Soziale Angststörung - Ulrich Stangier - E-Book

Soziale Angststörung E-Book

Ulrich Stangier

0,0
16,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Soziale Ängste sind ein verbreitetes menschliches Phänomen. Wenn sie jedoch mit so intensiver Angst vor Peinlichkeit und Blamage verbunden sind, dass starker Leidensdruck und massive Beeinträchtigungen im Beruf und in sozialen Beziehungen entstehen, kann eine Soziale Angststörung vorliegen. Aufgrund der Vielfältigkeit der Symptome ist die Diagnosestellung in der Praxis mitunter nicht einfach. Darüber hinaus wird die Therapie durch die starken Vermeidungstendenzen und durch festgefahrene Verarbeitungsmuster der Betroffenen häufig erschwert. Die Neubearbeitung des Bandes liefert aktuelle Erkenntnisse zur Diagnostik und Therapie der Sozialen Angststörung. Nach der Beschreibung des Störungsbildes und der wichtigsten Erklärungsmodelle sowie der Darstellung von störungsspezifischen Diagnostikansätzen wird die Durchführung der Behandlung praxisorientiert erläutert. Der Schwerpunkt der kognitiven Therapie liegt auf der gezielten Veränderung von ungünstigen Aufmerksamkeitsprozessen, Vorstellungen und Sicherheitsverhaltensweisen. Hierbei kommen Verhaltensexperimente, Videofeedback, Imagery Rescripting und ein Aufmerksamkeitstraining zum Einsatz. Das Vorgehen bei den zentralen Elementen der Therapie wird mithilfe von Fallbeispielen veranschaulicht. Abschließend wird der aktuelle Stand der Therapieforschung vorgestellt.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Ulrich Stangier

David M. Clark

Denise M. Ginzburg

Anke Ehlers

Soziale Angststörung

2., überarbeitete und erweiterte Auflage

Fortschritte der Psychotherapie

Band 28

Soziale Angststörung

Prof. Dr. Ulrich Stangier, Prof. David M. Clark, DPhil, Dr. Denise M. Ginzburg, Prof. Dr. Anke Ehlers

Herausgeber der Reihe:

Prof. Dr. Kurt Hahlweg, Prof. Dr. Martin Hautzinger, Prof. Dr. Jürgen Margraf, Prof. Dr. Winfried Rief

Begründer der Reihe:

Dietmar Schulte, Klaus Grawe, Kurt Hahlweg, Dieter Vaitl

Prof. Dr. Ulrich Stangier, geb. 1958. Seit 2008 Inhaber des Lehrstuhls für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Frankfurt, dort auch Leiter der Verhaltenstherapie-Ambulanz und Leiter des Ausbildungsprogrammes Psychologische Psychotherapie.

Prof. David M. Clark, DPhil, geb. 1954. Seit 2011 Professor of Psychology am Department for Experimental Psychology, University of Oxford, und Leiter des Oxford Centre for Anxiety Disorders and Trauma.

Dr. Denise M. Ginzburg, geb. 1981. Seit 2010 Betreuung des SOPHOPrax-Projektes an der Universität Frankfurt und seit 2013 niedergelassen in eigener Praxis in Offenbach.

Prof. Dr. Anke Ehlers, geb. 1957. Seit 2012 Professor of Experimental Psychopathology und Wellcome Trust Principal Research Fellow am Department of Experimental Psychology, University of Oxford, Großbritannien. Gemeinsam mit David M. Clark Leitung des Oxford Centre for Anxiety Disorders und Trauma am Maudsley Hospital.

Wichtiger Hinweis: Der Verlag hat gemeinsam mit den Autoren bzw. den Herausgebern große Mühe darauf verwandt, dass alle in diesem Buch enthaltenen Informationen (Programme, Verfahren, Mengen, Dosierungen, Applikationen, Internetlinks etc.) entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abgedruckt oder in digitaler Form wiedergegeben wurden. Trotz sorgfältiger Manuskriptherstellung und Korrektur des Satzes und der digitalen Produkte können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autoren bzw. Herausgeber und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.

Die erste Auflage des Bandes ist 2006 mit dem „Titel Soziale Phobie“ unter der Autorenschaft von Ulrich Stangier, David M. Clark und Anke Ehlers erschienen.

Copyright-Hinweis:

Das E-Book einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar.

Der Nutzer verpflichtet sich, die Urheberrechte anzuerkennen und einzuhalten.

Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG

Merkelstraße 3

37085 Göttingen

Deutschland

Tel.: +49 551 999 50 0

Fax: +49 551 999 50 111

E-Mail: [email protected]

Internet: www.hogrefe.de

Satz: ARThür Grafik-Design & Kunst, Weimar

Format: EPUB

2., überarbeitete und erweiterte Auflage 2016

© 2006 und 2016 Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen

(E-Book-ISBN [PDF] 978-3-8409-2719-5; E-Book-ISBN [EPUB] 978-3-8444-2719-6)

ISBN 978-3-8017-2719-2

http://doi.org/10.1026/02719-000

Nutzungsbedingungen:

Der Erwerber erhält ein einfaches und nicht übertragbares Nutzungsrecht, das ihn zum privaten Gebrauch des E-Books und all der dazugehörigen Dateien berechtigt.

Der Inhalt dieses E-Books darf von dem Kunden vorbehaltlich abweichender zwingender gesetzlicher Regeln weder inhaltlich noch redaktionell verändert werden. Insbesondere darf er Urheberrechtsvermerke, Markenzeichen, digitale Wasserzeichen und andere Rechtsvorbehalte im abgerufenen Inhalt nicht entfernen.

Der Nutzer ist nicht berechtigt, das E-Book – auch nicht auszugsweise – anderen Personen zugänglich zu machen, insbesondere es weiterzuleiten, zu verleihen oder zu vermieten.

Das entgeltliche oder unentgeltliche Einstellen des E-Books ins Internet oder in andere Netzwerke, der Weiterverkauf und/oder jede Art der Nutzung zu kommerziellen Zwecken sind nicht zulässig.

Das Anfertigen von Vervielfältigungen, das Ausdrucken oder Speichern auf anderen Wiedergabegeräten ist nur für den persönlichen Gebrauch gestattet. Dritten darf dadurch kein Zugang ermöglicht werden.

Die Übernahme des gesamten E-Books in eine eigene Print- und/oder Online-Publikation ist nicht gestattet. Die Inhalte des E-Books dürfen nur zu privaten Zwecken und nur auszugsweise kopiert werden.

Diese Bestimmungen gelten gegebenenfalls auch für zum E-Book gehörende Audiodateien.

Anmerkung:

Sofern der Printausgabe eine CD-ROM beigefügt ist, sind die Materialien/Arbeitsblätter, die sich darauf befinden, bereits Bestandteil dieses E-Books.

Zitierfähigkeit: Dieses EPUB beinhaltet Seitenzahlen zwischen senkrechten Strichen (Beispiel: |1|), die den Seitenzahlen der gedruckten Ausgabe und des E-Books im PDF-Format entsprechen.

Inhaltsverzeichnis

1 Beschreibung der Störung

1.1 Bezeichnung

1.2 Definition

1.3 Differenzialdiagnosen

1.4 Epidemiologie

1.5 Risikofaktoren

1.6 Verlauf und Prognose

1.7 Komorbidität

1.8 Diagnostische Verfahren

2 Störungstheorien und Erklärungsmodelle

2.1 Kognitive Theorien

2.1.1 Die Theorie von Beck

2.1.2 Das Modell von Clark und Wells

2.2 Andere Theorien

2.2.1 Lernfaktoren und soziale Einflüsse

2.2.2 Interpersonelle Faktoren

2.2.3 Neurobiologische Theorien

3 Diagnostik und Indikation

3.1 Exploration und Eingangsdiagnostik

3.2 Indikation und differenzielle Indikation

3.3 Berücksichtigung von Komorbidität in der Therapieplanung

4 Behandlung

4.1 Grundsätze und Rahmenbedingungen der Behandlung

4.1.1 Umfang und Setting der Behandlung

4.1.2 Behandlungskonzept und Überblick über den Behandlungsablauf

4.1.3 Therapeut-Patient-Beziehung

4.1.4 Vorbereitung der Behandlungssitzungen

4.1.5 Ablauf der Behandlungssitzungen

4.1.6 Technische Hilfsmittel

4.2 Die erste Behandlungssitzung

4.2.1 Allgemeine Exploration

4.2.2 Ableitung eines individuellen kognitiven Erklärungsmodells

4.2.3 Weitere Ergänzungen des Modells

4.3 Demonstration der negativen Effekte von Selbstaufmerksamkeit und Sicherheitsverhalten

4.3.1 Experiment zur Selbstaufmerksamkeit/Sicherheitsverhalten

4.3.2 Erstes Videofeedback: Selbsteindruck ist zu negativ

4.3.3 Aufmerksamkeitstraining

4.4 Überprüfen der negativen Überzeugungen und Entwicklung eines realistischeren Eindrucks des „sichtbaren Selbst“ im weiteren Verlauf der Therapie

4.4.1 Verhaltensexperimente

4.4.2 Videofeedback

4.4.3 In-vivo-Verhaltensexperimente

4.4.4 Selbstgeleitete Verhaltensexperimente

4.5 Weitere Methoden zur Umstrukturierung sozialphobischer Überzeugungen

4.5.1 Identifikation und Bearbeitung negativer automatischer Gedanken

4.5.2 Modifikation antizipatorischer Verarbeitung

4.5.3 Abbau nachträglicher Verzerrung durch Grübeln

4.6 Veränderung dysfunktionaler Grundüberzeugungen

4.6.1 Generelles Vorgehen

4.6.2 Überwindung eines negativen Selbstbildes

4.6.3 Eine neue Sicht vergangener Erfahrungen entwickeln

4.7 Rückfallprophylaxe, Therapieabschluss und Auffrischungssitzungen

5 Effektivität

5.1 Effektivität des dargestellten Behandlungsansatzes

5.2 Effektivität anderer verhaltenstherapeutischer Methoden

5.3 Medikamentöse Behandlung

6 Literatur

7 Anhang

Karte: Leitfaden zur Exploration

|1|1Beschreibung der Störung

1.1 Bezeichnung

Krankhafte Schüchternheit und Vermeidung von Kontakten zu anderen Menschen wurden bereits in der Antike u. a. von Hippokrates als seelisches Leiden beschrieben. Die Bezeichnung Soziale Phobie wurde erstmals von Janet 1903 verwendet („phobie des situations sociales“). Dieser Begriff fand zunächst keine Verbreitung; die Störung wurde unter „phobische Neurosen“ subsumiert, und es wurden vielfältige Bezeichnungen verwendet, z. B. in der deutschen Psychiatrie „Anthropophobie“, „Kontaktneurose“ oder „Soziale Neurose“. In neuerer Zeit wurde die Bezeichnung erstmalig im Jahre 1966 von Marks und Gelder aufgegriffen. Sie definierten Soziale Phobien als „phobias of social situations, expressed variably as shyness, fears of blushing in public, of eating meals in restaurants, of meeting men or women, of going to dances or parties, or of shaking when in the centre of attention“ (S. 228).

Erst 1980 wurde die Soziale Phobie als eigenständiges Störungsbild in das Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders der American Psychiatric Association (APA, 1980) aufgenommen. In enger Anlehnung an Marks und Gelder wurde die Störung zunächst als eng umschriebene spezifische Phobie konzipiert. Insbesondere durch die nachfolgenden Revisionen des DSM wurde das Störungskonzept jedoch erheblich ausgeweitet und umfasst jetzt auch stark generalisierte und beeinträchtigende chronische soziale Ängste. Angesichts der erweiterten Definition und der gravierenden Beeinträchtigungen durch die Störung wird der Begriff „Soziale Phobie“ heute vielfach nicht mehr als angemessen angesehen. Deshalb hat sich in den letzten Jahren in der wissenschaftlichen Literatur zunehmend der Begriff „Soziale Angststörung“ durchgesetzt.

1.2 Definition

In die International Classification of Diseases and Causes of Death wurde die Diagnose der Sozialen Phobie erst 1991 mit der zehnten Version (WHO/Dilling et al., 1991) aufgenommen. Die in den Kriterien (vgl. Kasten) angesprochenen situativen Auslöser (A) sind jedoch etwas weniger detailliert beschrieben als im DSM-5 (APA, 2013). Zudem haben einige der unter Kriterium B genannten körperlichen Symptome eine geringe Relevanz für die |2|Diagnose. Deshalb werden häufig die Kriterien des DSM-5 (APA, 2013; APA/Falkai et al., 2015) vorgezogen (vgl. Kasten). Die DSM-5-Kriterien werden vermutlich auch starken Einfluss auf die ICD-11-Kriterien haben.

Kriterien der Sozialen Phobie (40.1) nach ICD-10 (WHO/Dilling et al., 1991)

A.

Entweder (1) oder (2):

(1)

deutliche Angst, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen oder sich peinlich oder beschämend zu verhalten,

(2)

deutliche Vermeidung, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen oder von Situationen, in denen die Angst besteht, sich peinlich oder beschämend zu verhalten.

Diese Ängste treten in sozialen Situationen auf, wie Essen und Sprechen in der Öffentlichkeit, Begegnung von Bekannten in der Öffentlichkeit, Hinzukommen oder Teilnahme an kleinen Gruppen, wie z. B. bei Partys, Treffen oder in Klassenräumen.

B.

Mindestens zwei Angstsymptome in den gefürchteten Situationen, mindestens einmal seit Auftreten der Störung sowie zusätzlich mindestens eines der folgenden Symptome:

(1)

Erröten oder Zittern,

(2)

Angst zu erbrechen,

(3)

Miktions- oder Defäktionsdrang bzw. Angst davor.

C.

Deutliche emotionale Belastung durch die Angstsymptome oder das Vermeidungsverhalten. Einsicht, dass die Symptome oder das Vermeidungsverhalten übertrieben und unvernünftig sind.

D.

Die Symptome beschränken sich vornehmlich auf die gefürchtete Situation oder auf die Gedanken an diese.

E.

Die Symptome des Kriteriums A sind nicht bedingt durch Wahn, Halluzinationen oder andere Symptome der Störungsgruppen organische psychische Störungen, Schizophrenie und verwandte Störungen, affektive Störungen oder eine Zwangsstörung und sind keine Folge einer kulturell akzeptierten Anschauung.

Diagnostische Kriterien für Soziale Angststörung (Soziale Phobie) nach DSM-5 (APA/Falkai et al., 2015, Reprinted in German with permission from Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG. Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, Fifth Edition, (Copyright 2013). American Psychiatic Association)

A.

Ausgeprägte Furcht oder Angst vor einer oder mehreren sozialen Situationen, in denen die Person von anderen Personen beurteilt werden könnte. Beispiele hierfür sind soziale Interaktionen (z. B. Gespräche mit anderen, Treffen mit unbekannten Personen), beobachtet zu |3|werden (z. B. beim Essen oder Trinken) und vor anderen Leistungen zu erbringen (z. B. eine Rede halten).

Beachte: Bei Kindern muss die Angst gegenüber Gleichaltrigen und nicht nur in der Interaktion mit Erwachsenen auftreten.

B.

Betroffene befürchten, dass sie sich in einer Weise verhalten könnten oder Symptome der Angst offenbaren, die von anderen negativ bewertet werden (d. h. die beschämend oder peinlich sind, zu Zurückweisung führen oder andere Personen kränken).

C.

Die sozialen Situationen rufen fast immer eine Furcht- oder Angstreaktion hervor.

Beachte: Bei Kindern kann sich die Furcht oder Angst durch Weinen, Wutanfälle, Erstarren, Anklammern, Zurückweichen oder die Unfähigkeit in sozialen Situationen zu sprechen ausdrücken.

D.

Die sozialen Situationen werden vermieden oder unter intensiver Furcht oder Angst ertragen.

E.

Die Furcht oder Angst geht über das Ausmaß der tatsächlichen Bedrohung durch die soziale Situation hinaus und ist im soziokulturellen Kontext unverhältnismäßig.

F.

Die Furcht, Angst oder Vermeidung ist andauernd; typischerweise über 6 Monate oder länger.

G.

Die Furcht, Angst oder Vermeidung verursacht in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen.

H.

Die Furcht, Angst oder Vermeidung ist nicht Folge der physiologischen Wirkung einer Substanz (z. B. Substanz mit Missbrauchspotenzial, medikamentöse Wirkstoffe) oder eines medizinischen Krankheitsfaktors.

I.

Die Furcht, Angst oder Vermeidung kann nicht besser durch die Symptome einer anderen psychischen Störung erklärt werden, wie z. B. Panikstörung, Körperdysmorphe Störung oder Autismus-Spektrum-Störung.

J.

Falls ein medizinischer Krankheitsfaktor (z. B. Morbus Parkinson, Adipositas, eine Entstellung durch Verbrennung oder Verletzung) vorliegt, so steht die Furcht, Angst oder Vermeidung nicht damit im Zusammenhang oder geht deutlich darüber hinaus.

Bestimme, ob:

„Nur in Leistungssituationen“: Zu verwenden, wenn die Soziale Angststörung ausschließlich auf das Sprechen vor anderen bzw. das Erbringen von Leistungen vor anderen (oder in der Öffentlichkeit) beschränkt ist.

Zentrales Merkmal von Sozialen Angststörungen ist die Überzeugung oder Erwartung, dass das eigene Verhalten oder sichtbare körperliche Symptome wie Erröten, Schwitzen oder Zittern von anderen Menschen als lächerlich, merkwürdig, blamabel oder inadäquat bewertet werden. Diese Befürchtun|4|gen können zum einen in Situationen ausgelöst werden, in denen eigene Handlungen einer Beobachtung und Bewertung durch andere unterliegen (sogenannte „Performance“-Situationen), z. B. Reden oder Essen in der Öffentlichkeit. Zum anderen können Soziale Angststörungen Interaktionssituationen betreffen, wie z. B. mit Fremden sprechen oder Blickkontakt aufnehmen, Interaktionen mit einer Person des anderen Geschlechts, Umgang mit Autoritätspersonen etc. Sehr häufig finden sich auch Befürchtungen, die sich nicht auf Verhalten, sondern auf das Auftreten von sichtbaren körperlichen Symptomen beziehen, vor allem Erröten, Schwitzen oder Zittern. Eher selten konzentrieren sich die Befürchtungen auf Stottern, die eigene Stimme oder die im ICD-10 genannten Symptome des Magen-/Darm-Traktes. Personen mit Sozialen Angststörungen sind überzeugt, dass ihr Verhalten bzw. die Körpersymptome peinlich, „merkwürdig“ oder „lächerlich“ wirken, oder dass andere Menschen ihr Auftreten als Versagen oder eine Blamage bewerten.

Die intensiven Angstreaktionen sind in der Regel auch begleitet von körperlichen Symptomen, die kennzeichnend für ein erhöhtes autonomes Erregungsniveau sind (intensives Herzklopfen, Übelkeit, Durchfall, Muskelanspannung). Nicht selten können sich diese Symptome bei Konfrontation mit kritischen Situationen zu Panikattacken aufschaukeln, einhergehend mit der Überzeugung, die Kontrolle über den Körper zu verlieren.

Ein weiteres Kriterium für Soziale Angststörungen ist eine starke Tendenz zur Vermeidung der gefürchteten Situationen, in denen das vermeintlich peinliche Verhalten oder Körpersymptom auftreten könnte. Diese Vermeidung kann dazu führen, dass sich die Betroffenen aus sozialen Beziehungen zurückziehen, keine Partnerschaften eingehen oder beruflichen Anforderungssituationen aus dem Wege gehen. Da aber die kritischen sozialen Situationen kaum vollständig vermieden werden können, erleben viele Sozialphobiker eine permanente Erwartungsangst (sog. antizipatorische Angst) und können soziale Situationen nur unter höchster emotionaler Belastung durchstehen.

Angesichts der weiten Verbreitung sozialer Ängste in der Allgemeinbevölkerung und der fließenden Übergänge von subklinischen Ängsten zur klinisch bedeutsamen Angststörung ist von besonderer Bedeutung, welches Kriterium für eine klinisch bedeutsame Beeinträchtigung gewählt wird. Hierbei sollten vor allem die sozialen Folgeprobleme berücksichtigt werden, die durch eine durchgängige Vermeidung entstehen: Einsamkeit, Isolation und Partnerlosigkeit im privaten Bereich oder frühzeitiger Schulabbruch und unterqualifizierte Tätigkeiten im Beruf bis hin zur Arbeitslosigkeit. Mitunter schlagen Betroffene mögliche Beförderungen aus oder kündigen sichere Stellen aufgrund ihrer Ängste vor den sozialen Anforderungen. Besonders sorgfältig sollten daher die Formen der Vermeidung und deren Folgen erfasst werden.

|5|Für die Diagnose wird zusätzlich die Einsicht in die Übertriebenheit der Befürchtungen gefordert. Diese wird jedoch nicht immer eindeutig bejaht. Oftmals erleben die Betroffenen ihre Befürchtungen aufgrund der intensiven Emotionen als „evident“. Die Patienten könnten die Übertriebenheit der Befürchtungen besser beurteilen, wenn sie sich von ihren intensiven Emotionen in einer angstauslösenden Situation distanzieren können. Allein die Vorstellung der peinlichen Verhaltensweisen und Symptome kann jedoch schon so starke Angst auslösen, dass dies für die Betroffenen schwer ist. Das Einsicht-Kriterium dient hauptsächlich der Abgrenzung von psychotischen Störungen. Falls den Patienten die Distanzierung schwer fällt, sollte geprüft werden, inwiefern die Befürchtungen nachvollziehbar sind und ob ggf. andere Indikatoren einer Psychose vorliegen.

Im Gegensatz zu früheren Ausgaben des DSM schließt die Diagnose einer Sozialen Angststörung im gegenwärtig gültigen DSM-5 (APA, 2013) nicht die gleichzeitige Diagnose einer Vermeidend-Selbstunsicheren Persönlichkeitsstörung aus. Letztere ist gekennzeichnet durch ein „Muster von sozialer Hemmung, Unzulänglichkeitsgefühlen und Überempfindlichkeit gegenüber negativer Bewertung“ (APA/Falkai et al., 2015, S. 884). In Abgrenzung von der Sozialen Angststörung konzentrieren sich die Kriterien auf die Furcht vor engen zwischenmenschlichen Beziehungen und weniger auf Befürchtungen bezüglich der sozialen Konsequenzen des eigenen Verhaltens in sozialen Situationen. Dennoch überlappen sich die Kriterien in erheblicher Weise: z. B. beziehen sich alleine sechs der sieben Kriterien der Vermeidend-Selbstunsicheren Persönlichkeitsstörung auf soziale Interaktionen. Dieses Problem wird nur durch zukünftige Revisionen der diagnostischen Klassifikationssysteme gelöst werden können.

Während die Diagnose Soziale Angststörung (Soziale Phobie) in früheren Ausgaben des DSM zumeist nur auf Erwachsene angewendet wurde, ist sie seit der 4. Revision DSM-IV (APA, 2000) auch für Kinder vorgesehen. Hierzu werden einige Kriterien spezifisch formuliert. So wird bei Kindern vorausgesetzt, dass die Fähigkeit zum Knüpfen von altersgemäßen sozialen Beziehungen mit vertrauten Personen grundsätzlich möglich ist. Darüber hinaus zeigen Kinder häufiger altersgemäße Formen von Angstreaktionen (Anklammern an Eltern, Schreien, Wutanfälle oder Erstarren), als dass sich typische Muster von Vermeidung und Rückzug feststellen lassen. Die Möglichkeit zur Einsicht in die Übertriebenheit ist nur in geringem Maße gegeben. Kinder sind zudem weniger gut in der Lage, selbstabwertende Kognitionen zu berichten, sondern geben häufiger eine Gedankenleere an. Zur Abgrenzung von passageren, entwicklungsbedingten Rückzugstendenzen sollen die Angstreaktionen mindestens 6 Monate andauern. Aufgrund dieser Einschränkungen wird vielfach davon ausgegangen, dass eine verlässliche Diagnosestellung vor dem 8. Lebensjahr kaum möglich ist.

|6|1.3 Differenzialdiagnosen

Die Abgrenzung der Sozialen Angststörung von anderen Angststörungen und depressiven Störungen ist aufgrund von symptomatischen Parallelen und hohen Komorbiditäten oftmals nicht einfach. Tabelle 1 gibt einen Überblick über gemeinsame und unterscheidende Merkmale. Generell ist die Unterscheidung der Sozialen Angststörung von anderen Angststörungen vor allem durch Exploration der auslösenden Bedingungen und Inhalte der Befürchtungen möglich.

Tabelle 1: Differenzialdiagnostik der Sozialen Angststörung (Sozialen Phobie)

Differenzialdiagnosen

Gemeinsames Merkmal

Unterscheidendes Merkmal zur Sozialen Angststörung (SA)

Depressive Störungen

Soziale Ängste und sozialer Rückzug/Vermeidung; negatives Selbstbild

Erwartung von Ablehnung stimmungsabhängig, allgemeiner Antriebs-/Interessenverlust (SA: Angst vor Blamage); Selbstabwertung unabhängig von der Bewertung durch andere (SA: abhängig von der Bewertung durch andere)

Agoraphobie

Vermeidung von Situationen mit vielen Menschen

Angst auch wenn allein, Vermeidung von Hilflosigkeit (SA: Angst vor Blamage/Abwertung)

Panikstörung

Erleben von/Furcht vor Kontrollverlust über Körperreaktionen

Bewertung der Symptome als vitale (SA: soziale) Bedrohung; befürchtete Symptome meist nicht sichtbar, z. B. kardiovaskuläre Symptome, Atemnot, Schwindel (SA: sichtbare Symptome)

Generalisierte Angststörung

Sorgen über soziale Situationen

Antizipation vieler (meist nicht sozialer) katastrophaler Ereignisse (SA: situationsgebundene Erwartung sozialer Abwertung)

Zwangsgedanken

Befürchtung von sozial inakzeptablem Verhalten, Vermeidung von sozialen Situationen, Schamgefühle

Ich-dystoner Verlust der Handlungskontrolle; obszöne Inhalte (SA: ich-syntone Erwartung von Versagen bei der Erfüllung sozialer Verhaltensstandards)

Körperdysmorphe Störung

Vermeidung u. a. von sozialen Situationen; Schamgefühle

Ablehnung wegen entstelltem Aussehen (SA: Ablehnung wegen peinlichem Verhalten, sichtbaren Symptomen)

Schizophrene Störungen

Sozialer Rückzug/Vermeidung

Grundlegende kognitive Defizite (Verarbeitung komplexer sozialer Reize), Anhedonie, Wahn (SA: übertriebene, aber nachvollziehbare und prinzipiell erfahrungsabhängige/korrigierbare Befürchtungen)

|7|Die Differenzialdiagnose zur Agoraphobie ist aufgrund möglicher symptomatischer Überlappungen mitunter schwierig. Zum einen ist die Anwesenheit von anderen Menschen bei beiden Störungen ein möglicher Auslöser von Angstreaktionen. Zum anderen können auch agoraphobische Reaktionen mit der Befürchtung einhergehen, sich vor anderen zu blamieren. Im Allgemeinen geben jedoch Patienten mit Agoraphobien im Gegensatz zu Patienten mit Sozialen Angststörungen an, auch in einigen Situationen Angst zu haben, in denen sie allein sind (z. B. allein zu Hause sein, allein Fahrstuhl fahren, allein im leeren Kaufhaus). Panikattacken treten nicht nur bei Agoraphobie, sondern auch bei ungefähr 50 % der Personen mit Sozialen Angststörungen auf und können in diesen Fällen zu einer sekundären agoraphobischen Vermeidung führen. In der Regel sind eine gründliche Exploration der auslösenden Situationen, der Kognitionen und der Verhaltensreaktionen, ggf. unterstützt durch den Einsatz von störungsspezifischen Fragebögen zur differenzialdiagnostischen Abgrenzung unerlässlich. Zusätzlich können die berichteten Körpersymptome wichtige Hinweise geben. Erröten, Zittern (bzw. Muskelzucken) und Schwitzen sind typisch für Soziale Angststörungen, dagegen sind Schwindel, Schwächegefühle, Herzrasen, Brustschmerzen und Ohrensausen häufiger Symptome der Panikstörung und/oder Agoraphobie.

Soziale Angststörungen und depressive Störungen weisen eine Reihe von Parallelen auf: Diese betreffen vor allem die soziale Vermeidung und das negative Selbstbild. Bei depressiven Patienten treten soziale Rückzugstendenzen phasenhaft und kongruent mit depressiver Stimmung auf, begleitet von dem typischen Spektrum der Symptome einer depressiven Episode. Bei Personen mit Sozialen Angststörungen ist hingegen eine durchgängige Vermeidung von sozialen Situationen zu beobachten. Prinzipiell ist jedoch die Komorbidität mit depressiven Störungen sehr häufig, sodass oftmals beide Diagnosen zutreffen (vgl. Kapitel 1.7).

1.4 Epidemiologie

Eine Reihe von epidemiologischen Studien an Populationen aus unterschiedlichen Kulturen weisen darauf hin, dass Soziale Angststörungen entgegen früherer Annahmen zu den häufigsten Angststörungen in der Allgemeinbevölkerung zählen. Es gibt beträchtliche Schwankungen in den Schätzungen der Prävalenzraten, die von 1 bis 4 % in früheren Studien bis zu 7 bis 16 % in späteren Studien reichen (Übersicht siehe Wittchen & Fehm, 2003). Im Hinblick auf die unterschiedlichen zeitlichen Bezugsrahmen schwanken die Lebenszeit-Prävalenzraten in den neueren Studien zwischen 7 und 12 %, die Einjahres-Prävalenzen liegen bei ca. 6 bis 8 % und die Einmonats-Prävalenzen bei 3 bis 4 %. Diese Schwankungen sind auf unterschiedliche Untersu|8|chungsmethoden, diagnostische Kriterien und berücksichtigte Altersgruppen zurückzuführen. Eine Reanalyse von epidemiologischen Daten der umfangreichen National Comorbidity Survey (Narrow et al., 2002) zeigt jedoch, dass Soziale Angststörungen selbst bei eng gefassten, medizinisch orientierten Kriterien (u. a. Aufsuchen eines Arztes und Medikamenteneinnahme wegen der Symptome) die häufigste Angststörung darstellen. Es gibt auch Anhaltspunkte, dass die Inzidenz von Sozialen Angststörungen über die letzten Jahrzehnte angestiegen ist. So zeigt eine weitere Reanalyse des National Comorbidity Survey, dass die Lebenszeitprävalenz über verschiedene Kohorten und über unterschiedliche Altersstufen hinweg ansteigt (Heimberg, Stein, Hiripi & Kessler, 2000).

Einige epidemiologische Studien weisen auch darauf hin, dass in der Bevölkerung etwas mehr Frauen als Männer (3 : 2) von der Störung betroffen sind (Wittchen & Fehm, 2003); in klinischen Populationen ist das Geschlechterverhältnis jedoch zumeist ausgeglichen. Bezüglich soziodemografischer Variablen weisen Betroffene im Durchschnitt ein geringeres Einkommen, ein geringeres Bildungsniveau, Zugehörigkeit zu einer geringeren sozialen Schicht und häufiger Arbeitslosigkeit auf. Personen mit Sozialen Angststörungen bleiben darüber hinaus häufiger unverheiratet als andere Menschen. Diese Ergebnisse werden als Ausdruck der gravierenden sozialen Beeinträchtigungen angesehen, die mit Sozialen Angststörungen einhergehen. Soziale Angststörungen bei Jugendlichen sagen späteren Alkohol- und Drogenmissbrauch sowie spätere Alkohol- und Drogenabhängigkeit vorher (Zimmermann et al., 2003).

Der Beginn Sozialer Angststörungen liegt in aller Regel in der Kindheit oder frühen Jugend. In den unterschiedlichen Studien lag das durchschnittliche Alter zu Beginn der Störung zwischen 10 und 13 Jahren; ein erstmaliges Auftreten im Erwachsenenalter ist selten. Ein früher Beginn scheint ein Risikofaktor für die Entwicklung des schwereren, generalisierten Subtyps darzustellen (Wittchen et al., 1999). Soziale Ängste können zwar schon in den ersten Lebensjahren auftreten, sind jedoch dann noch nicht eindeutig als Soziale Angststörung diagnostizierbar. Die Diagnosestellung scheint frühestens mit 8 Jahren möglich zu sein, wenn eine Interferenz der sozialen Ängste mit sozialen Anforderungen und sozialen Beeinträchtigungen beobachtet werden kann.

1.5 Risikofaktoren

Zu den Risikofaktoren, die zur Entwicklung Sozialer Angststörungen beitragen, werden einerseits genetische Faktoren und überdauernde Merkmale der Person wie Schüchternheit und Verhaltenshemmung gezählt, zum anderen Umgebungseinflüsse wie die Eltern-Kind-Interaktion, aversive sozi|9|ale Erfahrungen und negative Lebensereignisse (Überblick siehe Rapee & Spence, 2004).

Genetische Faktoren spielen vermutlich eine bedeutsame, wenn auch moderate Rolle in der Disposition zur Entwicklung Sozialer Angststörungen. In Zwillingsstudien (Kendler et al., 1999) und Familienstudien (Lieb et al., 2000) wurde ein gehäuftes Auftreten von Sozialen Phobien und sozialen Ängsten beobachtet. Allerdings sprechen die Ergebnisse dafür, dass diese genetische Disposition weniger ein spezifischer Risikofaktor für Soziale Angststörungen als vielmehr für Angststörungen insgesamt darstellt.