Spannungsfelder im Topmanagement - Christoph W. Dietrich - E-Book

Spannungsfelder im Topmanagement E-Book

Christoph W. Dietrich

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Beschreibung

Die Spannungsfelder, in denen sich Topmanager tagtäglich bewegen, sind von mannigfaltigen Widersprüchen, Unwägbarkeiten und Konflikten gekennzeichnet. Dieses Buch beinhaltet konkrete Anleitungen, wie diese Spannungsfelder aufgelöst und Entscheidungsprozesse in Unternehmensgremien erfolgreich gestaltet werden können. Der Best Practice Leitfaden zeigt die Prinzipien sowie Ziele, Aufgaben und Gestaltungsmittel einer guten Unternehmensführung auf, ohne im Detail auf den Rechtsrahmen einzugehen. Praxisbeispiele schildern Phänomene, die das individuelle und kollektive Entscheidungsverhalten in Managementmeetings beeinflussen, und zeigen Lösungsansätze für eine nachhaltige Beschlussfassung auf. Entscheidungsträger profitieren von der "360° Kontext Analyse" zur Neutralisierung der Herausforderungen eines komplexen Arbeitsumfelds sowie anderen praktischen Tipps und Checklisten. Damit ist dieses Buch nicht nur eine Leitplanke für die wirksame Leitung und Überwachung von Unternehmen, sondern dient auch dem Selbstschutz der handelnden Personen. Gelingende Corporate Governance braucht nicht noch mehr Rechtsvorschriften, sondern reflektierte Akteure.

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Seitenzahl: 320

Veröffentlichungsjahr: 2022

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„Was du bist, bist du nur durch Verträge;

bedungen ist, wohl bedacht deine Macht: […]

all deinem Wissen fluch ich, […] weißt du nicht offen, ehrlich und frei Verträgen zu wahren die Treu'!“

Richard Wagner, „Das Rheingold“: Fasolt weist Wotan, den „CEO“ der Asgard AG (einen gewieften Strategen und begnadeten Netzwerker) auf die Quelle seiner Macht und potenzielle Interessenkonflikte hin. Nebenbei bemerkt er, dass Fachwissen allein für einen Topmanager nicht das Nonplusultra ist.

Vorwort zur ersten Auflage

Vor einigen Jahren meinte ein Schirennläufer in einem Interview: „Die Karriere eines Rennläufers spielt sich zwischen den Toren ab.“ Dann brach er missmutig das Interview ab und ließ den Reporter verdutzt im Zieleinlauf stehen. Warum? Weil er an einem Tor vorbeigefahren und ausgeschieden war. Aber was hat dieser Ausspruch mit Entscheidungsträgern 1 in Unternehmen - also Geschäftsführern, Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern - zu tun?

Genauso wie die Karriere eines Torläufers zwischen den Toren stattfindet, spielt sich die eines Topmanagers zwischen Paragrafen ab. Die Slaloms wurden in den letzten Jahren stets rasanter gesteckt, und auch der Gesetzgeber steckt die Stangen immer enger. Der Lauf von Topmanagern wird rasanter, weil der Wettbewerbsdruck zunimmt und gleichzeitig eine unübersichtliche Vielzahl an Normen zu beachten ist.

Der Torläufer muss sich eng an die Stangen anschmiegen, um möglichst schnell zu sein, aber gleichzeitig das Risiko so dosieren, dass er sich nicht verletzt und seine Karriere dadurch beendet. Ein Entscheidungsträger hat sein Unternehmen zwischen den Paragrafen hindurchzusteuern. Er muss es auf einem risikooptimierten Wachstumspfad halten und gleichzeitig auf die Einhaltung der Sorgfaltspflichten und Haftungsrisiken achten – denn sonst könnte seine Karriere rasch beendet sein.

Eine moderne Corporate Governance funktioniert nur durch reflektiertes Entscheidungsverhalten. Die Kenntnis einschlägiger Rechtsvorschriften ist dafür zweifelsohne wichtig. Mindestens ebenso bedeutsam sind allerdings die Beachtung ethischer Wohlverhaltensregeln und die Berücksichtigung sozialpsychologischer Phänomene, welche die Beschlussfassungspraxis in Kollegialorganen beeinflussen. Da sich dieses Buch primär mit den letztgenannten Faktoren beschäftigt, stellt es eine umfassende Handlungsanleitung für qualitätsvolle Corporate Governance und haftungsvermeidendes Verhalten dar, ohne jedoch im Detail auf die Gesetzeslage2 einzugehen.

Die Spannungsfelder der Corporate Governance bestehen aus einer Vielzahl von Sach- und Beziehungsdynamiken, die auf Entscheidungsträger einwirken. Damit sich diese Spannungsfelder nicht zu Minenfeldern entwickeln, enthält dieses Buch zahlreiche Praxisbeispiele und Tools, die Manager zur Reflexion anregen und ihr Entscheidungsverhalten verbessern.

Christoph W. Dietrich, 2022

1 Der Ausdruck „Entscheidungsträger“ ist dem öVbVG (dem österreichischen Verbandsverantwortlichkeitsgesetz) entlehnt. Das Gesetz meint damit Prokuristen, Geschäftsleiter, Vorstände, Aufsichtsräte, aber auch Gesellschafter – schlichtweg alle Personen, die in einer Organisation (z. B. Gesellschaft, Genossenschaft, Verein) über Entscheidungskompetenz verfügen. Entscheidungsträger im Sinne dieses Buches sind primär solche, die in Kollegialorganen und Unternehmensgremien arbeiten. Synonym werden hier auch die Begriffe Entscheider, Manager oder Führungskraft verwendet.

2 Insofern in diesem Buch Rechtsnormen zitiert werden, handelt es sich um rechtliche Prinzipien, die sowohl in der deutschen als auch in der österreichischen Rechtsordnung gleichermaßen zu finden sind.

Anmerkungen

Corporate Governance entfaltet dann ihren vollen Nutzen, wenn sie von Managern als Querschnittsmaterie aus Recht, Ethik und Psychologie verstanden wird.

Relevante Aspekte aus diesen drei Fachbereichen werden in diesem Buch zu einem Leitfaden für gute Entscheidungen in Unternehmensgremien verwoben, um Praktikern aus der Unternehmensführung und -überwachung (und Lesern, die es werden wollen) ein leicht verständliches Kompendium zu bieten. Es handelt sich keinesfalls um ein rein juristisches Lehrbuch. Somit werden Inhalte aus der Rechtsmaterie keiner eingehenden rechtlichen Würdigung unterzogen, sondern vielmehr aus der Warte von Rechtsgrundsätzen, die in Deutschland und Österreich ähnlich sind, beurteilt. Die zitierten Rechtsvorschriften stammen primär aus dem deutschen und österreichischen Aktienrecht, jedoch ist der Inhalt dieses Buchs derart aufbereitet, dass er sich auf Gremien in unterschiedlichen Unternehmen bzw. Organisationen, unabhängig von deren Rechtsform, anwenden lässt.

Dieses Buch enthält zahlreiche Beispiele aus meiner beruflichen Praxis und Lehrtätigkeit. Jede Übereinstimmung oder Ähnlichkeit von in den Fallbeispielen genannten Namen mit real existierenden - juristischen oder natürlichen - Personen ist jedoch zufällig und nicht intendiert.

Diversität ist - wie nicht zuletzt aus diesem Buch hervorgeht - eine meiner Lieblingswerthaltungen. Allerdings lege ich ebenfalls Wert auf eine einfache und verständliche Ausdrucksweise, weswegen ich die männliche Sprachform bzw. Personenbezeichnung verwende.

INHALTSVERZEICHNIS

1 Die Prinzipien der guten Unternehmensführung

1.1 Verantwortung

1.2 Transparenz

1.3 Fairness

1.4 Diversität

1.5 Unabhängigkeit

1.6 Integrität

1.7 Wie kann unethisches Verhalten entdeckt werden?

2 Aufgaben der Corporate Governance

2.1 Verwirklichung des Unternehmensgegenstands

2.2 Nachvollziehbarkeit

2.3 Wirtschaftlichkeit

2.4 Risikomanagement

2.5 Struktur- und Prozessoptimierung

2.6 Interessenwahrung

3 Gestaltungsmittel der Corporate Governance

3.1 Zielvorgaben

3.2 Kontrolle

3.3 Beratung

3.4 Kommunikationskompetenz

4 Entscheidungsfallen in Unternehmensgremien

4.1 Die Auflösung von Interessenkonflikten

4.2 Gewohnheitsdenken ist Einwegdenken

4.3 Die Folgen der Selbstüberschätzung

4.4 Verknappung: Was löst sie in Entscheidern aus?

4.5 Autorität: Sind wir nicht alle Follower?

4.6 Reziprozität und gegenseitiges Händewaschen

4.7 Sachliche Entscheidungen gibt es nicht

4.8 Wir suchen den Schutz des Schwarms

4.9 Pluralistische Ignoranz: Miteinander reden hilft

4.10 Warum Optimisten schlechte Entscheider sind

4.11 Kompetenzgefälle und Gremienarbeit

4.12 Konsistenz: Wie sie Entscheidungen beeinflusst

4.13 Gruppendynamiken als Entscheidungstreiber

4.14 Wissen und Kontrolle – eine Illusion?

4.15 Chronische Zweifel

4.16 Fünf wichtige Entscheidungsdynamiken

5 Wie Gremien funktionieren: Die 360° Kontext Analyse

5.1 Der Kontext: das Gremium

5.2 Rollen, Rollentrennung und Rollenkonflikte

5.3 Aufträge, Auftraggeber und Auftragnehmer

5.4 Interessen: Konflikt- und Kooperationstreiber

5.5 Ziele: Worauf gute Manager achten

5.6 Unterschiede: Warum sie governance-relevant sind

5.7 Grenzen, Grenzgänger und Grenzüberschreitungen

Anlage 1: Kommunikationstipps für die Gremienarbeit

Anlage 2: Checkliste für Unternehmensentwicklung

Anlage 3: Checkliste zur Stressbewältigung

Begriffsdefinitionen

Abbildungsverzeichnis

Stichwortverzeichnis

Literaturverzeichnis

Index der Fallbeispiele

1 DIE PRINZIPIEN DER GUTEN UNTERNEHMENSFÜHRUNG

„Societal leadership is now a core function of business.“

(Richard Edelmann)

Prinzipien? Warum sollte sich ein Entscheidungsträger damit beschäftigen? Manche assoziieren diesen Begriff möglicherweise mit Verstocktheit und Inflexibilität. Er klingt verzopft, konservativ, „old school“ – so gar nicht nach der heutzutage allseits geforderten agilen Haltung, die jedes Unternehmen an den Tag legen muss, um zukunftsfit zu bleiben. Dennoch: ein genauerer Blick darauf lohnt sich für jeden Topmanager.

Die Prinzipien der guten Unternehmensführung sind vergleichbar mit den Blutgefäßen im Menschen, Installationsleitungen in Gebäuden oder Kabelbäumen in Autos. Man sieht sie im Unternehmen nicht (außer man liest den Verhaltenskodex, aber wer tut das schon?), dennoch spürt man ihre Wirkung. Genauso wie Blut den Körper belebt, erfüllen Prinzipien Unternehmen mit Leben. Genauso wie Leitungsrohre unsere Wohnräume heizen, erwärmen Prinzipien die Unternehmenskultur und lassen es „menscheln“. Genauso wie Strom den Motor anspringen lässt, wirken Prinzipien in Unternehmen energetisierend und mobilisierend. Das mag poetisch, ja abgehoben klingen, hat aber dennoch mit der Managementrealität viel zu tun. Was damit gemeint ist, sei nachfolgend ausgeführt.

Prinzipien sind nichts anderes als Wertvorstellungen3 – also Wesensmerkmale, die Menschen und Organisationen für erstrebenswert halten und für gut befinden. Aus bevorzugten Werthaltungen wiederum entstehen Denk- und Handlungsmuster, welche die Qualität von Charaktereigenschaften und Nutzen stiftenden Merkmalen in Menschen beschreiben. Wertvorstellungen sind in ihrem Kern immateriell und beschreiben qualitative Aspekte der menschlichen Existenz, die für uns richtig und wichtig sind. 4 Werte geben daher Orientierung – damit kommt ihnen eine „Kompassfunktion“ zu. Außerdem richten Werte unseren Fokus auf den Sinn unserer Handlungen. Insofern besitzen sie also auch eine „Scheinwerferfunktion“.

Werte sind nicht objektiv wahr oder falsch, sondern individuell oder kollektiv akzeptiert. Sie können nicht gelehrt, wohl aber durch Vorbildwirkung vorgelebt und angeeignet werden. Auf die Arbeitswelt übertragen bedeutet dies, dass Entscheider Werte weder verordnen noch von ihren Mitarbeitern einfordern können. Vielmehr müssen sie die erwünschten oder propagierten Werte selbst leben und kraft ihrer Führungskompetenz einen organisationalen Rahmen schaffen, der die Entwicklung dieser Werte begünstigt5.

Durch die Beschäftigung mit Werten kommen wir allerdings nicht nur dem Sinn unseres Lebens und Arbeitens auf die Spur. Wir erkennen auch unsere Kompetenzen (Fähigkeiten, Kenntnisse, Können), die ein Ergebnis zeitlebens gepflegter Werthaltungen sind. Wenn uns etwas wichtig ist, sind wir schließlich auch gut darin. Wenn wir in etwas gut sind, ist dies wiederum der Ausgangspunkt für die Entwicklung weiterer Kompetenzen, die von Stolz, Selbstvertrauen und einem Gefühl der Selbstwirksamkeit angetrieben wird. Aus der erfolgreichen Aneignung einer Kompetenz ergeben sich weitere Fähigkeiten, und so wird ein regelrechtes Kompetenzfeuerwerk gezündet, wodurch die Fundamente für lebenslanges Lernen gelegt werden.

Warum spielen Werte in der strategischen Unternehmensführung eine derart gewichtige Rolle? Werte übernehmen, wie bereits vorhin angedeutet wurde, die Funktion eines Verhaltenskompasses für alle menschlichen Aktivitäten in allen Lebenssituationen. Sie sind also wie Leitplanken auf der kurvigen Straße unserer Existenz, die verhindern, dass wir von der Fahrbahn abkommen und uns stattdessen in der Spur halten. Für Strategieprozesse ist jedoch bedeutsam, dass Werte als Entscheidungsfilter fungieren. Dies bedeutet nichts anderes, als dass wir die großen Fragen unseres Lebens beantworten, indem wir unser individuelles Wertegerüst konsultieren. Wenn wir an einer Weggabelung stehen, uns am Kopf kratzen und fragen, welchen Weg wir nun eigentlich beschreiten sollen, dann schlagen uns unsere Werte eine Handlungsoption vor, die wir attraktiv finden.

Wenn Menschen beispielsweise entdecken, dass sie von Werten wie Macht, Anerkennung oder Reichtum angetrieben werden, nehmen sie möglicherweise einen Job in einer Investmentbank, in der Immobilienentwicklung oder in der Politik an. Wenn ihnen hingegen Nachhaltigkeit, Gesundheit und Innovation wichtig sind, werden sie tendenziell in einem Green Energy Unternehmen, in der Medizintechnik oder in der universitären Forschung arbeiten. Damit wird übrigens auch der Zusammenhang zwischen Werten und Bedürfnissen offenbar – Erstere sind nämlich Hinweisgeber auf Letztere.

Menschen wählen sich also ein Betätigungsfeld, das ihre persönlichen Werte widerspiegelt. Weil Unternehmen grundsätzlich Menschen mit spezifischen Werthaltungen anziehen, entwickeln sie sich zu homogenen Wertepools, die regelrechte Werteverstärker darstellen. Alle Menschen, die in diesen Pools sozialisiert werden, bilden mit der Zeit noch stärkere Einstellungen aus, wodurch allmählich eine eingeschworene Wertegemeinschaft entsteht, die ihre existenziellen Fragen anhand ihres Werte-Sets löst. Dies kann zu nützlichen, aber auch vollkommen unbrauchbaren Strategieentscheidungen führen, wie wir später noch in Abschnitt 4 sehen werden. Die Investmentfirma wird ihre Handlungsoptionen jedenfalls tendenziell danach auswählen, wie die Erträge für ihre Kunden (und die Bonuszahlungen für die eigenen Mitarbeiter) maximiert werden können. Die Green Tech Firma hingegen wird ihre Geschäftspolitik (neben unabdingbaren wirtschaftlichen Zielen) vor allem daran ausrichten, wie sie am besten einen Beitrag zur Rettung des Planeten leisten kann. Dies mag vielleicht etwas plakativ klingen, verdeutlicht aber die Funktion von Werten als strategische Entscheidungsfilter.

Doch wie tragen Werte zum Entstehen jener Spannungsfelder bei, in denen sich Topmanager bewegen und die geradezu funktionsinhärent sind? Jeden Tag wirken vielfältige Sach- und Beziehungszwänge auf Entscheidungsträger ein, wodurch unterschiedliche personale und organisationale Werthaltungen miteinander kollidieren. Wertekollisionen wiederum lösen heftige Widersprüche und Konflikte aus, denen wir uns hauptsächlich in den Abschnitten 4 und 5 widmen werden.

Die Prinzipien der guten Unternehmensführung setzen sich aus einer Vielzahl von Werten, Haltungen und Einstellungen zusammen, von denen in diesem Kapitel jene dargestellt werden, die gemeinhin als die tragfähigsten Säulen der Corporate Governance 6 gelten. Es handelt sich dabei um Grundsätze, die von den Entscheidungsträgern des Unternehmens nicht nur propagiert, sondern für alle Stakeholder erkennbar und dauerhaft gelebt werden. Diese Grundsätze stellen daher primär intrapersonelle Werthaltungen dar, die Managern als Verhaltenskompass für Alltags- und Krisensituationen gleichermaßen dienen. Das werteorientierte Verhalten von Entscheidern prägt die Kultur auf sämtlichen organisationalen Ebenen massiv. Daraus resultieren in weiterer Folge interpersonelle Werthaltungen, die Stakeholdern als Leitplanken für ihre Zusammenarbeit in und mit dem Unternehmen dienen.

Wenn sich Entscheidungsträger mit Werten und Prinzipien befassen, zeitigt dies positive Auswirkungen für sie selbst und das Unternehmen – wir erinnern uns an die Kompass- und die Scheinwerferfunktion. Eine Managementposition bringt jedoch auch einen Widerstreit menschlicher und organisationaler Werthaltungen mit sich, sodass Entscheidungsträger einem permanenten Spannungsfeld zwischen Wollen, Können und Dürfen ausgesetzt sind. Was bedeutet dies konkret?

Entscheidungsträger müssen für sich selbst und für ihre Organisation die Frage „Was will ich bzw. was wollen wir?“ beantworten. Diese Frage zielt auf den Stellenwert von strategischen Zielsetzungen im persönlichen und organisationalen Bereich ab und kann somit nur durch eine Ergründung der eigenen Werte und Motivatoren beantwortet werden.

Die Frage „Was kann ich bzw. was können wir?“ zielt auf jene Ressourcen ab, die für eine Zielerreichung verfügbar oder mobilisierbar sind. Dies ist jedoch nur vordergründig eine Frage nach materiellen Ressourcen. Vielmehr geht es dabei um die wichtigste organisationale Energiequelle schlechthin, u. zw. menschliche Kompetenzen, die in Kapitel 4.11 eingehender besprochen werden.

Die Frage „Was darf ich bzw. was dürfen wir?“ bezieht sich auf die rechtlichen oder ethischen Grenzen wirtschaftlichen Handelns. Dass rechtliche und ethische Grenzen nicht immer deckungsgleich sein müssen, und dadurch ein separates Spannungsfeld entstehen kann, sei nur nebenbei erwähnt und soll im Rahmen dieses Buchs nicht weiter ausgeführt werden.

Dieses Spannungsfeld zwischen Wollen, Können und Dürfen befindet sich stets in Bewegung und verändert sich andauernd. Welche Wirkungen auf das Topmanagement vermag diese „Wanderdüne“ zu entfalten?

Je stärker der Wille eines Entscheidungsträgers zur Zielerreichung ausgeprägt ist, desto mehr Ressourcen können dafür mobilisiert werden. Allerdings kann aus besonderer Willensstärke auch ein Ansporn zum Überspringen rechtlich-ethischer Hürden entstehen, wodurch der Manager in einen Konflikt mit der normativen Sphäre gerät. Je schwächer der Wille zur Zielerreichung ist, desto eher wird sich ein Entscheidungsträger mit bescheidenen Ressourcen anfreunden und sich in das gegebene rechtlich-ethische Korsett fügen. Während im ersteren Fall ein überdurchschnittlicher wirtschaftlicher Erfolg winkt, fällt dieser in zweiterem Fall wohl eher gering aus.

Je ausgeprägter die normative Sphäre des Dürfens ist, d. h. je restriktiver der unternehmerische Wille gebändigt wird, desto frustrierter ist das Topmanagement, weil die Zielerreichung erschwert oder gar verunmöglicht wird. Dieser Effekt schmälert den Erfolg wesentlich. Eine Überregulierung, sei es durch den Gesetzgeber oder soziale Normen, führt aber auch dazu, dass Ressourcen erst gar nicht mobilisiert werden – entweder weil Entscheidungsträger keinen Anreiz dazu sehen oder die Verwendung der Ressourcen durch Verwaltungshindernisse erschwert oder verunmöglicht wird.

Ein Überfluss an Ressourcen kann wiederum dazu führen, dass verwöhnte Topentscheider träge werden oder den Überblick verlieren, welche Ressourcen am erfolgversprechendsten eingesetzt werden können. Eine Ressourcenknappheit hingegen kann dem unternehmerischen Willen Grenzen setzen oder Entscheidungsträger zur Rechtsbeugung oder gar Rechtsverletzung motivieren. In allen genannten Fällen leidet ultimativ der wirtschaftliche Erfolg.

Was hat es jedoch mit dem eingangs erwähnten Zitat von Richard Edelmann auf sich? Warum sehen sich Führungskräfte aus der Wirtschaft heutzutage plötzlich dazu aufgerufen, Gesellschaftspolitik zu betreiben – und sich damit ein weiteres Spannungsfeld zu eröffnen? Während das Vertrauen in die etablierte politische Führung und den Journalismus spätestens seit Beginn der Coronakrise im Sinkflug begriffen ist, füllen CEOs über soziale Medien zusehends das entstehende Vertrauensvakuum und bedienen damit die Bedürfnisse einer wachsenden Anzahl von Followern. Diese meinen nämlich laut einer rezenten Studie7, die drängenden Probleme unserer Zeit könnten doch nur von Wirtschaftskapitänen gelöst werden. Diese verfügen doch scheinbar über mehr Innovationskraft, Ressourcen und Glaubwürdigkeit als das politische Establishment, oder? Ob Menschen tatsächlich ihrem Arbeitgeber eher zutrauen, sie mit glaubhaften Informationen zu versorgen und sie in eine leuchtende Zukunft zu führen, als ihrem Bundeskanzler, darf anlässlich solcher Vorgänge in der Arbeitswelt wie der „Great Resignation“ - der globalen Kündigungswelle - bezweifelt werden. Dies mag vielleicht vereinzelt für menschennahe Mittelständler gelten, aber nicht für große Konzerne. Was diese Studie allerdings tatsächlich liefert, ist eine Begründung, warum eine gute Unternehmensführung Prinzipien braucht und umgekehrt eine prinzipienbasierte Führung die Unternehmensentwicklung enorm unterstützt. Beides liefert nämlich Sicherheit, Vertrauen und Stabilität – emotionale Ressourcen also, die in unserer Welt knapp bemessen sind. Ob allerdings die ostentative Zurschaustellung von Werten und Visionen auf sozialen Medien auch bedeutet, dass diese CEOs gute Unternehmensführer sind, darf bezweifelt werden.

Was ist nun unter diesem weiten und interpretationsbedürftigen Begriff der „guten Unternehmensführung“ zu verstehen?

Dieses Buch beschreibt damit sorgfältiges und nachhaltiges unternehmerisches Handeln, welches das gesetzte Recht und allgemeingültige Ethiknormen als unverrückbare Grenzsteine für den wirtschaftlichen Erfolg akzeptiert. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass ethische Prinzipien keineswegs nur der Kitt sind, mit dem Gesetzes- oder Vertragslücken8 zugeschmiert werden. Sie erfüllen nicht bloß die Funktion eines Lückenbüßers, der greift, wenn explizite Regeln fehlen. Vielmehr muss ihnen ein höherer Stellenwert zugesprochen werden, da sie als Treiber menschlichen Verhaltens den legislativen Prozess beeinflussen und sich somit im gesetzten Recht manifestieren.

Entscheidungsträger, die diese Prinzipien der guten Unternehmensführung beherzigen, sehen sich einer fragenden und reflektierenden Haltung verpflichtet, welche sowohl die Basis für kluge Entscheidungen als auch für agile Zukunftsfitness darstellt. Diese Entscheidungs- und Zukunftsfitness kann sich allerdings nur in einer Wertekultur ausbilden, die einerseits homogen genug ist, um Kooperation zu ermöglichen, und andererseits heterogen genug ist, um eine Befruchtung durch unterschiedliche Sichtweisen zuzulassen. Gute Unternehmensführung kann daher auch als heikler Balanceakt zwischen Wertehomogenität und Werteheterogenität im Unternehmen verstanden werden. Jedenfalls zeichnet sie sich aber dadurch aus, dass sie solch existenzielle Unternehmensfunktionen wie Risikomanagement und Compliance als integrale Bestandteile wirtschaftlichen Erfolgs sieht und entsprechend fördert – anstatt sie, wie in der Praxis manchmal beobachtet werden kann, stiefmütterlich zu behandeln.9

Damit diese Funktionen wirken können und nicht als einengend - beispielsweise als unnütze Bürokratie, als Misstrauensbeweis gegenüber den Mitarbeitern oder als Geschäftsbehinderung - empfunden werden, gilt es, die Grundsätze Verantwortung, Transparenz, Fairness, Unabhängigkeit und Integrität fest in der Organisation zu verankern. Diese elementaren Faktoren der Unternehmenskultur werden im nachfolgenden Abschnitt beschrieben.

3 Eine umfassende Liste an personalen und organisationalen Werten enthält der „Werte-Assistent“ auf klareansagen.com/tools.

4 Frank Sauer: Das große Buch der Werte (2019)

5 Christoph Dietrich: Werte in der Arbeitswelt 2020 – was Arbeitnehmer und Arbeitgeber verbindet (2020)

6 Jene Werte, die in der modernen Personalführung eine wichtige Rolle spielen (wie beispielsweise Authentizität oder Empathie), werden in diesem Buch hingegen nicht näher erläutert.

7 Edelman Data & Intelligence: Edelmann Trust Barometer 2022 (2022), https://www.edelman.com/trust-barometer

8 s. dazu Axel v. Werder: Corporate Governance, in: https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/corporate-governance-28617/version-367554(27.11.2018)

9 Das Risikomanagement erfuhr jüngst gemeinsam mit dem internen Kontrollsystem eine Hervorhebung unter allen Managementsystemen. Dies ergibt sich etwa aus dem nach dem Wirecard-Skandal erlassenen Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz und dem neuen § 91 Abs. 3 dAktG (Werner Gleißner, Frank Romeike: StaRUG und FISG: Neue Aufgaben für den Aufsichtsrat, in: Der Aufsichtsrat (01/2022). Die letztere Norm gilt zwar nur für (deutsche) börsennotierte Gesellschaften, entfaltet aber Strahlkraft über diesen Kreis der Normadressaten hinaus.

1.1 VERANTWORTUNG

„Der Preis der Größe ist Verantwortung.“

(Winston Churchill)

Dass Churchill noch während seiner Amtszeit zu dieser Einsicht gekommen ist, sei ihm hoch angerechnet. Manchen Managern fällt früher, manchen später, und einigen wenigen zu spät ein, dass Macht und Verantwortung kommunizierende Gefäße sind. Die Steigerung des einen bedingt die Zunahme des anderen. Doch was bedeutet Verantwortung eigentlich?

Verantwortung entsteht dann, wenn es Entscheidungsträger sich selbst und anderen schuldig sind, dass die richtigen Dinge richtig getan werden. Als Synonyme für Verantwortung gelten daher etwa Gewissenhaftigkeit, Pflichtgefühl und Pflichtbewusstsein. Antonyme zu diesem Begriff sind etwa Nachlässigkeit, Pflichtvergessenheit oder Sorglosigkeit, woraus sich bereits der Konnex zu einer der wesentlichsten Aufgaben der Corporate Governance - nämlich der Kontrolle der Sorgfaltsausübung - ergibt. Doch dazu mehr in Kapitel 3.2.

Die zunehmende Komplexität unserer Wirtschaftsordnung und die Welle an Fusionen und Übernahmen der letzten Jahrzehnte, die immer größere Konzerne entstehen lässt, trägt wesentlich dazu bei, dass das zarte Pflänzchen der Verantwortung gerne einer Erosion der Organisationsethik zum Opfer fällt und daher unter Artenschutz gestellt werden muss. Insbesondere große Konzerne (aber auch viele Mittelständler) haben ein durch rezente Wirtschaftsskandale belegtes Verantwortungsproblem, das am besten mit dem „Eichmann-Nixon-Syndrom“10 beschrieben werden kann.

Der führende Nazi-Funktionär Adolf Eichmann war sicherlich nicht der Erste und auch nicht der Letzte, der sich in seinem Prozess mit den Worten „Ich habe nur Befehle ausgeführt“ verteidigt hat. Auf die Wirtschaftswelt übertragen bedeutet dies, dass Topmanager gerne in Versuchung geraten, ethische Bedenken zu unterdrücken und den wirtschaftlichen Interessen ihrer Investoren (und der eigenen Karriere) alles bedingungslos unterzuordnen. Trotz aller Bemühungen der letzten Jahre, eine gedeihlichere Organisationskultur in Konzernen zu etablieren, werden diese nach wie vor eher militärisch-direktiv geführt. Die Kommandokette rollt von oben nach unten und überrollt dabei berechtigte Fragen, Zweifel und Bedenken. Mit der Zeit etabliert sich eine Schreibtischhengst-Mentalität, die sich darin äußert, dass schlussendlich jeder nur das getan haben will, was ihm angeschafft wurde.

US-Präsident Nixon hat sich im Watergate-Skandal darauf ausgeredet, dass er nicht wusste und auch nicht wissen konnte, was die Personen, die seiner Befehlsgewalt unterstanden, eigentlich so trieben. Klingt bekannt? Auch in der Wirtschaftswelt treffen wir doch immer wieder auf Situationen (meistens dann, wenn eine Krisenblase platzt), in denen Investoren, Aufsichtsräte oder Aufsichtsbehörden erklären, sie könnten doch nicht im Detail wissen, was der Vorstand oder die Geschäftsführung im Schilde führen.

Beide Seiten - sowohl die Eichmanns als auch die Nixons - richten es sich somit ziemlich bequem ein, indem sie die Verantwortung für unakzeptables Verhalten mit dem Verweis auf die herrschende Organisationsstruktur und das organisationsimmanente Verwaltungsdenken rundweg ablehnen. Vielmehr noch: sowohl die Eichmanns als auch die Nixons errichten - bewusst oder unbewusst - Organisationssysteme, die für ihre verantwortungsscheuen Ausreden äußerst zweckdienlich sind. Die Konsequenz? Irgendwo zwischen der Nixon- und der Eichmannebene sitzen dann Bürokraten in Revisionsabteilungen oder Prüfungsausschüssen, welche die Verantwortung anderer Menschen lediglich formaliter prüfen. Wurden alle IKS-Fragebögen und Compliance-Checklisten ausgefüllt? Dann ist ja alles in Butter, oder etwa nicht? Mitnichten.

Die fundamentale Bedeutung der Verantwortung für die Unternehmensführung leitet sich aus der Rechtsprechung zur Schadensersatzpflicht von Organen ab. Diese setzen sich nämlich der Haftung u. a. dann aus, „wenn die Grenzen, in denen sich ein von Verantwortungsbewusstsein getragenes, […] unternehmerisches Handeln bewegen muss, deutlich überschritten sind11“.

Eine eingehende Auseinandersetzung mit Verantwortung lohnt sich daher für jeden Entscheidungsträger, nicht zuletzt aus Gründen des Selbstschutzes. Wie kann Verantwortung daher gedacht und gelebt werden?

Verantwortung leitet sich von „Antworten geben“ ab 12 und bedeutet die Übernahme einer Rechenschaftspflicht durch Entscheidungsträger. Eine gesunde, auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Verantwortungskultur weist demnach vier Dimensionen auf. Erstens müssen Führungskräfte Antworten geben können. Dies ist eine Frage der persönlichen Fähigkeiten und Kenntnisse jedes Managers. Eine Ausübung von Verantwortung ohne ein Mindestmaß an Sachverstand ist nämlich meines Erachtens nicht möglich. Die notwendigen Kernkompetenzen von Verantwortungsträgern werden in diesem Buch noch an einigen Stellen diskutiert werden. Zweitens müssen Führungskräfte antworten wollen. Dies ist eine Frage ihrer Sozialisation, also ihres durch Erziehung, Bildung und andere soziale Prägungen gewachsenen Wertegerüsts. Drittens müssen Führungskräfte antworten müssen. Dies ist eine Frage der normativen (rechtlichen und ethischen) Rahmenbedingungen, die eine Verpflichtung zur Ausübung der eigenen Zuständigkeit vorgeben. Ob und inwieweit Entscheidungsträger dieser Verpflichtung nachkommen, ist Gegenstand der Überprüfung durch Kontrollorgane, Wirtschaftsprüfer und Aufsichtsbehörden, aber nicht zuletzt durch die Zivilgesellschaft (beispielsweise im Rahmen des Whistleblowings). Viertens müssen Führungskräfte antworten dürfen. Auch diese Dimension wird durch die Rechtsordnung bestimmt, eine weitaus größere Rolle spielt in diesem Zusammenhang allerdings die Unternehmenskultur. Es geht also um die Frage, wie das Unternehmen mit seinen Führungskräften umgeht, und welchen Stellenwert es ihnen in der Hierarchie zubilligt. Dürfen Entscheidungsträger ihre Kompetenzen tatsächlich ausüben, oder bestehen diese nur auf dem Papier? Werden Manager vielleicht derart geknebelt, dass sie um Erlaubnis bitten müssen, bevor sie im Rahmen ihres Pouvoirs handeln? Insbesondere in Unternehmen mit einer streng hierarchisch-patriarchalischen Kultur oder solchen, die sich in einer Krise befinden, ist dies eine Frage von hoher Relevanz. In beiden Fällen ist in der Praxis immer wieder zu beobachten, dass Entscheidungsstrukturen aus machtpolitischen Überlegungen oder aus Misstrauen gegenüber Mitarbeitern „kopflastig“ gestaltet werden. Dies führt nicht nur zu trägen, ja gelähmten Arbeitsprozessen, sondern auch zu einer Demotivation kompetenter Leistungsträger und einer entsprechend kurzen Verweildauer in derartigen Unternehmen.

Wie „kopflastig“ darf bzw. muss die Unternehmensspitze ausgestaltet sein? Diese Frage - nämlich wie viel Verantwortung ein Aufsichtsrat übernimmt, und welche Kompetenzen bei der Geschäftsleitung verbleiben - muss mit Blick auf die Unternehmenssituation beantwortet werden. Während sich erstere, nämlich die Aufsichtsräte, im unauffälligen Normalbetrieb auf eine buchstäbliche Auslegung ihrer gesetzlichen Kompetenzen beschränken können, wird man ihnen in Krisensituationen einen größeren Handlungsradius (eventuell sogar die Übernahme eines interimistischen Vorstandsmandats) zubilligen müssen, aber auch eine erhöhte Handlungsbereitschaft verlangen dürfen. In der Krise muss ein Aufsichtsrat möglicherweise unter Ausnützung sämtlicher, ihm zur Verfügung stehender Erkenntnisquellen eigene Nachforschungen anstellen, anstatt sich auf den Vorstand zu verlassen. Ebenso kann es angebracht sein, die Zügel enger zu ziehen und dem Vorstand Zustimmungsvorbehalte aufzutragen. Setzt sich der Vorstand darüber hinweg, hat ihn der Aufsichtsrat abzuberufen. Ultimativ kann er sich sogar gezwungen sehen, sich selbst - wie bereits erwähnt - als Interimsvorstand einzusetzen, einen Insolvenzantrag zu stellen oder mit einer Strafanzeige gegen den Vorstand vorzugehen.

Um eine gesunde Verantwortungskultur in einem Unternehmen zu etablieren, stellen sich Entscheider die Frage nach den rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen für ihr wirtschaftliches Handeln. Eine gute Führungskraft ist sich der Schranken des Unternehmensrechts, des Arbeitsrechts, der internen Kompetenzordnungen, Best-Practice-Regeln, Verhaltenskodizes und internen Kontrollsysteme bewusst und vermag intuitiv zu erfassen, wann sich daraus ein Handlungsbedarf ergibt. Außerdem kann sich die gute Führungskraft zu anderen Entscheidern in ihrem beruflichen Umfeld in Beziehung setzen, um auszuloten, welche Konsequenzen ihre Handlungen oder Unterlassungen nach sich ziehen. Was passiert, wenn Manager einfach vorpreschen und ihre Kompetenzen bis zum Anschlag ausnützen? Welche Reaktionen lösen sie aus, wenn sie sich stattdessen mit Kollegen abstimmen, Rückversicherung suchen oder vielleicht sogar untätig bleiben? Die richtige Antwort auf diese Fragen gibt nicht nur Auskunft über das Verantwortungsverständnis in der Organisation, sondern kann auch die eigene Karriere retten.

Ein Unternehmen verfügt jedenfalls dann über eine gute Verantwortungskultur, wenn die Verantwortung auf jede Organisationseinheit heruntergebrochen wird, jedem Mitarbeiter seine individuelle Verantwortung klar ist, und jeder bestmöglich dafür Sorge trägt, dass die Schnittstellen zu den anderen Verantwortungsbereichen funktionieren. Insofern zeichnet sich ein verantwortungsvolles Unternehmen durch ein hohes Ausmaß an Eigenverantwortung aller Beteiligten aus und lässt Führung dort greifen, wo diese Eigenschaft noch entwickelt werden muss.

Verantwortung als Führungsaufgabe wird allerdings nicht nur dadurch ausgeübt, dass - wie eingangs erwähnt - „Antworten gegeben“ werden, also mittels Direktiven und Handlungsanweisungen von oben nach unten kommuniziert wird. Viel wichtiger ist es, dass Führungskräfte die richtigen Fragen zum richtigen Zeitpunkt im richtigen Kontext stellen. Verantwortungskultur auf höchster Stufe bedeutet somit eine Kultur des Fragens, die von Unternehmenswerten wie Offenheit, Aufgeschlossenheit, Neugier, Achtsamkeit und Sorgsamkeit lebt.

Der Zweck der Verantwortung besteht darin, ein möglichst reibungsloses, effizientes und konfliktfreies Zusammenarbeiten im Unternehmen zu ermöglichen. Erreicht werden soll dies dadurch, dass jedem Mitarbeiter seine Verantwortung bewusst gemacht wird. Wenn die individuellen Verantwortlichkeiten aller Mitarbeiter personell sowie funktionell eindeutig nachvollziehbar sind, können Erfolge und Misserfolge von Handlungen ihren Verursachern konkret zugeordnet und gemessen werden. Insofern wird dadurch ein Grundstein für ein weiteres Prinzip der guten Unternehmensführung gelegt, u. zw. die Transparenz.

Darüber hinaus kann in der Verantwortung auch das Fundament für eine funktionierende Fehlerkultur gesehen werden. Wenn individuelle Verantwortlichkeiten im Unternehmen sichtbar gemacht werden, können Erfolge angemessen entlohnt und Misserfolge angemessen sanktioniert werden. Wenn niemand verantwortlich ist (schlimmer noch: wenn sich niemand verantwortlich fühlt), wird über Fehler nicht einmal nachgedacht. Einem Qualitätsdenken wird dadurch der Boden entzogen und Verbesserungspotenziale werden nicht gehoben. Insofern stellt Verantwortung auch einen Baustein für eine gelingende Lernkultur dar, die gerade im digitalen Zeitalter elementar ist. Jenen Unternehmen, die nicht lernen, fehlt die Agilität, um Veränderungen zu trotzen. Sie sind kurzlebiger als ihre Konkurrenten und werden rascher vom Markt gefegt, da die Entwicklung von geeigneten Zukunftsstrategien unterbleibt.

Eine provokante, aber berechtigte These besagt, dass das Verantwortungsprinzip eine Restriktion für die Unternehmensgröße darstellt13. Wie hängt das Eine mit dem Anderen zusammen, und wie kommt es zu dieser Annahme?

Die Fusionswelle der letzten Jahre ließ immer größere Konzerne mit einer außerordentlichen wirtschaftlichen und politischen Machtfülle entstehen. Bereits die Finanzkrise 2008 bis 2015 lehrte uns (leider nur in Bezug auf Banken), dass es kein „too big to fail“ geben darf. Keine Bank sollte derart systemrelevant sein, dass ihre Größe zwingend und gemäß der damals herrschenden politischen Logik eine staatliche Intervention im Krisenfall rechtfertigt. Für notleidende Banken wurde damals ein eigener Abwicklungsmechanismus14 geschaffen, um die Staatsfinanzen zu schonen, während Nichtbanken in den letzten Jahren mit der größten Selbstverständlichkeit unter Heranziehung des Arguments der Systemrelevanz (oder auch ohne Vorliegen dieser Eigenschaft15) gestützt wurden.

Die Sinnhaftigkeit der M&A-Welle wurde in den letzten Jahrzehnten vielfältig und reichhaltig argumentiert. Man führte beispielsweise Diversifikation, Risikostreuung, Profitcenter-Organisation, Konzentration auf die Kernkompetenzen, Hebung von Synergien oder Marktbeherrschung ins Treffen. Wachstum hatte eine ausschließlich positive Konnotation, Größe war Trumpf. Unter der optimalen Unternehmensgröße verstand man jene, die eine Produktion zu den geringsten Stückkosten erlaubte. Nachhaltigkeitsüberlegungen wurden in den Wirtschaftswissenschaften des 20. Jahrhunderts kaum angestellt.

Erst in unserer Zeit beginnen wir uns berechtigterweise zu fragen, ob „big“ zwangsläufig „beautiful“ ist. Leiden durch eine überstreckte Größe nicht eher die Organisationsfähigkeit und die Führungsqualität? Es muss die Frage erlaubt sein, ob wir uns statt mit der optimalen Unternehmensgröße nicht eher mit der maximal führbaren Organisationsform und -struktur beschäftigen sollten. Nicht zuletzt die umfassende Organhaftung der Vorstände sowie das Unternehmensstrafrecht, das in den letzten Jahren immer restriktiver wurde, liefern dafür einleuchtende Argumente. Wenn sich Unternehmen ab einer bestimmten Größe als nicht mehr führbar erweisen, können sie auch nicht mehr verantwortungsvoll überwacht werden. Die Führungsspanne - so die These - ist dann derart enorm, dass zwangsweise eklatante Wissens- und Kontrollmängel im Management entstehen (siehe dazu auch Kapitel 4.14).

Verantwortungsvolle Entscheidungsträger sehen sich in der Pflicht, die „richtigen Dinge richtig zu tun“, wie eingangs erwähnt wurde. Nachhaltigkeit und Zukunftsfitness können nur mit solchen Personen an der Spitze erreicht werden. Ganz zu schweigen davon, dass sie die beste Rechtsschutzpolizze für sich selbst und ihr Unternehmen sind.

So wichtig die Verantwortung in der Ausübung von Führungsaufgaben auch sein mag, so eröffnet ihre übertriebene Betonung aber auch ein Spannungsfeld, das am besten mit einem Zitat von Friedrich Schiller umrissen wird: „Wer gar zu viel bedenkt, wird wenig leisten“. Entscheidungsträger, die den Fokus nämlich exklusiv auf die Einhaltung von Rechtsnormen und Sorgfaltspflichten legen, sind tendenziell wenig pragmatisch, was zulasten des unternehmerischen Erfolgs geht. Entscheidungsträger, die sich hingegen über Rechtsnormen und Sorgfaltspflichten hinwegsetzen, machen sich haftbar oder gefährden sogar den Bestand ihres Unternehmens.

Erfolgreiche Führungskräfte sind daher unter anderem daran zu erkennen, dass sie ihre Unternehmen geschmeidig zwischen diesen gefährlichen Extremen hindurch navigieren.

10 Bruce Mathers: The Eichmann-Nixon syndrome bedevils large companies; in: Financial Times (13.11.2018)

11 Urteil des deutschen BGH: BGHZ 135, 244, 253

12 Bernd Schmid, Arnold Messmer: Systemische Personal-, Organisations- und Kulturentwicklung – Konzepte und Perspektiven (2009)

13 Manuel Theisen: Too big to…, in: Newsletter zu Der Aufsichtsrat (14.12.2021)

14 Der europäische Single Resolution Mechanism (SRM) und entsprechende nationale Gesetze in der Eurozone.

15 Die Rettung der deutschen Fluglinie Condor beispielsweise war gemäß EuG v. 18.5.2022 – T-577/20 unionsrechtskonform. Ihre Systemrelevanz war dafür nicht ausschlaggebend.

1.2 TRANSPARENZ

„Transparency increases the cost of hiding the truth.“

(Don Peppers, Martha Rogers)

Eröffnet die Transparenz den Weg zur Wahrheit? Oder erschwert sie den „bad guys“ lediglich die Verschleierung verbotener Geschäfte, wie uns das resignative, ja fatalistische Eingangszitat weismachen möchte? Transparenz wird generell mit Nachvollziehbarkeit, Verständlichkeit oder Offenheit gleichgesetzt. Speziell in der Sprache der Corporate Governance wird dieser Begriff allerdings auch in Zusammenhang mit anderen Fachausdrücken, wie etwa Bilanzwahrheit oder Revisionssicherheit, verwendet. Als Antonyme hingegen gelten Undurchsichtigkeit, Verschleierung oder Geheimhaltung.

Die Maschinenbau GmbH ist ein mittelständisches Unternehmen, das dank technischer Innovationen am Markt punkten und wachsen kann. Doch wie soll dieses Wachstum finanziert werden? Diese Frage stellt das patriarchalisch geführte Familienunternehmen vor eine Herausforderung. Sollen Eigenmittel aus dem Familienvermögen zugeschossen werden? Will man eine Mittelstandsanleihe begeben? Oder wieder ein Schuldscheindarlehen? Dieses Finanzinstrument ist simpel, hat sich bereits bewährt und passt zur verschwiegenen Firma. Der Geschäftsführer, das Familienoberhaupt, lässt sich von der Hausbank zu einer Ratingberatung breitschlagen. Das Unternehmen hätte wohl gute Chancen, am Kapitelmarkt zu reüssieren, allerdings müsste es sich dafür transparenter aufstellen. Dieser Befund lässt das Klima im Besprechungsraum eisiger werden. „Transparenz?“, knurrt der Geschäftsführer mürrisch und wendet sich an seine Assistentin. „Dann fangen wir mal damit an, die Jalousien hochzuziehen, Frau Maier – und sagen Sie meinem Sohn, er soll wieder was auf Facebook posten. Das kommt immer gut.“

Die Forderung nach Transparenz schürt Argwohn und Ablehnung bei vielen Unternehmern. Groß ist die Angst vor unerwünschten Nebenwirkungen (wie etwa Steuernachzahlungen) oder Ereignissen, die man schwer beherrschen kann (z. B. aktivistische Interessengruppen am Firmengelände). Wie kann Transparenz daher gedacht werden? Was soll dadurch erreicht werden? Welchen Nutzen birgt sie?

Transparenz stellt jedenfalls keinen Wahrheitsanspruch, denn Wahrheit ist eine subjektive Wirklichkeitskonstruktion. Vielmehr versucht sie eine Annäherung an die Wahrheit, indem sie Informationen liefert, die von einer Vielzahl an Menschen als richtig, wichtig, vernünftig, zweckmäßig oder sinnvoll gehalten werden. Die wichtigste Aufgabe der Transparenz besteht somit nicht darin, logikbasierte Daten und Fakten zu schaffen, sondern diese so zu verknüpfen, dass sie möglichst vielen Menschen als Orientierungshilfe dienen. Transparenz erleichtert somit den Zugang zum individuellen Sinn des wirtschaftlichen Handelns, und je mehr Menschen diesen erkennen, desto vertrauensvoller und intensiver kooperieren sie im Hinblick auf die Zielerreichung. Kurz gesagt: Transparenz schafft Sinngehalt und Vertrauen.

Im Kontext der Unternehmensführung bedeutet Transparenz, dass Handlungen und Entscheidungen für interne Kontrollinstanzen (z. B. die Revision) und externe Akteure (Wirtschaftsprüfer, Aufsichtsbehörden etc.) nachvollziehbar sein müssen. Ebenso sollen berechtigte Informationsbedürfnisse von unternehmensexternen Anspruchsgruppen befriedigt werden. Allerdings ist damit weder gemeint, dass es keine Geschäftsgeheimnisse mehr geben soll, noch, dass jedermann das Recht hat, alles über alle zu wissen. Vielmehr ist eine angemessene Informationspolitik gegenüber allen Stakeholdern geboten, ohne jedoch die Interessen des eigenen Unternehmens zu gefährden. Das Transparenzgebot der Corporate Governance verlangt Entscheidungsträgern daher einerseits Rechtswissen und andererseits kommunikatives Geschick (besonders in den sozialen Medien) ab. Beides ist insbesondere vor dem Hintergrund der Sanktionen des Wertpapier- und Börsenrechts besonders wichtig, um einschätzen zu können, was wann wie gesagt werden darf bzw. soll. Diese Rechtsmaterien setzen einer transparenten Unternehmenskommunikation nämlich enge Grenzen, um Marktmanipulation zu verhindern, und sind ein Beispiel dafür, dass das Transparenzgebot unter Umständen mit einem rechtlich normierten Diskretionsgebot konkurrieren kann.

Warum ist Transparenz besonders wichtig, und wie verhält sie sich zu anderen Prinzipien der guten Unternehmensführung? Erstens führt Transparenz zu Informationsfreiheit und schafft damit die Basis für die Überprüfung von Verantwortung. Zweitens entsteht durch frei verfügbare Informationen Chancengleichheit – insofern weist Transparenz einen Konnex zum Gebot der Fairness auf, mit dem wir uns in Kapitel 1.3 beschäftigen werden. Drittens wohnt dem Transparenzgebot eine erzieherische Hygienefunktion inne, die eine redliche und integre Geschäftsgebarung bewirken will – davon mehr in Kapitel 1.6.

Der größte Vorteil für ein Unternehmen besteht jedoch darin, dass Transparenz - wie bereits oben erwähnt - Vertrauen entstehen lässt, wodurch ein wesentlicher Grundstein für eine nachhaltige Geschäftsentwicklung gelegt wird. Durch eine transparente Kommunikation Vertrauen auszustrahlen, sollte im eigenen Interesse jeder Führungskraft liegen, denn wenn die Menschen Entscheidungsträgern vertrauen, billigen sie ihnen auch Kompetenz zu. Dies führt dazu, dass Strategievorgaben und operative Arbeitsanweisungen zwar vielleicht kritisch hinterfragt, aber nicht argwöhnisch hintertrieben werden. Insofern leistet Transparenz einen Beitrag zur Verhinderung und Entzauberung von Verschwörungstheorien, die insbesondere in Transformationsprozessen gerne Platz greifen. Überhaupt kann Transformation nur gelingen, indem Entscheidungsträger Transparenz walten lassen, denn Klarheit schafft Orientierung, und Orientierung schafft Bewegung, wie Organisationsexperten wissen. Wollen Entscheider erreichen, dass die Stakeholder ihres Unternehmens eine zielorientierte Mobilität entwickeln, also Missionen leidenschaftlich mittragen und Visionen freudig ansteuern, achten sie daher in besonderem Maß auf die Verwirklichung dieses bedeutenden Prinzips der guten Unternehmensführung16.

Woran erkennen Stakeholder, dass es sich um ein transparent geführtes Unternehmen handelt? Welche Merkmale stechen auf den ersten Blick hervor? Die sichtbarste Form der Verwirklichung dieses Prinzips besteht in einer entsprechenden Gestaltung von Auswahlprozessen, z. B. für Personal, Lieferanten oder Berater. Die spürbarste Form stellt jedoch eine transparente Führungskommunikation - sowohl auf strategischer als auch auf operativer Ebene - dar. Sie macht Transparenz für jedermann im Alltag erlebbar, indem Entscheidungen nicht bloß dekretiert, sondern auch ausreichend begründet und einer offenen Diskussion zugänglich gemacht werden.

Was die Unternehmenskommunikation angeht, sei darauf hingewiesen, dass Transparenz per se keineswegs ausreichend ist, um in der Öffentlichkeit Vertrauen zu erwecken. „CEOs are held back in talking, by their legal teams, their communications teams, their PR teams. They have this polished, you know, bullshit kind of communication“, so der Tweet einer britischen Ethikerin.17 Sie spricht damit an, was viele denken, und was zu erhöhter Nervosität in Vorstandsetagen rund um den Globus führt: Menschen fallen heutzutage nicht mehr auf inhaltsleere Floskeln herein, die zwar auf Hochglanz getrimmt sind, aber vor strategischer Doppeldeutigkeit und taktischen Halbwahrheiten nur so strotzen. Transparente Kommunikation bedarf daher einer weiteren Ingredienz, um Wirkung zu entfalten: sie muss authentisch sein. Bei der Authentizität handelt es sich um eine Eigenschaft, die wir aktuell sowohl in der Politik als auch in der Wirtschaft, in den Medien und in zwischenmenschlichen Beziehungen besonders vermissen, und nach der es uns daher geradezu sehnsüchtig verlangt.18 Vielleicht befeuert gerade unser Streben nach verloren geglaubter Authentizität, Wahrheit und Echtheit unser Bedürfnis nach umfassender Transparenz. Meines Erachtens stehen die vorgenannten Begriffe jedenfalls in Beziehung zueinander.

Welche Spannungsfelder tun sich nun für unsere Topmanager im Zusammenhang mit Transparenz auf? Ausgehend von der angloamerikanischen Wirtschaftswelt und getrieben durch aktivistische Finanzmarktinvestoren einerseits, sowie gesellschaftspolitische Anspruchsgruppen, soziale Medien und einen generellen Trend zum Hinterfragen von Autoritäten andererseits, sieht sich auch die kontinentaleuropäische Wirtschaft einem zunehmenden Transparenzdruck ausgesetzt. Der Gesetzgeber verpflichtet vor allem börsennotierte Unternehmen dazu, ihre Finanzgebarung, aber auch ihre Nachhaltigkeitsbemühungen transparent darzulegen. Normen wie beispielsweise die europäische Hinweisgeber-Richtlinie oder das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, aber auch die Antikorruptionsinitiativen der letzten Jahre stellen lediglich einige Beispiele für legislative Bemühungen19 dar, die eine möglichst umfassende Transparenz zum Ziel haben. Auch Corporate Governance Kodizes 20 verfolgen diesen Zweck seit Jahrzehnten. Entscheidungsträger befinden sich daher in einem Spannungsfeld zwischen der berechtigten Wahrung von Geschäftsinteressen und Betriebsgeheimnissen auf der einen Seite, sowie rechtlichen Transparenzpflichten und dem Informationsdruck der breiten Öffentlichkeit auf der anderen Seite. Der selbstauferlegte Druck zu aggressivem Social-Media-Marketing, dem sich viele Entscheidungsträger heutzutage aussetzen, kann durchaus zur Verschärfung dieses Spannungsfelds beitragen.

Die Auseinandersetzung mit sämtlichen Aspekten der Transparenz ist jedenfalls aktuell eine der größten Herausforderungen für Entscheidungsträger – nicht nur in Konzernen, sondern auch in kleinen und mittelständischen Unternehmen. Auch für diese traditionell öffentlichkeitsscheuen Organisationen geht es längst nicht mehr nur darum, ob externen Stakeholdern Einsicht und Mitsprache gewährt werden21, sondern wie und in welchem Ausmaß dies geschieht.

16 Zur Gestaltung von Transformationsprozessen s. a. die „Checkliste für Change Leader“ auf klareansagen.com/tools.

17 Alison Taylor, Posting auf twitter.com (21.11.2021)

18 Christoph Dietrich: „Werte in der Arbeitswelt 2020“ (2020); speziell in Bezug auf Authentizität, Populismus und aktuelle Mängel in der politischen Kultur s. a. die universell gültige Analyse des britischen Ex-Ministers und nunmehrigen Beraters Rory Stewart: Britain needs a new era of serious leaders, in: Financial Times (21.1.2022).

19 Weitere (deutschrechtliche) Beispiele zur Verbesserung der Transparenz stellen das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (dKonTraG), das Transparenz- und Publizitätsgesetz (dTransPuG), das Bilanzrechtsreformgesetz (dBilReG) und das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (dBilMoG) dar.

20 s. Präambeln zum ÖCGK und DCGK.

21 Nach Ansicht des Autors könnte beispielsweise der deutsche Governance Kodex für Familienunternehmen (dGKFU) die Vorteile der Transparenz stärker hervorheben.

1.3 FAIRNESS

„Fairness is man´s ability to rise above his prejudices.“

(Wesley Fesler)