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Die kreischenden Bremsen des Zuges reißen Chet Quade, den Vormann der Skull-Ranch, aus dem Schlaf. Das Geräusch schrillt in seinen Ohren, als die schwere Last den Zug trotz der blockierenden Bremsen weiterschiebt. Dann fallen die ersten Schüsse.
Chet springt von seinem Sitz auf. Über seinem Kopf splittert Glas, als zwei Kugeln die Scheibe durchschlagen. Eine dröhnende Stimme ertönt: "Wer den Zug verlässt, fährt zur Hölle!"
Nur wenige der Passagiere hören aus der Drohung heraus, dass der Mann aufgeregt ist. Es scheint etwas nicht so zu laufen, wie die Burschen es sich vorgestellt haben! Dieser Gedanke durchschießt den Vormann der Skull-Ranch, als er dicht über den Boden weg zur anderen Seite des Waggons robbt.
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Seitenzahl: 139
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Wenn der Teufel regiert
Vorschau
Impressum
Wenn der Teufel regiert
von E. B. Millett
Die kreischenden Bremsen des Zuges reißen Chet Quade, den Vormann der Skull-Ranch, aus dem Schlaf. Das Geräusch schrillt in seinen Ohren, als die schwere Last den Zug trotz der blockierenden Bremsen weiterschiebt. Dann fallen die ersten Schüsse.
Chet springt von seinem Sitz auf. Über seinem Kopf splittert Glas, als zwei Kugeln die Scheibe durchschlagen. Eine dröhnende Stimme ertönt: »Wer den Zug verlässt, fährt zur Hölle!«
Nur wenige der Passagiere hören aus der Drohung heraus, dass der Mann aufgeregt ist. Es scheint etwas nicht so zu laufen, wie die Burschen es sich vorgestellt haben! Dieser Gedanke durchschießt den Vormann der Skull-Ranch, als er dicht über den Boden weg zur anderen Seite des Waggons robbt.
Im Inneren des Abteils ist Ruhe eingekehrt. Die Fahrgäste bleiben auf ihren Plätzen. Inzwischen ist jedem klargeworden, dass die Banditen es nicht auf das Hab und Gut der Reisenden abgesehen haben.
Draußen hingegen verstärkt sich das Feuer, als Chet Quade die Tür auf der anderen Seite des Waggons erreicht. Er zögert einen Atemzug lang und überzeugt sich mit einem schnellen Blick davon, dass niemand etwas passieren kann, wenn er den Waggon verlässt.
Dann stößt er die Tür auf.
Die Sonne steht schräg hinter den Bergen. Chet Quade zieht die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. Auf den ersten Blick kann er niemand entdecken. Dann springt der Vormann der Skull-Ranch, die noch zwei Tagesritte von hier entfernt liegt, mit einem Satz ins Freie.
Unter seinem Körper wallt der Staub auf, als er auf dem knochentrockenen Boden landet.
Obgleich Chet Quade keine Gefahr erwartet, rollt er sich blitzschnell einmal um die eigene Achse, um einem Heckenschützen kein sicheres Ziel zu bieten.
Nichts passiert auf dieser Seite des Zuges. Der Kampf der Banditen mit dem Personal des Postwagens findet auf der anderen Seite statt.
Mit einem Satz kommt Quade wieder auf die Beine. Hoch reckt sich die große, schlanke Gestalt dem blauen, wolkenlosen Himmel entgegen. Es ist eine lange geübte, fließende Bewegung, mit der Quade seinen Sechsschüsser aus dem Futteral reißt. Mit dem Daumen zieht er den Hammer der Waffe zurück.
Dann beginnt er zu rennen. Er muss an zwei Waggons vorbei und dann über die Schienen, um auf die andere Seite des Zuges zu gelangen, auf der geschossen wird.
Quade rechnet sich eine gute Chance aus, dem Geschehen die alles entscheidende Wende geben zu können, wenn er plötzlich und unerwartet am Ende des Zuges auftaucht.
Keiner der Banditen scheint damit gerechnet zu haben, dass sich einer der Fahrgäste in den Kampf einschaltet. Sonst hätten die Burschen doch wohl wenigstens einen Mann auf dieser Seite des Zuges postiert.
Quades Atem fliegt. Er ist die Strecke an den beiden letzten Waggons entlang gerannt, als säße ihm der Leibhaftige im Genick. Dann hat er den letzten Wagen passiert, springt über die Schienen und befindet sich auf der anderen Seite des Zuges.
Was er sieht, macht den Vormann der Skull irgendwie froh.
Die Banditen haben ihr Ziel wirklich noch nicht erreicht. Es ist ihnen zwar gelungen, den Zug an der genau richtigen Stelle zum Halten zu bringen, aber allem Anschein nach haben sie nicht einen Moment lang mit dem massiven Widerstand der Männer gerechnet, die sich im Postwagen aufhalten.
Chet Quade sieht die vier maskierten Gestalten, die hinter dem Schienendamm liegen und wie die Besessenen auf die Tür des Postwagens schießen. Von vielen Einschüssen ist das Holz gesplittert. Regelrecht durchsiebt. Doch keiner der Banditen kommt an den Wagen heran. Die Leute im Wagen scheinen ebenfalls eine sichere Deckung gefunden zu haben. Und sie verfügen über genügend Munition.
Von innen wird ein regelrechtes Abwehrfeuer gegen die Tür geschossen. Würde auch nur einer der Leute hinter dem Bahndamm den Weg nach vorn wagen, wäre er schon nach zwei Schritten durchlöchert.
Quade kann keinen der Banditen erkennen. Er fragt sich, ob es sinnvoll ist, in den Kampf einzugreifen, den die Banditen im Grunde schon jetzt verloren haben.
Der Postwagen ist eine uneinnehmbare Festung. Nur an diesem Wagen sind die Banditen interessiert. Quade weiß nicht, was befördert wird, aber es muss sich um verdammt viel Geld oder Gold handeln.
Quade hält es für das Klügste, sich aus der Sache herauszuhalten. Auf dem gleichen Weg, den er gekommen ist, will er wieder in den Waggon zurück.
Vorsichtig weicht er einen Schritt zurück.
Dann sieht er den Schatten, den jemand auf den staubigen Boden wirft, der sich über Quade auf dem Dach des Waggons aufhalten muss.
Geistesgegenwärtig wirft Chet Quade sich zurück. Die Hacken seiner Stiefel bleiben an den Gleisen hängen. Quade stürzt zwischen die Schienen.
Verzweifelt versucht er, seinem Körper noch eine Drehung zu geben.
Bevor er sich umdrehen und seinen Gegner sehen kann, brüllt der erste Schuss schon auf.
Ein starker Schlag trifft den Vormann der Skull in die Seite und wirft ihn zwischen die Schienen zurück.
Ein zweiter Schuss brüllt auf.
Millimeter an Quades Kopf vorbei saust das Projektil und knallt in den Schotter zwischen den Gleisen.
Ein heißer, unerträglicher Schmerz frisst sich durch Quades Körper. Er reiß die Augen weit auf, will wenigstens etwas tun, was den Mann dort oben auf dem Dach des letzten Waggons in Deckung zwingt. Doch seine Glieder sind wie gelähmt. Chet Quade kann nicht einen Finger bewegen. Vor seinen Augen wallen violette Nebel. Dann reißt dieser Nebel. Mit einem lauten Knall scheint die Sonne direkt vor Chets Augen zu zerplatzen. Er hört noch den schrillen, klagenden Pfeifton der Lokomotive, bevor es finstere Nacht um ihn herum wird.
»Verdammter Idiot von einem Kuhtreiber«, flucht der Mann, der sich auf dem Dach des Waggons nun zu seiner vollen Größe aufrichtet und noch einen schnellen Blick auf den Cowboy zwischen den Schienen wirft.
Dann dreht er sich herum und rennt bis zum vorletzten Wagen, um auf die Plattform zwischen den Waggons hinabzusteigen.
»Aufhören und verschwinden!«, ruft er seinen Leuten hinter dem Bahndamm zu.
In diesem Moment hat der große, breitschultrige Anführer der Banditen sich damit abgefunden, dass man an diesem Tag keine Beute machen kann. Er springt auf den Bahndamm hinab und muss augenblicklich in Deckung gehen.
Der Zug rollt an. Jetzt hat man auch auf der Lok die Gunst der Stunde erkannt und wahrgenommen. Während der Lokführer den Zug anrollen lässt, hat nun auch der Heizer das Feuer auf die Banditen eröffnet. Er hat es auf den Anführer abgesehen, der gerade abgesprungen ist.
Die ersten Schüsse liegen gut für einen Mann, der besser mit der Kohlenschaufel, als mit einem Revolver umgehen kann.
Keine Kugel trifft den Banditen, der sich nun wütend auf die Seite rollt, so dass er den Führerstand der Lok einsehen kann. Fluchend reißt er die Waffe hoch, zielt sorgsam und krümmt den Finger.
Drüben in der Lok wirft der Heizer die Arme in die Luft. Er stößt einen langgezogenen, grellen Schrei aus, bevor er zusammenbricht. Der Heizer ist tot, noch bevor er vor dem fauchenden Feuerloch zu Boden schlägt.
Hinter dem Bahndamm erheben sich die vier Männer und nehmen die Halstücher ab, mit denen sie sich maskiert haben. Enttäuschung und Wut steht auf den Gesichtern der Banditen geschrieben. Alle schauen sie dem Zug nach, der schneller und schneller wird und wenig später hinter der nächsten Kurve verschwunden ist.
Noch einmal tönt der etwas klagende Pfeifton durch die Weite der Landschaft bis hin zu den Bergen.
»Verdammter Mist!«, jault einer der Männer. »Wir waren so dicht dran!«
»Hat jemand etwas abbekommen?«, fragt der Anführer der Bande.
Niemand meldet sich.
»Dann verschwinden wir von hier!«
Einer der Banditen deutet auf Chet Quade, der regungslos zwischen den Schienen liegt.
»Was ist mit dem?«, will er wissen.
»Tot«, antwortet ihm der Anführer. »Ich habe ihn vom Waggon herunter erwischt. Zu den Pferden, und dann nichts wie weg!«
Keiner der Männer widerspricht. Die Banditen verschwinden, ohne dass sich noch jemand um den Vormann der Skull-Ranch kümmert.
Chet Quade wacht auf, als ihn jemand bei den Schultern packt und versucht, ihn auf die andere Seite zu drehen. Mit einer heftigen Bewegung versucht er sich aus dem Griff zu befreien und stößt einen schrillen Schrei aus.
Quade hat das Gefühl, als stoße jemand ihm eine glühende Eisenstange durch den Körper. Er reißt die Augen auf. Dicht über ihm schwebt das Gesicht eines jungen, blonden Mannes. Zuerst ist alles verschwommen, doch dann wird das Bild klar.
»Mann Gottes!«, stöhnt der Blonde. »An Ihrer Stelle würde ich mit diesem Loch in der Seite keine weiteren Turnübungen mehr machen!«
Das klingt besorgt und beruhigend zugleich. Quade hebt die Hand und wischt sich den Schweiß aus der Stirn.
»Der Zug«, sagt er schwach. »Ich war im Zug, als man ihn überfallen hat.«
Tiefe Falten furchten die Stirn des blonden jungen Mannes, der kein Cowboy ist. Das ist auf den ersten Blick zu erkennen, er sieht überhaupt nicht so aus, als habe er jemals in seinem Leben schwere Arbeit verrichten müssen.
»Was sagen Sie da, Mister?«, fragt der Blonde. »Ich bin Ben Mortimer. Ich arbeite für die Eisenbahn. Was ist mit dem Zug?«
Chet Quade fällt das Reden schwer. Dennoch berichtet er Mortimer, was geschehen ist. Wie viel Zeit seit dem Überfall verstrichen ist, weiß Quade nicht genau zu sagen. Vielleicht zwei, drei Stunden am Stand der Sonne gemessen, die hinter den Bergen abgefallen ist und die Gipfel in purpurne Watte hüllt.
Mortimer nickt, schaut die Schienen entlang und wendet sich dann wieder an Quade.
»Die Burschen hatten es auf die Lohngelder der Lone-Star-Mine abgesehen«, sagt er. »Zum Glück haben sie Pech gehabt.«
»Auch ich habe Glück gehabt«, stöhnt Quade. »Wie weit ist es bis zur nächsten Stadt?«
»Zehn Meilen«, antwortet Ben Mortimer. »Und es ist kein leichter Weg. Ihre Wunde sieht böse aus, Mister. Vielleicht ist es besser, wenn ich Sie zurücklasse und später mit einem Wagen zurückkomme. Das wird aber einige Stunden dauern. Halten Sie es so lange aus?«
Chet weiß genau, dass ihm gar keine andere Wahl bleibt. Es ist wirklich eine hässliche Verletzung, die ihm einer der Banditen aus dem Hinterhalt beigebracht hat. Zehn Meilen durch schwieriges Gelände und dann auch noch zu zweit auf einem Pferd, das wird er unmöglich aushalten. Dann schon lieber hier draußen liegen und auf den Wagen warten.
Quade stimmt dem Vorschlag des jungen Mannes zu.
»Gibt es eine Telegrafenstation in der Stadt?«
Ben Mortimer nickt.
»Dann geben Sie ein Telegramm nach Cripple Creek auf«, sagt Chet. »Ein Bote soll es nach Golden City bringen. Zu Händen des Sheriffs. Der soll John Morgan von der Skull-Ranch verständigen. Morgan muss wissen, wo ich bin, und dass es noch einige Zeit dauern wird, bis ich wieder zurückkomme. Werden Sie das für mich erledigen, Mortimer?«
»Sobald ich in der Stadt angekommen bin«, versichert Ben Mortimer.
Er geht zu seinem Pferd und kommt mit zwei gefüllten Wasserflaschen zurück. Die legt er neben Chet Quade, nachdem er dem Vormann der Skull geholfen hat, einen besseren Platz am Bahndamm einzunehmen.
»Bis später, Mr. Quade«, sagt Mortimer und schwingt sich auf sein Pferd. Er hebt die Hand und gibt seinem Gaul schließlich die Zügel frei.
Wenig später sind Pferd und Reiter hinter einer dichten Staubwolke verschwunden.
Chet schaut dem Mann lange nach, dem er wahrscheinlich sein Leben zu verdanken hat, wenn der Wagen früh genug hier eintrifft.
Die Wunde an seiner Seite ist notdürftig verbunden. Er hat eine Menge Blut verloren und fühlt sich schlapp. Zum anderen setzen die Schmerzen nun wieder mit einer Heftigkeit ein, die Quade den Atem raubt.
Mit dem Warten auf den Wagen hat er sich für den richtigen Weg entschieden. Ein Ritt hätte ihn umgebracht. Aber er weiß, das gleiche Schicksal kann ihm blühen, wenn der Wagen aus der Stadt nicht schnell genug hier eintrifft.
Mark Davidson hat ihn gerufen. Jetzt steht Sheriff Gene Dayer in dem kleinen Büro der Eisenbahngesellschaft und kann noch gar nicht fassen, was er gerade gehört hat.
Verwundert blickt der Mann mit dem Stern erst auf Davidson, der die Eisenbahngesellschaft in der Stadt vertritt, dann auf die beiden Männer, deren verschwitzte Gäule Dayer schon draußen vor der Tür gesehen hat. Abgetrieben bis zur Erschöpfung. Die Tiere werden mindestens einen Tag Ruhe brauchen, bis sie wieder geritten werden können.
»Wir sind wie die Teufel geritten, Dayer«, sagt Jake Mattmann, der Vorarbeiter einer der Minen ist, die Walther Richie gehören. »Wir haben die Schüsse gehört. Als wir die Bahnlinie erreichten, war der Zug gerade wieder angefahren und die Banditen ergriffen die Flucht. Wir sind ihnen nachgesetzt und mussten dann aufgeben.«
Der Sheriff nickt und sein Gesicht wird dabei immer verschlossener.
»Und, verdammt, ihr habt Ben Mortimer unter den Banditen genau erkannt?«
Jake Mattmann nickt entschlossen.
»Mortimer«, wiederholt er den Namen. »Daran besteht nicht der geringste Zweifel, Sheriff. Wahrscheinlich befand sich Geld im Zug. Mortimer wusste das natürlich und hatte es satt, neben Davidson immer der zweite Mann zu bleiben. Also hat er versucht, den Zug auszurauben und sich mit der Beute selbstständig zu machen. Ist doch ganz einfach.«
Dem kann Sheriff Gene Dayer nicht widersprechen. Was Mattmann da von sich gegeben hat, klingt verdammt einleuchtend. Dennoch will Dayer es etwas genauer wissen und wendet sich an Mark Davidson.
»Hat Mortimer von den Lohngeldern für die Lone-Star-Mine gewusst, Mark?«
Mark Davidson nickt und senkt den Blick zu Boden. »Genau wie ich und einige andere Leute auch.«
»Welche Leute meinst du, Mark?«
»Die von der Lone-Star-Mine!«
Jake Mattmann stößt ein raues Lachen aus. »Die Burschen von der Lone-Star-Mine sind sicher verrückt, Sheriff«, sagte er. »Aber doch nicht so verrückt, dass sie ihren eigenen Lohntransport überfallen.«
In diesem Moment fliegt die Tür zum Büro auf. Daisy Davidson betritt den verräucherten Raum. Seit geraumer Zeit schon hat das hübsche Mädchen mit den langen, schwarzen Haaren hinter der Tür gestanden und jedes Wort verstanden.
Die Köpfe der Männer rucken zu Davidsons Tochter herum, die in der geöffneten Tür stehenbleibt und ärgerlich mit dem Fuß aufstampft. Ihre dunklen Augen blitzen. Deutlich ist ihr anzusehen, dass sie alle Männer, die hier versammelt sind, am liebsten eigenhändig zum Teufel geschickt hätte.
»Noch niemals habe ich einen solchen Unsinn gehört!«, bricht es aus der schwarzhaarigen Schönheit heraus. »Ben hat sich in seinem Job immer sehr wohl gefühlt, und es hat ihm niemals etwas ausgemacht, dass er hinter Dad nur der zweite Mann ist. Er liebt mich, und wir wollen heiraten. Niemals würde er auch nur auf die Idee kommen, einen Zug zu überfallen und damit alles aufs Spiel zu setzen!«
Mark Davidson springt erregt von seinem Platz auf. Seine Augen funkeln, als er seine Tochter anschaut, als sei sie in diesem Moment seine größte Feindin.
Bevor er jedoch etwas sagen kann, schaltet sich Mattmann wieder ein.
»Ich habe ihn mit eigenen Augen gesehen und kann es jederzeit auch beschwören. Genau wie meine Männer, die mit mir unterwegs waren und die Verfolgung der Banditen aufgenommen haben.«
»Das ist eine verdammte Lüge!«, begehrt Daisy Davidson auf.
Mattmann lacht. Nur eine Sekunde lang, dann wird sein Gesicht wie aus grobem Stein gehauen.
»Wenn du ein Mann wärst, würde ich dich dafür erschießen, dass du meine Männer und mich einen Lügner nennst, Daisy!«
Sheriff Dayer hebt die Hand. Er wendet sich an Daisys Vater.
»Hast du Mortimer weggeschickt?«, fragt er.
Der grauhaarige Mann schüttelt den Kopf. »Im Gegenteil«, antwortet er leise. »Ich wollte, dass er hierbleibt und einige Dinge erledigt. Aber Ben verschwand entgegen meiner Anordnung. Ich kann mir keinen Reim darauf machen, wie er sich zu einer solchen Tat hat hinreißen lassen können.«
»Ihr redet so, als wäre das schon bewiesen«, schluchzt das schwarzhaarige Mädchen.
»Wenn Mattmann und seine Männer bei ihrer Aussage bleiben, dann ist es bewiesen«, sagt Sheriff Dayer. »Dann wird Mortimer hängen, Daisy. Der Heizer des Zuges ist bei dem Überfall ums Leben gekommen. Er hinterlässt eine Frau und zwei Kinder.«
Daisy Davidson schlägt die Hände vors Gesicht. Fluchtartig verlässt sie den Raum und stürmt auf die Straße hinaus.
In diesem Moment weiß das Mädchen nicht, was es denken soll.
Mattmanns Behauptung hat sich wie eine Wand zwischen sie und Ben Mortimer geschoben. Seit Jahren kennt sie Ben, der als junger Bursche bei der Eisenbahngesellschaft angefangen hat und inzwischen den zweiten Posten nach ihrem Vater bekleidet.
Tränen strömen über ihr Gesicht. Daisy läuft ziellos über den Sidewalk, stößt mit einigen Leuten zusammen, murmelt eine Entschuldigung und wechselt schließlich die Straßenseite.
Drüben, vor dem Postoffice, hat sie den Rappen mit der Blesse gesehen. Ben Mortimers Pferd. In der ganzen Gegend gibt es sonst keinen Rappen mit dieser auffälligen Zeichnung.
Ein eisiger Schreck durchzuckt sie, als sie neben dem Tier stehenbleibt und mit der flachen Hand über das seidig weiche, schweißnasse Fell des Pferdes streicht.
Mortimer muss wie der Teufel geritten sein. Wie ein Mann auf der Flucht. So wie die Leute, von denen Mattmann behauptet, dass er und seine Männer sie gejagt haben.