SKULL 6: Im Namen des Ares - Stefan Burban - E-Book

SKULL 6: Im Namen des Ares E-Book

Stefan Burban

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Beschreibung

Erstmals seit Kriegsbeginn ist das Vereinigte Koloniale Königreich in der Offensive. In Dutzenden kleiner Scharmützel und Gefechte fügen sie den Invasionsstreitkräften der Solaren Republik immer wieder schwere Verluste zu. Doch diese stehen unter neuer Führung und sind dabei, sich zu erholen. Das Königreich steht kurz davor, die unter so bitteren Opfern erkämpfte Initiative wieder zu verlieren. Allen Beteiligten ist klar, ein Symbol muss her, um den Menschen aller besiedelten Welten vor Augen zu führen, dass das Königreich keineswegs tot ist. Dieses Symbol ist Castor Prime. Die royalen Streitkräfte führen unter Einbeziehung der Skulls eine gewagte Operation durch, um die Hauptwelt des Königreichs zurückzuerobern. Doch der Feind rechnet bereits mit einem derartigen Vorhaben und hat Kräfte zusammengezogen, um die königlichen Truppen gebührend zu empfangen …

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Seitenzahl: 494

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhalt

Prolog Strategiewechsel

Teil I Keine Kompromisse

1

2

3

4

5

Teil II Der Prinz kehrt zurück

6

7

8

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Teil III Eine Krone für den Prinzen

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Epilog Der Widerstand lebt

Weitere Atlantis-Titel

Eine Veröffentlichung des Atlantis-Verlages, Stolberg September 2024 Druck: Schaltungsdienst Lange, Berlin Titelbild: Mark Freier Umschlaggestaltung: Timo Kümmel Lektorat und Satz: André Piotrowski ISBN der E-Book-Ausgabe (EPUB): 978-3-86402-948-6 Besuchen Sie uns im Internet:www.atlantis-verlag.de

PrologStrategiewechsel

15. März 2648

Lieutenant Erik Hansen schlenderte voller Selbstvertrauen durch die Korridore des Präsidentenpalais auf Reykjavík. Dieser Anbau war relativ neu, erst vor wenigen Wochen fertiggestellt. Der Flügel verlieh dem Prunkbau den Anschein, als handele es sich wirklich um einen Palast.

Erik behielt eine neutrale Miene bei. Tief in seinem Inneren spürte er jedoch den Stachel von Ekel und Abscheu. Dort draußen starben jeden Tag Tausende von Soldaten der Solaren Republik in einem unerklärten und sinnlosen Krieg. In einem Krieg, der niemals hätte ausbrechen dürfen. Pendergast allein trug die Verantwortung dafür. Gleichzeitig umgab er sich auf seinem ureigensten Territorium fernab der Kämpfe mit Luxus. Als könnte all der Tand den Gestank der Fäulnis in Pendergasts Innerem überdecken. Erik hatte das nicht mehr länger ertragen. Die Suche nach einem Ausweg aus diesem moralischen Dilemma trieb ihn geradewegs in die Arme von Rodney MacTavishs Widerstandsbewegung.

Eriks Vater war bereits Soldat gewesen und dessen Vater vor ihm. Er hätte sich selbst als Verräter sehen müssen, tat es aber nicht. Im Gegenteil. Erik war Patriot. Er liebte seine Sternennation und die Menschen, die darin lebten. Deswegen handelte er nach seinem Gewissen und tat, was er tun musste. Für ihn waren Pendergast und die verbrecherische Clique, die der Präsident um sich geschart hatte, die Verräter. Und es war seine Pflicht – als Bürger der Republik und loyaler Offizier – diesem Feind entgegenzutreten.

Bisher nur im Verborgenen. Jetzt kam der Zeitpunkt der Abrechnung näher. Und Erik hoffte inständig, er würde es noch erleben, wenn Männer wie Pendergast, Gorden und Mulligan vor Gericht standen, um ihre gerechte Strafe zu erhalten. Damit niemand jemals vergaß, dass das Streben nach Macht zulasten eines unschuldigen Nachbarn am Ende immer seinen Preis forderte.

Erik stellte in MacTavishs Organisation einen wichtigen Aktivposten dar. Als Teil der Präsidentengarde erhielt er Zugang zu Orten, an die nur wenige gelangten. Der Lieutenant war einer der höchstrangigen Agenten, die der Widerstand hatte rekrutieren können. Und am heutigen Tag würde Erik ein weiteres Mal seinen enormen Wert unter Beweis stellen.

Die Männer und Frauen in den prunkvollen Ausgehuniformen der Garde, die dem Offizier begegneten, nickten ihm respektvoll zu, jedenfalls die mit demselben Rang. Die rangniederen salutierten, wie es sich gehörte.

Niemand störte sich an seiner Anwesenheit. Warum auch? Er gehörte hierher – auch wenn die Uhrzeit unter Umständen ihr Misstrauen hätte wecken können. Der Trick daran war, vorzugeben, seine Anwesenheit sei das Natürlichste von der Welt.

Erik hatte sein Ziel fast erreicht. An der letzten Ecke vor Pendergasts Büro stockten seine Schritte. Der Lieutenant zog sich ein wenig zurück. Peter Mulligan, der persönliche Assistent Pendergasts, verließ die Räumlichkeiten seines Herrn und Meisters und schloss leise die Tür hinter sich.

Der Mann studierte einige Dokumente auf seinem Pad. Er sah kaum auf und wäre deswegen um ein Haar mit einer zwei Meter großen Zimmerpflanze kollidiert. Erik verkniff sich den Drang zu lächeln. Mulligan war überaus gefährlich, auch wenn er nicht danach aussah. Man durfte ihn keinesfalls unterschätzen.

Mulligan nahm einen Gang, der ihn von Erik wegführte. Der Lieutenant atmete erleichtert auf. Verstohlen sah er sich um. Es war niemand zu sehen, weder Agenten des Secret Service noch Soldaten der Präsidentengarde. Beides deutete darauf hin, dass Pendergast nicht zugegen war. Perfekt.

Der gesamte Flügel wurde scharf kontrolliert, weshalb die nächtliche Anwesenheit von Schutzpersonal vor dem Büro nicht als notwendig erachtet wurde. Dass Unbefugte derart tief in Pendergasts Allerheiligstes vordrangen, war undenkbar, geradezu lachhaft. Wenn er seinen Job richtig machte, dann würde niemand je erfahren, dass er hier gewesen war. Alles andere hätte den sicheren Tod bedeutet.

Erik gab an der Tastatur den ihm zugeteilten Sicherheitscode ein. Anschließend scannte das Gerät Retina sowie seine Fingerabdrücke. Nacheinander leuchteten mehreren Dioden grün auf und das Schloss entriegelte mit hörbarem Klicken. So weit, so gut.

Erik durfte nicht vergessen, die Zugangsdaten wieder zu löschen, sobald er fertig war. Sollte wider Erwarten der Einbruch bemerkt werden, könnte man anhand dieser Protokolle sonst problemlos feststellen, um wen es sich bei dem Eindringling handelte.

Der Lieutenant schlich sich in das Büro und schloss die Tür hinter sich so geräuschlos wie möglich. Seine Kehle fühlte sich staubtrocken an. Das Gefühl, von allen Seiten durch unsichtbare Augen belauert zu werden, war überwältigend.

Erik trat eilig hinter den Schreibtisch und durchforstete die Akten. Pendergast benutzte weitestgehend digitale Dokumente. Nacheinander steckte der Offizier die Speichervorrichtungen in die entsprechende Öffnung des mitgebrachten Pads. Das meiste davon war völlig irrelevantes Zeug.

Einiges war aber durchaus interessant. Es gab Berichte von der Front, geplante Truppen- und Flottenbewegungen und auch Prognosen über neu eingerichtete Nachschubrouten sowie Schriftverkehr mit den CEOs wichtiger Rüstungsfirmen.

Eriks Mundwinkel zogen sich leicht nach oben. Die Lage der Republik war weitaus prekärer als nach außen hin sichtbar. Die CEOs beklagten die schwindenden Ressourcen sowie die von der Regierung geforderten kürzeren Lieferzeiten.

Der Krieg verschlang Unsummen an Geld und Rohstoffen. Darüber hinaus fehlte es in den Fabriken an fachkundigem Personal durch die zahlreichen Mobilisierungswellen. Pendergast warf alles, was er an Menschen einziehen konnte, an die Front.

Ironischerweise lag die Arbeitslosenquote praktisch bei null. Es herrschte buchstäblich Vollbeschäftigung. Jeder Bürger wurde angehalten, seinen Beitrag zu leisten. Alles andere wurde als unpatriotisch angesehen. Entsprechende Elemente der Gesellschaft mussten in der Folge mit Repressalien rechnen, und das noch nicht einmal von der Regierung, sondern von Nachbarn und der Verwandtschaft.

Die meisten zogen es daher vor, sich entweder zum Militär zu melden oder ihre Arbeitskraft den zahlreichen Rüstungsfirmen zur Verfügung zu stellen. Und dennoch reichte es immer noch nicht aus. Die Wirtschaft der Solaren Republik stand vor dem Kollaps.

Pendergasts Kriegsanstrengungen glichen einem Kartenhaus. Wenn man es geschickt anstellte, würde es unweigerlich in sich zusammenbrechen. Die Aktionen des Präsidenten gegen das Königreich waren als Blitzkrieg geplant gewesen. Dieser scheiterte kläglich. Der Kriegsgegner der Solaren Republik spielte auf Zeit und sie begann, für die Royalisten zu arbeiten. Zwar im Moment noch unmerklich, aber die Zeiger der Uhr beschleunigten bereits ihr Tempo. Die Royalisten mussten lediglich noch ein wenig länger durchhalten. MacTavish würde sich brennend für diese Informationen interessieren.

»Haben Sie Wertvolles gefunden?«, fragte ihn eine Stimme betont freundlich. Erik schreckte auf.

Im Türrahmen stand Vincent Burgh. Der Mann besaß keinen offiziellen Status. Aber jedermann wusste, dass er Pendergasts Mann fürs Grobe war. Sein Leibwächter. Sein Spion. Sein Attentäter.

Erik richtete sich zu voller Größe auf und öffnete den Mund. Burgh gebot dem Lieutenant mit erhobener Hand Einhalt. »Geben Sie sich keine Mühe. Es dürfte Ihnen schwerfallen, Ihre Anwesenheit zu erklären. An diesem Ort. Zu dieser Zeit.«

Erik schloss seine Kiefer wieder. Burgh trat näher, ließ dabei den Gardeoffizier nicht aus den Augen. »Ich sollte mich bei MacTavish entschuldigen«, spann der Attentäter den Faden weiter. »Ich hätte nie gedacht, dass er einen Agenten dermaßen tief in den Schaltzentralen der Macht besitzt.«

Eriks Gedanken rasten. Er fragte sich, wie der Mann von seiner Anwesenheit erfahren hatte. Dass Burgh aus purem Zufall plötzlich auftauchte, das glaubte er keinesfalls. Erik ließ die Schultern sacken. Eigentlich spielte es auch keine Rolle. Er war schachmatt – und beide wussten es.

Die Resignation musste sich auf seinem Gesicht widergespiegelt haben, denn Burghs Lippen teilten sich zu einem triumphierenden Grinsen. »Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie nicht vorhaben, Ihre Haut zu retten, indem Sie mir etwas von Wert verraten? Den Aufenthaltsort von MacTavish zum Beispiel? Das wäre ein wirklich exquisiter Verhandlungsgegenstand.«

Eriks Körper versteifte. Er presste die Kiefer dermaßen fest aufeinander, dass die Zähne schmerzten.

»Hatte ich auch nicht erwartet«, entgegnete Burgh, der die Körpersprache des Mannes folgerichtig interpretierte. »Aber wir haben Mittel und Wege, auch die verstockteste Zunge zu lösen.«

Die Vorstellung löste Panik in Erik aus. Seine Eingeweide schienen sich zu verknoten. Ja, Pendergasts Leute standen in dem Ruf, über entsprechende Wege und einen völligen Mangel an Moral zu verfügen. Wo MacTavish sich aufhielt, wusste er nicht. Wohl aber unterhielt er Kontakt zu Agenten, die möglicherweise über diese Information verfügten. Sie durften keinesfalls in Gefangenschaft geraten. Und das bedeutete, er durfte keinesfalls in Gefangenschaft geraten.

Es ging alles ganz schnell. Erik zog die Neunmillimeter aus dem Holster in einer vollendet fließenden Bewegung. Beim Schießtraining hatte er sich nie besonders hervorgetan. Dennoch konnte man ihm ein gewisses Talent nicht absprechen. Um Zeit zu sparen, schoss er aus der Hüfte. Ein Knall hallte durch den Raum.

Für einen winzigen, glorreichen Augenblick glaubte er, Burgh erwischt zu haben. Der Mann hatte sich kaum bewegt. Dann erinnerte er sich an einen zweiten Knall, der beinahe parallel zum ersten erfolgt war.

Der Schmerz trat langsam zutage. Erik sah an sich herunter und bemerkte erst jetzt den roten Fleck auf seiner Brust, der sich langsam ausbreitete und die makellose Uniform tränkte.

Der Lieutenant schwankte. Die Waffe entglitt Fingern, die nicht länger in der Lage waren, ihr Gewicht zu halten. Erik bemühte sich darum, aufrecht zu bleiben, fand sich allerdings unversehens rücklings auf dem Boden liegend wieder.

Burghs Gestalt ragte über ihm auf. Das unbewegte Gesicht des Attentäters starrte auf Erik herab und sah ihm beim Sterben zu.

»Was für ein Jammer«, hörte Erik Burghs Stimme wie aus weiter Ferne. »Sie waren ein guter Mann.«

Montgomery Pendergast, Präsident der Solaren Republik, saß in seinem Büro in der präsidialen Residenz in Reykjavík. Es war eines der bestgesicherten Gebäude aller bekannten Welten. Die Insel Island wurde geschützt durch eine Division seiner besten Truppen, außerdem von schweren Geschützen, die sogar Raumschiffe aus dem Orbit holen konnten, und einer Flugverbotszone, die allen Eindringlingen ein schnelles Ende versprach.

Dennoch hätte er sich kaum verwundbarer fühlen können. Der rote Fleck unmittelbar zu seinen Füßen war eine unwillkommene Erinnerung daran, dass man vor Verrätern niemals wirklich sicher sein konnte.

Die Morgensonne schien durch das Oberlicht und tauchte das Büro in seinen sanften Schimmer. An jedem anderen Tag hätte der Präsident sich davon beruhigen lassen. Nicht aber heute. Vor ihm standen zwei Männer in der Uniform der Raumflotte, beides ranghohe Offiziere. Den einen machte Pendergast für die Misere, in der sie sich befanden, verantwortlich. Der andere sollte den Karren aus dem Dreck ziehen.

Die Admiräle waren nicht wirklich zugegen. Man hatte sie über eine Stafette von Satelliten als Hologramm zur Heimatwelt der Republik durchgestellt. Ein äußerst kostspieliger Vorgang, Pendergast hatte das Finanzielle aber zähneknirschend durchgewunken. Er wollte mit den beiden Auge in Auge sprechen, damit sie begriffen, was er von ihnen erwartete und wie ernst es ihm war, wenn es um zu erwartende Konsequenzen im Falle ihres Scheiterns ging.

Zur Linken stand das holografische Abbild Großadmiral Gale Sheppards. Der Mann hatte sich vor einigen Monaten mit dem Rest der 3. Flotte nach Castor Prime zurückgezogen und leckte seitdem seine Wunden. Nach der Schlappe bei Selmondayek vor einem Dreivierteljahr hätte man meinen können, der Mann trete etwas bescheidener auf. Dem war leider nicht so. Man hätte beinahe den Schluss ziehen können, Sheppard wäre der Meinung, er trage keine persönliche Verantwortung an dieser verheerenden Niederlage.

Sheppard gehörte zum alten Schlag. Er war einer der wenigen, die von der alten Garde noch übrig waren. Der Mann war ein Relikt aus der Zeit vor Pendergasts Machtergreifung. Der Präsident hatte es noch nicht geschafft, ihn loszuwerden. Das stand aber ganz oben auf seiner To-do-Liste. Jetzt mehr denn je.

Der Blick des Präsidenten richtete sich auf den Mann zur Rechten, Großadmiral Harriman Gorden. Er teilte sich mit Sheppard das Oberkommando über die solarischen Streitkräfte. Im Gegensatz zu diesem Versager war Gorden einer von Pendergasts bevorzugten Günstlingen. Er hatte ihn persönlich in diese Position erhoben. Die Loyalität Gordens war über jeden Zweifel erhaben. Außerdem besaß der Admiral einen Hang zur Gewalt, der seinesgleichen suchte. Pendergast bewunderte so was. Es brachte oftmals bessere Ergebnisse hervor als der von falscher Ehrauffassung geprägte Charakter Sheppards.

Gorden gehörte darüber hinaus einer Splittergruppe innerhalb der solaren Streitkräfte an. Ihre Existenz war ein offenes Geheimnis, das niemand wagte, unverhohlen zur Sprache zu bringen. Sie nannten sich die Söhne des Ares. Sie verehrten den altgriechischen Kriegsgott, als würde er tatsächlich existieren. Im Prinzip vereinigten sie den Charakter einer Sekte in sich. Die Mitglieder der Söhne des Ares hielten es für ihr Recht, nein, sogar ihre erklärte Pflicht, die Grenzen der Solaren Republik in alle Richtungen auszudehnen, bis sämtliche Sternennationen unter dem Banner der Republik vereint waren.

Es handelte sich um einen verrückten Haufen. Sie lieferten aber Fortschritte und nur das zählte. Pendergast hatte Gorden sogar ein neues Großschlachtschiff, mit dem Namen Ares, spendiert. Sein altes Flaggschiff Wladiwostok war an einen rangniederen Commodore weitergereicht worden.

Pendergast zog den Moment, in dem er gedachte, das Gespräch zu eröffnen, noch ein klein wenig hinaus. Er genoss es, seine Untergebenen schwitzen zu lassen. Gordens Visage zeigte ein überhebliches Grinsen. Er musste sich keine Sorgen machen und er war sich dessen im Klaren. Sheppard stand unbewegt wie eine Statue im Raum. Er verzog keinen Muskel. Genauso gut hätte er eine Sphinx sein können. Der Mann war entschlossen, Pendergast nicht die Genugtuung zu gönnen, sich unbehaglich unter dessen Blick zu winden.

Der Präsident verzog mürrisch die Gesichtszüge. Nicht einmal zu seiner Belustigung taugte Sheppard noch etwas. Pendergast entschied, es gut sein zu lassen. Er richtete sich kerzengerade auf dem Stuhl auf.

»Nun, meine Herren. Wer will den Anfang machen?«

Keiner der Offiziere rührte sich. Pendergast kniff leicht die Augen zusammen. Seine Aufmerksamkeit fokussierte sich auf Sheppard. Falls überhaupt möglich, stand der Großadmiral noch steifer im Raum als zuvor.

»Bericht, Sheppard!«, forderte der Präsident mit fester Stimme.

»Meine Streitkräfte sind immer noch mit dem Wiederaufrüsten beschäftigt«, erklärte der Großadmiral nach kurzem Zögern. »Wir stehen derzeit bei einer operativen Gefechtsstärke von annähernd sechzig Prozent.«

»Das ist nicht sehr befriedigend, Gale«, meinte Pendergast. Indem er zur vertraulichen Anrede überging und den Rang des Flottenoffiziers gänzlich außen vor ließ, demütigte er den stolzen Mann weiter. Vor allem in der Anwesenheit seines Amtskollegen. In der Art und Weise, wie Sheppards Gesicht vor Zorn rot anlief, erkannte der Präsident, dass sein Pfeil das Ziel getroffen hatte.

»Wir wären bereits wesentlich weiter, wenn nicht der Großteil des von mir angeforderten Personals und Materials umgeleitet werden würde.« Der Großadmiral vermied es angestrengt, Gorden einen anklagenden Blick zuzuwerfen. Trotzdem war klar, wen er für die Defizite der 3. Flotte verantwortlich machte.

»Und die Ausrüstung, die es tatsächlich zu uns schafft, ist bestenfalls drittklassig«, fuhr Sheppard fort. »Sie muss oftmals vor dem offiziellen Eingliedern in meine Verbände von den Technikern aufwendig überholt werden. Die Mängel sind zu gravierend, als dass wir die Ersatzteile, Fahrzeuge und Schiffe blindlings in den aktiven Dienst übernehmen können. Darüber hinaus sind die uns zugeteilten Soldaten nicht gerade Elite-Material.«

Pendergast warf dem Admiral einen scharfen Blick zu. »Ausreden interessieren mich nicht. Ich will, dass die 3. Flotte wieder voll einsatzfähig wird. Wie Sie das mit den Ihnen zugeteilten Ressourcen schaffen, bleibt Ihnen überlassen. Aber solange Ihre Einheiten dermaßen unzureichend auftreten, bleiben Sie über Castor Prime. Ab sofort ist die 3. Flotte bis auf Weiteres für den Schutz des königlichen Hauptsystems zuständig. Ich hoffe schwer, dass Sie zumindest damit nicht überfordert sind.«

Sheppard holte tief Luft. Dem Mann war anzusehen, dass ihm allerhand auf der Zunge lag. Pendergast ließ es gar nicht erst so weit kommen und wandte sich dem zweiten Großadmiral zu.

»Wie ist die Lage bei Ihnen, Gorden?«

Der Flottenoffizier lächelte herablassend. »Meine Streitkräfte sammeln sich derzeit im Tirold-System. Und wir sind – was Kampfkraft anbelangt – bei annähernd hundert Prozent.«

Pendergast nickte und bedeutete Gorden, mit einer wortlosen Geste fortzufahren. Der Mann hob arrogant das Kinn.

»Die Fortschritte der königlichen Streitkräfte sind recht bemerkenswert. Seit der Niederlage bei Selmondayek sind sieben weitere Systeme in ihre Hand gefallen, und das in weniger als neun Monaten. Nur zwei von ihnen sind bewohnt, aber selbst die unbewohnten bieten dem Gegner taktische Vorteile. Er kann sich dadurch freier zwischen seinen Eroberungen bewegen, ohne auf unseren Sensoren aufzutauchen. Außerdem bemannt er sie mit Stützpunkten und Nachschubdepots, um sein weiteres Vorgehen zu unterstützen.« Der Großadmiral machte eine kurze Pause. »Die Royalisten waren schon auf den Knien, aber sie entwickeln sich mit rapider Geschwindigkeit zum Ärgernis. Ich habe vor einzugreifen, bevor sie vom Ärgernis zum ernsten Problem werden.«

»Aus meiner Sicht sind sie das schon, aber sprechen Sie weiter.«

»Der Unmut in der Bevölkerung wächst«, spann Gorden den Faden weiter. »Selbst auf Welten, die ursprünglich unser Erscheinen feierten, brechen neuerdings Unruhen aus. Das ist das eigentliche Problem.«

Pendergast beugte sich interessiert vor. »Und was schließen Sie daraus?«

»Prinz Calvin hat eine gute Geschichte. Er führt einen aussichtslosen Kampf gegen ein böses Imperium – und er gewinnt. Diese Nachricht wird überall im Königreich verbreitet. Wir kontrollieren sämtliche Nachrichtenwege, aber sie sickert trotzdem durch. Und überall, wo sie gehört wird, fällt sie auf fruchtbaren Boden. Wie könnte sie auch nicht? Der tapfere Prinz, der alles verloren hat, kämpft, um sein Volk und seine Heimat zu befreien. Das ist inspirierend.«

Pendergast wurde zunehmend frustriert. »Und wie wollen Sie dagegen angehen?«

»Ich zerstöre erst seine Geschichte, bevor ich den Mann selbst zerstöre.« Die Ankündigung war ebenso schlicht wie unmissverständlich. Pendergast war beeindruckt.

»Mehr muss ich nicht hören. Sie erhalten freie Hand. Das Königreich ist unsere Kriegsbeute und die gebe ich nicht wieder her. Unterwerfen Sie dieses Pack. Die hierfür notwendigen Mittel sind mir gleichgültig.«

Gorden nickte mit grausamem Grinsen. Sheppards schockierter Blick zuckte zwischen den beiden Männern hin und her. »Bei allem Respekt, Mister Präsident, das können Sie unmöglich absegnen.«

»Wieso denn nicht? Für mich hört sich das alles schlüssig an.«

»Gorden ist ein Metzger«, brach es aus dem Großadmiral heraus. »Sein Plan sieht mit Sicherheit Repressalien gegen die Zivilbevölkerung vor. Das widerspricht sämtlichen gängigen Kriegskonventionen.«

»Wenn mein geschätzter Kollege zu zart besaitet ist für das, was im Krieg getan werden muss, dann sollte er sich zur Ruhe setzen und die Angelegenheit fähigeren Händen überlassen«, warf Gorden süffisant ein.

Sheppard platzte schier der Kragen. »Es gibt einen Unterschied zwischen einem fairen, ehrlichen Kampf und purer, sinnloser Gewalt, Sie Psychopath.«

»Das reicht jetzt!«, ging Pendergast dazwischen. Die Großadmirale verfielen in Schweigen. »Ich habe genug gehört. Gorden, fahren Sie mit Ihrem Plan fort. Aber ich will zeitnah Ergebnisse sehen.« Er widmete sich Sheppard. »Und Sie halten Castor Prime. Ich will dort keinerlei Überraschungen erleben.«

Die zwei Flottenoffiziere nickten unisono.

»Das wäre alles, meine Herren.« Die Hologramme erstarrten, als die Großadmirale die Verbindung von ihrer Seite der Übertragung aus beendeten. Pendergast streckte die Hand nach dem entsprechenden Schalter aus, um die Kommunikation auch von seiner Seite zum Erliegen zu bringen. Eine Stimme hielt ihn davon ab.

»Schwer ist das Haupt, das eine Krone drückt.«

Der Präsident sah mit verkniffener Mimik auf. Vincent Burgh marschierte entspannt durch die Hologramme hindurch und blieb vor seinem Arbeitgeber stehen.

Pendergast führte die Bewegung zu Ende und die Hologramme der beiden Flottenadmirale fielen endgültig in sich zusammen. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Burgh wurde ihm zunehmend unheimlich. Und bei Pendergasts Vita mochte das schon was heißen. Seine rechte Hand streichelte die Neunmillimeter, die er unter dem Schreibtisch versteckt hielt.

»Vor der Tür stehen ungefähr zwanzig Secret-Service-Agenten. Wie gelingt es Ihnen, dermaßen ungestört in mein Arbeitszimmer vorzudringen?«

Der Attentäter grinste über das ganze Gesicht. »Dafür bezahlen Sie mich, nicht wahr? Um dorthin zu gehen, wo ich eigentlich nichts zu suchen habe. Und die Bezahlung ist sogar recht umfangreich, wenn ich das anmerken darf. Kunden, die gut bezahlen, bekommen von mir das Rundumsorglospaket.«

»Das bezieht sich kaum auf meine Räumlichkeiten.«

Burgh zuckte die Achseln. »Wenn Sie es wünschen, dann kann ich mich zukünftig auch bei Ihrer Sekretärin anmelden. Ganz offiziell. Wo mich jeder sehen kann. Menschen reden gern. Manchmal sogar Secret-Service-Agenten. Hin und wieder reden sie sogar mit der Presse. Und es gibt tatsächlich noch Reporter, die nicht auf Ihrer Lohnliste stehen, Mister President.« Die letzten zwei Worte klangen wie Hohn aus dem Mund dieses Mannes.

»Schon gut, schon gut«, wehrte Pendergast ab. »Ich habe verstanden.« Er warf einen Blick auf den Blutfleck. »Außerdem stehe ich anscheinend in Ihrer Schuld.«

Burgh kommentierte das Eingeständnis des Präsidenten mit breitem Lächeln.

»Also, was wollen Sie?«, hakte der Präsident nach.

»Der Widerstand ist recht aktiv neuerdings. Die Allianz zwischen MacTavish und den Yakuza ist für die Rebellen von großem Vorteil. Leider widersetzen sie sich hartnäckig jedem Versuch, sie endgültig zu eliminieren.«

»Der Widerstand bereitet dem Militär ernsthafte Probleme«, gab Pendergast zu. »Aber das gehört in Ihr Ressort. Finden Sie sie und machen Sie diese Kakerlaken unschädlich.«

»Genau das führt mich her«, beschied Burgh. »Ich plane eine neue Säuberungsaktion. Sie wird nicht leise stattfinden und sie wird nicht hübsch werden. Ich wollte mir vorher von Ihnen grünes Licht einholen.«

Pendergast musterte sein Gegenüber mit funkelnden Augen. »Wie Sie bereits sehr richtig erwähnten, bezahle ich Sie gut. Also lösen Sie das Problem. Um die öffentliche Wahrnehmung kümmere ich mich. Die Bevölkerung der Solaren Republik wird genau das denken, was ich ihr in den Kopf setze. Kümmern Sie sich lediglich um diesen MacTavish und seine Schmeißfliegen.«

Das Grinsen kehrte auf Burghs Antlitz zurück. »Genau das wollte ich hören, Mister President.«

»Aber die Säuberungsaktion überlassen Sie einem Ihrer Leute. Ich habe eine andere Aufgabe für Sie. Eine ungleich wichtigere.«

Der Themenwechsel irritierte den Attentäter. »Was könnte wichtiger sein als MacTavish und sein Widerstand selbst ernannter Moralapostel?«

»Apollo und Merkur«, schoss Pendergast zurück.

Bei der Erwähnung der letzten überlebenden Mitglieder des Zirkels verflog sogar Burghs spöttische Ader. »Sind die beiden etwa immer noch nicht tot?«

»Nein«, bestätigte Pendergast. »Und mir wurde durch einige Agenten zugetragen, dass die Royalisten ein Einsatzteam zusammenstellen, das sich auf die Suche nach ihnen machen wird. Seit der Zerstörung von Zirkel und Konsortium sind beide untergetaucht. Unser Geheimdienst konnte sie noch nicht aufstöbern. Es ist zwar unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich, dass einer oder beide den Royalisten in die Hände fallen. Und ich muss wohl nicht extra betonen, was das für uns bedeuten würde.«

»Das wäre eine propagandistische Katastrophe«, erklärte Burgh. »Die hätten eine Menge zu erzählen.«

Pendergast nickte. »Ich will, dass ihr Wissen begraben wird. Gemeinsam mit den Männern. Für immer.«

Der Attentäter nickte wortlos, drehte sich um und spazierte ohne eine weitere Bemerkung davon. Die Vorfreude hatte ihn bereits gepackt. Die Jagd begann.

»Alles hört auf mein Kommando …«, brüllte der Unteroffizier. »Aaachtung!«

Zweihundert Stiefelpaare fielen im selben Augenblick an ihren Platz, was ein knallendes Geräusch auslöste. Commodore Edmund Lord Devonshire war aschfahl, als dreihundertfünfzig Särge auf dem Bestattungsdeck des Großschlachtschiffes HMS Casablanca in Position geschoben wurden.

Alle waren mit einer Flagge des Vereinigten Kolonialen Königreichs bedeckt. Aber nicht alle verfügten über einen Inhalt. In manchen Fällen – wie zum Beispiel bei Jägerpiloten – fand man nicht mehr genug Überreste, um damit einen Sarg zu füllen. Daher legte man eine Uniform des Betreffenden hinein. Diese dreihundertfünfzig Seelen waren allein in den letzten zehn Stunden gefallen. Das Lowby-System stand immer noch unter Belagerung. Nach fast einem Jahr Krieg war noch keine Änderung eingetreten.

Der Militärkaplan begann mit der Predigt. Devonshire hörte kaum zu. Seine Gedanken bewegten sich in höheren Sphären.

Die Solarier trauten sich nicht, das innere System anzugreifen. Noch nicht. Stattdessen begnügten sie sich damit, von ihren befestigten Stellungen aus die Verteidiger mit Unmengen an Raketen und Torpedos einzudecken. Dieser Taktik lag ohne Zweifel der Zweck zugrunde, das System sturmreif zu schießen.

Die Verteidiger wendeten enorme Mittel dafür auf, die ständigen Angriffe abzuwehren. Sie verschossen jeden Tag Tonnen an Munition. Ihre Magazine waren zu Beginn des Krieges prall gefüllt gewesen. Inzwischen war der Bestand empfindlich geschrumpft. Die Angreifer kosteten die Verteidiger Leben und Ressourcen. Die Magazine würden sich über kurz oder lang leeren. Nicht heute und nicht morgen, aber schon sehr bald.

Sobald die Solarier mitbekamen, dass die Belagerten die einkommenden Geschosse nicht mehr abfingen, würden sie wissen, dass der Augenblick zum Zuschlagen gekommen war. Die folgende Invasion des inneren Systems wäre mit einer Heuschreckenplage vergleichbar. Devonshire wurde schlecht, wenn er nur daran dachte.

Sein Blick fiel auf einen besonders auffällig geschmückten Sarg. Er enthielt die sterblichen Überreste von Flottenadmiral Martin Lord Hahrburg. Der Kampfkommandant des Lowby-Systems war gemeinsam mit annähernd jedem höheren Offizier vor fast einem Jahr einem Attentat solarischer Saboteure zum Opfer gefallen. Seither hatte er im Koma gelegen. Bis vor zwei Tagen, als er des Nachts plötzlich seinen Verletzungen endgültig erlegen war.

Bisher hatte das operative Kommando der Verteidigung des Systems de facto in Devonshires fähigen Händen gelegen. Nun ging es offiziell auf ihn über. Er war jetzt der ranghöchste überlebende Offizier vor Ort. Bei dem Gedanken drehte sich ihm der Magen um. Er hätte sich am liebsten übergeben.

Teil IKeine Kompromisse

  1  

22. März 2648

Das Garig-System war unbewohnt. Trotzdem unterhielt die Solare Republik dort eine Militärbasis. Sie diente zwei Bestrebungen. Nun, da die Mehrzahl königlicher Welten besetztes Territorium darstellten, konzentrierte sich das republikanische Militär darauf, auch die unbewohnten Sektoren des Königreichs zu sichern und zu befestigen. Es wollte damit den Handlungsspielraum etwaiger weiterhin aktiver königlicher Verbände einschränken.

Darüber hinaus hatten die Solarier auf einem der Planetoiden ein Kriegsgefangenenlager eingerichtet. Es platzte mittlerweile aus allen Nähten. Mehr als fünfzehntausend Royalisten waren dort interniert. Die Basis war ein Garant dafür, dass niemand auf die Idee käme, ein Ausbruch würde sich lohnen.

Das Gefangenenlager bestand im Prinzip nur aus wenigen Metallstreben und ansonsten ausnahmslos Kraftfeldern. Auf diese Weise war nur eine minimale Anzahl Aufseher notwendig. Falls sich diese königlichen Dummköpfe irgendwelche Schwachheiten einfallen ließen, wurde ein Aufstand schlichtweg durch das Deaktivieren der Kraftfelder beendet.

Kommandantin des Stützpunkts war Commodore Andrea Lopez. Die Flottenoffizierin der Solaren Republik war eine kompromisslose Anhängerin Pendergasts. Mehr noch, sie empfand diesen Krieg nicht nur als notwendig, sondern darüber hinaus als sinnvoll und unvermeidlich.

Vom Aussichtsdeck der Basis hatte sie einen guten Ausblick auf das Gefangenenlager. Die Royalisten und deren Gefolgschaft sah sie als dekadente elitär denkende Clique an. Und es war nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht der bewaffneten Kräfte der Republik, diese mit Stumpf und Stiel auszumerzen.

Nicht selten sah sie auf das Gefangenenlager hinab und ertappte sich bei der Vorstellung, wie leicht es wäre, einfach die Kraftfelder abzuschalten und all diese Verteidiger einer monarchischen Diktatur in den Weltraum zu entsorgen. Es würde eine Menge Probleme lösen. Sie befanden sich in einem Teil des Alls, für den sich niemand interessierte. Hier gab es weder eine einheimische Bevölkerung noch Vertreter der Presse oder neutrale Beobachter einer nicht im Krieg involvierten Sternennation. Mit anderen Worten: keine neugierigen Augen und Ohren. Niemand würde jemals herausfinden, was hier geschehen war. Sie seufzte. Aber die Befehle Sheppards waren unzweideutig. Gefangene Soldaten mussten gut behandelt werden. Ihnen Wasser oder Nahrung vorzuenthalten, das wurde streng bestraft und auch erweiterte Verhörmethoden waren strikt untersagt.

Sheppard, ging es ihr verächtlich durch den Kopf. Was für ein Weichei.

Einen Krieg musste man richtig führen. Dem Gegner begreiflich zu machen, wie dumm es gewesen war, jemals zur Waffe zu greifen, gehörte zu den vordringlichsten Zielen eines bewaffneten Konflikts. Und dafür waren nun auch einmal harte Entscheidungen notwendig. Entscheidungen, für die Großadmiral Sheppard offensichtlich der falsche Mann war.

Die Lippen Lopez’ bewegten sich langsam nach oben. Die Gerüchteküche brodelte. Es hieß, Sheppard sei bei Pendergast in Ungnade gefallen. Nun hatte Gorden das Sagen. Und bei dem blies ein anderer Wind. Sehr gut möglich, dass bald schon neue Befehle galten.

Sie wandte sich vom Anblick des Sternenmeers ab. Ihre Adjutantin, Lieutenant Commander Beverly Cobb, stand hinter ihr. Der jungen Offizierin brannte offenbar etwas unter den Fingernägeln. Die Commodore schenkte Cobb ein schmales Lächeln.

»Ja, Beverly. Was ist denn so dringend?«

Die Adjutantin trat näher. »Gerade kam eine Aktualisierung der Liefertermine durch. Die letzten Segmente der beiden Forts verspäten sich.«

Lopez verkniff sich nur mit Mühe einen derben Fluch. Es hätte ihre Autorität untergraben, wenn ihre Leute Unsicherheit bei ihr verspürt hätten. Aber diese Verzögerung war wirklich ärgerlich.

Es befanden sich an jedem Lagrange-Punkt des Systems drei Forts im Bau. Ohne die abschließenden Segmente konnten diese aber nicht online gehen. Im Prinzip handelten es sich momentan um Multimillionendollar-Tontauben, die nur darauf warteten, dass jemand vorbeikam und sie in Stücke schoss. Solange die Forts nicht fertiggestellt wurden, war das System verwundbar und Lopez war niemand, der etwas Derartiges leichtfertig akzeptierte.

»Setzen Sie sich mit der Logistikabteilung in Verbindung. Lassen Sie sich das noch mal bestätigen. Und sollte sich die Verzögerung als wahr herausstellen, sollen die einen neuen Termin für die Lieferung ansetzen. Einen zeitnahen. Falls der zuständige Sachbearbeiter versucht, Sie abzuwimmeln, dann verweisen Sie auf mich.«

Die Adjutantin nickte und wollte sich bereits wieder an die Arbeit machen, als sich ihr Pad piepend in Erinnerung brachte.

»Was ist denn jetzt wieder los?«

Cobb studierte die einkommenden Daten und sah auf. »Mehrere Schiffe sind durch einen der Lagrange-Punkte gesprungen.«

»Unsere?«

»Das bezweifle ich. Sie sind sofort nach der Materialisierung im Asteroidenfeld untergetaucht.«

Lopez rümpfte die Nase. »Idioten! Vermutlich denken die, wir hätten sie noch nicht geortet. Wie viele?«

»Darüber gibt es keine genauen Angaben. Die Schiffe sind zu kurz hintereinander reingekommen. Unsere Satelliten hatten Schwierigkeiten, die Antriebssignaturen zu unterscheiden. Es sind definitiv mehr als acht und weniger als zwanzig.«

Die Commodore machte einen abfälligen Laut. Das kam manchmal vor. Wenn Schiffe zu dicht hintereinander einen Lagrange-Punkt passierten, dann überlappten sich ihre Antriebssignaturen und das machte es wiederum schwierig, genaue Daten zu erhalten.

»Höchstwahrscheinlich sind es Schmuggler. Sie wollen eine der Widerstandsgruppen versorgen. Bei Tirold, Beltaran oder Onbele, nehme ich an. Kein Grund, Großalarm auszurufen. Wir gehen auf Verteidigungsstufe zwei. Nur zur Sicherheit. Und schicken Sie die Kreuzer raus. Das sollte eigentlich genügen.«

Die Basis unter Andrea Lopez’ Kommando verfügte zur Selbstverteidigung und zur Kontrolle des Systems über eine Reihe von Kriegsschiffen. Es war nichts Größeres dabei als Schwere Kreuzer. Keine Schlachtschiffe und keine Großschlachtschiffe. Nicht einmal Kampf- oder Angriffskreuzer. Die wurden derzeit alle anderswo gebraucht.

Genau wie das Gefangenenlager befand sich der Stützpunkt auf einem der umhertreibenden Planetoiden. Er war ausgehöhlt worden, um im Innern Platz für einen riesigen Hangar zu schaffen.

Auf den Befehl der Commodore hin öffneten sich die gewaltigen Tore und sieben Schwere Kreuzer strebten ins Freie. Bevor sich die Tore wieder schlossen, schlüpfte unbemerkt ein Einsatzteam ins Innere der Basis.

Commodore Dimitri Sokolow an Bord der Royalistentod, war die Ruhe selbst. Er wusste, lange Zeiten des Wartens gehörten zu jedem Krieg. Sie wurden hin und wieder unterbrochen von kurzen Ausbrüchen hektischer Aktivität.

Sein Zweiter Offizier drehte sich auf einmal zu ihm um. »Wir erhalten soeben das Signal. Einsatzteam in Position.« Sokolow atmete erleichtert auf, ehe er es verhindern konnte. Der Mann hatte viel Energie darauf verwendet, seine Leute glauben zu lassen, er würde sich niemals Sorgen machen. Der Zweite Offizier quittierte die spontane Gefühlsregung mit nachsichtigem Achselzucken.

»Na gut«, überging der Commodore den für ihn etwas peinlichen Moment. »Dann haben wir die Solarier gleich am Hals.«

Das Einsatzteam verdiente Mitgefühl. Seine Besatzungen und er waren vor gerade einmal einer halben Stunde ins System gesprungen. Das Einsatzteam harrte bereits drei Tage vor Ort aus. Eingezwängt in ihren Raumanzügen, die sie mit allem versorgten, was sie brauchten, und alles entsorgten, was ihren Körper verließ. Allein bei dem Gedanken, drehte sich Sokolows Magen um.

Der Angriffstrupp hatte das System als Anhängsel auf dem Rumpf eines solarischen Versorgungsschiffes erreicht. Die Männer und Frauen hatten sich im richtigen Moment abgekoppelt und warteten seitdem auf Sokolows Ankunft. Der ehemalige Pirat beugte sich voll Tatendrang vor. Der Augenblick zum Zuschlagen war beinahe gekommen.

»Wo befinden sich die feindlichen Kreuzer jetzt?«

»Knapp eine Lichtsekunde entfernt«, antwortete seine Nummer zwei.

Sokolow nickte zufrieden. »Wir geben dem Einsatzteam noch zwanzig Minuten, dann greifen wir an.«

Das aus fünfzig handverlesenen Marines bestehende Spezialkommando schwebte durch den Hangar. Sie hielten sich soweit möglich an den Wänden, um der Entdeckung zu entgehen. Angeführt wurde die Einheit von Major Melanie St. John.

Der Hangar wirkte nach dem Aufbruch der Schweren Kreuzer fast leer. Tatsächlich täuschte der Eindruck. Es befanden sich immer noch acht Kriegsschiffe vor Ort: mehrere Leichte Kreuzer und Zerstörer sowie zwei Korvetten. Sie wünschte, die Kommandantin der Basis hätte all ihr mobiles Gerät ins Gefecht geworfen. Die Frau musste von der Krankheit der Arroganz befallen sein. Die Offizierin befand die Feuerkraft von sieben Schweren Kreuzer wohl für ausreichend, um mit den unangekündigten Neuankömmlingen fertigzuwerden. Ein zynisches Lächeln umspielte ihre Lippen. Diese Bitch wusste ja gar nicht, womit sie es zu tun hatte.

Der Kampftrupp erreichte das Ende der Null-G-Zone, die für die vor Anker liegenden Kriegsschiffe notwendig war. Melanie aktivierte ihre magnetischen Stiefel und führte den Kontakt mit einer Querstrebe her. Im Anschluss marschierte sie im Neunzig-Grad-Winkel mehrere Ebenen nach oben, bis sie zu einer Schleuse kam. Die Skull-Soldatin musste sich gar nicht umsehen, um zu wissen, dass die neunundvierzig Soldaten im Gänsemarsch folgten. Ihr Vertrauen in ihre Begleiter war absolut.

Melanie brachte an einem Wartungszugang einen Codebrecher an. Kaum war das Gerät aktiviert, suchte es auch schon nach dem nächsten elektronischen Schloss und begann mit seiner Arbeit.

Melanie übte sich in Geduld. Das war aber äußerst schwer, bedachte man, dass sich das Team in feindlichem Territorium befand. Sollten sie entdeckt werden, war nicht nur ihr Leben verwirkt, sondern auch das von Sokolows Kampfgruppe und vermutlich auch dem aller Gefangenen in dem Internierungslager.

Es knackte in ihren Ohren.

»Wie lange noch?«, vernahm sie Clayton Redburns drängende Stimme in ihrem Helm. Offenbar hatte nicht nur sie Probleme mit der Geduld.

»Ist gleich so weit«, beruhigte sie ihn. Gleichzeitig sah sie nach oben. Eine Wachpatrouille stolzierte zwei Ebenen über ihnen durch einen Korridor. Die Männer trugen keine Raumanzüge. Sie waren durch eine Schicht bruchsicheren Plastiks vom Vakuum des Hangars getrennt. Die Soldaten des Skull-Angriffsteams duckten sich, so tief es die magnetischen Stiefel zuließen. Die Mission erreichte einen kritischen Punkt. Der Codebrecher gab einen sanften Piepton von sich.

Melanie verstaute das Gerät wieder in einer Tasche ihres Anzugs und der Wartungszugang öffnete sich. Die Soldaten schlüpften alle der Reihe nach hinein. Der letzte Mann zog die Luke hinter sich wieder ins Schloss.

Melanie atmete erleichtert auf. So weit, so gut. Sie kontrollierte das Chronometer. Abermals nahm Red Kontakt zu ihr auf. »Wie sind fast fünf Minuten hinter dem Zeitplan.«

»Ich weiß«, gab sie zurück. »Wir müssen uns beeilen.«

Der Angriffskreuzer Royalistentod beschleunigte und glitt majestätisch wie ein angreifender Hai aus dem Schatten des Asteroiden.

Sokolows Kampfgruppe bestand aus jeweils zwei Angriffs- und Kampfkreuzern, sechs Schweren Kreuzern, einem Zerstörer und einem Träger. Sie waren der solarischen Einheit von Anfang an bei Weitem überlegen.

Die Schiffe erschienen erst auf den Sensoren des Gegners, als es längst zu spät war. Der Träger schleuste Jäger und Bomber aus, die augenblicklich Kurs auf das Internierungslager nahmen. Ihr Mutterschiff blieb unter dem Schutz des Zerstörers hinter dem Felsbrocken zurück.

Die zehn königlichen Kriegsschiffe formierten sich in einer klassischen Keilformation. Sie erreichten unmittelbar über den solarischen Einheiten effektive Gefechtsdistanz. Sokolows Mundwinkel verzogen sich vor Hass, als er den Feuerbefehl gab. »Mister Haggerty«, sprach er seine Nummer zwei an. »Eröffnen Sie bitte das Gefecht.«

»Aye, Sir!«, erwiderte sein Zweiter Offizier grimmig. Die Stimme des Mannes wurde lauter. »Taktik? Erste Raketenwelle los, Torpedos auf Stand-by.«

Die Geschossrohre der königlichen Kreuzer stießen jeweils eine Stichflamme aus und schickten Geschoss um Geschoss auf die Reise. Obwohl sie überrascht wurden, reagierten die gegnerischen Besatzungen verblüffend schnell. Die feindlichen Kreuzer zogen ihre Schildblase in kürzester Zeit hoch. Die Solarier waren gut, das musste man anerkennen. Sokolow hatte von einer Marine ihres Formats auch nichts anderes erwartet. Er bezweifelte stark, dass seine Leute das schneller hinbekommen hätten.

Die Raketensalve zerbarst an den Schilden, ohne Schaden anzurichten. Auf einem Hologramm wurden Prognosen über die Wirkung des Angriffs extrapoliert. Die Schilde hatten einiges abbekommen. An manchen Stellen waren sie so dünn wie Papier. Aber das genügte noch nicht. Das genügte bei Weitem noch nicht.

»Torpedos los!«, brüllte Haggerty.

Eine zweite Geschosssalve wurde auf den Weg geschickt. Torpedos waren größer und durchschlagskräftiger als Raketen, aber dafür auch wesentlich langsamer. Vier solarische Kreuzer senkten die Schildblase und begannen, die Anflugvektoren mit Abwehrfeuer zu bestreichen. Dadurch verschafften sie den drei anderen Schiffen Zeit, um zurückzufallen und sich neu zu formieren.

Die Abwehrlaser zerstrahlten etwa zwanzig Prozent der einkommenden Fernlenkwaffen. Abfangtorpedos brachten weitere fünfzig Prozent zur Detonation. Explosionen blühten zwischen den beiden Parteien auf. Die übrigen Torpedos flogen punktgenau ins Ziel.

»Bingo!«, brüllte Haggerty auf, als die Schildblase zweier Feindkreuzer ausfiel und deren Außenhülle beträchtlichen Schaden nahm. Sokolow brachte den Mann mit einem bösen Blick zum Schweigen. Er musste sich immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass all diese Männer und Frauen bis vor Kurzem noch Piraten gewesen waren. Lediglich Notwendigkeit und der verständliche Wunsch nach Vergeltung hatte sie ins königliche Lager geführt. Die verdammten Republikaner hatten das zerstört, was ihre neue Heimat hätte werden können. Nun war Zahltag.

Eine zweite und dritte Geschosswelle wurde losgeschickt. Sie bestanden jeweils zur Hälfte aus Raketen und Torpedos. Ein adäquater Anteil der Projektile fand ihren Weg ins Ziel. Einer der solarischen Kreuzer brach mit zertrümmertem Heck und zerstörtem Antrieb aus der Formation aus.

Das Schiff war so gut wie kampfunfähig. Sokolow hätte sogar die Kapitulation der Besatzung akzeptiert, gleichgültig, was er persönlich von der Bande hielt. Dazu kam es nicht mehr. Der Schwere Kreuzer prallte manövrierunfähig gegen einen der Gesteinsbrocken und brach in drei annähernd gleich große Teile auseinander.

So makaber sich die Situation auch darstellte, die Zerstörung ihres Schwesternschiffes verschaffte den übrigen Kreuzern den Freiraum, den sie brauchten, um zum Gegenangriff überzugehen. Mittlerweile war die effektive Distanz für den Einsatz von Fernkampfwaffen unterschritten. Die Solarier konterten daher mit den Bugstrahlenwaffen und anschließend mit der sekundären Energiebewaffnung.

»Schilde hoch!«, befahl Sokolow gepresst. Der Anweisung wurde umgehend nachgekommen. Einer der Kampfkreuzer war nicht schnell genug und der gegnerische Beschuss schmolz einen Teil der Bugpanzerung weg. Sokolow knirschte mit den Zähnen. Die Solarier waren in der Tat gut. Sie waren sogar sehr, sehr gut.

Sein Blick glitt zu einem Bildschirm auf der rechten Seite des Kommandosessels. Die Jagd- und Bombergeschwader hatten mittlerweile das Internierungslager erreicht. Ihnen schlug mörderisches Abwehrfeuer entgegen. Die Symbole zweier Saber-Angriffsjäger, eines Stingray-Jagdbombers und eines Gladius-Bombers verloschen nahezu gleichzeitig.

Die Formation löste sich paarweise auf, die Maschinen gingen zur Attacke über. Mittels Präzisionsanflügen schalteten sie nach und nach die komplette Abwehr des Gefangenenlagers aus. Die Piloten nutzten dabei geschickt umherfliegende Trümmerstücke als Deckung, damit die Hauptbasis der Republik nicht in den ungleichen Kampf eingreifen konnte.

Sokolow richtete sein Augenmerk wieder auf den sich anbahnenden Nahkampf. In Gemeinschaftsarbeit schalteten die Solarier einen seiner eigenen Schweren Kreuzer aus. Die Kiefermuskeln des ehemaligen Piraten mahlten angestrengt. Er hatte hier noch alle Hände voll zu tun, bevor diese Auseinandersetzung ausgestanden war.

Das Angriffsteam stand unter enormem Zeitdruck. Sokolows Vorstoß musste bereits laufen. Sie arbeiteten sich mühselig durch das Gewirr von Luftschächten und Verbindungsröhren voran, die meiste Zeit auf dem Bauch kriechend. Nur in seltenen Fällen war es möglich, aufrecht oder auch nur gebückt zu stehen. Ihr Ziel lag in greifbarer Nähe.

Melanie bohrte mit schnellen, präzisen Bewegungen ein Loch in das Paneel vor ihr. Nach getaner Arbeit führte sie eine kleine Sonde durch das Loch. Die Spitze beinhaltete eine Kamera. Das Bild wurde auf das HUD ihres Helms übertragen. Sie teilte es mit ihrem gesamten Team.

Der Zugang zur Kommandozentrale wurde von vier solarischen Marines geschützt. Allein das war schon nachlässig. Die gegnerische Kommandantin musste sich schon sehr sicher fühlen, andernfalls wären die Sicherheitsmaßnahmen strenger ausgefallen. Melanie hätte an ihrer Stelle ein komplettes Platoon ausgerüstet mit schweren Waffen aufmarschieren lassen. Das Fehlen derartiger Feuerkraft war andererseits ein gutes Zeichen. Ihre Anwesenheit war noch nicht entdeckt worden.

Melanie rief sich in Erinnerung, was das Geheimdienstdossier über Commodore Andrea Lopez aussagte. Die Frau war dermaßen selbstsicher, dass es an Narzissmus grenzte. Und sie war eine bedingungslose Anhängerin Pendergasts und seiner expansionistischen Außenpolitik. Aber nicht, weil sie der Meinung war, die Republik müsste erweitert werden, sondern weil sie Royalisten und alles, wofür sie standen, verabscheute und verachtete.

Sie unterschätzte das Königreich. War das eine haltbare Schlussfolgerung? Vielleicht. Daraus könnte man folgern, dass sie sich den Royalisten überlegen fühlte. Sie würde unter Umständen Schwierigkeiten haben, eine Niederlage einzugestehen. Das war gut. Das war sogar sehr gut. Demzufolge würde sie auch zögern, auf den Knopf zu drücken, der fünfzehntausend Kriegsgefangene dem eisigen Tod im Weltraum übergab.

Und noch etwas anderes ließ sich daraus ableiten: Commodore Andrea Lopez hatte mit voller Absicht den Schutz ihres Kommandozentrums nicht erhöht, weil sie schlichtweg nicht davon ausging, dass es königliche Soldaten bis hierher schaffen würden. Nun, die Realität holte sie demnächst ein.

Melanie dirigierte ihre Leute nur noch per Handzeichen. Ihr Komlinkkanal war zwar abgeschirmt, es war dennoch nicht undenkbar, dass ein aufmerksamer Funktechniker des Feindes auf die Trägerwelle stieß.

Während sich Melanie darüber Gedanken machte, wie man die Marines am besten ausschaltete und Zugang zur Kommandozentrale durch die gepanzerten Schotten erhielt, erreichte eine Gruppe solarischer Offiziere den Kontrollpunkt. Der führende Major wies sich beim zuständigen Unteroffizier aus und dieser gab sogleich einen Code in das Tastenfeld neben der Tür ein.

Lopez hielt wohl in den nächsten Minuten eine Besprechung ab, um das weitere Vorgehen zu erörtern. Sokolow machte allem Anschein nach Fortschritte, ansonsten wäre dies nicht nötig gewesen.

Die Geheimdienstoffizierin wechselte einen bedeutsamen Blick mit Red. Das condorianische Staatsoberhaupt erwiderte ihn in einer gespannten Erwartungshaltung. Melanie konnte dessen Gesicht durch das vollverspiegelte Visier zwar nicht sehen, aber sie kannten sich lange genug, um die Körpersprache des jeweils anderen zu interpretieren. Nach einer Sekunde nickte der Mann beinahe unmerklich.

Melanie zögerte nicht länger. Sie gab einem ihrer Marines ein Zeichen.

Der Mann aktivierte mehrere vorab platzierte Mikrosprengladungen. Der Boden löste sich unter ihnen auf und die königlichen Elitesoldaten fielen den feindlichen Offizieren praktisch auf die Köpfe.

Der zuständige Marine hatte den Code bereits eingegeben. Das Stahlschott schwang quietschend auf. Die Black-Ops-Soldaten des Königreichs machten mit den völlig verdutzten Offizieren kurzen Prozess. Die Marines reagierten auf die Bedrohung, indem sie ihre Waffen hochrissen. Zwei von Melanies Männern starben, nur Sekundenbruchteile später ein dritter. Clayton Redburn entging einer Salve nur um Haaresbreite. Sie hinterließ hinter ihm eine Spur von Löchern in der Wand.

Melanie zog ihre Seitenwaffe und schoss dem Anführer der Marines ein Loch quer durch den Helm. Die großkalibrige Handfeuerwaffe verspritzte dessen Gehirn über das Tastenfeld. Sie steckte die Pistole weg und nahm ihre Hauptwaffe zur Hand. Die Geheimdienstoffizierin stürmte ins Kommandozentrum. Red folgte ihr dichtauf, die Überlebenden des Spezialkommandos nur unwesentlich später.

Commodore Andrea Lopez wirbelte herum. Ihre Augen wurden groß. Der Verstand der Offizierin weigerte sich zunächst zu glauben, was sie sah: königliche Soldaten, die ihr Kommandozentrum stürmten.

Einer ihrer Männer reagierte geistesgegenwärtig und löste Generalalarm aus. Innerhalb kürzester Zeit würde es hier von solarischen Marines wimmeln, alle schwer bewaffnet und alle in richtig schlechter Laune. Im selben Augenblick erkannte sie, dass es keine Rolle mehr spielte. Die Stahlschotten schwangen wieder zu. Die Royalisten schlossen sich gemeinsam mit der Besatzung des Kommandozentrums ein. Die hatten keinerlei Absicht, sich abzusetzen.

Es entbrannte ein Feuergefecht. Zwei feindliche und elf ihrer eigenen Soldaten fielen. Ihr Blick zuckte zum Hauptdisplay. Die königliche Kampfgruppe hatte noch zwei Schiffe verloren, während von ihren sieben Schweren Kreuzern keiner überlebt hatte. Es war vorbei. Der Schock dieser Erkenntnis traf sie wie ein Schwinger in die Magengrube. Am liebsten hätte sie sich übergeben. Noch niemals hatte sie ihren Präsidenten enttäuscht. Sie entspannte sich ein wenig. Nun ja, es gab immer ein erstes Mal.

Ihr Kopf neigte sich nach unten. Der Auslöser, um das Internierungslager in ein luftleeres Todescamp zu verwandeln, lag verheißungsvoll vor ihr. Dass dabei auch unweigerlich fast sechshundert ihrer eigenen Leute ums Leben kommen würden, beschäftigte sie kaum. Sie war nicht bereit, diesen Posten aufzugeben, ohne vorher dem Gegner einen tödlichen Schlag zu versetzen.

Sie holte den Schlüssel hervor, der an einer Kette um ihren Hals hing. Mit einer minimalen Bewegung ihrer Hand klappte sie die Abdeckung des Schalters auf. Lopez steckte den Schlüssel in die entsprechende Vertiefung. Ihr Daumen schwebte wie das sprichwörtliche Damoklesschwert über dem roten Knopf. Die Flottenoffizierin zögerte, allerdings nicht aus moralischen Erwägungen. Sie spürte das kalte Metall einer Waffe am Hinterkopf. Sie wagte es nicht, sich umzudrehen. Lopez stand wie erstarrt vor ihrer Henkerin.

Der Schuss, der ihr Leben auslöschen würde, erfolgte jedoch nicht. Major Melanie St. John griff an der Commodore vorbei, zog den Schlüssel ab und klappte die Abdeckung wieder über den verhängnisvollen Schalter. Die Männer und Frauen, die dort unten ein Dasein als Gefangene fristeten, würden vermutlich nie erfahren, wie knapp sie dem Tod entronnen waren.

Lopez streckte ihre Gestalt. Sie richtetet sich kerzengerade auf. »Na los«, forderte sie die Geheimdienstoffizierin auf. »Bringen wir es hinter uns.«

Aber ihre Kontrahentin tat nichts dergleichen. Sie packte Lopez am Arm und drehte sie um. Der Kampf um das Kommandozentrum war vorüber. Die überlebenden solarischen Offiziere wurden in eine Ecke des Raumes geführt, mit Kabelbindern gefesselt und auf die Knie gezwungen. Die restlichen Black-Ops-Soldaten sicherten den Zugang. Man hörte, wie draußen jemand lautstark an dem Schott zu Werke ging.

»Machen Sie sich keine Hoffnungen«, meinte Melanie. »Die kommen hier nicht rein, bevor unsere Marines zur Stelle sind.«

»Warum bringen Sie mich nicht einfach um? Das wäre bedeutend gnädiger als die Schande der Gefangennahme.«

»Glauben Sie nicht, dass ich nicht dazu bereit wäre«, hielt ihre Gegenüber ihr vor. »Aber Sie haben versucht, all diese Männer und Frauen dort unten umzubringen. Das war ein Kriegsverbrechen. Ich will keinesfalls, dass Sie Ihre Gerichtsverhandlung verpassen.«

Die Geheimdienstoffizierin der Skulls aktivierte eine Komverbindung zum Gefangenenasteroiden. »Hier spricht Melanie St. John von der Spezialeinheit Skull. Wir haben das Kommandozentrum Ihrer Hauptbasis eingenommen und kontrollieren sämtliche Schlüsselsysteme. Sie brauche nicht auf Verstärkung zu hoffen. In diesem Moment setzen Mitglieder des Colonial Royal Marines Corps zu Ihnen über. Leisten Sie keinen Widerstand. Sollten Sie den Gefangenen etwas antun, haben Sie nicht mit Gnade zu rechnen. Kapitulieren Sie auf der Stelle bedingungslos – oder Sie müssen die Konsequenzen Ihres Handelns tragen.«

Die Royalistentod pflügte durch die Trümmer, die bis vor Kurzem sieben solarische Schwere Kreuzer gewesen waren. Bergungsschiffe waren bereits dabei, Überlebende, die es in Rettungskapseln geschafft hatten, aufzunehmen.

Commodore Dimitri Sokolow beobachtete befriedigt, wie Sturmboote voller Marines den Gefängniskomplex ansteuerten. Ihre Jägereskorte blieb wachsam, aber Widerstand schlug ihnen nicht entgegen. Ohne Zwischenfälle enterten die Soldaten die Anlage und bereits wenig später wurde vom kommandierenden Offizier die Übernahme signalisiert. Zeitgleich kapitulierte auch die Besatzung der Hauptbasis. Sie wussten, es war vorüber. Und es war besser, sich mit den Siegern gut zu stellen, als deren Unmut zu riskieren.

»Haggerty, schicken Sie eine Nachricht ins Carina-System mit folgendem Wortlaut: Garig gehört Euch, Euer Hoheit.«

  2  

An Bord des Großschlachtschiffes HMS Pompeji öffnete sich zischend die Tür zu einem der größten Besprechungsräume und Prinz Calvin, einziger Überlebender der Königsfamilie, schritt hindurch. Seine Leibwache, bestehend aus Soldaten des Royal Red Dragoon Bataillon, blieb zurück und sicherte den Eingang. Zwei Mitglieder der Palastwache, bezogen gut sichtbar hinter dem Prinzen Position.

Bei seinem Eintreten erhoben sich alle Anwesenden. Flottenadmiral Dexter Blackburn sah sich, wie er hoffte, nicht allzu auffällig in der Runde um.

Die Pompeji diente mittlerweile als Flaggschiff des Königreichs. Daher stand dessen Kommandant, Vizeadmiral Geoffrey Lord Hastings, der Stuhl zur Rechten des Staatsoberhaupts zu.

Dexter saß zur Linken. Von links nach rechts am Tisch standen Konteradmiral Oscar Sorenson von der Spezialeinheit Skull, Lieutenant Colonel Winston Carmichael vom Royal Red Dragoon Bataillon, Vizeadmiral Anton Verhofen und Lieutenant General Ben Morrison, beide vom ehemaligen Konsortium – obwohl die zwei Überläufer in der Runde nicht gern gesehen waren –, Admiral Simon Lord Connors vom Royal Intelligence Service sowie zu guter Letzt Major General Sabine Dubois, zuständig für Spezialoperationen.

Prinz Calvin ließ den Blick für eine Sekunde schweifen, bevor er nickend sein Einverständnis gab. »Sie dürfen sich setzen, meine Dame, meine Herren.«

Die Offiziere nahmen Platz. Die Pompeji befand sich im Transit ins Garig-System, weshalb man im Fenster über ihnen lediglich Schwärze hin und wieder unterbrochen von einem Sturm an Farben erkennen konnte. Der Transit endete ebenso abrupt, wie er begonnen hatte, und machte dem Sternenmeer Platz. Hinter der Pompeji materialisierte in schneller Folge die Eskorte des Flaggschiffs in Form einer vollen Strategic Fleet Group. Hastings ging kein Risiko ein, wenn es um den Schutz des Prinzen ging.

Prinz Calvin wartete noch einen Moment, bevor er die Besprechung eröffnete. »Generalin Dubois, Admiral Sorenson, sehr gute Arbeit, die Einnahme von Garig. Die befreiten Soldaten werden eine glänzende Verstärkung für unsere Truppen darstellen, sollten sie sich dafür entscheiden, den Kampf fortzuführen.«

»Eine Weigerung wird nicht akzeptiert«, warf Verhofen ein. »Dafür werde ich sorgen.« Morrison kommentierte die Bemerkung seines Verbündeten mit Kopfschütteln. Dem ehemaligen Konsortiums-Admiral schlug vom ganzen Tisch ungläubiges Schweigen entgegen.

»Das ist nicht unsere Art«, erwiderte der Prinz schließlich. »Diese Männer und Frauen haben Unbeschreibliches durchgemacht unter der Knute von Pendergasts Handlangern. Ich werde nach einer solchen Tortur niemanden drängen, für mich zu kämpfen. Lediglich Freiwillige bringen uns weiter. Was nützen uns Soldaten, die wir an die Waffe zwingen müssen?«

Verhofen war mit dieser Erklärung offenbar nicht einverstanden, schwieg aber. Morrison schenkte den Anwesenden reihum entschuldigende Blicke.

»Nun aber zu einem anderen Thema«, gab Prinz Calvin bekannt, womit diese Angelegenheit abgeschlossen war. Er drückte eine Taste auf seiner Seite des Tisches und aktivierte damit ein Hologramm. Die Szene zeigte den Angriff königlicher Truppen auf einen solarischen Stützpunkt. Um welchen Planeten es sich handelte, blieb für Dexter unersichtlich.

Die Invasion verlief problemlos. Die Raumlandetruppen des Königreichs schalteten die Luftabwehr aus, Truppentransporter landeten. In den nächsten Minuten überwanden die Verbände das, was von der Verteidigung noch übrig war. Dann lief alles aus dem Ruder.

Dexters Fingernägel krallten sich bei dem Anblick in die Tischplatte. Ein noch aktives Geschütz pustete einen im Anflug befindlichen Truppentransporter vom Himmel. Die Reaktion der Königlichen bestand darin, dass sie nicht nur das Geschütz und dessen Besatzung auslöschten, sondern darüber hinaus ein komplettes Stadtviertel des nahen Bevölkerungszentrums.

Als wäre das nicht genug, bombardierten sie mehrere Regimenter solarischer Soldaten, die dabei waren, die Waffen niederzulegen und sich zu ergeben. Die letzte Sequenz zeigte die Stadt, von der Dutzende dicker, ölig schwarzer Rauchsäulen aufstiegen. Sirenen der Notdienste und Krankenwagen dominierten die Geräuschkulisse. Der Prinz stoppte die Aufnahme. Das letzte Bild, welches die angegriffene Stadt zeigte, fror ein.

Betäubtes Schweigen beherrschte den Raum. Calvin sah auffordernd von einem zum anderen. »Möchte jemand was dazu sagen?«

Dexter fand als Erster seine Sprache wieder. Er deutete auf das Hologramm. »Was zum Teufel war das?«

»Die Solarier verbreiten es im öffentlichen Netz«, erklärte Calvin. »Nicht nur im Königreich oder der Republik, sondern im besiedelten Weltraum. Überall. Der Vorfall soll sich auf Askeya zugetragen haben. Ein solarischer Soldat sei mit dieser Aufzeichnung entkommen, heißt es. Und jetzt hätte ich gerne eine Stellungnahme hierzu. Wer möchte den Anfang machen?«

»Die Aufnahme ist offenbar gefälscht«, warf Connors ein. »Allein die Vorstellung, dass königliche Truppen ein solches Massaker anrichten, ist undenkbar.«

»Bei Askeya unternehmen wir derzeit nur Sondierungsvorstöße«, sprang Dexter dem RIS-Admiral helfend bei. »Es gab dort gar keine Operationen dieser Größenordnung.«

»Im Übrigen«, mischte sich nun auch Dubois ein, »wage ich zu behaupten, wären wir dort in solcher Weise aktiv gewesen, wäre niemandem die Flucht mit einer derartigen Aufnahme geglückt.« Ein leicht überhebliches Lächeln begleiteten die Worte der Generalin.

Prinz Calvin seufzte erleichtert. »Also reine Propaganda. Das hatte ich erwartet und ich bin froh, dass mich meine Einschätzung nicht betrog. Wie gehen wir dagegen vor?«

Connors musste nicht lange überlegen. »Propaganda begegnet man am ehesten mit der Wahrheit. Überlassen Sie das Hologramm meinen Spezialisten. Sie werden die Fälschung entlarven und das Wissen darum ebenfalls verbreiten. Alle Menschen damit erreichen ist unmöglich. Das kann man nie. Es gibt immer jemanden, der diesen Quatsch glaubt. Aber viele werden wir überzeugen können. Damit lässt sich der angerichtete Schaden minimieren.«

»Einverstanden«, entgegnete der Prinz sichtlich zufrieden. »Nächster Punkt auf der Tagesordnung: Was ist uns bekannt über die solarischen Truppen- und Schiffsbewegungen? Vor allem Sheppards Aufenthaltsort ist mir dabei wichtig.«

Admiral Simon Lord Connors räusperte sich übertrieben. »Sheppard hat sich mit den Überresten der 3. Flotte nach Castor Prime zurückgezogen, wo er die dortigen Wachgeschwader mit seinen eigenen Einheiten verstärkt. Es gibt aber Anzeichen dafür, dass Sheppards Verbände unter Materialverschleiß und Nachschubproblemen leiden. Auch die Reparatur beschädigter Schiffe geht nicht so schnell vonstatten, wie man es bei einer Nation wie der Solaren Republik erwarten dürfte.«

Prinz Calvin beugte sich interessiert vor. »Schlussfolgerung?«

»Wir glauben, durch die Niederlage bei Selmondayek und die darauf folgende Verkettung von Rückzugsgefechten auf solarischer Seite ist Sheppard bei Pendergast in Ungnade gefallen. Im Prinzip treiben wir den Großadmiral seit Selmondayek kontinuierlich vor uns her. Es ist uns innerhalb der letzten Wochen und Monate gelungen, sieben weitere Systeme zu befreien.«

»Wovon aber nur zwei bewohnt sind«, brachte Sorenson in Erinnerung.

Connors bedachte den anderen Admiral mit einem verkniffenen Blick. »Das ist richtig. Aber auch die Befreiung und in Besitznahme unbewohnter Systeme bringt uns weiter. Es eröffnet uns den Transit durch eine Vielzahl an Lagrange-Punkten in andere Teile des Königreichs und sogar darüber hinaus – ohne dass wir uns jeden Meter erkämpfen müssen.«

Sorenson neigte bestätigend den Kopf. Dexter bemerkte, dass sich sein alter Freund ein spitzbübisches Lächeln verkniff. Der Skull-Befehlshaber und Connors konnten sich nicht leiden. Deshalb bereitete es Sorenson ein geradezu diebisches Vergnügen, den Chef des Royal Intelligence Service bloßzustellen.

In einem Punkt hatte Connors aber recht. Auch die Einnahme unbewohnter Systeme brachte die königlichen Truppen weiter. Nicht nur, was die Bewegungsfreiheit anbelangte. Nicht kolonisierte Regionen eigneten sich hervorragend zur Einrichtung von Nachschubbasen.

»Wie dem auch sei«, fuhr der RIS-Chef fort. »Sheppard bereitet mir im Moment weniger Sorgen.«

Der Prinz neigte leicht den Kopf zur Seite. »Sondern?«

»Großadmiral Harriman Gorden.«

»Der Schlächter«, brachte Dubois halblaut ein.

Connors nickte. »Der Schlächter«, bestätigte er. »Pendergasts Mann für Spezialaufgaben und die andere Hälfte des solarischen operativen Oberkommandos über die Streitkräfte. Der Mann sammelt seine Einheiten im Tirold-System. Wir wissen noch nichts Genaues. Aber momentan sieht es so aus, als bestünden die ihm unmittelbar unterstellten Kräfte aus der 6., der 8. sowie der 9. Flotte. Alles in allem um die zweitausendfünfhundert Schiffe. Das ist mehr, als wir im Augenblick effektiv bekämpfen könnten. Selbst wenn wir ausnahmslos jede SFG zusammenziehen, sind wir ihm dennoch unterlegen.«

»In welchem Verhältnis?«, hakte Dexter nach.

»Schwer zu sagen. Viele unserer Schiffe werden immer noch repariert. Wenn wir die in die Rechnung mit einbeziehen, dann ist uns Gorden immer noch um gut dreißig Prozent überlegen. Wenn er sich mit Sheppard zusammenschließt …« Connors ließ den Satz vielsagend ausklingen.

»Dann müssen wir das verhindern«, warf der Prinz entschlossen ein.

»Ich wüsste nicht, wie das möglich sein sollte«, brachte Connors den Souverän zurück auf den Boden der Tatsachen. »Die Wahrheit ist schlichtweg, dass die Republik die höhere Wirtschaftskraft und das zahlenmäßig überlegene Militär hat. Unsere Analytiker errechneten eine achtzigprozentige Wahrscheinlichkeit, dass die Solarier uns innerhalb der nächsten zehn Monate ausmanövrieren und zurückdrängen. Wir besitzen kaum Werften und diejenigen, die wir haben, sind durch den Krieg schwer in Mitleidenschaft gezogen, während die der Republik mit hundertprozentiger Auslastung arbeiten.« Connors ließ ratlos die Schultern sacken. »Einziger Lichtblick ist, dass weder Sheppard noch Gorden besonders erpicht auf eine Zusammenarbeit sein werden. Die beiden hassen sich wie die Pest. Das bringt uns aber nicht viel. Gordens Verbände sind stark genug, um uns die Initiative wieder zu entreißen.«

»Ich verstehe«, erwiderte der Prinz niedergeschlagen. »Ja, ich verstehe.« Der Adlige verfiel in brütendes Schweigen, daher riss Dexter die Gesprächsführung an sich. Die anwesenden Offiziere durften kein Zeichen der Schwäche beim Prinzen bemerken. Es hätte seine Autorität untergraben. Dass er während der Belagerung von Selmondayek versucht hatte, sich das Leben zu nehmen, war ein streng gehütetes Geheimnis, das nur wenigen Auserwählten bekannt war. Es hätte das fragile Bündnis, aus dem das Königreich inzwischen bestand, unwiederbringlich zerstört.

»Gorden hat das Tirold-System vor einigen Wochen erreicht. Der Großadmiral überwacht persönlich das Sammeln seiner Streitkräfte. Der Mann kommandiert ein brandneues Großschlachtschiff – die Ares.«

»Charmant«, kommentierte Wilson. Der Kommandant des Royal Red Dragoon Bataillon rümpfte die Nase.

»Es muss weitere königliche Kräfte geben, die sich hinter den feindlichen Linien versteckt halten.« Der Prinz sah sich in der Runde um. »Bodentruppen und Schiffe, die wir mobilisieren können.«

»Die gibt es bestimmt«, antwortete Sorenson stellvertretend für sie alle. »Aber wir haben keine Ahnung, wie wir Kontakt zu ihnen aufnehmen könnten. Und selbst wenn, gäbe es für die meisten höchstwahrscheinlich keine Möglichkeit, zu uns durchzukommen.«

»Falls sich Gorden und Sheppard tatsächlich wider Erwarten zusammentun«, warf Dubois ein, »dann wird ihre vereinte Macht uns niederkämpfen. Es bliebe uns nichts anderes übrig als der Rückzug nach Selmondayek. Und ich bezweifle, dass wir aus dieser Mausefalle ein zweites Mal ausbrechen könnten.«

Prinz Calvin dachte über die Worte der Generalin nach. »Dann bleibt uns nur die Wahl zwischen zwei Angriffszielen: Castor Prime oder Tirold.«

Schweigen antwortete ihm auf diese Ankündigung. Calvin zwang sich zu einem Lächeln. »Ich verstehe die Verblüffung nicht. Wir müssen Farbe bekennen, und wenn der Gegner sich nicht zusammenschließen soll, dann dürfen wir das auch nicht zulassen. Deshalb gibt es nur die Alternative zwischen Pest und Cholera.«

»Wenn dem so ist«, warf Connors ein, »dann würde ich dringend von Castor Prime abraten. Das System ist seit seinem Fall abgeriegelt. Was uns betrifft, könnte es genauso gut von einem Schwarzen Loch verschlungen worden sein. Es gehen kaum Informationen raus. Wir wissen nicht, was dort für Kräfte stationiert sind – mit Ausnahme von Sheppards dezimierter Flotte. Wir wissen nicht, wie das System befestigt worden ist oder welche Kräfte uns vor Ort unterstützen würden. Derzeit bin ich dabei, ein Agentennetz aufzubauen, das dieses System mit einschließt. Bis es Früchte abwirft, wird es allerdings noch eine Weile dauern.«

»Dem stimme ich zu«, sprang Sorenson dem Geheimdienstchef überraschend zur Seite. »Tirold wäre die bessere Wahl. Es dient Gorden als Aufmarschgebiet. Die feindlichen Kräfte dort sind momentan noch nicht vollständig einsatzbereit. Darüber hinaus gibt es eine Widerstandsbewegung vor Ort, die uns mit Informationen versorgt und im Fall einer Invasion auch Personal am Boden bereitstellen könnte. Ihre Unterstützung bei der Ausschaltung gegnerischer Raum- und Luftabwehrstellungen wäre von enormem Wert.«

»Wer führt sie an?«, wollte der Prinz wissen.

»Julia Alexjewitsch, die einzige Überlebende der Grafenfamilie. Sie besitzt ein Offizierspatent der Hausgarde der Alexjewitsch. Nach der Ermordung ihres Vaters durch das Konsortium hat sie die Überreste der Hausgarde und weiterer Einheiten unter ihrem Banner vereinigt und macht den Republikanern seitdem das Leben schwer. Ein schneller Schlag gegen Tirold könnte das Blatt endgültig zu unseren Gunsten wenden. Falls es gelingt, Gordens Einheiten zu überwältigen, wäre das Kräfteungleichgewicht gebrochen.«

Prinz Calvin dachte ausgiebig über die vorgebrachten Argumente nach. »Dann also Tirold«, gab er bekannt. »Legen Sie mir in achtundvierzig Stunden den ersten Entwurf vor für eine militärische Operation gegen die solaren Kräfte, mit denen wir es zu tun haben werden.«

Der Prinz lehnte sich in seinem Stuhl zurück und betrachtete nacheinander jeden der Anwesenden. Schließlich seufzte er. »Ich danke Ihnen allen für den umfassenden Bericht und Ihre jeweilige Expertise. Lassen Sie mich jetzt bitte allein.«

Die Offiziere erhoben sich, neigten steif den Oberkörper nach vorn und verließen den Raum. Dexter schloss sich ihnen an.