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Manchmal kann ein einziger Song dein Leben zerstören …
Presley Wren ist eine der erfolgreichsten Pop-Sängerinnen, die Amerika zu bieten hat. Bis ein Shitstorm ihrer skandalträchtigen Karriere ein Ende setzt und sich das Label von ihr trennt. Presley ist gewillt, alles für ein großes Comeback zu tun – sie ist sogar bereit, sich auf eine Publicity-Beziehung mit dem gefeierten Football-Star Kane Crawford einzulassen, wie es ihr neuer Produzent von ihr verlangt. Doch der Musik-Mogul stellt noch weitaus härtere Bedingungen. Und Presley muss sich bald fragen, ob sie wirklich bereit ist, den hohen Preis für Ruhm zu bezahlen …
Mit Playlist im Buch!
Große Gefühle treffen auf dunkle Geheimnisse – für alle Fans der Tropes Good Guy x Bad Girl, He-Falls-First und Opposites Attract!
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Seitenzahl: 521
Veröffentlichungsjahr: 2025
Presley Wren ist eine der erfolgreichsten Popsängerinnen, die Amerika zu bieten hat. Bis ein Shitstorm ihrer skandalträchtigen Karriere ein Ende setzt und sich das Label von ihr trennt. Presley ist gewillt, alles für ein großes Comeback zu tun – sie ist sogar bereit, sich auf eine Publicity-Beziehung mit dem gefeierten Footballstar Kane Crawford einzulassen, wie es ihr neuer Produzent von ihr verlangt. Doch der Musikmogul stellt noch weitaus härtere Bedingungen. Und Presley muss sich bald fragen, ob sie wirklich bereit ist, den hohen Preis für Ruhm zu bezahlen …
Maren Vivien Haase wurde 1992 in Freiburg im Breisgau geboren und absolvierte dort ihr Germanistikstudium. Schon als Kind stand für sie fest, dass sie all die Geschichten zu Papier bringen muss, die ihr im Kopf herumspuken. Sport wie auch das Hip-Hop-Tanzen gehören genauso zu ihr wie stundenlange Serien- und Filme-Abende. Ihre New-Adult-Romane eroberten auf Anhieb die Spitzenplätze der SPIEGEL-Bestsellerliste – die Belladaire Academy of Athletes-Trilogie sogar Rang 1 – und begeisterten zahlreiche Leser*innen. Auf Instagram nimmt die Autorin ihre über 50 000 Follower*innen täglich mit hinter die Kulissen ihres Schreiballtags.
Weitere Informationen unter: www.marenvivienhaase.de/
Dance into my World · Step into my Heart · Fly into my Soul · Sounds of Silence · Lights of Darkness · Belladaire Academy of Athletes – Liars · Belladaire Academy of Athletes – Rivals · Belladaire Academy of Athletes – Misfits · Songs for the Beautiful
MAREN VIVIEN HAASE
Rise-and-Fall-Duett Band 2
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Originalausgabe 2025 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München
(Vorstehende Angaben sind zugleich Pflichtinformationen nach GPSR)
Copyright © 2025 by Maren Vivien Haase
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Langenbuch & Weiß Literaturagentur.
Redaktion: Isabelle Toppe
Umschlaggestaltung: Anke Koopmann | Designomicon in Anlehnung an einen Entwurf von Sandra Taufer
Umschlagmotive: Shutterstock.com (Texture background wall; Miloje; Zakharchuk)
Illustrationen: Adobe Stock/Illustratoren jeksonjs, Mykola Mazuryk
DK · Herstellung: DiMo
Satz: satz-bau Leingärtner, Nabburg
ISBN 978-3-641-31826-0V001
www.blanvalet.de
Liebe Leser*innen,dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte. Deshalb findet sich auf S. 413 eine Triggerwarnung.
Achtung: Diese Warnung enthält Spoiler für das gesamte Buch. Wir wünschen allen das bestmögliche Leseerlebnis. Maren Vivien Haase und der Blanvalet Verlag
Für alle, die noch den Mut suchen, ihre eigene Geschichte zu erzählen
The Prophecy – Taylor Swift
Lucky – Halsey
Nobody’s Home – Avril Lavigne
The Albatross – Taylor Swift
Risk – Gracie Abrams
Getaway Car – Taylor Swift
Malibu – Miley Cyrus
Your Power – Billie Eilish
Close To You – Gracie Abrams
Keep Holding On – Avril Lavigne
Call It What You Want – Taylor Swift
Nothing We Can’t Handle – Emeli Sandé
Would’ve, Could’ve, Should’ve – Taylor Swift
everything i wanted – Billie Eilish
shelter – Tori Kelly
Praying – Kesha
Innocence – Avril Lavigne
Say Don’t Go (Taylor’s Version) (From The Vault) – Taylor Swift
Ice Cream Man. – RAYE
Come Clean – Hilary Duff
Who’s Afraid of Little Old Me? – Taylor Swift
Read All About It, Pt. III – Emeli Sandé
Clean (Taylor’s Version) – Taylor Swift
The Alchemy – Taylor Swift
Long Live (Taylor’s Version) – Taylor Swift
Next To Me – Emeli Sandé
Presley
Mein kurzes blausilbernes Paillettenkleid funkelte mit dem Glitzer-Make-up und dem Schmuck in meinem rosa Haar um die Wette, doch innerlich waren jeglicher Funke und das einstige Feuer schon lange erloschen. Noch vor einem Jahr hatte mich ein Auftritt wie der heutige vor einem Publikum von über 60 000 Menschen im Stadion und etlichen Hunderttausenden vor den Fernsehbildschirmen beflügelt. Mein Herz hatte schneller geschlagen. Meine Knie hatten gezittert, und das Adrenalin hatte meinen Körper in Beschlag genommen. Doch hier und jetzt fühlte ich nichts. Nichts außer einer endlosen Leere, von der ich glaubte, sie nie wieder mit etwas füllen zu können, selbst wenn ich es mir mehr wünschte als alles andere in meinem Leben.
Ich vermisste es.
Ich vermisste mich.
»Immer schön lächeln«, riss mich meine Assistentin Raquel aus meinen Gedanken und stieß mir leicht ihren Ellenbogen in die Seite. Ihre karamellfarbenen Wellen umrahmten lose ihre feinen Gesichtszüge.
»Noch sind wir nicht auf der Bühne«, murmelte ich, während wir durch die Katakomben des SoFi Stadium marschierten. Meine silbernen High Heels drückten, das Kleid saß zu eng und quetschte mir die Brüste bis unters Kinn. Am liebsten hätte ich es mir vom Körper gerissen, mich in meine Jogginghose und ein Shirt geschwungen und wäre in meinem Bett abgetaucht, wie ich es die letzten Monate getan hatte. Doch dieser Auftritt, das war mir bewusst, war viel zu wichtig, um ihn abzublasen. Ich musste mich jetzt zusammenreißen.
Meine Absätze klackerten über den glatten Boden des langen Flurs, als ich an Mitarbeitenden des Stadions vorbeilief, die sich hinter den Kulissen um alles kümmerten. Gehetzt steuerte eine junge Frau mit Headset durch den Gang und eine der Türen, die seitlich abgingen, während wir weiter den Spielertunnel ansteuerten, durch den eben schon die Jungs des Footballteams der Los Angeles Thunderstorms aufs Feld gesprintet waren.
»Achtung, Kameras.« Raquel warf mir einen mahnenden Blick zu, woraufhin ich mein breitestes Lächeln aufsetzte. »Sehr gut, Presley. Zeig ihnen, dass du zurück bist.« Ihre rehbraunen Augen strahlten.
Das hier sollte mein erster Auftritt nach langer Zeit sein. Ein Jahr lang hatte man mich musikalisch nicht mehr zu Gesicht bekommen. Ich hatte nur hinter den Mauern meines Eispalasts, in meiner Villa in den Hills, gesungen, nachdem jeden Tag neue Negativschlagzeilen über mich verbreitet worden waren, die teilweise stimmten, teilweise aber auch erstunken und erlogen waren, nur um meinen Namen aufs Neue in den Dreck zu ziehen.
Presley Wren kokst mit Frontmann der Cosmic Outlaws und landet nach Überdosis im Krankenhaus! – falsch. James hatte die Überdosis, nicht ich.
Pop-Prinzessin am Boden: Presley Wren wurde von den Vibrant Vortex Studios fallen gelassen – okay, das stimmte. Irgendwie.
Presley Wren eskaliert im Nachtclub und wird in Handschellen abgeführt – jap, das auch.
Sex-Tape geleakt: Presley Wren lässt Hüllen fallen – das war glatt gelogen. Obwohl es mich nicht gewundert hätte, wenn einer der Kerle tatsächlich etwas von uns aufgezeichnet hätte.
Diva Wren verprügelt Fotografen mit Mikrofonständer – und das stimmte definitiv nicht. Verfickte Presse.
Was jedoch niemand wusste, war, wie es in mir drin aussah. Dass nicht nur meine Karriere, sondern auch mein Innerstes in etliche Scherben zersprungen war. Es war nicht von heute auf morgen geschehen, sondern über Jahre hinweg. Immer wieder hatte diese Branche mit ihren Erwartungen und Bemerkungen, ihren Vorwürfen und unangebrachten Handlungen auf meine Fassade der Perfektion eingehämmert, bis sie kleine Risse bekommen und letztendlich vollkommen in sich zusammengefallen war. Ich hatte mir nicht mehr zu helfen gewusst, hatte ein Ventil gebraucht und mich nicht mehr unter Kontrolle gehabt. Eigentlich verwunderlich, dass ich überhaupt so lange durchgehalten hatte. Aber irgendwann hatte ich es nicht mehr geschafft, den Schmerz, die Verbitterung und die Frustration wie in den Anfangsjahren meiner Karriere zu unterdrücken. Und genau das war mir zum Verhängnis geworden.
Doch heute würde sich all das ändern. Bei dem Gedanken spürte ich, wie mir vor Nervosität ganz flau im Magen wurde. Ich hatte nur diese eine Chance, meine Karriere zu retten. Es musste einfach klappen.
Seit ein paar Wochen war ich bei einem neuen Plattenlabel unter Vertrag, nachdem mein letztes mich abgesägt und durch eine neue Sängerin, Suki Loveless, ersetzt hatte. Welch eine Ironie, dass Suki diese Arschlöcher durchschaut und ebenfalls das Label gewechselt hatte.
Tja, und da war ich nun. Bei einem Spiel der LA Thunderstorms in Inglewood, Kalifornien, kurz vor meinem längst überfälligen Comeback. Ich würde vor dem Kickoff die Nationalhymne singen. Ein Schauer lief mir über den Rücken, und ich hielt die Anspannung fast nicht mehr aus. Trotzdem achtete ich darauf, dass meine Mundwinkel weiterhin zu einem breiten Lächeln verzogen waren. Ich wollte allen zeigen, dass ich nicht unterzukriegen war. Dass ich immer noch Presley Wren war, eine der erfolgreichsten Sängerinnen der Staaten, bereit, mich wieder zurück an die Spitze der Musikindustrie zu kämpfen. Dieser Auftritt würde der erste Schritt meines Comebacks sein. Ich wollte mein Image aufpolieren, indem ich beim Singen der Hymne im Stadion mein Bestes gab und damit hoffentlich alle begeisterte. Mein neues Label hatte mir diesen Auftritt besorgt, da es eine Ehre war, hier singen zu dürfen, und ich wusste selbst, dass das meinem Ruf den gewünschten und dringend notwendigen Aufschwung geben würde. Wenn ich es nur nicht verbockte.
»Okay, ab hier bist du auf dich gestellt«, raunte mir Raquel zu und ließ mich in den Spielertunnel weitergehen.
»Alles klar, danke.« Ich zwinkerte ihr noch einmal zu und wandte mich dann vorn zu der Kamera, die mich gleich auf Schritt und Tritt aufs Feld verfolgen würde. Scheinwerfer und Licht von allen Seiten des Tunnels, während sich in mir Dunkelheit ausbreitete. Wo war meine Leidenschaft hin? Ich liebte es doch, zu singen und zu performen, die Menschen mitzureißen. Mein Herz hätte mir bis in den Hals schlagen, das Adrenalin durch meine Adern peitschen müssen, doch in meinem Inneren tat sich nichts.
Ich fühlte mich wie betäubt. Verloren.
Und das machte mich trauriger als jede zersplitterte Karriere.
Was war geschehen? Was zur Hölle war mit mir geschehen?
Ich war ausgebrannt. Völlig leer. Ich steckte in einem kreativen Loch, bekam nichts mehr zustande, auf das ich stolz war. Und zugleich hörte ich tagtäglich diese leise Stimme, die mir beharrlich zuflüsterte, dass ich endlich wieder einen Hit schreiben musste, weil sonst die nächste Newcomerin karrieretechnisch an mir vorbeiziehen würde. Dass ich mehr geben musste. Immer mehr und mehr. Dass der nächste Song mein bester zu sein hatte. Dass ich mich mit einem innovativen Album neu erfinden musste. So wie bisher schon alle anderen verdammten Male. So wie es von den Sängerinnen in der Branche erwartet wurde, um nur ansatzweise akzeptiert zu werden und mithalten zu können.
Von Weitem hörte ich das Jubeln und Pfeifen der Zuschauer und wildes Gestampfe in den Zuschauerrängen. Die Betonwände des Tunnels schienen regelrecht zu erzittern. Meine Mundwinkel hoben sich immer weiter, und ich strahlte mit den Scheinwerfern um die Wette, während ich von einem Bein aufs andere trat und tief durchatmete. Ein wenig Show gehörte immerhin dazu, wenn die Kamera auf mich gerichtet war.
»Herzlich willkommen, Presley Wren, Ladies und Gentlemen!«, schallte die Stimme des Kommentators zu mir herüber, und ich setzte mich im Tunnel in Bewegung. Showtime. Mit einem Grinsen zwinkerte ich in die Kamera, die von einem Kerl vor mir hergeführt wurde und mir den Weg ins Stadion wies.
Du musst alles geben. Mehr als das. Du musst ihnen zeigen, dass du immer noch die Alte bist. Dass du es wert bist, gehört zu werden. Dass du relevant bist.
Ich setzte einen Fuß vor den anderen und näherte mich dem Spielfeld. Schon sah ich all die Menschen im Publikum, wie sie dort das Blau und Silber der Thunderstorms oder die Farben des gegnerischen Teams, der Miami Vipers, trugen und wie wild klatschten. Sie jubelten zum Teil für mich, was meinen Kampfgeist nur noch mehr befeuert hätte, hätte ich ihn heute gespürt. Doch immer noch kam es mir so vor, als ob ich neben mir stünde und einer leeren Version von mir selbst zusähe. Ich verdrängte den Gedanken und konzentrierte mich darauf, nett zu lächeln, zu winken und meinen Job zu machen. Ich versuchte, jegliche Zweifel hinunterzuschlucken. Mit großen Schritten näherte ich mich dem Mikrofonständer, der sich in der Mitte des Feldes befand. Dahinter wartete die Band, die mich begleiten würde. Auf den riesigen Bildschirmen war mein Gesicht zu sehen. Das Lächeln reichte nicht im Ansatz bis zu meinen Augen, doch vermutlich fiel es niemandem auf. An den Seiten des Spielfelds konnte ich die beiden Teams ausmachen, die ihre Helme abgenommen hatten und darauf warteten, nach meinem Auftritt dem gegnerischen Team den Arsch aufzureißen.
Als ich vor den sechs Männern in dunkelblauen Uniformen und mit den Flaggen, die sie als Mitglieder des Militärs oder als Veteranen zu erkennen gaben, am Mikrofon zum Stehen kam, legte sich Stille über das Stadion. Kein Mucks war mehr zu hören, als ich tief durchatmete und wie ferngesteuert meine Lippen öffnete, um die Hymne anzustimmen. Gänsehaut breitete sich auf meinen Armen aus. Ich sang die erste Zeile und hörte meine Stimme durchs ganze Stadion hallen, hörte überall nur mich, während ich sah, wie die Menschen ihre Hand zur Brust führten und mir lauschten.
Ich liebte es, für sie zu singen. Musik war immer mein Safe Space gewesen.
Aber hier und jetzt kam es mir so vor, als ob ich nicht ich selbst wäre. Zwar sang ich um mein Leben, aber in die Musik einzutauchen, mich völlig in ihr zu verlieren, wie ich es früher immer gekonnt hatte, schaffte ich nicht. Ich versuchte es, versuchte, mich auf den Text zu konzentrieren, auf meine Stimme, und alles zu geben.
Und trotzdem war da nur diese Leere.
Ich wollte alles fühlen. Ich wollte diesen Moment in seiner Gänze schätzen und genießen, doch ich fühlte nichts. Ich merkte nur, wie sich ein Kloß in meiner Kehle aufbaute, weil ich einfach nichts empfand. Gar nichts. Und genau das brachte mich jeden Tag aufs Neue dazu, den Kampf gegen die Tränen und Verzweiflung zu verlieren.
Ich lauschte den Klängen der Band. Als ich mich wieder auf den Text konzentrierte, die nächste Zeile sang und hoffte, darin zu versinken und mich treiben zu lassen, hörte ich, wie … Fuck.
Meine Stimme brach. Nicht nur das, ich versemmelte auch die Töne. Einen nach dem andern.
Scheiße, Scheiße, Scheiße!
Hitze kroch mir den Hals hinauf, während ich in den Gesichtern der Zuschauenden beobachtete, wie ihre Skepsis wuchs. Meine Stimme fing sich zwar wieder, aber dafür übernahm jetzt ein wilder Gedankenstrudel meinen Kopf. Dieser Auftritt war unfassbar wichtig für mich, doch ich bekam es nicht hin, ordentlich zu singen. Das durfte einfach nicht wahr sein! Nicht einmal in diesem entscheidenden Moment bekam ich etwas zustande. Stattdessen versagte ich aufs Neue, und das vor Hunderttausenden Menschen und …
Moment.
Es war, als würde in meinem Kopf ein dunkler Vorhang fallen. Ich konnte mich an keine einzige Zeile mehr erinnern. Blackout.
Mein Herz klopfte wie verrückt. Panisch zuckte mein Blick von einem irritierten Gesicht zum nächsten. Meine Lippen öffneten und schlossen sich wie bei einem verdammten Karpfen, während die Band erneut ansetzte und das Stück wiederholte, um mir die Chance zu geben, neu einzusteigen.
Ich hatte keine Ahnung, was ich hier tat. Hatte keine Ahnung, wie ich das alles noch retten konnte. Ein Raunen ging durchs Publikum. Die Menschen wurden unruhig. Ich hatte sie alle enttäuscht. Dabei hatte ich doch alles geben wollen. Ich schluckte hart, umklammerte mit verkrampften Fingern das Mikrofon, während das Raunen immer lauter wurde und die ersten Buhrufe von den Zuschauertribünen erklangen.
Bitte nicht, bitte, bitte nicht.
Ich begann zu zittern, während mein Mund austrocknete. Selbst wenn ich wollte, hätte ich jetzt keinen Ton mehr herausgebracht. Stattdessen hörte ich nur lautes Buhen und Pfeifen. Die Bandmitglieder hatten innegehalten und sahen mich fragend an.
»Weg mit der!«
»Schaff die einer vom Platz!«
Das war alles, was ich hörte. Panisch blickte ich mich um und sah, wie mich Raquel mit vor Entsetzen geweiteten Augen vom Feld winkte.
So schnell ich konnte und den Blick starr auf sie gerichtet, hetzte ich davon, drehte mich nicht mehr um und sah nur noch aus dem Augenwinkel, wie die Flagge gehisst wurde.
Ich wollte nur weg von hier. Ich wollte, dass sich der Boden auftat und mich verschlang und sich niemand jemals an mich oder diesen Auftritt erinnerte. Ich hatte mich versungen, den Text vergessen und ein vollkommenes Blackout gehabt. Na großartig, besser konnte ein Comeback nicht starten.
Etwas Hartes traf mich an der Schulter. »Aua!«, entfuhr es mir. Ich sah zu Boden und entdeckte einen Plastikbecher. Er musste mich mit ziemlicher Wucht erwischt haben, denn der Schmerz strahlte bis in meine Finger aus. Der Becher stank nach Bier und ließ Übelkeit in mir aufsteigen. Ein weiterer Schmerz, der nicht von dem Wurfgeschoss kam, krallte sich in meinem Brustkorb fest und zerfetzte aufs Neue mein Herz, weil ich das Gefühl hatte, die größte Versagerin der Welt zu sein. Ich hatte mir so sehr gewünscht, endlich wieder überzeugen zu können, doch stattdessen hatte ich alles falsch gemacht, was ich nur hatte falsch machen können.
Mit klopfendem Herzen lief ich im Stechschritt übers Feld, vorbei am Schiedsrichter, der nur eine Braue nach oben zog, als ich seinen Blick auffing. Ich schluckte, wandte das Gesicht ab und verdrängte die Tränen, die mir hinter den Lidern brannten. Jetzt bloß nicht auch noch vor dem ausverkauften Stadion anfangen zu heulen. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie die Thunderstorms am Spielfeldrand standen und miteinander tuschelten. Ich hörte ihr Lachen, hörte, wie sie sich über mich lustig machten. Ich biss die Zähne aufeinander und schritt an zwei Typen vorbei, die mich nur verurteilend musterten und den Kopf schüttelten. Als ich zu ihnen aufsah, wandten sie den Blick ab.
Besser für sie.
Alle verurteilten mich, klare Sache. Ich schämte mich so sehr. So, so sehr, dass mir die Sicht vor Augen verschwamm und ich mit ganzer Kraft die Tränen wegblinzeln musste, um nicht vor laufenden Kameras vollständig zusammenzubrechen. Das durfte nicht passieren. Zu Hause, wenn ich allein war, ja. Aber nicht hier.
Als ich mich räusperte und der Spielertunnel bereits in greifbarer Nähe war, fing ich plötzlich einen Blick auf. Doch er unterschied sich von denen der anderen. Er war nicht urteilend oder höhnisch, sondern einfach nur ruhig. Ernst. Und vielleicht sogar mitfühlend?
Kane Crawford.
Quarterback der LA Thunderstorms und zugleich Amerikas heiß begehrtester Junggeselle. Sein Gesicht zierte die riesigen Banner vor dem Stadion ebenso wie die Titelseiten diverser Magazine.
Er stand etwas abseits des Teams am Spielfeldrand und zog aufmunternd einen Mundwinkel nach oben, als ob er mir signalisieren wollte, dass ich keine komplette Enttäuschung war. Seine großen grünen Augen leuchteten voller Wärme, während er in seinem Outfit mit den breiten Schultern und der Größe von knapp zwei Metern eine unfassbar gute Figur machte. Der leichte Bartschatten betonte seinen Kiefer. Ich erwiderte seinen Blick und antwortete mit einem angedeuteten Lächeln. Kane war anscheinend der Einzige, der mich nicht vollends als Loser abstempelte. Zumindest wirkte es so, aber vielleicht war es auch nur Mitleid. Ich holte noch einmal tief Luft und wandte mich dann in Richtung des Spielertunnels, aus dem ich vorhin gekommen war, um so schnell wie möglich wieder darin zu verschwinden.
Das hier war einer der schlimmsten Tage meines Lebens. Einer von vielen. Eiseskälte machte sich in mir breit, meine Hände zitterten, und ich spürte, wie aufs Neue etwas in mir in tausend spitze Scherben zerbrach.
Aber immerhin fühlte ich nun zur Abwechslung mal etwas.
Kane
Enttäuschtes Gemurmel machte in der Kabine die Runde, bis es von der tiefen Stimme unseres Coaches unterbrochen wurde. »Ich weiß, dass das heute nicht unser Tag war, Jungs, aber wir nehmen dieses Spiel als Grundlage für unser Training morgen, und dann werden wir das nächste gewinnen. Da bin ich mir ganz sicher«, ermutigte uns Coach Gomez in der Umkleide, nachdem unser Spiel nicht ganz so gelaufen war, wie wir es uns vorgenommen hatten. »Morgen ist ein neuer Tag. Wir haben noch genug Möglichkeiten, uns für die Play-offs zu qualifizieren, also ruht euch gut aus.« Er setzte sich seine dunkelblaue Kappe auf das schwarze Haar und klatschte ein paarmal in die Hände, während ein ernster Ausdruck auf seinem Gesicht lag. »Bis morgen!«
Ein zustimmendes Raunen ging durch den Raum. Das Team applaudierte ihm, doch es klang wenig überzeugt, dann schlugen wir alle miteinander ein.
Die kalte Dusche nach dem Spiel hatte ich definitiv gebraucht. Ich spürte jede Faser meines Körpers. Durch unsere Niederlage fühlten sich meine Glieder allerdings noch schwerer an als sonst nach einem Spiel.
Ich rückte den Kragen meines schwarzen Hemds zurecht, schob mir meine Tasche auf die Schulter und klopfte dann meinem besten Kumpel und Teamkollegen Hakeem Simmons auf den Rücken. »Mach’s gut, Simmons. Ich mach mich auf den Weg.«
Rasch zog er sich den Sweater über und fuhr sich über seine Cornrows, bevor er mit mir einschlug. »Alles klar. Sehen wir uns heute Abend drüben bei Steve?«
»Jap«, entgegnete ich und nickte. »Bis später.«
Da der Kickoff unseres Spiels um kurz nach eins gewesen war, lag noch der restliche Nachmittag vor mir, bevor ich heute Abend mit ein paar Jungs aus dem Team etwas unternehmen wollte. Auch wenn es keinen Grund zu feiern gab, ging ich gern aus und war unter Leuten, und im Zweifel war das immer eine gute Ablenkung vom verlorenen Spiel. Und die hatte ich heute dringend nötig.
»Bis dann.«
Ich wandte mich ab, verabschiedete mich noch kurz von den anderen, bevor ich hinaustrat und den Flur entlanglief. Meine Finger krallten sich um den Gurt meiner Trainingstasche. Ich fühlte mich mies. Mein schlechtes Gewissen, heute auf dem Feld eine schlechte Entscheidung getroffen zu haben, zerrte an mir. Als Quarterback trug ich in der Regel die Verantwortung für die Spielstrategie mit, und auch wenn ich meinen Job echt gut machte, sogar zu den Besten in der Liga gehörte, hatte ich heute einen Fehler begangen, der zu einem beschissenen Punkteverlust geführt hatte. Ein Moment der Unachtsamkeit, und das Blatt hatte sich für die gesamte Mannschaft zum Negativen gewendet. Am Ende hatte es uns den Sieg gekostet. Und auch wenn der Coach wegen der Playoffs noch zuversichtlich war, wuchs der Druck mit jedem Spiel. Frustriert knautschte ich den Gurt meiner Tasche noch mehr zusammen und schüttelte den Kopf, während ich durch die kühlweißen Katakomben des Stadions lief und an ein paar Equipment-Managern des gegnerischen Teams vorbeischritt, die mich verhalten angrinsten. Ich atmete tief ein und aus, versuchte, mich von all den negativen Gedanken zu lösen, die mich seit Spielende verfolgten, und konzentrierte mich auf das Positive, das ich in Aussicht hatte: ein entspannter Snack auf dem Sofa, bevor ich heute Abend noch mal loszog.
Mit einem Mal tönte von rechts ein leises Fluchen, gefolgt von einem Klirren, zu mir herüber. Ich zog die Brauen zusammen und sah prüfend in die Richtung, aus der die Geräusche gekommen waren. Eine Tür, die zu einer der Umkleiden führte, stand offen, und als ich ein Schniefen hörte, zog es mich wie magnetisch zur Schwelle, wo ich verharrte. Der Raum war leer, doch dann entdeckte ich weiter hinten bei den offenen Spinden eine Frau. Sie saß an die Sitzbank gelehnt auf dem grauen Teppichboden, hatte die tätowierten Arme um ihre aufgestellten Knie geschlungen und ließ den Kopf hängen, sodass ich ihr Gesicht nicht sehen konnte. Dennoch waren diese welligen rosafarbenen Haare, die ihr nicht mal bis zur Schulter reichten, und das blausilberne Paillettenkleid sowie die vielen Tattoos Indiz genug, dass es sich um Presley Wren handelte.
Mein Herz rutschte mir in die Hose, als ich an ihren Auftritt vorhin vor dem Kickoff dachte und daran, wie das Ganze vor den Augen der Zuschauer im ausverkauften Stadion aus dem Ruder gelaufen war. Das musste echt schrecklich für sie gewesen sein. Als sie vom Feld gelaufen war und sich für einen Herzschlag unsere Blicke getroffen hatten, hatte ich all die Scham und Enttäuschung erkannt, die in ihr tobten. Die anderen Jungs hatten teilweise echt bescheuert reagiert, und das Publikum hatte natürlich lautstark buhen müssen. Volltrottel. Dabei hatte sie eine der schönsten Stimmen auf diesem Planeten, gehörte zu den meistgefeierten Popsängerinnen der Staaten, wenn nicht sogar der Welt, und … Gut, sie hatte zu ihnen gehört. Denn in den letzten Monaten hatte Presley Wren wohl eher mit Skandalen und Negativschlagzeilen geglänzt als mit ihrem Talent. Die Klatschpresse war voll davon gewesen.
Ich stand immer noch im Türrahmen, als ihrer Kehle ein leises Wimmern entglitt und mich aus meinen Gedanken riss.
Fuck. Ich konnte keine Frau weinen sehen.
»Hey«, sagte ich leise und räusperte mich. Ich machte einen Schritt in den Raum hinein.
Sofort hob sie den Kopf und starrte mich aus ihren eisblauen Augen an, dann glitt ihr Blick zur offenen Tür und wieder zu mir, während sie hektisch die Tränen fortwischte. »Wow, na super …« Sie richtete sich etwas auf und schüttelte den Kopf, während Verwirrung über ihre Züge flatterte. »Ich dachte, Raquel hätte die Tür hinter sich geschlossen.«
»Sorry, ich wollte … ich wollte hier nicht so einfach reinplatzen und dich in Verlegenheit bringen«, entgegnete ich rasch und lehnte mich gegen die Wand, während ich sie weiterhin beobachtete. »Kann ich dir helfen?«
Ihre Augen waren glasig und gerötet, als sie zu mir aufsah. Wieder versetzte mir ihr Anblick, wie sie dort saß und es ihr gottserbärmlich ging, einen Stich ins Herz. Presley blinzelte jegliche Überreste von Traurigkeit fort und presste die Kiefer aufeinander, bevor sie mit den Schultern zuckte und den Blick abwandte. »Nein, nicht nötig. Mir geht’s gut.« Ihr Gesichtsausdruck war jetzt plötzlich verschlossen und kalt.
»Sieht nicht gerade so aus.« Ich nickte zu dem leeren Glas, das zusammen mit einer Flasche Bourbon auf dem Boden neben ihr stand. »Bisschen früh für die Happy Hour, meinst du nicht?«
»Es ist nie zu früh für die Happy Hour, wenn du dich gerade vor einem Millionenpublikum unsterblich blamiert hast«, sagte sie bitter.
»Ach, wart’s ab. Morgen sieht das alles schon ganz anders aus, und spätestens nächste Woche ist über die Sache Gras gewachsen«, versuchte ich, sie aufzumuntern, weil ich das Gefühl hatte, dass es ihr gerade ähnlich wie mir ging und sie sich für eine ziemliche Enttäuschung hielt. Während sie jede meiner Bewegungen beobachtete, schloss ich die Tür, denn ich bezweifelte, dass sie wollte, dass noch jemand sie so sah. Dann ging ich auf sie zu und ließ mich einige Meter von ihr entfernt auf die Bank vor den offenen Spinden sinken, meine Tasche stellte ich neben mir ab. »Mach dich nicht fertig.«
Sie schnaubte und zog die Brauen hoch. Skepsis und Wut spiegelten sich auf ihrer Miene. »Hast du noch mehr hilfreiche Sprüche parat? Ist ja alles schön und gut, aber leichter gesagt als getan, Süßer.«
»Niederlagen gehören zum Leben dazu. Man lernt daraus.«
»Glaub mir, das weiß ich gut genug. Und jetzt hör auf mit deinen tiefschürfenden Lebensweisheiten, okay?«
Ich nickte langsam. Ihr ganzes Leben hatte sich in der vergangenen Zeit vermutlich wie eine Niederlage für sie angefühlt. Shit, was war ich für ein Trottel. »Hey, schau mich an«, versuchte ich, sie abzulenken. »Wir haben gerade ein echt wichtiges Spiel verloren. Und teilweise auch wegen mir.«
Ihre Züge wurden ein wenig weicher. »Was ist passiert?«, fragte sie leise.
»Als Quarterback ist es meine Aufgabe, auf dem Feld mein Team zu koordinieren, und heute habe ich darin ziemlich versagt. Ich bin ein zu großes Risiko eingegangen und habe einen sehr riskanten Pass geworfen, der dann zu einem Turnover geführt hat, anstatt einen sicheren Spielzug zu wählen.«
»Dann hatten wir beide heute wohl nicht gerade den besten Tag unserer Karriere.«
»Noch ist der Tag nicht vorbei.« Ich zwinkerte ihr zu, lehnte mich nach vorn und legte die Unterarme auf meinen Schenkeln ab, ohne den Blick von ihr zu nehmen. Natürlich kannte ich sie aus ihren Musikvideos und ihren Werbekampagnen und hatte etliche Fotos von ihr online und in Zeitschriften gesehen. Doch das hier war das erste Mal, dass ich mich mit ihr unterhielt oder mich auch nur im gleichen Raum mit ihr befand. Ich hatte großen Respekt davor, was sie im Laufe ihrer Karriere alles erreicht hatte, und hin und wieder spielte ich auch mal einen Song von ihr ab, auch wenn ich normalerweise eher Hip-Hop hörte und meine Playlists daher nicht unbedingt mit Popmusik gefüllt waren. Die Leute aus dem Showbusiness hatten zudem ihre eigenen Veranstaltungen, wir Sportler unsere, und nur selten kollidierten unsere Welten. Schade irgendwie, denn ich konnte nicht bestreiten, dass sie nicht nur eine umwerfende Stimme hatte, sondern auch wunderschön war. Die dunklen Brauen bildeten einen perfekten Kontrast zu ihrer hellen Haut und dem rosafarbenen Bob, der ihre eisblauen Augen hervorhob. Ihre Nase war klein und spitz. Sie hatte kein perfektes Gesicht, durch ihr Make-up schimmerten ein paar Unreinheiten hindurch, und ihre Oberlippe war etwas schmaler als die Unterlippe. Wie ich hier neben ihr saß und sie betrachtete, wurde mir bewusst, dass sie hinter der ganzen Showbusiness-Maske einfach nur ein ganz normaler Mensch war. Ich hatte immer angenommen, dass sie es auf all die Skandale anlegte und gerne provozierte, doch hier und jetzt wirkte sie fast schon zerbrechlich. Menschlich.
Sie senkte die Lider leicht und zuckte wieder mit den Schultern. »Ich werde definitiv versuchen, diesen Tag zu vergessen. Morgen sieht, wie du sagst, hoffentlich alles anders aus. Dieser Auftritt war wirklich wichtig. Der erste nach einer langen Zeit, und ich hatte gehofft, den Leuten zeigen zu können, dass ich … dass ich immer noch da bin.«
»Mit Sicherheit werden die deinen Aussetzer ganz schnell vergessen, und sobald neue Musik von dir kommt, werden die dich doch sowieso feiern. Und wenn wir mal ehrlich sind, denkst du nicht, dass es deinen Fans scheißegal ist, wenn du dich mal versingst?«
Sie zog eine Braue nach oben. Ihre Stimme klang matt, als sie antwortete. »Fragt sich nur, ob ich nach der langen Zeit ohne neues Album überhaupt noch Fans habe.«
Unsere Blicke trafen sich, und ich bildete mir ein, tiefen Schmerz in ihren eisblauen Augen aufflackern zu sehen. »Also meine kleine Schwester hört deine Musik rauf und runter und ist ein Riesenfan von dir, so viel weiß ich.«
Ein kleines Schmunzeln trat auf ihre Lippen. »Richte ihr liebe Grüße aus.«
»Oh, sie wird so sauer sein, dass ich dich getroffen habe und sie nicht dabei war. Da wird sie sich kein Stück mehr dafür interessieren, wie mein Spiel lief.«
»Weiß sie nicht, dass ihr großer Bruder einer der besten Quarterbacks der NFL ist?«
»Der beste.« Ich grinste breit und entlockte ihr damit ein amüsiertes Prusten. »Doch, das weiß sie. Keine Sorge, mein Ego bekommt genug Streicheleinheiten.« Ich lehnte mich gegen den Spind und stemmte die Hände neben mir auf die Bank. Und als sie auch grinste, zog ich gespielt perplex die Brauen hoch. »Habe ich gerade etwa Presley Wren zum Lachen gebracht?«
»Glaub mir, wenn ich lachen würde, würdest du es merken. Meine beste Freundin sagt mir immer, dass meine Lache klingt wie …« Sie hielt inne.
»Wie was?«
»Bring mich zum Lachen, dann erfährst du es, Crawford.«
»Zu einfach.«
Im nächsten Moment glitt ihr Blick weg von mir, und sie dachte nach, dann legte sich wieder dieser toughe Ausdruck wie eine Maske auf ihr Gesicht. »Genug von mir.« Sie erhob sich langsam vom Boden und setzte sich auf die Bank. »Tut mir übrigens leid, dass ihr verloren habt.«
Ich winkte ab. »Schon gut. Gehört dazu. Auch wenn ich es jedes Mal aufs Neue hasse.« Mein Blick lag eindringlich auf ihr. »Aber morgen ist ein neuer Tag, und der kann ein Neustart sein.«
»Schon wieder so ein schlechter Kalenderspruch. Oder ein Wandtattoo? Soll das ein Aufmunterungsversuch sein?« Sie streckte ihre Beine aus und fischte mit ihren nackten Zehen nach den High Heels, die neben ihr lagen, dann zog sie sie zu sich.
»Vielleicht.« Ich neigte den Kopf und beobachtete, wie sie die hohen Schuhe anzog. Sie schimmerten im Thunderstorms-Silber und standen ihr phänomenal. Aber im Grunde konnte diese Frau vermutlich alles tragen. »Hat es geklappt?«
Ihr Mundwinkel huschte für eine Millisekunde nach oben. »Ein wenig.«
»Das reicht mir schon.«
»Ich mach mich jetzt mal auf die Suche nach meiner Assistentin. Mein Magen knurrt nämlich, und ich will so langsam nach Hause. Aber danke für …«
»Nicht der Rede wert.«
»Doch, schon.« Sie zog die Brauen zusammen, als ob sie noch etwas sagen wollte, behielt dann aber, was auch immer es war, für sich und presste die Lippen zusammen, bevor sie den Ausgang ansteuerte.
Ich folgte ihr mit meinem Blick, während sie sich entfernte. An der Tür drehte sie sich noch mal zu mir um.
»Hat mich gefreut, deine Bekanntschaft zu machen, Crawford.«
Ein Lächeln wanderte auf meine Lippen, und ich neigte den Kopf. »Kann ich nur zurückgeben. Bis zum nächsten Mal! Und hey … vergiss nicht, bis dahin den Text zu lernen, damit du dich nicht versingst.«
Sie rollte mit den Augen und zog dann eine Braue nach oben. »Aber nur, wenn du bis dahin lernst, wie man richtig Bälle wirft.«
Ich versuchte, mein Grinsen zu unterdrücken. Vergeblich. »Touché.«
Presley
Zwar hätte ich mich den restlichen Abend lieber in meinem Bett vergraben, jedoch würde mir das nicht helfen, das wusste ich. Nach meinem kleinen Zusammenbruch in der Umkleide des SoFi Stadium hatte ich den letzten Rest meiner Selbstachtung wieder zusammengekratzt und mir vorgenommen, allen zu zeigen, dass mich ihre Worte und Bemerkungen nicht unterkriegen würden. Ich war Schlimmeres gewöhnt. Viel Schlimmeres. Und daher hatte ich vor, heute Abend hocherhobenen Hauptes auf der Party aufzutauchen, die einer der Sponsoren, Steve Wallace, für das Footballteam und einige andere VIPs schmiss. Ich wollte diese ganze Sache mit der Nationalhymne verdrängen und alles dafür tun, dass der Vorfall in Vergessenheit geriet, denn nur so bestand der Hauch einer Möglichkeit, wieder ernst genommen und nicht vollends vom schwarzen Loch meines Karrieretiefs verschlungen zu werden. Positiv bleiben, war die Devise. Ich würde das hier schaffen. Ich würde alles schaffen, was ich wollte.
»Bist du bereit?« Raquel musterte mich mit fragendem Blick, und als ich nickte, klopfte sie einmal von innen an die Wagentür, woraufhin einer meiner Securitys die Tür öffnete.
Ich strich mein kurzes hellblau glitzerndes Kleid glatt, nahm die Schultern zurück und stieg aus dem Wagen, während die Paparazzi von allen Seiten auf uns einstürmten.
»Presley, hier!«
»Miss Wren!«
»Presley! Presley! Ein Foto bitte!«
Überall klickten ihre Kameras. Ich hob mein Kinn und lächelte selbstbewusst in ihre Linsen, während Raquel mir den kurzen Weg in die Bar folgte, wo die Party stattfand. Das Blitzlichtgewitter war ich bereits gewohnt, und heute schienen die Journalisten sogar freundlich zu sein. Bisher hatte mich noch niemand auf …
»Presley, ein Statement zur Hymne. Ist es dir nicht unangenehm, jetzt zu den Sponsoren zu stoßen?«
… meinen Auftritt angesprochen. Gut. Okay. Jetzt schon.
Lass es an dir abprallen. Lass es nicht an dich heran.
Ich ignorierte den Kerl mit der Halbglatze und stolzierte an ihm vorbei zur Tür, die ein Türsteher im nächsten Moment für Raquel und mich aufhielt, was ich mit einem leisen »Danke« quittierte. Als ich ins Innere trat, schwebten leise Hip-Hop-Beats von Kendrick Lamar zu mir herüber, während der Lärm der Paparazzi hinter mir verstummte.
»Arschloch«, fluchte Raquel leise.
»Egal. Ich lass mich davon nicht runterziehen. Wollen wir rein?« Ich nickte in Richtung des langen Flurs, der aufgrund der dunkelgrünen Wandfarbe und der goldenen Bilderrahmen mit etlichen Schwarz-Weiß-Fotografien verschiedener Sportler etwas düster wirkte. So als ob man direkt in die Grotte eines Vampirs hinabstiege. Damon und Stefan Salvatore aus The Vampire Diaries hätte ich sicher um den Finger wickeln können, doch um die Blutsauger dort hinten, die sich vermutlich nur über mich und meinen miserablen Auftritt lustig machten, von mir zu überzeugen, musste ich schwerere Geschütze auffahren.
Aber wollte ich das? Eigentlich war es mir doch scheißegal, was die Leute von mir hielten. Doch leider hatte mir mein neues Label ans Herz gelegt, etwas … netter zu sein und darauf zu achten, einen guten Eindruck zu hinterlassen, wenn ich mein Image aufpolieren wollte. Also riss ich mich am Riemen. Mein Comeback stand an erster Stelle.
Meine Assistentin folgte mir den Gang entlang. »Caleb und Becky sind schon drin und warten auf uns«, sagte sie mit einem Blick auf ihr Handy.
Der Raum war bereits gut gefüllt. Die Blicke der Männer huschten über meine nackten Beine, dann zu meinem Dekolleté und weiter zu meinem Gesicht. Sie grinsten dämlich. Flachpfeifen. Ich verzog keine Miene. Uns Frauen wurde stets an den Kopf geworfen, dass wir doch mehr lächeln sollten. Aber was, wenn uns nicht nach Lächeln zumute war? Was, wenn mir viel eher danach war, diesen Kerlen zu zeigen, dass sie sich besser nicht mit mir anlegen sollten?
»Ist noch jemand vom Label da?« Ich stolzierte an ihnen vorbei und warf Raquel einen Blick zu.
Sie schüttelte den Kopf, worauf ihr karamellbraunes Haar hin und her schwang. Kurz darauf betraten wir den großen Hauptbereich der Bar, wo in den verschiedenen Sitzecken Leute saßen, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Allerdings kannte ich die meisten einflussreichen Leute aus der Sportbranche sowieso nicht. Ein paar Spieler, ja, aber dann hörte es auch schon auf. Am Tresen der Bar lehnten ein paar große, breite Kerle, die mit Bier anstießen, und in der Mitte des Raums standen einige Gäste in Grüppchen zusammen und unterhielten sich. Eine Frau in Hosenanzug und ein Mann, der nach hinten gegeltes Haar hatte, sahen plötzlich in meine Richtung. Sofort pressten sie die Lippen aufeinander, um nicht zu lachen, aber ihre Brauen huschten amüsiert nach oben. Dann stießen sie die anderen in der Gruppe an und deuteten mit den Köpfen in meine Richtung. Überhebliches Grinsen tauchte auf ihren Gesichtern auf, woraufhin sich meine Miene nur noch mehr verhärtete und ich das Kinn noch etwas weiter anhob. Aus einer der Sitznischen hörte ich es tuscheln, doch ich versuchte, es zu ignorieren. Niemand sollte merken, was in mir vorging. Wie weh es tat, immer wieder hinzufallen und das Gefühl zu haben, nie wieder richtig stehen zu können. Immer nur auf wackligen Beinen der Hoffnung hinterherzutorkeln, eines Tages erneut aufrecht schreiten zu können.
»Presley!« Ich fuhr herum. Caleb tauchte neben uns auf und drückte erst mich, dann Raquel. »Schön, dass du da bist. Becky und ich haben schon die Drinks geordert.«
Caleb Myers kannte ich erst seit Kurzem, genauer gesagt seit zwei Wochen, als ich bei meinem neuen Label, Rebel Blast Records, unterschrieben hatte und er mir als Produzent zugewiesen worden war. Er war nur ein wenig älter als ich, Anfang dreißig, und gehörte zu den angesehensten und erfolgreichsten Musikproduzenten der neuen Generation. Er war der Beste, hatte bereits mit den erfolgreichsten Sängerinnen und Sängern der Branche gearbeitet und etliche Preise gewonnen, und ich verstand mich schon jetzt wirklich gut mit ihm. Mit seinen strahlend weißen Zähnen, den sorgsam nach hinten gegelten schwarzen Haaren und dem Oberlippenbart sah er echt gut aus. Er überragte mich um mindestens 20 Zentimeter, schien gedanklich immer an irgendwelchen Beats zu feilen, denn oft summte er vor sich hin oder trommelte mit den Fingern auf irgendetwas herum, und er hatte stets einen charmanten Spruch auf Lager.
Becky stieß zu uns. »Hier, ein Virgin Mojito«, sagte sie anstelle einer Begrüßung und reichte mir eines der Gläser. Mit Mitte zwanzig war sie genauso alt wie ich und ein Profi, was Public Relations betraf. Daher würde sie mir in Zukunft bei allem unter die Arme greifen, was meine öffentlichen Auftritte betraf.
»Ich glaube, ich hätte lieber einen Drink mit Alkohol, Becky.«
Sie zog die schwarzen Brauen hoch. »Nichts da. Denk an dein Image. Außerdem solltest du heute bei klarem Verstand bleiben.«
Ich biss die Zähne aufeinander und fügte mich. Immerhin wollte ich, dass wir alle an einem Strang zogen, da musste ich ihnen wohl auch etwas entgegenkommen.
»Hast du die Sache von vorhin verdaut?«
»Du meinst meinen Reinfall beim Spiel?« Ich nahm einen Schluck und schmeckte Limette und Zucker.
»Ja«, entgegnete sie und legte den Kopf schief.
»Klar«, log ich und nickte, während ich wieder aus allen Ecken ein Tuscheln vernahm, das sich unter das Gläserklirren und einen weiteren Lamar-Song mischte. »Mir geht’s gut. Ich hoffe nur, dass das keine Folgen nach sich zieht …«
Becky winkte ab. »Lass uns das bei unserem Meeting morgen besprechen, okay? Heute versuchen wir erst einmal, dich in ein gutes Licht zu rücken und den Anwesenden zu zeigen, dass du über dem Fauxpas stehst.«
»Auf unser Comeback.« Caleb stupste mich mit dem Ellenbogen in die Seite und lächelte, während er seinen Whiskey anhob. Ich stieß mit meinem Glas dagegen und prostete dann Becky und Raquel zu, die auch mit einem Drink versorgt worden war.
Während wir eine Weile an Ort und Stelle verharrten und uns unterhielten, spürte ich immer wieder die Blicke der anderen Partygäste auf mir. Sensationshungrig, abwertend, von oben herab. Sie belächelten mich, und auch wenn ich es gut versteckte, war nicht zu leugnen, dass sich ein ekelhaftes Gefühl der Wertlosigkeit in mir ausbreitete, je weiter der Abend voranschritt. Ein Gefühl, das mich schon seit Monaten verfolgte. Ich schluckte, als sich mein Herz schmerzhaft zusammenzog.
»Ein Foto, bitte«, wandte sich plötzlich einer der Partyfotografen an uns. Er hob die Kamera vors Gesicht, woraufhin Caleb den Arm lässig um meine nackten Schultern schlang und mich an sich zog, sodass wir für das Foto posieren konnten. Ich lächelte, bis es klick machte und er wieder verschwunden war.
»Davon brauch ich einen Abzug«, sagte Caleb und ließ den Arm an meiner Schulter, was sich gut anfühlte. Er war cool drauf, und ich mochte ihn echt gern. »Der Start einer wunderbaren Zusammenarbeit. Dein Album wird der Hammer, glaub mir. Ich bin schon auf all deine Ideen und Texte gespannt und habe Großes für uns geplant. Wir werden deinen Sound aufs nächste Level bringen, neue Einflüsse, eine neue Richtung, neue Beats. Vielleicht ein paar Drum Patterns und komplexe Harmonien, verschiedene Taktarten und ein paar subtile Vocal Layers. Das wird einzigartig und die Charts sprengen, da bin ich mir sicher. Wir können auch gerne ein wenig zusammen texten, ganz wie du magst.«
Ein mulmiges Gefühl machte sich in mir breit, weil ich seit Monaten keine einzige Zeile zu Papier gebracht hatte. Jedes Mal, wenn ich es versuchte, wollte ich mich am liebsten zusammenrollen und mich übergeben. Ich fand einfach nicht die richtigen Worte, die leere Seite schien bedrohlich zu lauern, und alles, was ich aufschrieb, verwarf ich sofort wieder. Nichts klappte.
»Das wird super«, entgegnete ich und zwinkerte ihm zu. »Nächste Woche kann es losgehen.«
»Ich freu mich drauf.«
»Und ich mich erst.« Wieder stießen wir unsere Gläser aneinander, und ich nahm einen Schluck. Zum Glück hatte meine Stimme nicht gezittert.
Während sich der Limettengeschmack erneut auf meiner Zunge ausbreitete und ich seine Körperwärme spürte, bemerkte ich aus dem Augenwinkel, wie ein paar Thunderstorms-Spieler den Raum betraten. Es war eine Gruppe von fünf Kerlen, die in ihren Anzügen eine unglaublich gute Figur machten. Einer breiter und größer als der andere, alle für die Party herausgeputzt. Sie witzelten und alberten miteinander herum, doch mein Blick blieb nur an einem von ihnen hängen.
Kane Crawford.
Er war so riesig und breit. Das dunkelblaue Jackett betonte seine trainierten Schultern. Die braunen Strähnen fielen ihm in die Stirn und wirkten so, als ob er sie nicht ganz hätte bändigen können. Er strahlte ungeheures Selbstbewusstsein, innere Ruhe und Gelassenheit aus, während da immer ein leichtes Grinsen seine Lippen umspielte. Als wir uns heute Nachmittag in der Umkleide unterhalten hatten, hatte es mir auf seltsame Weise gutgetan. Er war sympathisch gewesen, gar nicht arrogant, wie man es von einem Profispieler wie ihm erwarten könnte, und hatte mich immerhin ein wenig zum Lächeln gebracht, auch wenn mir ganz und gar nicht danach gewesen war.
Kane musste meinen Blick auf sich gespürt haben, denn er sah plötzlich genau in meine Richtung. Sein Blick zuckte zu Caleb, der immer noch den Arm um mich gelegt hatte, dann wieder zu mir, woraufhin er mir kurz zulächelte.
»Wollen wir an die Bar? Dort vorn ist ein Platz am Tresen frei geworden«, riss Caleb meine Aufmerksamkeit wieder an sich.
»Klar.« Ich folgte ihm zur Bar, lehnte mich gegen das kühle Holz.
Becky und Raquel gesellten sich ebenfalls zu uns und fingen an, über das letzte Album der Girlgroup Pure Enigma zu fachsimpeln, von denen gerade ein Song im Hintergrund lief. Ich genoss es, dass der Fokus des Gesprächs fürs Erste nicht mehr auf meiner heutigen Performance oder meinem neuen Album lag und ich mich einen Moment ausklinken und durchatmen konnte. Als ich den Blick wieder durch den Raum gleiten ließ, fiel mir aufs Neue auf, wie die anderen Gäste immer wieder verstohlen in meine Richtung sahen. Manche redeten hinter vorgehaltener Hand und lachten dann. Bestimmt lästerten sie. Oder bildete ich mir das nur ein? War es schon so weit gekommen, dass ich überall nur noch Bedrohung sah? Wie auch immer … Die Erinnerung an meinen Auftritt heute drängte sich schmerzhaft zurück in mein Bewusstsein. Es tat weh. Es tat verdammt noch mal weh. Die vergangenen Monate waren schlimm gewesen, aber heute hatte ich definitiv einen neuen Tiefpunkt erreicht. Ich fühlte mich hilflos, weil alles, was ich tat, falsch war. Alles, was ich machte, von der Öffentlichkeit zerfetzt und in ein schlechtes Licht gerückt wurde. Ich würde es niemals allen recht machen können, aber inzwischen hatte ich das Gefühl, dass ich es niemals überhaupt auch nur einer Person recht machen konnte.
»Wie peinlich das war«, hörte ich zwei Männer in den Zwanzigern einige Armlängen von mir entfernt am Tresen tuscheln. »Dass sie sich ernsthaft traut, hier aufzukreuzen, nachdem sie …«
Mein Blick fuhr zu ihnen herum. Ihre Gesichter kamen mir bekannt vor; sicher gehörten sie auch zum Team. Ach ja, jetzt erinnerte ich mich: Der eine war aktuell wegen irgendwas gesperrt, wahrscheinlich wegen eines fiesen Fouls, ich hatte ihn heute auf der Bank sitzen sehen. Ich fixierte die beiden eiskalt. »Habt ihr mir was zu sagen?«
Einer der Kerle, er hatte rote Haare, die ihm bis zur Schulter reichten, verkniff sich ein Grinsen und zuckte dann mit den Schultern. »Wir haben uns nur gefragt, wie dämlich man sein muss, die verdammte Nationalhymne zu verkacken.«
Ich verengte die Augen noch mehr, während meine Begleitungen nichts von alledem mitbekamen. Sie standen einen Meter von mir entfernt und quatschten über eine andere Musikerin. Aber ich konnte das auch allein regeln. Ich durfte ihnen nur nicht zeigen, was ihre Worte mit mir machten. Deshalb: Pokerface. »Jeder hat mal einen schlechten Tag. Und da du heute nicht mal ansatzweise auf dem Feld standest und spielen durftest, schätze ich, dass du davon ein Lied singen kannst«, gab ich eiskalt zurück und zog eine Braue nach oben.
»Immerhin mache ich meinen Job richtig, wenn es von mir verlangt wird, und bin keine so beschissene …«
»Einen Whiskey Sour, bitte«, schob sich plötzlich eine massive Gestalt mit breitem Kreuz zwischen den Rothaarigen und mich. Als sich unsere Blicke kreuzten, zwinkerte Kane mir zu. Dann trat er einen Schritt zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und musterte den Deppen auf der anderen Seite. »Oliver, wo hast du deine Mom heute gelassen? Darfst du so spät überhaupt noch vor die Tür?«
Sofort verdüsterte sich der Ausdruck auf dessen Gesicht. »Ich bin letzte Woche einundzwanzig geworden.«
»Davon merkt man nicht viel.« Kane setzte ein mitleidiges Lächeln auf und schob die Unterlippe nach vorn. »Keine Sorge, irgendwann wachsen dir sicher noch ein paar Eier, Kumpel.« Dann zwinkerte Kane ihm zu. »Und dann lernst du vielleicht auch noch, Respekt vor Frauen wie Presley zu haben.«
Der Kerl zog die Schultern hoch und wandte ertappt den Blick ab, dann nickte er seinem Kumpel zu. »Lass uns ’ne Runde drehen.« Er griff nach seinem Glas und verschwand mit dem anderen Spieler, dessen Wangen sich leicht gerötet hatten.
»Sorry, wenn dir die Trottel Probleme gemacht haben«, sagte Kane und nahm seinen Drink entgegen.
»Da kannst du doch nichts für.«
Er zuckte mit den Schultern und lehnte sich seitlich gegen den Tresen, sodass er seine Aufmerksamkeit voll und ganz auf mich richten konnte. Im Hintergrund spielte nun ein Hip-Hop-Track von Kingston Fox, und unweit von uns tänzelten schon ein paar Leute auf der Tanzfläche hin und her. Doch mein Blick klebte an Kane. Sein Jackett hatte er mittlerweile nicht mehr an, die Ärmel seines weißen Hemds waren etwas hochgekrempelt und legten seine durchtrainierten Unterarme frei. Mein Herz machte einen kleinen Satz, während ich spürte, dass mir in seiner Gegenwart verdächtig warm wurde. »Ich habe manchmal das Bedürfnis, mich für andere Exemplare meiner Spezies zu entschuldigen, die nicht wissen, wie sie Frauen zu behandeln haben.«
Ich schnaubte. »Danke. Aber ich wäre mit den kleinen Jungs auch allein fertiggeworden.«
»Davon bin ich überzeugt. Dennoch wollte ich mir den Spaß nicht nehmen lassen, seinem fragilen Ego den letzten Stoß zu verpassen.« Seine Mundwinkel hoben sich zu einem frechen Grinsen. »Außerdem habe ich gehört, was er gesagt hat. Das konnte ich so nicht stehen lassen, nachdem …«
Im nächsten Moment spürte ich eine Hand an meinem unteren Rücken, und Becky tauchte neben mir auf. Sie sah zu Kane, dann zu mir und zog eine Braue hoch. »Caleb und ich gehen kurz rüber, um mit einem der Sponsoren zu quatschen. Raquel ist gerade auf der Toilette, kommt aber bestimmt gleich wieder.«
»Alles klar, danke«, entgegnete ich. »Bis später.«
»Bis dann.« Sie sah noch einmal zu Kane auf, der charmant lächelte und ihr zunickte, dann verschwand sie mit Caleb auf die andere Seite des Raums.
»Nachdem was?«, wandte ich mich wieder Kane zu und zog die Brauen zusammen.
»Nachdem ich vorhin im Stadion – na ja, in der Umkleide – gesehen habe, dass dich das alles ein wenig mitgenommen hat.« Ein mitfühlender Ausdruck legte sich auf seine markanten Züge. »Geht es dir inzwischen besser?«
»Mir geht’s gut«, log ich und nickte, weil ich im Laufe meines Lebens hatte lernen müssen, dass ich am besten dran war, wenn ich mich auf niemanden verließ, meine Schwächen versteckte und Enttäuschungen mit mir selbst ausmachte. Ein weiterer Grund, weshalb die Kerle es vielleicht in mein Bett, aber nicht in mein kaputtes Herz schafften.
»Wenn du das sagst«, entgegnete er und nahm einen Schluck von seinem Drink, wobei er mich nicht aus den Augen ließ.
Ich straffte die Schultern. »Klar. Mich kriegt so schnell nichts klein, glaub mir.«
»Wäre auch schade.« Wieder zog er einen Mundwinkel nach oben.
»Wieso bist du überhaupt so nett zu mir?« Ich fixierte ihn. »Vermutlich verabscheut mich der ganze Raum, aber du stehst immer noch hier und redest mit mir, als ob ich nicht der Footballfeind Nummer eins wäre.«
Ihm entfuhr ein leises Glucksen. »Jetzt muss ich mich schon dafür entschuldigen, wenn ich freundlich bin. Wow.«
»Nein, aber … Ich bin das nicht gewohnt, daher verzeih mir, wenn ich etwas skeptisch bin, Quarterback.«
»Du bist es nicht gewohnt, dass Leute nett zu dir sind?« Er zog eine Braue hoch. »Autsch. Klingt ganz schön traurig.«
Von einem Herzschlag auf den nächsten fühlte ich mich noch beschissener als sowieso schon, weil Kane genau das ausgesprochen hatte, was ich zuvor immer nur gedacht hatte. Trotzdem spielte ich weiter die Unnahbare. »Doch, aber nicht im Showbusiness, da ist niemand einfach nur nett. Und nicht in diesem Raum. Hast du bemerkt, wie alle über mich herziehen? Die sind wie die Hyänen.«
»Ich habe mitbekommen, dass hier einige nicht besonders positiv gestimmt sind.« Sein Blick lag aufmerksam auf mir. »Meiner Meinung nach sollten die sich um ihren Scheiß kümmern und sich an die eigene Nase fassen, statt sich über dich das Maul zu zerreißen.«
Er war wirklich süß. Verwirrt zog ich die Brauen zusammen. »Ist dieses Honig-ums-Maul-Schmieren deine Masche, damit ich heute mit dir in die Kiste springe?«
Falls ja, könnte er Glück haben …
Abrupt hielt er inne, starrte mich entgeistert an, und ich meinte, einen gekränkten Ausdruck in seinen Augen zu erkennen. »Nein, das ist keine Masche, Presley.« Er stieß sich vom Tresen ab. »Von dir lass ich lieber die Finger, bevor ich mich verbrenne. Wie gesagt, ich wollte nur nett sein, weil mir tatsächlich wichtig ist, dass Menschen nicht ungerecht behandelt werden. Aber wenn du das direkt als Anmache verstehst, tut es mir leid. War nicht meine Absicht.« Er zuckte noch mal mit den Schultern und entfernte sich ein Stück, bahnte sich seinen Weg vorbei an den tanzenden Leuten auf der sich langsam füllenden Fläche.
»Hey, QB?«
Als er meine Stimme hörte, blieb er stehen und warf mir einen Blick über die Schulter zu.
»Schade.« Ich zwinkerte ihm zu, doch er wandte sich wortlos ab und steuerte seine Teamkollegen an, die auf der anderen Seite des Raums standen.
Na toll. Das hatte ich ja prima hinbekommen. Einen der wenigen Männer, die mir hier noch wohlgesinnt waren, hatte ich erfolgreich vertrieben. Ratlos ließ ich meinen Blick schweifen. Hier würde ich wohl niemanden mehr auftreiben, den ich heute mit nach Hause nehmen konnte. Da entdeckte ich Raquel, die ein paar Schritte hinter mir am Tresen lehnte. Wie lange stand sie schon dort?
»Ich glaube, ich gehe«, wandte ich mich ihr zu. »Ich bezweifle, dass die Leute hier ihre Meinung über mich ändern, und wenn ich recht darüber nachdenke, ist es mir auch scheißegal.«
Scheißegal war es mir nicht, aber Raquel sollte nicht wissen, dass ich mich mehr als unwohl fühlte. Dass die Blicke mir bis ins Mark gingen und ich das bald nicht mehr ertrug. Sie war zwar schon eine ganze Weile meine Assistentin, kümmerte sich um alles Organisatorische, aber auch sie ließ ich nicht wirklich nah an mich heran.
»Presley, wir wollen doch deinen Ruf wiederherstellen … Es wäre hilfreich, wenn du …«
»Ich bin müde. Ich gehe jetzt«, erwiderte ich, weil mir schon wieder jemand aus dem Augenwinkel auffiel, der hinter vorgehaltener Hand redete. »Wir sehen uns morgen beim Meeting.«
»Gut. Okay.« Sie tippte sich mit dem Finger ans Kinn und nickte in die Richtung, in die Kane verschwunden war. »Hey, ich habe gesehen, wie ihr euch unterhalten habt. Du und dieser Crawford. Ihr saht aus, als ob ihr euch gut verstehen und Freunde sein würdet?«
Ich schnaubte leise. »Das ist das zweite Mal, dass wir miteinander geredet haben. Von einer Freundschaft sind wir also weit entfernt. Aber er scheint nett zu sein. Und er ist hübsch anzusehen.«
»O ja, das ist er«, gab sie schmunzelnd zurück. »Dann gebe ich deinem Fahrer eben Bescheid, dass du gehen willst.«
»Danke. Und sagst du Caleb und Becky Tschüss von mir?« Ich drückte sie noch einmal kurz, bevor ich mich auf den Weg zum Ausgang machte.
Erst als ich auf dem Rücksitz meines Wagens saß und mein Fahrer Johnny losfuhr, erlaubte ich mir, mich nicht mehr gegen die stummen Tränen zu wehren, die mir sogleich über die Wangen krochen. Mir entfuhr ein genervtes Ächzen, dann schloss ich die Augen und legte den Kopf in den Nacken. Was für ein beschissener Tag. Was für ein absolut furchtbarer Tag, den ich am liebsten aus meinem Gedächtnis löschen wollte.
Ich brauchte dringend Ablenkung. Ein Mädelsabend wäre jetzt genau das Richtige gewesen. Aber meine beste Freundin Lyla war noch für Musikvideoaufnahmen außerhalb von Los Angeles, daher fiel sie für heute aus. Rasch zog ich mein Smartphone aus der kleinen Handtasche und öffnete meine Messenger-App, um Lyla eine kurze Miss you!-Nachricht zu schicken. Dann wählte ich den Chat mit Kaia aus, einer anderen Freundin und ebenfalls Sängerin.
Presley: Hey Süße, hast du Lust, noch was zu machen? xx
Sofort erschienen die drei Punkte auf dem Display, und ihre Antwort kam hereingeflattert.
Kaia: Sorry, aber lieber nicht. Mein Image ist mir echt wichtig, und ich glaube, es würde mir eher schaden, wenn man uns beide zusammen sieht … Ein anderes Mal, wenn es bei dir wieder besser läuft, o. k.? xx
Mein ganzer Körper fühlte sich schwer an. Ein riesiges Gewicht auf meiner Brust raubte mir die Luft. Ich atmete zischend aus, weil ich den Schmerz loswerden wollte. Weil ich ein Ventil brauchte, um alles loszuwerden, aber das Gefühl hatte, daran zu ersticken. Krampfhaft verdrängte ich meine wirbelnden Gedanken und tippte auf ein paar andere Namen in meinen Kontakten, textete ihnen, doch keiner von ihnen schrieb zurück. Als ich zu Instagram wechselte und durch die Storys von genau diesen Leuten swipte, sah, wie sie feierten und miteinander abhingen, bekam mein Herz noch einen weiteren Riss. Und noch einen, als mir die Story von Suki Loveless ausgespielt wurde. Es waren Aufnahmen von ihr in einer Late-Night-Show, wo sie ihr neues Album promotete, das seit Wochen die Billboards regierte. Sie war zurzeit eine der heißesten Newcomerinnen und mit ihren neuen Songs an mir vorbeigezogen wie ein Blitz. Ich freute mich für sie und ihren Erfolg. Das tat ich wirklich. Aber trotzdem war ich traurig darüber, dass es bei mir eben nicht so lief wie bei all den anderen Musikerinnen, die gerade die beste Zeit ihres Lebens hatten. Sie sprühten nur so vor Energie und Tatendrang, während ich mich fragte, wie ich überhaupt einen einzigen Song für mein neues Album schreiben sollte und ob meine Fans nicht vielleicht längst die Schnauze von mir voll hatten. Genau wie ich.
Draußen rauschte die Stadt mit ihren unzähligen Lichtern an mir vorbei. L.A., die Stadt, in der Träume wahr wurden. Ich wollte dieses Comeback so sehr, mehr als alles andere. Aber ich hatte das Gefühl, dass ich vollkommen ausgebrannt war und keine Ahnung hatte, wie ich das bewerkstelligen sollte, wenn nichts funktionierte und sich alles so unglaublich bedeutungslos und falsch anfühlte. Kopfschüttelnd sperrte ich mein Display und ließ das Handy in meine Tasche gleiten, während ich den Kopf anlehnte, die Augen schloss und darauf wartete, dass mich der Schlaf überkam. Aber er stellte sich nicht ein. Vielleicht hätte ich doch Alkohol trinken sollen, um den Schmerz zu betäuben, wobei mir die Leute vom Label dann vermutlich eine Standpauke gehalten hätten, wenn sie davon Wind bekommen hätten. Unvermittelt schob sich wieder Kanes Lächeln in meine Gedanken. Es war eine schöne Abwechslung gewesen, mich mit ihm zu unterhalten, doch auch ihn hatte ich mit meiner blöden Bemerkung verschreckt. Super.
»Miss Wren? Wir sind da«, rief Johnny nach einer Weile, und ich schlug flatternd die Lider auf.
Ich räusperte mich, löste den Sicherheitsgurt und öffnete die Tür, um auszusteigen. »Danke, Johnny. Gute Nacht. Wir sehen uns morgen.«
»Gute Nacht, Miss Wren.«
Als er von meinem Grundstück gefahren und das große Eisentor hinter ihm zugefallen war, ging ich über die kleinen Pflastersteine am künstlich angelegten Wasserfall vorbei zur Treppe, die zum Eingang meiner hochmodernen Villa führte. Sie war ganz in strahlendem Weiß gehalten und befand sich in den Hollywood Hills. Als ich die Tür per Zahlencode entriegelt hatte und eingetreten war, dröhnte mir die Stille in den Ohren. Ich schluckte die Tränen herunter, kickte rasch meine High Heels von den Füßen und spürte den kalten Boden unter meinen Sohlen, als ich in den riesigen Wohnbereich lief. Ich steuerte die kleine Bar an, die sich neben dem Kamin befand, und schenkte mir Rum in eines der Kristallgläser ein, dann ließ ich den Blick durch die gläserne Fensterfront wandern.
Von hier oben hatte man einen unfassbaren Ausblick über die Skyline von Downtown Los Angeles. Überall blinkende Lichter und die dunklen Umrisse der Wolkenkratzer. Sirenen tönten in weiter Ferne. Das hier war mein Zuhause, auch wenn es sich selten so anfühlte. Kein Funken Wärme trotz der kalifornischen Sonne. Stattdessen ein kaltes Los Angeles, das dich vergötterte, solange du auf der Welle des Erfolgs rittest, und dich verstieß, wenn genau diese abgeklungen war. Ein bitterer Geschmack breitete sich auf meiner Zunge aus. Ich nahm einen Schluck, ließ mich auf mein weißes Ledersofa sinken, das sich in der Mitte des Raums befand, und starrte in die Nacht hinaus. Ich hatte nicht besonders viele Möbel, hier und da seelenloser Kram, den mir eine Interior-Designerin aufgeschwatzt hatte, aber nichts Persönliches, bis auf meinen weißen Flügel im Musikzimmer vielleicht. Lyla hatte meine Villa schon oft einen Eispalast genannt und dafür plädiert, dass wir ihn gemeinsam ein wenig wohnlicher gestalteten, mit Fotos oder Erinnerungsstücken. Jedes Mal hatte ich abgeblockt. Nicht, weil ich ihre Hilfe nicht wollte, sondern weil ich schlicht und ergreifend nichts hatte, was es wert gewesen wäre, an die Wände zu hängen oder in ein Regal zu stellen. Es gab nichts. Ich hatte nichts außer der Einsamkeit, die mich jeden Tag aufs Neue verschluckte.
Presley
Zwölf Stunden später fand ich mich mit meinem dreifachen Espresso-Shot in den heiligen Hallen meines Plattenlabels wieder. Rebel Blast Records hatte seinen Sitz in Silver Lake und gehörte zu den größten Plattenfirmen der Welt. Nachdem mich mein letztes, Vibrant Vortex Studios, rausgekickt hatte, weil sie lieber ein neues Talent anstelle des Auslaufmodells veröffentlichen wollten, hatte mein Manager Peter alle Hebel in Bewegung gesetzt, um für mich ein neues Label zu finden. Mit viel Mühe hatte er es geschafft, einen Vertrag mit Rebel Blast Records zu schließen. Umso größer waren jetzt natürlich die Erwartungen und der Druck, der auf mir lastete. Ein paar andere Plattenfirmen hatten ihre Bedenken gehabt, und letztlich waren diese Menschen hier die Einzigen gewesen, die mich nach meinen Eskapaden noch aufnehmen und mit mir an meinem Comeback arbeiten wollten.