Lights of Darkness - Maren Vivien Haase - E-Book
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Lights of Darkness E-Book

Maren Vivien Haase

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Beschreibung

Frankie & Tyler: Sie fürchtet die Dunkelheit. Er fühlt sich nur bei Nacht lebendig. Doch als Licht und Schatten aufeinandertreffen, ändert sich alles …

Frankie Davis hat panische Angst vor der Dunkelheit. Als Kind musste sie schlimme Erfahrungen machen, weshalb sie bis heute nur bei absoluter Helligkeit einschlafen kann. Sobald das Licht erlischt, fürchtet sie die Geschehnisse von damals neu durchleben zu müssen. Tyler Montgomery ist ein Nachtmensch durch und durch. Seit einer schrecklichen Tragödie flüchtet er sich in die Dunkelheit, um unter den Sternen mit seinen Problemen allein sein zu können. Doch als Frankie und Tyler – Licht und Schatten – spüren, dass da mehr zwischen ihnen ist als nur Freundschaft, ändert sich alles …

Die Golden-Oaks-Reihe bei Blanvalet:
Band 1: Sounds of Silence
Band 2: Lights of Darkness

Beide Bände können auch unabhängig voneinander gelesen werden.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 494

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Buch

Frankie Davis hat panische Angst vor der Dunkelheit. Als Kind musste sie schlimme Erfahrungen machen, weshalb sie bis heute nur bei absoluter Helligkeit einschlafen kann. Sobald das Licht erlischt, fürchtet sie, die Geschehnisse von damals neu durchleben zu müssen.

Tyler Montgomery ist ein Nachtmensch durch und durch. Seit einer schrecklichen Tragödie flüchtet er sich in die Dunkelheit, um unter den Sternen mit seinen Problemen allein sein zu können. Doch als Frankie und Tyler – Licht und Schatten – spüren, dass da mehr zwischen ihnen ist als nur Freundschaft, ändert sich alles …

Autorin

Maren Vivien Haase wurde 1992 in Freiburg im Breisgau geboren und absolvierte dort ihr Germanistikstudium. Schon als Kind stand für sie fest, dass sie all die Geschichten zu Papier bringen muss, die ihr im Kopf herumspuken. Das Hip-Hop-Tanzen mit ihrer Crew »Dope Skit« gehört seit über zwölf Jahren ebenso zu ihr wie YouTube und Instagram, wo sie über Serien, Bücher und Filme spricht. Ihre Debütreihe um die New Yorker Tanzschule »Move District« eroberte auf Anhieb die SPIEGEL-Bestsellerliste und begeisterte zahlreiche Leser:innen.

Weitere Informationen unter: www.marenvivienhaase.de; www.instagram.com/marenvivienhaase; www.youtube.com/marenvivien

Besuchen Sie uns auch auf www.instagram.com/blanvalet.verlag und www.facebook.com/blanvalet

MAREN VIVIEN HAASE

LIGHTS OF DARKNESS

GOLDEN OAKS BAND 2

Roman

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Originalausgabe 2023 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Copyright © 2023 by Maren Vivien Haase

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Langenbuch & Weiß Literaturagentur.

Redaktion: Melike Karamustafa

Umschlaggestaltung und -motiv: www.buerosued.de Gestaltung Golden-Oaks-Logo: Felix Würkner

DK · Herstellung: sam

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-29330-7V002

www.blanvalet.de

Liebe Leser*innen, dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte. Deshalb findet sich am Ende es Buches eine Triggerwarnung.Achtung: Diese enthält Spoiler für das gesamte Buch.Wir wünschen allen das bestmögliche Leseerlebnis.Maren Vivien Haase und der Blanvalet Verlag

Für alle, die die Sterne in der Finsternis sehen und daran glauben, dass ihr Strahlen selbst die dunkelste Nacht erhellen kann

PLAYLIST

Just Friends – Ally Barron

I Would – Connie Talbot

All of the Stars – Ed Sheeran

Yellow – Emmit Fenn

Die Alone – FINNEAS

Golden – Harry Styles

that way – Tate McRae

anything 4 u – LANY

marjorie – Taylor Swift

Swim Good – Dermot Kennedy

Almost Lover – A Fine Frenzy

Look After You – The Fray

A.M. – One Direction

Anywhere But Here – Hilary Duff

Save Tonight – Tom Speight & Lydia Clowes

I’m Not Ok – RHODES

An Evening I Will Not Forget – Dermot Kennedy

It’ll Be Okay – Rachel Grae

Into Dust – Mazzy Star

Unstable – Justin Bieber feat. The Kid LAROI

All I Am – Jess Glynne

Frankie

Licht an.

Meine Fingerspitzen lagen zittrig auf dem Lichtschalter, während ich darauf wartete, dass die Neonröhren im kleinen Mitarbeiterraum hinter der Backstube der Reihe nach ansprangen. Eine nach der anderen erhellte den Raum und ließ meinen Puls langsam wieder in einem geregelten Rhythmus schlagen.

Rasch lief ich zu meinem Schließfach aus dunkelgrünem Metall, das mich an meine Highschool-Zeit erinnerte. Nachdem ich mich in meine von Kopf bis Fuß weiße Bäckereiuniform geworfen hatte, schloss ich meinen Rucksack und meine Klamotten ein, band meine roten Haare zusammen und lief schließlich nach vorne in die Backstube.

Der ganze Raum war in den köstlichen Duft von frisch gebackenen Croissants, Vanille und Schokolade gehüllt, während im Hintergrund irgendein französischer Song dudelte. Andere Musik spielte mein Chef Mathieu in seiner französischen Bäckerei nämlich nicht. Kurz nachdem ich vor ungefähr eineinhalb Jahren hier meinen Aushilfsjob angetreten hatte, hatte ich für meine Musikwahl mächtig eins auf den Deckel bekommen. Aber wer hätte ahnen können, dass Mathieu nicht auf Taylor Swift stand?

»Frankie? Ich hab den Teig für die Baguettes schon vorbereitet, du musst sie nur noch formen«, kam es von meiner Kollegin Eve.

Eve war Ende dreißig und trug ihr mittelblondes Haar nur ein paar Zentimeter lang. Vom dauernden Stirnrunzeln hatte sie schon einige Falten davongetragen, so richtig fröhlich hatte ich sie noch nie gesehen. Dennoch mochte ich sie sehr und kam, trotz ihrer meist abweisenden Art, gut mit ihr klar. Gerade drückte sie ein paar Knöpfe der Knetmaschine, die lautstark brummte und in einer der hinteren Ecken der Backstube neben dem großen silbernen Ofen mit den verschiedenen Ebenen stand, in dem bereits ein paar Tartes vor sich hin buken. Sie war gelernte Bäckerin und das hier schon seit Ewigkeiten ihre Hauptaufgabe – die Arbeit in der Backstube und sich um die ganzen technischen Dinge zu kümmern. Anders als ich verfügte sie über jahrelange Erfahrung als Bäckerin, während ich erst nach und nach die verschiedenen Techniken lernte. Dafür war ich bei den organisatorischen Dingen und im Umgang mit den Kunden eine größere Hilfe.

Ich liebte es, mit Menschen in Kontakt zu sein, mich mit ihnen zu unterhalten und ihnen mit unseren Backwaren ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern. Eve war lieber für sich und versteckte sich hier hinten, machte, was Mathieu ihr auftrug, und verstand etwas von dem, was sie tat. Ursprünglich hatte ich den Job nach dem Highschool-Abschluss nur angenommen, weil ich nicht die geringste Ahnung gehabt hatte, was ich mit meinem Leben anfangen sollte … Na ja, aktuell war ich auch nicht viel schlauer. Aber bis mir etwas einfallen würde, jobbte ich hier. Damals hatte Mathieu händeringend eine Aushilfe gesucht, weil seine letzte umgezogen war, außerdem stimmte die Bezahlung. Und umgeben von Backwaren konnte man doch nur glücklich sein, oder? Auch wenn das hier nur eine Überbrückung sein sollte, legte ich mich dennoch immer ins Zeug – letztlich machte es mir ja auch Spaß, und ich konnte vollkommen abschalten, wenn ich meine Hände mit Mehl bestäubte und sie im Teig vergrub.

»Alles klar, dann leg ich direkt los.« Ich wusch mir schnell die Hände und lief dann rüber zum langen Holztisch, auf dem um die zwanzig kleine Teighaufen darauf warteten, von mir in Form gebracht zu werden. Bis auf die französische Musik und die Maschinen, die rumorten, war es still. Mein Blick huschte nach links zur Tür, die nach vorne in den Laden mit Café führte und offen stand. Um diese Uhrzeit – es war erst kurz nach fünf – war es dort noch stockduster. Immerhin öffneten wir für Kundschaft erst in ungefähr zwei Stunden. Ich konzentrierte mich wieder auf meine Arbeit, bestäubte die Arbeitsfläche und meine Hände mit Mehl und schnappte mir einen der Teighaufen. »Mathieu ist noch nicht da? Oder hat er sich wie die Ratte aus Ratatouille hier irgendwo versteckt? Hoffentlich nicht im Ofen, könnte ungemütlich werden.«

Eve schnaubte. »Ne, der ist noch nicht da. Vorhin hat er mir noch ’ne Nachricht geschickt, dass er etwas später kommt.«

»Vielleicht hat er ja verschlafen.«

»Möglich.« Sie zuckte mit den Schultern und wandte sich wieder der Maschine zu.

Ich knetete weiter die kleinen Teighaufen, faltete sie von allen Seiten immer wieder ein. Mit den Fingerspitzen fuhr ich an den Längen entlang, rollte sie etwas und wackelte damit leicht hin und her, damit aus dem Klops später ein Baguette werden konnte. Von der Mitte angefangen, formte ich den Teig zu den Enden hin spitzer, dann legte ich das erste Exemplar auf das Knettuch und machte mit dem nächsten weiter. So fuhr ich fort, knetete und formte. Selbst die Musik und die Geräusche der Maschinen blendete ich irgendwann aus und spürte, wie mein Körper zur Ruhe kam. Es machte Spaß und entspannte mich, außerdem konnte ich nicht genug von dem köstlichen Duft bekommen, der …

Dunkelheit.

Hitze kroch mir den Hals hinauf. In meiner Brust hämmerte es, und in der nächsten Sekunde rauschte es in meinen Ohren. »Eve?« Meine Stimme brach, während sich in meiner Kehle ein Kloß bildete. »Ähm, was …«

»Oh, Mist. Das ist schon der zweite Stromausfall heute Morgen. Vorhin, kurz bevor du gekommen bist, gab es auch schon einen.«

Mir kochte das Blut durch die Adern, und ich verkrampfte meinen gesamten Körper. Hitze. Noch mehr Hitze. Meine Finger zitterten, und sofort schossen mir Gedanken durch den Kopf, die ich verdrängen wollte.

»Francine, spar dir das Versteckspiel, ich finde dich sowieso!«

Eine unsichtbare Schlinge legte sich um meine Kehle und schnürte mir die Luft zum Atmen ab. Hinter meinen Lidern brannte es.

Ich hörte, wie Eve herumwerkelte. »Müsste sicher gleich wieder …«

Licht.

Der dunkle Schleier um mein Herz löste sich auf. Ich atmete die Luft aus, die ich die letzten Sekunden angehalten hatte, und schloss für einen Moment die Augen.

»Ah, schau, da ist er wieder«, murmelte Eve und klatschte in die Hände. »Dann muss ich jetzt das Ding hier noch mal neu programmieren. Hoffentlich war’s das für heute.«

»Hoffe ich auch«, flüsterte ich und schlug die Lider wieder auf.

Auch wenn sich mein Puls mit jedem Wimpernschlag normalisierte, war ich noch meilenwert davon entfernt, wirklich entspannt zu sein. Meine Finger hatten sich in den Teig gebohrt wie in einen Stressball. Nur dass sich das arme zukünftige Baguette nicht ausgesucht hatte, von mir zerknautscht zu werden.

Meine verkrampften Muskeln lösten sich nach und nach. Ich atmete durch. Es war nur ein kurzer Stromausfall, wie es ihn oft genug in Golden Oaks gab. Nichts Neues, wenn man in dieser Kleinstadt aufgewachsen war.

Das Licht ist wieder an. Alles ist beim Alten und gut und super und klasse und tollund …, zählte ich in Gedanken immer weiter irgendwelche Adjektive auf, um mich davon zu überzeugen, dass es mir gut ging.

Meine Finger zitterten noch etwas und fühlten sich kalt an, während ich mich daranmachte, den zerquetschten Teigklumpen zurück in seine Ursprungsform zu bringen. Ich setzte ein Lächeln für Eve auf und vertiefte mich erneut in meine Arbeit, die mir half, abzuschalten und jegliche Probleme zu vergessen.

Solange das Licht anblieb, ging es mir gut. Solange das Licht an blieb, fühlte ich mich sicher.

Eine halbe Stunde verging, bis vorne die Glocke an der Tür zu hören war und die Lampen im Laden aufflammten. Kurz darauf kam ein groß gewachsener Franzose mit klimperndem Goldschmuck nach hinten zu uns gehetzt. Sein braunes Haar trug Mathieu wie immer nach hinten gegelt, die tiefen Falten auf seiner Stirn verhießen nichts Gutes. In der Regel war er ziemlich umgänglich, aber auch streng und etwas garstig mit einem guten Kern. Er schälte sich aus seiner dunkelgrünen Jacke und guckte so grimmig, als ob ihm jemand die Geheimzutat für seine Eclairs geklaut hätte.

»Bonjour«, wünschte ich ihm auf Französisch einen guten Morgen, weil ich wusste, wie gerne er das mochte. Vielleicht besänftigte ihn das ja ein bisschen.

»Bon? Nichts an diesem Tag ist bon, Mademoiselle Francine. Nichts. Rien.« Er warf theatralisch die Hände in die Luft und schüttelte den Kopf.

Mathieu, unsere kleine Diva.

Ich seufzte und warf Eve einen Blick zu, den sie mit einem Augenrollen erwiderte. Auf ihrer Miene zeichnete sich Ahnungslosigkeit ab.

»Können wir dir bei irgendwas helfen?«, tastete sie sich an unseren Chef heran, der jedoch, ohne auf ihre Frage einzugehen, in sein Büro verschwand und die Tür hinter sich zuknallte.

»Oh-oh.« Ich verzog das Gesicht. »Hoffentlich ist es nichts Schlimmes.«

Schon ging die Tür wieder auf, und Mathieu kam mit großen Schritten auf uns zu. Die Augen geweitet, die Hände in die Seiten gestemmt. »Francine, Eve? Auf ein Wort.«

Eigentlich mochte ich es nicht, wenn mich die Leute Francine nannten. Ich stellte mich jeder Person als Frankie vor. Das klang cooler, und ich konnte mich damit viel besser identifizieren. Vor allem aber löste der Klang meines eigentlichen Namens ein mulmiges Gefühl in meiner Magengegend aus. Aber da Mathieu selbst nach einem Dutzend Hinweisen nicht damit aufgehört hatte, ihn zu benutzen, hatte ich mich bei ihm irgendwann damit abgefunden.

Rasch legte ich ein fertig geformtes Baguette auf das Knettuch, klopfte mir die Mehl-Hände an der Schürze ab und lief zu ihm und Eve rüber. »Alles in Ordnung?«, erkundigte ich mich und legte fragend den Kopf schief.

»Ich habe gestern Abend einen Anruf bekommen und die ganze restliche Nacht damit verbracht, die nächsten Wochen zu planen. Meinem père geht es nicht gut, er liegt im Krankenhaus. Mein Flug nach Nice geht heute Nachmittag.«

Damit meinte er nicht nice wie »toll, großartig, super«,

sondern Nice wie »Nizza«. Nizza in Südfrankreich, was definitiv nicht hier im idyllischen Golden Oaks, Connecticut, lag.

Crap.

»Oh, nein«, sagte ich und presste die Lippen aufeinander. »Das tut mir leid, Mathieu. Ich hoffe, es ist nicht allzu schlimm.«

»Ja, das hoffe ich natürlich auch«, fügte Eve mit regungsloser Miene hinzu und nickte. »Wie lange besuchst du deinen Vater?«

»Deshalb will ich mit euch beiden sprechen. Ich weiß leider nicht, wann ich wieder hier sein werde. Natürlich hoffe ich, dass es ihm bald besser geht und ich in zwei, drei Wochen zurückfliegen kann, aber das ist nicht sicher.« Er hielt inne und blickte zwischen Eve und mir hin und her. »In der Zeit müsst ihr das Le Petit Pain am Laufen halten, mes chères.«

Ich riss die Augen auf. Oh Gott. Die Kombination daraus, dass ich noch nicht so viele Erfahrungen gesammelt hatte, wir sowieso schon unterbesetzt waren und das eine Menge Verantwortung bedeutete, ließ etwas in meinem Magen Samba tanzen. In meinem Kopf spielten sich im Bruchteil einer Sekunde jegliche Horrorszenarien ab, die eintreten konnten: Explosionen. Überflutung. Bürgerkrieg der Baguettes, die sich ihr Dasein als Backware so nicht vorgestellt hatten. Macarons, die zum Leben erwachten und uns in den Ofen steckten, um ausufernde Partys feiern zu können. Wilde Dinge standen uns bevor.

»Eve, du kümmerst dich hauptsächlich ums Backen und alles, was hier hinten in der Backstube passiert, während Francine die allgemeine Leitung übernehmen wird.«

Mir klappte der Kiefer herunter. »Wie? Also … ähm … Ich soll den Laden leiten?« Hatte er getrunken? Ich hob mein Kinn und schnüffelte unauffällig in seine Richtung, doch alles, was mir in die Nase stieg, war der typische Geruch seines Rasierwassers. Er schien also tatsächlich bei Sinnen zu sein, auch wenn seine Worte eher darauf hindeuteten, dass er die letzten Stunden ein paar Schnäpse gezischt hatte.

»Oui, Eves Stärke liegt klar im Backen. Du greifst ihr natürlich unter die Arme, aber vor allem sollst du dich um die Büroarbeit, den Verkauf, Bestellungen und so weiter kümmern und dafür sorgen, dass alles nach Plan läuft.«

»Soll mir recht sein«, murmelte Eve gelangweilt.

Ein hysterisches Lachen schwappte über meine Lippen. Das konnte doch nicht sein Ernst sein. Klar, einerseits war ich stolz, dass er mich fragte, aber andererseits war das eine echte Herausforderung. »Bist du dir sicher? Eve arbeitet doch schon viel länger hier.«

»Ich bin mir sicher. Da du noch nicht so viel Erfahrung bei der Zubereitung hast, dafür aber gut mit den Kunden umgehen kannst, wird das deine Aufgabe sein. Aber Eve, schau bitte trotzdem darauf, dass Francine auch regelmäßig backt. Nicht, dass sie vergisst, wie man ein pain au chocolat zubereitet.«

»Mach ich.«

Ich lockerte meine Schürze etwas, weil mir heiß geworden war. Ich sollte für die nächsten Wochen die Bäckerei leiten, obwohl ich es nicht mal schaffte, mein eigenes Leben in den Griff zu bekommen? Wenn das mal keine Ironie des Schicksals war.

»Außerdem wird in vier Tagen, also ab Montagmorgen, mon neveu Nicolas einspringen und euch ein wenig Arbeit abnehmen. Der hat gerade sein Studium abgebrochen, um ab Herbst etwas anderes zu studieren, und sucht nach einem Aushilfsjob. Durch seine Adern fließt französisches Blut, weshalb er euch bestimmt gut beim Zubereiten und Verkauf helfen kann. Er sollte sozusagen von Haus aus ein Naturtalent sein.«

Mathieu hatte uns immer wieder von seinem Lieblingsneffen erzählt, der anscheinend auch ab und zu im Laden vorbeisah, Kontakt hatte ich allerdings noch nie mit ihm gehabt. Er war immer vorbeigekommen, wenn ich frei gehabt hatte, aber da Mathieu oft von ihm schwärmte, hatte er uns jeden Besuch auf die Nase gebunden. Er war in meinem Alter, und wenn er mit Mathieu verwandt war, dann hatte er vielleicht tatsächlich ein wenig Ahnung von französischem Gebäck, so wie unser Chef behauptete. Zumindest hoffte ich das.

»Er ist ein Goldjunge und wird euch bei allem helfen, ihr werdet ihn lieben. Trotzdem übertrage ich hiermit die Verantwortung dir, Francine. Du hast das Sagen, solange ich fort bin. Kann ich mich auf dich verlassen?«

Ich schluckte meine Bedenken hinunter und nickte. »Auf jeden Fall. Wir kriegen das hin. Flieg du zu deinem Dad und kümmere dich gut um ihn, damit es ihm bald besser geht.« Und du so schnell wie möglich wieder hier bist, fügte ich in Gedanken hinzu.

»Oui, oui. Ich habe ein Notizbuch mit allen wichtigen Infos vorbereitet, das kannst du gleich haben. Wenn es Probleme gibt, ruft mich an. Ich vertraue euch beiden und Nicolas. Enttäuscht mich nicht.«

Meine Brauen huschten nach oben, und ich versuchte, die Fassung zu wahren, während in mir die pure Panik tobte. Ich sollte die Bäckerei leiten. Ich. Frankie Davis, einundzwanzig Jahre, die sich nicht mal traute, Kerzen anzuzünden aus Angst, das Haus abzufackeln. Die nächsten Wochen würden definitiv interessant werden.

»Frag nicht«, begrüßte ich meine beste Freundin Tatum, als ich nach Feierabend aus der Bäckerei auf die Straße trat, wo sie auf mich gewartet hatte. Ihr dunkelbraunes, fast schon schwarzes Haar trug sie heute gewellt, wobei sie die vordere Partie zu einem kleinen Knoten hochgesteckt hatte. Ihre nicht allzu freundliche Miene war mir nur allzu vertraut, doch sobald sie mich sah, hoben sich jedes Mal ihre Mundwinkel, und ihr grummeliger Gesichtsausdruck verschwand. Nach all den Jahren war ich es gewohnt, dass sie immer so aussah, als wollte sie einem den Hals umdrehen. Aber wenn man sie etwas besser kannte und mit ihr sprach, dann merkte man recht schnell, dass sie einer der liebsten Menschen auf diesem Planeten war. Manchmal vielleicht etwas zynisch, aber im Grunde war das auch nur einer dieser Schutzmechanismen, von denen wir doch alle einen hatten. Jeder Mensch auf seine eigene Art und Weise. »Alles klar? Du siehst so grumpy aus, Tate.«

Sie seufzte und winkte ab. »Ja, ich hatte nur gerade eine Therapiestunde, war nicht besonders schön heute.«

»Oh«, entgegnete ich und presste die Lippen aufeinander, doch schon schüttelte sie den Kopf.

»Passt schon. Ich weiß ja, dass es mir hilft.«

Seit einigen Wochen ging meine beste Freundin aktiv ihre Probleme an, worüber ich sehr froh war. Auch wenn es ihr an Therapietagen nicht besonders gut ging, wussten wir, dass sie auf dem richtigen Weg war. In ihrer Vergangenheit hatte sie schlimme Erfahrungen machen müssen, die sie nun glücklicherweise endlich aufarbeitete.

»Und jetzt zu dir, Franks …« Mit den Händen in den Taschen ihres braunen Mantels sah sie mich mit großen Augen an. »Was ist los?«

»Frag nicht.«

»Das sagtest du bereits«, entgegnete sie, jetzt grinsend.

Ich verzog das Gesicht. »Erstens: Aufgeschmissenheits-Level dreitausend, zweitens …«

»Das Wort existiert doch gar nicht.«

»Dann existiert es jetzt, Schlaubi Schlumpf.« Ich musste lachen, zog meine gefütterte Jeansjacke etwas enger, da es ziemlich frisch war, und hakte mich bei ihr unter, als wir die Straße entlang Richtung Stadtmitte liefen.

Jetzt, Anfang April, blühten schon an jeder Straßenecke kleine Blumen, und auch die Bäume ergrünten von Tag zu Tag mehr. Golden Oaks zelebrierte jede einzelne Jahreszeit, und auch wenn ich mich noch mehr auf den Sommer freute, liebte ich trotzdem den Frühling. Den süßen Duft der Blüten und Bäume, der vom Wald am Stadtrand herüberflog, konnte fast nichts übertreffen. Abgesehen von frisch gebackenem Karottenkuchen vielleicht.

»Zweitens?« Tatum warf mir einen Seitenblick zu, während wir ein paar Boutiquen und unsere Lieblingspizzeria passierten.

Ich seufzte. »Mathieus Vater liegt im Krankenhaus, deshalb ist er vorhin nach Nizza abgezwitschert. Und jetzt rate mal, wer in seiner Abwesenheit die Leitung des Le Petit Pain übernehmen soll.«

Ihre Augen weiteten sich. »Na ja, wenn du so fragst, wird es bestimmt nicht Eve sein, die sich hinter den Maschinen versteckt, sobald jemand reinkommt.«

Ich hob einen Finger in die Luft und tat so, als ob ich eine Glocke läutete. »Ding, ding, ding. Die Kandidatin hat hunderttausend Dollar gewonnen. Was machen Sie mit Ihrem Gewinn, Miss Sullivan? Ihre Weltreise? Noch fünf weitere Hunde adoptieren?«

»Franks! Es ist doch super, dass er dir vertraut und Verantwortung überträgt, sieh es als Lob für deine Arbeit an.«

»Ich weiß. Es ist nur … eben ziemlich viel Verantwortung. Vor allem, da der Aushilfsjob ja eigentlich nur als Überbrückung dienen soll, bis ich weiß, was ich wirklich mit meinem Leben anfangen will … Aber ja, ich werde das schon irgendwie hinbekommen. Eve kümmert sich hauptsächlich ums Backen, das ist gut. Als Mathieu mir vorhin sein Notizbuch mit den ganzen Infos gegeben hat, habe ich kurz darüber nachgedacht, was wohl passieren würde, wenn er zurückkommt und der Laden abgebrannt und bankrott ist und obdachlose Opossums dort ihr Revier markiert haben und niemanden in die Ruinen der Bäckerei lassen, um sie wieder aufzubauen. Oder vielleicht finden dort dann Hahnenkämpfe statt, aber mit Waschbären, und die tragen Masken wie die Ninja Turtles oder …«

Tatum lachte auf. »Okay, stopp.« Sie klopfte mit der Faust sanft gegen meinen Kopf. »Hallo? Ist da noch ein wenig Verstand drin? Hallooo-hooo?«

Jetzt musste ich auch lachen. »Das ist ’ne Frage, die ich mir jeden Tag stelle. Sobald du die Antwort kennst, sag mir Bescheid.«

Einige Stadtbewohner kamen uns entgegen und grüßten uns freundlich, was wir erwiderten.

»Was? Heute ohne Sherlock?«, rief uns Penelope zu, die das Blossom Roast, ein Café hier auf der Hauptstraße, führte; damit spielte sie auf Tatums Hund an.

Tatum schüttelte lächelnd den Kopf. »Der chillt gerade bei meinen Eltern und futtert Leckerlis, bis er platzt.«

»Sag deinen Eltern schöne Grüße, bis bald.« Penelope, die in der Tür ihres Cafés stand, hob noch mal die Hand, und wir liefen weiter.

»Bis dann«, erwiderte Tatum, und ich grinste sie an.

Dann wandte sich meine beste Freundin wieder mir zu. »Ich bin mir sicher, dass du das hinbekommst. Vielleicht wirkt es auf den ersten Blick etwas viel, aber das schaffst du. Du hast Eve, du hast mich, du hast die anderen. Wir können dir helfen, falls die Opossums Widerstand leisten und dich anfauchen. Dann fauchen wir gemeinsam zurück.«

Wir prusteten beide erneut los, dann nickte ich. »Danke, Girl.«

Ein warmes Gefühl breitete sich in mir aus, weil ich wusste, dass ich mich auf sie verlassen konnte. Ich war wirklich froh, Tatum zu haben. Vor über vier Jahren hatten wir uns im Literaturkurs kennengelernt, nachdem sie neu an meine Highschool gekommen war, um ihr altes Leben hinter sich zu lassen. Als mir aufgefallen war, dass sie in den Pausen mein Lieblingsbuch Clockwork Angel verschlang, war mir klar gewesen, dass wir Freundinnen werden mussten. Zwar hätte ich sie damals in meiner Aufregung über meine Lieblingscharaktere der Buchreihe fast gespoilert (wirklich nur fast!), aber seitdem waren wir mit jedem Tag mehr zusammengewachsen und inzwischen viel mehr als beste Freundinnen. Sie unterstützte mich immer, war für mich da, genauso wie ich für sie.

Einige Minuten später erreichten wir unser Ziel: das Golden Hour. Jetzt, am frühen Abend, war in der einzigen und ziemlich coolen Bar von Golden Oaks, die in einer ruhigen Seitenstraße lag, schon etwas los. Wir überquerten den Parkplatz, auf dem bereits einige Autos standen, und liefen auf den Bungalow mit der dunklen Holzfassade zu. Unweit anderer kleiner Restaurants hatten Tatums Freund Dash und einer meiner besten Freunde, Tyler, sich ihren Traum erfüllt und eine Bar eröffnet, die nach Feierabend und auch am Wochenende Treffpunkt für Jung und Alt in unserer kleinen Stadt war. Ich war so stolz auf Ty, und auf Dash natürlich auch.

In meinem Bauch kribbelte etwas, und ich musste lächeln. Es war immer eins meiner Tages-Highlights, hier vorbeizukommen und Ty zu sehen.

Von drinnen drangen die Klänge eines Hip-Hop-Songs nach draußen. Vor einem Jahr wäre es noch ein Ding der Unmöglichkeit gewesen, mit Tate an einen Ort zu gehen, an dem es laut war. So wie ich hatte auch sie mit Dingen aus ihrer Vergangenheit zu kämpfen. Doch anders als ich ging sie diese Dinge mittlerweile mithilfe ihrer Therapie an, und ihre Angst vor lauten Geräuschen schwand mit jedem Tag ein wenig mehr. Auch wenn ich mir keine Sorgen mehr um sie machen musste, hatte ich trotzdem nach wie vor ein Auge auf sie. Denn wer wusste besser als ich, dass einen die Geschehnisse der Vergangenheit schneller wieder einholen konnten, als man vielleicht dachte.

»Die Shots gehen auf mich«, sagte Tatum, als wir die schwere silberne Tür aufzogen und eintraten. »Die hast du heute sicher nötig.«

Ich schnaubte. »Dagegen kann ich nichts einwenden.«

Sofort stieg mir eine Geruchsmischung aus Tequila, Bier und Zitrone in die Nase. Der Song wechselte gerade zu einem von Russ, aber die Musik war so leise gedreht, dass man sich gut unterhalten konnte. Einige Leute bewegten sich auf der Tanzfläche und unterhielten sich, während die meisten der Tische schon besetzt waren und einige weitere Gäste am Holztresen standen und ihre Bestellungen aufgaben. Der Betonboden und die grauen Wände, durch die hier und da Backsteine brachen, gepaart mit den Holzmöbeln, verliehen der Bar einen coolen Industrial-Vibe.

Mein Blick huschte wieder zur Bar. Fiona, eine gute Freundin von mir und Tys Mitbewohnerin, stand gerade dahinter und mixte ein paar Drinks, während Dash ihr etwas erzählte. Und ein paar Meter daneben: Tyler.

Wärme kroch mir den Hals hinauf, während meine Mundwinkel nach oben zuckten. Ich fing an zu lächeln. Das tat ich jedes Mal, wenn ich diesen Kerl sah – seine braunen Haare, die ihm wellig und an manchen Stellen lockig in die Stirn fielen, die liebevollen Augen in der gleichen Farbe und seine Grübchen, die immer dann hervortraten, wenn er ins Schmunzeln geriet. Der graue Sweater mit einem dezenten Print umspielte seinen athletischen Oberkörper und passte gut zu der verwaschenen Jeans, die er an den Knöcheln etwas hochgekrempelt und zu der er weiße Nikes kombiniert hatte. Mein Herzschlag beschleunigte sich sekündlich.

»Pass auf, sonst sabberst du noch«, flüsterte mir Tatum ins Ohr.

Ich blinzelte ein paarmal und schloss meinen Mund wieder. Tate wusste, dass ich seit Anbeginn der Zeit mehr als freundschaftliche Gefühle für Tyler hatte, und zog mich nur zu gerne damit auf. Mittlerweile waren es stolze sieben Jahre, und der Kerl hatte natürlich keinen Schimmer davon.

»Hey!« Lachend stieß ich ihr meinen Ellenbogen in die Seite und bemerkte, wie Ty plötzlich zu uns herübersah. Er sagte noch kurz etwas zu dem Gast neben ihm, klopfte ihm auf die Schulter und kam anschließend zu uns rübergelaufen.

»Ich geh dann mal zu Dash«, raunte mir Tatum zu, kurz bevor Ty vor uns zum Stehen kam. »Viel Spaß mit Montgomery, du Lustmolch.«

Tyler

»Heeey, alles klar?« Ich zog Frankie in die Arme, hob sie ein Stück vom Boden und wirbelte sie herum, bis sie aufschrie. Mit unserem Größenunterschied von gut zwanzig Zentimetern war das keine Schwierigkeit. Sofort umspielte ihr süßer Duft nach Vanillegebäck meine Nase.

»Hey, ich bekomme keine Luft mehr. Lass mich runter, du Rollmops!«, keuchte sie.

Ich setzte sie wieder ab, und sie lachte, wobei ihre grünen Augen aufleuchteten. Ihre Wangen waren leicht gerötet, was die Sommersprossen darauf noch mehr zur Geltung brachte. Sofort musste ich grinsen, ihr Lachen steckte mich jedes Mal an, weil sie von Natur aus einer der fröhlichsten Menschen war, die ich kannte.

»Ein Rollmops also?«

»Klar. Für einen normalen Mops reicht es nicht, der wäre zu süß für dich.«

Ich verzog gespielt entrüstet das Gesicht und schüttelte den Kopf. »Pff, ich bin ja wohl der Süßigkeitenladen in Person, ich bitte dich.« Mit meinem Spruch konnte ich ihr ein Lachen entlocken, und ich musste noch breiter grinsen.

Frankie und ich kannten uns schon seit Ewigkeiten. Genauer gesagt seit gut sieben Jahren, als wir bei einem Football-Spiel unserer Highschool nebeneinandergesessen und festgestellt hatten, dass Marvel-Filme zu unserem Leben gehörten wie Schlaf und Essen. Tja, und seitdem hatte sich unsere Freundschaft immer mehr gefestigt, und dieser Wirbelwind mit den roten Locken und dem guten Herz war nun nicht mehr aus meinem Alltag wegzudenken.

»Hast du das schon mit 50 Cent geklärt, Candy Shop?«

»Klar. Der sieht das wie ich. Oh, warte …« Ich hob die Hand, um ihr etwas Mehl aus den Haaren zu streichen. Ihr Haar fühlte sich weich an, und im nächsten Moment war das weiße Zeug schon verflogen. »So. Perfekt!«

Ihre Lippen öffneten sich, als ob sie etwas sagen wollte. Sie hielt kurz inne, dann murmelte sie schließlich: »Ähm, danke.«

»Na klar.« Ich legte ihr locker einen Arm über die Schultern und führte sie zum Tresen. »Wie geht’s dir so?«

»Ganz gut«, sagte sie und warf mir einen Blick von der Seite zu. »Rate mal, wer die nächsten Wochen das Le Petit Pain schmeißen wird.«

»Was …?«

»Mathieu muss zu seiner Familie nach Südfrankreich, und in seiner Abwesenheit regiere ich das Königreich der Tartes und Macarons.« Sie kicherte und biss sich dann auf die Lippe, als ob sie auf einmal verunsichert wäre.

»Hey, megacool, dass er dir da so vertraut. Glückwunsch!« Ich drückte sie an mich, dann kamen wir am Tresen an, und ich ließ sie los.

»Danke, Ty.« Sie schenkte mir ihr wärmstes Lächeln. »Es wird vermutlich superanstrengend, und ganz eventuell – na ja, wohl eher ziemlich sicher – werde ich heillos überfordert sein, aber irgendwie wird das schon.« Sie lehnte sich gegen das dunkle Holz der Bar und trommelte mit den Fingern auf der Oberfläche herum.

»Du kriegst das hin. Wenn das jemand schafft, dann ja wohl du, da hab ich keinen Zweifel.«

»Sei still, sonst werde ich noch rot.«

»Du meinst noch röter als sowieso schon? Ich glaube, mein Überfall hat dir tatsächlich die Luft zum Atmen geraubt.«

»Ähm …« Ihre grünen Augen weiteten sich etwas, dann lachte sie und ließ den Blick zu Fiona schweifen, die gerade ein Bier zapfte. »Ja, sicher. Träum weiter.«

»Kommst du zurecht oder brauchst du Hilfe?«, wandte ich mich meiner Mitbewohnerin und Barfrau zu.

»Alles gut, gerade passt es«, erwiderte Fiona, strich sich eine ihrer pechschwarzen Strähnen hinters Ohr und nickte Frankie zu. »Hey Frankie, wie geht’s?«

»Guuut. Kannst du mir bitte …«

»Zwei Tequilas bringen«, vervollständigte Tatum ihren Satz und lehnte sich in der nächsten Sekunde neben ihr gegen den Tresen.

»Kommt sofort.«

»Guter Start in den Abend«, kommentierte mein bester Kumpel Dash die Shot-Wahl der Mädels, gab Tatum einen Kuss auf die Schläfe und legte dann den Arm um ihre Taille. »Ich würde ja mittrinken, aber zumindest noch ein paar Stunden sollte ich den vorbildhaften Barbesitzer mimen und seriös bleiben.«

»Ha!« Tatum lachte auf. »Den kauft dir doch sowieso niemand ab.«

Die beiden waren seit letztem Herbst zusammen. Auch wenn es am Anfang etwas kompliziert gewesen war – immerhin war Dash Tatum mit seiner andauernd laut aufgedrehten Musik und dem ganzen Geplapper, wenn es ruhig wurde, mächtig auf die Eierstöcke gegangen –, ergänzten sie sich perfekt. Ich freute mich für meinen besten Freund und gönnte auch Tatum ihr Glück von Herzen. Es war schön, jemanden zu haben, den man über alles liebte.

»Hier, viel Spaß mit dem Teufelszeug.« Fiona schob die zwei Tequilas, Salz und Zitronenscheiben über den Tresen.

»Ich verstehe bis heute nicht, warum Tequila dein Lieblingsshot ist, Tate«, murmelte Frankie und schnappte sich ihr Glas.

»Schmeckt lecker, und durch die Zitrone ist es auch supergesund.«

Ich schnaubte. »Absolut. Sollte man jeden Morgen zu sich nehmen, damit man gesund in den Tag startet.«

»Meine Rede.« Tatum zuckte mit den Schultern, dann setzten die Mädels an, tranken den Shot, leckten sich das Salz vom Handrücken und bissen in die Zitronenscheibe.

»Uuuäääh.« Frankie kniff die Augen zusammen und schüttelte sich, während Tatum nicht mal mit der Wimper zuckte. »Das ist doch abartig. Wenn du nicht meine beste Freundin wärst, würde ich das echt nicht in mich reinkippen.«

Dash grinste und klopfte seiner Freundin anerkennend auf die Schulter. »Noch mehr?«

»Von mir aus …«

»Nein, ich bin jetzt schon am Limit«, kicherte Frankie und winkte ab. »Ich vertrage doch so gut wie nichts. Der hier war genug für den ganzen Abend.«

Ich lachte. »Stimmt. Außerdem musst du bestimmt wieder früh raus, oder?«

Sie nickte. »Gegen vier, um fünf fange ich im Le Petit Pain an.«

»Ist mir echt jedes Mal aufs Neue ein Rätsel, wie du so früh aufstehen kannst. Ich glaube, ich würde nicht mal meinen Wecker hören.«

»Liegt aber vermutlich auch daran, dass du dir regelmäßig die Nächte um die Ohren schlägst«, warf Dash ein, und ein besorgter Ausdruck legte sich auf sein Gesicht.

»Möglich.« Mein Blick huschte von einem meiner Freunde zum nächsten. Ich musste schnell das Thema wechseln, bevor wir mal wieder auf meine schlaflosen Nächte zu sprechen kamen. »Und wie war euer Tag so? Franks hat schon berichtet, dass sie jetzt der Big Boss der Bäckerei ist.«

»Was? Wie?« Auf Dashs Gesicht zeichnete sich Verwirrung ab. »Was ist mit dem Franzosen?«

»Mathieus Dad ist krank, daher muss er für ein paar Wochen nach Südfrankreich, und in der Zeit kümmere ich mich um den ganzen organisatorischen Kram. Oder versuche es zumindest.«

»Du wirst das richtig gut machen«, erwiderte Tatum und stupste sie in die Seite, doch auf Frankies Gesicht zeichnete sich Skepsis ab. »Wehe du sagst uns nicht Bescheid, wenn wir dir helfen können.«

Ich nickte. »Falls du jemanden suchst, der sich durch euer Angebot probiert, bin ich sofort zur Stelle.« Als Frankie wieder lächelte und gleichzeitig amüsiert die Augen verdrehte, zuckte ich mit den Schultern und legte die Unterarme auf dem Tresen ab, um mich dagegen zu lehnen. »Du weißt doch, dass wir immer für dich da sind.«

»Yes, auf jeden Fall«, stimmte mir Tatum zu, und Dash nickte.

»Danke, Leute, wirklich.« Sie lachte. »Wird schon schiefgehen. Aber gut zu wissen, dass ein paar Knechte darauf lauern, von mir ausgebeutet zu werden.«

»Nichts da, Ty knechtet mich hier in der Bar schon genug«, kam es von Dash, woraufhin ich die Augenbrauen hob und ihn angrinste.

Dash und ich waren Geschäftspartner und zugleich beste Freunde, die Arbeit machte also jeden Tag ultraviel Spaß – selbst wenn es stressig wurde. Immerhin lebten wir unseren Traum von einer eigenen Bar, den ich schon seit Jahren hatte. Zum Teil war das ganz sicher auch durch die Serie How I Met Your Mother gekommen, und nachdem ich vergangenes Jahr meinen Abschluss in Wirtschaft an der Golden Oaks University gemacht hatte, war ich das Projekt angegangen. Ich hatte mir den Arsch aufgerissen, um das hier zu erreichen. Einige Wochen vor der Eröffnung war mein bester Freund Dash mit eingestiegen, weil er als Großstadt-DJ kürzertreten wollte und einige Dinge hinter sich hatte lassen wollen, die er mit der Zeit dort verband. Und jetzt standen wir hier und lebten unseren Traum. Klar, wir befanden uns noch ganz am Anfang, aber an manchen Tagen glaubte ich selbst nicht, dass diese Bar wirklich Dash und mir gehörte. Das Golden Hour war gut angelaufen, besonders nach Feierabend kamen hier Leute jeden Alters aus unserer Kleinstadt zusammen, um den Tag ausklingen zu lassen, und an den Wochenenden war noch mehr los. Das alles mit meinem besten Freund gemeinsam zu machen war sozusagen die Kirsche auf der Sahnetorte. Manchmal kam es natürlich auch zu Unstimmigkeiten, aber am Ende einigten wir uns immer auf einen Kompromiss, oder einer von uns lenkte ein. Ich hatte das Gefühl, dass die Arbeit unsere Freundschaft noch ein wenig mehr hatte stärken können; und die Tatsache, dass Dash nun auch richtig zufrieden mit seinem Leben war, mit seiner Vergangenheit Frieden geschlossen hatte und eine glückliche Beziehung führte, sogar seit einigen Wochen ein eigenes Apartment in der Stadt hatte, freute mich umso mehr für ihn.

»Klar, jemand muss es schließlich machen«, sagte ich zu Dash. »Und wenn es Tatum nicht tut, ist das wohl meine Aufgabe.«

»Na, wenn das so ist, dann muss ich mal durchgreifen. Kann ja nicht sein, dass mir nachgesagt wird, dass ich meinen Freund in Watte packe«, sagte Tatum und streckte Dash die Zunge heraus. »Was stand bei euch heute so an?«

»Heute Mittag waren ein paar DJs, Bands, Sängerinnen und Sänger da, um sich vorzustellen und zukünftige Auftritte zu besprechen, die im Laufe der nächsten Monate stattfinden.«

»Jep, die waren echt krass. Dafür mussten wir dann noch den Plan erstellen, und anschließend hatte ich einen Termin mit einem Vertreter, der uns mit seinen brandneuen Getränken beliefern will«, fügte ich hinzu. Ich griff in die kleine Keramikschüssel, die vor mir auf dem Tresen stand, und warf mir ein paar Erdnüsse in den Mund. »Die müssen wir aber erst noch testen, um zu entscheiden, ob wir sie auf die Liste setzen. Ist so ’ne Mischung aus Eistee und Dr Pepper. Ziemlich süß. Mal gucken, ob das zu uns passt.«

»Süß klingt genau nach meinem Geschmack«, sagte Frankie und schnappte sich ebenfalls ein paar Erdnüsse.

»Ist mir vollkommen klar«, erwiderte ich und hob einen Mundwinkel. »Wir sind nicht umsonst so lange beste Freunde, weißt du?«

Ihr Blick huschte zu mir, und sie lächelte. Wärme erfüllte meinen Brustkorb. »Klar weiß ich das, Ty.« Dann sah sie wieder weg und widmete sich einer weiteren Handvoll Erdnüsse.

»Wenn wir alle Sorten durchprobiert haben, stell ich dir ’ne Flasche zur Seite, okay?«

Sie nickte. »Mach das. Im Gegenzug bring ich dir eine deiner liebsten Tartes mit.«

»Oh, die mit …«

»Schokolade, yes.«

Ich grinste. »Ich freu mich schon.« Die Tartes aus der französischen Bäckerei waren mein absolutes Lieblingsdessert, und natürlich wusste Frankie das und brachte mir immer wieder welche mit – jedes Mal das Highlight meines Tages.

Wir hingen noch ein wenig zusammen an der Bar ab; Dash und ich unterhielten uns währenddessen hin und wieder mit ein paar Gästen und tauschten uns mit ihnen über die Getränkekarte aus.

»Wann bist du morgen hier?«, fragte mich Dash irgendwann, als wir etwas abseits der Mädels standen. »Wir müssen noch mal die Acts durchgehen, die sich heute vorgestellt haben.«

Ich schob die Hände in die Taschen meiner Jeans und überlegte. Mein Blick huschte zur Wanduhr – es war mittlerweile schon fast acht –, dann zur Tür, die gerade aufging und durch deren Spalt ich draußen die Dunkelheit erkennen konnte. »Ähm … Ich denke, so um zwei. Passt das?«

»Geht es auch früher? Tatum und ich sind zum Lunch im Diner verabredet.«

»Hmm …« Früher bedeutete auch, früher aufzustehen. Irgendwann killte mich der Schlafmangel noch, aber wenn ich ehrlich zu mir selbst war, wälzte ich mich sowieso nur im Bett herum, bis der Wecker klingelte und ich in einen neuen Tag starten musste. »Okay, dann um zwölf? Oder eins?«

»Halb eins ist gut.«

Ich nickte, sah wieder zur Uhr und atmete aus. Etwas Schweres legte sich auf meine Brust, je länger ich hier blieb und die Dunkelheit draußen voranschritt. Jede Minute, die ich verpasste, fühlte sich falsch an. »Ich mach mich dann so langsam auf den Weg. Du und Fiona habt ja alles im Griff.«

Dashs rechte Augenbraue zuckte nach oben. »Ty, gehst du …«

An den Ort, zu dem ich muss– komme, was wolle.

»Jap. Du weißt, ich muss das tun …« Ich winkte ab und holte meine Jeansjacke aus dem Büro, zog sie über und blickte noch mal zur Uhr.

Ich verabschiedete mich rasch von Fiona, dann lief ich rüber zu Tatum und Frankie, die sich über Tates Hund Sherlock unterhielten.

»Ich wette, ich kann ihm beibringen, deine Kamera auf seiner Nase zu balancieren«, sagte Frankie gerade, als ich bei ihnen ankam. Ihr Blick wanderte zu mir. »Gehst du?«

Ich nickte. »Ja, ich hab noch zu tun. Viel Spaß euch!«

Tatum kniff die Augen zusammen und musterte mich. »Was machst du heute denn?«

»Ich muss mich um ein paar Sachen kümmern. Ihr wisst schon, dies, das …«

Wow, Ty, deine Ausreden waren auch mal besser.

»Bestimmt ein Booty Call. Oder er braucht eine Pause von uns«, rief Fiona in unsere Richtung.

»Ich tippe darauf, dass er den Mond anheult oder alternativ ein paar Hälse blutleer saugt. Wobei ich nicht weiß, ob du eher ein Edward- oder ein Jacob-Typ wärst.« Tatum legte den Kopf schief, und ich schnaubte.

»Ich hab doch diesen Onlinekurs zum Thema Gastronomie belegt, dafür muss ich … ein paar Aufgaben erledigen.«

Ich hasste es, meine Freunde zu belügen. Heute wie auch an den etlichen anderen Abenden in den letzten Jahren. Während der Unizeit hatte ich immer erzählt, dass ich nachts viel besser lernen und den Stoff aufnehmen konnte, und alle hatten es mir abgekauft. Doch seit ich meinen Abschluss in der Tasche hatte, musste ich mir andere Ausreden einfallen lassen, warum ich seit drei Jahren oft verschwand, wenn die Nacht anbrach. Inzwischen hatte es sich zu einer Art Running Gag entwickelt, darüber zu spekulieren, was ich in diesen Nächten trieb. Ich ließ meinen Freunden ihren Spaß. Besser, sie malten sich irgendwelche absurden Szenarien aus, als dass sie die Wahrheit kannten.

Frankie umarmte mich zum Abschied und musterte mich neugierig. »Schade, dass du schon losmusst. Ich hoffe, du hast noch einen schönen Abend, Ty.«

»Den wünsche ich dir auch, Franks. Und sorry, dass ich jetzt abhaue. Aber wir sehen uns morgen oder Samstag?«

Ihre Miene hellte sich auf. »Auf jeden Fall. Ich freu mich.«

»Ich mich auch.« Ich zwinkerte ihr noch mal zu, dann verabschiedete ich mich von den anderen und lief zum Ausgang, zog die Tür hinter mir ins Schloss und atmete die frische Luft ein.

Dunkelheit.

Mein Magen zog sich zusammen. Ich wusste, wohin ich zu gehen hatte. Ich hoffte mit jedem Mal, dass die Dunkelheit in meinem Herzen irgendwann weichen würde. Wenn ich daran dachte, was dort draußen auf mich wartete, wollte ich mich eigentlich schwerelos fühlen. Schwerelos unter den Sternen. Doch stattdessen schlossen sich Fesseln um meine Knöchel, die mich aufhielten. Davon abhielten, mein Leben zu leben. Dennoch hatte ich die Hoffnung, dass es irgendwann womöglich besser werden und das bittere Gefühl in meiner Magengegend verschwinden würde.

Ich schob die Hände in die Jackentaschen, während ein düsterer Schauer meinen Rücken hinablief und ich hinein ins Dunkel trat.

Frankie

»Fünf Gründe, warum Monica und Joey aus Friends zusammen sein sollten – ha!« Ich lachte auf und schlug mir die Hand vor den Mund. »Wer hat denen denn auf den Kopf gekackt?«

»Ins Hirn geschissen, Frankie.« Tatum schüttelte grinsend den Kopf und lehnte sich ein Stück zu mir herüber, um einen Blick auf den Bildschirm meines Laptops zu erhaschen, wo ich gerade durch YouTube scrollte.

»Mein ich doch. Die passen null zusammen. Rachel und Joey, ja! Monica und Joey, ne, ne, ne. Das kommt mir nicht in die Tüte.« Ich strich mit meinen Fingern über das Touchpad, um mich dem Ende der Seite zu nähern, während sich Tatum wieder ihrem Buch über Fotografie widmete.

Nachdem sie bei sich zu Hause im Bed and Breakfast ihrer Eltern, der Chestnut Flower Lodge, ihre Arbeit beendet hatte, war sie herübergekommen, um bei mir zu übernachten. Wenn mein Dad auf Geschäftsreisen und ich deswegen allein im Haus war, verbrachte ich die Nächte oft bei ihr oder sie bei mir. Mein Vater arbeitete schon seit Urzeiten als Berater für verschiedene Unternehmen in der Finanzbranche, war ziemlich erfolgreich und musste daher gefühlt alle paar Tage in eine andere Stadt innerhalb des Landes reisen. Wir telefonierten recht selten, da er häufig bis spät in die Nacht arbeitete, und schickten deswegen meist nur kurze Nachrichten hin und her. Es tat nach wie vor weh, so oft alleine zu sein, da ich ihn echt vermisste, andererseits hatte ich mich mittlerweile daran gewöhnt.

Mein Zimmer war schon immer einer meiner liebsten Rückzugsorte gewesen, was aber auch daran lag, dass ich es im Laufe der letzten Jahre so oft umgestaltet hatte, bis ich rundum glücklich damit gewesen war. Ich liebte die Lichterkette, die sich über unseren Köpfen von Bettpfosten zu Bettpfosten spannte und wie ein Sternenhimmel aussah. Zudem hingen dort und auch am rustikalen Holzregal mit den Fotoalben, Liebes- und Fantasy-Romanen und Backbüchern künstliche Efeugirlanden, und die Wände hatte ich im Anflug einer schlaflosen Nacht mit Magazincovern, Polaroids, Postkarten und Schallplatten tapeziert. Mein Skateboard mit dem Pinguin – ich war definitiv kein Profi, aber hin und wieder versuchte ich, ohne größere Unfälle damit von A nach B zu kommen – lehnte neben der Holzkommode, worauf ein paar Bilder meiner Mom standen. Ich vermisste sie jeden Tag, und manchmal kam mir der Gedanke, dass es wohl nie besser werden würde. Sie war nun schon seit sechzehn Jahren tot; ich war sehr froh, zumindest ein paar Jahre mit ihr gehabt zu haben, aber es machte mich jedes Mal aufs Neue unglaublich traurig, darüber nachzudenken, dass sie die großen Ereignisse in meinem Leben wie meinen Schulabschluss, den ersten Liebeskummer und alles, was noch auf mich wartete, nicht miterlebte. Sie war an Krebs gestorben, als ich fünf Jahre alt war, und mit ihr auch das Gefühl, eine liebevolle Familie zu haben. Immer wieder schaute ich mir die Fotos von ihr an und schwelgte in Erinnerungen.

In meinem Zimmer herrschte ein organisiertes, buntes Chaos, um es mit Tys Worten zu sagen. Auf dem Boden stapelten sich Bücher und Filme, Pflanzen und auch hier und da ein paar Sweatshirts, die ich irgendwann noch waschen oder zurück in die Kommode legen sollte. Na ja, und abgesehen vom Sternenhimmel über meinem Bett hatte ich überall im Zimmer weitere subtile Lichtquellen verteilt, da ich meine Deckenbeleuchtung etwas ungemütlich fand. Eine Stehlampe hinter dem beigen Lesesessel, meine Nachttischleuchte, kleine Lampen, die Lichtkegel an die Wand warfen, und noch mehr Lichterketten. Hauptsache, ich konnte die Dunkelheit verscheuchen wie eine alte Erinnerung, die mir immer wieder aufs Neue Angst einjagte.

Jetzt saßen Tatum und ich auf meinem Bett, mit dem Rücken gegen das Kopfteil aus Holz gelehnt. Erst hatte ich ihr ein bisschen von meinem ersten Tag als Boss in der Bäckerei berichtet – es war ganz okay gewesen, eigentlich wie immer, da die großen Aufgaben wie die Abstimmung mit den Lieferanten oder die Planung unserer Specials erst im Laufe der nächsten Tage anfallen würden. Anschließend hatte sie sich in ihr Buch aus Fotografietechniken vertieft, und ich war in einen Strudel von YouTube-Videos zu meinen Lieblingsserien gefallen, hatte eins nach dem anderen über meine liebsten Charaktere und Pärchen angeklickt und war schließlich bei Friends gelandet.

»Bin gleich wieder da«, sagte Tatum plötzlich und rollte sich vom Bett, um ins Badezimmer zu verschwinden.

»Mhm, alles klar.« Ich wischte wieder über das Touchpad und klickte mich durch ein paar Videos. Noch mehr über Friends, weitere über andere Serien und welche, die einfach nur dem Serientitel ähnelten.

Wie du Freunde findest, So merkst du, ob du toxische Freunde hast und Freundschafts-Tests waren nur einige davon, bis …

Ich kniff die Augen zusammen und musterte den nächsten Titel.

So schaffst du es bei Männern aus der Friendzone – fünf Tipps, die garantiert helfen!

Ob ich das mal anklicken sollte? Der Cursor huschte über das Vorschaubild des Videos, auf dem eine hübsche Frau in meinem Alter sowie der Begriff »Friendzone« – in Großbuchstaben und durchgestrichen – abgebildet war. Ich biss auf der Innenseite meiner Wange herum und dachte an Ty. Wir waren schon so lange befreundet, dass er mich vermutlich gar nicht als potenzielle Freundin sah. Für ihn war ich sein Kumpel, auch wenn ich ihn nie nur als solchen betrachtet hatte.

»Ach, scheiß drauf. Kann ja nicht schaden.« Im nächsten Moment klickte ich das Video an, und das braunhaarige Mädel vom Vorschaubild ploppte auf meinem Bildschirm auf.

»Hey Boys and Girls! Heute verrate ich euch meinen sicheren Fünf-Schritte-Plan, wie ihr es bei jedem Typen garantiert aus der Friendzone schafft.«

Oh Gott … Was schaute ich mir da zur Hölle an? War ich so tief gesunken?

Jap. Bin ich. Kein Zweifel.

Also lauschte ich weiter, wie die junge Frau mit dem Selbstbewusstsein eines Weltstars von ihren Erfahrungen berichtete. »Als Erstes solltest du unbedingt cool wirken. Sei total relaxed. Nichts darf dich aus der Ruhe bringen, darauf stehen Kerle …«

Während sie weitersprach, schnappte ich mir mein abgegriffenes Notizbuch vom Nachttisch und notierte alles, was sie sagte. Vielleicht war dieser Plan Müll, vielleicht war es nur ihr selbstbewusstes Auftreten, das mich überzeugte, diesen Schritt zu wagen. Daran zu glauben, dass diese Methode möglicherweise klappen könnte.

»Was zur …?« Tatum war in der Tür aufgetaucht und schüttelte ungläubig den Kopf, als sie auf mich zulief.

»Ähm, es ist nicht so, wie es aussieht.«

»Dann schaust du dir also nicht irgendwelche Ratschläge an, um Männer zu verführen?« Skeptisch hob sie eine Augenbraue und setzte sich wieder neben mir aufs Bett.

»Puh, also … ja, so könnte man es schon nennen, aber eigentlich wirkt das alles sehr gut recherchiert. Vermutlich auch mit wissenschaftlichen Studien und …«

»Kann ich dich nicht mal zwei Minuten alleine lassen, ohne dass du dir so ’nen gequirlten Mist reinziehst? Girl, das brauchst du doch gar nicht.«

Ich stoppte das Video und zuckte mit den Schultern. »Doch, irgendwie schon. Du weißt doch genauso gut wie ich, dass Ty mich nur als gute Freundin sieht. Und wenn ich will, dass sich was ändert, muss ich andere Geschütze auffahren. Dieses Video … Keine Ahnung, aber vielleicht hilft es mir ja dabei, ihn merken zu lassen, dass ich cool bin und wir total gut zusammenpassen; und möglicherweise entwickelt er dann auch Gefühle für mich oder sieht zumindest erst mal, dass ich mehr bin als nur sein Bro.«

Tatum seufzte und legte den Arm um mich. Es war das leidige Thema, das immer wieder aufkam. Ty. Meine Gefühle für ihn, die er (bisher zumindest) nicht erwiderte. »Franks. Er weiß, dass du cool bist. Alle wissen das, weil du ungefähr der beste Mensch bist, der auf diesem Planeten existiert. Und wehe, du stellst das irgendwann infrage, nur weil Montgomery nicht auf dich steht.«

»Ich weiß ja, dass ich super bin. Aber ich will, dass Ty mich eben auf dieser anderen Ebene wahrnimmt und in mir eine Frau sieht, auf die er stehen könnte. Ich will das angehen. Jetzt. Ich meine, dieser Plan aus dem Video könnte ja womöglich klappen. Ist einen Versuch wert.«

»Du könntest mit ihm darüber sprechen. Dann brauchst du auch dieses Video nicht.«

Ich lachte auf. »Ha! Ja, sicher. Ne, ne, ne, das wird nicht passieren, und das weißt du auch. Ich hab zu große Angst, dass es dann superpeinlich zwischen uns wird, er meine Gefühle nicht erwidert und unsere Freundschaft zerbricht. Wenn ich ihm ganz subtil Hinweise gebe, könnte es aber klappen. So nach und nach baue ich die im Alltag ein, und schwupps, ist er unsterblich in mich verliebt.«

»So wie ich Ty kenne, glaube ich, dass er es verstehen würde und es nicht seltsam zwischen euch wäre. Und selbst wenn … dann wüsste er es zumindest. Und vielleicht merkt er dann auch, dass er eigentlich auf dich steht.«

»Das traue ich mich nicht. Wenn ich nur daran denke, so ein Gespräch mit ihm zu führen … Oh Gott, da dreh ich durch vor Aufregung. Ne, ich kann das nicht.« Ich schüttelte den Kopf. »Weißt du, ich bin nicht so naiv zu denken, dass das ganz sicher klappen wird und das Video die Antwort auf all meine Fragen ist, aber vielleicht kann es mir helfen, ein paar Dinge zu wagen, die ich vorher noch gar nicht auf dem Schirm hatte. Es motiviert mich, okay? Und du kennst mich – wenn ich motiviert bin, dann kann mich nichts aufhalten.«

Sie nickte. »Ich halte das zwar für keinen deiner besten Pläne, aber wenn du das wirklich durchziehen willst, helfe ich dir.« Sie betätigte die Leertaste meines Laptops, und das Video lief weiter.

»Danke, Tate.«

Ich machte mir noch ein paar Notizen, und als der Bildschirm schwarz wurde, fasste ich meinen Schlachtplan zusammen.

Wie ich der Friendzone entkomme!

Lass dich von nichts aus der Ruhe bringen. Zeig ihm, was für eine sexy Queen du bist.Er muss nicht alles über dich wissen, also sei mysteriös.Auch andere haben Interesse an dir, zeig ihm das.Koch für ihn und mach ihm deutlich, dass du auch das draufhast.

»Da ist er hin, der Feminismus, für den wir so lange gekämpft haben. Nicht mehr existent.« Tatum lachte und schlug sich die Hände vors Gesicht. »Das ist doch kompletter Schwachsinn.«

»Nur ein wenig. Du musst es mit einem Augenzwinkern betrachten. Ich glaube, die Aktion könnte witzig werden und …«

»Für mich auf jeden Fall – wenn ich dir dabei zusehe.«

»He, lass mich ausreden.« Ich grinste. »Und vielleicht klappt es ja zumindest ein bisschen. Ich klammere mich an jeden Hoffnungshalm. Der Plan dient ja nur zur Orientierung, ich bring meinen eigenen Frankie-Flavour mit rein.«

»Mhm, das glaub ich. Also gut, ich bin gespannt. Wann legst du los?«

Ich überlegte und tippte mir dabei ans Kinn. »Morgen. Unser Filmabend. Frag doch Dash, wenn du ihn siehst, ob er und Ty dazukommen wollen. Dem guten Stuterich wird Hören und Sehen vergehen.«

»Stuterich? Meinst du vielleicht Hengst? Betitelst du Ty ernsthaft als Hengst? Oh, Frankie …«

»Das klingt besser und hat nicht so einen toxisch maskulinen Unterton.« Ich lachte auf, ballte meine Faust und reckte sie in die Luft. »Morgen ist der Tag der Tage. Ich erobere Tylers Herz. Let the games begin.«

»Was schauen wir als Erstes an? Irgendwelche Vorschläge?« Tyler klickte sich auf dem Fernseher durch Netflix, während Dash und Tatum die Pizzakartons, die der Lieferant gerade gebracht hatte, auf meinem Couchtisch ablegten.

»Mich darfst du nicht fragen, von mir bekommst du immer die gleiche Antwort«, entgegnete ich und lehnte mich grinsend zurück ins Polster des dunkelgrünen Sofas.

»Ja zu Marvel, nein zu Weihnachtsfilmen im April.«

»Komm schon, Ty, die sind Balsam für die Seele.« Ich klimperte übertrieben mit den Wimpern. »Die gehen einfach immer.«

Ich liebte weihnachtliche Filme und schaute sie – zum Leidwesen meiner Clique – das ganze Jahr. Die Harmonie darin, die Liebe und die Hoffnung erwärmten jedes Mal mein Herz. Zudem versetzte ich mich beim Schauen in die Charaktere hinein und stellte mir vor, wie schön es wäre, in so einer liebevollen Familie aufzuwachsen und zu leben. Ich biss die Kiefer aufeinander. In diesen Momenten vermisste ich meine Mom unfassbar. Mit ihr hatte ich als Kind auch immer Weihnachtsfilme gesehen, doch dann irgendwann … nicht mehr.

»Keine Weihnachtsfilme, Frankie«, riss mich Dash aus meinen Gedanken und ließ sich dabei neben Tatum auf die Couch gegenüber von mir und Ty fallen.

»Okay, von mir aus.« Ich richtete mich ein Stück auf und sah wieder herüber zu Ty, der nicht mal einen halben Meter von mir entfernt saß. Der typische Geruch von seinem zitronigen Aftershave, das ich so gerne mochte, tanzte um meine Nase, und ich wollte am liebsten noch näher zu ihm rücken. Heute trug er den dunkelgrünen Sweater, der ihm viel zu gut stand.

»Wir könnten auch den neuen Film mit Kevin James angucken«, warf Tatum ein.

»Wäre eine Idee.« Ty nickte, dann wandte er sich mir zu. »Was denkst du?«

Ich musste den Plan verfolgen, den ich mir vorgenommen hatte. Heute war es Zeit für den ersten Schritt: Lass dich von nichts aus der Ruhe bringen.

Sei cool. Sei cool. Sei cool.

Rasch schnappte ich mir etwas Popcorn, das ich vorhin in eine kleine Schale gefüllt und auf dem Beistelltisch platziert hatte, dann zuckte ich mit den Schultern. »Klar. Oder den mit Jason Statham. Action, Mord und Totschlag gehen doch immer. Gib mir Blut, gib mir Eingeweide, easy.«

War das womöglich etwas zu dick aufgetragen? Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie Tatum die Lippen aufeinanderpresste, um ihr Lachen zu unterdrücken. Okay, also wohl wirklich zu viel des Guten.

Einer von Tys Mundwinkeln hob sich, und er musterte mich amüsiert. »Alles klar, Black Widow. Sag Bescheid, wenn du deinen ersten Cage Fight hast, den will ich nicht verpassen.«

Ich schnaubte. »Ach, ich besorg dir sogar ’nen Platz in der ersten Reihe, Baby.«

Baby? Oh Gott … Das war jetzt eindeutig too much. Und Tyler sah das wohl auch so, denn er kniff die Augen zusammen, schüttelte den Kopf, wandte sich ab, warf mir noch mal einen ungläubigen Blick zu und widmete sich schließlich wieder der Filmauswahl.

»Gut, dann wird’s wohl was mit Action – extra für Frankie natürlich.«

»Perfekt«, entgegnete ich lässig und schaute kurz zu Tatum und Dash rüber.

Während meine beste Freundin immer noch mit einem Lachen kämpfte, geriet auch der ehemalige Großstadt-DJ ins Schmunzeln. Am liebsten hätte ich selbst über mich und meine dummen Sprüche gelacht, doch dann wäre Ty wohl aufgefallen, dass etwas nicht mit rechten Dingen vor sich ging.

Nachdem wir noch ein paar andere Filme durchgegangen waren, entschieden wir uns Tatum zuliebe für einen mit Ryan Reynolds. Obwohl sie in Therapie war und dadurch besser mit lauten Geräuschen klarkam, wollten wir es nicht übertreiben.

»Pizza steht bereit, Licht an, Getränke hab ich hier. Dann kannst du den Film starten, Bro.« Ty kam gerade mit vier Flaschen aus der Küche zurück und stellte sie auf dem Tisch ab. Dann ließ er sich neben mir aufs Polster sinken, während Dash auf Play drückte. Er rückte noch ein Stück näher zu mir, sodass sich unsere Oberschenkel berührten, und lächelte mich an. »Du musst gleich unbedingt das neue Bier probieren, das wir auf der Karte haben. Könnte dir schmecken.«

Ich nickte und versuchte mir nicht anmerken zu lassen, dass mein Herz aufgeregt herumhüpfte. »Mach ich.«

Während der Film anlief, ließ ich den Blick noch mal rasch durchs Wohnzimmer huschen. Die Deckenlampe und auch ein paar der indirekten Lichter brannten, also konnte ich mich getrost zurücklehnen und den Film genießen. Ich wusste zwar, dass gerade die Jungs viel lieber im Dunkeln schauten, aber selbst wenn ich gewollt hätte, hätte das vermutlich nur eine panische Frankie zur Folge gehabt. Bis auf Tatum kannte niemand den genauen Grund für meine Angst vor dem Dunklen – und dabei sollte es auch bleiben. Ich wollte nie wieder darüber sprechen, denn es verfolgte mich sowieso schon genug.

Als wir unsere Pizzen verdrückt hatten und Ryan Reynolds gerade über den Bildschirm sprang und uns zum Lachen brachte, spürte ich plötzlich, wie sich ein Ellenbogen in meine Seite bohrte.

»Schau mal«, flüsterte mir Ty ins Ohr. Als sein heißer Atem meinen Hals streifte, breitete sich unwillkürlich eine Gänsehaut auf meinen Armen aus. Gott sei Dank trug ich einen übergroßen Hoodie, sodass er es nicht mitbekam. Er nickte in Dashs Richtung. »Der ist schon vor zehn Minuten eingepennt.«

Ich folgte seinem Blick und entdeckte einen schlafenden Dash mit offenem Mund, den Kopf ans Polster gelehnt. Vermutlich war er kurz davor zu sabbern. Ich musste grinsen und wandte mich wieder Ty zu, dessen Gesicht nur Zentimeter von meinem entfernt war. Hitze stieg in mir auf.

Cool bleiben, Frankie. Cool bleiben.

»Zehn Dollar, wenn du es schaffst, in seinen Mund zu treffen«, flüsterte ich und hielt ihm die Schüssel mit dem Popcorn hin.

Er geriet ins Schmunzeln, woraufhin seine Grübchen zum Vorschein kamen. »Eine Woche Freigetränke, falls du es schaffst.« Dann blähte er seine Nasenlöcher auf. Das tat er immer ganz unbewusst, wenn er einen Witz riss oder versuchte, lustig zu sein.

Jeder von uns lud sich die Hand mit Popcorn-Munition voll, und abwechselnd warfen wir damit auf Dash, in der Hoffnung zu treffen. Als Tatum es merkte, fuhr sie sich nur kopfschüttelnd übers Gesicht und verfiel in ein leises Lachen.

»Oh, crap!« Ich zuckte zusammen, als ich mit voller Wucht Dashs Auge traf und dieser daraufhin langsam seinen Mund schloss und den Kopf bewegte. Er öffnete die Augen, dann sah er an sich herunter und wieder zu uns.

»Was …?«

Sein ganzer Schoß und Oberkörper waren mit Popcorn übersät; es sah fast so aus, als ob er in einen Schneesturm geraten war. Ty krümmte sich vor Lachen, in das ich einfiel und dem sich auch Tatum anschloss.

»Wow, euer scheiß Ernst?«