Step into my Heart - Maren Vivien Haase - E-Book
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Step into my Heart E-Book

Maren Vivien Haase

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Beschreibung

Olivia und Dax: Entgegen aller Widerstände wollen sie ihre Träume wahr werden lassen – doch manchmal kommen Gefühle dazwischen.

Olivia lebt für Hip-Hop und arbeitet hart daran, als Bühnentänzerin Fuß zu fassen – auch wenn ihre Eltern sie lieber beim Jurastudium sehen würden. Als sie einen Job bei einer Konzert-Tour ergattert, scheint das der ersehnte Durchbruch zu sein. Doch der Choreograf ist ausgerechnet Dax, der nach einem tragischen Unfall seine eigene Karriere als Tänzer beenden musste und Olivias Kumpel Austin die Schuld daran gibt. Verbittert und wütend hatte Dax sich damals von der Clique im Move District zurückgezogen, und so liegt nun bei der gemeinsamen Arbeit wieder reichlich Spannung in der Luft. Doch bald wird deutlich, dass dabei nicht nur die Geschehnisse aus der Vergangenheit und der Erfolgsdruck eine Rolle spielen, sondern auch aufkeimende Gefühle …

Mit Playlist im Buch!

Die »Move District«-Reihe bei Blanvalet:
Band 1: Dance into my World
Band 2: Step into my Heart
Band 3: Fly into my Soul

Alle Bände können auch unabhängig voneinander gelesen werden.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 528

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Buch

Olivia lebt für Hip-Hop und arbeitet hart daran, als Bühnentänzerin Fuß zu fassen – auch wenn ihre Eltern sie lieber beim Jurastudium sehen würden. Als sie einen Job bei einer Konzert-Tour ergattert, scheint das der ersehnte Durchbruch zu sein. Doch der Choreograf ist ausgerechnet Dax, der nach einem tragischen Unfall seine eigene Karriere als Tänzer beenden musste und Olivias Kumpel Austin die Schuld daran gibt. Verbittert und wütend hatte Dax sich damals von der Clique im Move District zurückgezogen, und so liegt nun bei der gemeinsamen Arbeit wieder reichlich Spannung in der Luft. Doch bald wird deutlich, dass dabei nicht nur die Geschehnisse aus der Vergangenheit und der Erfolgsdruck eine Rolle spielen, sondern auch aufkeimende Gefühle …

Autorin

Maren Vivien Haase wurde 1992 in Freiburg im Breisgau geboren und absolvierte dort ihr Germanistikstudium. Schon als Kind stand für sie fest, dass sie all die Geschichten zu Papier bringen muss, die ihr im Kopf herumspuken. Das Hip-Hop-Tanzen mit ihrer Crew »Dope Skit« gehört seit über zwölf Jahren ebenso zu ihr wie YouTube und Instagram, wo sie regelmäßig über Serien, Bücher und Filme spricht.

Weitere Informationen unter: www.marenvivienhaase.de; www.youtube.com/marenvivien; www.instagram.com/marenvivienhaase/

Besuchen Sie uns auch auf www.instagram.com/blanvalet.verlagund www.facebook.com/blanvalet

MAREN VIVIEN HAASE

STEP INTO MY HEART

MOVE DISTRICT BAND 2

Roman

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright © 2021 by Maren Vivien Haase

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Langenbuch & Weiß Literaturagentur.

© 2021 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Melike Karamustafa

Umschlaggestaltung: Sandra Taufer, München unter Verwendung von Motiven von © Shutterstock.com (wacomka, tomertu, Anna_Kim, Avesun, Jag_cz, Comaniciu Dan)

DN · Herstellung: sam

Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-27098-8V001www.blanvalet.de

Für Sandra

PLAYLIST

Like a Girl – Lizzo

CHANCES – KAYTRANADA feat. Shay Lia

Contact – Wiz Khalifa feat. Tyga

Broken – Lifehouse

Heartbeats – José Gonzalez

To Die For (Acoustic) – Sam Smith

Neverland – Zendaya

Feels – Kehlani

Trading Places – Usher

Bed – J. Holiday

Stars In The Sky – Phora feat. Jhené Aiko

Vibez – ZAYN

Anyone – Justin Bieber

Outnumbered – Dermot Kennedy

Endlessly – Alina Baraz

Do Not Disturb – Mahalia

Falling – Harry Styles

Fix You (Live) – Sam Smith

Sure Thing – Miguel

Underdog – Alicia Keys

Dusk Till Dawn – ZAYN feat. Sia

Das hier muss klappen, so viel steht fest.

Ich verlagerte mein Gewicht von einem Bein aufs andere und bewegte nur den Oberkörper in runden Bewegungen, dann sprintete ich auf der Stelle, bis feine Schweißperlen an meinen Schläfen hinabliefen. Abwechselnd kreiste ich die Schultern und sprang mit angespannten Bauchmuskeln hin und her, um meinen Puls in die Höhe zu treiben.

Ich sollte mich nicht so unter Druck setzen, sonst würde mein Kopf nur dichtmachen, und das durfte nicht passieren. Nicht heute.

Plötzlich rempelte mich jemand von der Seite an.

»Oh, sorry … echt eng hier«, sagte ein Mädchen mit roten Locken und hob entschuldigend die Hände.

»Kein Problem«, erwiderte ich freundlich und trat einen Schritt nach rechts, um mich weiter aufzuwärmen. »Bin echt gespannt, wie das gleich wird.«

Das Mädchen hob einen Fuß an und packte das Gelenk mit der Hand, um den Oberschenkel zu dehnen. »Es sind so viele Leute da … Ich hoffe, die nehmen nicht wirklich nur zehn Tänzer.«

Ich legte den Kopf auf die eine Schulter, dann auf die andere und blickte währenddessen in die riesige Spiegelfront, die sich ein paar Meter vor mir an der Wand erstreckte. »Ja, das hoffe ich auch …«

Hellblaue Haarsträhnen, die sich aus meinem hohen Zopf gelöst hatten, fielen mir ins Gesicht und kitzelten mich an der Nase. Meine enge schwarze Jogginghose, an deren Stoff ich meine Startnummer – die hundertsiebzehn – befestigt hatte, hatte ich in der Taille geschnürt, sodass ein kleiner Streifen Haut zwischen Hose und dem gelben Shirt zu sehen war. Der Sport-BH, den ich darunter trug, zwickte ein wenig, doch davon durfte ich mich jetzt nicht aus dem Konzept bringen lassen. Alles, was zählte, war diese Audition für die Tour von Lyla Sage.

Während wir uns aufwärmten, lief eines ihrer Lieder im Hintergrund. Eine temporeiche Nummer, die über die Köpfe der Tänzerinnen und Tänzer hinweghallte. Nahezu jeder in Amerika und Europa kannte Lyla Sage. Vor über einem Jahr war ihr erster Song herausgekommen, der direkt die Spitzen der Charts erobert hatte, ab da hatte sie sich zum aufstrebenden Star am RnB-Himmel entwickelt. Wenn ich diesen Job als Backgroundtänzerin für ihre US-Tour bekam, bedeutete das einen Riesenschritt für meine Karriere. Es musste einfach klappen.

Ich legte einen Arm über die Brust und dehnte ihn zur Seite, während ich mich umsah. Auch wenn die Trainingshalle für das heutige Vortanzen mehrere Hundert Quadratmeter groß war, blieb jedem Tänzer kaum mehr Platz als in einer Baustellentoilette. Über zweihundert Menschen mussten sich in diesem Raum befinden, die alles dafür getan hätten, für Lyla gebucht zu werden. Gott sei Dank war ich unter den ersten in der Schlange gewesen, dadurch hatte ich mir einen Platz in der vordersten Reihe vor dem Spiegel sichern können. Von hier würde ich eine gute Sicht auf die Choreografin haben, und ich konnte mich selbst besser beobachten, um sicherzugehen, dass ich die gezeigten Schritte korrekt ausführte. Die Menschen um mich herum wärmten sich auf, dehnten sich oder tuschelten miteinander. Eine Mischung aus Panik und Unsicherheit lag in der Luft, daneben Selbstbewusstsein und Arroganz. Ein Mädchen mit Glitzertop und hellbraunen Haaren beobachtete mich prüfend im Spiegel und reckte das Kinn. Als sich unsere Blicke trafen, wandte sie ihren schnell ab und schaute zu einem Kerl, der Liegestütze machte.

Ich liebte Auditions. Dieses Auf und Ab der Gefühle. Die Spannung und das Herzklopfen. Das Adrenalin, das durch meine Adern schoss. Was ich daran allerdings furchtbar hasste, war der Konkurrenzgedanke. Den Druck, besser zu sein als alle anderen, und die Selbstzweifel, die damit einhergingen. Aber ich war nicht hier, um den Schwanz einzuziehen, nur weil mich ein paar Mädels kritisch musterten, sondern um zu zeigen, was ich konnte.

Der Geruch von Bodenreiniger vermischt mit Deodorant stieg mir in die Nase und weckte Erinnerungen an vergangene Vortanzen. Alles in mir kribbelte. Hin und wieder hatte ich mir schon ein paar coole Jobs ertanzt, doch so etwas Großes wie das hier war noch nie dabei gewesen. Es war die Chance, auf die ich die letzten Jahre gewartet hatte. Ich durfte sie nicht vermasseln. Tief ein- und ausatmend ließ ich mit geschlossenen Augen den Kopf kreisen und versuchte, Ruhe zu bewahren, obwohl mir das Herz bis zum Hals schlug.

»Hast du eine Ahnung, wer die Show choreografiert?«, hörte ich links hinter mir einen Typen fragen.

»Nein, aber ich hoffe, es ist Nicki. Die hat mich schon ein paarmal gebucht«, erwiderte eine andere männliche Stimme. »Hey, Olivia, hast du eine Ahnung?«

Schnell schlug ich die Augen auf und drehte mich zu den beiden Tänzern um, die ich von einer anderen Audition kannte. »Ich wünschte, ich wüsste etwas, aber in der Mail standen so gut wie keine Infos. Nicki wäre ziemlich cool, aber ist sie nicht gerade in Los Angeles? Auf Instagram hat sie gestern noch was von dort in ihre Story gepostet.«

Die Jungs nickten. »Gut möglich.«

»Ich drück euch die Daumen – wehe, ihr macht das nicht auch für mich!«, sagte ich lachend und drehte mich beschwingt zurück nach vorne.

Eine Tür am anderen Ende des Studios fiel ins Schloss. Der Saal verstummte. Die einzigen Geräusche stammten von den Gummisohlen zweier Paar Turnschuhe, die auf dem Linoleumboden quietschten. Da so viele Menschen im Weg standen, konnte ich jedoch nicht erkennen, wer da gerade an der Seite des Raumes entlanglief.

Von irgendwoher kam ein leises »Fuck«, und ein paar Gesichter waren blass geworden.

So schlimm konnte es unmöglich sein. Immerhin befanden wir uns bei einer Audition und nicht mit einem Serienkiller in einem Fahrstuhl.

Die Schritte wurden lauter, und nach ein paar Sekunden tauchte links vorne ein Typ auf, mit dem ich als Allerletztes gerechnet hatte.

Ach. Du. Heilige. Scheiße.

Das musste ein schlechter Scherz sein. Mir klappte der Kiefer herunter, und ein Kribbeln durchfuhr meinen Körper.

Okay, reiß dich zusammen.

Schnell schloss ich den Mund wieder, nahm die Schultern zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Mit zusammengekniffenen Augen beobachtete ich den Kerl mit den kurz rasierten schwarzen Haaren, der gut und gerne der jüngere Bruder von Jackson aus Grey’s Anatomy hätte sein können. Er schritt an der Spiegelfront entlang und beäugte dabei ernst die Tänzerinnen und Tänzer. Hinter ihm lief ein Typ, der etwas kleiner und breiter war und verstrubbelte dunkelblonde Haare hatte. Es fühlte sich an, als ob der gesamte Raum plötzlich von einer arktischen Kälte geflutet worden wäre, die selbst den letzten Funken Zuversicht gefrieren ließ. An den schlanken Fingern des Typs mit den kurz rasierten Haaren blitzten silberne Ringe auf. Die schwarze Jogginghose umspielte locker seine Beine; dazu trug er weiße Sneaker und ein hellgraues T-Shirt. Sein athletischer Körperbau zeugte von hartem Training und Disziplin. Aber sein schönes Äußeres ließ nicht auf seinen Charakter schließen. Okay, er sah gut aus. Aber das war’s dann auch schon mit den positiven Eigenschaften.

Als er meine Höhe erreichte, trafen sich für einen Moment unsere Blicke.

Er zuckte leicht zusammen und blieb kurz stehen. In seiner Miene spiegelten sich abwechselnd Überraschung und Skepsis, und für den Bruchteil einer Sekunde glaubte ich sogar einen Anflug von Traurigkeit darin ausmachen zu können. Als ob er sich für einen kleinen Augenblick an früher erinnerte.

Ich starrte in seine dunkelbraunen Augen, Obsidian gleich, und versuchte mir nicht anmerken zu lassen, wie es in mir brodelte. Wenn es einen Choreografen im gesamten Land – nein, auf der ganzen Erde – gab, mit dem ich nicht zusammenarbeiten wollte, dann war das eindeutig Dax Thompson.

Und das Vergnügen beruhte offensichtlich auf Gegenseitigkeit. Dax’ Gesichtsausdruck ließ keinen Zweifel daran erkennen, dass ihn meine Anwesenheit ebenso wenig freute wie mich seine. Mit seinen eins neunzig überragte er mich deutlich und blickte mich von oben herab an, presste die Lippen aufeinander und fixierte mich.

Schon vor einigen Jahren hatte er den positiven Eindruck, den ich von ihm gehabt hatte, im Keim erstickt. Ich kannte ihn viel länger als die meisten in diesem Raum und wusste, dass er früher ein anderer Mensch gewesen war. Ein Unterschied wie Tag und Nacht.

Und dieser Vollidiot war für die Show von Lyla Sage verantwortlich. Großartig. Als Choreograf wählte er am Ende die Leute aus, die für sie tanzen sollten, damit hatten sich meine Chancen in kürzester Zeit um einiges verschlechtert. Vermutlich wären meine Aussichten sogar besser gewesen, wenn ich meine Schwester an meiner Stelle zur Audition geschickt hätte, die ungefähr so viel Körperspannung besaß wie ein betrunkener Gummiwurm.

So ein verfluchter Mist. Ich brauchte diesen Job mehr denn je. Aber auch wenn ich alles gab, würde sich Dax mit Sicherheit gegen mich entscheiden. Einfach, weil er Dax war. In meiner Clique auch bekannt als Riesenarschloch. Trotzdem, ich durfte mich nicht entmutigen lassen. Ich würde ihm zeigen, was ich draufhatte. Seine Anwesenheit fachte meinen Kampfgeist noch zusätzlich an. Wenn ich schon unterging, dann mit einer Leistung, auf die ich stolz sein konnte.

Entschlossen reckte ich das Kinn und starrte ihm, ohne zu blinzeln, in die dunklen Augen. Auf keinen Fall würde ich die Erste sein, die wegsah.

Ein paar Sekunden später schüttelte er leicht den Kopf und lief weiter.

Leise atmete ich aus.

»Es freut mich, dass ihr so zahlreich erschienen seid. Wer mich nicht kennt, ich bin Dax Thompson und choreografiere Lylas Show.« Er war in der Mitte vor der Spiegelfront stehen geblieben und stellte seinen schwarzen Rucksack ab. Der dunkelblonde Typ, der ihm gefolgt war, lief ein Stück weiter zur Musikanlage, neben der sich zwei Stühle, ein Plastiktisch und ein paar Flaschen Wasser befanden. »Das hier ist mein Assistent Lee.« Dax nickte in Lees Richtung und knetete seine Hände. »Ich würde sagen, wir starten gleich mit der Choreo.«

Seine tiefe Stimme weckte Erinnerungen an vergangene Zeiten. Damals hatte ich sie sexy gefunden und einen kleinen Crush auf ihn gehabt, eine Tatsache, über die ich heute nur noch den Kopf schütteln konnte.

»Die Schritte sind nicht besonders schwer, also gehe ich davon aus, dass ihr sie schnell draufhabt. Später teile ich euch in zwei Gruppen, dann könnt ihr sie besser austanzen. In diesem Gedränge ist das ja unmöglich. Am Ende rufen wir immer ein paar Nummern der Reihe nach auf, und ihr tanzt zu fünft vor. Für die meisten von euch wahrscheinlich nichts Neues.« Als ein kollektives Raunen durch den Raum ging, sah sich Dax mit finsterer Miene um und spannte die Oberarme an. »Gibt’s ein Problem?« Er zog die Augenbrauen zusammen. Dann fuhr er sich mit der Zunge über die Lippen und legte den Kopf schief.

Stille breitete sich aus. Keiner wagte es, auch nur einen Ton von sich zu geben. Es war allgemein bekannt, dass Dax zwar ein sehr talentierter, hart arbeitender Choreograf war, seine schlechte Laune aber gerne mal an anderen ausließ.

»Gut. Dann fangen wir direkt an.«

Alle Blicke lagen erwartungsvoll auf Dax, der vor dem Spiegel stand und mit seinem Nacken nach links und rechts knackte, den Blick starr und angespannt in den Spiegel gerichtet. Sein Assistent Lee stellte sich links von ihm auf, sodass auch die Leute dort am Rand die Schritte mitbekamen. Dann fing Dax an, die ersten Bewegungen auf die Beats in der Musik, den Text und die Counts zu erklären. Die vordere Hälfte des Raumes kniete sich auf den Boden, versuchte, die Schritte nur durch andeuten zu lernen, sodass der hintere Teil des Studios die Choreo auch mitbekam.

»Fünf, sechs, sieben, acht …«, zählte er ein paar Takte später ein und begann die Choreo von vorne zu tanzen. Die fließenden Bewegungen durchfluteten seinen gesamten Körper, und seine muskulösen Arme trafen an den richtigen Stellen die Beats und Sounds. Er fühlte die Musik in jeder Faser seines Körpers, das war nicht zu übersehen.

Beim Anblick der kontrollierten Schritte, Drehungen und Waves, die er entlang des Spiegels ausführte, musste ich unwillkürlich lächeln. Jede Bewegung war perfekt platziert, und dabei strahlte er eine Leichtigkeit aus, für die ihn alle bewunderten. Das war es, was man sich als Tänzer wünschte, doch nur wenige umsetzen konnten. Die Kunst, es einfach aussehen zu lassen, obwohl die Schritte einen an die Grenzen brachten – und oft auch weit darüber hinaus.

Lylas Song verbreitete gute Laune. Es war ein typischer Sommerhit. Und auch wenn es gerade erst Anfang April war, bekam ich sofort Lust, mit einem Drink in der Hand am Strand dazu loszutanzen.

Als die letzten Takte des Songs verklangen, und Lee und Dax stehen blieben, begann der ganze Saal zu klatschen und zu pfeifen. Ich war anscheinend nicht die Einzige, die Dax’ Performance mitgerissen hatte.

Während Lee zur Anlage sprintete, um sie auszuschalten, bückte Dax sich nach seinem Rucksack und kramte darin herum, jedoch ohne etwas herausholen. Im Spiegel erhaschte ich einen Blick auf sein Gesicht, das er für einen kurzen Moment schmerzerfüllt verzog, während er unauffällig sein rechtes Bein ausstreckte und wieder anwinkelte. Seine Brust hob und senkte sich unter schweren Atemzügen. Dann richtete er sich schnell wieder auf und drehte sich mit ausdrucksloser Miene zu uns um, als ob nichts gewesen wäre.

»Ihr probiert das jetzt mal selbst. Lee tanzt mit, und ich schaue mir an, wie es aussieht.« Sein Blick glitt suchend über die Reihen, bis er schließlich an mir hängen blieb.

Mir stockte der Atem, während ich das Gefühl hatte, von tausend Blitzen gleichzeitig getroffen zu werden.

Ganz ruhig … Das liegt sicher nur am Adrenalin.

Ich versuchte, mich nicht von ihm beirren zu lassen, und konzentrierte mich auf die Schritte, schaute im Spiegel auf mich und niemand anderen. Trotzdem bemerkte ich aus dem Augenwinkel, dass Dax langsam zur Anlage lief. Sein ganzer Körper war angespannt, als müsste er sich zusammenreißen, nicht zu humpeln. Der Durchgang von gerade eben hatte sein Knie wohl doch etwas mehr herausgefordert, als er sich anmerken lassen wollte.

»Nummer hundertelf bis hundertfünfzehn, bitte«, rief Lee die nächste Gruppe auf.

Er und Dax saßen mittlerweile auf den zwei Stühlen genau in der Mitte vor dem Spiegel, von wo sie die einzelnen Gruppen, die an der Reihe waren, beobachteten. Vorhin hatten sie auch noch den Tisch dazugeholt, auf dem sie die Sedcards mit Bildern der Tänzer und verschiedene Unterlagen ausgebreitet hatten, auf denen sie sich Notizen machten. Dax saß zurückgelehnt, das eine Bein ausgestreckt, das andere angewinkelt, während er mit seinem Stift gegen die Tischkante klopfte.

Er hatte beinahe etwas Furchteinflößendes an sich. Der argwöhnische Gesichtsausdruck, mit dem er die Tänzer musterte, würde mit Sicherheit den ein oder anderen aus dem Konzept bringen. Mich spornte er jedoch nur noch mehr an, mein Bestes zu geben. Hundertzehn Prozent. Weniger stand nicht zur Debatte.

Während eine Gruppe vortanzte, hielten sich die anderen Tänzer am Rand des Raumes auf, bestenfalls schon in der Reihenfolge ihrer Startnummern, die sie zu Beginn zugewiesen bekommen hatten. Nach den drei Typen und zwei Mädchen, die sich gerade um Kopf und Kragen tanzten, würde ich an der Reihe sein.

In meinem Kopf ging ich die Schritte noch mal durch, während ich versuchte, meinen Puls unter Kontrolle zu bekommen. Zu viel Druck führte oft zu einem Blackout, von einer Sekunde auf die nächste vergaß man die komplette Choreo. Das kannte ich nur zu gut. Deshalb atmete ich tief durch, schloss die Augen und verdrängte den Gedanken, dass von den folgenden Minuten meine Zukunft abhing.

Heilige Scheiße, das muss gut werden.

Die Musik stoppte. Ich hörte den Applaus, schlug die Augen auf und begann ebenfalls zu klatschen.

Nachdem sich Dax und Lee ein paar Notizen gemacht hatten, wurde unsere Gruppe aufgerufen.

Ich zog das Gummi um meinen Pferdeschwanz fester und straffte die Schultern, bevor ich mich mit großen Schritten der Mitte des Raumes näherte und auf den für mich vorgesehenen Platz stellte. Nach einem raschen Blick auf meine Mitstreiter sah ich nach vorne zu den beiden Männern.

Dax’ Blick huschte düster über mein Gesicht. Ich starrte ihn unverhohlen an, woraufhin er den Kopf schief legte und mich herausfordernd anfunkelte.

Hastig sah ich weg und konzentrierte mich auf die Leistung, die ich zu erbringen hatte. Dieser Wichtigtuer würde mich nicht verunsichern – ganz im Gegenteil. Wenn er dachte, dass er mich aus dem Konzept bringen konnte, hatte er sich getäuscht.

Kurz bevor die Choreo losging, rollte ich die Schultern nach hinten und konzentrierte mich auf den Rhythmus des Songs. Je näher der Einsatz kam, desto heftiger spürte ich mein Herz mit jedem Takt gegen meinen Brustkorb trommeln.

Dann ging es los. Es gab kein Zurück. Der Gute-Laune-Vibe der Musik brachte mich zum Grinsen, und ich lieferte die Performance meines Lebens ab. Ich fühlte mit Herz und Seele jede einzelne Zeile, die Lyla sang, und jeden Sound, der an meine Ohren drang. Versuchte, nicht nur mit meinem Körper die Bewegungen eins zu eins so zu tanzen, wie Dax es gezeigt hatte, sondern sie auf meine eigene Art und Weise, in meinem Stil zu interpretieren und damit seine Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Ich drehte mich, sprang hoch, ließ Wellen durch meinen Körper fließen und den Flow des Songs meine Bewegungen kontrolliert ausführen. Ich ging vollkommen in der Choreografie auf und blendete alles um mich herum aus – bis auf Dax, der mich die ganze Zeit über abschätzig musterte.

So schnell es angefangen hatte, war es auch schon wieder vorbei. Mein Brustkorb hob und senkte sich im Takt der Musik, bis diese immer leiser wurde und schließlich ganz verstummte. Schweißtropfen liefen an meinen Schläfen herunter, und ich zupfte mein gelbes Top zurecht, das nach all den wilden Bewegungen etwas verrutscht war, bevor ich Dax ansah.

Er hob eine Braue, und ein überhebliches Grinsen umspielte seine Mundwinkel, als ob er fragen wollte: »Hast du nicht mehr auf Lager, Schätzchen?«

Ich kannte diesen Gesichtsausdruck und wollte in diesem Moment nichts lieber, als ihm eine reinzuballern. Wie er während des Tanzens die ganze Zeit zu mir gesehen hatte und nun mit einem hämischen Grinsen kopfschüttelnd den Blick auf seine Unterlagen richtete, um etwas aufzuschreiben … Wow. Das ließ Wut in mir aufsteigen. Was hatte der Typ für ein Problem?

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie die anderen aus meiner Gruppe sich wieder an den Rand stellten. Einige mit hängenden Schultern, andere strotzten nur so vor Selbstbewusstsein. Da ich mir nicht anmerken lassen wollte, wie mich sein fieses Grinsen verunsichert hatte, wandte ich mich nach einem weiteren kurzen Blick, der Dax signalisieren sollte, dass mir sein kindisches Getue egal war, ab und machte den Tänzern Platz, die als nächste an der Reihe waren.

Bei meinem Rucksack angekommen, holte ich meine Trinkflasche heraus und nahm einen großen Schluck. Das Wasser perlte durch meine trockene Kehle und kühlte mich ein wenig herunter. Nachdem ich die Flasche wieder verstaut hatte, stellte ich mich zu ein paar anderen Tänzerinnen, die ihren Auftritt ebenfalls bereits hinter sich hatten.

»Schau mal, die im roten Oberteil ist schon ziemlich krass«, sagte ein blondes Mädchen mit Nasenpiercing und verschränkte die Arme vor der Brust.

»Ja, stimmt … alle hier sind echt heftig, aber ich habe ein recht gutes Gefühl«, erwiderte eine andere und schüttelte ihre dunkelbraunen Locken.

Ihre Blicke flogen zu mir, als ich mich räusperte. »Hoffen wir mal, dass wir Glück haben und Dax sich für uns entscheidet.«

»So fies, wie der guckt, weiß ich nicht mal, ob er überhaupt jemanden bucht«, bemerkte die Braunhaarige mit einem bitteren Lachen, in das ich einfiel.

Damit hatte sie definitiv recht.

Die Hände in den Taschen meiner schwarzen Trainingsjacke vergraben, die ich mir inzwischen übergezogen hatte, schaute ich zur Tanzfläche. Die letzte Gruppe war vor einer halben Stunde fertig geworden, und seitdem besprachen sich Dax und Lee. Nicht mehr lange und sie würden verkünden, für wen es heute nicht gereicht hatte. Die Verbliebenen mussten direkt im Anschluss in einer weiteren Runde ihr Können unter Beweis stellen. Die Gruppe würde von zweihundertzehn auf sechzig Leute verkleinert werden. Keine Ahnung, wie viele Tänzerinnen und Tänzer sie am Ende auswählen würden. Das Mädel vorhin hatte etwas von zehn angedeutet, aber sicher wusste das wahrscheinlich niemand.

»Okay, wir haben ein erstes Ergebnis«, sagte Dax und erhob sich vom Stuhl, den Blick auf die Liste in seiner Hand geheftet. »Die Nummern, die ich jetzt aufrufe, sind in der nächsten Runde. Der Rest hat es leider nicht geschafft.«

Nervös spielte ich an einer meiner blauen Strähnen herum und runzelte in angestrengter Konzentration die Stirn, um auch ja nichts zu verpassen, als er begann, die Startnummern vorzulesen.

Bitte, hundertsiebzehn. Bitte, bitte, bitte.

Eine Person nach der anderen nannte er, und als ich mich schon fast damit abgefunden hatte, meine Sachen zu packen und das Gebäude zu verlassen, hörte ich zwischen all den Zahlen: »Hundertsiebzehn.«

Oh mein fucking Gott!

Keuchend atmete ich aus, konnte es nicht fassen. Vielleicht hatte sich Lee für mich eingesetzt, immerhin war ich ja keine schlechte Tänzerin. Jedenfalls war ich froh über die Chance, noch einmal zeigen zu können, was ich draufhatte.

In der nächsten Runde mussten wir, wieder in Fünfergruppen, auf denselben Song erst eine halbe Minute freestylen und im Anschluss erneut die vorgegebene Choreo tanzen. Freestyle sollte kein Problem sein, das rauszulassen, was mein Körper fast von alleine tat, würde schon irgendwie hinhauen. Den Song kannte ich mittlerweile auch in- und auswendig.

»Hundertsiebzehn«, hörte ich plötzlich Lees Stimme.

Ich atmete tief ein und aus, lief mit den anderen auf die Fläche und versuchte, Ruhe zu bewahren.

Es ist nur eine Audition, sagte ich mir. Aber es war eine Audition, die mein Leben verändern konnte und mich meinem großen Traum, eine erfolgreiche Tänzerin zu werden, ein großes Stück näher bringen würde. Mein Ziel war es, auf Welttourneen großer Stars mitzutanzen, möglicherweise auch in Tanzfilmen mitzuwirken und weltweit für Workshops gebucht zu werden. Ich wollte ein Leben führen, für das ich brannte. Für das ich mich jeden Morgen gerne zu den frühsten Uhrzeiten aus dem Bett hievte – einfach, weil es meine große Leidenschaft war.

Im nächsten Moment setzte die Musik ein, und ich spürte den Rhythmus, den Gesang, die Beats in jedem Nerv. Als sich mein Körper wie von selbst im Einklang mit dem, was ich hörte, zu bewegen begann, blendete ich alles andere um mich herum aus. Ich fokussierte mich allein auf die Sounds und wenig später auf die Choreo. Vollkommen in meinem Element versuchte ich, die Akzente noch stärker zu setzen und die weichen Passagen noch fließender wiederzugeben.

Als die Musik verstummte, landete mein Blick, ohne dass ich es beabsichtigt hatte, sofort auf Dax. Er musterte mich regungslos, die Stirn in tiefen Furchen und die Lippen leicht geöffnet. Ich fragte mich, was in seinem Kopf vor sich ging – wobei ich mir gleichzeitig nicht wirklich sicher war, ob ich das überhaupt wissen wollte.

Nachdem alle Gruppen getanzt hatten, packten wir unsere Sachen und fanden uns vorne bei Dax und Lee noch mal zusammen. Dax stand vor dem Tisch und lehnte sich mit verschränkten Armen dagegen. Mit meinem beigen Rucksack auf der einen Schulter blieb ich inmitten der Tänzer stehen und beobachtete ihn gespannt.

»Ihr seid alle in der engeren Auswahl. Am Ende werden es wahrscheinlich sieben Mädels und sieben Jungs … so hab ich das auf jeden Fall mit Lyla und der Produktionsleitung besprochen. Wir werden uns in den nächsten Tagen bei denjenigen von euch melden, die es geschafft haben.« Er suchte meinen Blick und ließ ihn nicht mehr los. Ich hob mein Kinn, während er an mich gerichtet fortfuhr: »Viel Erfolg weiterhin, falls es nicht gereicht haben sollte.«

Ich schnaubte. Wenn er damit mich meinte und von Anfang an gewusst hatte, dass ich den Job sowieso nicht bekam, dann war er ein noch größerer Mistkerl, als ich angenommen hatte.

Mit gemischten Gefühlen verließ ich das Studio. Ich hatte mein Bestes gegeben, aber die anderen Mädels waren auch ziemlich gut. Hinzu kam, dass ein Typ über meine weitere berufliche Laufbahn entschied, der mich offensichtlich hasste.

Das kann ja nur schiefgehen.

Und dabei brauchte ich diesen verdammten Job so sehr.

»Bist du fertig?«

Jade wippte auf den Füßen vor und zurück, strich sich dabei durch die hellblonden Haare, die ihr bis zur Brust reichten, und legte sie über ihre Schulter. Wir hatten uns Ende des letzten Sommers kennengelernt, als sie hier in Larry’s Brew als Barista angefangen hatte. Gleich am ersten Tag hatte ich gespürt, dass wir gute Freundinnen werden würden – Jades buschige Augenbrauen waren ein Zeichen gewesen, denn darum hatte ich sie von Anfang an beneidet. Und jetzt war sie nicht nur meine Kollegin im Café, sondern tatsächlich meine beste Freundin. Ich sollte mir eine Glaskugel kaufen, ein kleines Zelt am Straßenrand aufspannen und Wahrsagerin werden. Vielleicht war das ja meine eigentliche Berufung.

»Jap, komme sofort!«, rief ich ihr zu, holte den beigen Rucksack aus dem kleinen Mitarbeiterraum hinter dem Thekenbereich und warf die dunkelblaue Schürze achtlos über einen der Haken an der Wand – von wo sie direkt auf den Boden segelte.

»Hey, aufheben!«, kam es mürrisch von meinem Kollegen Miles, der an der silbernen Bezzera stand und einen Kaffee in eine türkisfarbene Tasse laufen ließ. Sofort breitete sich ein köstlicher Duft hinter der Theke aus.

Miles’ dunkelbraune Locken standen zu allen Seiten ab und hatten große Ähnlichkeit mit einem Nest. Es hätte mich nicht gewundert, wenn sich dort irgendwann auf offener Straße eine ganze Vogelfamilie einnistete. Offensichtlich hatte er meinen fehlgeschlagenen Wurfversuch durch die einen Spalt breit offen stehende Tür beobachtet.

Ich linste ertappt über die Schulter zu ihm und kniff die Augen zusammen. »Du willst doch nur, dass ich mich für dich bücke, du Hund!« Langsam stolzierte ich zur Schürze, hob sie auf und hängte sie an den Haken.

Miles verdrehte die Augen und stöhnte. »Boah, Olivia …«

Triumphierend reckte ich eine Faust in die Luft und schaute ihn mit hochgezogenen Brauen an, als ich an ihm vorbeilief. »Ha! Da fehlen dir die Worte.«

Miles schnaubte noch einmal genervt, doch ich ignorierte ihn. Siegessicher steuerte ich auf Jade zu, die bereits neben der gläsernen Eingangstür zum Café stand und auf mich wartete. Wie so oft trug sie komplett schwarze Kleidung – heute eine Jeans und ihren Lieblingssweater, den sie sich bereits vor Monaten von ihrem Freund Austin ausgeliehen und nie zurückgegeben hatte.

Unglaublich, dass ich noch vor ein paar Stunden in der Halle beim Vortanzen gewesen war. Nach der nervenaufreibenden Audition war ich froh gewesen, mit Jade im Café zu arbeiten. Auch wenn unser Chef Larry an den meisten Tagen ein mürrischer Spießer war, fühlte ich mich hier sehr wohl. Die dunklen Holzregale, auf denen neben Büchern kleine Souvenirs aus unterschiedlichen Ländern zu finden waren – es hatte mittlerweile Tradition, dass Larry aus jedem seiner Urlaube etwas Neues mitbrachte –, verliehen dem Raum etwas Heimeliges. Mit den Samtsofas in verschiedenen Grüntönen und den Holztischen wirkte es fast wie ein großes Wohnzimmer.

Ich schwang mir meinen Rucksack über die Schulter und ging auf Jade zu, die mich anlächelte und sich gegen die Glastür stemmte.

»Tschüss, Miles«, rief sie.

»Ciao, Süßer! Nächstes Mal hebst du aber meine Schürze auf«, sagte ich grinsend, und als er wieder die Augen verdrehte, warf ich ihm eine Kusshand zu und verließ lachend das Café.

Kichernd stupste mich Jade in die Seite, als wir die Straße entlang in Richtung 8 Street Station schlenderten. Wenn unsere Schicht gleichzeitig endete, fuhren wir immer gemeinsam nach Hause, da wir beide in Brooklyn wohnten. Und für heute hatten wir uns noch zu einem gemütlichen Abend in meiner WG verabredet. »Oh Mann, der arme Miles. Er hat es echt nicht leicht mit dir.«

Ich blieb abrupt stehen und starrte sie mit aufgerissenem Mund gespielt entrüstet an. »Dabei bin ich so nett zu ihm, keine Ahnung, wie du auf solche Gedanken kommst.« Ich überlegte kurz und spitzte die Lippen. »Außerdem hast du es mindestens genauso faustdick hinter den Ohren. Wer hatte denn die glorreiche Idee, die Scheine in seinem Portemonnaie gegen Monopoly-Geld auszutauschen?« Ich tat so, als überlegte ich krampfhaft, indem ich mein Kinn in eine Hand stützte und Jade von der Seite musterte.

Sie fing an zu lachen. »Okay, ja … aber das war superwitzig, nicht gemein!«

Wir setzten uns wieder in Bewegung und wichen einer Gruppe Studierender aus, die uns entgegenkam.

Der Frühling in New York war, nach dem Herbst, meine liebste Jahreszeit. Die letzten Sonnenstrahlen des Tages, die sich durch die ersten zarten Knospen der Bäume stahlen, reflektierten in den Scheiben der Geschäfte und Cafés entlang der Straße. Überall hupten Autos, und ich hörte die Rollen von Skateboards, die über den Asphalt sausten. Eine ältere Dame mit einem Rollkoffer, der so voll war, dass oben bereits ihre Einkäufe aus dem Supermarkt herausquollen, blickte grimmig auf die überfüllten Mülleimer, die entlang des Bürgersteigs aufgestellt waren.

»Und, wie war nun die Audition heute Morgen? Her mit den Details!«

Jade hatte mich natürlich schon während unserer Schicht mit Fragen nach dem Vortanzen gelöchert, aber ich hatte sie vertröstet. Ich hatte zuerst die Ereignisse des Vormittags für mich selbst sortieren müssen.

»Oh Gott, ganz schlechtes Thema …« Ich schüttelte den Kopf.

Besorgt sah mich Jade von der Seite an und hakte sich bei mir unter. »Lief es so übel?«

»Schwer zu sagen. Die anderen waren echt krass, aber ich bin in der Endauswahl und denke schon, dass ich ganz gut getanzt habe …«

»Was?! Wie genial ist das denn? Warum ist es denn dann ein schlechtes Thema?«, unterbrach sie mich und riss die Augen auf.

»Na ja …« Ich warf ihr einen gequälten Blick zu. »Du ahnst nicht, wer der Choreograf ist und sich somit auch um die Auswahl der Tänzerinnen und Tänzer kümmert.«

Sie runzelte nachdenklich die Stirn. »Okay, keine Ahnung, sag’s mir!«

»Dax.«

Ihr klappte der Kiefer herunter. »Meinst du etwa den Dax? Also … Austins Dax?«

»Jap, gut kombiniert, Sherlock.« Ich seufzte und merkte, wie es erneut in mir anfing zu brodeln. »Er hat mich natürlich sofort erkannt und immer wieder arrogant angelinst. Total nervig, der Kerl. Und ausgerechnet der entscheidet über meine Zukunft, ich glaube, es hackt …«

Jade drückte meinen Arm. »Ich bin bisher nicht so richtig durchgestiegen, was damals passiert ist. Austin hält sich mit Details, was die ganze Geschichte angeht, ziemlich zurück. Dax war vor dem Streit mit Austin auch Teil eurer Clique, oder?«

»Nein … Ja … irgendwie schon. Er und Austin waren beste Freunde, und er hat auch bei uns in der Tanzschule getanzt. Aber wenn wir was mit der Clique unternommen haben, war er nur hin und wieder dabei, wirklich eng befreundet waren wir nie. In den Classes sind wir uns begegnet, haben miteinander trainiert, auch mal herumgealbert, aber ich war mit ihm nie so dicke wie mit Austin, Vincent oder Brennan.«

»Und dann kam die Sache mit dem Unfall.«

»Und Mackenzie«, fügte ich hinzu. »Er hat sich wie ein Arsch verhalten. Einfach etwas mit der Ex des besten Freundes anzufangen … Austin tat mir damals echt leid.«

»Austin meinte, dass Dax früher ganz anders war«, sagte Jade und legte den Kopf schief.

»Total. Früher war er echt nett und sogar witzig, aber der Unfall scheint nicht nur sein Knie zerstört, sondern auch seinen Charakter verändert zu haben. Danach war er echt komisch drauf, hat niemanden an sich rankommen lassen, war nur noch schlecht gelaunt und hat jeden angeschnauzt, der ihn angesprochen hat. Als wären wir alle kollektiv daran schuld, was passiert ist. Dabei können wir ja nichts dafür, dass er mit Austin auf dieser dämlichen Party war und bei der Razzia dann von den Leuten überrannt wurde. Klar ist das übel, aber ich hab damit doch gar nichts zu tun. Außerdem ist das alles inzwischen fast drei Jahre her.«

»Krass … Aber meinst du wirklich, er ist so unprofessionell, dass er sich deswegen gegen dich entscheidet? Du trainierst so hart und hättest es echt verdient.«

Dankbar zog ich sie noch ein Stück enger zu mir, während wir die Stufen zur Metrostation nach unten liefen. »Danke! Der Job wäre so wichtig, aber irgendwie habe ich die Hoffnung schon aufgegeben. Ich glaube tatsächlich, dass er sich niemals für jemanden aus unserer Clique entscheiden würde, dafür ist er immer noch viel zu wütend auf uns.« Ich lachte bitter auf. »Du hättest dabei sein müssen – der Typ hat mich angesehen, als hätte ich ihm persönlich das Knie zertrümmert. Und dann dieser Satz, den er am Ende gesagt hat: Viel Erfolg weiterhin, falls es nicht gereicht haben sollte …«

Jade seufzte. »Vielleicht interpretierst du zu viel in die ganze Sache rein. Ich glaube nicht, dass jemand, der auf so professioneller Ebene arbeitet, sich dermaßen von seinen Gefühlen leiten lässt. Mach dir keinen Kopf, das wird schon.«

Hoffentlich. Sonst musste ich bis zu meinem Lebensende im Café jobben und Miles belästigen – und das würde keinem von uns guttun.

»Oh Gott, willst du mich heiraten?« Mit großen Augen starrte ich meinen Mitbewohner Brody an, der an unserem spartanischen Klapptisch rechts in der Wohnküche saß. Vor ihm türmten sich drei Kartons, aus denen mir Pizzaduft entgegenwehte. Allein der Gedanke an geschmolzenen Käse ließ mir das Wasser im Mund zusammenlaufen.

»Heute nicht, hab noch zu tun«, brummte er. »Hey Jade, alles gut?«

Jade streifte sich ihre Schuhe ab und lief an mir vorbei zu Brody, um sich an den Tisch zu setzen. »Ja, na klar. Bei dir auch?«

»Viel zu arbeiten, aber sonst schon«, entgegnete er und nickte, ein Lächeln auf den Lippen. Dabei fiel ihm eine dunkelbraune Strähne in die Stirn.

Dank all der Arbeit, die sich Brody in letzter Zeit aufgehalst hatte, war sein dunkler Dreitagebart zu einem Siebentagebart herangewachsen, doch irgendwie stand es ihm. So wirkte mein sonst so ruhiger und zurückhaltender Mitbewohner tatsächlich fast ein wenig verwegen.

Brody hatte Film studiert und arbeitete als Videograph für Firmen und auf Veranstaltungen. Entweder man fand ihn an seinem Schreibtisch oder irgendwo draußen mit einer Kamera in der Hand. Er hatte auch schon das ein oder andere Tanzvideo für uns gefilmt und geschnitten und hatte es echt drauf, aber er arbeitete – meiner Meinung nach – viel zu viel und ließ den Spaß im Leben dabei eindeutig zu kurz kommen.

Nachdem ich meine weißen Sneakers ausgezogen und den Rucksack abgelegt hatte, folgte ich Jade in die Wohnküche.

Brodys und meine Wohnung galt bei meinen Freunden als Nachwuchsdschungel. So viele Pflanzen wie wir … na ja, wie ich … hatte niemand, den ich kannte. Als meine letzte Mitbewohnerin vor über einem Jahr ausgezogen war, hatte ich die Gunst der Stunde genutzt und mich erst einmal in der ganzen Wohnung breitgemacht, bevor ich mir jemand Neues gesucht hatte.

Die Wohnküche bestand aus einer Küchenzeile hinten rechts im Raum, daneben stand der kleine Holztisch mit drei Metallstühlen. Links an der Wand auf dem schweren Mahagoni-Sideboard, das mir meine Eltern geschenkt hatten, lehnte, natürlich neben vielerlei Pflanzen, ein runder Spiegel. Und in den anderen Ecken und auf den Regalbrettern an den Wänden fand sich noch mehr Grünzeug. Angefangen bei einer Kentia-Palme über Gummibäume und Monsteras bis hin zu Glücksfedern und Calatheas, besaß ich fast alles, was das Herz eines Pflanzenliebhabers höherschlagen ließ. Früher hatte ich ihnen mal Namen gegeben, aber da mein Hirn einem Sieb glich, hatte ich sie über die Monate vergessen, vertauscht oder umbenannt. Hofften wir mal, dass ich so nicht mit meinen zukünftigen Kindern umging.

Brody und Jade öffneten bereits ihre Kartons, als ich mich zu ihnen auf einen der Stühle fallen ließ.

»Danke, dass du schon mal bestellt hast. Ich habe so einen Hunger«, sagte ich an Brody gerichtet und zog an der Lasche meines Pappkartons. Zum Vorschein kam eine Pizza mit dreifach Käse und extra Käserand. »Die habe ich jetzt echt nötig.«

Brody sah mich fragend mit gerunzelter Stirn an, bevor sich seine Miene aufhellte. »Ach, stimmt. Dein Vortanzen. Wie lief es?«

Mürrisch widmete ich mich dem ersten Stück Pizza, stellte mir vor, dass der Mozzarella-Haufen darauf Dax war, und funkelte ihn böse an. »Lass uns nicht darüber reden, sonst tu ich dieser Pizza Dinge an, die sie nicht verdient hat.«

»Die kann da aber nichts für«, murmelte Jade und schob sich das letzte bisschen ihres Stücks in den Mund.

»Okay, okay …« Ich biss grimmig ab. »Wie war dein Tag so?«

Brody fuhr sich über den Bart, um ein paar Krümel zu beseitigen, die sich darin verfangen hatten. »Stressig. Ich sitze seit heute Morgen um acht an meinem Schreibtisch und mache nichts anderes, als mir Konzepte zu überlegen und ein bisschen zu schneiden.«

»Dann tut dir die Pizza sicher genauso gut wie mir.«

Er nickte und brummte ein »Gut möglich«.

»Ich will euch ja nicht neidisch machen, aber mein Tag war super – und außerdem noch sehr produktiv«, warf Jade fröhlich ein. »Dein Kleid für Dans Hochzeit ist fast fertig.«

Die erste gute Nachricht des Tages. Ich entspannte meine gerunzelte Stirn, und ein breites Lächeln legte sich auf meine Lippen. »Wie cool! Ich bin schon so gespannt darauf, aber bei deinem Talent mache ich mir natürlich keine Sorgen.«

Jade blinzelte mir zu. »Es wird dir so gut stehen!«

Dan gehörte das Move District, die Tanzschule, in der ich seit vielen Jahren tanzte und unterrichtete. Genauer gesagt: mein zweites Zuhause. Seine Hochzeit stand vor der Tür, und ein paar Mitarbeiter der Tanzschule, die er schon besonders lange kannte, waren auch eingeladen. Da Jade im Herbst ihr Modedesignstudium an der Parsons School of Design begann, unschlagbar tolle Sachen entwarf und auch selbst nähte, hatte sie mir angeboten, sich um mein Kleid zu kümmern. Nach den grandiosen Designs, die sie sich für die Merchandising-Linie des Move District ausgedacht hatte, konnte das Kleid nur toll werden.

Wir aßen noch eine Weile und fachsimpelten dabei über Unverfängliches wie Pizzabeläge. Nach all den Monaten unserer Freundschaft konnte ich immer noch nicht verstehen, wie Jade ihre Pizza aß: mit Champignons, Spinat, Paprika, Ananas, Chicken Nuggets und extra viel Knoblauch. Das war doch eine Zumutung.

»Musst du jetzt noch weiterarbeiten?«, fragte ich Brody, während ich die Kartons zum Mülleimer neben dem Kühlschrank brachte.

»Nein, für heute bin ich fertig. Ich wollte noch ins Kino. In die Spätvorstellung.«

Mein Blick huschte zu ihm. »Alleine?«

»Jap.« Er nickte kurz und stand auf, um in sein Zimmer zu gehen.

»Du weißt, dass du auch gerne mit uns abhängen kannst, oder?«

Er blieb mit der Hand auf dem Knauf seiner Zimmertür stehen und drehte sich zu mir um. »Jap.«

»Okay.«

Prüfend schaute ich ihm hinterher. Er traf sich selten mit seinen Freunden, ab und zu hing er zwar mit mir oder auch mal mit meiner Clique ab, doch die meiste Zeit blieb er allein. Wahrscheinlich lag das daran, dass er einfach kein Party-Mensch war und sich stattdessen lieber auf seine Projekte stürzte. Trotzdem mochte ich ihn echt gerne. Wenn man ihn brauchte, war er für einen da und hatte immer einen guten Rat parat.

»Olivia?«, kam es aus meinem Zimmer, in das sich Jade verzogen hatte. »Wollen wir anfangen?«

»Klar, ich komme gleich«, rief ich zurück.

Den Rest des Abends verbrachten Jade und ich damit, kitschige Teeniekomödien anzusehen. Nach einem langen Tag wie diesem war schlichte Fernsehunterhaltung einfach durch nichts zu schlagen. Und solange ich keinen Zac Efron in meinem eigenen Leben hatte, musste ich wohl mit Troy Bolton und High School Musical vorliebnehmen.

Ich saß auf einem der dunkelgrauen Sofas im Eingangsbereich der Tanzschule, scrollte gedankenversunken durch die Playlist auf meinem Laptop und fügte ein paar neue Songs hinzu. Es waren zu viele tolle Lieder in der letzten Zeit herausgekommen. Wie sollte ich mich da entscheiden? Zwei fürs Aufwärmen und zwei zum Stretchen standen noch aus. Das für die Choreo, die ich heute Mittag noch schnell vorbereitet hatte, befand sich schon auf der Liste.

Mit dem Fuß wippte ich im Takt von »Forever« von FLETCHER, das leise aus den Lautsprechern drang, die in jeder Ecke des Foyers von der Decke hingen. Durch die Glasfront konnte ich die Menschen beobachten, die in ihrer Alltagshektik vorbeiliefen, während hier im Move District entspannte Ruhe herrschte. Auf den dunklen Sofas, Sesseln und an den kleinen Tischen um mich herum saßen einige Leute und unterhielten sich, lachten miteinander und tauschten sich aus. Zwei Typen machten sich über ihre Nudelbox her, während sie sich auf einem Laptop ein Tanzvideo ansahen. An den weißen Wänden waren Monitore angebracht, auf denen Tanzclips ohne Ton liefen, daneben hingen Plakate von Tänzern und Crews. Links hinter dem Check-in-Tresen reihten sich einige Regale und Kleiderstangen mit Merchandise-Artikeln aneinander. Pullis, Jogginghosen, Rucksäcke, Shirts, Bandanas, die mit dem Logo der Tanzschule bedruckt waren.

Das Move District war das zweite Zuhause vieler Tänzerinnen und Tänzer in New York. Kurz nachdem ich als Kind mit meinen Eltern in die Stadt gezogen war, hatte ich mich hier angemeldet, um Tanzstunden zu nehmen, ohne zu ahnen, wie stark mich dieser Ort prägen würde. Zuerst startete ich mit Ballett, interessierte mich dann aber schnell vor allem für urbanere Tänze wie New Style, Old School und dergleichen, also das, was die meisten Leute mit dem Wort »Hip-Hop« meinten. Modern Dance und verschiedene andere Stilrichtungen folgten, und schwupps, siebzehn Jahre später verbrachte ich, neben der Arbeit in Larry’s Brew, die meiste Zeit meines Tages in diesem Gebäude, mit dem ich mit die schönsten Erinnerungen meines Lebens verband.

»Machst du heute was Neues oder die Choreo von letzter Woche?«, hörte ich jemanden neben mir fragen und hob den Kopf.

Sienna ließ sich auf den grauen Sessel schräg gegenüber sinken und lächelte mich an. Ihr beiges Shirt steckte vorne in ihren schwarzen Sportleggings. Sie wickelte sich eine der mahagonibraunen Strähnen um den Zeigefinger, die sich aus ihrem hohen Pferdeschwanz gelöst hatten, und blickte mich fragend an.

»Etwas Neues«, entgegnete ich und richtete mich ein Stück auf. »Und ich glaube, dass du es lieben wirst.«

»Erzähl!« Ihre grünen Augen sprangen mich förmlich an, doch ich grinste nur verschmitzt.

»Da musst du dich wohl oder übel überraschen lassen.«

»Du bist so fies, Olivia«, sagte sie mit einem so breiten Lachen, dass ihre weißen Zähne im Licht aufblitzten.

»Wer ist fies?«, erkundigte sich Austin, der zusammen mit Jade vom Check-in-Schalter zu uns herübergeschlendert kam. Zusammen ließen sie sich auf eines der Sofas in unserer Sitzgruppe sinken. »Was hat Olivia schon wieder angestellt?« Er grinste. Seine hellbraunen welligen Haare, die an den Seiten kürzer geschnitten waren, glänzten im Licht der Sonne, das durch die breite Glasfront zur Straße fiel.

»Wie kommst du eigentlich darauf, dass ich schon wieder etwas angestellt habe?«

Austin hob die Augenbrauen, während er sich zurücklehnte und den Arm um die Schultern seiner Freundin legte. »Ist das eine ernst gemeinte Frage?«

Jade kniff ihm kichernd in die Seite, und er krümmte sich lachend, dann sagte sie: »Du bist doch derjenige, der immer auf die dümmsten Ideen kommt. Oder was war das letzte Woche mit dem …«

»Schhhh«, unterbrach Austin sie schnell und hielt ihr mit der flachen Hand den Mund zu.

Sie versuchte, sich aus seinem Griff zu schälen, und als er sie schließlich losließ, schüttelte sie den Kopf und boxte ihm schmunzelnd in den Bauch.

»Könnt ihr mal aufhören, so süß zu sein? Das deprimiert mich.« Sienna verschränkte die Arme vor der Brust und musterte die beiden finster. »Mein letztes Date war mal wieder ein purer Reinfall. So langsam gebe ich die Hoffnung auf.«

»Dann, wenn du am wenigsten danach suchst, kommt der oder die Richtige. Zumindest habe ich das schon mal irgendwo gehört«, entgegnete ich. »Und selbst wenn nicht … Wir brauchen doch keinen Partner, um glücklich zu sein. Es ist zwar schön, wenn man jemanden hat, aber er oder sie sollte das Sahnehäubchen auf der Torte sein und nicht die Torte selbst.«

»Ich weiß, ich weiß.« Sienna zuckte mit den Schultern. »Aber ich mag Torte wirklich gerne.«

»Vor allem, wenn sie fast nur aus Sahne besteht«, fügte Austin hinzu.

»Austin!«, fuhr ich ihn mit zusammengekniffenen Augen an. »Du machst meinen ganzen Vergleich zunichte. Jade, tacker ihm gefälligst den Mund zu.«

»Ja, das ist echt überfällig«, stimmte sie mir zu und blickte ernst zu ihrem Freund auf, der daraufhin in gespieltem Entsetzen Augen und Mund aufriss.

»Jetzt habe ich richtig Lust auf Torte. Wollen wir Sonntag nach dem Training in dieses süße neue Café in der Nähe von Chelsea Market? Das ist nur drei Blocks von hier, und es schreit förmlich danach, von uns geplündert zu werden«, seufzte Sienna.

»Eigentlich liebend gerne, aber ich muss doch alle zwei Wochen sonntags zum Essen bei meinen Erzeugern, und diese Woche ist es wieder so weit«, entgegnete ich und verdrehte die Augen.

»Ach stimmt, Mist. Dann Samstag?«

»Das kriegen wir bestimmt hin.«

»Hast du eigentlich schon was von der Audition gehört?« Jade legte den Kopf schief.

»Nein, bisher noch nicht. Ist ja aber auch erst zwei Tage her, das wird sicher noch dauern. Falls sie sich überhaupt melden.« Insgeheim hatte ich mit dem Job schon abgeschlossen. Es hätte mich gewundert, wenn Dax sich nach all dem Streit in den letzten Jahren für mich entschieden hätte. Mein Blick flog zur Uhr am oberen Rand des Laptopbildschirms. »Upsi, ich muss langsam mal nach hinten und mein Zeug aufbauen. Bis gleich.« Ich schnappte mir den Rucksack und schenkte meinen Freunden ein Lächeln. Sie würden gleich in den Saal nachkommen.

Meinen Laptop in der einen Hand, die Trinkflasche in der anderen, manövrierte ich zwischen den Sitzgelegenheiten hindurch und betrat den langen Flur, der zu den verschiedenen Tanzräumen führte. Auf jeder Seite des Flurs befanden sich neben den Türen Glasscheiben, durch die man sehen konnte, welche Classes gerade abgehalten wurden. Rechts drehten ein paar Kinder in rosafarbenen und schwarzen Bodys und Leggings Pirouetten durch den ganzen Raum, während ich zwei Räume weiter den Old-School-Kurs für Anfänger ausmachen konnte, den Vincent unterrichtete. Sein schulterlanges dunkelbraunes Haar hatte er auf dem Kopf zu einem Dutt gebunden. Er bewegte seinen Oberkörper federnd im Groove der Funk-Musik.

Zwei Scheiben weiter linste ich in den leeren Raum und stemmte mich dann mit der Schulter gegen die Tür. Sofort stieg mir der Geruch des gewachsten Parketts in die Nase, und ich betätigte den Lichtschalter innen neben der Tür, die hinter mir ins Schloss fiel.

Ruhe.

Meine Schritte hallten durch den Raum, als ich auf das Pult vorne links zusteuerte, das neben der großen Spiegelfront aufgebaut war. Der riesige Tanzsaal hatte auf mich immer eine beruhigende Wirkung. Egal wie turbulent der Tag auch gewesen sein mochte, wenn ich hier vor den Spiegeln stand und die Musik aus den Ecken dröhnte, war ich glücklich.

Ich stellte meinen Laptop und die Flasche auf die Ablagefläche neben der Anlage und legte meinen Rucksack daneben auf den Boden. Dann stützte ich mich mit den Händen am Tisch ab und atmete tief durch. Ich war alleine und musste kein Lächeln aufsetzen, wenn mir nicht danach war. Zumindest jetzt noch nicht. Ich hatte gleich eine Class zu unterrichten, und ich wollte mir nicht anmerken lassen, wie sehr mich die indirekte Absage für die Audition mitnahm. Ich war doch Olivia … Olivia, die immer lachte, dumme Sprüche riss und für ihre Freunde da war. Und nicht Olivia, die herumheulte, weil sie bei einem Vortanzen versagt hatte. Mal wieder.

Ich straffte die Schultern, richtete mich auf und fuhr mir mit den Händen übers Gesicht und über die hellblauen Haare, die ich heute Vormittag achtlos zu einem Dutt gebunden hatte. Ein paar Strähnen hatten sich im Laufe des Tages gelöst und hingen mir ins Gesicht. Rasch strich ich sie nach hinten. Dann verband ich meinen Laptop mit der Musikanlage, öffnete eine meiner Playlists, und schon ertönten aus den Lautsprechern die sanften Klänge von Gabrielle Aplins Stimme.

Nach und nach trudelten die ersten Kursteilnehmer ein, begrüßten mich freundlich winkend und unterhielten sich, während sie sich einen Platz suchten. Überall war Stimmengewirr zu hören. Am Rand standen zahlreiche Sporttaschen, Rucksäcke und Trinkflaschen.

Punkt neunzehn Uhr. Zeit anzufangen.

Mit ein paar schnellen Klicks reduzierte ich die Lautstärke der Musik ein wenig und wandte mich der Gruppe zu. »Schön, dass ihr da seid«, begann ich und ließ den Blick von Gesicht zu Gesicht huschen, um jeden mindestens einmal angelächelt zu haben. »Nach dem Warm-up habe ich heute eine neue Choreo für euch, also kein Problem, falls ihr zum ersten Mal hier seid, ihr werdet bestimmt gut mitkommen.« Das hier war keine Beginner-, sondern eine Intermediate-Class. Jeder Tänzer in diesem Raum sollte schon einigermaßen tanzen können oder zumindest gewillt sein, über seine Grenzen hinauszugehen und etwas Neues zu lernen.

Ich erinnerte mich an meine erste Intermediate-Class. Damals noch bei Dan, dem Inhaber der Tanzschule. Er hatte zu mir gesagt, dass er nicht glaubte, dass es eine gute Idee sei, als Anfänger an einem Mittelstufenkurs teilzunehmen, doch das war mir egal gewesen. Ich wollte mich verbessern. Unbedingt. Außerdem wusste ich, dass es half, mit stärkeren Tänzern zu trainieren; es pushte einen, da man automatisch versuchte, sich ihnen anzupassen. Nach meiner ersten Einheit in dem Kurs hatte Dan ein verdutztes Gesicht gemacht angesichts der Tatsache, dass ich ziemlich gut mitgekommen war. Mit hartem Training, Konzentration und Disziplin hatte ich es damals geschafft und war stolz auf mich gewesen.

Zum Aufwärmen ließ ich »Rain On Me« von Lady Gaga und Ariana Grande laufen, was die Leute zum Schwitzen bringen sollte. Ich drehte die Lautstärke auf und hüpfte auf die Tanzfläche, platzierte mich vorne vor dem Spiegel und begann damit, abwechselnd von links nach rechts zu sliden. Einen Schritt mit dem Fuß zur Seite, und der andere zog hinterher. Ein paar Achter bewegten wir uns damit durch den Raum und landeten letztlich wieder vorne vor dem Spiegel. Die Arme bewegte jeder einfach so dazu, wie er es fühlte – mal vor dem Körper, dann über dem Kopf oder auch auf Schulterhöhe an den Seiten. Als ob man im Club tanzte. Das Gefühl, das man bekam, wenn die Leute in der eigenen Class Spaß hatten und lachten, war unschlagbar. Aber bei dem Lied war das auch kein Wunder.

Nach zwei Songs beendete ich die Aufwärmphase mit einigen Dehnübungen zu einem ruhigeren Lied. So aufgelockert die Stimmung gerade eben noch gewesen war, so ruhig war es nun. Jeder konzentrierte sich auf seinen eigenen Körper und die Muskeln, die er stretchen wollte.

Ein paar Minuten später klatschte ich vergnügt in die Hände und lief zurück zu meinem Laptop, um die Musik auszustellen. »Seid ihr alle warm, oder wollen wir noch eine Runde Krafttraining machen? Liegestütze und Sit-ups? Drei Minuten Plank? Was meint ihr?« Ich grinste breit.

Als Antwort ging ein Raunen gepaart mit vor Entsetzen aufgerissenen Augen durch den Raum.

»Danke, aber nein danke«, kam es von Sienna, die in der zweiten Reihe ganz rechts neben Jade und Austin stand.

»Okay, dann verschone ich euch heute«, entgegnete ich gnädig und stellte mich wieder mittig vor die Spiegelfront. »Wir starten am besten direkt mit der Choreo. Hat jeder ausreichend Platz?«

Die meisten Kursteilnehmer nickten kurz oder brummten zustimmend.

»Also, wir fangen mit zwei breiten Schritten nach vorne an. Lehnt euch dabei mit dem Oberkörper ein Stück nach hinten, dann sieht das nicht so aus, als ob ihr euch in die Hose gemacht hättet.« Ich zeigte die ersten Bewegungen, und die knapp dreißig Kursteilnehmer hinter mir machten es nach. Wir tanzten die Schritte, und danach erklärte ich direkt die nächsten. Immer wieder schaute ich, ob alle mitkamen, und beantwortete Fragen.

»Wollt ihr es mit Musik probieren?«, fragte ich in die Runde, obwohl ich die Antwort bereits kannte.

Ein kollektives Ja ertönte, und ich lief zu meinem Laptop, um das Lied auszuwählen, zu dem ich vor ein paar Stunden die Choreo entwickelt hatte.

Ich klickte zweimal auf das Touchpad meines Laptops, und schon begannen Wiz Khalifa und Tyga »Contact« zu rappen. Mit wenigen Schritten nahm ich wieder meine ursprüngliche Position vor dem Spiegel ein und bedeutete den Tänzern in den ersten Reihen, tiefer zu gehen, sodass die Teilnehmer hinter ihnen auch etwas sehen konnten. Ich bewegte meinen Oberkörper und meine Beine gleichmäßig im Rhythmus der Musik, groovte mich ein und konzentrierte mich, bis Tygas Strophe begann und mein Einsatz kam.

Sofort gab ich alles und versuchte, die gechillte Stimmung des Songs mit meinen Bewegungen und meinem Ausdruck wiederzugeben. Harte Akzente auf Beats und Instrumente, gefolgt von weichen Bewegungen, die durch meine Körperteile flossen. Ich musste grinsen – einfach, weil ich so viel Spaß hatte. Der Bass donnerte durch meinen Körper und katapultierte mich in eine andere Dimension, in der es nur mich und diesen Song gab.

Als ich die Choreo fertig getanzt hatte, ließ ich die Bewegungen locker auslaufen und bewegte mich im Rhythmus der Musik zurück zum Pult. Währenddessen ertönten Applaus und Pfiffe.

Ich hob den Kopf, sah in strahlende, lachende und erstaunte Gesichter und wusste, dass ich alles richtig gemacht hatte. Grinsend klickte ich wieder kurz vor die Stelle, an der die Choreo einsetzte, und lief zurück auf die Fläche.

»Alles klar, jetzt probieren wir’s zusammen«, rief ich durch den Raum und zählte wenig später ein.

Aus dem Augenwinkel achtete ich auf die Leute um mich herum und schaute, ob sie mitkamen oder ob ich die eine oder andere Stelle noch mal genauer erklären musste. So wie ich es sah, klappte es ganz gut, also tanzten wir noch ein paar Runden, um die Schritte zu verfestigen.

Plötzlich ertönte das Klingeln eines Handys.

»KUCHEN! KUCHEN!«, rief ein Typ rechts hinten im Raum, und keine Sekunde später skandierten die anderen Kursteilnehmer mit.

In meinen Kursen gab es die Regel, dass die Person, deren Handy während einer Class klingelte, in der darauffolgenden Woche Kuchen mitbringen musste. Strafe musste sein. In der Schule hätte es vielleicht Nachsitzen oder eine Strafarbeit gegeben, doch ich handhabte das lockerer und hatte selbstverständlich nur das Wohl der Gruppe im Sinn. Unfassbar, wie selbstlos ich manchmal war …

»Also, wenn es nach mir geht, dann gerne Himbeerkuchen oder irgendwas mit ganz viel Schokolade!«, sagte ich hämisch grinsend und schaute mich im Raum nach dem armen Opfer um, das für dreißig Leute backen durfte. Ha, ha.

Verwirrte Blicke flogen hin und her, während das Klingeln nicht aufhörte. Einige liefen zu ihren Taschen und Rucksäcken, um zu prüfen, ob es ihr Handy war, doch ich sah nur Kopfschütteln.

»Olivia, ich glaube, das ist deins.« Austin stand neben dem Pult, hob meinen Rucksack mit einer Hand in die Höhe und zeigte mit der anderen grinsend darauf.

Ich riss die Augen auf und spurtete zu ihm. »Verdammte Ameisenkacke. Ich dachte, ich hätte es ausgeschaltet! Tut mir leid, Leute«, murmelte ich und kramte im Rucksack.

»Schon gut, geh ruhig ran, ich übernehme so lange. Aber dafür hätte ich dann gerne Brownies«, sagte Austin, drückte kurz grinsend meine Schultern und stellte sich anschließend vor den Spiegel.

In der nächsten Sekunde hatte ich, ohne auf das Display zu schauen, abgehoben.

»Hallo?«

»Olivia Mitchell?«

»Genau … mit wem spreche ich?«

»Super! Hi, Olivia. Hier ist Lee. Ich arbeite für Dax Thompson. Du warst vorgestern bei der Audition für Lyla Sage.«

Mit aufgerissenen Augen lauschte ich Lee und traute meinen Ohren nicht. »Ja …?«

»Dax und ich haben uns die letzten Tage besprochen. Du warst ja in der engeren Auswahl. Ich wollte dich nur kurz anrufen, um dir mitzuteilen, dass …«

Ich hielt den Atem an. Dieser Kerl machte es echt spannend. Spuck es aus, wollte ich ihm an den Kopf werfen, doch das hätte wahrscheinlich einen ziemlich bescheidenen Eindruck gemacht.

»Wir haben uns für dich entschieden! Glückwunsch! Du bist bei der Tour dabei, falls du noch Lust hast?«

Ach du heilige Scheiße, war das sein Ernst? Unsicher blickte ich mich um auf der Suche nach versteckten Kameras.

»Echt jetzt?«, fragte ich zur Sicherheit nach.

Lee lachte in den Hörer. »Ja, echt! Wir sehen uns dann Freitag zum ersten Training. Ich schicke dir per Mail alle Infos, die du brauchst … Bis dahin.« Dann legte er auf.

Starr vor Schock glotzte ich auf das Display meines Handys, das inzwischen wieder schwarz geworden war. Ich konnte nicht glauben, was da gerade passiert war. Dax und Lee hatten mich für den Job meines Lebens engagiert. Ich hatte es geschafft. Endlich. Alles würde sich ändern.

»Alles klar?«, erkundigte sich Austin, der bei meinem Anblick mitten in der Bewegung innegehalten hatte. Alle Augen waren auf mich gerichtet.

Erst in diesem Moment realisierte ich, dass mir vor Überraschung noch immer der Mund offen stand. Schnell klappte ich ihn zu, legte mein Handy auf den Tisch neben meinen Laptop und atmete tief durch. Und dann traf es mich erneut mit voller Wucht: Ich würde Lyla auf ihrer Tour begleiten.

Mit einem Jubelschrei hüpfte ich auf Austin zu. »Holy Guacamole, das war gerade jemand von der Produktion von Lyla Sage. Dreimal dürft ihr raten, wen ihr bald neben ihr auf der Bühne tanzen sehen werdet!«

Augenblicklich rastete der komplette Kurs vollkommen aus. Alle kreischten und klatschten für mich. Sie feierten meine Leistung, was ich erreicht hatte, und das bedeutete mir unendlich viel. Sienna und Jade fielen mir zur selben Zeit um den Hals, und ich bekam vor lauter Liebe fast keine Luft mehr.

»Das ist so, so toll«, sagte Jade mit Tränen in den Augen, nachdem sie sich von mir gelöst hatte. »Ich freue mich total für dich.«

Bis über beide Ohren grinsend, bedankte ich mich und wandte mich dann der gesamten Class zu. »Vielen Dank für den Applaus! Aber jetzt machen wir weiter.« Ich schüttelte schnell den Kopf, um mich gedanklich zurück in den Tanzsaal zu bringen, auch wenn es mir verdammt schwerfiel. In meiner Vorstellung stand ich bereits auf einer Bühne vor Tausenden von kreischenden Menschen.

»Aber der Kuchen wird gebacken – keine Ausreden!« Austin stemmte eine Hand in die Seite und drohte mir mit erhobenem Zeigefinger wie eine Gouvernante.

»Ich backe jeden Kuchen, den ihr wollt«, antwortete ich grinsend.

»Also ich hätte gerne Torte mit ganz viel Sahne«, kam es von Sienna, worauf Jade und ich hysterisch kichern mussten.

»Alles klar«, entgegnete ich, nachdem ich wieder einigermaßen Luft bekam.

Den Rest der Stunde konnte ich meine gute Laune nicht zügeln. Das fette Grinsen wollte einfach nicht aus meinem Gesicht verschwinden, und ich steckte den ganzen Raum damit an.

Ich war überglücklich. Das war die