So macht man Teilhabe - Michael Opielka - E-Book

So macht man Teilhabe E-Book

Michael Opielka

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Beschreibung

Die Evaluation des von der Aktion Mensch Stiftung geförderten Projekts "Wie macht man Teilhabe? - Inklusion durch Umbau der Angebote gemeinsam verwirklichen" der LIGA der Freien Wohlfahrtspflege in Thüringen erfolgte durch das ISÖ - Institut für Sozialökologie. Das Projekt sollte die Ambulantisierung und personenzentrierte Ausrichtung der Eingliederungshilfe nach dem neuen Bundesteilhabegesetz (BTHG) unter Beteiligung der Menschen mit Beeinträchtigung für Menschen mit Beeinträchtigung erproben. Die Partizipation der primären Zielgruppe der Evaluation, der Menschen mit Beeinträchtigung, wird als positiv bewertet. Sie wurden eingebunden und es entstanden neue Mitgestaltungsmöglichkeiten. Das Projekt zeigt, dass eine Veränderung der Trägerlandschaft erfolgt. Dies kann jedoch nur der Anfang des Transformationsprozesses sein. Weitere Schritte erfordern eine ganzheitliche Personenzentrierung in allen Lebensbereichen, das heißt die Integration und Ausweitung auf externe sozialräumliche und gesellschaftliche Akteure sowie vielfältige Anreize, um diese Akteure zur Kooperation zu motivieren. Teilhabe braucht mehr Ressourcen, Zeit und Geld.

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Die Evaluation des Projekts „Wie macht man Teilhabe? – Inklusion durch Umbau der Angebote gemeinsam verwirklichen“ der LIGA der freien Wohlfahrtspflege in Thüringen e.V. wird durch die AKTION MENSCH Stiftung gefördert.

Weitere Informationen zur Evaluation finden Sie im Internet unter: https://www.isoe.org/projekte/

Inhalt

Policy Brief

Einleitung

Evaluationskonzept

2.1

Begriffserklärungen

2.2

Gesellschaftlicher und sozialwissenschaftlicher Diskurs

2.3

Zielgruppe der Evaluation

2.4

Methodenkanon

2.5

Module der Evaluation

Quantitative Evaluation – Wir lassen die Zahlen sprechen

3.1

Methodisches Vorgehen

3.2

Ergebnisse der Befragung Info- und Fachtage

3.3

Ergebnisse der Online-Erhebung

3.4

Zusammenfassung und Probleme

Face-to-Face Interviews – Wir lassen die Menschen sprechen

4.1

Entstehung des Erhebungselements

4.2

Pretest der Face-to-Face Befragung

4.3

Kommunikation mit den Einrichtungen

4.4

Interviewsetting und Schwierigkeiten

4.5

Auswertung der Interviews

4.6

Finanzielle Barrierefreiheit

4.7

Einzelstimmen

4.8

Einordnung der Ergebnisse

Textanalyse – Wir lassen den Computer sprechen

5.1

Methodisches Vorgehen

5.2

Verständnis und Normative zu Partizipation

5.3

Zufriedenheit in Bezug auf Partizipation und Ambulantisierung

5.4

Stärken und Chancen der Ambulantisierung

5.5

Schwächen, Risiken, Probleme und Grenzen der Ambulantisierung

5.6

Institutionelle und organisatorische Veränderungen

5.7

Beteiligungs- und Wahlmöglichkeiten von Menschen mit Beeinträchtigung

5.8

Langfristige Beobachtungen und Zusammenfassung

Einrichtungsleitungen – Wir lassen die Modelleinrichtungen sprechen

6.1

Entwicklung der Evaluationsbögen

6.2

Auswertung der Evaluationsbögen

6.3

Fazit

Zusammenfassung und Diskussion

7.1

Kommunikation innerhalb des Projekts

7.2

Zusammenfassende Darstellung der Evaluationsergebnisse

7.3

Indikatorengestützte Wirkungsanalyse

Literaturverzeichnis

Autorinnen und Autoren

Anhang

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Evaluationskonzept

Abbildung 2: SONI-Modell der Sozialraumorientierung

Abbildung 3: Evaluationskonzept

Abbildung 4: Indikatoren zur Wirkungsanalyse

Abbildung 5: Stichprobe „Pen and Paper“ Info- und Fachtage; Online-Erhebung

Abbildung 6: War die Veranstaltung barrierefrei?

Abbildung 7: War die Veranstaltung gut organisiert?

Abbildung 8: Haben Sie alles verstanden?

Abbildung 9: Konnten Sie sich äußern?

Abbildung 10: Gibt es Themen die nicht angesprochen wurden?

Abbildung 11: Wie gefiel Ihnen die Veranstaltung insgesamt?

Abbildung 12: Erhöht sich durch das Modellprojekt, und die damit verbundene Ambulantisierung, die Chance auf eine gelungene Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigung?

Abbildung 13: Wie sehr haben die Maßnahmen der Ambulantisierung Ihrer Meinung nach zu einer Steigerung der Partizipation in den letzten etwa fünf Jahren beigetragen?

Abbildung 14: Wird Ihrer Meinung nach innerhalb der Modelleinrichtungen auf die individuellen Bedürfnisse der BewohnerInnen eingegangen?

Abbildung 15: Haben Sie Befürchtungen, dass einzelne Personengruppen in diesem Prozess übergangen werden könnten?

Abbildung 16: Haben Menschen mit Beeinträchtigung Ihrer Ansicht nach, nach der Beendigung des Ambulatisierungsprozesses, ausreichend Möglichkeiten, ihre persönlichen Vorstellungen eines gelingenden Lebens zu realisieren?

Abbildung 17: Trägt diese Umstrukturierung der Hilfeleistungen im Bereich der Behindertenhilfe eher zu einem Autonomiegewinn oder zu einer erhöhten Belastung der Menschen mit Beeinträchtigung/ihrer Angehörigen bei?

Abbildung 18: Wie gut kennen Sie das Projekt?

Abbildung 19: Eingelesene Dokumente

Abbildung 20: Dokumente und Dokumentengruppen sowie Anzahl der Codings

Abbildung 21: Häufigkeiten der verwendeten Codings

Abbildung 22: Codesystem aus MaxQDA

Abbildung 23: Indikatoren zur Wirkungsanalyse

Abbildung 24: Mangelhafte Validität der Daten durch Überlastung der Befragten

Policy Brief

Die Evaluation des von der Aktion Mensch Stiftung geförderten Projekts „Wie macht man Teilhabe? - Inklusion durch Umbau der Angebote gemeinsam verwirklichen“ der LIGA der Freien Wohlfahrtspflege in Thüringen erfolgte durch das ISÖ – Institut für Sozialökologie gGmbH. Das Projekt sollte die Ambulantisierung und personenzentrierte Ausrichtung der Eingliederungshilfe nach dem neuen Bundesteilhabegesetz (BTHG) unter Beteiligung der Menschen mit Beeinträchtigung für Menschen mit Beeinträchtigung erproben.

Die Evaluation zeigt eine gemischte Entwicklung. Erfolge des Projekts sind erkennbar. Wenn man sich die Wirkungsanalyse des Inputs betrachtet, geht es dabei um die Ressourcen, sei es finanziell, personell oder strukturell, die in das Projekt von Beginn an investiert wurden. Die Ressourcenbeteiligung durch die Aktion Mensch Stiftung und das Engagement der LIGA können als sehr positiv bewertet werden. Problematisch erscheint jedoch die Vorstellung der LeistungsträgerInnen auf allen Ebenen, den Ambulantisierungsprozess budgetneutral durchführen zu können. Es fehlten überall Mittel zur Deckung der Transaktionskosten. Gesteigerte Teilhabe ist möglich, sie erfordert aber Ressourcen und Kontinuität und eine Bereitschaft dazu im Leistungsdreieck der Eingliederungshilfe.

Die Ergebnisse der Evaluation des Projektprozesses können als durchwachsen beschrieben werden. Die Partizipation der primären Zielgruppe der Evaluation, der Menschen mit Beeinträchtigung, wird als positiv bewertet. Sie wurden eingebunden und es entstanden neue Mitgestaltungsmöglichkeiten. Dies drückt sich auch in der positiven Bewertung der Menschen mit Beeinträchtigung aus, die am Projekt teilnahmen. Die Flexibilität bei der Wohnungsauswahl war gegeben, allerdings konnte dieser Erfolg nicht im Lebensbereich Arbeit wiederholt werden. Gründe dafür sind der zunehmend gespaltene allgemeine Arbeitsmarkt und die dominante Rolle der Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM). Auch bei der Gestaltung von individuellen Freizeitangeboten besteht Verbesserungspotential. Somit kann gesagt werden, dass die primäre Zielgruppe aktiv am Prozess beteiligt war, auch wenn es in den einzelnen Lebensbereichen große Unterschiede gab und gibt. Auch andere Akteure wurden aktiv in den Prozess durch unterschiedliche Veranstaltungen, wie etwa die Fach-/Infotage, und Infobriefe eingebunden.

Solch komplexe Transformationsprozesse durch Angebote des Sozialmanagements zu begleiten ist erfolgreich und sinnhaft. Empowerment wirkt, dadurch entsteht natürlich auch ein Klima von Teilhabebedürfnissen und -wünschen. Die Projektbeteiligten stellen sich verständlicherweise die Frage: Wie wird verstetigt, was erfolgreich war?

Nach dem Projektprozess liegt der Fokus der Evaluation auf dem Output, also direkte Produkte und Gewinne aus dem Projekt, und dem Outcome und Wirkung im breiten sozialpolitischen und gesellschaftlichen Raum. Die Erfolge in den Lebensbereichen Arbeit, Freizeit und Wohnen der Menschen mit Beeinträchtigung fallen unterschiedlich aus und werden daher einzeln bewertet.

Lebensbereich Arbeit. Die Menschen mit Beeinträchtigung wurden verstärkt über ihre Arbeitsmöglichkeiten aufgeklärt. Durch den vom Projekt gesetzten Fokus auf die Personenzentrierung werden auch die Interessen der KlientInnen im Bereich Arbeit wahrgenommen. Der Erfolg dieser Maßnahmen kann nur langfristig evaluiert werden. Ziel muss sein, dass alle ArbeitgeberInnen als potentielle ArbeitgeberInnen von Menschen mit Beeinträchtigung gesehen werden. Der Lebensbereich Arbeit scheint im Projekt wenig Beachtung gefunden zu haben.

Lebensbereich Wohnen. Im Gegensatz zum Lebensbereich Arbeit hat hier eine erhebliche Veränderung stattgefunden. Die vorher stationären Einrichtungen wurden ambulantisiert. Die Ausgestaltung dieser Veränderung ist bei den Modellträgern unterschiedlich ausgefallen. Eine starke Veränderung ist im Hinblick auf die Selbstverwaltung des eigenen Wohnraums festzustellen, die MieterInnen sind nicht mehr verpflichtet, Zutritt zu den eigenen Räumlichkeiten zu gewähren und BetreuerInnen müssen sich anmelden. Insbesondere die freie und selbstbestimmte Wohnungswahl der Menschen mit Beeinträchtigung aus ehemals stationären Einrichtungen leidet unter gesellschaftlichen Vorverurteilungen, sie werden oft nicht als MieterInnen gewählt. Zudem wurde ihre Suche durch die geringen finanziellen Mittel beschränkt, die ihnen hierfür zur Verfügung stehen, weshalb eine Verdrängung in städtische Randmilieus zu befürchten ist. Durch die qualitative Projektprozessbegleitung wurde deutlich, dass Menschen mit Beeinträchtigung, insbesondere zu Beginn des Projekts, über begrenzte Kommunikationsmittel verfügen (nicht durchgängig Besitz eines mobilen Endgeräts, keine E-Mail-Adresse) und daher eine neue Form der Kommunikation gefunden werden muss. Diese Veränderungen machen deutlich, dass insbesondere ein neues Verhältnis zwischen BetreuerIn und Mensch mit Beeinträchtigung - aber eben auch zwischen Gesellschaft und Menschen mit Beeinträchtigung - gefordert ist. Dies birgt neue Herausforderungen für die MitarbeiterInnen der Einrichtungen und erfordert Haltungsveränderungen im Arbeitskontext sowie im Sozialraum.

Lebensbereich Freizeit. Dieser Bereich war bereits vor Projektbeginn deutlich individueller gestaltbar als die beiden anderen Lebensbereiche. Die Freizeitgestaltung orientierte sich dennoch häufig an den Angeboten der Träger. Die Evaluation konnte zeigen, dass die Freizeitangebote in den Einrichtungen durch den Ambulantisierungsprozess zunächst stagnierten, zum Projektende aber wieder verstärkt wurden. Dabei handelt es sich um Angebote in der Trägerlandschaft selbst, allerdings hat sich die Anzahl an Freizeitangebote im direkten Sozialraum im Projektverlauf nicht verändert. Drei Trendentwicklungen sind zu beobachten: (1) neue Eigenverantwortlichkeit über finanzielle Ressourcen durch die Personenzentrierung; (2) die Bewusstseinssteigerung über Knappheit finanzieller Ressourcen bei Menschen mit Beeinträchtigung; (3) nur geringfügige Erweiterung der Freizeitangebote im Sozialraum. Hier sollte dringend eine ganzheitliche Perspektive auf das direkte Umfeld der Menschen mit Beeinträchtigung eingenommen werden, um mehr personenzentrierte Freizeitgestaltung zu ermöglichen (z.B. Ausflüge, Urlaub, Mitgliedschaft in einem Verein).

Es wurde offensichtlich, dass sich Menschen mit Beeinträchtigung im Projekt auf Grund ihrer finanziellen Situation davon abgehalten fühlen, die Dinge zu tun, die sie sich wünschen. Finanzielle Barrieren können anderen Barrieren zur gesellschaftlichen Teilhabe vorgeschaltet sein. Selbstbestimmte Teilhabe erfordert sowohl auf individueller Ebene als auch auf der Ebene der Leistungserbringer ausreichende personelle Mittel. Beides ist bisher nicht in ausreichendem Maße gegeben.

Zur gelingenden Teilhabe bedarf es zudem nicht nur gesellschaftliche, räumliche und rechtliche Rahmenbedingungen, sondern auch individuelle. Menschen mit Beeinträchtigung müssen zur Teilhabe befähigt werden, damit sie für ihre eigenen Belange eintreten und den Prozess aktiv gestalten können. Diese Voraussetzung zu schaffen bedarf mehr Zeit und auch mehr personelle Ressourcen. Insbesondere vor dem Hintergrund der individuellen Fachleistung, die die Finanzierungsspielräume der Leistungserbringer stark einschränkt und solchen Prozessen kaum Raum bieten kann, müssen hier zusätzliche Maßnahmen ergriffen werden um Teilhabe dauerhaft und selbstbestimmt zu garantieren. Dabei stellen die unterschiedlichen Voraussetzungen einen Drahtseilakt dar. Zum einen muss das Recht auf Beteiligung vermittelt, zum anderen will der Beteiligungswunsch vorhanden und gepflegt sein. Advokatorisches Handeln der Fachkräfte ist unerlässlich und bedarf zugleich der Selbstbegrenzung.

Die Anforderungen der Einrichtungen an die Äußerung von Wünschen und Bedürfnissen der Menschen mit Beeinträchtigung zur Umsetzung und Orientierung der personenzentrierten Komplexleistung treffen teilweise auf Personen, deren Fähigkeit zur Äußerung selbstbestimmter Wünsche nicht besonders ausgeprägt ist. Diese Kluft birgt Konfliktpotenzial und gefährdet personenzentrierte Teilhabe. Die Einrichtungen fühlen sich von unterschiedlichen Akteuren im Sozialsystem nicht ausreichend unterstützt und haben beispielsweise auf Grund der neuen Wohn- und Mietsituation der Menschen mit Beeinträchtigung Angst um ihre Gemeinnützigkeit, da sie explizit als Vermieter auftreten, nun zwischen Betreuungsverträgen und Mietverträgen unterschieden werden muss und somit die Vermietung als Vermögensverwaltung angesehen wird, was gegebenenfalls von den Finanzämtern als nicht gemeinnützig betrachtet wird.

Es ist insgesamt festzustellen, dass der Projektfokus auf die Einrichtungen es zwar ermöglicht, diese intern personenzentrierter zu gestalten und auch die Teilhabebereitschaft der Menschen mit Beeinträchtigung zu erhöhen. Interne Personenzentrierung und Projektorientierung reichen jedoch nicht aus, um eine inklusive Gesellschaft zu schaffen. Wir empfehlen hierfür Projekte und Ressourcen, die sich nicht nur an Anbieter und Dienste der Eingliederungshilfe richten, sondern verstärkt auch an alle anderen gesellschaftlichen Akteure (z.B. Vereine, städtische Einrichtungen, Arbeitgeber). Das Projekt zeigt, dass eine Veränderung der Trägerlandschaft erfolgt. Dies kann jedoch nur der Anfang des Transformationsprozesses sein. Weitere Schritte erfordern eine ganzheitliche Personenzentrierung in allen Lebensbereichen, das heißt die Integration und Ausweitung auf externe sozialräumliche und gesellschaftliche Akteure sowie vielfältige Anreize, um diese Akteure zur Kooperation zu motivieren. Teilhabe braucht mehr Ressourcen, Zeit und Geld.

1 Einleitung

Während wir, das Forschungsteam, den vorliegenden Abschlussbericht der Evaluation des Projekts „Wie macht man Teilhabe? - Inklusion durch Umbau der Angebote gemeinsam verwirklichen“ verfassen, wütet in Deutschland und der Welt die Corona-Krise. Diese Viruserkrankung trifft vor allem Menschen mit Vorerkrankungen, damit die Älteren, aber in einem besonderen und öffentlich bislang kaum sichtbaren Maß Menschen mit Beeinträchtigung. Inklusion durch Ambulantisierung soll ihren Alltag im Alltag der Gesellschaft soweit gleich stellen wie möglich. Gelungene Gleichstellung würde zeigen, dass die Gesellschaft behindert, auch Beeinträchtigung zumindest teilweise ein soziales Konstrukt ist. Es ist noch zu früh, das Großexperiment Inklusion und das aktuelle Extremexperiment Inklusion unter Coronabedingungen zu bewerten. Doch das Projekt, um das es hier in diesem Bericht geht, hat in den drei Jahren seiner Existenz wichtige Erkenntnisse erbracht, genau dafür wurde es durch die Aktion Mensch Stiftung gefördert.

„So macht man Teilhabe“- der Titel dieses Abschlussberichts ist nicht ohne Hintersinn und Ironie zu lesen. Auf das fragende „Wie“ des Projekttitels folgt nicht widerspruchsfrei und erfolgsberauscht ein „So“. Forschung und Evaluationsforschung im Besonderen stehen im Kontext. Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigung beginnt mit Selbstverständlichkeiten für Menschen ohne Beeinträchtigung. In der Arbeitshilfe, die vom LIGA-Projektbüro als ein Projektergebnis erstellt wird, findet sich ein bemerkenswerter Gesprächsausschnitt:

Stefanie: Wie fühlt sich das an, in ner eigenen Wohnung zu wohnen?

Chrissi: Schön. Ruhiger.

Uwe: Einwandfrei.

Michael: Wir können nen Freund mit hochnehmen.

Chrissi: Das mussteste vorher anmelden.

Uwe: Mussteste alles anmelden.

[…]

Uwe: Jeden Besuch mussteste anmelden.

Chrissi: Das ist jetzt nicht mehr.

Uwe: Das hat sich auch zum Positiven geändert. Also es hat sich schon sehr viel zum Positiven geändert.

Dieses Zitat aus der Arbeitshilfe1 zeigt, wie „rückständig“ die Freiheitsmöglichkeiten, die Lebensgestaltung von Menschen mit Beeinträchtigung noch immer sind, wie sehr Selbstbestimmung in der eigenen Lebenswelt und ein Rückzugsort fehlten. Die kleinen Schritte, die Menschen im Normalprogramm für trivial halten, bedeuten in der Eingliederungshilfe sehr viel. Schutzpflicht wird häufig als Schutzmacht erlebt, die klassische sozialarbeiterische Spannung von Hilfe und Kontrolle erlebt in der Corona-Krise eine Zuspitzung.

Hauptziel des Projekts war es, Menschen mit Beeinträchtigungen Möglichkeiten zur individuellen Lebensgestaltung zu schaffen. In einem der ersten Experteninterviews des Projekts wurde die Frage gestellt: „Was haben wir getan, damit der Mensch aufgrund seiner Herkunft oder seiner Beeinträchtigung hier in Deutschland gut leben kann?“. Diese allgemein gehaltene Frage zu Integration und Inklusion lenkt den Fokus nicht auf das „ob“, sondern das „wie“. Und genau darum dreht sich die Evaluation des Modellprojekts. Wie wurde Menschen mit Beeinträchtigungen eine neue, individuelle Lebensgestaltung ermöglicht? Was gibt es für Herausforderungen? Wo muss noch einmal näher hingeschaut werden? Was können andere Institutionen von diesen Erfahrungen lernen? Dies soll der vorliegende Abschlussbericht zur Evaluation des Projekts beantworten.

Eine Evaluation wirft noch einmal einen genaueren Blick auf die TeilnehmerInnen eines Projekts und deren Aufgaben innerhalb eines Projektprozesses. Im Prozess selbst ist eine Verzahnung zwischen Wissenschaft und Praxis notwendig, um eine nachhaltige Entwicklung erzielen zu können. Die Transformationsforschung unterteilt diesen in drei Schritte, sodass auch die Evaluation an Bedeutung gewinnt: Co-Design, Co-Produktion und Co-Evaluation (Wanner u.a. 2018). In der sozialen Dienstleistungsforschung sprechen wir von Koproduktion von Dienstleistungen. NutzerInnen und Fachkräfte können die gewünschte Wohlfahrtsleistung nur in einem gemeinsamen, koproduktiven Prozess erbringen (Hilse u.a. 2014). Die Aktion Mensch Stiftung förderte dieses Projekt zudem nicht nur, um in den Modellprojekten eine Wirkung zu erzielen, sondern um eine gesellschaftliche Wirkung zu generieren, die auf andere Gebiete übertragbar ist. Die Aktion Mensch Stiftung hat das Projekt gefördert, weil es versucht, einen Paradigmenwechsel von der Einrichtungsorientierung hin zu einer Personenorientierung für ein ganzes Bundesland zu bewirken.

Somit darf das Projektende nicht nach der Erhebung des Outputs (z.B. einer Arbeitshilfe) eintreten, der Blick sollte bestenfalls hin zu langfristigen Lernerfolgen und gesellschaftlicher Wirkung gelenkt werden. Dabei muss zwischen verschiedenen Typen der Evaluation unterschieden werden: Eine Evaluation kann vor Projektstart (ex-ante), über den Prozess hinweg und am Projektende (ex-post) durchgeführt werden (Stockmann 2000). Jeder Typ fokussiert sich hier unterschiedlich, letzterer zum Beispiel stark auf Kontrolle, die anderen beiden eher darauf, eine Entwicklung im Prozess zu fördern (Stockmann/Mayer 2013). Die Auswahl des Typus hängt jedoch auch mit der Ressourcenplanung des Projekts zusammen (Motivation, zeitliche und personelle Ressourcen usf.). Für unser Projekt kann folgende Übersicht helfen, die beteiligten Akteure in den Projektschritten einzuordnen und zu verstehen, welche Schritte und Akteure in die Evaluation integriert wurden und wer den Rahmen bestimmte.

Projektpartner

Aufgabe innerhalb des Projekts

Aktion Mensch Stiftung

Finanzielle Unterstützung des Projekts, indirekter Partner des Projekts (nicht aktiv an Schritten beteiligt)

LIGA-Projektbüro

Prozesskoordination, sozusagen der „Broker“ im Netzwerk, der die Akteure miteinander verbindet

Modelleinrichtungen (Bodelschwingh-Hof Mechterstädt e.V., Christliche Jugenddorfwerk Deutschland e.V. in Erfurt, Lebenshilfe-Werk Weimar/Apolda e.V.)

Diese Einrichtungen sollen modellartig die Angebote umbauen. Sie ermöglichen den Zugang zu den zwei Zielgruppen der Evaluation:

Menschen mit psychischen, geistigen und/oder körperlichen Beeinträchtigungen

Unmittelbare Projektbeteiligte (Fachkräfte) und mittelbare Projektbeteiligte (Multiplikatoren)

Contec GmbH

Verzahnung von Teilhabe- und betriebswirtschaftlichen Prozessen im Projekt, aktive Begleitung der Erprobung von Modellen der Partizipation von Menschen mit Beeinträchtigung bei strukturellen Veränderungsprozessen

ISÖ – Institut für Sozialökologie gGmbH

Ist beauftragt, das Projekt prozessorientiert zu evaluieren.

Mit dieser Auflistung wird klar, dass die Evaluation zwar zwei Zielgruppen besonders im Blick hat (Menschen mit Beeinträchtigung, unmittelbare/mittelbare Projektbeteiligte), diese aber in einem Netzwerk aus Projektbeteiligten gesehen werden müssen. Darauf aufbauend wurde die Evaluation in vier Modulen durchgeführt:

Abbildung 1: Evaluationskonzept

Modul 1

Nutzerbefragung

Experteninterviews, Fachtagsbefragung & Veranstaltungsevaluation, Begehungsprotokolle, Face-to-Face Interviews

Modul 2

Multiplikatoren- und Fachkräftebefragung

Onlinebefragung in zwei Wellen

Modul 3

Textanalyse

Textanalytische Auswertung aller maschinenlesbaren Texte

Modul 4

Jährlicher Evaluationsworkshop

Jährlicher Evaluationsworkshop, Zwischen- und Abschlussbericht

Quelle: Opielka/Wißkirchen 2019, S. 11

Die Evaluation des Projekts „Wie macht man Teilhabe? – Inklusion durch Umbau der Angebote gemeinsam verwirklichen“ wurde durch eine Vielzahl von Personen ermöglicht und über gut drei Jahre begleitet. Wir danken vor allem Friedhelm Peiffer, dem Geschäftsführer der Aktion Mensch Stiftung. Ohne die Stiftung wäre das Projekt nicht möglich gewesen. Dankbar sind wir den Menschen mit Beeinträchtigung, die Teil dieses Prozesses sind und mit dem Evaluationsteam immer aufgeschlossen und interessiert kooperierten. Wir danken ferner Stefan Werner, dem Landesgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Thüringen, der das ISÖ als Evaluator umwarb, im Wissen darum, dass das Werben den nüchternen wissenschaftlichen Blick nicht beeinflusst. Weiterhin danken wir der LIGA der Freien Wohlfahrtspflege Thüringen und insbesondere den MitarbeiterInnen des LIGA-Projektbüros, Stefanie Streit und Hagen Mittelstädt, die engagiert und tapfer den Vernetzungsalltag organisierten, aber auch Renate Rupp vom Paritätischen Thüringen, die als „Fahrensfrau“ der Eingliederungshilfe für Rat beiseite stand. Ihr haben wir auch für hilfreiche Kommentare zur Entwurfsfassung der vorliegenden Studie zu danken, ebenso Frau Sabine Wetzel-Kluge von der Diakonie Mitteldeutschland. Wir danken auch den MitarbeiterInnen in den Modelleinrichtungen, die mit uns in Kontakt getreten sind. Sehr dankbar sind wir auch allen TeilnehmerInnen an unseren zahlreichen Erhebungen, die uns nach Kräften unterstützten und die Perspektive der Beeinträchtigten, der Angehörigen, der MultiplikatorInnen und der Fachkräfte zur Sprache brachten. Schließlich möchte ich mich als Leiter des ISÖ gemeinsam mit Magdalena Wißkirchen, die das zweite und dritte Projektjahr im Forschungsteam verantwortete, für die Unterstützung im ISÖ-Team bedanken: Sophie Peter, die das erste Projektjahr als Mitarbeiterin bestritt, hat Kapitel 2 vorgelegt, Timo Hutflesz Kapitel 3 und Philipp Herbrich Kapitel 4. Nichts kam aus dem Forschungsteam so heraus wie es hereinkam, das ist Kollaboration, Kooperation oder, mit dem Wort unseres Feldes, Koproduktion. Forschung ist ein Prozess, was heute gilt, ist morgen vielleicht durch besseres Wissen überholt. Betrachten Sie, liebe Leserin, lieber Leser, diesen Abschlussbericht als Beitrag zu einer Diskussion, die nicht nur durch und nach Corona die Gesellschaft in Atem halten wird. Wie macht man Teilhabe, wenn die Ausgangsbedingungen, die Chancen zur Teilhabe ungleich verteilt sind?

Siegburg, im Mai 2020

Prof. Dr. Michael Opielka

1 Zum Zeitpunkt der Erstellung der vorliegenden Studie liegt die Arbeitshilfe erst im Entwurf vor. Sie gliedert sich wie folgt: Vorworte LIGA und Aktion Mensch Stiftung / 1. Projekt in kurzen Worten: Ziel / Aufbau / Einordnung in den Gesamtprozess ITP in Thüringen / Beteiligte / Konkretes Vorgehen bei der Ambulantisierung / 2. Schwerpunkte / Herausforderungen: a) Teilhabe - Teilhabe in Unternehmen / Teilhabe in Gremien / Teilhabe in der Gesellschaft, b) Personal- und Organisationsentwicklung, c) Sozialraum – Wohnraum / Kooperationspartner*innen im Sozialraum / Sozialraumanalyse, d) Kooperationen mit weiteren Leistungserbringern / 3. Arbeitshilfen – a) Teilhabe - Wie kann TH in Unternehmen gelingen? Wie kann Teilhabe im Sozialraum gelingen?, b) Personal- und Organisationsentwicklung, c) Checkliste zur Umwandlung / 4. Fazit / 5. Impressionen / 6. Glossar und Quellenverzeichnis

2 Evaluationskonzept

Die Evaluation eines Projekts kann, wie bereits im Vorwort angesprochen, zu verschiedenen Zeitabschnitten erfolgen. Man hat die Option, eine Evaluation in den Prozess zu integrieren, um diesen gegebenenfalls zu modifizieren, oder die Möglichkeit, sich Ziele zu Projektbeginn zu stecken und deren Erfolg am Ende zu bewerten (Stockmann 2000). Das Evaluationskonzept in diesem Projekt ist in den Prozess eingewoben, da es zur Entwicklung, Koproduktion, beitragen soll. Dies geht über eine Kontrollfunktion hinaus (Stockmann/Mayer 2013). Diese formative, d.h. an Prozessgestaltung interessierte Evaluation hat den Auftrag, das Projekt zu begleiten und in regelmäßigen Abständen Befragungen durchzuführen, um eine Verlaufsbeobachtung des Projekts zu erzielen. Voraussetzung dafür ist das regelmäßige Erheben von Daten auf Basis standardisierter Fragebögen. Somit sollen Herausforderungen und besonders gelungene Schritte hin zu mehr Teilhabe herausgearbeitet und wahrgenommen werden. Jedoch müssen diese Ambitionen auch im Hinblick der Projektumstände beleuchtet werden. Hierbei spielen die Motivation (z.B. in der Rückmeldung bei Umfragen), die Bereitstellung von Arbeitskräften, Material und gesetzliche Ressourcen und Mittel eine zentrale Rolle (Stockmann 2000). Die Arbeitskapazität für das hier präsentierte Evaluationsprojekt wurde mit sieben Tagen (Tagessätze) pro Jahr kalkuliert, was offensichtlich nicht ausreicht, um eine umfassende Evaluation durchzuführen. Somit muss der wissenschaftlich wertvolle Inhalt dieses Abschlussberichts entkoppelt von seinen vertraglichen Grundlagen betrachtet werden – zumal der tatsächliche Aufwand des ISÖ ein Mehrfaches über jenen Werten lag.

Im Folgenden sollen – ohne systematische Ordnung – einige zentrale Herausforderungen des Projekts diskutiert werden:

Der Projektzeitpunkt.

Das Modellprojekt „Wie macht man Teilhabe? – Inklusion durch Umbau der Angebote gemeinsam verwirklichen“ fiel genau in die Umbruchsphase zwischen der Thüringen-spezifischen Einführung eines Integrierten Teilhabeplans (ITP)

2

und den bis 2020 durchzuführenden Änderungen vor dem Hintergrund des Bundesteilhabegesetzes (BTHG)

3

. Für die Evaluation und auch die abschließende Dokumentation der Projektergebnisse bedeutet dies eine erhebliche Herausforderung: Können die verschiedenen Entwicklungspfade von ITP, BTHG und des Modellprojekts der LIGA rückwirkend getrennt voneinander betrachtet werden, um herauszufinden wie fruchtbar das Projekt „Wie macht man Teilhabe?“ tatsächlich war? Oder kann nur eine verknüpfende Perspektive eingenommen werden? Während des Projekts wurde immer wieder deutlich, dass eine Trennung der Projektentwicklung von den Prozessen, die durch das BTHG, den ITP und zum Projektende durch den Landesrahmenvertrag

4

angeregt und durchgeführt werden, in der Evaluation schwierig ist.

Die Beteiligung in der Evaluation.

Die Grundlage einer jeden Evaluation muss es sein, alle Projektbeteiligten gleichermaßen und das bedeutet entsprechend dem Ausmaß, in dem sie durch dieses Projekt real berührt werden, auch an der Evaluation zu beteiligen. Die heterogenen AdressatInnen der Evaluation sind in diesem Projekt: Fachkräfte, politische Akteure, Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen, Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen, Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen, Menschen mit mehreren Beeinträchtigungen, Angehörige und gesetzliche BetreuerInnen. Eine Unterscheidung zwischen den unterschiedlichen hauptberuflichen Akteuren (Fachkräfte, Assistenz, gesetzlicher Betreuer, Mitarbeitende, Betreuer) und ihrer Rollen im Leben des Menschen mit Beeinträchtigung war bereits zu Beginn des Projekts schwierig. Im Verlauf des Projekts nahm diese Schwierigkeit zu, da sich die Rolle der Hauptberuflichen erwartungsgemäß wesentlich verändern sollte.

Verständnis des Projekts.

In der Zusammenarbeit mit Mitarbeitenden der Modelleinrichtungen ist Arbeit und Fortschritt des Projekts sicherlich erfahrbar. Die Evaluation des Modellprojekts hat es sich jedoch zur Aufgabe gemacht, die spürbaren Entwicklungen und Veränderungen im Leben der Menschen innerhalb der Modellträger zu erfassen. Die Mehrheit der KlientInnen konnte jedoch in den Befragungen den Begriff „Projekt“ sowie den Titel des Projekts nicht zuordnen. Eine Evaluation der Projektereignisse, -entwicklungsschritte und -bewertung wird dadurch erschwert. Wie kann etwas erfasst werden, für das es keinen Namen, keine Struktur, keine Bedeutung und auch keine Trennung von anderen Entwicklungen gibt? Wie kann so gemessen werden, was durch das Projekt verändert wurde? Diese Herausforderungen haben den Arbeitsprozess der Evaluation massiv beeinflusst.

Barrierefreiheit.