So'n Herzensding – eine Sammlung Mut - Christiane Fischer - E-Book

So'n Herzensding – eine Sammlung Mut E-Book

Christiane Fischer

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Beschreibung

So'n Herzensding Eine psychische Erkrankung kann viele Gesichter haben, durch ganz unterschiedliche Ursachen entstehen und geht meist mit einer Depression einher. In diesen sechs Kurzgeschichten werden Themen wie Angststörungen, Zwänge, Borderline, Narzissmus und andere behandelt. Manche von diesen Geschichten sind fiktiv, andere autobiographisch. Doch eins haben sie alle gemeinsam: Sie sollen Mut und Kraft geben, Lösungswege aus der Krise aufzeigen und vor allem den Betroffenen mitteilen: "Du bist nicht allein."

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Das Telefonat

Ein Windhauch auf meiner Haut

Emily

Zwänge

Der Mann im Spiegel

In den Armen des Narzissten

Danksagung

Über die Autorin

Weitere Bücher der Autorin

Impressum

Edition Paashaas Verlag

Titel: So'n Herzensding – eine Sammlung Mut Autor: Christiane Fischer

Originalausgabe Juli 2023

Covermotive: Pixabay

Covergestaltung: Michael Frädrich

Lektorat: Renate Habets, Manuela Klumpjan

Printed: BoD GmbH, Norderstedt

© Edition Paashaas Verlag

Printausgabe: ISBN: 978-3-96174-124-3

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.d–nb.de abrufbar

So'n Herzensding –

eine Sammlung Mut

Christiane Fischer

Vorwort

Dieses Buch ist ein Herzensprojekt und ist all denjenigen gewidmet, die sich gerade einsam, unverstanden, anders und verletzt fühlen.

Die Protagonisten dieser Geschichten haben mit schlimmen Schicksalsschlägen zu kämpfen. Sie fühlen Schmerz, Hoffnungslosigkeit und Angst.

Unterdrückung, Mobbing oder ein Verlust haben bei den meisten von ihnen zu Depressionen geführt.

Eine Depression wird leider von einigen Menschen immer noch nicht richtig verstanden, und sie tun es als eine übertriebene Reaktion ab, nehmen den Betroffenen nicht ernst. Nicht selten folgen dann Worte wie: „Mensch, jetzt reiß dich mal zusammen! Du hast überhaupt keinen Grund zu heulen!“

Eine Depression ist eine anerkannte Krankheit.

Ihr geht momentan durch eine schwere Zeit? Ihr seht kein Licht am Ende des Tunnels?

Diese sechs Geschichten voller Hoffnung und Stärke sollen euch Mut machen, sollen euch zeigen, dass ihr nicht alleine seid und dass es IMMER einen Ausweg gibt, auch wenn es sich zunächst nicht so anfühlt.

Einige der Geschichten sind fiktiv, andere autobiographisch.

Ich möchte euch gern an die Hand nehmen und zusammen mit euch ein Stück eures Weges gehen. Kommt ihr mit mir?

Das Telefonat

„Hm, ha…, hallo?“

„Meißner hier. Carlo Meißner. Ist Herr Dehmler zu sprechen?“

„…“

„Hallo?“

„Ähm, nein. Nein, Sie …, Sie müssen sich verwählt haben. Mmpf …“

„Hey, ist alles in Ordnung bei Ihnen? Es hört sich an, als ob Sie …, na ja, ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten, aber weinen Sie gerade?“

„Ich … Ähm …, das ist unwichtig. Ich werde jetzt auflegen. Machen Sie es gut.“

„Nein, bitte! Warten Sie!“

„Wieso?“

„Können Sie mir vielleicht Ihren Namen verraten?“

„Was spielt das für eine Rolle? Sie haben doch bloß die falsche Nummer gewählt.“

„Für mich ist es schon wichtig zu erfahren, mit wem ich gerade rede.“

„Matilda. Ich heiße Matilda.“

„Matilda. Ein sehr schöner Name.“

„Tzz …“

„Finden Sie etwa nicht?“

„Es ist egal, was ich finde. Alles ist egal.“

„Was meinen Sie damit? Ich will wirklich nicht neugierig sein, aber …“

„Aber was?“

„Bitte, Matilda, Sie klingen so verzweifelt. Ich habe wirklich gerade das dringende Bedürfnis …“

„Hören Sie mal, Carlo … Carlo war doch richtig, oder?“

„Ja, ganz genau.“

„Was gehen Sie meine privaten Sachen an? Ich frage ja auch nicht, wen genau Sie gerade erreichen wollten.“

„Das kann ich Ihnen verraten. Das war mein Prof. Ich studiere Architektur und …“

„Schluss jetzt! Ich habe keine Zeit mehr dafür, ich …“

„Bitte, nicht weinen! Manchmal hilft es, einfach darüber zu reden.“

„Es …, es gibt nichts mehr zu reden. Niemand auf der Welt kann mir noch helfen …, ich …“

„Hey, hey, ganz ruhig!“

„…“

„Hallo? Sind Sie noch da? Matilda?“

„J…, ja.“

„Bitte erzählen Sie es mir. Erzählen Sie mir, was Sie so verzweifelt macht.“

„Das sollte ich besser nicht tun. Leben Sie wohl, Car…“

„Halt! Bitte warte.“

„Was denn noch, Carlo?“

„Ich weiß, ich bin eine Nervensäge, aber du klingst so traurig, so verzweifelt …“

„Nun, das bin ich auch. Hören Sie mal …“

„Du! Sag ruhig du zu mir!“

„Okay. Hör mal, Carlo, ich weiß deine Fürsorge für eine Fremde wirklich zu schätzen, aber sie bringt mich auch nicht weiter. Ich stecke gerade in einer sehr schwierigen Lage und habe vorhin eine Entscheidung für mich getroffen.“

„Also hast du doch eine Lösung gefunden.“

„Ja, kann man so sagen. Ich habe nur noch einen Ausweg, damit das alles endlich aufhört.“

„Puh, irgendwie klingt das nicht so gut. Würdest du mir vielleicht verraten, welchen du meinst, denn keine Ahnung … Irgendwie habe ich eine Vermutung, und ich hoffe, ich täusche mich. Bitte sag mir, dass es nicht das ist, was ich gerade denke.“

„Tzz… Du …, du rufst mich einfach wie aus dem Nichts an, stellst neugierige Fragen und tust jetzt so, als ob wir uns schon ewig kennen würden …“

„So kommt es mir aber vor.“

„Klar …“

„Das klang jetzt sarkastisch.“

„Was erwartest du? Ich kenn dich doch nicht einmal …“

„Matilda, bitte verrate mir, was du gerade, bevor ich dich angerufen habe, vorhattest. Wenn doch alles so egal für dich ist, dann dürfte es dich ja auch nicht stören, einem fremden, neugierigen Kerl deinen Plan zu verraten.“

„Also gut. Ich hatte gerade alle Schlaftabletten aus meiner Packung mit einem Mörser zerstoßen und wollte alles in einem Glas Rotwein auflösen und trinken, bevor mein Handy geklingelt hat. Eigentlich weiß ich überhaupt nicht, warum ich drangegangen bin. Hätt ich es mal lieber nicht getan …“

„Hör zu, es ist gut, dass du abgenommen hast. Ein Teil von dir will das alles hier nicht, sonst hättest du einfach klingeln lassen. Verstehst du? Das war Schicksal, dass ich deine Nummer gewählt habe.“

„Ach, jetzt hör aber auf! Das war nichts weiter als ein dummer Zufall. Ich glaube nicht mehr an irgendeinen Hokuspokus.“

„Bitte, Matilda, tu es nicht.“

„Ach, Carlo, ich hätte dich da jetzt nicht mit reinziehen sollen. Jetzt fühlst du dich natürlich verpflichtet, mich davor zu bewahren.“

„Allerdings. Es ist gut, dass du es mir verraten hast. Und soll ich dir noch was verraten, Matilda? Auch, dass du mit mir, einem Fremden, darüber gesprochen hast, zeigt mir nur, dass ein Teil von dir das alles hier eigentlich nicht will. Es gibt immer eine Lösung, glaub mir!“

„Tzz … Für mein Problem nicht. Du versuchst das nur auf die psychologische Tour, schon klar. Mein Entschluss steht fest. Ich werde heute Nacht sterben.“

„Hör mal, ich mache dir einen Vorschlag: Es ist gerade 20:36 Uhr. Erzähl mir deine Geschichte. Danach kannst du dich ja immer noch umbringen. Vielleicht aber, nur vielleicht, schaffe ich es auch, dich umzustimmen.“

„Carlo, dein Einsatz rührt mich wirklich sehr, aber ich denke nicht, dass mich jemand umstimmen kann.“

„Haben wir einen Deal, Matilda?“

„Also gut. Ich erzähle dir alles, was dazu geführt hat, dass ich jetzt in dieser Situation stecke. Aber vorweg: Das dauert.“

„Ich habe heute Abend nichts weiter vor. Ich sitze gerade auf meinem Sofa, niemand ist in meiner Wohnung, ich lebe allein. Nur, dass du´s weißt. Ich habe Zeit.“

„Willst du dir noch schnell etwas zu essen machen, oder hast du schon zu Abend gegessen?“

„Ich habe tatsächlich schon etwas gegessen. Ich bin vorhin über den Weihnachtsmarkt gegangen, der grenzt direkt an die Straße, in der ich wohne. Ich habe gebratene Champignons vertilgt, die mag ich am liebsten. Danke jedenfalls, dass du dich um mein Wohlergehen sorgst.“

„Ich habe den Weihnachtsmarkt früher auch geliebt, besonders abends. Seine bunten Lichter erleuchten die Dunkelheit. Den Geruch von gebrannten Mandeln und Bratäpfeln habe ich als Kind ganz tief in mich eingesogen. Am liebsten war ich auf dem Pferdekarussell, habe Lebkuchen gegessen und den Weihnachtsliedern gelauscht. Einem Weihnachtsmarkt wohnt ein ganz besonderer Zauber inne. Ich war allerdings schon seit drei Jahren auf keinem mehr.“

„Wieso?“

„Ich habe irgendwie die Freude daran verloren.“

„Das tut mir leid.“

„Egal jetzt. Wir sind abgeschweift.“

„Stimmt. So, Matilda, ich bin ganz Ohr.“

„Puh, also …, also schön. Wo fange ich da jetzt an? Ich war von Beruf Produktmanagerin bei einer großen Firma, der Name tut jetzt nichts zur Sache, noch nicht jedenfalls. Es ist ein Familienunternehmen, weißt du.“

„Verstehe. Welche Produkte stellt diese Firma her?“

„Hauptsächlich intelligente Produkte wie Roboter-Staubsauger oder auch eine Mütze mit integrierten Kopfhörern zum Musikhören und zum Telefonieren.“

„Ah, das klingt interessant.“

„Es stand von Anfang an fest, dass ich einmal in der Firma meines Vaters arbeiten würde. Darüber hatten wir schon gesprochen, als ich erst fünf Jahre alt war. Es war nicht so, dass es mir aufgezwungen wurde, wie es andere Eltern mit ihren Kindern machen. Es war letztendlich mein Wunsch. Mein Vater wollte immer, dass ich glücklich bin mit dem, was ich tue.“

„Das finde ich richtig so. Klingt nach einem vernünftigen und liebevollen Mann.“

„Das …, das war er ja auch.“

„Ganz ruhig, Matilda, nicht weinen. Dein Vater ist also gestorben? Das tut mir sehr leid.“

„Ja, er ist vor zwei Jahren … “

„Schh … Ganz ruhig.“

„Ich hole mir jetzt ein Taschentuch. Dann gehe ich auch in mein Wohnzimmer, denn ich stehe immer noch in meiner Küche und blicke aus dem Fenster.“

„Ja, mach ganz in Ruhe. Ich warte.“

„Kein Problem, ich rede währenddessen weiter. Ich habe meinem Vater als Kind oft dabei zugesehen, wenn er unten in seinem Arbeitszimmer, das sich im Keller befand, mal wieder etwas total Verrücktes erfunden hat. Ich war wahrscheinlich das einzige Mädchen, das einen Trinkautomaten für ihre Kuscheltiere hatte, der direkt das Obst zerkleinert, püriert und schließlich trinkfertig abgefüllt hatte. Natürlich war er für mich gedacht, nicht für meine Kuscheltiere. Papa wollte damit erreichen, dass ich mehr Obst zu mir nahm, und es funktionierte. Dieser monströse Apparat stand in meinem Kinderzimmer und ich holte mir stets neues Obst aus der Küche und bereitete Fruchtsäfte und Smoothies für meine Kuscheltiere zu, die ich dann allein austrank.“

„Er war wirklich ein sehr schlauer Mann.“

„Ja, das war er. Er war ein toller Ehemann für meine Mutter und ein großartiger Vater für mich.“

„So ein tolles, inniges Verhältnis hatte ich leider nie zu meinen Eltern. Meine Träume hatten sie oft und gerne als Phantastereien abgetan und nicht weiter zugehört. Na ja, trotzdem besuche ich sie einmal im Monat. Sie sind so, wie sie eben sind.“

„Was hattest du denn für Träume?“

„Ach, ich hatte mit fünfzehn den Wunsch, ein modernes Krankenhaus mit Fluglandeplatz zu entwerfen. Es sollte aber nicht so aussehen wie alle Krankenhäuser, also nicht so bieder, so steril. Es sollte fröhlich sein, mit vielen bunten Farben und Kunstwerken an den Wänden.“

„Das ist wirklich ein schöner Traum.“

„Tja, meine Mutter hatte zu mir gemeint: ´Hör auf, Luftschlösser zu bauen, du Tagträumer.´“

„Aber unerreichbar ist dieser Traum doch nicht.“

„Ja, klar. Aber so ist eben meine Mutter. Egal jetzt. Wir schweifen wieder ab. Erzähl weiter!“

„Irgendwie hatte ich immer diese ganz besondere Komplizenschaft mit meinem Vater. Im Nachhinein vermute ich, dass meine Mutter insgeheim ein bisschen eifersüchtig darauf gewesen war, denn mein Vater und ich verbrachten einfach mehr Zeit miteinander. Ich war als Teenager lieber unten in seiner Kammer und lauschte seinen neuen Ideen – ganz fasziniert war ich davon – als mit ihr zusammen shoppen zu gehen.“

„Hehe, verstehe.“

„Jedenfalls hatte ich dann mit sechzehn eigenen Ideen. Ich hatte sie allesamt aufgeschrieben und in einer Mappe aufbewahrt. Auch Papa hat mir stets alle seine Einfälle für die Firma verraten, ganze Entwürfe, und sie sogar zu meinen Ideen in die Mappe gelegt. Er vertraute Ideen, die vielleicht Millionen von Euros einbringen konnten, seiner Teenager-Tochter an. Welcher Geschäftsmann tut so etwas schon?“

„Wow! Da stimme ich dir zu.“

„ …“

„Alles in Ordnung, Matilda?“

„Ja, es geht schon. Ich habe mich gerade nur daran erinnert, als mein Vater eines Tages einen meiner Einfälle auf den Markt brachte. Er war überzeugt davon, er glaubte an mich.“

„Was hattest du für einen Einfall gehabt?“

„Es war ein Kugelschreiber mit integriertem Radio.“

„Klingt wirklich sehr pfiffig. So einer wäre was für mich, wenn ich den ganzen Tag an meinem Schreibtisch sitze, hehe.“

„Nach meinem Abitur bin ich direkt in die Firma eingestiegen. Papa hatte mir alles beigebracht, was er wusste. Er erklärte mir Buchhaltung, Tabellenkalkulationen übte er mit mir. Meine Mutter hatte anfangs gewollt, dass ich erst mal studieren gehe, damit ich zur Sicherheit einen Studienabschluss in der Tasche hätte. Wer wusste schon, ob unser Unternehmen sich immer halten konnte?“

„Und lass mich raten? Du und dein Vater habt euch nicht umstimmen lassen.“

„Ja, so war es. Alles, was ich heute weiß und was ich heute bin, bin ich durch meinen Vater. Mein Job dort hat mir immer großen Spaß gemacht. Sämtliche Stationen der Firma bin ich durchlaufen, kannte am Ende alles fast genauso gut wie er, würde ich meinen.“

„Hatte? Dein Job hatte dir Spaß gemacht? Du arbeitest nicht mehr dort?“

„Nein. Selbst wenn das noch möglich wäre, würde ich es nicht tun, denn ich verdiene es nicht.“

„Wie meinst du das?“

„Das, was ich getan habe, ist unverzeihlich. Ich habe große Schande über meine Familie gebracht und nicht nur das.“

„Ich höre, wie schwer du atmest, Matilda. Wollen wir, ehe du fortfährst, uns vielleicht unser Alter verraten? Du klingst jung. Ich schätze dich auf Anfang zwanzig?“

„23, ich bin 23 Jahre. Und du?“

„Ich bin 28, habe etwas später angefangen zu studieren. Zugegeben: Ich war kein Ass in der Schule, mein Abi hatte ich nicht sofort in der Tasche, und danach schloss ich erst mal eine Ausbildung im Einzelhandel ab. Meine Eltern hatten gemeint, ein Studium und dann auch noch in Architektur wäre eine Nummer zu groß für mich. Aber eines Tages habe ich es dann doch gewagt. Ich lernte Tag und Nacht. Gott sei Dank konnte ich bei meinen Eltern wohnen und brauchte in dieser Zeit nicht zu jobben, konnte mich bloß auf mein Studium konzentrieren. Es gab wirklich viele Auseinandersetzungen mit meinen Eltern. Sie hatten gedacht, ich würde scheitern. Doch jetzt stehe ich kurz vor meinem Abschluss.“

„Das ist ja großartig! Aber stopp mal. Du sagtest doch am Anfang zu mir, dass du allein wohnst.“

„Ähm, ja. Das tue ich auch seit zwei Monaten. Ein Kommilitone und Freund hat mir sein Apartment überlassen. Ich habe einen Übergangsjob gefunden und bin froh, dass ich endlich meine eigenen vier Wände habe.“

„Das ist wirklich super, Carlo!“

„Danke. Na ja, jetzt muss ich nur noch bestehen.“

„Wann ist Prüfung?“

„In sechs Wochen.“

„Du schaffst das. Ganz bestimmt.“

„Das hoffe ich doch. So, wenn du bereit bist, kannst du mit deiner Geschichte gern fortfahren.“

„Ich muss zugeben, es hat ein bisschen gut getan drüber zu reden. Aber der schwierigste Teil kommt ja noch. Hach, es …, es ist alles so schlecht gelaufen. Zugegebenermaßen hatte ich niemanden mehr, mit dem ich über all dies reden konnte. Ich habe alle meine Freunde vergrault, hab‘ den falschen Leuten vertraut, und ich schäme mich.“

„Aber jeder macht doch mal Fehler. Ich finde, nichts kann so schlimm sein, als dass man keinen anderen Ausweg mehr sieht, als sich umzubringen.“

„Wenn du plötzlich quasi ganz allein auf der Welt bist und dich tagtäglich fürchterliche Gewissensbisse plagen, dann hast du früher oder später einfach keine Kraft mehr, weiterzumachen.“

„Und …, und was ist mit deiner Mutter?“

„Ich habe ihr Schlimmes angetan. Sie wird mir nicht verzeihen.“

„Hm, ich glaube, ohne zu wissen, was genau vorgefallen ist, dass sie das schon kann. Keine Kraft der Liebe ist so stark und bedingungslos wie die einer Mutter zu ihrem Kind.“

„Ach, Carlo, ich werde endlich fortfahren. Zum Schluss sehen wir weiter, ob du dann immer noch derselben Meinung bist.“

„Ist gut. Erzähle mir alles in Ruhe. Ich bin sicher, dass es dir helfen wird.“

„Das wird zum Schluss entschieden. Weiter zu meiner Geschichte: Wie gesagt, hatte ich als Produktmanagerin in unserer Firma gearbeitet. Ich konnte Marketingkonzepte für unsere geführten Produkte erstellen. Meine Aufgabe war es, Geräte, die sich nicht mehr gut genug verkauften, auszumustern und neue ins Programm aufzunehmen. Mein Vater hatte hin und wieder ein paar tolle Entwürfe angefertigt und die Produktionen seiner Erfindungen geleitet oder hatte sich Vorschläge anderer vielversprechender Entwickler angehört und die Produkte dann ins Sortiment aufgenommen oder eben nicht. Eines Tages kam dann ein neuer Mitarbeiter in die Firma, Andreas März. Er sollte von nun an den Vertrieb leiten. Einige Berührungspunkte hatten wir in der Arbeit, so kamen wir hin und wieder ins Gespräch.“

„Lass mich raten, es lief etwas zwischen euch.“

„Nicht so voreilig, Carlo. Dazu komme ich später. Würdest du mich, bitte, erst erzählen lassen und mich nicht unterbrechen?“

„Oh, entschuldige. Klar.“

„Sorry, dass ich so schroff war, aber ich mag es nicht, wenn mir jemand etwas vorweg nimmt. Du liegst natürlich richtig mit deiner Vermutung. Mein Vater war sehr zufrieden mit Andreas´ Arbeit. Bei einer Weihnachtsfeier hatten wir schließlich miteinander getanzt. Andreas war wirklich eine attraktive Erscheinung, groß, gut gebaut, blonde Haare, blaue Augen, und charmant konnte er sein.“

„Hm …“

„Was meinst du, mit Hm?“

„Ich dachte, ich sollte dich zu Ende erzählen lassen?“

„Ach, jetzt sei bitte nicht beleidigt. Ich möchte nur ganz gern wissen, was dieser sarkastische Unterton zu bedeuten hat!“

„Erstens bin ich nicht beleidigt und zweitens: Na, schön, das ist ein so typisches Klischee bei einem Kerl. Charmant, gut gebaut, blaue Strahle-Augen … Gähn, Schnarch …“

„Hihi.“

„Warum lachst du? Also nicht, dass mich das jetzt stören würde. Ich höre dich wirklich gerne lachen, Matilda, und ich bin froh, dich ein wenig aufheitern zu können, aber hast du mich gerade ausgelacht?“

„Nein, ausgelacht habe ich dich sicher nicht, aber es …, es klang irgendwie so verbittert.“

„Tja, verbittert ist vielleicht ein wenig übertrieben ausgedrückt. Ich entspreche jetzt nicht diesem Ideal eines Traum-Mannes. Weder gehe ich ins Fitnessstudio noch habe ich blaue Augen. Ich denke, ich bin normaler Durchschnitt. Meine Ex hatte mich damals mit so einen Adonis betrogen. Am Ende hatte es dann geheißen: ‚Wir beide sind zu unterschiedlich, Carlo. Du bist eher ein Eigenbrötler, aber ich möchte raus in die Welt. Außerdem solltest du mal ins Fitnessstudio gehen und an deiner Figur arbeiten.‘“

„Autsch, das tut mir leid. Was hast du dann gemacht?“

„Ich habe ihr natürlich den Laufpass gegeben, und ins Fitnessstudio bin ich trotzdem nicht gegangen. Dafür habe ich mit dem Joggen angefangen. Also, nicht, dass du das jetzt falsch verstehst: Ich bin weder fett noch bin ich irgendein Bücherwurm, der eine Sozialphobie aufweist.“

„Carlo, selbst wenn, darauf kommt es auch nicht an. Das habe ich gelernt. Scheiß auf irgendwelche Muskeln, wenn er nichts im Kopf hat, und egal ist es, dass er ein makelloses Gesicht hat, wenn er keinen Humor und kein Herz besitzt.“

„Das hast du schön gesagt.“

„Wie siehst du denn aus? Beschreib dich mal!“

„Ich bin 1,80 m groß, dunkle, kurze Haare, braune Augen und trage eine Brille, aber nur zum Lesen. Da ich recht groß bin, fallen meine paar Kilos, die ich mehr auf die Waage bringe, gar nicht so auf. Aber um ein bisschen besser in Form zu kommen, laufe ich dreimal die Woche für eine halbe Stunde im Park. Darf ich dich auch fragen, wie du aussiehst?“

„Ähm, ich bin 1,70 m groß, dunkelblondes Haar, habe auch braune Augen und einen sehr blassen Teint. Außerdem habe ich lauter Sommersprossen im Gesicht, die ich bewusst immer mit Puder abdecke.“

„Oh, wieso? Das ist doch etwas Besonderes. Ich habe dich gerade bildlich vor Augen und finde, dass Sommersprossen niedlich an dir aussehen.“

„Flirtest du gerade mit mir?“

„Ähm, ich …, ich weiß nicht. Vielleicht …, vielleicht ein bisschen. Ich wollte dir bloß ein Kompliment machen. Jetzt fang ich auch noch an zu stammeln. Wirklich sehr geschickt von mir.

---ENDE DER LESEPROBE---