Sorry Tarzan, ich rette mich selbst! - Gesine Cukrowski - E-Book

Sorry Tarzan, ich rette mich selbst! E-Book

Gesine Cukrowski

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Beschreibung

Wo sind die Geschichten, die Frauen in und nach der Lebensmitte zeigen? In Filmen und Serien kommen facettenreiche, echte Figuren in dieser Lebensphase selten bis gar nicht vor. Der Bildschirm wird dominiert von längst überholten Klischees und jugendlichen Idealbildern - und ZuschauerInnen jeden Alters sind gelangweilt und vermissen Rollen mit Identifikationspotenzial und Vorbildfunktion. Deshalb setzt sich Gesine Cukrowski seit 2023 medienwirksam mit "Let's change the picture!" für ein reales Frauenaltersbild ein. Dabei gilt es nicht nur Berge zu versetzen, sondern auch Strukturen der Ungleichheit laut und deutlich zu benennen. In ihrem Buch-Debüt geht Cukrowski auf eine faszinierende Expedition, die in der Welt der Filme beginnt und am Ende uns alle ganz persönlich betrifft: dort nämlich, wo das echte Leben und fiktive Bilder aufeinandertreffen. Warum gilt für Frauen ein Verfallsdatum, wer hat es eingeführt und warum hält es sich so hartnäckig, dass sogar schon Teenager zu Anti-Aging-Produkten greifen? Wieso gibt es unzählige Teenagerfilme, während der zweite noch radikalere Umbruch im Leben einer Frau, die Menopause, unter den (roten) Teppich gekehrt wird? Die Schauspielerin teilt und hinterfragt Erfahrungen ihrer Laufbahn und ihres Coming-of-Middle-Age vor und hinter der Kamera. Denn die Lebensmitte soll nicht als Schreckgespenst gezeigt werden, sondern als ein Moment voller Erfahrung, Stärke und Wissen. Und Humor.

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Seitenzahl: 280

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Gesine Cukrowski

SORRY TARZAN,      ICH RETTE MICH SELBST!

Raus aus der Klischeefalle

Bildnachweise

(Die Seitenzahlen beziehen sich auf die Printausgabe)

S. 21 © Sabine Hanel, Gestaltungssaal, Rohrdorf/Thansau

S. 39 © Gisela Schober/GettyImages

S. 50 © privat

S. 135 © privat

S. 150 © The National Guide to Motion Pictures: Photoplay, 01/1929

S. 163 © ZDF/Michael Keusch 2013, lizensiert durch ZDF Studios GmbH

S. 182 © Mirjam Knickriem

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2025

Hermann-Herder-Str. 4, 79104 Freiburg

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Bei Fragen zur Produktsicherheit wenden Sie sich an

[email protected]

Umschlaggestaltung: zero media, München

Umschlagmotiv: © Mirjam Knickriem

Lektorat: Michael Helfrich

Textbearbeitung: Petra Holzmann

Layout: Sabine Hanel, Gestaltungssaal, Rohrdorf/Thansau

E-Book-Konvertierung: ZeroSoft SRL

ISBN Print 978-3-451-60550-5

ISBN E-Book (EPUB) 978-3-451-84110-1

Für Lina,Paula, Greta, Lotta, Nora und Hedi.

Inhalt

Über dieses Buch

ErstensDer Rote Teppich

ZweitensJungs bekommen Abenteurer, Mädchen ein Insekt

DrittensKeine normalen Menschen

ViertensTarzan will weiter retten

FünftensBloß nichts erzählen

SechstensDas starke Geschlecht und die schwache Bezahlung

SiebtensWarum man nie in den Genuss von sich selbst kommt

AchtensWas bitteschön sind E und U?

NeuntensAbbildung kann Leben retten

ZehntensDie drei weiblichen Tabus

ElftensDas obszöne Altern der Frauen

ZwölftensObjektifizierung und Sexismus

DreizehntensWas hat sich schon getan?

VierzehntensEine Klischeekistenliste

Dank

Quellenverzeichnis

Über die Autorin

Über dieses Buch

„Schwimmen zwei junge Fische des Weges und treffen zufällig einen älteren Fisch, der in der Gegenrichtung unterwegs ist. Er nickt ihnen zu und sagt: ‚Morgen, Jungs. Wie ist das Wasser?‘ Die zwei jungen Fische schwimmen eine Weile weiter, und schließlich wirft der eine dem anderen einen Blick zu und sagt: ‚Was zum Teufel ist Wasser?‘“(David Foster Wallace)

Und genau das ist der Grund, warum es so langsam vorangeht mit echten Veränderungen: Wir sind umgeben von etwas, das so allgegenwärtig ist, dass wir es erst mal gar nicht wahrnehmen. Es ist eine Normalität, die die meisten von uns nicht nur als gegeben, sondern als unveränderlich empfinden, so tief ist sie in unser Denken und unsere Wahrnehmung eingebettet. Hier müssen wir ran an den Speck. Denn das, was uns als „Normalität“ erscheint, ist nicht vom Himmel gefallen. Sie wurde konstruiert, und zwar sehr bewusst mit dem klaren Anspruch auf Unveränderlichkeit. Das Wasser, in dem wir alle schwimmen, ist das Patriarchat.

Dieses „Wasser“ – und das ist die wichtige Erkenntnis – ist das Ergebnis unzähliger kleiner und großer Entscheidungen, die sehr bewusst so und nicht anders getroffen wurden. Entscheidungen, die Machtverhältnisse geschaffen haben, die sich durch ihre selbst erhaltenden Strukturen immer wieder aufs Neue nähren. Jeder Versuch, diese Strukturen für eine gerechtere Form des Zusammenlebens zu überwinden, kann deshalb erfolgreich klein gehalten werden.

Trotz aller formalen Fortschritte auf dem Weg zur Gleichstellung von Mann und Frau – ob gut gemeinte Gesetze oder Verordnungen – durchzieht das Patriarchat weiterhin unsere Sprache, unser Selbstverständnis und unsere Rollenbilder. Es bestimmt noch immer, wer gehört wird und wessen Erfahrungen als Norm gelten. Und es verweigert anderen Teilhabe und Sichtbarkeit. Es gibt die, die fröhlich mit dem Strom schwimmen (dürfen) und sich dabei wie ein Fisch im Wasser fühlen. Für andere geht es dagegen ununterbrochen stromaufwärts, immer gegen Widerstände.

Die Macht des patriarchalen Systems liegt genau darin: in seiner Unsichtbarkeit. Erst wenn wir beginnen, es zu benennen und zu reflektieren, erkennen wir, dass es nicht unveränderlich ist – sondern nur ein Konstrukt, das sich aufbrechen und neu gestalten lässt.

Es liegt an uns, Entscheidungen von nun an anders zu treffen. Nicht gegeneinander, sondern füreinander.

Auf der Bühne, in Film und Fernsehen erzählen wir Geschichten, die unsere Gesellschaft spiegeln. Wir wollen unterhalten, aber auch Themen sichtbar machen, zum Nachdenken anregen und über Emotionen die Menschen erreichen. Im besten Fall. Darin liegt eine große Kraft, aber auch eine Form der bewussten und vielleicht sogar unbewussten Manipulation. Die Stereotype und Klischees, die wir täglich durch Film und Fernsehen aufsaugen, begleiten uns in unseren Alltag. Der Mann als der ewige Retter aller Frauen ist uns auch durch Filmklassiker in unsere Matrix gebrannt. Wie sähe unsere Welt heute aus, wenn nicht Tarzan Jane, sondern die Dschungelkämpferin Jane den hilflosen Tarzan gerettet hätte, wenn Julia Roberts den naiven Richard Gere in „Pretty Man“ aus der Prostitution geholt und ihm ihre Kreditkarte überlassen hätte, damit er sich endlich etwas Anständiges zum Anziehen kaufen kann? Vielleicht hätte dann ja die Frau Kamala Harris die US-Präsidentschaftswahlen 2024 gegen den Mann Donald Trump gewonnen.

Sichtbarkeit bedeutet Macht – und solange patriarchale Muster bestimmen, wer auf der Leinwand welche Rollen spielt, bleibt diese Macht ungleich verteilt. Seit die Journalistin Silke Burmester und ich im März 2022 beschlossen, die Kampagne „Let’s Change the Picture“ gegen die fehlende Abbildung von lebensnahen, modernen und diversen Frauenfiguren 47+ in Film und Fernsehen zu starten, beschäftige ich mich intensiv mit der Frage: Warum gibt es diese (dreiste) Aussparung überhaupt?

„Weil es immer schon so war“, hören wir Fernsehschaffenden immer wieder als Antwort auf die Frage, was uns davon abhält, die Figuren der in Film und Fernsehen abgebildeten Frauen so zu verändern, dass sie etwas mit den tatsächlichen Erfahrungen und Herausforderungen von uns Frauen zu tun haben. Und ehe man es sich versieht, wird gleich schon wieder der nächste Film produziert, in dem die mögliche Figur einer über 60-jährigen Frau nur als Foto an der Wand hängt, sie an Demenz erkrankt oder leider schon verstorben ist, dafür aber der fitte 65-jährige Ehemann dolle Geschichten mit der 35-jährigen Tochter erlebt.

Drehbuchautor:innen prallen in Redaktionsbesprechungen gegen dicke patriarchale Wände, sobald sie Stoffe (eine Bezeichnung für Drehbuchideen) präsentieren, die sie explizit für ältere Frauen entwickelt haben. „Bitte mindestens 15 Jahre runterschreiben“, heißt es dann und ist eine dieser in patriarchalen Stein gemeißelten Devisen. Selbst wenn die Geschichte der Hauptfigur aus dem realen Leben stammt und damit ein wichtiges Beispiel für unsere Gesellschaft darstellen und gleichzeitig noch mit gängigen Klischees aufräumen könnte. Beispielsweise mit dem, dass im Leben von Frauen jenseits der 50 gar nichts Relevantes mehr passiert. Denken wir das, weil wir es in der Realität so erleben, oder denken wir das, weil es im Fernsehen so erzählt wird? Das kann man sich in etwa so vorstellen:

„Aber die Frau, die die vielen Menschenleben gerettet hatte, war doch 55 Jahre alt!“

„Ja, aber das können wir so nicht erzählen.“ (Totschlagargument Nummer 1)

„Warum nicht?“

„Weil die Hauptfigur 15 Jahre jünger geschrieben werden muss.“ (Totschlagargument Nummer 2)

„Aber wieso das denn bitte? Das ist doch gerade das Besondere daran, dass die Frau erst in ihren Beruf zurückkehrt, nachdem die Kinder aus dem Haus sind, sie sich wieder neu zurechtfinden muss, ihr durch den gewonnenen Abstand überhaupt erst auffällt, dass hier etwas nicht in Ordnung ist und sie so diesem furchtbaren Verbrechen auf die Spur kommt.“

„Aber wenn die Frau 55 Jahre alt ist, will das keiner sehen.“ (Totschlagargument Nummer 3)

„Wer sagt denn das?“

„Das wissen wir. Wenn wir den Stoff machen, dann nur unter der Bedingung, dass die Hauptfigur 15 Jahre jünger ist!“ (Totschlagargument Nummer 4).

Friss oder stirb! So oder so ähnlich liefen Drehbuchbesprechungen die letzten Jahrzehnte bis einschließlich heute ab. Da werden älteren Frauen ihre eigenen Geschichten geraubt, umgeschrieben auf jüngere Frauen, egal ob die Erzählung dann noch Sinn ergibt oder nicht. Und am Ende fehlen uns genau diese Geschichten, die ein Bild davon geben könnten, wozu Frauen 47+ in der Lage sind.

Mit dem, was der Medienstaatsvertrag beinhaltet, hat diese rigorose Praxis, ältere Frauen ihrer originären Geschichten und damit ihrer Sichtbarkeit zu berauben, nichts zu tun. Die angemessene Abbildung unserer Gesellschaftsstruktur ist in diesem verbindlichen Vertragswerk festgeschrieben. Die Darstellung von Vielfalt ist verpflichtend. Und das bedeutet, alle relevanten Personengruppen müssen abgebildet werden, um Vielfalt und Chancengleichheit zu fördern, insbesondere in Bezug auf Geschlecht, Herkunft, Alter, Religion und Behinderung.

Seit den 1980er-Jahren hat sich aber ein System entwickelt, das bestimmt, wie Medien in Deutschland funktionieren – und das, obwohl es dafür keine Grundlage im Medienstaatsvertrag gibt. Dieses System ist zu einem mächtigen Maßstab geworden, der oft als Argument benutzt wird und dadurch den eigentlichen Auftrag, Medien vielfältig und umfassend zu gestalten, immer wieder untergräbt: die Einschaltquote.

Um hohe (oder zumindest gleichbleibende) Einschaltquoten zu erzielen, sind in den letzten Jahren viele, viele Produktionen entstanden, die, anstatt Neues zu entdecken und abzubilden, das immer gleiche Schema bedienen, weil es zuvor schon einmal erfolgreich war. Deshalb sehen wir, wenn wir den Fernseher einschalten, die immer gleichen Geschichten mit kaum zu unterscheidenden Titeln und immer gleich aussehenden Protagonist:innen. Mit ein paar wenigen wundervollen Ausnahmen, über die frau sich dann wahnsinnig freut. Leuchttürme nenne ich sie, diese positiven Beispiele, die zeigen, dass es doch anders geht.

Wie wichtig es ist, dass Film und Fernsehen Vielfalt zeigen, merken vor allem diejenigen am deutlichsten, die sich nicht wiederfinden. Wir nehmen es vielleicht nicht bewusst wahr, aber die Nichtabbildung von bestimmten Menschengruppen verstärkt deren Ausgrenzung auch im echten Leben. Sich mit Figuren in den Medien identifizieren zu können oder eine positive Darstellung von sich selbst wiederzufinden, bedeutet dazuzugehören. Gesehen zu werden. Hier muss ein neuer Weg eingeschlagen werden. Es kann nicht sein, dass die verpflichtende Vorgabe, die Darstellung von Vielfalt, immer wieder mit dem Verweis auf den freiwilligen, selbst auferlegten Vielfaltskiller, die Einschaltquote, abgebügelt wird.

Meine kleine Nichte, die gerade eingeschult wurde, trägt eine neue Brille. Das einzige Mädchen in der Klasse zu sein, das eine Brille trägt, ist gar nicht so einfach. Gleich in der ersten Schulwoche machte sie eine Erfahrung, die ihr eigentlich gesundes Selbstbewusstsein stark herausforderte. Beim Sportunterricht sollten zwei Teams gebildet werden, und die Lehrerin ließ zwei Kinder auswählen. Am Ende blieben meine Nichte und der einzige Junge mit Brille auf der Bank übrig. Die Kinder, die wählen durften, fragten: „Wer von euch beiden ist denn sportlicher?“ Meine Nichte, die sonst immer schlagfertig einen Spruch auf den Lippen hat, war in diesem Moment völlig überfordert. Sie spürte deutlich die Ablehnung, die mit ihrer Brille verbunden war.

Grundsätzlich fühlt sie sich eigentlich stark mit der Brille. Sie kann endlich besser sehen, was ihr nachvollziehbarerweise sehr gut gefällt. Meine Nichte fand es schon beim Optiker toll, nun auszusehen wie Edna Mode aus dem Kinderactionfilm Die Unglaublichen. Denn das Mädchen mit dem scharfen Humor und den unkonventionellen Ideen – trägt Brille. Diese Filmfigur stellt eine „Abbildung“ dar, die meiner Nichte zeigt, dass sie nicht das einzige Mädchen mit Brille ist, auch wenn sie in ihrem direkten Umfeld damit allein ist. Und dass auch Brillenträgerinnen einen wichtigen Beitrag leisten können zur Rettung der Welt – oder zum Gewinnen im Schulsport.

Vorbilder sind wichtig für Jung und Alt. In der Abbildung liegt die Kraft, aus der wir Hoffnung ziehen können, um reale Defizite zu überwinden. Aus Illusion kann Realität werden, mit Bildern im Kopf, die unsere engen patriarchalen Muster sprengen, sobald wir sie als solche zu erkennen gelernt haben. Das ist das Ziel.

Aber noch sitzen wir Frauen viel zu oft mitten in der Klischeefalle. In Film und Fernsehen wie im echten Leben.

Als Schauspielerinnen werden wir immer wieder mit Rollen konfrontiert, die meilenweit entfernt von dem bleiben, was Frauen im realen Leben erfahren, leisten und wagen. Und als Zuschauerinnen (zu denen auch Schauspielerinnen die meiste Zeit ihres Lebens gehören) langweilen und ärgern uns die schablonenhaften Frauenfiguren, deren persönliches Happy End auch im Jahr 2025 im Finden ihres Traumprinzen besteht – oder darin, von ihm gerettet zu werden. Möglichst in Kleidergröße 34. Und wenn schon nicht mehr im Kleid – welch ein Zugeständnis! –, dann aber mindestens in einer „sexy Jeans“, wie eine junge Kollegin mir augenrollend berichtete. Denn alles unterliegt nach wie vor dem starren männlichen Blick, dem sogenannten Male Gaze. Wenn ich mir nur allein die Filme anschaue, in denen ich selbst gespielt habe, dann sehe ich mich rückwirkend als ein wandelndes Klischee. Obwohl ich während der jeweiligen Arbeit alles Mögliche versucht habe, dem zu trotzen. Bis hin zu schriftlichen Vertragsergänzungen während eines Seriendrehs, in denen ich mir zusichern ließ, dass ich für weitere Zickenkriegsdialoge unter Frauen um die Gunst des – Trommelwirbel, Feuerwerk – MANNES nicht mehr zur Verfügung stehe. Ich hatte mir den langen Pferdeschwanz abgeschnitten und den dazugehörigen Bleistiftrock verweigert, was bei den Herren am Set zu größter Empörung führte. Waren die Haare zu kurz, kamen die Angebote erst wieder rein, als sie auf der klischeeverträglichen Länge waren. In dieser unfreiwilligen drehfreien Zeit konnte ich mir dann ja überlegen, ob ich mir leisten konnte, bei meinen Prinzipien zu bleiben und weiterhin nicht zu arbeiten. Oder ob ich das patriarchale Spiel wieder mitspiele, in der Hoffnung, dass die Menschen, die an den Hebeln sitzen, dieses immer gleichen Musters irgendwann überdrüssig werden würden. Meine Geschichten sind austauschbar, man kann meinen Namen durch den nahezu jeder anderen Schauspielkollegin ersetzen. Diese bedient dann vielleicht ein anderes Klischee, aber immer eines, das dem patriarchalen Blick entspringt. Und das nervt mich nicht nur vor der Kamera, sondern vor allem zu Hause auf meiner Couch, wenn ich den Fernseher einschalte. Denn ich bin bei Weitem häufiger Zuschauerin als Schauspielerin. Diese Klischees haben ausgedient.

Und Hoffnung ist in Sicht.

Weil unsere Kampagne nicht nur der Kampf zweier kleiner Davids gegen die großen Film- und Fernsehbranchen-Goliaths ist, sondern mit „Let‘s Change the Picture“ eine Bewegung entstanden ist, bei der sich sehr viele Frauen miteinander verbunden haben, bohren wir nun alle gemeinsam an diesem dicken Brett der übermächtigen patriarchalen Sehgewohnheit. Und tatsächlich zeigt sich eine gewisse Offenheit und guter Wille aufseiten der „Goliaths“, aus denen heraus sich schon konkrete Projekte mit der Maßgabe entwickelt haben, weibliche Stereotype aufzubrechen. Nun könnte man sagen: „Ist doch prima, ihr musstet nur mal laut werden, jetzt läuft es ja.“

Doch die Erfahrung zeigt: Lautstärke allein genügt leider nicht. Um wirkliche und beständige Veränderungen bewirken zu können, bedarf es eines großen Maßes an Beharrlichkeit, Widerstandskraft und leider auch der Inkaufnahme, gegebenenfalls als unbequem oder nervig betrachtet zu werden. Ich wünsche mir, dass wir so wie der alte Fisch das Wasser wahrnehmen, in dem wir schwimmen. Und es einer kleinen Wasserqualitätsprüfung unterziehen. Als Frau (und damit meine ich natürlich alle Menschen, die unter den Begriff FLINTA* fallen) muss jeder von uns klar sein: Ich bin der Unterschied in dieser von Männern geprägten Welt. Und genau deshalb sehen die, die vom Erhalt des patriarchalen Systems profitieren – meist Männer – mich als „das eigentliche Problem“. Ich wäre kein Problem, wenn ich mich einfach anpassen und mit dem Strom schwimmen würde.

Lasst uns also von nun an gemeinsam bestimmen, in welche Richtung wir schwimmen wollen.

Der Rote Teppich

Fast wäre dieses Buch nicht entstanden. Während ich darüber nachdachte, ob ich dem Verlag zusagen sollte, redete mein innerer Kritiker ununterbrochen auf mich ein: Warum solltest du das machen? Ein Buch ist viel zu riskant, bei kurzen Interviews und Statements kann man dich nicht so festnageln. Lass das lieber, das ganze Projekt wird wie eine einzige Beschwerde klingen. Du hast doch auch ganz viele Vorteile durch deinen Beruf und deine Bekanntheit. Wieso glaubst du allen Ernstes, dass das irgendjemanden interessiert? Es wird wahrscheinlich heißen: „Noch eine Schauspielerin, die schreibt? Kriegen die den Hals denn gar nicht voll?!“ Natürlich sind das einerseits meine persönlichen kleinen inneren Kritiker, aber es sind auch die Kommentare, die sich Frauen in aller Regel immer dann anhören dürfen, wenn sie auf Missstände aufmerksam machen wollen, weswegen sie sich zu oft dafür entscheiden, gar nicht erst damit anzufangen.

Als Silke Burmester und ich im März 2022 beschlossen, die Kampagne „Let’s Change the Picture“ zu starten, die auf die fehlende und unzeitgemäße Erzählung von Geschichten über Frauen 47 und aufwärts in Film und Fernsehen aufmerksam machen sollte, dachten wir, das müsste doch easy umzusetzen sein.

Silke – Gründerin der Online-Plattform Palais F*luxx – brachte als Journalistin Kontakte zu den wichtigen Zeitungen mit, ich kannte genügend Schauspielerinnen mit Schlagkraft, und Ideen hatten wir mehr als genug. Mit im Gepäck war außerdem Mirjam Knickriem, eine von allen Kolleginnen geschätzte Fotografin, Michael Ruppert mit seiner Expertise und seiner Social-Media-Agentur; dazu die tatkräftige Unterstützung von Silkes Palais-F*luxx-Team, die das Thema Sichtbarkeit von Frauen 47+ online bereits erfolgreich ausgeleuchtet hatte. Was sollte da schon schiefgehen?

Per Zoom standen wir ein knappes Jahr lang fast wöchentlich miteinander in Verbindung, um den bestmöglichen Plan für die Struktur und das Timing unserer Kampagne zu entwickeln. Wir wollten keinen weiteren kurzen Aufschrei in der Branche, der wieder nur kleine Schritte des Umdenkens mit sich bringt, um am Ende doch wieder alles beim Alten zu belassen. Unser Ziel war, dass man unseren Slogan „Let’s Change the Picture!“ nie wieder aus dem Kopf bekommen sollte. Irgendwann stand unser Konzept, Silke hatte die richtige Idee, dass die Berlinale 2023 der beste Ort und Zeitpunkt war, um die größtmögliche Wirkung für den ersten Aufschlag zu entfalten und den Ball so ins Rollen zu bringen.

Alles lief eigentlich auch wunderbar. Nur das Akquirieren der Schauspielerinnen, die die ersten Gesichter der Kampagne werden sollten, wurde für uns mehr und mehr zu einer echten Herausforderung. Nur einige wenige sagten großartigerweise sofort: „Da bin ich dabei!“

Es gab einige Kolleginnen, die sich bereits in den Jahren zuvor in Interviews zum Thema Altersdiskriminierung von Frauen in Film und Fernsehen geäußert hatten. Sie ernteten die oben genannten Reaktionen, die sich auch mein innerer Kritiker zu eigen gemacht hatte. Sie fanden es mutig, was wir vorhatten, wollten sich aber nicht erneut „in den Wind stellen“. Andere wollten sich grundsätzlich nicht äußern, ein paar wenige hielten die Kampagne für überflüssig, denn sie persönlich hatten gerade beruflich einen guten Lauf, wieder andere empfanden eine Aktion von Schauspielerinnen aufgrund ihrer als privilegiert wahrgenommenen Stellung in der Gesellschaft als besonders angreifbar. Eines hatten sie alle gemein: die Sorge vor den genannten Reaktionen und damit verbunden die existenzielle und leider reale Angst, „aussortiert“ zu werden. Stundenlang saß ich am Telefon oder beantwortete E-Mails in der Hoffnung, den Kolleginnen die Angst vor negativer Resonanz oder sogar beruflichen Repressionen nehmen zu können.

Dahinter steckt System. Der Vorgang „Eine Frau macht auf etwas aufmerksam“ wird nicht als solcher akzeptiert, sondern direkt übersetzt in: „Was jammert sie denn jetzt wieder rum?“ Dieser Automatismus ist so tief in uns verankert, dass selbst wir Frauen, die wir allesamt ja ebenfalls im Patriarchat sozialisiert wurden, so reagieren. Und nicht nur andere Frauen in diese Schublade stecken, die dazu da ist, möglichst geschlossen zu bleiben, sondern uns eigenhändig selbst da hineinpacken.

Und trotz dieser Augen öffnenden und intensiven Erfahrung der unzähligen Gespräche, in denen ich versucht hatte, Kolleginnen als Mitstreiterinnen für „Let’s Change the Picture“ zu gewinnen und ihnen genau diese Angst zu nehmen, ertappe ich mich nun bei der Entscheidungsfindung, ob ich ein Buch über das Thema schreiben soll, gerade selbst wieder dabei, in diese uns Frauen klein haltende Schublade hüpfen zu wollen.

Schluss damit!

„Altern ist nichts für Feiglinge!“ Diesen Satz hörte ich das erste Mal von einem Regisseur. Er war 60 Jahre alt, ich selbst zu dem Zeitpunkt 39. „Oh je“, antwortete ich, ohne dass ich irgendein Gefühl dazu hatte. Es war einfach zu abstrakt. Mir stand die 40 bevor, für Schauspielerinnen das erste große „Ablaufdatum“. So war es mir schon auf der Schauspielschule eingebläut worden, und mein berufliches Umfeld wurde nie müde, es immer und immer wieder zu betonen, ob Kolleg:innen, Regisseur:innen, Agent:innen – aber natürlich auch Journalist:innen oder Moderator:innen. Im Jahr vor meinem 40. Geburtstag nahm das absurde Ausmaße an. Permanent wurde ich gefragt: „Wie geht es dir?“, „Wie fühlst du dich?“, „Es muss sehr belastend für dich sein …“ Das einzig Belastende waren jedoch nur die ständigen Fragen und Mitleidsbekundungen.

Ich fühlte mich damals blendend und hatte nicht im Geringsten das Gefühl, dass Altern mich irgendetwas anging. Da ich für den Film, den ich gerade drehte, meine Ernährung umgestellt hatte und erstaunlich regelmäßig Sport trieb, war ich fitter und gesünder als je zuvor. Ich muss nicht betonen, dass mir das ganze Gewese, das um mein Alter gemacht wurde, schwer auf die Nerven ging. Neben der Tatsache, dass ich mich ausgesprochen wohl in meinem Körper fühlte, hatte ich auch gar keine Angst vor dieser Zahl. Viele meiner Freundinnen waren längst über 40 und ich fand sie alle fantastisch. Humorvoll, abenteuerlustig, erfahren und vor allem sehr unterschiedlich, waren sie Vorbilder für mich. Und sind das auch heute noch.

Doch unter uns Kolleginnen wurde der Ton merklich kühler. Denn eines bestätigte sich leider umgehend: Wie ein Fallbeil schlug die 40 zu und von einem auf den anderen Tag wurden die Anfragen weniger. Einige meiner beruflichen Wegbegleiterinnen hielten die endlose Warterei auf Engagements oder Rollenanfragen nicht mehr aus. Sie schulten um, suchten sich das berühmte zweite Standbein. Der Konkurrenzkampf in dieser Zeit nahm bizarre Ausmaße an. Alle Tricks wurden ausgepackt, um die wenigen Rollen, die es gab, zu ergattern. Wer richtig viel Geld hatte oder einen reichen Ehemann, versuchte, finanziell in Produktionen mit einzusteigen, um sich eine große Rolle darin zu sichern. Andere hatten das Glück und die Popularität und konnten vielleicht sogar familiäre Bande nutzen. Eine ältere Kollegin riet mir, ich solle selbst ein Drehbuch oder zumindest ein Exposé für einen Film- oder Serienstoff schreiben, mit einer für mich geeigneten Rolle darin. Sonst wäre ich raus … Uff.

Meine Freundin Leila, mit der ich ehrenamtlich in ihrem Projekt „Findelbaby“ zusammenarbeitete und die in Hamburg Geschäftsführerin eines familienbetriebenen Kitaträgers ist, fragte mich damals, ob ich nicht Lust und Zeit hätte, die Inneneinrichtung von einigen der Kitas neu zu gestalten. Ich hatte beides. Und so erhielt ich eine Festanstellung mit einem zwar kleinen, aber regelmäßigen Gehalt und konnte mich – jetzt deutlich entspannter – in psychologische Farbkonzepte einarbeiten, während mein Telefon weiter schwieg. Leila hatte mir damit nicht nur die Sicherheit eines festen Einkommens gegeben, sondern durch ein kleines bisschen Unabhängigkeit auch das notwendige Quäntchen Selbstbewusstsein, das man bei Branchenevents unbedingt benötigt, um wenigstens noch gegrüßt zu werden.

Apropos Branchenevents: Hier finden wir eines der wahrscheinlich größten Missverständnisse, den Beruf der Schauspielerin betreffend. Film- und Fernsehevents, von denen man im Nachhinein Fotos von Menschen auf Roten Teppichen, Preisverleihungen und Partys sieht, erschaffen eine Illusion, der die Realität nicht standhalten kann. Es tummeln sich Stars und Sternchen in teuren Kleidern, die, je kostspieliger und namhafter die Designer:innen, in den allermeisten Fällen nur ausgeliehen wurden. Im Grunde sind das reine Verkaufsveranstaltungen. Denn jeder möchte etwas verkaufen: Produzent:innen, Autor:innen und Regisseur:innen ihre Film- und Fernsehstoffe an Redakteur:innen oder Finanziers; Schauspielagent:innen ihre Schützlinge und wir Schauspieler:innen uns selbst. Wobei die Selbstvermarktung bei Frauen im Schauspielberuf in einer ganz anderen Dimension stattfindet als bei ihren männlichen Kollegen.

Am Anfang des Berufslebens mögen diese Events noch ein gewisses Flair und einen besonderen Reiz haben: Man ist noch voller Begeisterung für den Glanz, den ein High-Fashion-Outfit von einem unbezahlbaren Designer mit sich bringt, für die ausgeliehenen Diamantohrringe, die die eigene Augenfarbe tatsächlich in einem ganz anderen Licht funkeln lassen. Für die damit einhergehende größere Chance, in den einschlägigen Zeitschriften abgedruckt zu werden, da die Fashion- und Schmuckdesigner einen heißen Draht zu den Verlagen haben. Insbesondere natürlich, wenn sie zugleich deren Werbekunden sind. Und genau darum geht es: Schauspielerinnen, die den Modemarken kostenlose Werbung einbringen, weil ihre Fotos in aller Regel mit der Nennung der Designer:innen im redaktionellen Teil abgedruckt werden. Dafür stellen die Designer:innen ihre Produkte gerne leihweise zur Verfügung. Für uns Schauspielerinnen ist es natürlich auch Werbung – für uns selbst. Abgedruckt zu sein, war über viele Jahre eine der Währungen, die darüber entschied, ob man für eine Rolle besetzt wurde oder nicht. So werde ich nie vergessen, wie der damalige Chefredakteur eines großen Fernsehsenders Anfang der 2010er-Jahre bei einem der wichtigsten Branchentreffs des Jahres freudestrahlend auf mich zukam und mir gratulierte. Da kurz zuvor ein Film, in dem ich die Hauptrolle spielte, auf seinem Sender ausgestrahlt worden war, bedankte ich mich hocherfreut und wollte gleich über den Film sprechen. „Nein“, unterbrach er, „ich meine dein tolles Foto in der Bunten!“

„Oh, ach so“, antwortete ich perplex – und weg war er.

Was er mir damit vermittelte, war, dass der Film und meine ganze Arbeit, die ich in die Rolle gesteckt hatte, offensichtlich zu einer Nebensächlichkeit verkommen waren. Das Foto in der Bunten – das nur deshalb so präsent abgedruckt worden war, weil das Kleid, das ich trug, knallrot und mit einem Spitzenoberteil versehen war, bei dem man den Eindruck gewinnen konnte, es wäre durchsichtig –, bekam von diesem Mann eine Form der Anerkennung, die mich den Rest des Abends nur noch entgeistert den Kopf schütteln ließ.

Meine Freundin, die Designerin Anna von Griesheim, die das besagte Kleid entworfen hatte, und ich hatten bei der Anprobe noch herumgewitzelt: „Wenn du das anziehst, wird das garantiert ein Abdruck …“, war Anna sich sicher. Wir hatten uns damals tatsächlich einen Spaß daraus gemacht, wie berechenbar die Fotoredaktionen waren.

Aber hinter all dem steckt natürlich auch die bittere Wahrheit, dass Frauen in ihrem Beruf als Schauspielerin viel zu selten für ihre eigentliche Arbeit geschätzt werden, sondern vor allem dafür, wie sie sich nach außen darstellen und verkaufen – lassen. All das funktioniert über die eigene und die von außen übergestülpte Sexualisierung am allerbesten. Und auch wenn die Wirkung des Kleides bewusst von uns eingepreist war und wir damit glaubten, die Kontrolle innezuhaben, hatten Anna und ich damals doch lediglich das patriarchale Spiel mitgespielt und es weiter befeuert.

Der Moment, als mir klar wurde, dass ich mir mit dem Tragen eines sexy Kleides selbst die Show gestohlen hatte – in Bezug auf den Film, in dem ich zeigen konnte, was ich schauspielerisch draufhatte –, war augenöffnend für mich.

Ich könnte das auch deutlicher formulieren – aber sofort meldet sich mein innerer kleiner patriarchaler Kritiker: „Lass das jetzt bloß nicht verbittert klingen, als wäre es eine Beschwerde!“ – „Das sind doch keine Probleme, anderen geht es doch wirklich schlecht!“ – „Du hast das doch alles freiwillig gemacht, dich hat niemand dazu gezwungen!“ – „Komm, gib doch zu, eigentlich findest du das doch super!“ – „Wen interessiert das denn bitte?“

Ich überwinde an dieser Stelle ganz bewusst diese innere Prägung und spreche es deutlich aus: Das Kompliment des Chefredakteurs hatte sich vernichtend angefühlt. Auch wenn es nett gemeint gewesen sein sollte. Gerade in einer freundlichen Verpackung ist es oft so schwierig, die Frauenfeindlichkeit dahinter zu erkennen.

Unübersehbar hatte sich die Frauenfeindlichkeit allerdings schon zwei Jahre davor gezeigt, als derselbe Redakteur mich nach der erfolgreichen Erstausstrahlung eines gemeinsamen Films, in dem ich die Hauptrolle spielte, zum Abendessen in ein Restaurant eingeladen hatte und dabei eine Bemerkung machte, die mich bis heute nicht loslässt.

Die Einschaltquote war toll und der Film hatte, was in der Kombination selten war, ausgesprochen gute Kritiken. Ich war stolz wie Bolle. Deshalb ging ich davon aus, dass der Redakteur nicht nur auf die erfolgreiche Arbeit anstoßen, sondern mit mir auch über neue Projekte sprechen wollte.

Wir sprachen über Gott und die Welt, aber nichts von dem, was ich mir erhoffte, passierte. Kurz bevor sich der Abend dem Ende entgegenneigte, sprach ich es an, von mir aus. Schon das empfand ich als unangenehm, als würde ich mich selbst anpreisen müssen. Ich gab mir trotzdem einen Ruck: „Na, da hatten wir doch einen schönen Erfolg“, setzte ich an. „Hm“, entgegnete er. Pause. Oh Gott, dachte ich, wie mache ich denn jetzt bloß weiter? Es schien mir offensichtlich, dass bei ihm kein Interesse bestand, über zukünftige Projekte zu sprechen, aber ich dachte, na gut, wenn es ihn so gar nicht interessieren würde, warum sitzen wir dann überhaupt hier? Also nahm ich meinen Mut zusammen und startete einen weiteren Versuch. Ich sprach das aus, was ich eigentlich von ihm erwartet hatte zu hören: „Können wir doch wirklich stolz sein: eine richtig gute Quote und dazu noch ’ne super Kritik im Spiegel, das ist in der Kombination ja eher selten.“ Ich überspielte mit einem nachgeschobenen Lachen meine Scham, mich selbst und unseren doch eigentlich so erfolgreichen Film derart anpreisen zu müssen.

„Ja“, sagte er, und dann kicherte er. „Wobei …“ Der Redakteur setzte kurz an, unterbrach sich dann aber mit den Worten, dass er mir das vielleicht lieber doch nicht erzählen sollte. Er habe nämlich mit einem inzwischen pensionierten, aber noch immer einflussreichen Redaktionskollegen genau darüber gesprochen, und der habe eine wirklich lustige Bemerkung zu jener Passage im Spiegel gemacht, in der insbesondere meine Leistung gelobt wurde. Für derartige Halbaussagen bin ich allerdings viel zu neugierig, also forderte ich den Mann auf, damit rauszurücken: „Komm schon, was hat er gesagt?“ Feixend brachte er darauf hervor: „Er hat gesagt, der vom Spiegel hat seine Kritik sicher mit dem Schwanz geschrieben.“ Dann schaute er mich erwartungsvoll an, ob ich das nicht auch lustig fände.

Die übelsten sexistischen Kommentare werden meistens hinter verschlossenen Türen gemacht. In jeder Branche. Manchmal gelangen sie dennoch über Umwege ungewollt zu uns Frauen. Mir war also schon vorher die eine oder andere diskriminierende Bemerkung zu Ohren gekommen, aber damit hatte ich nicht gerechnet. Niemals wäre so eine Äußerung in Bezug auf einen männlichen Kollegen gefallen. In jenem Moment nahm ich es nicht einmal persönlich, ich war schlicht geschockt darüber, wie tief dieser Automatismus verankert ist, die Leistung einer Frau auf Teufel komm raus kleiner zu machen.

„Ernsthaft? Das ist das, was euch dazu einfällt?“ Meine Fassungslosigkeit war spürbar. „Nein, nein, das war ja nur als Witz gemeint“, versuchte er zu beschwichtigen. Ich hatte allerdings nicht das Gefühl, dass ihm irgendetwas daran unangenehm war. Gut, dachte ich, schamloser ging es ja ohnehin nicht mehr. Also Augen zu und durch. Ich sprach jetzt einfach aus, was ich mir wünschte. „Wäre es nach so einem Erfolg nicht denkbar, dass wir ein weiteres Projekt gemeinsam angehen?“, fragte ich.

Statt einer Interessenbekundung, und sei es nur einer vorgespielten, druckste er herum, warum das in meinem Falle schwierig wäre und sagte dann endlich: „Du bist einfach keine ‚Frauen-Frau‘.“

„Keine Frauen-Frau?“, wiederholte ich das Gehörte ungläubig.

Ich erfuhr, dass man sich im Sender ernsthaft darauf verständigt hatte, man wolle nur noch sogenannte „Frauen-Frauen“ besetzen. Das seien Schauspielerinnen, vor denen die Frauen vor den Fernsehgeräten keine Angst haben müssten, da deren (Ehe-)Partner sie nicht als potenzielle Fantasiegeliebte sehen würden. Das aber wäre ja leider bei mir der Fall. Vor mir hätten andere Frauen deshalb eher Angst oder würden mich als Konkurrenz betrachten.

„Aha“, sagte ich, „das ist ja komisch. Wir Frauen untereinander empfinden uns gar nicht automatisch als Konkurrentinnen. Außerdem ist das doch total subjektiv. Ich werde, nachdem ein Film von mir im Fernsehen läuft, regelmäßig von so vielen Frauen freudig angesprochen, dass es mich wirklich sehr wundern würde, falls deine Theorie zuträfe. Das ist doch ein totales Klischee, uns Frauen immer nur dieses Konkurrenzding zu unterstellen.“

„Nein, nein, das ist so, die Frau will beim Fernsehen entspannt bügeln und jemandem zuschauen, vor dem sie keine Angst haben muss.“ Damit war das Thema für ihn beendet und mir war klar, dass hier einmal mehr Männer für Frauen entschieden hatten, was diese sehen wollten.

Dass ich wohl oder übel der Tatsache ins Auge sehen musste, unter dieser sagenhaft konstruierten Behauptung von Männern in Führungspositionen mit einer dünner werdenden Auftragslage leben zu müssen, war unbestreitbar Fakt. Das wirklich Spannende daran war aber das System dahinter. Denn mir hätte eine Zusammenarbeit auch aus genau dem entgegengesetzten Grund abgesagt werden können: dass ich nicht sexy genug für eine Rolle sei. Es herrscht Willkür – du bist zu sexy, du bist nicht sexy genug. Was gerade gilt, entscheiden in den allermeisten Fällen Männer unter sich. Oder Frauen, die dieses patriarchale System genauso tief verinnerlicht haben. Deutlich wurde mir in diesem Moment schon wieder, dass der Blick auf mich als Schauspielerin ein sexualisierter war, es ging in keiner Weise um meine schauspielerischen Qualitäten. „Hatte ich mir diesen sexualisierten Blick auf mich selbst eingebrockt?“, hinterfragte ich mich natürlich sofort entlang meiner unbewussten patriarchalen Prägung. Oder projizierte da ein Redakteur etwas auf mich, auf das ich keinen Einfluss hatte? War es ein Fehler, dass ich mich zehn Jahre zuvor trotz meiner anfänglichen Vorbehalte dafür entschieden hatte, das Rote-Teppich-Spiel aktiv mitzuspielen? Mit der expliziten Sexualisierung, die dort offensiv bedient wurde? Aber der Grund und Auslöser dafür war wieder etwas, was im Schauspielberuf ausschließlich Frauen wiederfährt:

Als ich Mitte dreißig war, wollte mich der Regisseur eines aufwendig produzierten Historienzweiteilers für eine spannende Nebenrolle besetzen. Obwohl er für mich kämpfte, gelang es ihm letztlich nicht. Als er mir später erzählte, woran sein Vorhaben konkret scheiterte, blieb mir kurz die Luft weg: Die Redaktion des auftraggebenden Senders bestand darauf, diese kleine feine Rolle mit einer Kollegin zu besetzen, die auf den Society-Seiten von Bunte und Gala Präsenz zeigte.

Das musste ich erst einmal verdauen: Es ging also keine Sekunde darum, wer für die Rolle am besten geeignet war. Es ging selbst bei der Besetzung einer Nebenrolle einzig darum, das an sich schon öffentlichkeitswirksame Projekt scheinbar noch besser vermarkten zu können. Für mich eine wirklich unschöne und irritierende Erkenntnis, aber keine, die mich dazu brachte, den Beruf an den Nagel zu hängen. „Gut“, dachte ich, „dann spiele ich das Spiel eben mit“ und betrachtete es von da an als das, was es war: als ein strategisches Manöver, um meinen Marktwert für die eigentliche Arbeit, die ich machen wollte, zu erhöhen. Damals gab es noch keine sozialen Medien und keine Followerzahlen, die heute schlagkräftige Besetzungsargumente sind. Aber so einfach, wie ich dachte, war es gar nicht.

Für den Roten Teppich braucht man ein dickes Fell. Nicht mehr so sehr, wenn man einmal die Bekanntheit erreicht hat, dass man von den Fotograf:innen sofort erkannt wird – aber bis dahin braucht es Zeit. Es ist eine besondere Prüfung, auf dem Roten Teppich zu stehen und Fotograf:innen rufen einem genervt zu: „Kannst du mal zur Seite gehen?!“, ohne dass sie auch nur ein einziges Mal auf den Auslöser drücken, obwohl man vielleicht schon die eine oder andere Hauptrolle gespielt oder sogar einen Preis gewonnen hat.