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Als Lena die unglaubliche Wahrheit über ihre Schwester Anna und deren Freund Viktor erfährt, gerät für sie die Welt aus den Fugen. Kann Sentran, ein Elitewachmann des Elfenkönigs Vitus, ihr dabei helfen, Annas Fähigkeiten und die der Elfen zu akzeptieren? Wer ist der Fremde, der das Geheimnis um die Welt in einer anderen Dimension lüften will? Und was hat die schöne Kirsa aus dem Norden damit zu tun?
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Seitenzahl: 611
Sonnenwarm und Regensanft
~ Liebe zwischen den Welten ~
Elfenstern
Band 3
Romantische Fantasy von
Agnes M.Holdborg
Zitate und Widmung
Du bist wie ein Stern in der Nacht.
Auch wenn du manchmal nicht zu sehen bist,
weiß ich trotzdem, dass du da bist!
(Verfasser unbekannt)
~~~
Die Liebe treibt um Sonne und Sterne.
(Dante Alighieri)
~~~
Für meine Schwester Elisabeth. – Du weißt warum!
Und auch für Jürgen, Medusa, Jane und Sandra - und Kerstin, Ramona, Bianca und Amanda.
Für eure außerordentlich große Hilfe!
Impressum:
Band 3 – Elfenstern – Version 1
Copyright Text © 2014 Agnes M. Holdborg
Copyright Bilder/Covergestaltung: ©Medusa Mabuse unter Verwendung von ©Thomas Francois-Fotolia.com & ©olly-Fotolia.com
Alle Rechte bleiben beim Autor. Kopie und Weitergabe sind ausdrücklich untersagt.
Autorin:
Marlies Borghold – Broekmanstr.9 – DE 40885 Ratingen
marliesborg[email protected]
Inhaltsverzeichnis
Brüder
Bonbonrosa
Geschenke
Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt
Elfentempo
Vergangenheit und Gegenwart
Zukunftsängste und Grundsatzdebatten
Eisprinzessin
Klatsch und Tratsch
Von Liebe und Vertrauen
Und bist du nicht willig …
Die Macht des Elfensterns
Vitus ist eben Vitus
Lichtertanz
Gletscherschmelze
Gewalt und Liebe - Liebe und Gewalt
Verwandtschaften
Seelen, Sorgen, Sieben Siegel
Träume und Visionen
Bestien
Familie
Unter dem Bogen
Der zweite Stern
Nachwort
Leseprobe zu »Zwei Sonnen«
Leseprobe zu »Sonnensturm«
Leseprobe zu »Elfenlicht«
Leseprobe zu »Kuss der Todesfrucht«
Leseprobe zu »Der Horizont ist nah!«
Vita
Sie sehnte sich nach ihrem himmlisch weichen eigenen Bett. Ohne Marius! Dieses Bett stand zwar in einem Zimmer, das sie sich mit ihrer zwei Jahre jüngeren Schwester Anna teilte, aber die war zurzeit bei ihrem Freund Viktor zu Hause. Weit weg! Sehr weit weg!
Lena Nell presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen, als sie daran denken musste, wie weit weg Anna sich in der Tat aufhielt. Sie schüttelte den Kopf, um die beunruhigenden Gedanken daraus zu vertreiben. Das wiederum gab ihren rasenden Kopfschmerzen Auftrieb. Ebenso wie die dusselige Lounge-Musik in dieser grellen Bar, in die Marius sie direkt nach Feierabend geschleppt hatte. Auch taten ihr die Finger von den ganzen Haarwäschen, Kopfmassagen, Strähnchen ziehen und, und, und höllisch weh, genau wie der Rücken. Eigentlich hatte sie mit so etwas überhaupt keine Probleme. Der heutige Tag bildete da wohl eine Ausnahme.
Mist! Heute kommt aber auch alles zusammen, dachte sie und schlürfte missmutig an dem viel zu süßen rosafarbenen Cocktail, den Marius ihr bestellt hatte. Angewidert verzog sie das Gesicht. Sie teilte zwar nicht seine Vorliebe für Altbier, aber an solch klebrigen Getränken wie diesem fand sie auch keinen Gefallen. Wäre ich doch bloß sofort nach Hause gefahren, schimpfte sie sich selbst.
»Hey, Marius an Lena! Jemand zu Hause? Haalloo!« Große dunkelbraune Augen, umrahmt von dichten Wimpern, schauten Lena unter breiten hochgezogenen Brauen über ein Altbierglas hinweg an.
Typisch Marius, dachte Lena zerknirscht und stellte zum wiederholten Male fest, dass es wohl nur einen Mann hier in ganz Düsseldorf gab, der gleichzeitig reden und trinken konnte. Dass der sich dabei nicht verschluckt, überlegte sie.
Wie aufs Stichwort musste sie nun selber heftig husten, weil ihr ein Körnchen vom dicken Kristallzuckerrand des Cocktailglases in die falsche Röhre geraten war. Froh, dass ihr die süße Plörre nicht gleich wieder zur Nase herauskam, holte sie tief Luft. Sie zog ein Papiertaschentuch aus ihrer Handtasche, um sich die aufsteigenden Hustentränen abzuwischen und ein drohendes Mascara-Fiasko abzuwenden.
»Na, du bist heute aber schräg drauf«, kommentierte Marius.
»Oh, vielen Dank auch für dein Feingefühl. Das ist genau das, was ich jetzt brauche«, gab sie spitz zurück.
»Weißt du, Lena, ich hätte erwartet, dass du heute ein bisschen netter zu mir bist, wo du mich gestern schon versetzt hast.«
»Ich habe dich nicht versetzt, Marius. Wie oft muss ich dir das eigentlich noch erklären?« Sie verdrehte entnervt die Augen. »Das gestern war halt einfach ein gemütlicher Familien-Spiele-Abend nur unter uns Nells, verstehst du?«
Lena gab sich ganz souverän, obwohl ihr die Erinnerung an diesen Familienabend mit ihren Eltern und beiden Geschwistern immer noch einen Schauer über den Rücken jagte. Sie wollte aber nicht darüber nachdenken. Nicht jetzt und auch nicht später!
»Nein, versteh ich eben nicht«, gab Marius patzig zur Antwort und strich sich dabei eine pechschwarze Haarsträhne aus dem Gesicht.
… Sein Haar war immer ein wenig störrisch und wollte nie so wie er. Gerade sein Haar fand Lena besonders anziehend. Schließlich war sie Friseurin, zwar noch in der Ausbildung, aber da kannte sie sich aus. Und sein fast schon blauschwarzes Haar hatte es ihr von Anfang an angetan.
Damals, als sie mit Steffi im Sunny-Club war und er sie dort ansprach, hatte er es sich auch ständig aus der Stirn streichen müssen. Sie fand das einfach süß. Außerdem sah er wirklich fantastisch aus. Ein attraktives Gesicht, tolle Figur, rundherum eine Sahneschnitte. Das hatte jedenfalls Steffi seinerzeit gemeint. Heute war ihre beste Freundin allerdings nicht mehr ganz so gut auf Marius zu sprechen. Denn seit Lena mit ihm zusammen war, bekamen sich Steffi und sie kaum noch zu Gesicht.
Er wäre halt mehr ein Familienmensch, hatte er sich letztens erst verteidigt. Tatsächlich hielten sie sich recht häufig bei ihr zu Hause oder in seiner Wohnung in Düsseldorf auf. Seine Familie hingegen hatte sie bislang noch nicht kennengelernt, weil die in einem kleinen Örtchen bei Hannover wohnte.
Ohne weitere Umschweife gelangten ihre Gedanken nun wieder zu ihrer eigenen Familie. Wie konnte das alles nur möglich sein? …
»Lena, verdammt, ich rede mit dir!«, schnauzte Marius sie nun an. »Kannst du mir nicht mal zuhören, wenigstens ab und zu? Mann, da wär ich schon zufrieden«, murmelte er noch hinterher.
Sie schnitt den letzten Gedankenfaden ab und seufzte schwer. »Na, dann lass es halt.«
»Was? Was soll das heißen: Na, dann lass es halt?«
»Hhm?« So ganz war sie wohl doch nicht bei der Sache.
»Leenaa, was soll ich lassen?«
»Was du willst, Marius. – Mich verstehen, mit mir reden.«
Marius’ goldener Teint färbte sich leicht rötlich. »Ich hab mich den ganzen Tag auf dich gefreut. Nun sei doch nicht so zickig!«
»Zickig? Sag mal, geht’s noch?« Lena konnte es nicht fassen. Merkte er denn nicht, wie schlecht sie drauf war? Zu allem Überfluss würde er sie bestimmt gleich fragen, ob sie ihre Tage hätte. Das hatte er schließlich schon einmal gebracht. Am besten käme sie ihm zuvor: »Marius, ich bin einfach hundemüde und kaputt. Das war heute ein anstrengender Tag. Außerdem habe ich Kopfweh.«
»Ach nee! – Und heut Abend hab ich Kopfweh. – Na prima, das ist doch wohl nicht dein Ernst?«, maulte er. »Wir waren gestern schon nicht zusammen.«
Lena spürte die Hitze in sich hochschleichen und wie sie puterrot vor Ärger wurde. Wenn Marius glaubte, dass sie mit ihren neunzehn Jahren diesen Song von Ireen Sheer nicht kennen würde, dann irrte der sich aber gewaltig. Schließlich hatte sie eine Mutter, die das Lied nur zu gerne beim Kartoffelschälen in der Küche mitsang, wenn es im Radio lief, und sich dabei immer köstlich amüsierte.
»Also gut, Marius, hör mir zu. Du fragst mich nicht, wie mein Tag war. Ich dich schon. Du fragst mich nicht, wie es mir geht. Ich dich schon. Du fragst ja nicht mal, was ich nach Feierabend machen möchte oder was ich trinken will, sondern du bestimmst es mal wieder. Und wenn du jetzt auch nur ansatzweise glaubst, dass ich heute zu dir in die Kiste hüpfe, dann hast du dich aber geschnitten, mein Freund!«
»Sag ich doch: Kopfweh.«
»Ja, das habe ich. Und du hast nicht gerade dazu beigetragen, dass es mir besser geht, ganz im Gegenteil. Ach, was rede ich überhaupt?«
Sie kramte einen Zehneuroschein aus der Handtasche, knallte ihn auf den quietschroten Resopaltisch und schnappte sich ihre Jacke.
Noch während Marius mit Staunen beschäftigt war, meinte sie: »Für den köstlichen Drink. Mach’s gut, Marius. Tschö!«
»Lena, verdammt!«, brüllte er ihr hinterher.
Doch sie drehte sich nicht mehr um, sondern ging einfach weiter und machte ihrem Unmut mit einer rüden Geste des Mittelfingers ihrer erhobenen linken Hand Luft.
Sie hielt nicht mehr an, bis sie an der Bushaltestelle angekommen war, ignorierte das ständig nörgelnde Handy und stellte es dann kurzerhand aus. Glücklicherweise kam ihr Bus schon bald, brachte sie zum fünfzehn Kilometer entfernten Heimatörtchen und damit auch nach Hause. Endlich!
***
Eine Stunde später hatte Lena ein Aspirin geschluckt, sich die Zähne geputzt, gewaschen, sorgfältig abgeschminkt und eingecremt und ihr penibel gebürstetes Haar zu einem lockeren Zopf geflochten. Ihre Eltern schliefen bereits. Der zwanzigjährige Bruder Jens war bestimmt noch bei seiner Freundin Silvi. Also legte sie sich in der Hoffnung, möglichst bald einzuschlafen und zu vergessen, im kuscheligen Flanellpyjama ins Bett.
Das Handy hatte sie nicht wieder eingeschaltet. Mit dem Typen war sie endgültig fertig. Der war ihr bereits seit geraumer Zeit ziemlich auf die Nerven gegangen mit seiner bevormundenden Art. Sechsundzwanzig hin oder her, sie war mit ihren neunzehn Jahren ja auch kein Kind mehr und hatte es nicht nötig, sich so herablassend von ihm behandeln zu lassen. Gott sei Dank war sie ihn nun los. Punkt um!
Trotzdem war sie sauer, stinksauer! Allerdings nicht auf Marius. Der war Peanuts gegen ihre anderen Probleme. Nein, sie war sauer auf ihre Familie und das kam selten bei ihr vor. Eigentlich ließ sie sich nicht so schnell aus der Ruhe bringen.
Nur die Erlebnisse des gestrigen Abends hatten sie komplett aus der Bahn geworfen. Sie hatte heute den ganzen Tag versucht, nicht daran zu denken. Die Arbeit im Friseursalon, sogar Marius hatten sie einigermaßen abgelenkt.
Aber jetzt gab es keine solche Ablenkung mehr und schon ging es wieder los: Die Gedankenschleifen zogen erneut ihre Kreise. Das war einfach zu viel, fand sie. Wieso Anna? Wieso Jens? Wieso nicht sie?
In dem Bewusstsein, sowieso nicht schlafen zu können, machte sie das Licht, das sie gerade erst gelöscht hatte, wieder an und hockte sich aufs Bett.
Gedankenversunken starrte sie in den runden Spiegel an der Wand, blickte geradewegs in ihre ausdrucksvollen grau-grünen Augen. Schnell wandte sie sich dem großen Gemälde zu, das über Annas Bett hing. Sie mochte dieses Bild. Viktoria, die Zwillingsschwester von Annas Freund, hatte es gemalt und Anna vor fünf Monaten zum siebzehnten Geburtstag geschenkt.
Lena gefiel das mystisch, geheimnisvoll anmutende Motiv, die warme, luftig sonnige Farbwahl. Es stellte eine Lichtung inmitten eines hellen Waldes mit einem kleinen Bach dar. Den Bach konnte man regelrecht plätschern hören, fand Lena. Über dieser sonderbaren Lichtung strahlten zwei Sonnen gleichzeitig. Das hatte auf Lena stets faszinierend gewirkt.
Doch auch dieses Bild erschien ihr nun anders als zuvor. Sie wusste nicht, ob es ihr überhaupt noch gefiel.
Trotz der immer noch bohrenden Schmerzen schüttelte sie vehement den Kopf. Bereits zum x-ten Mal dachte sie über diesen verflixten Abend nach. Den Abend, der ihre wohlgeordnete Welt ins Wanken gebracht hatte. Den Abend, an dem sie sowohl von ihren Eltern als auch von Anna und Jens hatte erfahren müssen, dass beide Geschwister anders waren als sie, dass einfach Alles anders war.
… Zunächst gestaltete sich das Familienzusammensein wirklich nett: Sie hatten es sich im Wohnzimmer mit Tee und Keksen auf Sofa und Sesseln so richtig gemütlich gemacht. Nur sie fünf. Das hatte es seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr gegeben.
Im Grunde genommen fand sie ihre beiden Geschwister und sich schon etwas zu alt für so einen Familien-Spiele-Abend. Das galt selbst für Anna, die die schräge Teeniezeit vollkommen ausgelassen zu haben schien und sich mittlerweile von niemandem, auch nicht mehr von ihrem Bruder Jens, etwas sagen ließ. Dennoch waren sie für solch traditionelle Familienzusammenkünfte hin und wieder zu begeistern.
Zu Beginn spielten sie ein paar Runden Kniffel. Lena war im Begriff, die Familie vernichtend zu schlagen, was ihr natürlich großen Spaß bereitete. Allerdings reichte dieser Spaß nicht aus, um ihren unterschwelligen Ärger völlig zu unterdrücken. Sie hatte sich wieder mal mit Marius gestritten. Dieses Mal, weil er bei dem Spieleabend unbedingt hatte dabei sein wollen, sie aber einmal etwas ohne ihn machen wollte. Auch wenn es nur ein Abend mit der Familie war.
Zu Anfang bemerkte sie nicht, wie ihre Eltern ständig Blicke mit Jens und Anna austauschten und das während des Spieles dahinplätschernde Gespräch peu à peu auf Viktor lenkten. Er würde später mit seinem Vater vorbeikommen, hatte Anna erwähnt, so ganz nebenbei.
Lena erinnerte sich, wie ihr Annas Worte einen Stich versetzt hatten. Eigentlich sollte es ein reiner Familienabend sein, nur zu fünft. Also fragte sie sich, was Annas Freund und noch dazu dessen Vater dabei zu suchen hätten. Da hätte sie Marius ja doch mit dazu einladen und sich den ganzen Stress mit ihm sparen können. …
Bei dem erneuten Gedanken an Marius verdrehte Lena die Augen, konzentrierte sich aber wieder auf den Abend:
… Selbst Jens’ Freundin Silvi, die sozusagen zur Familie dazugehörte, war nicht dabei.
Doch sie wäre ja nicht Lena, wenn sie den aufkeimenden Unmut nicht einfach hinunterschluckte. Und das hatte sie auch getan.
Allerdings begann ihr Vater mit einem Male damit, eigenartige Dinge zu sagen. Er sprach von übernatürlichen Kräften, anderen Welten und fragte sie tatsächlich, ob sie an solche Dinge glauben würde. Das brachte das Fass zum Überlaufen. Lena traute ihren Ohren nicht. So was Bescheuertes aber auch! Sind wir hier auf der Enterprise und suchen in unendlichen Weiten nach neuen Welten?, dachte sie entrüstet. Hätte sie gewusst, dass die Science-Fiction-Liebe ihres Vaters diese Ausmaße annehmen würde, hätte sie ihm die DVD’s mit den alten Star-Trek-Schinken niemals zu Weihnachten geschenkt. Warum nur fragte er sie so schwachsinniges Zeug?
Lena spürte, wie ihr der Geduldsfaden riss. Erst die nervige Zankerei mit Marius und nun dieses eigenartige Gerede. Wütend pfefferte sie sämtliche Würfel in die Ecke und wollte wissen, was das ganze Gefasel sollte. …
Sie sah das Szenario wieder vor sich, hatte noch die Stimme ihrer Mutter und der anderen Familienmitglieder im Ohr:
… »Lena, Schatz, bitte reg dich doch nicht so auf«, versuchte Theresa, sie zu beschwichtigen. »Papa will dir doch nur was erklären.« Sie machte eine kleine Pause und sah Johannes dabei an. Dann sprach sie weiter: »Pass auf, hhm, es ist etwas schwierig und vielleicht glaubst du mir und den anderen auch gar nicht. Aber wir finden nun mal, du solltest es erfahren. Du sollst wissen, was los ist.«
»Mensch, Mama!«, rief Lena ungeduldig aus. »Was? Was soll ich denn wissen? Ihr redet die ganze Zeit um den heißen Brei herum. Das macht mich ganz kirre. Also, was ist los, Herrgott nochmal?«
Theresa ergriff Lenas Hände und eröffnete ihr leise die vermeintliche Wahrheit: »Weißt du, Lena, es geht vor allem um Viktor, seine Schwester Viktoria und deren Vater. Nun …«, Theresa zögerte ein wenig, fuhr aber hastig fort, weil Lena ihr ungehalten die Hände entziehen wollte, »… die sind nicht so wie wir. Die verstorbene Mutter der Zwillinge war zwar eine ganz normale Frau, ja, aber Vitus, der ist kein Mensch, Lena. Vitus kommt aus einer anderen, uns fremden Welt.«
Sie räusperte sich. »Er stammt aus einer Elfenwelt. Er ist ein Elfe, sogar ein Elfenkönig. Viktor und Viktoria sind somit zumindest halbe Elfen.«
Lena sprang vom Sessel auf und zeigte ihrer Mutter einen Vogel.
»Elfen? Bei dir piept’s ja wohl, Mama! Entschuldige bitte, aber was soll denn der Scheiß? Habt ihr heute Abend vor, mich zu verarschen, oder seid ihr einfach nur sauer, weil ich so oft beim Kniffel gewonnen habe?«
»Lena!« Auch Johannes war aufgestanden. Er sah seine Tochter böse an. »Das hört sich bestimmt unglaublich für dich an und ich kann verstehen, dass du aufgebracht bist. Trotzdem redest du nicht in diesem Ton mit deiner Mutter, verstanden! Du setzt dich sofort wieder hin und hörst zu, was wir dir zu sagen haben! Und glaube mir, Lena, wir erzählen dir hier nichts, was nicht stimmt. Niemand will dich auf den Arm nehmen.«
Lena schnaubte, schüttelte das zurzeit platinblonde überschulterlange Haar nach hinten, strich es sich dann noch einmal aus dem Gesicht. Eigentlich hatte sie die gleiche helle, makellose Haut wie Anna, doch wusste sie, dass ihr Gesicht im Augenblick sicherlich rotfleckig vor Zorn und Unsicherheit war. Trotzig verschränkte sie die Arme vor der Brust, setzte sich widerwillig hin und funkelte die anderen angriffslustig an.
»Dann mal weiter mit der Märchenstunde«, meinte sie zynisch, schmollte und forderte danach ihre Schwester auf: »Na los, Anna, schließlich geht’s doch um deinen schönen Viktor. Erklär du mir, was Mama und Papa meinen.«
Stirnrunzelnd verfolgte sie, wie ihre Schwester verlegen die Brille zurechtrückte und das Gesicht verzog, als wollte sie gleich losheulen. Das passte gar nicht zu ihr. Jedenfalls seit einiger Zeit nicht mehr. Früher ja. Aber jetzt?
Anna hatte sich nämlich stark verändert, seit sie ihren Viktor kennengelernt hatte. Einen tollen, wirklich fantastisch aussehenden Typen, wie Lena fand. Manchmal war sie sogar ein kleines bisschen neidisch.
Viktor wirkte mit seinen fast neunzehn Jahren ebenso erwachsen wie Anna. Er war stets aufmerksam und liebevoll zu ihr. – Anders als dieser Idiot Marius! Zwar konnte Viktor ab und an auch ziemlich bestimmend sein, doch das nutzte ihm reichlich wenig. Anna ließ sich inzwischen nicht mehr einfach so bevormunden.
Ja, Anna hatte sich in den letzten Monaten wirklich erstaunlich entwickelt. Darüber hatte Lena sich gefreut. Doch jetzt beobachtete sie überrascht, wie ihre Schwester betreten rumdruckste und dann flink auf dem Boden herumkrabbelte, um nach den blöden Kniffelwürfeln zu suchen, anstatt ihr zu antworten. Das durfte doch alles nicht wahr sein!
Deswegen ärgerte es sie auch, als Jens einfach an Annas Stelle das Wort ergriff: »Es ist genau, wie Mama gesagt hat, Lena. Vitus ist der König des westlichen Elfenreiches, wirklich. Ich war selbst schon einmal dort. Glaub mir, das gibt es echt. Wenn du willst, kannst auch du es kennenlernen. Aber erst wollten wir dir gerne erzählen, was an den Elfen so anders und so besonders ist, ja, und dass Anna und ich auch nicht ganz so normal sind.«
Jetzt war es endgültig genug, fand Lena, und machte Anstalten aufzustehen, wurde jedoch von Jens daran gehindert, indem er sie am Arm festhielt. »Halt, halt, Schwesterlein, du bleibst schön hier und hörst weiter zu, wie Papa es dir gesagt hat. Und weil du so bockig bist, ist es wohl am besten, wenn Vitus dir ab jetzt alles Weitere erklärt.« Er grinste wissend. »Der steht nämlich schon mit Viktor unten vorm Haus.«
Wie auf Kommando stand Anna auf, warf sich das lange goldblonde Haar über die Schulter und legte wortlos die Würfel auf den Tisch. Endlich sah sie Lena mit ihren hellblauen Augen ins Gesicht. Ganz traurig, fiel es Lena auf. Als es an der Haustür läutete, stürmte Anna hinaus. Lena wurde das Gefühl nicht los, dass ihre Schwester regelrecht flüchtete. …
Tatsächlich waren es Viktor und Vitus gewesen, die geklingelt hatten. Bei der Erinnerung daran, wie die beiden ins Wohnzimmer gekommen waren, kniff Lena gequält die Augen zu.
Insbesondere Vitus hatte sich nicht lange mit Höflichkeitsfloskeln aufgehalten, sondern nach einer knappen Begrüßung direkt mit ihr gesprochen. Ganz freundlich. – In ihrem Kopf! Ohne seine Lippen zu bewegen!
Noch dazu hatte Viktor sie bei der Hand genommen. Ihr war sofort wohlig warm geworden, gerade so, als würde die Sonne in ihrem Herzen scheinen. Mitten in ihr drin! Diese innere Sonnenwärme hatte sie seltsamerweise beruhigt. Im gleichen Moment war ihr überdeutlich klargeworden, dass alles, wirklich alles stimmte, was da an fantastischen Dingen erzählt worden war. Es schien verrückt, aber sie glaubte all das Unglaubliche. – Fast!
Okay, es gab also Elfen. Wesen mit außergewöhnlichen geistigen Fähigkeiten. Wesen aus einer anderen Welt, die direkt neben der ihren existierte. Wesen ohne spitze Ohren oder Flügel, aber mit dem Talent, die Gedanken anderer sehen und diese beeinflussen zu können. Und die anscheinend noch ganz andere paranormale Kräfte besaßen. Gut, gut, man könnte ja mal so tun, als wäre das akzeptabel.
Aber Anna und Jens? Wieso konnten die beiden auch in den Geist von anderen eintauchen und sich sogar auf diese Weise miteinander verständigen?
Theresa hatte gemeint, dass es eventuell an ihrem verstorbenem Vater, also Lenas Opa, liegen könnte. Vitus wäre wohl noch dabei, Erkundigungen darüber einzuholen. Doch das war Lena erst einmal völlig egal. Für sie ergab sich vorrangig nur die eine Frage: Warum besaß sie denn keine solch besonderen und aufregenden Gaben?
An sich widersprach es vollkommen ihrem Naturell, sich so aufzuführen. Noch nie im Leben war Lena derart missgünstig gewesen. Jetzt jedoch fühlte sie sich ausgegrenzt und minderwertig, obwohl ihr der gesunde Menschenverstand sagte, dass das Blödsinn war.
… Nachdem Vitus’ seine »Gedankenattacken« auf ihren oder besser in ihrem Kopf beendet hatte, und auch Viktor seine »sonnige Spezialbehandlung«, hörte sich Lena noch für ein Weilchen die weiteren Erklärungen ihrer Familie an. Kurz darauf stand sie allerdings wortlos auf und verschwand in ihrem Zimmer. Sie wollte einfach nur noch weg. Weg von diesen unfassbaren Dingen. Anna kam ihr zwar hinterher, um nochmals mit ihr zu reden. Doch sie drehte der Schwester den Rücken zu mit der Bitte, sie in Ruhe zu lassen, weil sie etwas Zeit bräuchte.
Das tat ihre Schwester. Die Weihnachtsferien gaben ihr die Gelegenheit, die nächsten Tage bei Viktor zu Hause oder bei Vitus auf dem Schloss zu verbringen. Wo nun genau, das interessierte Lena derzeit einen feuchten Dreck.
Anna war jedenfalls nicht mehr da. Und sie, was machte sie? Die Lena, die sich sonst für so tough hielt? Sie hatte einzig und allein im Sinn, so zu tun, als wäre nichts geschehen und alles ganz normal. Sie mied Eltern wie Bruder am Morgen danach, ging zur Arbeit, bediente die Kunden im Friseursalon wie immer freundlich und zuvorkommend und wurde nach Feierabend von Marius abgeholt. …
Ja, und hier schloss sich der Kreis.
Lena seufzte, um Kummer und Zorn zu unterdrücken, was nicht gelang. Sie war wirklich stinksauer, doch eigentlich mehr auf sich selbst. Das erkannte sie nun, nachdem sie das Ganze noch einmal hatte Revue passieren lassen.
Anna und Jens konnten schließlich genauso wenig dafür wie sie. Was war sie nur für ein Scheusal, so krass zu reagieren?
Jetzt hatte sie mit ihrer üblen Laune auch noch Marius vergrault. Obwohl, der hatte mit seinem eigenen schlechten Benehmen wohl eher sie vergrault und konnte sie deswegen mal kreuzweise. Trotzdem, sie hatte aus Frust gehandelt. Nun war sie solo – wieder mal. Schlagartig wurde sie traurig, denn plötzlich fühlte sich schrecklich allein. Das hatte allerdings weniger mit Marius zu tun. Nein, es war die Erkenntnis, nicht mehr richtig zur geliebten Familie dazuzugehören, die sie von einem Moment zu nächsten so schwer traf. Völlig aufgelöst warf sie sich zurück aufs Bett und fing bitterlich zu weinen an.
Tief in ihrem Gefühlssumpf versunken bemerkte sie zunächst nicht, dass es an der Tür klopfte. Deswegen war es für einen Protest zu spät, als ihr Bruder die Tür aufmachte und einfach hereinkam. Noch dazu setzte er sich zu ihr aufs Bett und streichelte ihr sanft den Rücken.
»Der Typ ist ’n echtes Arschloch, Lena«, meinte Jens. »Gut, dass du dem den Laufpass gegeben hast.«
Abrupt richtete sie sich auf. »Wieso weißt du davon? Hast du das etwa mit deinem komischen Elfenradar gesehen?«
Er lachte kurz auf. »Elfenradar? Gut gesagt, Lena. Aber nein, mein Elfenradar funktioniert nicht so wie Annas. Wenn überhaupt, dann am besten bei ihr. Sonst klappt es nur selten. Na, ist ja auch egal.« Er deutete auf Lenas Handy, das stumm auf der Kommode neben dem Bett lag. »Nee, Marius hat mich angerufen und ziemlich fies angemacht. Er sagt, du hättest dich total scheiße benommen. Es wäre peinlich gewesen, wie du aus dem Club gestürmt und einfach abgehauen wärst. Dann konnte er dich nicht erreichen. Tja, da musste ich wohl dran glauben.«
Jens bedachte sie mit einem bewundernden Blick aus seinen ruhigen grauen Augen. »Coole Sache, Lena. So, wie der mich am Telefon angeschnauzt hat, ist es wohl besser, dass du Schluss mit dem gemacht hast. Der hat sie ja wohl nicht alle! Das hab ich dem Blödmann auch sehr deutlich zu verstehen gegeben.«
Lena schniefte. »Das war’s dann wohl mit Marius.« Sie wischte sich die Tränen mit ihrem Taschentuch fort und putzte sich geräuschvoll die Nase. »Ach was, das wär ohnehin nicht mehr lange gutgegangen.«
Indem sie nichts weiter dazu sagte, gab sie ihrem Bruder zu verstehen, dass das Thema »Marius« nun nicht mehr zur Diskussion stand. Anstatt dazu noch einen Kommentar abzugeben, nahm Jens sie in den Arm und drückte sie. Danach schob er sich wieder ein Stückchen von ihr fort, um sie genauer zu mustern.
»Wie geht es dir denn sonst so? Hast du den ersten Elfenschock überwunden?«
Lena war es schrecklich peinlich, wie sie am gestrigen Tage so eifersüchtig und neidisch hatte überreagieren können. Sie spürte leise Röte in sich aufsteigen.
»Es geht so. Tut mir leid, dass ich derart sauer war. Aber zuerst erfahre ich diese ganze unglaubliche Geschichte und dann muss ich auch noch feststellen, dass du und Anna so was könnt und …«
»… und du nicht«, vollendete Jens ihren Satz. »Lena, du bist die tollste Schwester, die man sich nur wünschen kann. So lieb und hübsch und klug. Wir lieben dich über alle Maßen, das weißt du doch. Und dass du die ganze Elfengeschichte erst einmal nicht glauben wolltest, ist ja wohl das Normalste überhaupt.« Er legte die Hände auf ihre Schultern, während er sie ein weiteres Mal eindringlich ansah. »Hey, ist es denn so schlimm, dass Anna und ich ein klein wenig anders sind? Bis vor Kurzem haben wir es doch selbst nicht gewusst.«
»Nein, eigentlich nicht. Nur hätte ich es halt toll gefunden, auch so was zu können, auch was davon abgekriegt zu haben. Ist echt nicht schön, wenn man merkt, dass man nicht richtig dazugehört«, meinte sie kleinlaut.
»Nicht dazugehört?« Er schüttelte den Kopf. »Das ist doch Schwachsinn. Natürlich gehörst du dazu. Was glaubst du denn, warum wir es dir erzählt haben, he? Weil du absolut dazugehörst.« Bevor er aufstand, tätschelte er ihr liebevoll den Arm. »Denk mal darüber nach.«
Er wollte hinausgehen, drehte sich aber noch einmal um. »Vitus hatte keine Gelegenheit, es dir selber zu sagen. Du bist ja gestern einfach aus dem Wohnzimmer gerauscht. Ich denke, er ist bestimmt nicht böse, wenn ich dir jetzt ausrichte, dass du zu seiner und Loanas Hochzeit eingeladen bist.« Jens machte eine kurze Pause. Offenkundig freute er sich über Lenas große Augen, so wie er jetzt schmunzelte. »Das ist aber lange noch nicht alles, mein liebstes Schwesterherz«, fuhr er fröhlich fort. »Du wirst nämlich zusammen mit Anna, Viktoria und Silvi Brautjungfer spielen müssen.«
»Was?« Vor Überraschung fiel Lena die Kinnlade runter. Das schien ihren Bruder köstlich zu amüsieren, weshalb sie den Mund hastig wieder zumachte.
»Cool, nicht wahr? Du wirst eine wichtige Rolle auf einer königlichen Elfenhochzeit spielen. Also, anstatt dich mit so einem düsteren Zeugs, wie Eifersucht und Neid, verrückt zu machen, solltest du dich schleunigst mit den anderen drei Brautjungfern zusammentun und über Garderobe, Frisur und so’n Mädelskram nachdenken.« Er öffnete die Tür. »Nacht, meine Süße.«
Jens spazierte hinaus und ließ eine sehr nachdenkliche, allerdings längst nicht mehr so traurige Lena zurück.
***
Währenddessen erholte sich Anna Nell von dem stürmischen Liebesspiel mit Viktor. Die letzten knisternden Funken und roten Wirbel in seinem Zimmer zeugten davon – und Anna, die leise keuchend nach Luft rang.
»Irgendwann bringen wir uns um! Irgendwann überleben wir das nicht!«
Viktor sah sie heißblütig an, bedeckte daraufhin ihr Gesicht mit federleichten Küssen.
»Doch, doch, Anna. Es gibt eine geringe Überlebenschance, wenn wir jetzt vielleicht ein bisschen schlafen.« Er lächelte, was immer eine faszinierende Wirkung auf Anna hatte.
… Sie liebte ihren halbelfischen Freund sehr. Alles an ihm. Sein feines Gesicht. So schön, mit dem herrlich geschwungenen köstlichen Mund. Seine intensiv leuchtenden dunkelblauen Augen. Seine wirren braunen Locken mit dem mahagonifarbenen Lichtspiel darin. Seinen langen, geradezu perfekten Körper. Seine Leidenschaft. Seine Sonne. Seine Liebenswürdigkeit und, und, und – selbst seine vom ständigen Barfußlaufen immer etwas schwieligen Füße.
Doch wenn er lächelte und sich dabei die beiden Grübchen auf seinen Wangen zeigten, schmolz sie regelrecht dahin. …
»Viktor Müller! Du redest von Schlaf und denkst stattdessen schon wieder an Sex! Das ist doch wohl nicht dein Ernst?«
Allen Anschein nach ließ Viktor sich von Annas Gedanken beeindrucken. »Okay, okay, du hast mich mal wieder durchschaut. Ich bekenne mich schuldig.« Er rollte sich vorsichtig von ihr herunter. »Daran zu denken wird ja wohl noch erlaubt sein, Kleines.«
Er drehte sich zur Seite, strich mit dem Finger verführerisch den Konturen ihres Leibes nach und stellte mit einem weiteren, nun zufriedenen Lächeln fest, wie sich bei ihr eine Gänsehaut bildete und die Brustwarzen aufstellten.
»Meine Güte, Anna, wie soll ich an was anderes denken, wenn ich dich so sehe.«
Er senkte seinen Mund auf einen der sich ihm entgegenreckenden Nippel und knabberte kurz daran.
»Ich bin einfach komplett verrückt nach dir.«
»Du lieber Himmel, Viktor! Ich sag ja, wir überleben das nicht.«
»Du hast recht, Anna. Wir sind verloren.«
Am frühen nächsten Morgen versuchte Anna wie so häufig, sich ihm zu entwinden. Meistens wachte sie später auf als er. Wenn es doch einmal umgekehrt war, dann ergab sich stets dasselbe Problem:
Viktor hatte Arme und Beine eng um sie geschlungen. Sobald er bemerkte, dass sie sich von ihm lösen wollte, hielt er sie umso fester. So auch an diesem Morgen.
»Hey, wo willst du hin, kleine Anna«, knurrte er schlaftrunken, ohne ein Auge aufzutun. »Es ist doch noch gar keine Aufstehzeit.«
»Es ist immer das Gleiche mit dir, Viktor Müller!«, schimpfte sie. »Ich muss mal Pipi und habe keine Lust, dich jedes Mal anzubetteln. Also, gib mich frei, mein Prinz!«
»Schon gut, schon gut. Aber nur, wenn du versprichst, sofort zurückzukommen. Ich könnte in der Zeit vielleicht erfrieren oder vor Einsamkeit vergehen. Das kannst du nicht riskieren.«
»Jaja, mein Prinz auf der Erbse.«
Jetzt öffnete Viktor ein Auge. »Was?«
»Prinz auf der Erbse«, wiederholte Anna geduldig und stand rasch auf, als er sie endlich ließ. »Das ist ein Märchen. Eigentlich heißt es: Die Prinzessin auf der Erbse. Soll heißen, dass du ein Sensibelchen bist.«
»Sensibelchen?«, protestierte Viktor. »Na warte, ich werd dir gleich …«
Sein Versuch, sie noch zu fassen zu kriegen, scheiterte. Anna war bereits kichernd in Richtung Bad unterwegs.
Als sie zurückkam, schlief Viktor wieder.
»Typisch, erst große Töne spucken und dann pennen!«
»Denkst auch nur du!« Blitzschnell griff er nach ihr und zog sie ins Bett.
Als sie später gut gelaunt mit Viktoria und deren Freund Ketu am Frühstückstisch saßen, spürte Anna die Gedanken ihres Bruders. Jens hatte wohl schon am Abend zuvor versucht, sie zu erreichen, doch da war sie halt anderweitig beschäftigt gewesen.
… Jens berichtete ihr von Lena und deren Jetzt-Ex-Freund. Anna hatte diesen Marius von Anfang an nicht so richtig leiden können, wusste aber nicht, wieso. Es war vielmehr ein Bauchgefühl. Nun ärgerte sie sich, ihrer Schwester nicht sofort davon erzählt zu haben. Nur war Lena damals so überglücklich gewesen, als sie ihn kennengelernte, dass Anna es einfach nicht übers Herz gebracht hatte. Zudem war sie in der Zeit nach den schrecklichen Ereignissen um Loana, Sistra, Aedama und Durell reichlich abgelenkt gewesen. Dann kam Weihnachten und, und, und …
Sie schob ihre Selbstanklage beiseite. Jetzt war es eh zu spät.
»Jens hat mir gerade ein paar Neuigkeiten übermittelt«, erzählte sie den anderen am Tisch. »Lena hat Schluss mit Marius. Aber das scheint sie recht gut verdaut zu haben, ebenso wie die Märchenstunde.«
»Märchenstunde?«, fragte Viktoria.
»Meine Schwester halt«, erläuterte Anna. »Sie hat das so genannt, als wir sie über die Elfen aufgeklärt haben. Na, jedenfalls geht es ihr soweit ganz gut, trotz Marius und Märchenstunde. Und, was noch besser ist, sie freut sich total über die Einladung zur Hochzeit und ebenfalls über die Brautjungferngeschichte. Ach ja, Silvi übrigens auch.« Sie kicherte. »Okay, bei Silvi war es wohl erheblich schwieriger. Behauptet Jens zumindest. Als er ihr von der ganzen Elfensache erzählt hat, ist sie vor Schreck umgefallen und Jens konnte seine Herzallerliebste nur noch mit seiner speziellen Mund-zu-Mund-Beatmung beruhigen.«
Anna runzelte die Stirn. »Wozu erzähl ich euch das überhaupt? Ihr habt das doch bestimmt mitgekriegt.«
»Ein bisschen vielleicht«, bestätigte Viktoria. »Aber das meiste hast du ziemlich gut verborgen gehalten. Du machst dich, Anna. Nun aber zum Hochzeitsthema. Das wird nämlich einfach toll. Ich bin so froh, dass Lena und Silvi endlich Bescheid wissen und mit dabei sein können. Das gibt sicher ein superschönes Bild: Zwei Dunkelhaarige und zwei Blonde.« Sie strahlte vor Freude. »Wir müssen Lena natürlich dazu überreden, blond zu bleiben. Was hat sie eigentlich für eine Naturhaarfarbe?«
»Die sehen in natura fast genauso aus wie meine. – Ich weiß auch nicht, warum sie andauernd mit ihren Haaren herumexperimentiert«, fügte sie hinzu, als Viktoria fragend eine Braue hob. »Muss am Beruf liegen. Aber das Argument mit zwei zu zwei könnte ziehen. Auf so was steht sie. Die ist bestimmt so richtig aus dem Häuschen.«
»Genau wie Vitus.« Ketus ernstes Gesicht nahm einen leicht belustigten Zug an. »Ich habe gestern mitbekommen, wie er sich mit Bitris, dem Schlossgärtner, unterhalten oder eher gestritten hat. Der war wohl ein bisschen kritisch wegen Loanas Wunsch, zur Kirschblüte zu heiraten. Schließlich stehen im Schlosspark ja extra verschiedene Kirschsorten, um eine möglichst lange Blütezeit vorzugeben. Vitus will aber, dass zur Hochzeit alle Kirschen gleichzeitig blühen, also die Schnee- und Winterkirschen zusammen mit den Frühlingskirschen, die auf der kleinen Allee stehen.«
Ketu schüttelte den Kopf. »Der arme Gärtner hatte ohnehin keine Chance. Nach einer knappen Debatte über Blütenwachstum, Jahreszeiten und mehr hat Vitus ihn einfach stehen lassen und kurzerhand damit begonnen, die Bäume wettertechnisch zu beeinflussen. Er will unbedingt, dass die Hochzeit am zwanzigsten März stattfindet. Also wird er dafür sorgen, dass Loana ihre Blüten an diesem Tag bekommt.«
»Ach.« Anna griff sich ans Herz. »Ich finde das soo romantisch.« Dann dachte sie nach. »Wieso eigentlich der zwanzigste März?«
»Frühlingserwachen«, antwortete Viktoria. »Das ist im Elfenreich ein wichtiger Feiertag, ungefähr so wie Silvester und Neujahr bei den Menschen. Der Winter vergeht und der neue Lebenszyklus beginnt.« Auch Viktoria seufzte. »Er ist echt romantisch, unser Vater.«
»Du bist wirklich der festen Überzeugung, dieser Sentran könnte der Richtige sein?«
»Oh ja, Vitus, das bin ich«, bestätigte Estra. »Er ist genau der Mann, den du suchst.«
»Hhm-hhm.« Vitus zog genüsslich an seiner dicken Zigarre, genehmigte sich zudem ein Schlückchen vom Verdauungsobstler.
Loana und er waren bei Estra in den Bergen des westlichen Elfenreiches zu Besuch und hatten gerade erst, gemeinsam mit Estras Frau Isinis und den Kindern Panu, Mainio und Iltrana, fürstlich zu Mittag gespeist.
Die beiden Frauen vertraten sich nun die Beine im herrlichen Park, direkt vor dem riesigen hochherrschaftlichen Haus, während es sich die beiden Brüder im Wintergarten gemütlich machten. Sie saßen in bequemen Ledersesseln, die baren Füße auf einem Hocker abgelegt.
Hamo, Estras junger Bediensteter, der noch nicht lange für ihn tätig war, trat ein und fragte, ob er noch etwas bringen sollte. Sie verneinten fast zur gleichen Zeit und lächelten, weil sie beide dasselbe gesagt hatten: »Nein, der Obstler reicht.«
Bevor er wieder hinausging, hatte Hamo sie mit einem Ausdruck im Gesicht angestarrt, der Vitus nur allzu bekannt war. Es lag an seiner großen Ähnlichkeit mit Estra, die selbst Freunde und Bekannte ab und an verwirrte. Aber auch Fremde sahen sofort, dass sie Brüder waren:
Sie waren beide sehr groß, Estra sogar noch etwas größer, und von schlanker, muskulöser Statur, hatten glattes rabenschwarzes Haar, das ihnen bis auf die Schultern fiel, und ein attraktives Gesicht mit scharf geschnittenen Zügen. Vielleicht war Estras Nase nicht ganz so groß und ausgeprägt und sein Mund dafür einen Tick breiter. Auch zierte Estras Kinn kein Grübchen und seine Augen waren nicht meergrün, sondern braun wie Milchschokolade. Dennoch, ihre Ähnlichkeit war enorm. Besonders, wenn sie lachten und Grübchen auf ihren Wangen erschienen.
Eine weitere Gemeinsamkeit stellte ihre Abneigung gegen Schuhe dar. Beide hassten Schuhe, selbst Socken. Das kam bei Elfen allerdings häufig vor, speziell bei den männlichen. Viele von ihnen zogen es vor, weitestgehend barfuß durchs Leben zu schreiten, weil sie selbst den unangenehmen Schmerz spitzer Dinge unter ihren Füßen dem dafür freien und kühlen Gefühl liebend gern den Vorzug gaben.
»Was für ein grandioser Ausblick«, dachte Vitus, während er die gigantischen schneebedeckten Berge bewunderte, die sich unweit des Hauses auftürmten. Sie bildeten einen bizarren, scharfkantigen Zickzackkurs, über dem sich der Himmel in einem derart klaren Blau erstreckte, dass Vitus die Tränen in die Augen traten und er kurz blinzeln musste. »Ich komme viel zu selten her.«
»Da hast du wohl recht«, holte Estra ihn aus seinen Gedanken. »Schau nicht so verwundert drein, Vitus.« Das überraschte Staunen seines Bruders verleitete Estra zu einem Lächeln. »Seit du mit deiner bretonischen Kened – Schönheit Loana eine Hochzeit planst, bist du des Öfteren zerstreut. Ich hab noch nie so viel von deinem Gedankengut erhaschen können wie in der letzten Zeit.« Estras Lächeln blieb unverändert. »Sie tut dir gut. Das sehe ich. Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr Isinis und auch mich das freut.«
Nun wurde Estra ernst und schlug einen geschäftsmäßigen Ton an: »Schau dir den Burschen doch nachher mal an. Ich habe Sentran extra hergeholt, damit ihr euch auf neutralem Gebiet ein wenig beschnuppern könnt.«
»Gut, mach ich«, erwiderte Vitus knapp. Mit einem Mal wurde er still. Nachdenklich senkte er den Kopf, um seine Überlegungen samt der erneut aufsteigenden Trauer vor Estra zu verbergen.
»Sistra war ein guter Mann, Vitus.« In Estras Stimme lag stilles Bedauern. »Er war nicht nur einer deiner sechs Elitewachmänner. Er war dein Freund, genau wie meiner. Und auch Durell und Aedama waren unsere Freunde. Niemand wird sie je ersetzen können. Sie behalten auf ewig ihren Platz in unseren Herzen.« Er stieß einen abgrundtiefen Seufzer aus.
»Das war ein schwarzer Tag, als Loanas …«, er schnaubte, »… sogenannte Familie die drei ermordet hat. Wir beide haben schon so manche dunkle Stunde miteinander geteilt, mein Bruder. Doch du hast wie schon so oft die Last trotz allem allein getragen.«
Estra machte eine kurze Pause und nippte an seinem Glas. »Das hat dir zugesetzt, jedes Mal. Trotzdem, Vitus, dein Leben geht nun einmal weiter. Und in Anbetracht deiner wunderschönen Verlobten, wird es von nun an ein sehr, sehr gutes Leben sein.« Er berührte seinen Bruder liebevoll am Arm. »Wir werden unsere Eltern und Freunde und auch Viktors und Viktorias Mutter nie vergessen, niemals. Aber …«
Vitus hob den Kopf und Estra sah in seine gequälte Seele. »Aber ich brauche nun mal einen neuen sechsten Wachmann«, vollendete er den Satz.
»Ja, den brauchst du.«
»Lass uns anstoßen, Estra. Lass uns das Glas erheben auf Aedama und Durell, die Iren. Und auf Sistra, den Wachmann. Auf unsere Freunde. Und auf all unsere Lieben, die wir verloren haben.«
Estra füllte die Gläser auf. »Ja, wir trinken auf die Iren, auf Sistra und auf alle anderen und auf die Gesundheit. Sláinte!«
»Genau, auf unsere Freunde und auch auf die Gesundheit!«
In diesem Moment betraten Loana und Isinis den Wintergarten.
»Halt, wartet, da sind wir natürlich auch dabei.« Isinis goss Loana und sich jeweils ein Glas ein, um mit anzustoßen. »Auf die Gesundheit!«
»Yec´het mat!« Loana stieß mit den anderen an, trank den scharfen Schnaps in einem Zug aus und verzog sodann für einen winzigen Augenblick ihr schönes Gesicht zu einer angewiderten Grimasse. »Puh! Mat-tre! Ähm, sehr gut.« Während sie ihr honigblondes Haar schüttelte, leckte sie sich die Lippen und holte tief Luft. »Seid ihr euch sicher, dass dieses Zeug gesund ist?«
Vitus lachte schallend. Loana schaffte es immer wieder, seine trübe Stimmung zu vertreiben. Er stand auf, legte einen Finger unter ihr Kinn, um es anzuheben, und musterte sie.
»Hier in den Bergen gehört es sich, einen guten Obstler zu genießen.« Er gab ihr einen sanften Kuss. »Was ist, Kened, hat er dir etwa nicht gemundet?«
»Hhm? Doch, doch. Mat-tre«, antwortete sie. »Das sagte ich ja bereits. Aber ein Lambig oder Calvados schmeckt mir halt doch ein kleines bisschen besser. Noch lieber ist mir Couchenn oder einfacher Cidre.«
»Mat-tre? Soso.« Vitus versank in ihren edelsteingrünen Augen und lächelte amüsiert. »Wenn er dir trotz deiner Vorliebe für Apfel- und Honigwein sehr gut schmeckt, dann könnten wir uns ja noch ein Gläschen davon genehmigen. Was meinst du, meine Schöne?«
Loana trat etwas von ihm zurück, reckte aber forsch das Kinn. Zunächst den Kopf in den Nacken gelegt, um ihn ihrer geringen Größe wegen besser ansehen zu können, neigte sie den Kopf nun zur Seite und stemmte die Hände in die Hüften. Wie sie so vor ihm stand, musste Vitus schmunzeln, gab jedoch nicht preis, was er dachte: Dieser Anblick raubte ihm jedes Mal aufs Neue die Sinne. Genauso fesselnd hatte sie an dem Abend ausgesehen, als sie ihm zum ersten Mal im Empfangssaal seines Schlosses entgegengetreten war. Mit diesem ovalen Gesicht, den ebenmäßigen, lieblichen Zügen, der leicht gebräunten Haut, der kleinen Nase und dem vollen sinnlichen Mund. Doch was ihm regelmäßig den Atem verschlug, waren ihre leicht schräg stehenden, blitzend grünen Augen unter sanft geschwungenen Brauen.
»Jawohl«, entgegnete sie mit fester Stimme. »Wie sagt man doch so schön?: Ein Bein steht nicht gern allein.«
Isinis runzelte zunächst die Stirn und gluckste dann belustigt, verkniff sich aber offenbar ein richtiges Lachen. »Ja, so ist es, Loana. Auf einem Bein kann man nicht stehen.« Sie goss alle Gläser wieder voll. »Yec´het mat!«
Es wurden mehr als zwei Beine. Die Flasche mit dem Obstler war fast bis zum letzten Tropfen geleert. So blieb es nicht aus, dass die Frauen irgendwann bei ihren Männern auf dem Schoß saßen und lachend deren Geschichten aus ihrer wilden Jugendzeit lauschten.
Währenddessen spielte Loana versonnen mit dem goldenen Amulett, das Vitus stets an einer schmalen Kette um den Hals trug. Es war mit feinen Ornamenten verziert, der Schrift der Vorväter. Seit Vitus mit knapp neunzehn Jahren, nach der Ermordung seiner Eltern, als der ältere der beiden Brüder den elfischen Thron hatte übernehmen müssen, wies ihn dieses Amulett als den König des westlichen Elfenreiches aus.
Dann ließ sie die Kette wieder los und überraschte mit einem Lied. Loana begann so unvermittelt zu singen, dass die anderen wie gebannt innehielten. Mit klarer, wunderschöner Stimme sang sie auf Bretonisch eine Ballade aus ihrer Heimat. Über Liebe und Trauer.
Vitus konnte dem Text nicht richtig folgen, so faszinierte ihn Loanas Gesang.
Umso mehr verblüffte es ihn, als sie ebenso abrupt zu singen aufhörte, wie sie begonnen hatte, und undeutlich murmelte: »Das hab ich lange nicht mehr …«
Sie schmiegte sich eng an Vitus’ Brust und schwieg.
»Loana?« Er stupste sanft ihre Schulter, doch sie reagierte nicht. »Ich glaube, wir haben sie betrunken gemacht«, meinte er und lächelte. »Die Ärmste. Das ist das erste Mal, dass ich sie überhaupt habe starken Alkohol trinken sehen. Und gegen ein Gläschen Cidre oder Couchenn hier und da sind vier bis fünf Obstler am frühen Nachmittag wohl eindeutig zu viel für meine Kened gewesen.«
Vitus erhob sich mit ihr in den Armen. »Tja, es tut mir leid, meine Lieben. Es ist bestimmt besser, wenn ich sie ins Bett bringe und bei ihr bleibe, falls ihr schlecht wird.«
Er wollte gerade gehen, als er kurz innehielt. »Ach, Estra, morgen früh würde ich gerne mit diesem Sentran sprechen. Du hast recht. Er könnte der Richtige sein.«
Mit der schlafenden Loana im Arm verließ er den Wintergarten.
***
Estra hielt Isinis weiterhin auf seinem Schoß und gab ihr einen leidenschaftlichen Kuss.
»Da sind wir also unverhofft allein, meine Liebste. Die Kinder sind bei ihren Freunden.«
Er besah seine schöne Frau mit einem unverhohlen hungrigen Blick, strich mit den Händen über ihr langes hellblondes Haar. In all den Jahren ihrer Ehe hatte sein Begehren nichts an Stärke eingebüßt.
»Was denkst du, Isinis, sollen wir vielleicht auch ein wenig unseren Rausch ausschlafen?«
»Ein bisschen Ruhe könnte nicht schaden«, erwiderte Isinis und beantwortete dabei aus großen hellgrünen Augen in gleicher Weise seinen Blick. »Ich möchte aber auch getragen werden, so wie Loana.«
Erfreut hob Estra die Brauen. Mit den Worten »Dein Wunsch sei mir Befehl« trug er sie lächelnd davon.
***
»Chaous, Chaous, Chaous!«, wimmerte Loana in bretonischer Sprache.
Vitus hielt ihr das Haar aus dem Gesicht, als sie den Kopf aus dem Bett über einen Eimer reckte und sich zum wiederholten Male erbrach. Mit einem feuchten Tuch betupfte er ihr Stirn und Mund.
»Mist, Mist, Mist!«, rief sie erneut aus, weil sie wieder würgen und spucken musste. Dann schnaufte sie kräftig durch, nahm Vitus das Tuch ab, um sich noch einmal gründlich das Gesicht abzuwischen und die Nase zu putzen.
»Du solltest mich nicht so sehen, Vitus«, stöhnte sie. »Das ist ja grauenvoll.«
»Ja, da stimme ich dir vollkommen zu, Kened«, gab Vitus trocken zurück. »Du hättest mit so etwas wenigstens warten können, bis wir verheiratet sind.«
Ihr bestürzter Gesichtsausdruck verleitete Vitus dazu, noch einen draufzusetzen: »Na ja, Loana, jetzt muss ich mir überlegen, ob ich eine Frau ehelichen will, die zu viel trinkt und das nicht einmal verträgt, sondern sich nach gerade mal ein paar Gläschen bereits die Seele aus dem Leib kotzt.« Er neigte den Kopf. »Es ist wirklich fraglich, ob du die richtige Frau für mich bist.«
Loana stieß ihm unsanft in die Rippen. »Mach dich bloß nicht lustig über mich, du Schuft.«
Nein, er wollte sich keineswegs über sie lustig machen, dazu war er viel zu besorgt. Doch seine Sorge würde ihr auch nicht helfen. Da war es ihm schon lieber, sie und vielleicht auch sich selbst mit seinen Sprüchen ein wenig abzulenken. Vitus zog die Brauen zusammen, als er bemerkte, wie sie schon wieder tief durchatmen musste, weil sie eine neue Welle der Übelkeit überkam. Doch konnte sie dieser anscheinend standhalten.
»So schlecht ist es mir noch nie ergangen. Das kenne ich gar nicht. So einen Obstler rühre ich unter keinen Umständen mehr an, niemals.«
»Wie du meinst.« Er sah sie reumütig an. »Es tut mir übrigens leid, dass wir dich mit dem Schnaps abgefüllt haben.«
»Na, das Zeug habt ihr mir ja nicht gerade eintrichtern müssen. Das war ich schon selbst, die diesen, bäh, Obstler geschluckt hat. Ooh, Chaous! – Mist! Nicht schon wieder.«
Geduldig und geradezu zärtlich half Vitus ihr, auch noch den letzten Rest loszuwerden. Dennoch atmete er erleichtert auf, weil sie ihm mitteilte, dass es endlich vorbei wäre.
Als er dann begann, ihr die Kleider auszuziehen, schreckte Loana zusammen. »Was tust du denn da? Du willst doch nicht etwa jetzt? Ich meine, ich bin ganz …«
»Meine schöne Loana«, entgegnete ihr Vitus, »ich bin dein Verlobter, kein Monster. Ich will dich nur ins Bad bringen, damit du duschen oder baden kannst, ganz wie du möchtest. Ich dachte, das würde dir guttun. Wenn du nicht willst …«
»Tut mir leid, Vitus«, kam es verlegen zurück. »Ich komme mir furchtbar, ähm, schmutzig vor und ich rieche bestimmt nicht gut. Es ist mir halt peinlich, wenn du mir jetzt so nahekommst.«
Vitus aber hatte Loana im Nu entkleidet und brachte sie ins Bad. »Drum machen wir dich jetzt ein bisschen sauber.«
Er sah ihren entsetzten Blick. »Loana, nun komm schon, das ist doch nichts Schlimmes. Du hast den starken Alkohol nicht vertragen. Nun ist er raus. Kein Grund, sich zu schämen. Hauptsache, es geht dir besser.«
Mit diesen Worten stellte er sie frech grinsend unter die Dusche und – drehte das kalte Wasser an.
»Aaah, Vitus!« Eine reichhaltige Auswahl bretonischer Flüche verließ ihren Mund und Geist, während sie ihn am Kragen seines Hemdes zu fassen bekam und mit sich unter den eiskalten Wasserstrahl zog. Dabei spürte er ihre Gedanken:
Sie musste sich entscheiden, was sie nun zuerst tun sollte, das Wasser warm stellen oder ihm die Kleider vom Leibe reißen. Sie befand, dass sie beides auf einmal schaffen könnte.
***
»Geht es dir gut, Loana?«, erkundigte sich Isinis am Frühstückstisch. »Du wirkst ein bisschen blass um die Nase.«
»Es ging mir schon mal deutlich besser«, stöhnte die. »Ich habe schreckliche Kopfschmerzen und mein Magen fühlt sich immer noch flau an. Na ja, ich bin ja selbst schuld. Aber es geht mir schon viel besser als gestern. Danke.«
»Trink das, Kened.« Vitus hielt ihr ein kleines Glas mit einer merkwürdig aussehenden Flüssigkeit hin.
»Nann! Nein! Was ist denn das schon wieder für ein Teufelszeug? Das rühre ich auf keinen Fall an!«
Als Loana aufsprang, um wieselflink an Vitus vorbeizuhuschen, fing er sie blitzschnell mit dem Arm um ihre Taille ein und hielt sie erbarmungslos fest.
»Trink das, du bretonischer Sturschädel«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Das ist ein altes Hausrezept. Es wird deinen Kater vertreiben.« Er rückte noch näher an Loanas Ohr, weil sie ihre Lippen fest zusammenpresste. »Es wird dir guttun. Nun mach schon, oder muss ich es dir etwa einflößen?«
Loanas Augen verengten sich gefährlich. »Du wagst es nicht, Vitus. Da …«
Augenblicklich ergriff er die sich ihm bietende Gelegenheit: Er kippte das Gebräu kurzerhand in ihren geöffneten Mund und hielt ihn solange zu, bis sie schluckte.
»So ist es brav«, meinte er zufrieden, ließ sie los und setzte sich.
Er hatte Loana keine Zeit gelassen, um zu reagieren. Nun, da sie den Trank unfreiwillig hinuntergewürgt hatte, schüttelte sie sich heftig.
»Brrrr!«, stieß sie angewidert aus. »Ich wusste es, das Zeug ist noch schlimmer als Obstler. Dafür wirst du beißen, Vitus, ganz bestimmt.«
Vitus zog Loana unbeeindruckt auf den Stuhl neben sich. »Ich beiße dich ab und an zu gerne, Kened. Doch ich schätze mal, du wolltest mich eigentlich büßen lassen.« Seine Mundwinkel zuckten.
Loana kaute auf der Unterlippe, um ein anfängliches Lächeln zu unterdrücken, doch es war zu spät. Sie steckte ihn und die anderen mit ihrem Lachen an.
»Unser Hausmittel scheint bereits zu wirken, Loana«, meinte Estra, immer noch mit Lachtränen in den Augen. »Du hast wieder Farbe. Offenbar sind auch deine Kopfschmerzen weg.«
»Jaja, schon gut«, entgegnete sie. »Mir geht es besser und ihr hattet recht. Aber deswegen braucht Vitus ja nicht gleich das Hammerholz zu schwingen.«
Vitus versuchte, ein weiteres Lachen zu unterdrücken, was ihm kläglich misslang. »Du meintest sicherlich Holzhammer.« Schnell wurde er wieder ernst, als ihm die grünen Blitze aus ihren Augen entgegenzuckten. »Nein, keine Sorge, jetzt ist Schluss damit. Keine kalten Duschen und Hammerhölzer mehr, versprochen.«
Isinis wirkte verwundert. »Kalte Duschen?«
»Tja, ihr könnt euch gar nicht vorstellen, was für ein Scheusal Vitus sein kann, wenn ich mit ihm alleine bin«, beklagte sich Loana mit betont ernster Miene. Doch Vitus entging das belustigte Zucken in ihrem Mundwinkel nicht. »In eurer Gegenwart, ja, da trägt er mich auf Händen. Aber wehe, wenn wir alleine sind!«
»Ich bin und bleibe ein Tyrann.« Vitus biss gerade genüsslich in seine Wurstsemmel, als Timmun und Essem mit einem Fremden das Zimmer betraten.
Zunächst begrüßten die zwei Wachmänner Vitus mit dem üblichen Kopfnicken und »Mein König!«. Danach wandten sie sich den anderen zum Gruß zu.
»Ah, da seid ihr ja.« Estra war aufgestanden, um den Männern einen Sitzplatz anzubieten. »Ich möchte, dass ihr mit uns gemeinsam frühstückt, wenn’s recht ist.«
Timmun und Essem blickten finster drein. Vitus wusste, dass seine Wachleute stets Probleme damit hatten, am selben Tisch wie ihr König, seine Familie oder Freunde zu sitzen und zu essen. Sie trugen zwar fast das gleiche goldene Amulett um den Hals wie er, in einer etwas kleineren Ausgabe, doch das bedeutete in ihren Augen nur, dass sie dem König zu Diensten waren, nicht aber, dass sie mit ihm in vertrauter Runde gemeinsam speisen sollten.
Wie üblich kümmerte das Vitus überhaupt nicht, ebenso wie seinen Bruder. Und weil die Wachen das wiederum wussten, setzten sich die Männer gezwungenermaßen dazu und nahmen schweigend eine Tasse Kaffee an.
Estra richtete sich an Vitus. »Darf ich dir Sentran vorstellen?«
Der legte sein Brötchen beiseite, schaute dem Fremden in dessen reichlich mürrisches Gesicht und stellte dabei erfreut fest, dass der Mann sehr gut in der Lage war, Gedanken und Geist sorgfältig einzuschließen.
Daher musterte er zunächst einmal nur das äußere Erscheinungsbild: Leicht gewelltes, schulterlanges blondes Haar. Wachsame silbergraue Augen. Ein breiter, ernster Mund. Hohe Wangenknochen. Eine etwas krumme Nase und ein ausgeprägtes hartes Kinn. Insgesamt hatte dieser Sentran ein ausdruckstarkes, markantes Gesicht, befand Vitus. Da ihm allerdings das missmutige Mienenspiel des Mannes nicht gefiel, beschloss er, ihn mit banalen Fragen ein wenig aus der Reserve zu locken. »Darf ich wissen, wie alt und wie groß du bist?«
Sentrans Gesichtsausdruck blieb mürrisch. »Du weißt, dass ich siebenundzwanzig bin und genau zwei Meter messe, mein König«, antwortete er mit dunkler Stimme und leicht spöttischem Unterton.
»Ja, da hast du natürlich recht. Demnach kann ich davon ausgehen, dass du dich in sämtlichen Kampfeskünsten, aber auch Kunduum, mentalen Geschicken, Diplomatie und außerdem im Alltagsleben der Menschen bestens auskennst?«
»Ja.«
Vitus verzog keine Miene ob Sentrans knapper Antwort, die eine Menge Verärgerung ausdrückte.
»Hm, ich gehe also weiter davon aus, dass du Interesse an der Aufgabe als mein sechster Elitewachmann hast, sonst wärst du wohl kaum hier. Allerdings verstehe ich deine miserable Stimmung nicht, Sentran. Ich sehe deinen Blick, höre deine Stimme und spüre deinen verschlossenen Geist. Alles verrät mir, dass du äußerst schlecht gelaunt bist. Also, würdest du mir bitte verraten, was dich so miesepetrig erscheinen lässt?«
»Das ist eine persönliche Angelegenheit, mein König. Darüber möchte ich nicht sprechen – mit Verlaub.«
Erstaunt zog Vitus eine Braue hoch. Der Mann hatte Mumm, war noch dazu äußerst eigensinnig, dachte er und wunderte sich, wie sehr ihm das gefiel.
Unterdessen hatte Loana eine aufgeschnittene Semmel mit Butter und Honig bestrichen und reichte sie dem Mann, der zuerst sie und daraufhin die Semmel verblüfft ansah. »Iss das, Sentran. Süßes hilft bei Liebeskummer. Das ist bei allen gleich, ob bei Männern oder Frauen.« Loana ergriff seine freie Hand. »Die Liebe ist oft merkwürdig und schwer zu finden. Aber auch du wirst eines Tages der richtigen Frau begegnen.«
Fasziniert beobachtete Vitus, wie Sentran ihr vorsichtig die Hand entziehen wollte, Loana sie jedoch weiterhin festhielt und ihm dabei in die Augen schaute. Auf Sentrans Wangen erschien eine leichte Röte. Verlegen senkte er die Lider.
»Danke«, entgegnete er knapp, aber freundlich und löste sich nun doch aus ihrem Griff.
Vitus hatte das Ganze mit großem Interesse verfolgt. Ihm war klar, dass der Mann Loanas heilende Wärme wahrgenommen hatte. Eine Wärme, die jemandem Knoten in der Brust lockern konnte, von denen er bis dato gar nicht wusste, dass sie existierten. Er kannte Loanas unglaubliche Kräfte. Trotzdem war er einmal mehr erstaunt über das Ausmaß ihres empathischen und heilenden Könnens.
»Tja, das erklärt so manches«, kommentierte er trocken. »Wir sollten nun einfach unser Frühstück fortsetzen und uns ein wenig unterhalten. Dabei kannst du mir auch gerne deine Vorstellungen zum künftigen Aufgabenbereich unterbreiten, Sentran.« Er lächelte milde. »Ich nehme an, du hast dich bereits bei Essem und Timmun ein wenig über mich erkundigt.«
***
Eine ganze Weile später saßen Estra und Vitus wieder einmal im Wintergarten. Loana hatte sich hingelegt. Ihr war doch immer noch etwas übel. Isinis werkelte zusammen mit dem Personal in der Küche und hatte die Männer rausgeworfen. Also gönnten sie sich eine Zigarre. Dazu tranken sie starken süßen Tee.
»Es freut mich, dass du ihn mitnehmen willst. Er wird dich nicht enttäuschen.«
»Wir werden sehen. Ich nehme ihn erst mal sorgfältig unter die Lupe. Sentrans Starrsinn könnte Schwierigkeiten machen«, meinte Vitus.
»Ach, hör doch auf. Ich hab genau gemerkt, dass du ihn magst.« Estra lächelte. »Ich wusste, dass du ihn mögen würdest. Ja, ich wusste es.« Seine Augen blitzten fröhlich auf.
»Jaja, du wusstest es. Nun ist es aber mal gut mit der Selbstlobhudelei.« Vitus lächelte zurück. »Du hattest übrigens vergessen zu erwähnen, dass er persönliche Probleme hat. Und bestreite bitte nicht, dass dir das bekannt war.«
»Gut, gut, Schluss mit dem Selbstlob. Und ja, ich wusste es. Aber ich wollte sehen, wie gut er sich vor deinen Sinnesangriffen verschließen kann. Ich muss sagen, er ist sogar noch besser, als ich dachte.«
Estra zog kräftig an seiner Zigarre und stieß eine dicke Rauchwolke aus, bevor er weitersprach: »Sentrans langjährige Verlobte hat am Tag der Hochzeit kalte Füße bekommen und ihn verlassen. Das ist gerade erst ein paar Wochen her. Erstaunlich, dass Loana es sofort erkannt hat.« Den letzten Satz schien Estra mehr zu sich selbst gesprochen zu haben.
Dann atmete er einmal kurz durch und lenkte das Gespräch auf ein anderes Thema: »Die Zwillinge haben in einer Woche Geburtstag. Was wirst du ihnen schenken?«
Vitus blies Rauchkringel in die Luft und dachte nach.
»Es sollte etwas Besonderes sein«, erwiderte er betroffen. »Letztes Jahr sind sie volljährig geworden und ich war nicht da. Ich habe ihnen nicht einmal gratuliert, Estra.«
»Hör auf, dir Vorwürfe zu machen. Du hast die beiden nach dem Tod ihrer Mutter mehr als achtzehn Jahre lang Tag und Nacht vor einer gemeinen, rachsüchtigen Frau beschützt.«
Estra lehnte sich zu Vitus hinüber und blickte ihn durchdringend an. »Viktor und Viktoria sind bei Isinis und mir glücklich aufgewachsen, Vitus. Wir lieben die beiden wie unsere eigenen Kinder. Es hat ihnen nie an etwas gefehlt. Das weißt du doch hoffentlich?«
Vitus nickte. »Natürlich weiß ich das. Und ich werde mein ganzes Leben dafür in eurer Schuld stehen.«
Er machte eine abwehrende Geste, als Estra protestieren wollte, und seufzte. »Ich dachte damals, ich würde das Richtig tun. Ich dachte, die Kinder zu schützen und niemandem von der Gefahr durch Kana zu erzählen, sei die einzig mögliche Lösung. Jetzt bin ich mir nicht mehr sicher, ob es gut war. Ich weiß es einfach nicht, Estra. Ich habe sie so lange alleingelassen.«
»Was geschehen ist, ist geschehen. Wie du schon sagtest: Wir wissen nicht, ob es unbedingt das Richtige war. Aber letztlich hast du uns um Hilfe gebeten und wir haben uns gemeinsam gegen Kana samt ihrem Zauberfreund Kaoul gewehrt. Das wissen wir. Außerdem sind die beiden tot. Sie können die Zwillinge und auch dich nie mehr bedrohen. Das ist, so denke ich, das Wichtigste.«
»Das mag wohl sein. Doch nun haben Viktor und Viktoria mich gerade erst für sich und da tritt auf einmal Loana auf den Plan. Es wundert mich, wie rückhaltlos die Kinder sie in ihr Herz geschlossen haben.«
Estra schüttelte ungläubig den Kopf. »Ich bitte dich, wer könnte das nicht? Loana ist wirklich eine bemerkenswerte Frau und das nicht nur, weil sie neben ihren heilenden auch enorme empathische Kräfte besitzt und damit einfach unglaublich gut zu dir passt.«
Er beugte sich zu Vitus hinüber. »Es hatte zwar einen schrecklichen Grund, weshalb ihr zwei euch vor ein paar Monaten kennengelernt habt, aber ich bin sehr froh darüber, dass du nach Viktors und Viktorias Mutter endlich wieder jemanden gefunden hast. Deine Kinder denken haargenau dasselbe.«
… Vitus schwieg. Die Erinnerung daran, wie Loana aus reiner Verzweiflung und mutterseelenallein zu Fuß aus der Bretagne in sein Schloss gekommen war und dort solange ausgeharrt hatte, bis sie mit ihrem König sprechen durfte, um Hilfe zu erbitten, war ihm nur allzu gegenwärtig.
Loanas Mann war vor mehreren Jahren einen mysteriösen Tod gestorben. Seitdem wurde sie von einem ihrer zwei Schwäger sowie ihrer Schwiegermutter und deren Bruder systematisch aller Besitztümer und ihres Landes beraubt und danach fortgejagt. Der Mörder ihres Mannes und seine Kumpane waren nun zwar nicht mehr am Leben, doch Loana zu helfen, hatte dafür auch Sistra, Aedama und Durell das Leben gekostet. Loanas Widersacher hatten alle drei feige niedergestochen. …
Er atmete einmal kräftig durch, um die Dämonen der Vergangenheit zu vertreiben. Dann legte er die Zigarre in den Aschenbecher und sah seinen Bruder an.
»Stimmt, man muss Loana einfach mögen. Und sie hat meinem Leben eine deutliche Wende gegeben.« Er lächelte. »Ich glaube, mir ist gerade eingefallen, was ich den Kindern schenken könnte, hör zu …«
Anna saß zu Hause an ihrem Schreibtisch. Zufrieden legte sie ihr Heft beiseite. Die Hausaufgaben waren erledigt, die aufgegebenen Textpassagen gelesen.
Dennoch blieb sie noch eine Weile auf dem weißen neuen Schreibtischstuhl sitzen. Tief in Gedanken versunken schaute sie aus dem Fenster.
Endlich schien ihr Leben wieder einigermaßen sorgenfrei zu verlaufen. Es war so viel passiert, seit Viktor sie Anfang der letzten Sommerferien auf ihrer kleinen Lichtung im Wald angesprochen und ihr später gestanden hatte, dass er ein Halbelfe wäre.