So war das alte Wien - Erich Körner-Lakatos - E-Book

So war das alte Wien E-Book

Erich Körner-Lakatos

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Beschreibung

Auch noch mehr als hundert Jahre nach dem Ende der Donaumonarchie ist "das alte Wien" der Sehnsuchtsort vieler nicht nur österreichischer Seelen. Neben touristisch nachgefragten Eigenheiten, wie dem Schmäh und einem gewissen "morbiden" Charme, hält das überreiche kulturelle Erbe der ehemaligen k. k. Reichshaupt- und Residenzstadt noch ungezählte pikante Kuriositäten bereit, die heute weitgehend vergessen sind. Im vorliegenden Buch werden diese Momentaufnahmen vergangener Zeiten von einem ausgewiesenen Kenner der Alt-Wiener Frühgeschichte, der Nebengassen- und Unterweltsgeschichte(n) neu erhellt: Die Etappen seines Spaziergangs auf den Spuren alter Glorie sind das echte Wienerisch, der liebenswerte Grobian im Reichsrat Hermann Bielohlawek, die Vorgeschichte des heutigen Gemeindebezirks Meidling, der Liedermacher Leo Parthé, die landesweit berühmt-berüchtigte Zuhälterin "Wilde Wanda" Kuchwalek, der typische Heurige, das öffentliche "Tröpferlbad", Wiener Frühstückssitten, der Volkssänger Wilhelm Wiesberg, das Grätzl "Kreta" in Wien-Favoriten, der untergegangene Stand der Buttenweiber, blutige Tierhetzen, der einstmalige Vorort Weinhaus, die Institutionen der Dienstleute, Hausierer und Hausmeister, die listig eingehobene Verzehrsteuer, das Zahlungsmittel Goldkrone, das legendäre Restaurant "Meißl & Schadn", Schauspieler und Sänger Heinz Conrads, das traditionelle Gabelfrühstück, der Wiener Alltag im Jahr 1913, der tschechische Einfluss auf die städtische Sozialdemokratie, morbide Wiener Straßennamen, die Verfilmungen des "Hofrat Geiger", das klassische Wiener Zinshaus und die Wachablösung vor der Hofburg. Mit einem Vorwort von Andreas Mölzer, Herausgeber der "Zur Zeit"!

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Seitenzahl: 146

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Erich Körner-Lakatos

So war dasALTE WIEN

Geschichtenüber vergangene Tage

Leopold Stocker Verlag

V. F. SAMMLER

Umschlaggestaltung: DSR – Digitalstudio Rypka, 8143 Dobl

Umschlagabb. Vorderseite: Wasserer. – Bild von Fritz Schönpflug.

Umschlagabb. Rückseite: © privat

Wir haben uns bemüht, bei den hier verwendeten Bildern die Rechteinhaber ausfindig zu machen. Falls es dessen ungeachtet Bildrechte geben sollte, die wir nicht recherchieren konnten, bitten wir um Nachricht an den Verlag. Berechtigte Ansprüche werden im Rahmen der üblichen Vereinbarungen abgegolten.

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter https://www.dnb.de abrufbar.

Hinweis: Dieses Buch wurde auf chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt. Die zum Schutz vor Verschmutzung verwendete Einschweißfolie ist aus Polyethylen chlor- und schwefelfrei hergestellt. Diese umweltfreundliche Folie verhält sich grundwasserneutral, ist voll recyclingfähig und verbrennt in Müllverbrennungsanlagen völlig ungiftig.

V. F. Sammler

Hofgasse 5 / Postfach 438

A-8011 Graz

Tel.: +43 (0)316/82 16 36

Fax: +43 (0)316/83 56 12

E-Mail: [email protected]

www.stocker-verlag.com

ISBN 978-3-85365-336-4

eISBN 978-3-85365-343-2

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger jeder Art, auszugsweisen Nachdruck oder Einspeicherung und Rückgewinnung in Datenverarbeitungsanlagen aller Art, sind vorbehalten.

© Copyright by V. F. SAMMLER, Graz 2022

Layout: Ecotext-Verlag Mag. G. Schneeweiß-Arnoldstein

Inhalt

Vorwort

Sagen wir’s doch auf Wienerisch!

Waun i a Büachl siech …

Separatismus in Alt-Meidling

Das Ausnahmetalent Leo Parthé

Die Wilde Wanda

Das muß ein Stück vom Himmel sein: Wien und der Wein

Zweimal pro Woche ins Tröpferlbad

Frühstücks-Knigge

Heute vergessen: Wilhelm Wiesberg

Arm, aber gemütlich: Die Kreta in Favoriten

Herr Beetz verdrängt Wiens Buttenweiber

Die k. k. privilegirte Thier-Hetze zu Wien

Die Idylle Weinhaus

Hallo Dienstmann

Glück und Ende der Hausierer

Die Verzehrsteuer in Wien

Goldkrone und Sperrsechserl

Das Restaurant „Meißl & Schadn“ im Herzen von Wien

Servas die Buam …

Das Gabelfrühstück in Alt-Wien

Wien 1913

Wiens rote Tschechen

Sonderbare Wiener Straßennamen

Der „Hofrat Geiger“

Das alte Haus – eine Liebeserklärung

Zu Kaisers Zeiten: die Burgmusik

Unser braver Hausmeister ist nicht mehr

Vorwort

von Andreas Mölzer

Wenn Erich Körner-Lakatos zur Feder greift, dann stets, um Kurioses, um Abseitiges und weitgehend Unbekanntes zu beschreiben. Als Mitarbeiter und Redaktionsbeirat der konservativen Wochenzeitschrift „ZurZeit“ tut er dies seit etwa zwei Jahrzehnten, und als Buchautor immerhin stolze neun Male. Aus seiner Feder erfahren wir von historischen Episoden, von Ereignissen und Persönlichkeiten, über die es sonst kaum etwas zu lesen gibt. Er, der christkonservative Wiener mit ungarischen Wurzeln, schafft dies ohne jeglichen Anglizismus und natürlich – konservative Gesinnung verpflichtet – mittels der althergebrachten deutschen Rechtschreibung. Ganz ohne Schnickschnack, ohne Gendern und andere zeitgeistige Perversitäten.

Zwar ist ihm als bekennendem Angehörigen der ungarischen Minderheit magyarisches Schicksal und magyarisches Leben von großer Bedeutung, weswegen er auch zwei Werke über Nikolaus von Horthy geschrieben hat. Diesmal aber ist es das alte Wien, das ihm zum Thema wird. Und da kann dann der Provinzial-Österreicher – Provinzler, wie eben der Autor dieser Zeilen – nur staunen. Was es da an sprachlichen Blüten des Wienerischen gibt, welche schrulligen Charaktere da umtriebig waren und wie das Wiener Lebensgefühl von einst aussah, ist schon wirklich faszinierend. Und bei der Schilderung all dessen erweist sich auch die Meisterschaft von Erich Körner-Lakatos. Mit liebevoller Anteilnahme, aber auch mit hintersinnigem Humor weiß er all dies zu beschreiben. Und er eröffnet dem Nichtwiener, also dem besagten Provinzial-Austriaken, eine völlig neue Sichtweise auf die einstige kaiserliche Haupt- und Residenzstadt, unsere heutige Bundeshauptstadt.

Manches provinzielle Vorurteil gegen „die Weaner“ wird solcherart durch die Lektüre von Erich Körner-Lakatos’ Buch relativiert. Dieses alte Wien war nämlich eine bunte, eine liebenswerte und, vor allem, eine kuriose Welt. Diese Welt vor dem Vergessen zu bewahren, ist das Verdienst von Erich Körner-Lakatos. Und es ist ein Verdienst des Leopold Stocker Verlags, Autoren wie Erich Körner-Lakatos und Themen wie eben den Geschichten aus dem alten Wien eine Plattform zu bieten. Selbstverständlich ist dies in der Welt von „Cancel Culture“ und „Wokeness“ längst nicht mehr. Was wir also in Händen haben, ist ein vergnügliches, ein absonderliches und ein absolut lesenswertes Buch. Ein Werk, wie es für Erich Körner-Lakatos wohl typisch ist.

Sagen wir’s doch auf Wienerisch!

Dialektpflege als Beitrag gegen die Globalisierung

Im 18. und 19. Jahrhundert ergoß sich eine Sturzflut französischer Wörter in den deutschen Sprachraum. Viele der damaligen Zeitgenossen empfanden es als schick, sich à la mode française auszudrücken. Die Morgentoilette fand vor Lavoir und Etagère statt, untertags war man im Bureau, danach war Zeit für ein Rendezvous.

Heutzutage plagen uns Worthülsen und Anglizismen. Deswegen täte eine Rückbesinnung auf das Wienerische gut. Ich meine damit weder ein gekünsteltes, nasales Schönbrunner Deutsch noch den Jargon der Gosse oder gar das Rotwelsch verschiedener Kreise der Unterwelt. Nein, vielmehr ist hier die Rede vom gepflegten Dialekt des bodenständigen Kleinbürgertums unserer Stadt.

Hier ein paar Beispiele, wie sich Wiens einfache Leut’ in traditioneller Mundart ausdrücken:

Zur Genüge bekannt sind jene, die sich in der Hängematte räkeln und den Herrgott einen guten Mann sein lassen. Angeblich suchen sie seit Jahr und Tag Arbeit – nur finden sie leider keine. Die Hohepriester des Proletkults strapazieren dafür alleweil die gestelzte Worthülse vom sozial Schwachen, obwohl die althergebrachten Begriffe Strawanzer und Tachinierer viel treffender sind.

Streng davon zu unterscheiden ist das Armutschkerl, das sich hint’ und vorn betakeln läßt. Noch schlechter dran ist einer, der kracht wie eine alte Kaisersemmel, also keinen luckerten Heller im Sack hat, mit einem Wort: stier ist. Er heißt im Volksmund schlicht Negerant. Die Ähnlichkeit zur Bezeichnung für autochthone Bewohner des schwarzen Kontinents ist laut Auffassung renommierter Sprachforscher rein zufällig. Was freilich nicht ausschließt, daß bei uns lebende Afroeuropäer auch zum Kreis der Negeranten zählen können.

Außenseiter erhalten heute das Prädikat verhaltensoriginell. Soziologen sprechen von Devianz und machen dafür, no na, die böse Gesellschaft verantwortlich. Die Umgangssprache nennt derartige Individuen Beißer (das ist ein Grobian, der überall Bahöö macht), Nebochant – ein Unsympathler, welcher sich über alles aufpudelt – oder Häfenbruada. Falls es sich um einen dålkerten Buam handelt, der sich in der Rolle des Klassenkasperls gefällt und immer Faxn macht, dann hilft oft eine Haustetschn viel eher als die Beiziehung des Schulpsychologen. Ein paar Fotzen heilen mitunter auch diejenigen halbstarken Graffiti-Künstler, die aus Langeweile Hauswände beschmieren.

Personen, denen besorgte Ärzte attestieren, alkoholkrank zu sein, sind für den gestandenen Wiener schlichte Bsuf oder Trankler. Übrigens führen unsere guten Mediziner in letzter Zeit die histrionische Persönlichkeit im Mund, anstatt der Patientin einfach zu sagen, sie sei eine Bißgurn. Die aktuelle Schönfärberei – Sie wissen ja: aus der Putzfrau wird die Lurch-Designerin, der lästige Zeitschriftenvertreter klopft nunmehr als Key Account Manager an die Tür – macht auch vor dem ältesten Gewerbe der Welt nicht halt. So treten die seinerzeitigen Grammeln und Strichmentscher neuerdings als Sexarbeiterinnen in Erscheinung und sind gemäß der herrschenden Gutmenschendoktrin gehörig zu bemitleiden, haben sie doch ihr G’frett mit dem Strizzi, auch Peitscherlbua genannt. Letzterer freut sich oft über das neudeutsche Kompliment, er sei ein Latin Lover. Also ein Feschak.

„Trankler“ ist die Wiener Bezeichnung für Freunde alkoholischer Getränke. Das Bild zeigt die Schank des „Esterhazy-Kellers“ im Jahr 1901: Den Wein trank man aus Seideln, Sitzgelegenheiten gab es keine.

Von Waren, auf denen der Händler sitzenbleibt, heißt es, die Artikel hätten eine schlechte Performance. Viel farbiger wird der Sachverhalt, wenn man einfach sagt, es herrsche kein großes Griß um das Kramuri; wobei letzteres durch Glumpert oder Grafflwerk ersetzbar ist.

Immer dann, wenn der Wiener als geborener Phäake in ein Beisel respektive Quetschn einkehrt, um seiner Lieblingsbeschäftigung zu frönen, sollte er bei der Zeche keine Spompernadeln machen und ein ordentliches Trinkgeld auf den Tisch legen. Selbiges heißt Maut oder Schmattes und bewegt sich überhaps bei zehn Prozent der Rechnung. Hin und wieder auch darüber, wenn der Kellner es versteht, dem Gast ’s Goderl zu kråtzen. Zum Beispiel durch Verleihung eines Titels. Bekanntlich kann man ja in Wien außer an der Universität auch am Standesamt und im Kaffeehaus promovieren.

Quod erat demonstrandum: Der bodenständige Dialekt der Kaiserstadt findet in jeder Lebenslage den richtigen Ton.

Waun i a Büachl siech …

Das Original Hermann Bielohlawek

Im milden Abendrot der Habsburgermonarchie geriert sich ein Mann als verbaler Wüterich, sozusagen als Franz Josef Strauß seiner Zeit. Die rhetorische Stalinorgel schreibt sich Hermann Bielohlawek, er wird am 2. August 1861 in Wien geboren. Trotz seines allseits als ungehobelt bewerteten Betragens kann man ihm eine gewisse Sympathie nicht versagen.

Ursprünglich sollte der junge Hermann Schlosser werden, er widmet sich aber dem Handel und dessen Standesvertretung – ab 1889 bekleidet er das Amt eines Vizepräsidenten des Vereins der Handelsangestellten – und der Politik. Er gilt als guter Versammlungsredner, außerdem leitet der Vielbeschäftigte – ein Vorbild für Christian Konrad? – das „Wiener Kaufmännische Blatt“ sowie die „Österreichische Volkspresse“. Bielohlawek sitzt zudem einer Organisation vor, die sich „Christlicher Hausbesorgerverein“ nennt und vehement gegen die schier unglaubliche Idee ankämpft, jedem Mieter einen eigenen Haustorschlüssel zu geben. Das gehe schon deswegen nicht an, so die christlichen Portiere, weil dies den Hausbesorger um das „Sperrsechserl“ bringen würde, jene Gebühr, die jeder nach Einbruch der Dunkelheit Heimkehrende zu entrichten hat. Bielohlawek ist auch Sekretär der „Kaiser Franz Josephs-Stiftung für das Gewerbe“, leitet zeitweilig die „Landeshumanitätsanstalten“. Unter diesem epitheton ornans versteht man damals Klapsmühlen, Fürsorgeanstalten für Kinder sowie Einrichtungen der Säuglingspflege.

Bielohlawek zählt zu den im katholischen Milieu fest verankerten volkstümlichen Wiener Stammtischpolitikern, mit denen Karl Lueger ab 1893 seine Christlichsoziale Partei aufbaut. Bielohlawek ist von 1900 bis 1918 Mitglied des Wiener Gemeinderates, 1901 bis 1905 sogar Stadtrat, vom 17. Juni 1907 bis zum 20. März 1911 sitzt er darüber hinaus im Abgeordnetenhaus des Reichsrates Cisleithaniens, also der „im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder“.

Dem politischen Gegner gilt Bielohlawek als dummer August, wozu dessen nicht immer ganz korrekt wiedergegebene Aussprüche beitragen. So bezeichnet Bielohlawek den russischen Dichterfürsten Leo Tolstoi im Reichsrat als alten Deppen. Literatur ist für ihn das, was ein Jud’ vom andern abschreibt.

Karl Kraus nennt ihn zwar auch einen Hanswurst, hegt aber doch Sympathien für den Provokateur. Kraus kann ja auch so gut spotten, etwa: Wenn die Sonne der Kultur niedrig steht, dann werfen auch Zwerge lange Schatten, oder als geradezu vernichtendes Diktum: In diesem Land findet man den Quell der Erkenntnis mitnichten in den Schreibstuben der Gelehrten. Um Hochgeistiges vorzufinden, muß sich der Wissensdurstige schon zum Branntweiner bemühen.

Als sich die „Arbeiter-Zeitung“ über Bielohlawek lustig macht, schlägt Kraus zurück: „Wenn ihm die ‚Arbeiter-Zeitung‘ rednerischen Unsinn zuschiebt, so beweist der Getroffene durch seine Abwehr, daß er dem Fassungsvermögen der Volkskreise näher ist als eine Redaktion, die mit ironischen Glossen regaliert“, schreibt Sozi-Gegner Kraus in seiner „Fackel“.

Bekannt ist auch Bielohlaweks oftmaliges Diktum Waun i a Büachl siech, dann hob i scho’ g’fressn.

So spielt sich im Abgeordnetenhaus des Reichrates folgende Szene ab: Der Abgeordnete Leo Verkauf führt aus: Lesen Sie ein sehr interessantes Buch von Professor Rauchberg. (Abgeordneter Bielohlawek: Schon wieder ein Buch – da habe ich schon gefressen!) – Lebhafte Heiterkeit. – Ironischer Beifall und Händeklatschen. – (Bielohlawek: Erzählen Sie uns einmal, was Sie selbst wissen!) – Lebhaftes, anhaltendes Gelächter und Unruhe. – (Bielohlawek: Diese dummen Theorien werde ich lesen! Ich bin ein praktischer Mann!) – Schauen Sie, Herr Collega … (Bielohlawek: Lesen kann ja jeder! Aber Sie können nur lesen, sonst gar nichts! Erzählen Sie einmal, was Sie selbst wissen, nicht immer, was Sie gelesen haben!) – Lebhafte Rufe: Ruhe! – Rufe bei den Socialdemokraten: Austoben lassen! – Schauen Sie, Herr College Bielohlawek, ich kann wahrhaftig nichts dafür, daß Sie eine solche Scheu vor Büchern haben. (Lebhafte Heiterkeit bei den Parteigenossen.) … Ich halte mich nicht für vollkommen und habe das Bedürfnis, etwas zu lernen; auch habe ich mich noch nicht zu jener Höhe emporgeschwungen, zu glauben, daß ich nichts von anderen zu lernen brauche. (Bielohlawek: Damit ist nichts gesagt! Schauen Sie sich’s in der Praxis an! Die Bücher schreibt ein Jud’ vom anderen ab!) – Abgeordneter Berner: Das ist das enfant terrible der christsocialen Partei!

WikiMedia Commons (gemeinfrei)

Der bärbeißige Reichsratsabgeordnete Karl Bielohlawek erlangte mit seiner Direktheit die Sympathie u.a. von Karl Kraus.

Mark Twain (dessen unvergessenes Diktum lautet bekanntlich Die Nachrichten über meinen Tod sind stark übertrieben), der sich von 1897 bis 1899 in Wien aufhält, schildert in seinem Bericht „Stirring Times in Austria“ („Aufregende Zeiten in Österreich“) eine Reichsratsdebatte, in der Bielohlawek (von Twain fälschlicherweise als Vielohlawek bezeichnet) unermüdlich als Störenfried und Sprücheklopfer auftritt.

Doch das Schicksal meint es nicht gut mit dem bodenständigen Urvieh – er geht schon mit 57 Lenzen ab. Die von vielen klugen Köpfen seit geraumer Zeit totgesagte Doppelmonarchie erweist sich als um ein Alzerl zählebiger als Bielohlawek, der am 30. Juni 1918 das Zeitliche segnet: Das Kaisertum überlebt dieses Wiener Original um vier ganze Monate.

Separatismus in Alt-Meidling

Ober-Meidling, Gaudenzdorf und Wilhelmsdorf werden eigenständig

Markgraf Leopold III., der Heilige, schenkt um 1135 den Klosterneuburger Augustiner-Chorherren einen Landstrich bei Wien, für den sich im 18. Jahrhundert die Bezeichnung Meidling durchsetzt.

1806 spaltet sich ein Teil mit der Bezeichnung Ober-Meidling (weil weiter oben am Wienfluß gelegen) von der Muttergemeinde ab, die notgedrungen ab dann als Unter-Meidling (1182 Seelen im Jahre 1820) figuriert, der allerdings das historische Zentrum – gelegen an der Meidlinger Hauptstraße zwischen Lobkowitzbrücke und Tivoligasse – verbleibt. Das noble Ober-Meidling mit seinen 650 Einwohnern (Stand 1820) besteht aus einer Häuserzeile am Anger an der Wien und aus Villen am Grünen Berg. Es wird vom Wienfluß, der Grünbergstraße, der Tivoligasse und der Rotenmühlgasse begrenzt. Das Gemeindehaus Ober-Meidlings befindet sich in der Bischoffgasse 11.

Ober-Meidling wird schnell durch das Vergnügungslokal „Tivoli“ bekannt, das am 5. September 1830 seinen Betrieb aufnimmt. Die Eröffnung zeichnet Kaiser Franz durch seine persönliche Anwesenheit aus. Die Attraktion schlechthin ist eine Terrasse, von der die meist adeligen Gäste den Blick auf Wien genießen. In einem Pavillon spielt Johann Strauß Vater mit seinem Orchester auf, später auch der Sohn. Als Belustigung dient eine Rutschbahn, die freilich bald abgerissen wird und einer Jausenstation weicht. Jahrzehnte später entsteht in der Nähe des „Tivoli“ der Meidlinger Prater mit ein paar Ringelspielen. Das immerhin bis 1967 existierende „Tivoli“ hat seinen Namen von einer kleinen Stadt bei Rom.

Am 24. Jänner 1819 muß Unter-Meidling den nächsten Schlag einstecken. Ein am linken Ufer des Wienflusses gelegenes winziges Gebiet von 0,34 km2 verabschiedet sich und macht sich selbständig, die Bewilligung dazu gibt der Propst des Stiftes Klosterneuburg, Gaudentius (Gaudenz) von Dunkler. Die neue Ortschaft zeigt sich dankbar und nennt sich Gaudenzdorf. Sie entwickelt sich schnell (1831 1642 Einwohner, 1890 sind es bereits 12.455), überflügelt einwohnermäßig zeitweise Unter-Meidling.

1892 entsteht Meidling als XXII. Wiener Gemeindebezirk, indem fünf Vororte zusammengelegt und eingemeindet werden. Im Bild eine Garnitur der Meidlinger Straßenbahn (um 1900).

Dies vor allem durch das 1836 eröffnete Brauhaus des Joseph Gierster zwischen Schönbrunner Straße und Arndtstraße. Der Ausstoß ist gewaltig, so um die 30 Hektoliter im Jahr. Bei schönem Wetter strömen die Bewohner der westlichen Vorstädte in den weitläufigen Gastgarten. Da Gaudenzdorf knapp außerhalb des Linienwalls liegt, wird auf das Bier keine Verzehrsteuer eingehoben, daher kostet die Maß, das sind dazumal 1,3 Liter, drei Kreuzer. Dazu ein Kalbsbraten um acht Kreuzer, und der Wiener ist voll zufrieden. An Sonn- und Feiertagen sorgt ein kleines Brautheater für die Belustigung der Gäste. Wer also einen Silberzwanziger in der Tasche hat, kann im Braugarten einen gar fröhlichen Nachmittag verbringen.

Gierster wird alsbald zur beliebten und einflußreichen Persönlichkeit der noch jungen Gemeinde, für deren Prosperität er sich entscheidend engagiert: Errichtung einer Feuerwehr, sechs Mann hoch, mit zwei Spritzen und ebenso vielen Wasserwägen; Finanzierung eines kleinen Choleraspitals. Gierster ist berechtigt, den Titel k. k. Hofbrauer zu führen. Als 1850 die Gemeinden ihre Vertreter selbst wählen dürfen, wird Gierster – nicht mehr als eine Formsache – erster Bürgermeister von Gaudenzdorf. Der Mäzen übt das Amt bis 1861 aus. Unter ihm wird das Gaudenzdorfer Gaswerk als größter Betrieb der Gemeinde gegründet (1855).

Kommen wir nun zu einem Gebiet, das durch die heutigen Straßenzüge Wilhelmstraße, Aßmayergasse, Dörfelstraße, Murlingengasse und Eichenstraße begrenzt ist. Dort befinden sich Ziegelwerke, in deren Nähe erstmals um 1770 einige Häuser an der Wilhelmstraße entstehen. Eigentümer der Ziegelöfen ist ein gewisser Ignaz Leidesdorffer Ritter von Neuwall, nach ihm benennt man bis 1938 die heutige Karl Löwe-Gasse. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nimmt die Besiedlung zu, 1830 sind es 26 Häuser und man spricht nun vom Dörfel. Hier wohnen vor allem die Aufseher der Ziegeleien.

In den 1840er Jahren glauben sich die Bewohner zahlreich genug, um eine eigene Gemeinde bilden zu können. Die Grundherrschaft, das Stift Klosterneuburg, gibt dazu ihr Einverständnis, und am 6. Juli 1846 trennt man sich von Unter-Meidling, das nunmehr auf eine Fläche von 2,56 km2 schmilzt. Die ins Leben gerufene Ortschaft nennt sich nach dem Stiftspropst Wilhelm Sedlaczek Wilhelmsdorf.