitze in der weichen Haut seines Halses hinterließ. In ihrem Gesicht war keinerlei Regung zu entdecken, als seine Lippen zu murmeln begannen und immer hektischer stammelten.

Es musste so etwas wie, „Ich gebe dir von jetzt an mein ganzes Taschengeld und lecke deine Muschi, wann immer du befielst!“ gewesen sein. Denn sie grinste plötzlich und klappte bedächtig die scharfe Klinge in die Griffschalen, bevor sie sich umdrehte und ihren Weg fortsetzte, als hätte nur jemand nach der Uhrzeit gefragt.

Arschloch Nummer zwei ließ sich langsam zurück auf die Füße sinken, dann knickte er ein. Keiner aus der Gruppe kam zu Hilfe, um ihn aufzufangen. Sie standen noch immer wie aus Stein gehauen und blickten entgeistert dem sich entfernenden Minirock hinterher. Erst als sie hinter der nächsten Ecke verschwunden war, schafften es einige Schüler sich aus ihrer Erstarrung zu lösen.

Er startete nachdenklich seinen Transporter und rollte in der Gegenrichtung davon. Das konnte kein Zufall sein!

„Vielleicht ist sie die Eine, die ich seit diesem blöden Arztbesuch finden will?“

Damals saß er in Doktor Greys Wartezimmer und folgte mit den Augen dem kleinen Fisch im Aquarium, der wie ein Staubsauger die winzigen Algen von den Scheiben sog. Wie blöd kann man eigentlich sein und freiwillig zu einer Routineuntersuchung gehen. Dann, nach einer Woche kam der Anruf.

„Wir müssen über ihre Werte sprechen!“

Und jetzt saß er hier und ließ sich von Einkaufszentrums-Fahrstuhl-Musik berieseln, während der Doktor wahrscheinlich schon seinen Totenschein ausfüllte. Er solle sich vorerst keine Sorgen machen, meinte Grey, aber ein paar Tests seien schon noch nötig.

„Warum sahen hier die Wartebereiche eigentlich immer so aus wie die heimischen Wohnzimmer?“

Da verging einem doch glatt das Biertrinken vorm Fernseher. Jeden Moment konnte die Schwester aus der Küche auftauchen und „Der Nächste bitte!“ flöten. Nein, wenn man krank war, dann richtig! Lieber kalter Stahl, Glas und Kunststoffboden, als Versinke-Sessel und Plüschteppich. Da wusste man jedenfalls, hier wird Medizin gemacht. Und diese doofen Sommerkleid-Mädchen, die auf den Bildern grinsend durch blumige Phantasielandschaften hüpften, gingen gar nicht! Da waren Vorher-Nachher-Bilder von Meth-Süchtigen allemal besser, denn so konnte man sich schon auf das vorbereiten, was hinter der Sprechzimmertür auf einen lauerte. Und man verlor nicht die Lust darauf, nach Hause zu gehen, wenn das eigene Wohnzimmer so aussah wie der Vorhof zur Hölle.

Die Ausführungen von Doktor Grey waren hochinteressant, nur verstand er nicht, worum es eigentlich ging. Lieber fixierte er einen verdächtigen Fleck auf dem sonst blütenweißen Arztkittel.

„Entweder Senf oder der Tropfen einer Probe aus den Tiefen des menschlichen Körpers!“

Er entschied sich für Senf.

„Haben Sie mich verstanden?“, fragte Grey mitfühlend.

„Ja … doch. Ich habe Sie verstanden. Irgendetwas hat sich meinem Körper breit gemacht und frisst mich langsam auf.“

„Na ja“, fuhr Grey stirnrunzelnd fort, „vereinfacht ausgedrückt haben Sie recht.“ „Aber es gibt da vielversprechende Therapieansätze …“

Den Rest sparte er sich, denn vielversprechend bedeutete aussichtslos und Therapieansatz hieß wohl, dass alle absolut keine Ahnung hatten, wie seine Krankheit zu behandeln war. Ihm blieb demnach nicht mehr viel Zeit, um sein Vermächtnis weiterzugeben.

Da war doch die Baustelle, die ihn zufällig zu ihr führte, wie ein Wink des Himmels. Oder eher der Hölle!

Schon nach kurzer Zeit waren seine Informationen vollständig. Sie hieß Sam, das heißt eigentlich Samantha. Ihre Eltern taugten offensichtlich nicht zur Kindererziehung und ihr bescheuerter Bruder quälte lieber kleine Tiere, als sich mit etwas Vernünftigen zu beschäftigen. Und so war es nicht weiter verwunderlich, dass Sam etwas ins Freakige abdriftete.

In der Schule galt sie als Sonderling, die nur andere Sonderlinge als Freunde hatte. Waren die anderen häufig Spott und Häme ausgesetzt, so hielt man zu Sam lieber respektvoll Abstand. Besonders nach dem Butterflymesser-Zwischenfall, der den meisten hätte Warnung genug seien müssen. Denn keine Schülerin lief im Mini und mit zerrissenen Netzstrümpfen über den Campus, ohne auch nur eine anzügliche Bemerkung zu kassieren.

Aber offensichtlich hatte sich Sams Ruf noch nicht bis zu ihrem Chemielehrer herumgesprochen oder er ignorierte ihn aus völliger Selbstüberschätzung. Dieses seltsame Fach mit seinen rätselhaften Formeln und geheimnisvollen Namen war ihr einfach zu abstrakt. Einzig bei den meist sehr spannenden Experimenten war sie hellwach und konnte so die verschiedensten chemischen Reaktionen nachvollziehen. Aber ohne das nötige theoretische Wissen würde sie die Prüfungen wohl niemals bestehen. Und so war es auch nicht weiter verwunderlich, dass sie Mr. Backmann, der Chemielehrer, nach dem Unterricht zu sich rief.

„Ich glaube, du weißt warum ich dich gerufen habe?“, begann Backmann vorsichtig.

Er versuchte mehr oder weniger erfolgreich, Sam direkt in die Augen zu sehen. Doch sie wusste es besser. Der alte Knacker, dabei war er gerade einmal Anfang fünfzig, glotzte ihr ständig ungeniert hinterher. Am Anfang versuchte er immer, sein Gesabber zu verbergen, doch in letzter Zeit zog er sie mit seinen Blicken förmlich aus. Und Sam spielte mit ihm. Sie war sozusagen eine Backmann-Fernbedienung. Mit einem verschmitzten Lächeln, dachte sie an die eine Chemiestunde – Säuren und Basen – in der sie der geile Sack sicher schon mehrfach in Gedanken gefickt hatte.

Gelangweilt verfolgte sie damals Backmanns Ausführungen und rutschte dabei auf ihrem Stuhl immer weiter nach vorn, bis sie sich seiner Aufmerksamkeit sicher seien konnte.

„Fernsteuerung Backmann aktiviert!“

Interessiert verfolgte sie daraufhin mit den Augen zwei kleine Vögel, die vor dem Fenster des Chemiezimmers umeinander herumflatterten. Sie spreizte wie unabsichtlich ihre Beine, die in ihren berüchtigten zerrissenen Netzstrümpfen steckten, und schloss sie wieder.

„Backmann, An … Aus … An … Aus!“

Als sie sich kurz darauf mit einer wenig jungfräulichen Bewegung an der Innenseite ihres Oberschenkels kratzte, hätte sich Backmann fast hoch konzentrierte Salzsäure über seine Hand geschüttet. Er fluchte wie ein Junkie, dem seine letzten Drogenreserven aus Versehen ins Klo gefallen waren, und einige aus der Klasse schrien erschrocken auf. Nur für Sam schienen die Vögel vorm Fenster interessanter zu sein.

Und so stand nun für sie zweifelsfrei fest, worauf das Ganze hinauslaufen sollte.

„Arschloch!“

„Ja klar“, entgegnete Sam, „Sie wollen mich für den Chemie-Nobelpreis vorschlagen.“ Sie rutschte auf den vordersten Tisch und baumelte mit ihren Zwanzig-Loch Doc Martens in der Luft herum.

„Bei deinem Potential finde ich das definitiv nicht lustig, Sam“, fuhr er leicht verärgert fort. „Du bist wie eine Corvette, die nur Gas geben muss, benimmst dich aber wie ein japanischer Kleinwagen.“

Ihr entging nicht, dass sich sein Blick an ihrem Nabelpiercing, das unter ihrem engen Top hervorblitzte, festgesogen hatte.

„Ja, ja … ich weiß“, antwortete sie gelangweilt. „Die Theorie ist nicht so mein Ding. Ich bin mehr fürs Praktische.“

„Es tut mir wirklich sehr leid für dich“, sagte Backmann bestimmt, „aber wenn kein Wunder geschieht, dann wirst du das Schuljahr wiederholen müssen und du weißt was das heißt.“

„Dass ich das Glück habe, ein weiteres Jahr meines äußerst wertvollen Lebens an dieser ausgezeichneten Lehranstalt zu verbringen“, stieß Sam sarkastisch hervor.

„Ein bisschen Ernsthaftigkeit würde dir sicherlich gut tun“, meinte Backmann vorwurfsvoll. Seine Augen waren inzwischen zu Sams dezent geschminkten Lippen gewandert. „Also ich sehe in diesem Fall jedenfalls schwarz. Es sei denn …“

„Es sei denn, was …?“

„Es sei denn, ich gebe dir Nachhilfe“, lächelte Backmann, „und mit etwas Kooperation deinerseits ist alles kein Problem.“ Inzwischen glotzte er ungeniert auf Sams Brüste, die sich unter ihrem Shirt deutlich abzeichneten.

„Sie meinen doch sicher Kopulation“, stellte Sam grinsend fest.

„Ja, das würde auf jeden Fall einiges in Bewegung setzten“, antwortete Backmann mit einem schleimigen Lächeln.

„Und wenn ich Ihnen dazu noch einen blase, dann bekomme ich wohl eine Eins-Plus?“, grinste sie.

„Das kommt darauf an wie gut du bist“, gab Backmann leicht gepresst zurück.

Das Ganze entwickelte sich wie in einem billigen Porno und er spürte das Blut, das in seine Lenden schoss. Er, der respektable Lehrer, und sie, die nuttige Schülerin. Er überlegte wie eng sie wohl seien mochte und sein Gehirn schlug Purzelbäume.

„Weißt du was“, schnurrte Sam und rutschte von der Bank. „Fick … dich … selbst!“ Sie tippte Backmann bei jedem Wort mit dem Finger energisch gegen die Brust und funkelte ihn an.

„Chemie ist ein Hauptfach“, stammelte er verwirrt durch die plötzliche Attacke. „Ohne mich wirst du hier versauern!“

Das lief überhaupt nicht so, wie er es sich vorgestellt hatte. Anstatt seine Position voll auszuspielen, sah er sich von diesem kleinen Miststück in die Enge getrieben. Sie würde hier sicher noch mehrere Ehrenrunden drehen.

„Leck mich!“, schrie sie in das sonst leere Chemiezimmer, bevor sie Backmann mit einer eindeutigen Geste bedachte und aus der Tür rauschte.

Den nächsten Abend verbrachte Sam mit Colin, einem Mitschüler aus der Parallelklasse. Das Date verdankte er der Tatsache, dass er Backmanns Assistent im Chemielabor war und demzufolge einen Schlüssel zu den Räumlichkeiten besaß. Und auch wenn Sam als etwas sonderbar galt, war sie doch extrem sexy. Colin fing beinahe an zu sabbern, nachdem sie, ganz ihrem Naturell entsprechend, mit der Tür ins Haus fiel.

„Ich brauche den Schlüssel zum Labor“, begann sie mit einem unwiderstehlichen Augenaufschlag.

Der lange Flur im Erdgeschoß des dreistöckigen Schulgebäudes war fast völlig leer, nur einige Schüler der Oberstufe strebten nach Unterrichtsschluss dem Ausgang entgegen. Als sie Sam neben Colin sahen, starrten sie sie mit großen Augen an und stolperten dabei fast über ihre eigenen Füße. Unter der knappen Lederjacke trug sie wieder ein extrem kurzes Top und zwischen dem Saum ihres weiten Minirocks und den kniehohen Doc Martens blitzte die helle Haut.

„Was …?“, fauchte sie die Glotzer an. Mit einem erschrockenen Blick wichen die Angeblafften zurück, als wäre Sam ein Pitbull, der zähnefletschend an seiner Kette zerrte. „Arschlöcher …!“, rief sie ihnen noch hinterher, bevor sie sich wieder lächelnd Colin zuwandte.

„Also wie gesagt, ich brauche den Schlüssel“, wiederholte sie ihre Forderung erneut.

„Was … was willst du denn damit?“, stammelte er. Durch Sams Nähe und ihr dezentes Parfüm wurde er zum Vollidiot. „Und … und was krieg ich dafür?“ Durch die Aussicht, dass Sam etwas von ihm wollte und er demzufolge im Gegenzug ebenfalls Forderungen stellen konnte, wurde ihm ganz schwindelig.

„Also zur ersten Frage“, säuselte sie, „das geht dich nichts an.“ „Nur so soviel, ich muss jemandem eine kleine Lektion erteilen. Und zur zweiten Frage, was du dafür kriegst, … mich, du kriegst mich.“

„Ehrlich …?“ Colins Augen drohten aus den Höhlen zu fallen.

Irgendwie kam er sich vor wie im Traum, in dem eine gute Fee ihm einen Wusch erfüllte. Und bei so einem Angebot, da wünschte man sich kein Geld. Das konnte man später immer noch verdienen. Aber Sam …, mit Sam war das etwas anderes.

„Natürlich, Geschäft ist Geschäft“, lächelte sie zurück. „Aber nur damit eins klar ist: Essen, vielleicht Kino … knutschen und fummeln ist okay, doch ich werde dir keinen blasen.“ „Aber dafür …“, Sam machte eine kleine Kunstpause, „… habe ich sehr weiche Hände.“ Sie strich mit ihren Handrücken langsam über Colins Wange. Die zarte Berührung ließ ihn taumeln und er musste sich an einer Türklinke festhalten. „Außerdem darfst du bestimmen was ich anziehen soll“, lachte sie. „Und haben wir einen Deal?“

„Ja … ja klar“, stotterte Colin. „Wir haben einen Deal.“

Das Date war genau so verlaufen, wie Sam festgelegt hatte, und jetzt stand sie im Chemielabor vor dem Regal mit den verschiedensten Reagenzien. Colin hatte sich, ganz Gentleman, an die Abmachung gehalten und ihr danach den Schlüssel übergeben. Aber irgendwie war das auch schade. Er hätte ja zumindest versuchen können, ein bisschen mehr von ihr zu bekommen. Selbst auf die Gefahr hin, sich eine kräftige Ohrfeige einzufangen.

„Langweiler! Dann eben nicht.“

Nach kurzer Suche fand Sam genau das, was sie gesucht hatte. Backmann hatte für die kommende Chemiestunde die Elemente der ersten Hauptgruppe angekündigt.

„Jetzt wollen wir doch einmal sehen, wer hier im Unterricht nicht aufgepasst hat!“

Langsam füllte sich das Chemiezimmer mit den Schülern. Während sie noch auf dem Flur mit einer Geschwindigkeit dahinschlurften, als ginge es zu ihrer eigenen Hinrichtung, hellten sich ihre Gesichter beim Anblick des Versuchsaufbaus schlagartig auf. Mit Formeln konnte man keinen begeistern, mit Feuer und Rauch dagegen schon. Und so war es auch nicht verwunderlich, dass der einleitende Vortag über die chemischen Prozesse nicht mit einer kollektiven Bewusstlosigkeit endete.

„Die Bezeichnung Alkali“, begann Backmann und deutete mit einem Laserpointer auf die Elemente der ersten Hauptgruppe, die auf der Power-Point-Präsentation erschienen, „stammt aus dem Arabischen und bedeutet soviel wie Pottasche, der alten Bezeichnung von Kaliumcarbonat.“

Obwohl der Tonfall ihres Chemielehrers eher dazu geneigt war, eine Meditationsgruppe in Trance zu versetzten, huschten die Blicke der Schüler interessiert zwischen den geheimnisvollen Glasgefäßen auf dem Experimentiertisch und den bunten Quadraten des Periodensystems hin und her.

Noch gut erinnerten sie sich daran, als Backmann vor einigen Wochen eine Redoxreaktion, das so genannte Thermitverfahren, für die nächste Chemiestunde ankündigte.

Nachdem sie sich mühevoll durch das Reaktionsverhalten von Aluminium und Eisenoxyd hindurch gearbeitet hatten, ging es auf einen abgelegenen Platz des Schulhofes. Dort hatte Backmanns Assistent Colin bereits eine kleine Apparatur aufgebaut, in die jetzt eine Mischung aus Aluminiumgrieß und Eisenoxyd gegeben wurde. In diesem Zustand sei das ganze völlig ungefährlich, erläuterte Backmann damals, und es passiert also zuerst einmal gar nichts. Die Reaktion beginnt erst bei relativ hohen Temperaturen und muss demzufolge mit einer Art Zünder gestartet werden, einer Wunderkerze zum Beispiel. Das Aluminium setzt bei der Reaktion mit Sauerstoff gewaltige Energiemengen frei und sorgt so für die Verflüssigung des entstehenden Eisens. Das Thermitverfahren ist sozusagen ein Hochofen für den Hobbykeller, mit dem man unter anderem Eisenbahnschienen zusammenschweißen kann.

Auf ein Zeichen wichen die Schüler ehrfurchtsvoll zurück, Backmann entzündete die Wunderkerze und steckte sie in das Reaktionsgefäß. Das Gemisch begann zuerst relativ unspektakulär zu glühen. Plötzlich stob ein riesiger Funkenregen in den Himmel, als wäre der Schulhof das Ziel eines intergalaktischen Angriffs. Unter dem begeisterten Aufschrei der gesamten Klasse tropfte das verflüssigte Eisen in einen Stahltiegel unter der Versuchsapparatur und bildete dort einen rot-flüssigen See.

Nach dieser Erfahrung war die Erwartung auf ein erneutes spannendes Experiment natürlich entsprechend hoch und Backmann hatte die volle Aufmerksamkeit seiner Schüler. Von einer ganz besonders.

„Pottasche“, fuhr er fort, „klingt erst einmal sehr abstrakt, aber sie begegnet uns häufig.“ Er warf einen fragenden Blick in die Runde. „Wer von euch kennt ein Beispiel oder eine bestimmte Zeit, in der wir, ohne dass es uns bewusst ist, häufig mit Pottasche in Berührung kommen?“

Die Frage nach der Gravitationskonstante hätte wahrscheinlich ähnlich ratlose Gesichter nach sich gezogen. Allgemeines Gemurmel kam auf, aber es meldete sich niemand.

„Okay, ich gebe euch noch einen Hinweis“, meinte Backmann resigniert. „Weihnachten!“

„Pottasche entsteht, wenn man den Kamin anzündet!“, rief Mel erfreut von der letzten Bank und war offensichtlich von ihrer Eingebung selbst überrascht, denn sie grinste verlegen. „Das Holz verbrennt und es entsteht Pottasche.“ Sie strahlte, als würde sie jetzt schon unter dem Weihnachtsbaum sitzen und ihre Geschenke auspacken. Vielleicht war ja ein kleines Chemielexikon dabei.

Backmann rollte mit den Augen und die Klasse kicherte.

„Lieber Gott, bitte lass Hirn regnen!“

„Pfefferkuchen!“ Alle drehten sich zu Sam um. „Pottasche braucht man für Pfefferkuchen, ihr Spackos!“ Sie erntete jede Menge verwunderte Blicke, denn dass sie einen Kommentar abgab war so selten, wie die Teilung des Roten Meeres durch Moses. „Ja was?“, kommentierte sie die entgeisterten Gesichter. „Ich esse nun mal gern Pfefferkuchen.“

„Danke Sam“, antwortete Backmann ebenfalls leicht irritiert, „du hast Recht, Pottasche benötigt man für Pfefferkuchen.“

„Das Danke kannst du dir in den Arsch schieben!“

„Da wir nun wissen, dass uns die chemischen Elemente auf Schritt und Tritt begegnen“, fuhr er fort, „zurück zu den Alkalimetallen.“ „Sie sind Leichtmetalle und haben typische, vergleichbare Eigenschaften. Zum Beispiel sind sie so weich, dass man sie problemlos mit dem Messer scheiden kann. Die Schnittstellen zeigen dabei einen metallischen Glanz, außerdem leiten die Metalle gut den elektrischen Strom. Sie besitzen nur ein einziges Außenelektron, was auch der Hauptgrund für die hohe Reaktivität dieser Elemente ist. Und die nimmt von Lithium bis zum Cäsium dramatisch zu.“

Mit dieser Ankündigung von etwas Dramatischem war ihm sofort wieder die Aufmerksamkeit der ganzen Klasse sicher. Langsam fischte er einen kleinen Lithiumwürfel aus dem Glasbehälter, der zur Vermeidung einer vorzeitigen Reaktion mit Paraffinöl gefüllt war. Kurz hielt Backmann ihn über das durchsichtige Wassergefäß, bevor er ihn hineinfallen ließ.

Es sprudelte ein wenig und der kleine Würfel tanzte auf der Wasseroberfläche, während er eine rosarote Farbspur hinter sich her zog. Nach einer Minute endete der Wassertanz und einige Schüler zogen lange Gesichter. Dramatisch geht eindeutig anders. Doch das änderte sich schlagartig, als Backmann eine Schutzbrille hervorholte und sehr bedächtig aufsetzte. Zusätzlich schob er noch eine Scheibe aus Spezialglas vor das Experiment, so dass die Schüler im Fall des Falles geschützt waren und sich honorargeile Anwälte nicht wie die Geier auf die Schulbehörde stürzten, wenn etwas schief ging.

„Bei Natrium und Kalium läuft die Reaktion weitaus heftiger ab“, begann Backmann. „Während Natrium in einer hellen Stichflamme hohe Energiemengen freisetzt, sobald es mit Wasser in Berührung kommt, explodiert elementares Kalium regelrecht. Eine Verwechslung kann deshalb schwerwiegende Folgen haben.“

Vorsichtig schob er die beiden mit Öl gefüllten Lagerbehälter vor sich und entnahm mit einer langen Zange eine Natriumprobe.

„Dieses Stück“, fuhr er fort, „wiegt ungefähr zehn Gramm und es wird in einer hellen Stichflamme oxydieren.“ Backmann drehte den kleinen Würfel so, dass alle die metallisch schimmernde Schnittfläche sehen konnten. „Die gleiche Menge Kalium würde sicherlich den gesamten Versuchsaufbau zerstören.“

Langsam senkte er die Probe auf die Wasseroberfläche und schaute sich um, denn bis die Reaktion einsetzte, würden einige Sekunden vergehen. Wie ein Magnet zog das Experiment die Blicke der Schüler auf sich. Selbst Sam schien interessiert, vielleicht zu interessiert. Er versank in ihren grünen Augen bis das seltsame Geräusch aus dem Behälter ihn aufschreckte. Aus den Augenwinkeln sah er gerade noch, wie sie ihm zum Abschied heimlich zuwinkte.

„Bye bye, Arschloch!“

Immer und immer wieder hatte er die Entscheidung vor sich hergeschoben, doch der teuflische Countdown in seinem Inneren zwang ihn schließlich zum Handeln.

„Tick-Tack … Tick-Tack!“

Aber wenn er sich jetzt beeilen würde, blieb ihm noch genug Zeit. Zeit, die er brauchte, um sie sein Handwerk zu lehren. Das hieß, wenn sie sich als würdig erweisen sollte.

Und dann kam dieser eine Tag im Herbst.

Die Bäume der kleinen Allee hatten sich bereits rotgolden verfärbt und lieferten sich einen Wettstreit mit den Sonnenstrahlen, die durch das immer lichter werdende Blätterdach brachen. Missmutig dachte er schon, dass er sie verpasst hätte, als sie wenige Meter vor seinem Wagen auftauchte.

Sie trug immer noch diesen trotzigen Blick zur Schau, aber irgendwie hatte sie sich verändert. Unter ihrer kurzen Jeansjacke waren eindeutig Rundungen zu erkennen und der Minirock katapultierte sie mindestens zwei Klassen höher. Ganz abgesehen von den schwarzen Overknee-Strümpfen, die einen aufregenden Blick auf ihre Schenkel freigaben, und den knöchelhohen Schnürboots aus rotem Lackleder, deren Sohlen früher sicher einmal die Reifen eines Militärfahrzeugs gewesen waren.

Da erkannte er, dass es jetzt kein Zurück mehr gab.

Vor einer halber Stunde hatte die Wirkung der Droge langsam nachgelassen. Er beobachtete sie durch einen Einwegspiegel. Auch wenn der gar nicht notwendig war, denn er hatte ihr die Augen verbunden. Das war eine reine Vorsichtsmaßnahme. Sollte sich doch noch herausstellen, dass sie für seine Zwecke ungeeignet war, dann würde sie auf einem verlassenen Grundstück oder einer abgelegenen Bushaltestelle erwachen. Das schonte die Ressourcen. Denn einen Körper zu entsorgen war nicht so einfach, wie es in manchen Filmen dargestellt wurde. Ein „Friedhof der Kuscheltiere“ auf eigenem Grund kam überhaupt nicht in Frage.

„Schauen Sie mal, was mein Hund auf Ihrem Rasen ausgebuddelt hat!“

Und wollte man ihn in Säure auflösen, dann benötigte man Mengen wie ein mittelgroßes Chemielabor. Selbst in handliche Stücke zerlegt, bestand immer noch die Gefahr entdeckt zu werden. Ein kaputtes Rücklicht und ein aufmerksamer Polizist konnten dann schnell zu einem Freifahrtschein in die Todeszelle werden. Obwohl er ernsthaft überlegte, ob es nicht besser wäre, mit einer Nadel im Arm friedlich einzuschlafen. Doch bis dahin hätte dieses Etwas in seinem Körper das Rennen längst gewonnen und er würde seinen letzten Atemzug bestimmt nicht in einer Gefängniszelle tun.

Aber der Anfang war vielversprechend, denn sie saß einfach nur auf dem Bett, kerzengerade und irgendwie gelangweilt. Trotz der schweren Handschellen mit denen ihre Hände auf dem Rücken gefesselt waren und der Kette, die ihr Halsband mit dem Eisenring im Boden verband. Selbst die schwarze Augenbinde aus dichtem Samt, die bei allen anderen vor ihr Panikattacken ausgelöst hatte, schien für sie nicht zu existieren. Auch fehlte das Schreien …, das Betteln …, das aussichtslose Zerren an dem massiven Stahl. Doch was nicht ist, kann ja noch werden.

Er zündete sich eine Zigarette an und öffnete die Tür.

„Showtime!“

Sie drehte nur einmal den Kopf in die Richtung der sich öffnenden Tür und das war auch schon ihre einzige Reaktion. Erst als der Rauch seiner Zigarette in ihre Nase drang, kam etwas Bewegung in ihren Körper. Sie hob leicht den Kopf, schnüffelte wie ein Reh, das die Witterung eines Raubtieres aufnahm, und als sie sich sicher war, dass er rauchte, fragte sie:

„Kann ich mal ziehen?“

Der Ton ihrer Stimme hörte sich nicht nach einer Bitte an, sondern eher nach einer Forderung. Er hätte sich nicht gewundert, wenn sie „Sonst breche ich dir den kleinen Finger“ nachgeschoben hätte.

Er musste grinsen und drückte ihr die Zigarette an die Lippen. Sie nahm einen tiefen Zug, behielt den Rauch kurz in den Lungen und blies ihn langsam wieder heraus.

„Danke.“

Und wieder klang es wie:„Das möchte ich dir auch geraten haben!“

Vielleicht stand sie ja irgendwie unter Drogen oder hatte ein krankhaft vermindertes Risikobewusstsein, aber es würde auf jeden Fall ein amüsanter Abend werden. Auf die eine oder andere Weise. Noch bevor er richtig darüber nachdenken konnte, meldete sie sich wieder zu Wort.

„Gibt’s in dem Laden hier auch etwas zu trinken?“

„Klar doch …“, prustete er vor Lachen heraus und verschluckte dabei den restlichen Satz, denn die Situation war wirklich äußerst skurril. Ganz so, als hätten die beiden die Rollen getauscht.

„Scheiße …“, brachte sie wieder völlig gelangweilt hervor, „mich hat ein Komiker entführt!“ „Was wird das eigentlich, versteckte Kamera? Um Vergewaltigung kann’s ja wohl kaum gehen.“

Der kräftige Schlag riss ihr beinahe den Kopf ab. Wie eine Stoffpuppe wurde sie herumgewirbelt und landete auf dem Boden. Sie schmeckte Blut im Mund, als er sie mit dem Gesicht auf den Stahlring drückte, der ihre Halskette hielt. Seine kräftige Hand glitt unter ihren Rock, packte den Slip und zog langsam daran, so dass der dünne String schmerzhaft in ihre Haut schnitt. Sie verfluchte sich selbst, weil ihre Augen feucht wurden und Tränen über ihre Wangen liefen, aber sie sagte keinen Ton. Erst als sie die Glut seiner Zigarette zwischen ihren Schulterblättern spürte, entwich ein dünner Schrei ihrem Mund.

„Na bitte, geht doch“, hörte sie seine befriedigte Stimme neben ihrem Ohr. „Ich dachte schon du bist ein Roboter.“

„Idiot!“

Sie wurde hochgehoben, wieder auf das Bett gesetzt und hoffte inständig, dass er ihre Tränen nicht bemerken würde.

„Ja … okay, ich hab’s kapiert“, sagte sie jetzt nicht mehr ganz so gelangweilt. Aber es lag immer noch dieser trotzige Unterton in ihrer Stimme.

„So … jetzt noch einmal von vorn“, forderte er, „was wolltest du eben sagen?“

„Kann ich etwas zu trinken haben … bitte!“

„Wenn du schon so nett fragst“, meinte er sarkastisch. „Was darf es denn sein? Die Bar ist recht gut bestückt, denn es sind nämlich nicht alle so aufmüpfig wie du. Und da kann es hier richtig gemütlich werden mit einem guten Tropfen. Aber ich glaube Wein scheidet bei dir aus und mit Coke oder Sprite scheinst du wahrscheinlich auch nicht viel anfangen zu können. Also ein Bier oder Red Bull?“

„Red Bull ist okay“, bestätigte Sam. „Aber könntest du vielleicht das Ganze etwas pimpen? Ein Schuss Wodka wäre nicht schlecht, es könnte ja mein letzter sein … bitte.“

Das spöttische Lächeln um ihren Mund verschwand genau so schnell, wie es gekommen war und die Erkenntnis durch seinen Kopf schoss. Ihm wurde ein klein wenig schwindelig und er musste sich mit einer Hand an dem massiven Bettposten festhalten. Erst als seine Hand eine der kühlen Edelstahlketten berührte, die an jeder Ecke des Bettes befestigt waren, beruhigte sich sein Puls.

„Sie ist es …! Mein Gott, das gibt es doch gar nicht!“

Langsam tasteten seine Finger über die einzelnen Glieder. Er gab Stahl schon immer den Vorzug. Denn im Gegensatz zu Seilen, die sich stets etwas dehnten, wusste bei Stahl jeder sofort, dass hier Endstation war. Auch wenn sie das nicht immer wahrhaben wollten.

Er mixte ihr einen großzügigen Drink und hielt ihr den Strohhalm an den Mund. Nachdem sie das halbe Glas aufgesogen hatte, ließ sie sich doch noch dazu herab, relativ normal danke zu sagen. Aber nur, um sich danach auf die Lippen zu beißen.

„Sorry … tut mir leid … ich kann nichts dafür!“, presste sie heraus.

„Na los … spuck es aus!“, forderte er. „Was wolltest du eben sagen?“ Ich tu dir auch nichts … versprochen!“ Wenn seine Einschätzung stimmte, dann konnte er sich gut vorstellen wie es jetzt weiterging. Sie würde sich mit Sicherheit nicht unterkriegen lassen! Wer sich von Handschellen, Augenbinde und Halskette nicht einschüchtern ließ, der würde auch die letzten kleinen Proben bestehen.

„Also wofür kannst du nichts?“, fuhr er in gespannter Erwartung fort.

„Na mit zwei Arschgeigen als Eltern und einem perversen Tierquäler als Bruder, da braucht man so eine Art Schutzmechanismus …“, begann Sam.

„Okay …“

„Bei mir sind das meine Sprüche, die dann einfach irgendwie heraus müssen und ich versuche cool zu bleiben“, ließ sie ihn wissen. „Das hat bis jetzt auch prima funktioniert … ja klar sind die in der Schule nicht gerade begeistert und Freunde macht man sich dadurch auch nicht eben viele, aber ich komme gut zurecht. Außerdem stehe ich sowieso nicht auf diese ganze Mädchenkacke, weißt du … ich bin eher so der alternative Typ.“

„Aha!“

„Außerdem hält das auch die Idioten auf Abstand, die denken sie können einen begrabschen“, klärte Sam ihn weiter auf. „Dabei trauen sich diese verklemmten Spießer nur nicht, ihren Frauen zu sagen, dass sie sich mal in High Heels und einen Mini schmeißen sollen. Und wegen ein paar geilen Idioten laufe ich doch nicht in einem Müllsack herum.“

Er antwortete nicht gleich, denn sein Blick blieb wie durch einen Magnet an ihren Knien hängen, wo helle Haut durch ihre schwarzen Strümpfe schimmerte.

„Ich weiß selbst wie ich aussehe“, fuhr sie fort und deutete damit die Pause richtig. „Aber das ist noch lange keine Einladung zum Tittenkneifen. Erst letztens hat das einer nicht kapiert. Dem habe ich meine Fingernägel durchs Gesicht gezogen … der sieht jetzt echt Scheiße aus.“

„Das kann ich mir denken …“, stellte er fest. Sie hatte bestimmt untertrieben und der Typ taugte jetzt nur noch als Statist für einen Zombiefilm. „… aber um nochmal auf meine ursprüngliche Frage zurückzukommen …“

„Bist du hässlich?“, platzte es aus ihr heraus.

„Wie bitte … ?“ Er versuchte einen möglichst neutralen Ton beizubehalten, um nicht wieder loslachen zu müssen, denn er war alles andere als hässlich. Unwillkürlich spannte er seine Brustmuskeln an, die er mit intensivem Hanteltraining herausgearbeitet hatte und die trotz seiner Erkrankung noch recht eindrucksvoll waren.

„Na sorry, aber was soll denn der ganze Mist mit dem Augen verbinden“, fuhr Sam fort. „Wenn du zum Beispiel wie Brad Pitt aussehen würdest, dann müsstest du das hier nicht durchziehen und würdest jede Menge Frauen abbekommen. Aber wenn du ein schwabbeliger alter Sack bist …“

„Nein, keine Angst!“, unterbrach er sie schmunzelnd. „Mit Brad Pitt kann ich zwar nicht mithalten, aber ich bin durchaus vorzeigbar. Und die Augenbinde ist deine Rückfahrkarte …“

Er machte eine kurze Pause und zog ihr langsam den weichen Stoff vom Kopf.

Trotz des gedämpften Lichtes musste sie blinzeln als er fortfuhr: „ … die du dir soeben vermasselt hast!“

Wie er bereits geahnt hatte, bestand ihre einzige Reaktion aus einem Schulterzucken. Dafür musterte sie ihn interessiert und er spürte förmlich, wie ihre Augen über seinen Körper glitten, bevor sie sich aufmerksam im gesamten Raum umsah.

Der wirkte auf den ersten Blick auch überhaupt nicht bedrohlich, sondern eher wie eine ordentlich aufgeräumte Werkstatt. Erst beim näheren Hinsehen bemerkte man die Hand- und Fußfesseln an den Flaschenzügen und dass die übrigen Gerätschaften nicht der Dressur von Tieren dienten. Spätestens jetzt hätte sie zusammenbrechen müssen, … wie alle anderen vor ihr.

„Ich habe mir schon so etwas gedacht“, kommentierte sie die Einrichtung. „Und du hast nicht gelogen, du bist kein alter Sack.“

Unwillkürlich musste er grinsen.

„Aber jetzt mal ehrlich“, fuhr Sam fort. „So wie du aussiehst, kannst du dich sicher nicht über einen Mangel an Damenbekanntschaften beklagen und ich wette, dass einige auf solche Sachen stehen. Also was soll das Ganze?“

„Das Problem dabei ist“, antwortete er, „dass diese Frauen es dann wollen, es als Spiel betrachten und dann alles viel zu voraussehbar ist.“ „Aber ich will echte Reaktionen und schauen wie es sich entwickelt. Ich gebe dir hierzu einmal ein Beispiel …“

„Na da bin ich aber gespannt!“, gab Sam interessiert zurück.

„Angenommen du möchtest Urlaub machen und hättest zwei Möglichkeiten“, begann er. „Nummer eins, eine Pauschalreise mit Flug, tollem Hotel am Strand und Getränken bis zum Abwinken. Nummer zwei, ein Ticket in ein exotisches Land, kein Geld in der Tasche, aber die Aussicht auf ein Abenteuer.“ Er machte eine kurze Pause. „Wofür würdest du dich entscheiden?“

„Das ist jetzt nicht dein Ernst?!“ Zum ersten Mal zog ein echtes Lächeln um ihren Mund. „Oder sehe ich etwa nach Pauschalreise aus?“

„Na siehst du“, seine Stimme wurde tiefer und eindringlicher, als er sich zu ihr herunterbeugte. „Ich glaube so langsam, dass du genau die Richtige bist.“

„Wofür“, zischte sie zurück, „für das da?“ Sie deutete mit dem Kopf in Richtung des Untersuchungsstuhles, dessen feste Ledergurte einen sehr stabilen Eindruck machten. „Die anderen Sachen können wir ruhig einmal ausprobieren, ich bin ja sehr experimentierfreudig. Aber solltest du versuchen mich auf das Ding zu bekommen, dann siehst du bei der erst besten Gelegenheit so aus wie der Typ, der mir an die Wäsche wollte.“

Sie funkelte ihn an und er wusste, dass sie es ernst meinte. Der Butterflymesser-Zwischenfall war ihm noch in guter Erinnerung. Eine Sekunde Unachtsamkeit und einer ihrer Türeintretstiefel würde in seinen Eiern landen. Sie war wirklich eine echte Kämpferin. Nur einen Test musste sie noch bestehen.

„Keine Angst, das würde mir jetzt nicht einmal mehr im Traum einfallen.“ Seine Stimme wurde noch tiefer neben ihrem Ohr, denn er wusste welche Wirkung das auf alle anderen gehabt hatte. „Ich möchte dir jetzt etwas zeigen … etwas ganz anderes.“

Er löste die Kette von ihrem Halsband und zog sie daran hoch. Dann schob er sie zu einer Tür am anderen Ende ihres Gefängnisses, die sie zuvor noch nicht bemerkt hatte. Als er die Klinke nach unten drückte, spürte sie einen kühlen Hauch wie aus einer Gruft. Aber die Luft roch nicht modrig oder abgestanden, sondern eher frisch und irgendwie steril. Sie hörte das leise Klicken eines Schalters, dann tauchte helles Neonlicht den Raum hinter der Tür in ein unwirkliches Weiß. Und sie erfasste alles mit einem Blick.

Die bis zur Decke gefliesten Wände, den Abfluss im Boden, den großen, matt glänzenden Seziertisch und den kleinen Wagen daneben, auf dem verschiedene Instrumente herausfordernd blitzten. Man könnte glauben, es handelte sich um einen ganz normalen Obduktionssaal in der Gerichtsmedizin. Wären da nicht die schweren Edelstahlfesseln an dem Tisch gewesen.

„Und …?“, fragte er und suchte in ihrem Gesicht nach irgendeiner Reaktion.

Sie lächelte und sah ihm das erste Mal direkt in die Augen.

„Dafür fallen mir gleich mehrere Kandidaten ein“, antwortete sie und wusste instinktiv, dass sie schon bald die Instrumente benutzen und die Schreie hören würde.

-1-

Araya starrte mit großen Augen auf die Waffe, deren Lauf und Trommel silbern im matten Licht glänzten. Der Hahn war bereits vorgespannt, so dass eine leichte Bewegung des Abzugs ausreichen würde, den Revolver abzufeuern. Und er enthielt nur eine einzige Patrone. So stand es jedenfalls auf dem Zettel, der unter der schweren Waffe steckte.

Und sie wusste, dass es stimmte.

Aber dass es ein Smith & Wesson Revolver war, der ihr hier in dem kleinen fensterlosen Raum wie ein Geschenk des Himmels erschien, wusste sie nicht. Nur dass diese Waffe ihr den einzigen Ausweg bot.

Aus der üppig blühenden Seerose, denn das bedeutete der thailändische Name Araya, war ein verkümmertes Pflänzchen geworden. Mit zitternden Händen griff sie den kalten Stahl und überlegte, was wohl auf der anderen Seite auf sie wartete. Der Himmel, das Paradies, Buddha oder Gott? Egal, es war auf jeden Fall tausendfach besser als all das, was sie erwarten würde, wenn sie es nicht täte. Und es war ihre einzige Chance – so stand es ebenfalls auf dem Zettel. Ließe sie diese ungenutzt, dann würde alles so weitergehen, mit tödlicher Präzision. Und es würde mit Sicherheit niemals enden.

Mit zitternden Händen steckte sie sich den Lauf in den Mund und drückte ab.

„Irgendwie macht mich das immer noch ganz schön an“, schnurrte die junge Frau aus den weichen Seidenlaken. „Los, lass uns ficken!“

Sie kroch katzengleich hinter Patriks Rücken, biss ihn sanft in das Ohr und ließ ihre Hände in seinen Schoß gleiten. Mit einem befriedigenden Kichern stellte sie fest, dass hier keine großen Überredungskünste mehr nötig waren.

„Hast du die Quoten gesehen?“, fragte er über seine Schulter hinweg und suchte nach ihren verheißungsvollen Lippen. Sie hatten auf dem großen Flatscreen gerade die letzten Minuten im Leben der jungen Thai beobachtet.

„Wen interessieren schon Quoten?“, flüsterte sie leise und schlang ihre Arme um ihn.

Doch er überschlug bereits im Kopf den Gewinn. Nach Abzug aller Aufwendungen, einschließlich der Gewinnausschüttung, würden knapp eine halbe Million Dollar übrigbleiben. Steuerfrei natürlich und nicht schlecht für eine Woche reiner Organisationsarbeit.

„Was hast du an ‚Lass uns ficken‘ nicht verstanden?“, fragte sie jetzt provokant.

Sie hatte sich direkt vor ihn gestellt, so dass sie nur als Silhouette vor dem Bildschirm zu erkennen war. Eine warme tropische Brise fuhr durch die bodentiefen Fenster und blähte die leichten Vorhänge wie ein Segel. Sie nahm Patrik das Glas aus der Hand, in dem noch Eiswürfel in den Resten seines Gin Tonic klirrten. Langsam hob sie ihr Bein und stieß Patrik damit zurück, um dann sofort auf ihn zu springen.

Er sah das Funkeln in ihren Augen und packte den festen Hintern, weil er wusste was jetzt passierte. Denn sie hielt sich nie mit Zärtlichkeiten auf. Sie war eher wie eine Löwin, die sich nahm, was sie wollte. Und meistens war sie unersättlich. Wenn er eine Verschnaufpause benötigte, dann gönnte sie ihm höchstens fünf Minuten … mit viel Glück. Aber ihr warmer Mund und ihre weichen Lippen leisteten gute Überzeugungsarbeit.

Bei ihrem ersten Mal kam sie so heftig, dass die tiefen Kratzer fast zwei Wochen brauchten, um zu verheilen. Und als das heftige Zucken ihres Körpers langsam abebbte, wischte sie sich mit dem Handrücken Blut von den Lippen wie ein Vampir nach seiner Mahlzeit. Denn sie hatte ihn im orgastischen Rausch in die Schulter gebissen.

Das war der Augenblick, in dem er sich in sie verliebte.

Aber alles begann in Ungarn, kurz nach dem Zusammenbruch des Ostblocks. Die Verlockungen des Westens waren für Patrik zum Greifen nahe, doch die zunehmende Liberalisierung der Wirtschaft forderte auch in der Hauptstadt Budapest ihren Tribut.

Patriks Vater László, ehemals Entwicklungsingenieur in einem nicht unbedeutenden pharmazeutischen Unternehmen, verlor von einem Tag auf den anderen seinen Job und baute, im Vertrauen auf seine eigenen Fähigkeiten, die Garage seines kleinen Häuschens zu einem Labor um. Ganz von der allgemeinen Aufbruchsstimmung beseelt, war er sicher, marktfähige Produkte entwickeln zu können, um sich so eine Scheibe vom ganz großen Kuchen abzuschneiden. In mühevoller Arbeit konstruierte er kleine Destillier- und Extraktionsanlagen und schleppte kistenweise Reagenzgläser, Erlenmeierkolben und Petrischalen in das niedrige, von wildem Wein überwucherte Gebäude.

Und schon nach kurzer Zeit wurden seine Anstrengungen belohnt, denn seine Forschungen im Bereich der Pheromone stießen auf das besondere Interesse in der Landwirtschaft. Und davon gab es ja in Ungarn mehr als genug. Doch auch große Chemiekonzerne schickten ihre Vertreter in das kleine Hinterhoflabor in den noch fast ländlichen Vorort der ungarischen Hauptstadt. Hatten ihre Kunden doch häufig Probleme mit extremem Schädlingsbefall, dem auch mit immer aggressiveren Pestiziden nur schwer Herr zu werden war. Zudem wurde das Gespür der Verbraucher für ökologisch angebaute Produkte immer sensibler und da kamen die Lockstofffallen, die mit den spezifischen Pheromonen der jeweiligen Schädlinge bestückt wurden, gerade recht. Das versetzte László Nagy in die recht komfortable Lage, sich auch der Erforschung und Entwicklung anderer Lockstoffe widmen zu können.

Nur sein Sohn Patrik teilte nicht seine Leidenschaft und er konnte ihn nur mit Mühe und einigen hundert Forint überreden, ihm bei seinen meist sehr aufwendigen Experimenten zu helfen. Dass der Junge natürlich lieber mit seinen Freunden herumhing, sich für die neuen Möglichkeiten der Computertechnik interessierte oder versuchte, die hübschen jungen Ungarinnen zu beeindrucken, war ja auch völlig normal. Bis er sich dann eines Tages doch einmal in gewohnter jungendlicher Lässigkeit herabließ, nach dem Sinn des Ganzen zu fragen. Mit immer größer werdenden Augen lauschte er zwischen den leise blubbernden Destillierkolben und der surrenden Zentrifuge den Ausführungen seines Vaters, der ihm die Wirkungsweise der Pheromone bis ins Detail erklärte.

„Soll das heißen“, fragte Patrik skeptisch, „dass man, vorausgesetzt es ist der richtige Lockstoff, ein Tier dazu bringen kann, Sachen zu tun, die es eigentlich gar nicht will?“

„Vereinfacht ausgedrückt, ja!“, antwortete László, der von dem aufkeimenden Interesse seines Sohnes hellauf begeistert war. „Du darfst aber nicht denken, dass Pheromone eine Art Fernsteuerung sind! Vielmehr lösen sie unbewusst primitive Reaktionen aus, wie Fressen, Aggressivität oder Paarungstrieb.“

„Paarungstrieb …“, lachte Patrik los, „also wenn ich mir davon einen Tropfen aufs T-Shirt träufele, dann wird Lena ganz verrückt nach mir?“

Schon seit Längerem, hatte Patrik ein Auge auf die brünette Schönheit geworfen, auch wenn sein Interesse von ihr nicht voll erwidert wurde. Sie hing meist mit den Söhnen besser betuchter Eltern herum als mit dem sportlichen jungen Mann, dessen Vater skurrile Experimente in der familieneigenen Garage betrieb. Doch das könnte sich jetzt durchaus ändern.

„Also in deinem Fall“, schmunzelte László, „würde ich es erst einmal mit einer heißen Dusche und einem sauberen Hemd probieren.“

Ihm fiel nicht weiter auf, dass am nächsten Abend ein kleines braunes Fläschchen aus dem Labor verschwunden war.

Wie an jedem Nachmittag traf sich die kleine Clique an der Nachbildung des typischen Puszta-Ziehbrunnens auf dem Marktplatz. Patriks Herz schlug heftiger bei dem Gedanken, dass Lena auch jeden Augenblick hier auftauchen würde. Natürlich hatte er nicht den Rat seines Vaters angenommen, denn er war ganz von selbst darauf gekommen, zu duschen und ein schickes Hemd anzuziehen. An seinem Moped war kein Staubkörnchen zu entdecken und er duftete dezent nach Hugo Boss, dass er sich aus dem Schrank seines Vaters geliehenhatte. Zusammen mit den anderen übte er sich darin, in der Hitze des Nachmittags besonders lässig zu wirken.

Bierflaschen kreisten, Tibor spendierte eine Runde Lucky Strikes und die Gespräche der Gruppe verschmolzen in Patriks Ohren zu einem dumpfen Gemurmel, in dem er vor Aufregung seinen eigenen Puls rauschen hörte. Kurz zuvor hatte er mit seinem Moped noch vor dem Haus der Witwe Novak gestoppt, deren Zwergpinscher Peppi wie immer aufgeregt knurrend am Gartenzaun emporsprang.

In gut einer Stunde würde sie mit ihm, wie jeden Tag, über den kleinen Marktplatz schlendern und sich dort mit István treffen. Und einen kleinen Schwatz halten, während Peppi und Istváns Rottweiler sich gegenseitig beschnüffelten. Nur dass es heute etwas anders ablaufen würde.

„Ich hab heute Vormittag Istváns Hund gesehen“, begann Patrik unverfänglich. „Irgendwie sah der komisch aus, hat die Zähne gefletscht und mich angeknurrt. Vielleicht hat er Tollwut.“ Mit der Mitteilung über einen tollwütigen Hund war ihm die Aufmerksamkeit seiner Freunde sofort sicher.

„Das glaubst du doch selbst nicht“, warf Tibor ein. „Der rennt doch ständig zum Tierarzt. Jede Wette, dass er seinen Hund gegen alles Mögliche impfen lässt, auch gegen Tollwut.“

Jetzt musste Patrik seinen Trumpf ausspielen.

„Okaaay …“, brachte er gedehnt hervor und kramte aus seiner Tasche einen zusammengefalteten Zehndollarschein. „Den setzte ich darauf, dass der Köter heute durchdreht. Wer setzt dagegen?“

Herausfordernd sah er sich in der Runde um und alle Augen starrten auf dem Dollarschein. Nach und nach fanden sich ein Schweizer Taschenmesser, ein Zippo, eine gebrauchte Swatch, ein Armband und eine kleine Silberkette neben dem Dollarschein als Wetteinsatz, während plötzlich mit lautem Geknattere Milán auftauchte.

Er war der heimliche König der Vorstadt, auch wenn ihn wegen seiner überheblichen Art niemand recht leiden konnte. Aber er schmiss coole Partys und es wurde gemunkelt, dass sein Vater mit illegalen Geschäften einen Haufen Geld verdiente. So war es auch nicht verwunderlich, dass auf dem Rücksitz seines brandneuen Honda-Rollers Lena saß.

„Nutte!“

„Was geht ab Leute?!“, rief er zu Begrüßung in die Runde, nachdem er seinen Roller neben dem Brunnen abgestellt hatte. Sofort fiel ihm das kleine Sammelsurium der Wetteinsätze auf, zu dem sich inzwischen noch ein Gameboy und ein kleiner goldener Ring gesellt hatten.

„Patrik hat gewettet, dass Istváns Köter heute durchdreht“, klärte Tibor ihn lachend auf.

„Glaub ich nicht“, gab Milán zurück. „István ist unser Nachbar und wenn mit dem Köter etwas wäre, dann hätte ich es bemerkt.“

„Dann setze doch dagegen!“, mischte sich Lena herausfordernd ein. Sie stemmte ihre Hände in die Seiten und wippte provokativ mit den Hüften hin und her.

Natürlich konnte Milán diesen offensichtlichen Angriff nicht auf sich sitzen lassen, noch dazu von Lena. Alle Augen waren jetzt auf ihn gerichtet, also genau der richtige Zeitpunkt, um zu demonstrieren, wer hier das Alphatier war. Mit einer lässigen Geste ließ er den Schlüssel seines Honda-Rollers auf die Wetteinsätze fallen, was ihm sofort anerkennendes Gemurmel einbrachte.

„Los, leg noch was nach!“, forderte er Patrik auf. „Du musst zugeben, dass die zehn Dollar gegen mein Schmuckstück etwas matt sind.“

„Okay …“

Patrik öffnete den Verschluss seiner Uhr und streifte sie vom Handgelenk. Den Seiko-Chronograph hatte er sich von dem Geld, das ihm sein Vater für seine Hilfe im Labor bezahlte, zusammengespart. Und jetzt konnte er das erneute Gemurmel auf sein Konto verbuchen. Nur sein Freund Tibor zeigte ihm mit einer eindeutigen Geste, dass er seine Aktion für komplett bescheuert hielt. Aber in Lenas Augen war plötzlich dieses unglaubliche Blitzen, als sie ihn anlächelte. Die Welt gehört eben doch den Mutigen.

Dann dauerte es nicht mehr lange. Die Witwe Novak bog mit Peppi auf den kleinen Platz ein und schlagartig verstummte jedes Gespräch in der Clique. Es war fast wie in einem klassischen Western, wenn die Kontrahenten auf der Hauptstraße vor dem Saloon aufeinandertreffen.