Soziale Nachhaltigkeit der Landwirtschaft - Michael Opielka - E-Book

Soziale Nachhaltigkeit der Landwirtschaft E-Book

Michael Opielka

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Beschreibung

Die Studie untersucht die soziale Dimension der Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft am Beispiel eines Vergleichs ökologischer und konventioneller landwirtschaftlicher Systeme. Die Studie hat in zweifacher Hinsicht explorativen Charakter. Zum einen ist die soziale Dimension der Nachhaltigkeit bislang erstaunlich wenig beforscht und erfordert konzeptionelle Klärungen, die Landwirtschaft wird insoweit beispielhaft betrachtet. Zum anderen erstaunt, dass sich die Nachhaltigkeit der ökologischen gegenüber der konventionellen Landwirtschaft empirisch nicht so einfach nachweisen lässt, die Untersuchung der sozialen Dimension könnte hier zur wissenschaftlichen Klärung beitragen.

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Inhaltsverzeichnis

ISÖ-Text 2018-2: Soziale Nachhaltigkeit der Landwirtschaft

Einleitung

1.1 Zielsetzung

Konzeptioneller Rahmen

2.1 Zielkonflikte

2.1.1 Kurzfristig versus langfristig

2.1.2 Internalisierung versus Externalisierung

2.1.3 Globalisierung versus Regionalisierung

2.1.4 Risiko versus Sicherheit

Messung

3.1 Fokussierung auf den Produzenten, den Betrieb und den landwirtschaftlichen Sektor

3.2 Fokussierung auf die Konsumenten (regional/überregional)

Fazit

Literaturverzeichnis

Anhang: Gemeinsames Gutachten

Vergleich von ökologischer und konventioneller Landwirtschaft als Beispiel einer vergleichenden Nachhaltigkeitsbewertung landwirtschaftlicher Systeme

Zusammenfassung

Einleitung

2.1 Aufgabenstellung

2.2 Vorgehensweise und Methode

Ausgangssituation

3.1 Erfordernis einer Systemorientierung und langfristigen Ausrichtung bei Vergleichsuntersuchungen zwischen ökologischer und konventioneller Landwirtschaft

3.2 Indikatoren für die systembezogene, nachhaltigkeitsorientierte Betrachtung bei Vergleichsuntersuchungen

Überblick zum Kenntnisstand beim wissenschaftlichen Vergleich konventioneller und ökologischer Landwirtschaft

4.1 Kenntnisstand zum Vergleich konventioneller und ökologischer Landwirtschaft im Bereich Ökologie

4.1.1 Boden/ Bodenfruchtbarkeit

4.1.2 Gewässerschutz

4.1.3 Biodiversität

4.1.4 Klimaschutz

4.2 Vergleich konventioneller und ökologischer Landwirtschaft im Bereich der Ökonomie

4.3 Vergleich konventioneller und ökologischer Landwirtschaft im Bereich Soziales

4.4 Bewertung der bisherigen Vergleichsuntersuchungen aus methodischer und inhaltlicher Sicht

4.4.1 Inhaltliche Bewertung und Defizite

4.4.2 Methodische Bewertung

4.4.3 Zusammenfassende Bewertung

Verfügbarkeit und Qualität von Daten für einen systemaren Vergleich von konventioneller und ökologischer Landwirtschaft

5.1 Überblick Datenquellen

5.1.1 agri benchmark

5.1.2 Buchführungsergebnisse (Testbetriebsnetz)

5.1.3 Farm Accountancy Data Network (FADN)

5.1.4 Eurostat

5.1.5 Statistiken der Welternährungsorganisation (FAOSTAT)

5.1.6 Projekt Netzwerk ökologischer und konventioneller Pilotbetriebe

5.1.7 Herkunftssicherungs- und Informationssystem für Tiere (HI-Tier)

5.1.8 Agrarstrukturerhebung und Statistisches Jahrbuch (BMEL)

5.1.9 Agrarstatistiken der Länder

5.1.10 Datenbank des Umweltbundesamtes

5.1.11 Zentrale InVeKoS Datenbank (ZID)

5.1.12 Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau - SVLFG

5.2 Bewertung der Datenquellen

Aktueller Stand zur Diskussion der Systemgrenzen

6.1 Methodik

6.1.1 Kurze Definition „Systemgrenze“

6.1.2 Methodik Befragung

6.2 Systemdefinitionen und Aggregationsstufen

6.2.1 Ebene Einzelbetrieb/ Betriebszweig

6.2.2 Ebene Wertschöpfungsketten

6.2.3 Ebene landwirtschaftliches System

6.3 Resümee

Rahmenbildung eines Nachhaltigkeitsvergleichs von Agrarsystemen

7.1 Internationale Ansätze für eine Rahmenbildung

7.2 Zielkonflikte

7.3 Zusätzliche Erfordernisse aus Sicht der Nachhaltigkeit

7.4 Auswahl von Bezugsgrößen: Flächeneinheit versus Produkteinheit

Perspektiven der Weiterentwicklung des Vergleichs konventioneller und ökologischer Landwirtschaft als vergleichende Nachhaltigkeitsbewertung landwirtschaftlicher Systeme

8.1 Entwicklung eines Konzeptes für die Schaffung der notwendigen Voraussetzungen eines Vergleiches

8.1.1 Kriterien eines inhaltlich und methodisch standardisierten Vergleichsrahmens

8.1.1.1 Kriterien für den inhaltlichen Rahmen

8.1.1.2 Kriterien für den methodischen Rahmen

8.2 Vorgehensweisen zur Erreichung eines standardisierten Vergleichsrahmens

8.2.1 Partizipativer Prozess zwischen Stakeholdern aus Wissenschaft, landwirtschaftlicher Praxis, Verwaltung und Politik

8.3 Anwendungsmöglichkeiten

Projektteam zur Erstellung des Gutachtens

Literatur

10.1 Experteninterviews zum Thema Soziale Dimension der Nachhaltigkeit

Anhang

11.1 Expertenfragebogen Runde 1

11.2 Expertenfragebogen Runde 2

ISÖ-Text 2018-2

Soziale Nachhaltigkeit der Landwirtschaft

Vergleichende Nachhaltigkeitsbewertung landwirtschaftlicher Systeme

Michael Opielka / Sophie Peter

2. Auflage (um den Anhang ergänzt), Januar 2021

Siegburg, Juli 2018

ISÖ - Institut für Sozialökologie gemeinnützige GmbH

Ringstraße 8, 53721 Siegburg

Tel.: +49 (0) 2241 1457073, Fax: +49 (0) 2241 1457039, E-Mail: [email protected], Web: www.isoe.org

Coverabbildung: João Silas auf Unsplash

Die AutorInnen:

Prof. Dr. habil. Michael Opielka, Dipl. Päd., ist Wissenschaftlicher Leiter und Geschäftsführer des ISÖ – Institut für Sozialökologie gemeinnützige GmbH und Professor für Sozialpolitik an der Ernst-Abbe-Hochschule Jena

Sophie Peter, M.Sc., ist Researcher im ISÖ – Institut für Sozialökologie und Doktorandin an der J.-W.-v.-Goethe Universität Frankfurt

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1.1 Zielsetzung

Konzeptioneller Rahmen

2.1 Zielkonflikte

2.1.1 Kurzfristig versus langfristig

2.1.2 Internalisierung versus Externalisierung

2.1.3 Globalisierung versus Regionalisierung

2.1.4 Risiko versus Sicherheit

Messung

3.1 Fokussierung auf den Produzenten, den Betrieb und den landwirtschaftlichen Sektor

3.2 Fokussierung auf die Konsumenten (regional/überregional)

Fazit

Literaturverzeichnis

Anhang: Gemeinsames Gutachten

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Dimensionen und Logiken als Konzept einer Nachhaltigkeitsbewertung landwirtschaftlicher Systeme

Abbildung 2: Indikatoren zur Messung sozialer Nachhaltigkeit auf Betriebsebene von ökologischer und konventioneller Landwirtschaft in einem Radardiagramm

Abbildung 3: Indikatorenset zur Analyse von nachhaltiger Agrarwirtschaft auf der Betriebsebene

Abbildung 4: Beziehung zwischen Agrarwirtschaft und ökonomischer/sozialer Nachhaltigkeit

Abbildung 5: Anteil an Farm-Besitzern pro Alter in Europa (Daten von Eurostat)

Abbildung 6: Rate an Landwirten, die noch keinen sicheren Nachfolger haben (in Deutschland, 2010)

Abbildung 7: Soziale Nachhaltigkeitsindikatoren zur Untersuchung des ländlichen Raums

Abbildung 8: Beziehung zwischen der Agrarwirtschaft und ökonomischer/sozialer Nachhaltigkeit aus der Perspektive von „Nicht-Bauern“

1 Einleitung

Wir untersuchen in der vorliegenden Studie die soziale Dimension der Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft am Beispiel eines Vergleichs ökologischer und konventioneller landwirtschaftlicher Systeme.1 Die Studie hat in zweifacher Hinsicht explorativen Charakter. Zum einen ist die soziale Dimension der Nachhaltigkeit bislang erstaunlich wenig untersucht und erfordert konzeptionelle Klärungen2, die Landwirtschaft wird insoweit beispielhaft betrachtet. Zum anderen erstaunt, dass sich die Nachhaltigkeit der ökologischen gegenüber der konventionellen Landwirtschaft empirisch nicht so einfach nachweisen lässt, die Untersuchung der sozialen Dimension könnte hier zur wissenschaftlichen Klärung beitragen.3

Der Agrarsektor hat einen drastischen Strukturwandel hinter sich. Laut Umweltbundesamt arbeiteten in diesem Sektor in Deutschland im Jahr 2016 940.000 Menschen in 275.000 Betrieben, das entspricht 1,5% der Erwerbstätigen in Deutschland. Dies hört sich gering an, doch ist es durch verschiedene Entwicklungen möglich, immer mehr Menschen durch immer weniger Beschäftigte zu ernähren: „Binnen der letzten einhundert Jahre hat sich zum Beispiel der Ertrag von Weizen je Fläche vervierfacht“.4 Zudem haben demographischer Wandel, Wertewandel, Konsumverhalten, Ernährungstrends und der Wandel im ländlichen Raum direkten Einfluss auf eine nachhaltige Entwicklung.

Ein zentrales Strukturmerkmal ist die politisch regulierte Aufteilung in ökologische und konventionelle Landwirtschaft.5 Im Jahr 2016 fielen laut BMEL nur 9,9% aller landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland in die Kategorie des ökologischen Landbaus (bei nur 7,5% der landwirtschaftlichen Nutzfläche).6 Sie sind nicht gleichverteilt in der Bundesrepublik, sondern eher in den südlichen Bundesländern zu finden – so gab es im Jahr 2016 insgesamt 8539 Betriebe im ökologischen Landbau in Bayern (Anteil 9,5% an allen landwirtschaftlichen Betrieben), aber nur 599 Betriebe in Schleswig-Holstein (Anteil 4,7%).7 Über den höchsten Anteil an Öko-Landbau-Betrieben verfügt mit 18,8% Baden-Württemberg.

Wir positionieren den Diskurs über die soziale Dimension einer nachhaltigen Landwirtschaft in den Rahmen des Konzepts „Soziale Nachhaltigkeit“. Dabei kann zwischen vier Verständnissen Sozialer Nachhaltigkeit in soziologischer wie transdisziplinärer Perspektive unterschieden werden: Einem engen, einem internalen, einem skeptischen und einem weiten Verständnis.8 Für diesen ISÖ-Text fokussieren wir uns auf das weite Verständnis, da es wertvolle Hinweise darauf gibt, wie die soziale Dimension der Nachhaltigkeitsbewertung bei landwirtschaftlichen Systemen erfasst werden kann. Das weite Verständnis von Sozialer Nachhaltigkeit versteht „sozial“ als „gesellschaftlich“, Nachhaltigkeit damit als Transformationsprogramm der Gesellschaft. Dies schließt einen „holistischen“ Politikwechsel hin zu einem garantistischen, menschrechtlich orientierten Politik- bzw. Regimetyp ein, wie ihn die Vereinten Nationen mit der Agenda 2030 und den universalen, ganzheitlichen und miteinander verbundenen SDGs anstreben. Der weite Begriff öffnet die Türen für Steuerungs-(Governance) und gesellschaftspolitische Fragen und wird im nächsten Abschnitt näher beleuchtet.9

1.1 Zielsetzung

Im Herbst 2015 wurde von den Vereinten Nationen die Agenda 2030 verabschiedet.10 Sie beinhaltet die Fortsetzung und Erweiterung der Millennium-Entwicklungsziele in 17 globale Nachhaltigkeitsziele (engl. Sustainable Development Goals (SDGs)), die ein weit gespanntes Netzwerk sozialer, ökologischer und ökonomischer Themen bilden. SDG 2 „Den Hunger beenden, Ernährungssicherheit und eine bessere Ernährung erreichen und eine nachhaltige Landwirtschaft fördern“ und SDG 15 „Landökosysteme schützen, wiederherstellen und ihre nachhaltige Nutzung fördern, Wälder nachhaltig bewirtschaften, Wüstenbildung bekämpfen, Bodenverschlechterung stoppen und umkehren und den Biodiversitätsverlust stoppen“ richten sich explizit an die Orientierung landwirtschaftlicher Systeme. Zur Operationalisierung dieser Zielsetzung wird seit den frühen 1990er Jahren häufig das „Nachhaltigkeitsdreieck“, oder auch „Drei-Säulen-Modell“ verwendet. Ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit werden als gleichgewichtig definiert.11

Explizite Leitlinien zur Nachhaltigkeitsbewertung von landwirtschaftlichen und Ernährungssystemen wurden 2013 von der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) veröffentlicht, die sogenannten SAFA-Guidelines. Bezugsfokus von SAFA sind der betriebliche Bereich und Wertschöpfungsketten.12 Die Vergleichbarkeit mit anderen Nachhaltigkeitskonzepten wird dadurch erschwert, dass in SAFA die drei üblicherweise diskutierten „Säulen“ bzw. Teilsysteme von Nachhaltigkeit durch eine vierte Säule bzw. Systemperspektive ergänzt werden, nämlich „Governance“. Mit guten Gründen lässt sich argumentieren, dass die unter „Governance“ genannten Kriterien wie Partizipation, „Gutes Regieren“ oder (Unternehmens-) Ethik bei einer weiter gefassten Konzeption der sozialen Dimension von Nachhaltigkeit auch dieser zugerechnet werden können. Die eher an Wertschöpfungsketten orientierte Sicht von SAFA und die gesellschaftspolitischen Zielsetzungen der SDGs sind in vielen Fällen nur sehr locker zu koppeln. Ihre Systematisierung und stärkere Kopplung ist daher ratsam, um vergleichende Datenerhebung überhaupt zu ermöglichen. Sowohl SAFA wie die SDGs messen sozialen Nachhaltigkeitszielen eine außerordentlich hohe Bedeutung zu.

Das Normativ nachhaltiger Entwicklung erscheint als Zielsetzung unerlässlich, um auf der globalen Ebene gemeinsames politisches Handeln zu ermöglichen. Es ist jedoch auch Aufgabe der Europäischen Union, von Deutschland, den Bundesländern und Kommunen, diesen Zielen Taten folgen zu lassen. Dafür wird zum einen eine Bestandsanalyse benötigt sowie die Kontrolle, ob die Entwicklung in Richtung der Zielsetzung im Zeitverlauf erfolgt. Dazu werden Indikatoren auf den unterschiedlichen Ebenen benötigt. Große Ambitionen zeigen die Vereinten Nationen mit der Indikatorenauswahl zu jedem Unterziel der SDGs. Diese Indikatoren müssen mit Daten der lokalen, regionalen und nationalen Ebene bestückt werden.

Im Folgenden betrachten wir das Nachhaltigkeitsziel einer „nachhaltigen Landwirtschaft“ (SDG 2) genauer. Auf globaler Ebene ist das Ziel „Den Hunger beenden, Ernährungssicherheit und eine bessere Ernährung erreichen und eine nachhaltige Landwirtschaft fördern“ mit acht Unterzielen bis zum Jahr 2030 unterlegt. Das Ziel einer nachhaltigen Landwirtschaft wird im SDG-Unterziel 2.4. festgehalten: „Bis 2030 die Nachhaltigkeit der Systeme der Nahrungsmittelproduktion sicherstellen und resiliente landwirtschaftliche Methoden anwenden, die die Produktivität und den Ertrag steigern, zur Erhaltung der Ökosysteme beitragen, die Anpassungsfähigkeit an Klimaänderungen, extreme Wetterereignisse, Dürren, Überschwemmungen und andere Katastrophen erhöhen und die Flächen- und Bodenqualität schrittweise verbessern“.13 Dabei kommt die Frage auf: „Was wissen wir eigentlich über die Nachhaltigkeit der Landwirtschaft?“. Im Hinblick auf den gesamten Agrarsektor gibt es darüber derzeit keinen gesellschaftlichen Konsens. Eines der Hauptziele dieses Beitrages ist es, eine Bestandsaufnahme von Nachhaltigkeitsbewertungen mit dem Vergleich von konventioneller und ökologischer Landwirtschaft zu skizzieren.

Doch wie könnte so etwas praktisch aussehen? Lassen wir uns dazu auf ein Gedankenexperiment ein und stellen uns eine 100%ig nachhaltige Landwirtschaft im Jahr 2045 oder 2050 vor. Das wäre etwa die Zeitspanne einer Generation in die Zukunft. Einfach ist das nicht, wie ein Blick selbst in die kühnsten ökologischen Landwirtschaftsutopien zeigt. So hat das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FibL Schweiz) in Zusammenarbeit mit Experten der Welternährungsorganisation FAO untersucht, welchen Beitrag der ökologische Landbau für die Welternährungssicherheit leisten kann. Wenn 60% der Landwirtschaft weltweit ökologisch ausgerichtet würde, der Verbrauch von Kraftfutter um 50% und die Verschwendung von Lebensmitteln um 50% reduziert wird, hätte dies ein Ernährungssystem mit deutlich geringeren Auswirkungen auf die Umwelt und nur eine marginale Erhöhung der landwirtschaftlichen Fläche zur Folge. Der Konsum von tierischen Produkten müsste in diesem Szenario um rund ein Drittel verringert werden, weil weniger Futter zur Verfügung steht. Insoweit müssten auch die Konsumgewohnheiten geändert werden.14 Die deutsche Abteilung des FibL hat im Auftrag von Greenpeace im „Kursbuch Agrarwende 2050“ eine etwas bescheidenere Vision entworfen: 30 Prozent ökologische und 70 Prozent „ökologisierte“ konventionelle Landwirtschaft, beide konsequent an umwelt- und tierwohlrelevanten Produktionsstandards orientiert.15 Beide Szenarien kommen einer zu 100% nachhaltigen Landwirtschaft durchaus nahe, die Vorsicht selbst der wissenschaftlich engagiertesten Protagonisten einer Agrarwende müssen wir als Hinweis darauf lesen, wie erbittert um die Zukunft der Landwirtschaft gerungen wird und gerungen werden muss.

Das Gedankenexperiment zeigt, dass eine Gegenüberstellung der zwei Systeme ökologische versus konventionell vielleicht gar nicht notwendig ist. Die folgenden Fragen stehen heute im Raum: Wollen wir eine ökologische Landwirtschaft neben der dominierenden konventionellen Landwirtschaft als „Nischengeschäft“? Oder wollen und brauchen wir eine „Agrarwende“ hin zu einer nachhaltigen Landwirtschaft, wie sie auf globaler Ebene gefordert wird? Auch hier wird klar, dass wir das vielleicht gewünschte Szenario nicht als wahrscheinlich vorstellen können, da zu viele Barrieren und Risiken unsere Vorstellungskraft hemmend beeinflussen. Was muss getan werden, damit das gewünschte Ziel einer nachhaltigen Landwirtschaft als wahrscheinlich gesehen wird und wer müsste etwas ändern?

1 Für eine erste Fassung dieser Überlegungen siehe Opielka/Peter 2017

2 Opielka 2017, Opielka/Renn 2017

3 Wir beschäftigten uns in einer Studie für das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) mit dem Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FibL), der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft e.V. (DLG) und der Bioland Beratung GmbH mit dem Titel „Nachhaltigkeitsbewertung landwirtschaftlicher Systeme – Stand und Perspektiven“ ebenfalls mit der sozialen Dimension der Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft. Wir verweisen vor allem für die Datenanalyse auf diese TAB-Studie, die sich im Anhang befindet.

4 Umweltbundesamt 2017, S. 10

5 Rat der Europäischen Union 2007

6 Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) 2018, S. 11

7 BMEL 2018, Anhang Tabelle 1

8 Opielka 2017, S. 18ff.

9 Kanie/Biermann 2017

10 United Nations 2017

11 Dazu Opielka 2017

12 Schader 2016; Slätmo u.a. 2017

13 Martens/Obenland 2016, S. 33

14 Müller u.a. 2017

15 Wirz u.a. 2017

2 Konzeptioneller Rahmen

Wie bereits erwähnt analysieren wir die soziale Dimension einer nachhaltigen Landwirtschaft aus dem Blickwinkel des Konzepts „Soziale Nachhaltigkeit“. Das „weite“ Verständnis Sozialer Nachhaltigkeit umfasst eine holistische Sicht auf Ziele und Organisationsstrukturen, wie es die SDGs der Vereinten Nationen versuchen. Für diesen Beitrag fokussieren wir uns auf das weite Verständnis, da es wertvolle Hinweise darauf gibt, wie die soziale Dimension der Nachhaltigkeitsbewertung bei landwirtschaftlichen Systemen erfasst werden kann. Das weite Verständnis von Sozialer Nachhaltigkeit versteht „sozial“ als „gesellschaftlich“, Nachhaltigkeit damit als Transformationsprogramm der Gesellschaft. Dies schließt einen „holistischen“ Politikwechsel hin zu einem garantistischen Politik- bzw. Regimetyp ein, wie ihn die Vereinten Nationen mit der Agenda 2030 und den universalen, ganzheitlichen und miteinander verbundenen SDGs anstreben. Der weite Begriff öffnet die Türen für Steuerungs-(Governance) und gesellschaftspolitische Fragen.

Doch wie kann man diese Normative operationalisieren? Wie bereits für das zweite Nachhaltigkeitsziel angesprochen, sind die SDGs in Unterziele untergliedert. Diese stehen nicht einfach nebeneinander, sondern in positiven oder negativen Interaktionen. So wurde bereits die Gewichtung unterschiedlicher Beziehungen zwischen den SDGs untersucht. Die Unterziele können in das Drei-Säulen Modell der Nachhaltigkeit eingeordnet werden. Ein Ergebnis dieser Kategorisierung ist, dass Unterziele je nach Perspektive und Ambition mehreren Säulen zugeordnet werden können, ein wichtiger Aspekt für die Nachhaltigkeitsbewertung landwirtschaftlicher Systeme.

Mit der Kategorisierung der Unterziele ist es jedoch noch nicht getan. Ein weiterer Schritt ist die Indikatorenbildung und Messung. Dazu stellen sich die Fragen: Wie lassen sich Aspekte der Sozialen Nachhaltigkeit empirisch messen? Welche Indikatoren sind hier angemessen und wie lassen sich die Ergebnisse interpretieren? Hier ist besonders auf das Problem der Vergleichbarkeit hinzuweisen, denn die Datenverfügbarkeit variiert auf der globalen Ebene enorm und begrenzt die Möglichkeiten. Deshalb existieren bereits Indikatorensets auf unterschiedlichen politischen Ebenen.

Wenn man die Indikatoren für das zweite Nachhaltigkeitsziel betrachtet, wird auf den unterschiedlichen politischen Ebenen die Begrenztheit deutlich. Für unsere Betrachtung sind die Unterziele 2.3-2.A relevant, da sie die zukünftige Entwicklung der Landwirtschaft definieren. Als Indikatoren können für Soziale Nachhaltigkeit beispielsweise auf UN-Ebene Indikator 2.3 „Volume of production per labour unit by classes of farming/pastoral/forestry enterprise size“ und „Average income of small-scale food producers, by sex and indigenous status“ genannt werden. Auf EU-Ebene findet man zu diesem Unterziel zwei Indikatoren „Agricultural factor income per annual work unit (AWU)“ und „Government support to agricultural research and development“. Diese exemplarischen Indikatoren zeigen, dass sie generell schwer nur einer Säule zuzuordnen sind, da eine direkte Wechselwirkung mit der ökologischen und ökonomischen Säule besteht. Zudem ist interessant anzumerken, dass keine Systemgrenzen zur Messung explizit definiert werden.

Die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie behandelt dieses Unterziel nicht explizit, jedoch sind für unsere Überlegungen das Unterziel 2.4 „Bis 2030 die Nachhaltigkeit der Systeme der Nahrungsmittelproduktion sicherstellen und resiliente landwirtschaftliche Methoden anwenden, die die Produktivität und den Ertrag steigern, zur Erhaltung der Ökosysteme beitragen, die Anpassungsfähigkeit an Klimaänderungen, extreme Wetterereignisse, Dürren, Überschwemmungen und andere Katastrophen erhöhen und die Flächen- und Bodenqualität schrittweise verbessern“ und dessen Indikatoren von besonderer Bedeutung:

Tabelle 1: Indikatoren zum Nachhaltigkeitsziel 2.4 pro Governance-Ebene

Quelle: Eigene Darstellung

Governance-Ebene

Indikator

UN-Ebene

Proportion of agricultural area under productive and

sustainable agriculture

16

EU-Ebene

Area under

organic farming

17

Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie

Ökologischer Landbau

, Ziel: Erhöhung des Anteils des ökologischen Landbaus an der landwirtschaftlich genutzten Fläche auf 20% in den nächsten Jahren

18

Das Unterziel 2.4 öffnet somit die Diskussion um die Differenzierung der landwirtschaftlichen Systeme in „konventionell“ und „ökologisch“. Aus dem Blickwinkel der Sozialen Nachhaltigkeit müssen jedoch noch weitere Dimensionen in einer Nachhaltigkeitsbewertung beachtet werden, um eine ganzheitliche Analyse und Bewertung durchführen zu können. Zur Beantwortung der Konzeptualisierung einer Nachhaltigkeitsbewertung müssen mehrere Logiken und Dimensionen beachtet werden: Zum einen die bereits eingeführte Systemlogik, nach der ökologische und konventionelle Landwirtschaftssysteme unterschieden werden. Diese Abgrenzung definiert den momentanen IST-Zustand im Agrarsektor. Zudem muss die Umfangslogik betrachtet werden: hier geht es um die räumliche bzw. quantitative Dimension (lokal, regional, global bzw. mikro/meso/makro) sowie um die Wertschöpfungskette von Ressourcengewinnung bis Konsumtion/Entsorgung eines Produkts. Quer zu diesen Logiken stehen zwei Dimensionen, die in den Blick genommen werden müssen: Die Temporaldimension (kurz-, mittel-, langfristig) sowie die bereits besprochene Nachhaltigkeitsdimension (ökonomisch, ökologisch, sozial). Hier liegt der Fokus auf der Sozialdimension mit dem Verständnis einer „Sozialen Nachhaltigkeit“ unter Berücksichtigung der anderen Dimensionen. Eine Zusammenstellung dieser Dimensionen zeigt Abbildung 1:

Quelle: Eigene Darstellung

Abbildung 1: Dimensionen und Logiken als Konzept einer Nachhaltigkeitsbewertung landwirtschaftlicher Systeme

Die in Abbildung 1 konzipierte Mehrdimensionalität der Nachhaltigkeitsbewertung stellt eine Art Programm, ein Normativ dar, das wir im vorliegenden Text nur ansatzweise einlösen können. Derzeit dominiert in Deutschland die konventionelle Landwirtschaft in Betriebszahl und Fläche. Die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie setzt als Handlungsmaßnahme zur Erreichung des UN-Ziels 2.4 einer nachhaltigen Landwirtschaft folgendes Ziel (freilich ohne Zeit-Zielangabe): Die Erhöhung des Anteils des ökologischen Landbaus an der landwirtschaftlich genutzten Fläche auf 20% in den nächsten Jahren.19

2.1 Zielkonflikte

Häufig entstehen in Entwicklungskonzepten oder Nachhaltigkeitsstrategien Zielkonflikte. Es werden mehrere Ziele verfolgt, die nicht gleichzeitig und im demselben Umfang erreicht werden können, wie es unterschiedliche Kombinationen der verschiedenen Dimensionen in Abbildung 1 theoretisch aufzeigen können. Im Folgenden wird auf ausgewählte und für die Weiterentwicklung des landwirtschaftlichen Nachhaltigkeitsvergleichs wichtige Zielkonflikte eingegangen.

2.1.1 Kurzfristig versus langfristig

Zielkonflikte zwischen lang- und kurzfristigen Zielen sind in vielen Bereichen der Landwirtschaft im Kontext mit nachhaltiger Entwicklung auszumachen. Landwirtschaftlichen Betrieben, die zum Klimaschutz beitragen wollen, entstehen beispielsweise kurzfristig Kosten, weil sie entsprechend investieren müssen. Kurzfristig verschlechtern sich die ökonomischen Leistungsdaten. Langfristig werden hingegen dadurch (auch im Kontext Klimawandelanpassung) betrieblich, regional, national sowie auch international wichtige Beiträge für eine nachhaltige Entwicklung erzielt.

Insbesondere bei der Bewertung von Nachhaltigkeitsleistungen ist dieser Zielkonflikt stark ausgeprägt: Bedeutsame Untersuchungsparameter in Agrarsystemen unterliegen zeitlich sehr unterschiedlichen Dynamiken. Dies löst Zielkonflikte aus, vor allem wenn Vergleichsuntersuchungen auf Basis von Ist-Analysenmit weniger als 1-3 Jahre Betrachtungszeitraum erfolgen und somit längerfristige Auswirkungen nicht miterfassen. Die Aufwertung von Langzeituntersuchungen bzw. längerfristigen wissenschaftlichen Vergleichen oder einem kontinuierlichen Monitoring zwischen ökologischer und konventioneller Landwirtschaft ist von großer Bedeutung, um in wichtigen Fragen seriöse Vergleichsergebnisse und darauf aufbauende Handlungsempfehlungen unter den Aspekten der nachhaltigen Entwicklung zu erlangen.

2.1.2 Internalisierung versus Externalisierung

Ob durch die Landwirtschaft erzeugte externe Kosten, wie zum Beispiel Gewässerbelastung durch Nitrateintrag oder Rückgang der Insektenpopulation, in einem Vergleich von konventioneller und ökologischer Landwirtschaft mit einbezogen werden muss, wird kontrovers diskutiert. Dahinter steht die Diskussion über das Verursacherprinzip und das davon abgeleitete Haftungsprinzip. Viele externe Kosten lassen sich nur bedingt erfassen und zurückverfolgen. Bei der Frage der Internalisierung externer Kosten dreht es sich um die Preisgestaltung von Lebensmitteln, die Verzerrung von Wettbewerbssituationen und somit um die öffentliche Regulierung der landwirtschaftlichen Praxis.

Diese zusätzlichen externen Kosten lassen sich auf der Sektorebene jedoch nicht losgelöst vom gesellschaftlichen Ernährungsverhalten betrachten, das auch politisch beeinflusst ist. Auch innerhalb der Methoden zur einzelbetrieblichen Nachhaltigkeitsbewertung werden externe Kosten unterschiedlich intensiv angerechnet. Orientiert man sich an den Zieldefinitionen der SDGs und der SAFA-Guidelines, gehören das Verursacherprinzip und damit die Erstehung von externen Kosten (direkte und indirekte Folgekosten) in einen standardisierten Nachhaltigkeitsrahmen.

2.1.3 Globalisierung versus Regionalisierung

Globalisierung steht für einen offenen Handel mit Gütern und Dienstleistungen über Ländergrenzen hinaus. Die Preisfindung findet am Weltmarkt statt. Die Produktionsstandards für ein und dasselbe Gut sind in der Regel heterogen und nicht vergleichbar. Dies gilt auch für die Kostenstruktur der Produktion, die länderabhängig ist. Das Lohnniveau hat einen großen Einfluss auf die Produktionskosten und damit auch auf die Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaften. Durch Spezialisierung hat sich im Laufe der Zeit weltweit ein Handelsnetz herausgebildet, das auf die Nutzung von komparativen Vorteilen basiert. Der internationale Handel steht vor allem bei Agrarprodukten und Lebensmitteln vor der Frage, wem ökologische Leistungen und damit verbundenen positiven wie negativen Auswirkungen zuzuordnen sind. Dabei ist die Erfassung und Zuordnung von Treibhausgasemissionen relativ einfach, schwieriger wird eine Zuordnung bei anderen Bereichen der Dimension Ökologie, wie Biodiversität oder Wasserverbrauch/Wasserqualität sowie in den Dimensionen Ökonomie und Soziales.

Vielfach wird Regionalisierung mit Vorteilen bzw. einem geringeren Emissionsausstoß in Verbindung gebracht. Das wird vor allem an der Nähe zum Endabnehmer, an kurzen Wegen beim regionalen Bezug der Produktionsfaktoren, sowie Klimaschutzaspekten, wie Transport, Verpackung und Lagerung festgemacht. Diese Vorteile sind jedoch nicht generalisierbar. Zusätzlich wird davon ausgegangen, dass eine regionale Produktion zu einer Stärkung der Infrastruktur und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit einer Region führt. Im Gegensatz zur Globalisierung sind bei der Regionalisierung die Produktionsstandards in der Regel vergleichbar, da diese in der Regel durch Verordnungen und nationale Gesetzgebungen festgelegt sind.

Ein weltweiter Vergleich der Systeme ist aufgrund der Heterogenität der Produktionsstandards nicht möglich. Für eine vergleichende Nachhaltigkeitsstudie bedeutet dies, dass bei der Entwicklung eines standardisierten Vergleichsrahmens die Grenzen des betrachteten Systems klar definiert sein müssen. Der Einbezug oder Nichteinbezug globaler Aspekte in eine Nachhaltigkeitsbewertung hat einen erheblichen Einfluss auf die Ergebnisse. Welche Indikatoren Teil einer solchen Bewertung darstellen, hat ebenfalls einen enormen Einfluss. Der Einflussbereich deutscher Landwirte und Verbraucher steht dabei im Gegensatz zum Einflussbereich von Produzentenländern. Eine einheitliche Erhebungsmethode kann klären, wo die Systemgrenze verläuft.

2.1.4 Risiko versus Sicherheit

Die politischen Kontroversen und die Diskussion um Bewertung und Förderung der konventionellen bzw. der ökologischen Landwirtschaft basieren aus (sozial-)wissenschaftlicher Perspektive20 vor allem auf unterschiedlichen Risikoeinschätzungen und Sicherheitsprogrammen und damit auf komplexen Zielkonflikten zwischen Risiko und Sicherheit.

Ernährungssicherheit versus ökologische Landwirtschaft: Eine aus (idealisierten bzw. historischen) geschlossenen Volkswirtschaften bzw. Kriegswirtschaften stammende Vorstellung von „Ernährungssicherheit“ wird als Sicherheitsprogramm betrachtet, insbesondere unter der Herausforderung der Ernährung von zukünftig mehr als 9 Mrd. Menschen. Durch die teilweise niedrigeren Produktionserträge in der ökologischen Landwirtschaft je Flächeneinheit gegenüber der hochindustrialisierten Landwirtschaft wird der ökologischen Produktionsweise abgesprochen, die gesamte Weltbevölkerung zu ernähren. Dabei werden die Aspekte der verschiedenen Ernährungsstile (z.B. der Fleischkonsum als Statussymbol des Wohlstands) und deren tatsächlicher Ertrags- und Flächenbedarf außer Acht gelassen ebenso die hohe Wegwerfrate von Lebensmitteln innerhalb der gesamten Wertschöpfungskette.21 Diese Aspekte liegen außerhalb der Systemgrenze von landwirtschaftlichen Systemen, beeinflussen die Ausrichtung dennoch stark, da immer wieder behauptet wird, dass eine rein ökologische Landwirtschaft die Weltbevölkerung nicht ernähren könnte.

Globalisierung versus ökologische Landwirtschaft: In diesem Zusammenhang wird allerdings auch genau umgekehrt diskutiert, dass die ökologische Landwirtschaft bzw. eine eher auf regionalen Wertschöpfungsketten (einschließlich neuer Formen der Kooperation in Richtung solidarische Landwirtschaft) basierende Landwirtschaft die Verletzlichkeit (Volatilität) der Globalisierung begrenzt und damit Risiken reduziert. Demgegenüber wird argumentiert, dass Handelsverträge der EU beispielsweise mit Agrarländern aus Asien, Afrika, Südamerika ebenfalls zu einer Sicherheitsarchitektur beitragen und so Risiken minimieren.

Landwirtschaftliche Großkonzerne versus kleinbetriebliche Diversität: Die zunehmende Konzentration auf wenige Großkonzerne in vorgelagerten Stufen der Landwirtschaft, wie Saatgut, Pflanzenschutzmitteln, Dünger, aber auch bei „Big Data“ und dem darauf basierenden „precision farming“ erhöhe die Fehleranfälligkeit im Gegensatz zu einer kleinbetrieblichen Produktionsweise, die durch eine Vielzahl an Produktionsformen und Anbaudiversität mit vielfältigen Saatgutsorten eine hohe Resilienz des Agrarsystems verspricht. Das erscheint vor allem dann von Bedeutung, wenn wirtschaftliche Ertragskalküle auf Seiten der vorgelagerten Stufen mit kontrovers eingeschätzten langfristigen Wirkungen einhergehen, wie dies am Beispiel Glyphosat und der Fusion der Hersteller Monsanto und Bayer breit diskutiert wird. Großindustrielle Innovationen stehen nicht notwendig im Widerspruch zu Ökologisierung oder Nachhaltigkeit, wie gerade die Ressourcenschonung des „precision Farming“ zeigt. Kleinbetriebliche Strukturen können die erheblichen Kapitalinvestitionen dafür nicht aufbringen. Auch hier stellt sich die Frage nach Vermittlungsinstitutionen, beispielsweise durch nationale oder EU-Mittel unterstützte Genossenschaften, Körperschaften des öffentlichen Rechts oder Stiftungen, die Großkonzernen leistungsmäßig nicht unterlegen sein müssen, aber ihre Gewinne dem Gemeinwohl zur Verfügung stellen und in der Regel weitaus besser und dezentraler kontrolliert werden können. Die politischen Institutionen können hier aufgrund ihrer Gemeinwohlverpflichtung einen unverzichtbaren Betrag zur Objektivierung leisten, wie dies beispielsweise das „Öko-Monitoring“ zur Qualitäts- und damit Vertrauenssicherung von ökologisch erzeugten Lebensmitteln seit einigen Jahren vorführt.22

Industrialisierte Landwirtschaftsstrukturen versus „bäuerliche Landwirtschaft“: Bedingt durch den anhaltenden Strukturwandel zu immer größeren Betriebsstrukturen, einem Anwachsen von landwirtschaftlichen Betrieben in Hand von Kapitalgesellschaften und einem Kosten- und Wettbewerbsdruck in den nachgelagerten Stufen der Landwirtschaft (Lebensmittelhandel usf.) entsteht eine Dynamik zur Rationalisierung der landwirtschaftlichen Produktion hin zu industriellen Produktionsstrukturen. Dem gegenüber steht ein idealisiertes Bild einer „bäuerlichen Landwirtschaft“, die geprägt wird durch die persönliche Haftung eines freien Landwirtes. Gegenübergestellt werden hier ein an Technikglauben, Effizienz- und Ertragssteigerung bis zur weltweiten Ernährungssicherheit hin ausgerichtetes Landwirtschaftssystem einerseits, ein eher sozial, ökologisch, regional, tierschützend und auf generative Verträglichkeit ausgerichtetem Landwirtschaftssystem andererseits.23 Auch hier zeigt sich, dass eine nachhaltige und ökologische Landwirtschaft in diesen Spannungsverhältnissen steht, jedoch keineswegs nur mit kleinbäuerlichen Strukturen realisiert werden kann.

Die Diskussion rund um die Handlungsmaßnahmen macht noch einmal deutlich, was die UN-Nachhaltigkeitsziele bezwecken sollen: Wir leben in einer komplexen Welt, in der die Zielsetzung für einen Bereich (z.B. den Erhalt der Biodiversität in der ökologischen Säule) auch soziale und ökonomische Bereiche negativ oder positiv beeinflusst (z.B. wenn ein Stück Land zu einem Naturreservat erklärt wird und dadurch dort nicht mehr Ackerbau betrieben werden darf, was einen ökonomischen Verlust bedeutet, jedoch auch soziale Vorteile bringen kann, wie ein ästhetisches Landschaftsbild).

16 Inter-Agency and Expert Group 2016, S. 3

17 European Commission 2017, S. 6

18 Die Bundesregierung 2016, S. 67

19 Bundesregierung 2016, S. 67

20 Renn 2008

21 Müller u.a. 2017

22 MLR 2017

23 AbL u.a. 2001

3 Messung

Unsere Recherchen zur Nachhaltigkeitsbewertung der ökologischen und konventionellen Landwirtschaft werden in unterschiedliche Kombinationen der Dimensionen und Logiken systematisiert (siehe Abbildung 1). Damit werden die Rahmenbedingungen transparent, unter denen die Indikatoren gebildet worden sind. Insgesamt wurden dafür über 48 wissenschaftliche Artikel und Studien ausgewertet und sieben Experteninterviews geführt. Die Analyse zeigt, dass sich die meisten vorliegenden Publikationen auf die System- bzw. Sektorenebene fokussieren, danach folgen die Wertschöpfungskette/nachfrageorientierter Ansatz und die betriebliche Ebene. Diese systemischen Dimensionen und Logiken (siehe auch Abbildung 1) eröffnen ein weites Feld an möglichen Indikatoren zur Nachhaltigkeitsbewertung des Sektors, mit dem Fokus auf die sozialen Aspekte. Auch in der Literatur wird besonders auf die Systemgrenzen, den betrachteten Systemlevel und den Grund der Bewertung verwiesen, was die Bewertung maßgeblich beeinflusst.24 So ist es ein Problem, wenn zu viele Indikatoren abgefragt werden, da die Datenverfügbarkeit eines der größten Barrieren darstellt. Wichtig ist ein „set of ‚essential‘ indicators“ zu erstellen.25 Für Tait und Morris (2000) stehen drei Ziele im Zentrum: „Economic viability, reduction of environmental harm, fulfilment of public demands for food and landscape benefits“.26 Einige Autoren weisen darauf hin, dass der soziale Aspekt häufig aus Kostengründen der Datenerhebung oder aufgrund von Datenmangel vernachlässigt wird.27 Interessant hierzu sind die diskutierten Aspekte in einer Publikation über das SEAMLESS-IF Instrument. Auch hier wird erkannt, dass die sozialen Indikatoren gegenüber der ökologischen und ökonomischen nicht stark genug in den Fokus genommen werden: „These reasons are connected with the difficulties related to methodologies to collect relevant data and quantifying or assessing aspects that are fundamental for social issues.“