Speak No Evil – Hass soll dich zerstören - Allison Brennan - E-Book

Speak No Evil – Hass soll dich zerstören E-Book

Allison Brennan

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Beschreibung

Er wird sie für immer zum Schweigen bringen

Am Strand von San Diego wird die Leiche der achtzehnjährigen Angie Vance gefunden - brutal ermordet. Detective Carina Kincaid verdächtigt Angies Ex-Freund, das schreckliche Verbrechen begangen zu haben. Der aber beteuert seine Unschuld und bittet seinen älteren Bruder, Sheriff Nick Thomas, um Hilfe. Widerwillig akzeptiert Carina, dass Nick sich einmischt. Ihr ist klar: Sie müssen zusammenarbeiten, wenn sie den Killer noch rechtzeitig fassen wollen. Denn dieser hat sein nächstes Opfer schon im Visier ...

Der packende Auftakt zu Allison Brennans No-Evil-Trilogie erstmals als eBook. Ein grausamer Serienkiller und ein ungleiches Ermittlerpaar, bei dem es knistert.

eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung.

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Seitenzahl: 513

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Inhalt

Cover

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Widmung

Prolog

1

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Danksagung

Über dieses Buch

Am Strand von San Diego wird die Leiche der achtzehnjährigen Angie Vance gefunden – brutal ermordet. Detective Carina Kincaid verdächtigt Angies Ex-Freund, das schreckliche Verbrechen begangen zu haben. Der aber beteuert seine Unschuld und bittet seinen älteren Bruder, Sheriff Nick Thomas, um Hilfe. Widerwillig akzeptiert Carina, dass Nick sich einmischt. Ihr ist klar: Sie müssen zusammenarbeiten, wenn sie den Killer noch rechtzeitig fassen wollen. Denn dieser hat sein nächstes Opfer schon im Visier ...

Über die Autorin

Allison Brennan ist fest überzeugt, dass das Leben zu kurz ist, um sich zu langweilen. Deshalb bekam sie fünf Kinder und schreibt drei Bücher im Jahr. Nachdem sie dreizehn Jahre lang als Justizberaterin in Kalifornien gearbeitet hat, hat sie nun schon mehr als drei Dutzend Thriller und romantische Thriller veröffentlicht und ist New-York-Times- und USA-Today-Bestsellerautorin. Heute lebt Allison Brennan mit ihrem Mann und ihren Kindern in Nordkalifornien.

Allison Brennan

Speak No Evil – Hass soll dich zerstören

Aus dem Amerikanischen von Sabine Schilasky

Digitale Erstausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2007 by Allison Brennan

Published by Arrangement with Allison Brennan

Titel der amerikanischen Originalausgabe: »Speak No Evil«

Originalverlag: Ballantine Books, New York

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Für die deutschsprachige Erstausgabe:

Copyright © der deutschen Übersetzung 2009 by Verlagsgruppe Random House GmbH

Verlag: Diana Verlag, München

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Lektorat/Projektmanagement: Johanna Voetlause

Covergestaltung: Guter Punkt, München unter Verwendung von Motiven © Getty Images/ IrinaBort; Getty Images/ ivandzyuba

eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 978-3-7325-9032-2

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Für Trisha McKay Richins,meine gute und verlässliche Freundin und der erste Mensch, dem ich meine Geschichten zum Lesen zu geben wagte.

Prolog

Ganz am Anfang hatte sie sein Gesicht gesehen und sofort gewusst, dass er sie nicht am Leben lassen würde.

Sie konnte ihn nicht einmal darum anflehen, denn er hatte ihr den Mund zugeklebt. Sie konnte weder betteln noch an seine Menschlichkeit appellieren, denn die besaß er gar nicht. Warum hatte sie das nicht früher begriffen? War sie so blind gewesen, dass sie den Hass, die Wut, die kranke Lust in seinem Blick nicht sah?

Sie hatte ihm vertraut, weil sie keinen Grund gehabt hatte, es nicht zu tun. Und dennoch, wenn sie ihn jetzt ansah, erkannte sie das Böse, das er so lange so gut verborgen hatte.

Der Schmerz, der sie zwei Nächte lang wach gehalten hatte, ließ nach, und ihr Körper war wie betäubt von den Misshandlungen. Aber sie dachte weder daran noch an ihn, sondern zog sich ganz in sich selbst zurück und erinnerte sich, wie sie im Meer geschwommen war, wie sie mit ihren Freunden geplaudert hatte oder wie stolz ihre Mutter gewesen war, als sie ihren Highschool-Abschluss mit Auszeichnung bestand.

Brennende Tränen liefen ihr über die Wangen.

Es tut mir so leid, Mom.

Einmal hatte er sie losgebunden, um sie zu baden. Da war sie bereits zu schwach gewesen, um wegzulaufen, zu müde, um sich auch nur gegen ihn zu wehren. Als er sie mit Seife abschrubbte, hatte der entsetzliche Schmerz sie aufschreien lassen, doch es war nur ein tiefes Rasseln in ihrem Brustkorb gewesen, das hinter ihren verklebten Lippen gefangen blieb.

»Ich muss dich waschen«, hatte er vollkommen ruhig gesagt. »Nur für den Fall.«

Für welchen Fall? Das Wasser tat ihr weh, aber es weckte sie auch aus ihrer Trance von Schmerz und Verzweiflung. Vielleicht gab es noch eine Chance. Vielleicht konnte sie fliehen. Wenn sie nur schreien könnte, würde jemand kommen. Oder nicht?

Er trug sie zu dem Bett zurück, das nach ihrem Blut, ihrem Urin und Schlimmerem stank. Als sie sich mit letzter Kraft aufrichtete, weglaufen wollte, gaben ihre Beine nach, und sie fiel zu Boden. Mit einem befremdlich rauen Lachen verhöhnte er ihren schwächlichen Fluchtversuch, bevor er sie vollkommen mühelos hochhob und aufs Bett fallen ließ.

In dem Moment sah sie den Müllsack.

Nein!

Sie hörte sich selbst, auch wenn sie niemand sonst hören konnte, als er ihr den Plastiksack über den Kopf zog. In einem letzten Aufbäumen wehrte sie sich, sodass der Beutel zerriss.

Klatsch.

Der Schmerz auf ihrem Gesicht war nichts verglichen mit dem, was sie bereits hatte ertragen müssen, doch sie war ihm kräftemäßig einfach nicht gewachsen. Ein neuer grüner Müllsack glitt über ihr Gesicht. Sie versuchte, die Luft anzuhalten, konnte es aber nicht. Etwas anderes wurde ihr über die Beine gezogen, und sie verlor langsam das Bewusstsein. Nur noch entfernt nahm sie wahr, wie ihr Körper eingeschnürt wurde. Sie fühlte sich federleicht.

Der Tod war ihr Entkommen. Er musste etwas Besseres als das hier bereithalten. Ja, wenn sie erst tot wäre, würde es heller werden, würde sie glücklicher sein.

Sie spürte ein schweres Gewicht auf sich. Er. Er lag auf ihr, und sie konnte nicht atmen.

Plastik schmiegte sich dicht an ihre Nase, und ihre Brust wurde schmerzhaft eng.

Keine Luft ...

Sie konnte sich nicht wehren, obwohl ihr Körper es versuchte. Ihre Beine strampelten kraftlos, ihre Finger krallten sich in das glatte Material.

Ich bin so müde. Ich kann nicht.

In dem kurzen Moment zwischen Leben und Tod, als ihr Körper noch kämpfte, ihr Verstand jedoch schon wusste, dass es keine Hoffnung mehr gab, erfüllte sie plötzlich ein seltsamer Frieden.

Es tut mir leid, Mom.

1

Ihr Tod war kein leichter gewesen.

Carina Kincaid, Detective der Mordkommission, starrte auf den toten, nackten Körper der jungen Frau, vermied es allerdings, in das verzerrte Gesicht mit den weit aufgerissenen Augen zu blicken. Sie war geknebelt. Was Carinas Aufmerksamkeit aber vor allem fesselte, war das Wort Schlampe, das in schwarzen Buchstaben quer über ihrer Brust prangte. Auf der linken Brust war eine kleine Tätowierung, die eine Rose darstellte.

Das Opfer lag in einer verdrehten Embryonalhaltung, hatte getrocknetes Blut an den Beinen und schlimme rote Schwellungen auf beiden Brüsten, die sexuelle Misshandlungen vor Eintritt des Todes erkennen ließen. In Kalifornien konnte das die Todesstrafe für den Täter bedeuten. Und wenngleich Carina es durchaus gerecht fand, wenn derjenige starb, der das hier zu verantworten hatte, so machte es die unbekannte Tote doch nicht wieder lebendig.

Für einen Moment wandte sie den Blick von der Leiche ab und hin zu den Wellen, die geradezu absurd beruhigend auf den Strand schwappten – vor und zurück. Carinas Wangen brannten von der kühlen morgendlichen Salzluft, auch wenn sie wusste, dass sie bereits in wenigen Stunden, wenn die Sonne über San Diego stand, in ihrer Jacke schwitzen würde.

Als sie mit Jim Gage, dem Kriminaltechniker des San Diego Police Department, am Tatort eintraf, hatten sie als Erstes notiert, dass die Beweise kontaminiert waren. Die drei dicken Schichten aus extrastarken grünen Müllsäcken, in welche die Leiche gehüllt war, hatte ein Park Ranger aufgeschnitten, nachdem er vergeblich versucht hatte, den »Müll« wegzutragen. Was hatte er sich bloß dabei gedacht?

»Ich habe doch nicht geahnt, dass da eine Leiche drin ist«, sagte er zu Carina, als sie ihn befragte.

Jims zusammengekniffenen Lippen nach zu urteilen, war er stinksauer, aber erwartungsgemäß sagte er kein einziges Wort. Jim sagte überhaupt nie etwas, was einer der Hauptgründe war, weshalb Carina sich im letzten Jahr von ihm getrennt hatte. Mit seinen Launen konnte sie umgehen, immerhin hatte sie vier Brüder und gelernt, mit fast allem klarzukommen, doch Jims Weigerung, über das zu reden, was ihm zu schaffen machte, sei es bei der Arbeit oder privat, war ein echter Beziehungskiller.

Vielleicht war aber auch einfach ihre Liebe nicht stark genug gewesen.

Carina drehte sich um, als sie einen Wagen herankommen hörte. Der Van des Leichenbeschauers bog auf den leeren Parkplatz ein, und ein kleiner, schlanker, gut gekleideter Asiat stieg aus. Der stellvertretende Coroner Ted Chen war ein Perfektionist. Carina begrüßte es immer wieder, wenn er an einem ihrer Fälle arbeitete, obschon sie sich ihm gegenüber bisweilen etwas unsicher fühlte. War er der zugeteilte Gerichtsmediziner, überprüfte sie ihre Berichte stets dreimal, weil sie nach elf Jahren in dem Job nicht wie eine blutige Anfängerin dastehen wollte.

»Dr. Chen ist da«, sagte sie zu Jim.

»Hmm.« Jim fotografierte zunächst die Leiche und die Tatortumgebung zu Ende, ehe er sich aufrichtete und Dr. Chen entgegensah, der über den Strand auf sie zukam. »Hallo Ted.«

»Gage. Detective.« Chen nickte in Richtung des Opfers. »Wurde die Leiche so gefunden?«

»Nein, die Müllsäcke waren heil. Der Park Ranger hat sie aufgeschnitten.«

»Und warum das?«

Jim nahm seine Metallrandbrille ab und rieb sich mit dem Unterarm über die Augen. »Er hat gedacht, da ist Müll drin, und wollte ihn in mehreren Touren zum Container schaffen.«

Chen schüttelte angewidert den Kopf. Seine ohnehin schon schmalen Lippen waren jetzt nur noch zwei dünne Linien. Vorsichtig kniete er sich vor die Leiche, wobei er penibel darauf achtete, dass keine weiteren Sandkörner in den offenen Müllsack rieselten. »Sie ist erstickt«, bemerkte er ruhig.

»Sie meinen, sie wurde lebend in den Sack gepackt?«, fragte Carina.

»Sieht so aus, aber wir müssen den Müllsack erst im Labor haben, um es mit Sicherheit sagen zu können«, antwortete Chen. »Sehen Sie die Hautverfärbung?« Das Opfer wirkte bläulich, fast violett. »Kein Sauerstoff. Und keine Strangulationsmale am Hals, kein Blut in den Augen oder Ohren, das auf Erwürgen hindeuten würde. Nach der Autopsie kann ich Ihnen Genaueres sagen.« Er sah auf seine Uhr. »Ich habe heute Vormittag drei Autopsien, aber heute Nachmittag kann ich diese hier dazwischenschieben.«

»Danke, Dr. Chen. Damit ist mir sehr geholfen.«

»Ich habe sie dann also um zwei auf dem Tisch.«

Carina nickte und merkte, dass Jim sie anstarrte, auch wenn sie nicht erkennen konnte, was in ihm vorgehen mochte. »Kommst du auch dazu?«, fragte sie ihn.

»Warten wir ab, wie weit mein Team mit den Müllsäcken kommt. Wir sind sowieso schon überlastet.«

Kein Wunder. Im Gegensatz zu dem, was man in den abendlichen Fernsehserien sah, wurden die meisten Beweise erst bearbeitet, nachdem ein Verdächtiger gefasst und ein Gerichtstermin anberaumt wurde. Die Mühlen der Justiz trieben die Zahnräder der Labors an, nicht umgekehrt.

Carina zwang sich, der Toten ins Gesicht zu sehen, während Chen und Jim sie für den Transport zur Gerichtsmedizin vorbereiteten. Sie sah so jung aus, achtzehn vielleicht. War sie eine Studentin? Es gab zwei Universitäten, die beide nur einen Steinwurf vom Strand entfernt lagen. Vielleicht ging sie aber auch noch auf die Highschool.

Carina dachte an ihre kleine Schwester. Nun ja, klein war Lucy eigentlich nicht mehr. Sie war im letzten Highschool-Jahr und begabt genug, um nach dem Abschluss die freie College-Wahl zu haben. Ihre Eltern wünschten, dass sie in der Nähe blieb, während Lucy so weit weg wie möglich wollte. Da Carina um die Gefahren wusste, die ein College-Campus mit sich brachte, schlug sie sich bei diesem Thema ausnahmsweise auf die Seite ihrer Eltern.

Vor vierzehn Jahren hatte sie genauso gedacht wie Lucy. Auch sie konnte es kaum erwarten, nicht mehr unter der Fuchtel ihrer Eltern zu stehen. Aber das war, bevor sie sich entschied, Polizistin zu werden, und bevor sie erkannte, wie gefährlich die Stadt sein konnte. Und bevor sie begriff, dass die Justiz nicht immer zügig arbeitete und das System keineswegs zuverlässig funktionierte.

Inzwischen wusste sie auch, dass manche Morde niemals aufgeklärt wurden.

Sie wandte sich vom Leichenfundort ab und starrte wieder hinaus auf den Pazifik, wobei sie unbewusst die Arme um ihre Taille schlang. Wie fast an jedem Tag erwartete man auch heute ein gemäßigtes Klima für San Diego. Der kühle Morgenwind, der hier an der Küste blies, löste ein paar dunkle Locken aus dem geflochtenen Zopf, den sie bei der Arbeit trug. Im Moment herrschte Ebbe, und die sich zurückziehenden Wellen waren klein und verspielt. Die Muscheln und Steine reflektierten den Sonnenaufgang hinter Carina, während der Ozean noch dunkel und geheimnisvoll wirkte. Ein Paar früher Jogger, ein Mann und eine Frau, trabten über den festen Sand.

War das Mädchen hier an diesem ruhigen, sauberen Strand ermordet worden? Oder hatte man es schon tot hergebracht?

Carina tippte auf Letzteres, aber das sollten die Experten klären.

»Ich schätze, dass sie tot hier abgelegt wurde«, sagte Jim. »Es gibt keinerlei Anzeichen für einen Kampf. Andererseits ist der Fundort natürlich kontaminiert worden.« Er sah sich auf dem Sand um, wo die Spuren seine Aussage bestätigten.

Carina folgte seinem Blick zum Parkplatz am Strand. Auf dem Highway dahinter setzte der morgendliche Pendlerverkehr ein. Dutzende kleiner, unverschämt teurer Häuser säumten die gegenüberliegende Seite der Straße. Ein paar Hundert Meter weiter nördlich war eine Einkaufszeile am Strand, wo es mehrere gut besuchte Restaurants sowie eine Bar gab, die besonders bei College-Studenten beliebt war. Selbst am Sonntag dürfte sie bis zur gesetzlich vorgeschriebenen Sperrstunde um zwei Uhr nachts geöffnet gewesen sein.

Das musste nicht zwangsläufig heißen, dass die Leiche nicht vor zwei hier abgelegt wurde, aber von ihren College-Tagen und ihren Jahren auf Streife wusste Carina, dass gerade an diesem Strandabschnitt bis in die frühen Morgenstunden reger Betrieb herrschte. Folglich hätte es mit Sicherheit jemand bemerkt, wäre vor zwei Uhr ein so großer Müllsack hier deponiert worden.

Und für gewöhnlich legten Mörder ihre Opfer erst dann ab, wenn sie relativ sicher sein konnten, dass sie dabei nicht beobachtet wurden.

Obwohl Carina nicht ausschließen konnte, dass das Mädchen früher hergebracht wurde, sagte ihr die Logik, dass es wahrscheinlich zwischen drei und fünf Uhr abgelegt worden war. Die Pendler waren früh unterwegs, und ab etwa halb sechs herrschte auf dem Highway Verkehr. Außerdem war es seit ungefähr einer halben Stunde hell.

»Können Sie schon sagen, wann sie gestorben ist?«, fragte sie Chen.

Er hockte immer noch vor der Leiche und sah zu Carina auf. »Es haben sich noch keine Leichenflecke gebildet, und es ist offensichtlich, dass sie bewegt wurde. 30,1 Grad Körpertemperatur, aber ich weiß nicht genau, wie sie eingewickelt war, und die Müllsäcke wirken sich mit Sicherheit auf den Temperaturverlust aus.« Er blickte fragend zu Jim.

»Ich überprüfe das«, sagte Jim. »Die Säcke können bestimmt Temperatur halten, aber wohl nicht lange.«

Chen nickte. »Das würde bedeuten, dass sie vor vier bis zwölf Stunden gestorben ist, wobei ich die Todeszeit eher auf vier bis acht Stunden einschränken würde, weil die Leichenstarre noch nicht vollständig eingesetzt hat. Ihre größeren Muskeln sind immer noch beweglich.«

Carina notierte sich: zwischen 22:00 und 2:00 Uhr. Er hat das Mädchen irgendwo anders umgebracht – in einem Auto? Im Wald? In einem Haus? An einem abgelegenen Strandabschnitt? Den letzten Gedanken verwarf sie sofort wieder, denn in diesem Küstenbereich gab es keine abgelegenen Stellen, und wegen der Colleges in der Nähe patrouillierte die Polizei hier regelmäßig.

Jemand tötet sie, verfrachtet sie in seinen Wagen und transportiert sie an einen öffentlichen Strand, wo ihre Leiche höchstwahrscheinlich sehr bald entdeckt wird.

»Arrogant«, murmelte sie.

»Wie bitte?«, fragte Jim.

»Der Mörder. Er ist arrogant. Er legt ihre Leiche hier ab, wo wir sie schnell finden. Er ist felsenfest davon überzeugt, dass wir ihn nicht schnappen, hält sich also für verdammt schlau.«

»Kehrst du mal wieder die Psychologin raus, Carina?« Jim machte sich über sie lustig, aber sie verdrehte nur lächelnd die Augen. Jim wusste, dass sie gerade mal einen einzigen Psychologiekurs besucht hatte.

Sie ging hinüber zu den Uniformierten und wies sie an, Nachforschungen in der näheren Umgebung anzustellen. »Fangt mit den Häusern drüben an der Straße an, fragt die Leute, ob irgendjemand was Ungewöhnliches nach zehn Uhr gestern Abend und vor fünf Uhr heute Morgen bemerkt hat. Ein verdächtiges Auto, merkwürdige Geräusche, Leute am Strand. Danach fragt ihr in den Läden weiter hinten an der Straße, wann sie öffnen. Achtet besonders auf die, die abends nach acht noch offen haben, Clubs und Bars vor allem.«

Als sie zu Jim und Chen zurückging, hörte sie einen Wagen auf den kiesbedeckten Parkplatz rollen. Ihr Partner Will Hooper sprang heraus und kam über den Strand auf sie zu.

Jim schüttelte den Kopf und murmelte: »Arschloch.«

»Lass gut sein, Jim«, sagte sie.

»Tut mir leid, Kincaid«, begrüßte Will sie mit einem reumütigen Grinsen. »Ich hab meinen Pieper nicht gehört.«

»Wie heißt sie?«

»Ach, komm schon, du hast mich um halb sechs geweckt! Nur weil du zu nachtschlafender Zeit aufstehst, muss ja nicht gleich der Rest der Sterblichen mit aus den Federn.« Vierzig Jahre alt und geschieden, war Hooper in seiner Freizeit damit beschäftigt, seinen Marktwert zu testen. Aber er war daneben auch ein guter, erfahrener Cop, und Carina vertraute ihm blind. Er hatte ihr beigebracht, wie sie sich in einem männerdominierten Umfeld behaupten konnte, und sie nicht ein einziges Mal angebaggert. Gleich nach ihren Brüdern war er ihr bester Freund.

»Und? Du wohnst keine zehn Minuten von hier weg. Hat dein kostbares Auto versagt?«

»Okay, okay. Ihr Name ist Monica. Und sie wohnt oben in Carlsbad, also hat’s ein bisschen gedauert.«

Carina erklärte ihrem Partner, was sie bisher hatten. Als sie noch einmal zurück zu dem Mädchen sah, fiel ihr etwas an dessen Mund auf.

»Dr. Chen, was ist das?« Sie kniete sich neben Jim und zeigte auf die dünne gelbe Substanz um den Knebel herum.

»Lippenstift?«, riet Will. »Nicht dass ich mich damit auskennen würde.« Er zupfte Carina am Zopf.

Sie ignorierte ihn und betrachtete stattdessen den Knebel, der aus einem schwarzen Halstuch bestand und im aufgehenden Sonnenlicht zu schimmern begann. »Keine Ahnung«, gestand Chen stirnrunzelnd.

Jim nahm eine Probe von der Substanz und wischte auch noch einmal um den Knebel herum, schien aber nichts weiter zu finden. Trotzdem steckte er das Teststäbchen in eine sterile Glasröhre und verschloss sie. Dann beugte er sich tief über das tote Mädchen, schnupperte an ihm und runzelte die Stirn. Erst da bemerkte Carina, dass der Knebel nicht festgebunden war. Vielmehr waren die Enden verknüllt, als wären sie einmal zusammengeknotet gewesen und dann gelöst worden.

Dennoch bewegte sich der Stoff nicht.

»Klebstoff.«

»Klebstoff?«, wiederholten Carina und Will im Chor. »Er hat sie erstickt und dann den Knebel an ihren Mund geklebt?«, fragte Carina.

Jim schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht. Ich glaube, er hat ihr den Mund zugeklebt und sie dann erstickt.«

Das erste Mal hatte er vor zwölf Jahren getötet.

Das Opfer war kein Mensch gewesen, nicht einmal ein Säugetier. Dennoch erinnerte er sich an den Tag mit inbrünstiger Nostalgie, war es doch der Tag, an dem er sich erstmals richtig seiner selbst bewusst wurde, die dunkle Seite an sich entdeckte.

Er saß auf der Vordertreppe seines Zuhauses und wartete darauf, dass Mutters Freund ging und er endlich wieder hineinkonnte, um seine Zeichentrickserien im Fernsehen zu gucken. Wie er es hasste, allein hier zu hocken und nichts zu tun! Seine Mom verbot ihm, aus dem Garten zu gehen, ließ ihn aber auch nicht ins Haus, solange einer ihrer besonderen Freunde zu Besuch war, nicht einmal an richtig kalten oder besonders heißen Tagen.

Von weiter unten an der Straße hörte er Rufe. »Komm sofort zurück, du Arsch!«, schrie ein älterer Junge, der Rüpel Tommy Jefferson, Jason Porter hinterher, einem kleinen Schwarzen, der an der Ecke im einzigen zweigeschossigen Haus der Straße wohnte.

Jason sah verängstigt aus und rannte schnell, aber Tommy und ein anderer Junge holten ihn ein. Sie rissen ihn zu Boden, und Jasons Kopf schlug mit einem dumpfen Knall auf die Gehwegplatten, wo er einen blutigen Abdruck hinterließ, als die beiden anderen ihn wieder hochzerrten. Blut lief ihm übers Gesicht, während ihn einer der älteren Jungen heftig hin und her schüttelte.

Dabei brüllten beide Jungen Schimpfwörter und stießen ihn nochmals um, doch Jason schaffte es, aufzuspringen und blitzschnell die Straße hinunterzurennen. Die beiden Schläger waren zunächst verdattert, setzten ihm dann aber nach, allerdings nicht schnell genug, denn Jason war in seinem Haus, ehe sie ihn erreichten.

Vor Wut begannen sie, Steine gegen die Haustür zu schleudern, bis Jasons Mutter mit einem Steakmesser in der Hand herauskam, Jason neben sich. Sie benutzte dieselben Schimpfwörter, mit denen die beiden Jungen ihren Sohn tituliert hatten.

»Wag’s noch einmal, meinen Sohn anzufassen, Tommy, und ich schneide dir jeden einzelnen Finger ab. Merk dir das!«

Lachend rannten die beiden Jungen weg.

Jasons Mutter knallte die Tür zu, es wurde still in der Straße, und er saß wieder allein auf der Veranda. Er fragte sich, ob seine Mutter ihn genauso vor den Raufbolden beschützen würde wie Jasons Mom. Doch das bezweifelte er.

Ein Schmetterling kam in den Garten geflattert, flog von einer verwelkenden Blüte zur anderen und suchte etwas, das er nicht finden konnte. Seine schwarz-orangenen Flügel bewegten sich rhythmisch auf und ab. Als der Schmetterling schließlich auf einer kümmerlichen Petunie neben ihm landete, beugte er sich vor und fing das Insekt mit einer Hand ein. Es flatterte hektisch.

Hinter ihm fiel die Fliegentür ins Schloss, und er erschrak.

»Du kannst jetzt wieder reingehen, Junge«, sagte der Mann und ging die Stufen hinunter.

»Wenn mein Daddy nach Hause kommt, bringt er dich um.«

Der Mann lachte nur, stieg in seinen Truck und fuhr davon.

Er blieb schmollend zurück und dachte an das, was Jasons Mom gesagt hatte. Vielleicht könnte er dem Mann nächstes Mal alle Finger abschneiden, wenn er wiederkam.

Etwas auf dem Gehweg, an der Stelle, wo Jason gestürzt war, erregte seine Aufmerksamkeit. Neugierig überquerte er den verdorrten Rasen und beugte sich über die Steinplatte. Auf der rauen Zementoberfläche waren abgeschürfte Haut und Blut zu erkennen, das in der Sommersonne eintrocknete. Er stellte sich Jasons blutendes Gesicht und den großen Kratzer seitlich an seinem Kopf vor.

Cool.

In dem Moment bewegte sich etwas in seiner Hand. Er betrachtete seine geschlossene, verschwitzte Faust, öffnete sie ein klein wenig und betrachtete den zusammengekrümmten Schmetterling darin. Als er ihn an einem Flügel nahm, versuchte das Insekt wegzufliegen. Er nahm den zweiten Flügel mit der anderen Hand und beobachtete, wie das Tier panisch Fühler und Beine bewegte, um sich zu befreien.

Der Kampf des winzigen Insekts faszinierte ihn. So viel Bewegung, und doch brachte sie das Tier nirgendwohin.

Langsam zog er die Flügel aus dem Körper. Der eine ließ sich glatt abtrennen, aber der andere zerriss. Der sterbende Schmetterling fiel auf den Gehweg, wo sein kleiner Leib zuckte und zappelte.

Immer noch fasziniert und zugleich distanziert schaute er dem winzigen Wesen zu, bis das, was von ihm übrig war, aufhörte, sich zu bewegen. Es dauerte mehrere Minuten, und selbst danach stellte er bei näherem Hinsehen fest, dass das Tier immer noch nicht tot war. Als er es mit einem Finger anstupste, sprang es noch zweimal kurz auf, bevor es endgültig erstarrte.

Er brachte die Schmetterlingsteile in die Küche, um sich ein altes Schraubglas zu suchen, in dem er sie aufbewahren konnte.

Nach zwölf Jahren war der Schmetterling kaum mehr als Staub, aber immer noch stand das alte Mayonnaiseglas auf seinem Nachttisch.

Fast zwei Stunden hatte er gebraucht, um alle Spuren der Schlampe aus seinem Schlafzimmer zu entfernen. Angewidert rümpfte er die Nase. Dass sie solchen Schmutz machen könnte, damit hatte er nicht gerechnet. Sie hatte ihm ins Bett geschissen, und der Gestank war ekelhaft. Dabei hatte er sie mehrmals am Tag zur Toilette gebracht.

Die Bettbezüge hatte er extra für das Wochenende gekauft und stopfte sie jetzt in einen großen Müllsack. Extrastark. Was für ein Hohn! Die Schlampe hatte den ersten prompt zerfetzt, als sie herauszukommen versuchte. Er musste drei nehmen, um sicherzugehen, dass sie sich nicht befreien konnte.

Jede Kleinigkeit hatte er genau geplant. Er hatte sie gewaschen, um alle Spuren von sich zu entfernen, und das ganze Wochenende sehr gut aufgepasst. Und er hüllte sie in Plastiktüten, damit er sich vollständig an ihrem Sterben weiden konnte. Erst im letzten Moment hatte er eine Decke über sie gebreitet.

Dann hatte er sich auf sie gelegt und sie festgehalten. Sie zuckte unter ihm. Ihr Körper wehrte sich und wollte entkommen. Eine volle Minute lang hatte er sich einem seltsamen Zustand von heißer Ekstase und kalter Angst hingegeben.

Eigentlich dauerte es gar nicht so lange, bis sie starb. Nein, es ging schon fast enttäuschend schnell. Nach zwei Tagen, in denen er sie mehrmals an den Rand des Todes und wieder zurück gebracht hatte, in denen er herausfand, was sie zum Schreien brachte und was nicht, war ihr Sterben am Ende beinahe langweilig gewesen.

Das war unbefriedigend und machte ihn wütend. Beim nächsten Mal musste er sich etwas anderes ausdenken, vielleicht ein Luftloch in den Sack schneiden. Auf jeden Fall brauchte er eine bessere Kontrolle über die Geschwindigkeit, in der sie starb. Oder er machte es so wie in dem Film, nur dass er sie in eine Art Plastikhülle packte, größtenteils jedenfalls. Darüber sollte er noch genauer nachdenken. Zumindest würde es sie sauber halten, und selbst wenn sie schiss, dreckte sie nicht gleich alles ein.

Er kannte all diese Serien über Gerichtsmediziner im Fernsehen und hatte eine höllische Angst, dass ihn die Cops mit ihren ganzen Tricks doch noch fanden. Sonst hätte er es mit bloßen Händen getan, so wie im Film: zudrücken, loslassen, zudrücken, loslassen. Ihr gerade genug Luft gönnen, um sie ihr gleich wieder abzuschneiden, und das über einen langen Zeitraum. Das wäre weitaus befriedigender. Zumindest sah es befriedigender aus. Bei der Schlampe hatte er es nicht probiert, obwohl er es gewollt hätte. Aber auf seine Weise war es sicherer gewesen, mit der Barriere zwischen ihnen und dem minimalen Kontakt. Das mit dem Einwickeln in Plastik könnte funktionieren.

Er besprühte alles im Zimmer mit Desinfektionsmittel, schrubbte an Flecken herum, die kaum zu sehen waren, und wendete die Matratze. Dann stopfte er ihre Kleidung zu den Bettbezügen in den Müllsack.

Sicher. Was, wenn er seine DNA auf ihrem Körper hinterlassen hatte? Die Polizei hatte aber keinen Grund, sich eine Probe von seinem Blut oder Haar zu nehmen. Brauchten sie nicht Beweise? Irgendwas, das ihn mit der Leiche in Verbindung brachte? Jedenfalls war das im Fernsehen immer so. Selbst wenn sie seine DNA hatten, nützte sie ihnen nichts, solange sie keine Beweise gegen ihn besaßen. Dann mussten sie erst einen Haftbefehl und all das bekommen. Er war noch nie verhaftet worden, also würden sein Name und seine Adresse nicht im Computer auftauchen.

Zuerst war die Wirklichkeit so viel besser gewesen als seine Fantasie, aber dann ... es hatte sich irgendwie falsch angefühlt. Er musste etwas falsch gemacht haben, denn als sie starb, war da nichts von dem unglaublichen Machtrausch gewesen, auf den er fest gezählt hatte.

Was hätte anders sein sollen?

Mit diesem Gedanken im Kopf fuhr er dreißig Meilen und suchte nach einer Gegend, in der montags der Müll abgeholt wurde. Es sollte eine ruhige Gegend sein, in der sich keine Leute auf den Straßen herumtrieben. Und tatsächlich fand er einen idealen Platz, wo die Mülltonnen in einer schmalen Seitengasse zwischen den Häusern standen. Dort warf er die Bettwäsche, die Kleidung und alles, was die Schlampe berührt haben konnte, in eine halb volle Tonne.

Er hatte noch eine halbe Stunde, um zu seinem Kurs zu kommen, und der Müllwagen bog gerade um die Ecke.

Perfektes Timing.

2

»Klebstoff.« Will schüttelte den Kopf. »Unvorstellbar, dass das Schwein ihr erst den Mund zugeklebt und ihr dann solche Dinge angetan hat.«

Sie hatten nebeneinander in der Garage der Polizeiwache geparkt und gingen jetzt zusammen hinein. Es war kurz vor acht, der Schichtwechsel stand bevor, und die Uniformierten kehrten von der Streife zurück. Carina winkte ein paar befreundeten Kollegen zu. Einige der Jungs zeigten ihr die kalte Schulter, seit sie es im letzten Jahr nach zehn Jahren im Streifendienst zum Detective gebracht hatte. Nein, es waren nicht bloß die Jungs, die weiblichen Kollegen waren sogar noch schlimmer.

Es war, als würde sie wieder bei null anfangen.

»Er hat sie gefoltert«, sagte Carina zu Will. »Verklebte ihr den Mund, vergewaltigte sie und erstickte sie schließlich. Der Typ ist total krank.«

Will sah wütend aus und ein bisschen so, als wäre ihm übel. »Wir müssen nach ähnlichen Verbrechen suchen.« Sie hatten sich gerade an ihre Computer gesetzt, als Carinas Telefon klingelte.

»Kincaid«, meldete sie sich.

»Hier ist Dean Robertson.« Dean, der heute Vermisstenfälle bearbeitete, war vor elf Jahren Carinas Ausbilder gewesen.

»Was gibt’s?«

»Wie ich höre, habt ihr heute Morgen eine junge Frau gefunden. Sie passt zur Beschreibung einer möglicherweise Vermissten.«

»Möglicherweise?«

»Na ja, ich hatte am Samstag einen merkwürdigen Besucher.«

»Samstag? Ich dachte, der Chief hat dir gesagt, du sollst nicht mehr am Wochenende arbeiten.«

Er schnaubte kurz. »Willst du mich jetzt melden, weil ich außerhalb meiner Dienstzeit arbeite?«

»Ich? Du sagtest doch Freitag, oder?« Dean war berühmt dafür, mindestens so viele Überstunden wie reguläre Dienststunden zu leisten. Er war unverheiratet und hatte Carina einmal bei einem Bier erklärt, dass er gar nicht nicht arbeiten könne. Da draußen werden Kinder vermisst, Carina. Ihre Eltern verdienen es zu erfahren, ob sie noch am Leben sind oder nicht.

Ja, das taten sie.

Dean fuhr fort: »Tja, hier kommt also ein Typ an, adrett gekleidet, Ende dreißig oder Anfang vierzig, und will eine Achtzehnjährige vermisst melden, deren Beschreibung zu eurer unbekannten Toten passt. Erst nahm der Sergeant vorne die Anzeige auf, reichte sie dann aber an mich weiter, als der Kerl sich aufregte, weil wir angeblich nicht sofort etwas unternehmen wollten.«

»Wie lange wurde sie da vermisst?«

»Seit weniger als vierundzwanzig Stunden.«

»Seine Tochter?«

»Nein.«

»Nein?« Sie runzelte die Stirn. »Was hat er erzählt?«

»Er behauptet, sie wären befreundet. Und er hatte den Verdacht, dass sie von jemandem verfolgt wurde. Deshalb hatte er ihr gesagt, sie solle aufpassen, aber sie hat ihn wohl nicht ernst genommen.«

»Warum dachte er, dass sie verschwunden war?«

»Sie war am Samstag nicht online.«

»Nicht online? So wie im Computer?«

»Ja. Darüber haben sie sich kennengelernt – über einen Computerkurs an der UCSD.« Dean klang wirklich besorgt. »Irgendwas an der Sache ist komisch, und nachdem nun auch noch die Personenbeschreibungen übereinstimmen, dachte ich, du willst vielleicht mal bei ihrer Familie nachfragen.«

»Und der Mann?«

»Steve Thomas. Ich schicke dir die Akte mit allen Informationen rüber.«

»Wie heißt das Mädchen?«

»Angela Vance, genannt Angie.«

»Danke, Dean. Ich halte dich auf dem Laufenden.«

Carina hatte gerade Will alles erzählt, als eine Sekretärin ihr die Akte von Dean brachte.

Sie klappte sie auf. Kein Foto. Angela »Angie« Vance, achtzehn Jahre, blond, braune Augen, ungefähr eins achtundsechzig groß und 115 Pfund schwer. Ihre Unbekannte war eins siebenundsechzig und wog 120 Pfund. Angie war im ersten Jahr an der Universität; ihr Hauptfach hatte sie noch nicht festgelegt. Sie wohnte mit ihrer Mutter und ihrer Großmutter zusammen in der Stadt.

»Was ist?«, fragte Will.

»Wieso interessiert sich dieser Thomas für ein Mädchen, das halb so alt ist wie er? Er hat Dean erzählt, dass sie sich an der Uni angefreundet haben, aber ...«

Sie klickte die Datenbank der Führerscheinstelle an und zog sich dort das Führerscheinfoto von Angie Vance. Es zeigte ein Mädchen mit einem strahlenden Lächeln und kurzem braunem Haar. Ihr Opfer hatte längeres und blonderes Haar, aber das Bild war auch schon über zwei Jahre alt. Carinas Brustkorb fühlte sich eng an. Frauen wechselten dauernd die Haarfarbe, und das Gesicht ähnelte dem ihrer Leiche. Sie zeigte Will das Bild, und er stimmte ihr zu. Angie Vance könnte ihr Opfer sein.

»Ich überprüfe mal diesen Thomas«, sagte Will.

»Das machen wir von unterwegs«, erwiderte Carina, die aufsprang und sich ihren leichten Blazer über das schwarze T-Shirt zog. »Ich möchte erst zu Angie Vance nach Hause fahren und sehen, ob wir ein aktuelleres Foto bekommen können, ehe wir mit ihrer Mutter reden.«

Angie wohnte in einem kleinen Bungalow in North Park, einem alten Viertel in San Diego. Das Haus stammte, wie die meisten hier, noch aus der Nachkriegszeit. Es war Montagmittag, und Carina vermutete, dass niemand zu Hause war. Aber da irrte sie sich. Angies Großmutter sagte ihnen, dass sie ihre Mutter bei Bud’s Diner am Highway finden konnten, und gab ihnen auch ein neueres Foto.

Während der kurzen Fahrt zum Diner starrte Carina das Foto an. Darauf waren Mutter und Tochter abgebildet, beide in dunkelroten Pullis, die ihren hellen Teint betonten. Debbie Vance hatte braunes Haar, Angie viele blonde Strähnen. Die ältere Frau musste einmal sehr schön gewesen sein, sah auf dem Bild allerdings ein bisschen grau und müde aus, wenn auch glücklich. Ihre Tochter war wunderschön. Sie hatte sich ihr langes, schimmerndes Haar anscheinend extra für das Foto gelockt, die Augen dezent geschminkt und ein warmes, einladendes Lächeln aufgesetzt.

Jetzt war Angie tot, denn das Opfer und dieses hübsche Mädchen waren unverkennbar ein und dieselbe Person. Carina schloss die Augen und versetzte sich in Debbie Vance hinein. Sie wusste genau, wie sich die Frau fühlen würde, wenn sie ihr sagen mussten, dass ihre Tochter ermordet worden war. Zwar war Carina froh, dass sie das Opfer so schnell identifiziert hatten, aber sie hasste es, einer Mutter das Herz brechen zu müssen.

Ein Funkruf bestätigte, was sie bereits wussten: Der Gerichtsmediziner hatte die Fingerabdrücke der Toten ins System eingefüttert, nicht in die Verbrecherdatenbank, sondern ebenfalls in die Führerscheinstelle, und daraufhin Angela Vance gefunden.

Bud’s Diner sah von außen eher schmierig aus, doch als sie hineingingen, wehte ihnen der köstliche Duft von echtem Landfrühstück entgegen. Die Mischung aus süßem Sirup, salzigen Kartoffeln und brutzelndem Speck erinnerte Carina daran, dass sie noch gar nichts gegessen hatte.

»Suchen Sie sich einen Tisch aus«, sagte die Kellnerin, die mit einer Hand Kaffee einschenkte und mit der anderen einen Teller buttergetränkter Waffeln abstellte.

»Ist Mrs. Vance zu sprechen?«

Die Kellnerin sah verwundert zu ihnen auf.

»Ich bin Debbie Vance.«

Carina hätte die kleine, pummelige Frau um die vierzig mit dem von der Küchenhitze geröteten Gesicht vielleicht gar nicht erkannt, doch dann lächelte sie. Es war dasselbe freundliche Lächeln wie auf dem Foto. Debbie Vance kam um den Tresen herum. »Und wer sind Sie?«

»Detectives William Hooper und Carina Kincaid vom San Diego Police Department«, sagte Will. »Können wir irgendwo ungestört reden?«

Debbie Vance blickte die beiden fragend an. Wahrscheinlich ahnte sie, dass etwas passiert war, wollte aber keine Fragen stellen, weil sie sich vor den Antworten fürchtete.

Carina kannte dieses Gefühl.

»Hier entlang«, sagte Mrs. Vance schließlich.

Sie führte sie durch die Küche in ein kleines, vollgestelltes Büro ohne Tür. Dann sah sie sich nach Stühlen um, aber es gab nur einen, also blieben alle drei stehen.

Carina fragte: »Mrs. Vance, wann haben Sie Ihre Tochter zum letzten Mal gesehen?«

Die Unterlippe der Frau bebte. »Ist etwas mit Angie?«

Als Carina nicht antwortete, sah Mrs. Vance von ihr zu Will und wieder zurück, bevor sie hastig erzählte: »Freitagmorgen. Ich bin zur Arbeit gefahren, und sie stand gerade auf, um in ihre Kurse zu gehen. Sie ist auf der UCSD, wissen Sie? Sie hat ein Stipendium, weil sie sehr klug ist und an der Highschool nur glatte Einsen hatte.«

Sie holte tief Luft. »An den Wochenenden geht sie meistens mit Freunden aus, und ich arbeite früh, also gehe ich auch früh ins Bett. Deshalb bekomme ich gar nicht mehr mit, wann sie kommt und wann sie geht. Aber sie ist achtzehn und ein gutes Mädchen, nichts mit Drogen oder so. Und da habe ich gedacht, ich muss ja nicht mehr ganz so doll aufpassen. O Gott!« Ihre Stimme kippte. »Ich habe gehört, wie sie Freitagnacht nach Hause kam, spät, nach eins, aber als ich am Sonnabend vor der Arbeit nach ihr sah, war sie schon wieder weg.«

Mrs. Vance blickte wieder von einem zum anderen. »Was ist los? Was ist passiert?«

Mütter ahnen es immer.

Carina nahm Mrs. Vances Hand, als sie auf den einzigen Stuhl sank, und Will erklärte mit ruhiger Stimme: »Heute Morgen wurde eine Leiche am Strand gefunden, auf die Angies Beschreibung passt.«

Mrs. Vance starrte sie kopfschüttelnd an. Sie wollte eine Frage stellen und gleichzeitig auch nicht, was Carina ihr nicht verübelte. Niemand wollte erfahren, dass ein Mensch, den man geliebt und aufgezogen hatte, tot war. »Nein, das würde ich wissen. Es ist nicht Angie. Sie wissen noch nicht, ob sie es ist, stimmt’s?«

Carina sagte ihr nicht, dass die Fingerabdrücke übereinstimmten. Das erschien ihr zu brutal. Stattdessen antwortete sie: »Wenn Sie sich dazu in der Lage fühlen, würden wir Sie gern bitten, mit uns zu kommen und sie zu identifizieren.«

»Ja, sofort. Ich fahre sofort hin. Sie ist es nicht.« Sie schloss die Augen, atmete tief durch und fragte: »Was ist mit dem Mädchen passiert, das Sie gefunden haben?«

»Sie wurde ermordet, Mrs. Vance«, sagte Carina, die es immer wieder furchtbar hart fand, Eltern mitzuteilen, dass ihr Kind Opfer eines Gewaltverbrechens war.

»Jemand hat sie umgebracht? Absichtlich? Wer?«

»Wir tun alles in unserer Macht Stehende, um das herauszufinden«, antwortete Will.

Die Kellnerin mit den Waffeln, auf deren Namensschild »Denise« stand, drängte sich in den winzigen Raum, und Mrs. Vance drehte sich schluchzend zu ihr um. »Sie glauben, dass Angie tot ist.«

Die beiden Frauen umarmten sich, und Carina musste sich zusammenreißen, um nicht daran zu denken, wie es sich anfühlte, wenn ein nahestehender Mensch Opfer eines brutalen Verbrechens wurde. Als die Frauen sich wieder voneinander lösten, fragte sie: »Mrs. Vance, gibt es einen Freund oder eine Freundin von Angie, mit dem oder der wir reden können, jemand, der wissen könnte, wo sie am Freitagabend war?«

»Ja, natürlich«, sagte Mrs. Vance vollkommen sicher, obwohl sie dabei am ganzen Leib zitterte. »Sie war mit Abby und Jodi zusammen. Die zwei haben eine Wohnung in der Nähe des Campus, und sie ist oft bei ihnen.« Sie schrieb Namen, Adresse und Telefonnummer auf die Rückseite eines Kassenbons. »Vielleicht auch Kayla, aber mit ihr ist Angie nicht so gut befreundet wie mit Abby.«

»Was ist mit ihrem Vater?«

Mrs. Vance schüttelte den Kopf. »Carl hat uns vor Jahren verlassen, da war Angie praktisch noch ein Baby. Er ... wir haben keinen Kontakt mehr. Er ist wieder verheiratet und lebt in einem anderen Bundesstaat. Nicht einmal Geburtstagskarten schickt er ihr.« Ein Schluchzen lag in ihrer Stimme, doch sie schluckte und riss sich mit aller Kraft zusammen.

»Sie kommt sicher wieder nach Hause, nach ihren Kursen.« Leugnen. Nicht wahrhaben wollen.

»Kennen Sie ihre Freunde?«

»Angie hat keinen festen Freund, nie gehabt.«

»Hat sie nie mit Ihnen über Jungs geredet?«

»Doch, aber mehr allgemein, sie ist ja mit niemandem fest zusammen. Dafür ist sie auch noch viel zu jung, finde ich. Ich sage ihr immer ...« Mitten im Satz verstummte sie.

»Mrs. Vance?«

Sie schüttelte den Kopf und lächelte matt. »Nein, ich dachte bloß ... Alles wird sich aufklären. Sie irren sich. Das arme Mädchen ... das ist nicht Angie.«

»Mrs. Vance, kennen Sie Steve Thomas?«

»Ich glaube, den Namen habe ich schon mal gehört«, sagte sie. »Sie muss ihn um Weihnachten rum mal erwähnt haben. Oder Thanksgiving. Soweit ich mich entsinne, waren sie ein paarmal aus, aber es war nichts Ernstes. Warum?«

Will wich aus, indem er nach sonstigen lockeren Freundschaften fragte, aber Mrs. Vance fielen keine Jungen ein, mit denen Angie sich in letzter Zeit getroffen hatte.

Carina hatte vorerst keine Fragen mehr, doch sie wusste, dass sie Mrs. Vance wiedersehen würde, bei der Beerdigung und eventuell auch bei ihr zu Hause, wenn sie Beweise sichern mussten. Und sie freute sich ganz und gar nicht darauf.

Viel lieber befragte sie Verdächtige und Zeugen als die Angehörigen des Opfers.

Will gab Debbie Vance die Karte des Coroners. »Wenn Sie irgendwann heute hinfahren und sich die Tote ansehen könnten, würde uns das sehr helfen. Rufen Sie einfach dort an und sagen Sie Bescheid, wann Sie kommen. Dann bereiten sie alles vor. Sie müssen auch nicht mit hineingehen, Sie können das Gesicht auf einem Bildschirm anschauen.«

Mit bebenden Lippen nickte sie. »Ich bin sicher, dass alles ein Missverständnis ist.«

Als Will und Carina draußen waren, holte Carina ein paarmal tief Luft, bevor sie ins Auto stieg.

»Alles okay, Cara?«

»Ja, geht gleich wieder.«

Die stumme Angst und die schmerzerfüllten Blicke trafen sie jedes Mal wieder bis ins Mark, genauso wie das vehemente Leugnen, obwohl auch Mrs. Vance klar gewesen war, dass die Polizei nicht käme und sie um eine Identifizierung bitten würde, wenn sie sich nicht fast hundertprozentig sicher waren. Trotzdem hofften die Menschen bis zuletzt.

Carina kniff die Augen zu und hielt das Gesicht in die Sonne. Eins. Zwei. Drei.

Besser. Nachdem sie ihren eigenen Schmerz und ihre Frustration verdrängt hatte, wandte sie sich an Will. »Ich möchte mit Steve Thomas sprechen.«

Von Steve Thomas’ Wohnung am Meer aus konnte man den Campus problemlos mit dem Rad erreichen, denn von hier zogen sich breite, viel benutzte Fahrradwege am Highway entlang. Thomas wohnte in einem Apartmentblock mit acht Wohneinheiten, vier unten, vier oben, wie sie hier in einer ganzen Reihe hintereinander an der Küstenstraße standen. Als Carina noch auf dem College war, hatte ein Freund von ihr in einem dieser Häuser gewohnt, in einer ähnlichen Wohnung wie der von Thomas. Wegen des Ozeans vor der Tür waren die Mieten horrend.

Auf der Südseite des Gebäudes schlenderten Männer und Frauen im College-Alter über den Weg zwischen Straße und Strand. Es war ein gewöhnlicher Montag im Februar, aber da der Strand von San Diego das ganze Jahr über unvergleichlich schön war, nutzten die Studenten ihre vorlesungsfreien Zeiten, um herzukommen. Ständig wimmelte es hier von Surfern. Zwar war das Wasser kalt, aber bei einer vorausgesagten Lufttemperatur von achtundzwanzig Grad ließ es sich im Neoprenanzug gut aushalten. Und erfrischend war es allemal.

Manchmal vermisste Carina das sorgenfreie Leben, das sie in ihrer College-Zeit genossen hatte, als sie einfach alles stehen und liegen lassen und sich ihr Surfbrett schnappen konnte. Wann hatte sie sich das letzte Mal in die Wellen gestürzt? Vor fünf, sechs Jahren? Ihr Bruder Connor und sie waren sogar schon unmittelbar vor Stürmen surfen gegangen, und obwohl sie erwachsen waren, hatte ihr Dad vor Wut getobt. Aber der Spaß, den sie gehabt hatten, war Dads strenge Predigt wert gewesen.

Inzwischen war sie derart aus der Übung, dass sie sich bei solchen Wetterbedingungen nicht mehr raustrauen würde. Selbst zahme Wellen wie heute wären für sie eine echte Herausforderung.

Ihr Funkgerät piepte. »Hier Hooper«, meldete Will sich.

»Sergeant Fields. Ich habe was über diesen Thomas.«

»Schieß los.«

»Bis auf eine einstweilige Verfügung ist er sauber.«

Carina sah Will fragend an.

»Sonst noch was?«

»O ja«, antwortete Fields. »Angela Vance, das vermisst gemeldete Mädchen, hat die einstweilige Verfügung vor drei Wochen gegen ihn erwirkt, weil er ihr nachstellte.«

3

Carina und Will näherten sich vorsichtig Thomas’ Wohnung, doch er war nicht zu Hause. Also riefen sie die Streife an, damit sie jede Stunde einmal hier vorbeifuhr und ihnen sofort Bescheid gab, wenn er aufkreuzte.

Als sie zum College fuhren, um mit Angies Freundinnen zu reden, sagte Carina zu Will: »Wir verhalten uns friedlich, solange wir nichts gegen ihn in der Hand haben.«

»Du meinst, er könnte es gewesen sein?«

»Ich weiß nicht. Offensichtlich hatte sie Angst vor ihm. Und wieso stellt ein Neununddreißigjähriger achtzehnjährigen Mädchen nach?«

»Was fragst du mich das?«, erwiderte Will empört. »Ich ziehe Frauen vor, die ihre Kaugummiphase hinter sich haben.«

Carina schmunzelte. »Ich wollte keineswegs ein moralisches Urteil über dein Privatleben fällen, Hooper. Ich verstehe bloß nicht, was ein Mann in dem Alter von so einem jungen Mädchen will.« Soweit sie bisher wussten, ging Thomas zurzeit keiner geregelten Arbeit nach, erhielt jedoch eine Pension von der U.S. Army. Der Sergeant versuchte, ein bisschen tiefer zu graben, ob sich in Thomas’ Militärakten vielleicht irgendwas fand. Und dass er offiziell keinen Job hatte, hieß noch lange nicht, dass er nicht arbeitete.

Bei der College-Verwaltung war ein wenig Überredungskunst vonnöten, bis sie ihnen Abby Ivers’ Stundenplan und eine Kopie ihres Studentenausweises mit Foto gaben. Will fragte auch nach Steve Thomas, worauf ihm die Sekretärin bestätigte, dass er als Student eingeschrieben war, und sich sogar dazu bewegen ließ, ihnen Einblick in seinen Kursplan zu gewähren. Carina spielte ungern gegen die Regeln, denn vor Gericht konnte man ihnen die Beweise in der Luft zerreißen, wenn sie nicht vollkommen korrekt vorgegangen waren, aber sollte Thomas tatsächlich gerade auf dem Campus sein, könnten sie ihn gleich hier zur Rede stellen.

Bis Abbys Kurs in englischer Literatur endete, würde es nach Mittag sein, deshalb kauften Will und Carina sich Hotdogs in der Cafeteria und aßen sie, während sie die Türen im Auge behielten.

»Angie Vance wurde also am Freitagmorgen zum letzten Mal gesehen«, sagte Will.

»Aber ihre Mutter hörte sie in der Nacht von Freitag auf Samstag nach Hause kommen.«

»Sie hat sie aber nicht gesehen.«

»Steve Thomas kam Samstagmorgen aufs Revier, um sie vermisst zu melden. Warum?«

»Um den Verdacht von sich abzulenken?«

»Das wäre reichlich blöd.«

»Wer hat behauptet, dass Mörder schlau sind?«

Carina runzelte die Stirn. »Der Täter war ein Sadist.«

»Vielleicht hat er sie vergewaltigt und erstickt, bekam dann Panik und warf die Leiche an den Strand.«

»Hmmm.« Möglich, aber was war mit dem ganzen Aufwand – dem Kleber, den Müllsäcken, dem öffentlichen Strand? »Was hältst du davon, wenn wir Dillon anrufen und ihn fragen, was ihm dazu einfällt?«

»Kann nicht schaden. Vorausgesetzt, dein Bruder hat Zeit.«

»Für mich nimmt er sich Zeit. Wozu hat man eine Familie, wenn nicht, um sich zu jeder Tages- und Nachtzeit gegenseitig auf den Wecker zu gehen?« Sie biss in ihren Hotdog, schluckte und sagte: »Ich würde gern wissen, was Dr. Chen als Todeszeitpunkt ermittelt. Von Freitagabend bis Montagmorgen ist eine ziemlich lange Zeitspanne. Selbst wenn wir davon ausgehen, dass sie Freitagnacht tatsächlich nach Hause kam, sind es immer noch achtundvierzig Stunden bis zu ihrem Tod. Wo hat er sie in der Zwischenzeit festgehalten?«

»Falls es Steve Thomas war, dann sicher nicht in seiner Wohnung. Die Wände in diesen Blocks sind dünn wie Pappe.«

»Vielleicht hat er ihr den Mund zugeklebt, damit sie nicht schreien konnte.« Dieser Fall war Carina unheimlich. Der Mord an Angie war vollkommen anders als alles, was sie bisher gesehen hatte. Deshalb hoffte sie, dass Dillon ihr weiterhelfen konnte. Ihr Bruder war forensischer Psychiater, und an diesem Täter konnte er einmal sein gesamtes Wissen unter Beweis stellen. Sie würde ihn anrufen, sobald sie hier fertig waren.

Nach und nach kamen die Studenten aus dem Gebäude. Carina hatte das College nie gemocht. Sie war viel zu energiegeladen, um stundenlang in Vorlesungen zu hocken. Am Ende hatte sie ihr Studium ein Jahr vor dem Examen geschmissen und war zur Polizeischule gewechselt.

Aber es waren damals auch noch andere Gründe im Spiel gewesen.

»Da drüben.« Will tippte Carina an den Arm und warf den Rest seines Hotdogs in den Müll. Carina tat es ihm gleich. »Ja, das muss Abby sein.«

Abby Ivers war eine niedliche kleine Blondine in einem engen T-Shirt und sehr tief sitzenden Jeans. Sie hatte ausgeprägte Wangengrübchen, und ihre Augen waren etwas zu stark geschminkt.

»Abby?« Carina stellte sie beide vor und hielt dabei ihre Marke in die Höhe. »Haben Sie einen Moment Zeit für uns?« Sie bedeutete ihr, ihnen zu der Bank zu folgen, auf der sie eben gesessen hatten.

»Klar«, sagte Abby, die ihre Bücher vor der Brust umklammert hielt und die Stirn runzelte.

Carina wartete, bis sie alle drei saßen. »Wann haben Sie Angie Vance zuletzt gesehen?«

Abby riss die Augen auf. »O Gott, ihr ist was passiert!«, platzte es in einem Atemzug aus ihr heraus.

»Wie kommen Sie darauf?«

»Weil sie meine E-Mails nicht beantwortet hat und auch das ganze Wochenende nicht im Chat war. Ich habe ihr Samstagabend gesimst, bekam aber keine Antwort.«

Abby hörte sich wie Carinas Schwester Lucy an.

»Gesimst?«, fragte Will.

»Eine Textnachricht geschickt«, übersetzte Carina.

»Genau, also, was ist passiert? Hatte sie einen Unfall oder so was? Ist sie im Krankenhaus? Sie ist doch okay, oder?«

»Nein, leider nicht. Sie ist tot«, sagte Carina ruhig.

Abby wurde kreidebleich. »Tot?« Ihr Kinn bebte. »W-was ist passiert?«

Carina gab ihr nur die nötigsten Informationen. »Wann haben Sie sie zuletzt gesehen?«

»Freitagabend.«

»Wo?«

»Im Sand Shack, auf der Camino del Oro, am Strand.« Tränen stiegen Abby in die Augen, und Carina sah zu Will.

Der fragte in seiner beruhigenden Stimme: »Und wissen Sie noch, um welche Zeit das war?«

»Ich glaube, sie ging gegen halb eins. Sie arbeitet nämlich da, hatte aber um zehn Schluss. Danach blieben wir noch ein bisschen. Jodi und ich brachten sie raus zu ihrem Wagen, sind danach aber wieder rein, weil da dieser süße Typ war ... Hat ihre Mom gesagt, dass sie nicht nach Hause gekommen ist? Wurde sie mit ihrem Wagen entführt?«

Auch Abby suchte nach einer Erklärung für das Geschehene, die sie ihr aber leider nicht geben konnten.

»Wir versuchen herauszufinden, wann und wo Angie gesehen wurde. Hat sich irgendjemand besonders um sie bemüht oder ihr vielleicht sogar nachgestellt? Gibt es einen Freund, mit dem sie vor Kurzem Schluss gemacht hat?«

Abby wurde rot und senkte den Blick. »Angie hatte eine Menge Freunde. Ich meine, die haben sie alle geliebt. Aber sie war da eigen.«

»Wie meinen Sie das?«

Abby zuckte nur mit den Schultern.

»Wenn Sie uns irgendwas sagen können, Abby, wäre das jetzt ein guter Zeitpunkt.«

»Ach, eigentlich hat das bestimmt nichts zu bedeuten. Nur ... sie hat mit einer Menge Jungs Schluss gemacht, weil sie nicht der Eine waren.«

»Der Eine?«

»Na ja, der, mit dem man den Rest seines Lebens verbringen will.« Sie wandte den Kopf ab und schniefte. »Angie war eine totale Romantikerin.«

Carina spürte genau, dass Abby ihnen etwas verschwieg, doch bevor sie nachhaken konnte, fragte Will: »Was ist mit Steve Thomas?«

»Was soll mit Steve sein?«

»Ist er einer von Angies Ex-Freunden?«

Sie nickte. »Im November waren sie ein paarmal zusammen aus. Kann auch Dezember gewesen sein.«

»Aber er war auch nicht der Eine«, folgerte Will.

»Nein, zu der Zeit war er nicht mal der Einzige.«

»Abby«, sagte Carina und wartete, bis das Mädchen sie ansah. »Gibt es noch etwas, das für uns wichtig sein könnte? Etwas über Angie, das uns hilft zu begreifen, was mit ihr geschehen ist?«

»Nein, nichts«, antwortete die junge Frau etwas zu prompt.

Ehe sie weiter nachfragen konnten, rief eine männliche Stimme: »Abby!«

Carina und Will drehten sich gleichzeitig um und bemerkten einen schlanken, athletischen Mann mit breiten Schultern, der auf Abby zugelaufen kam. Er war älter als der durchschnittliche College-Student und würdigte sie beide kaum eines Blickes, bevor er Abby fragte: »Hast du Angie am Wochenende gesehen?«

»Angie ist tot!« Abby fasste ihn am Arm und schien sich regelrecht an ihm festzuhalten. »Steve, das hier sind Polizisten. Sie wollen mit Angies Freunden reden.«

Steve? Steve Thomas? Carina betrachtete den Mann genauer. Er passte zu der Beschreibung, die Dean Robertson ihr am Telefon gegeben hatte: dunkelblondes Haar, blaue Augen, Ende dreißig.

Von einer Sekunde zur anderen waren seine Züge wie versteinert. »Nein, verdammt!« Er sah gen Himmel und atmete tief ein. »Ich wusste, dass sie mit dem Feuer spielt. Ich ... oh, Angie!« Er schloss die Augen und nahm Abby in die Arme, die sich an ihn klammerte.

Als Carina sich räusperte, ließ Steve das Mädchen los und sah Will und Carina wütend an. »Ich bin am Samstag zur Polizei gegangen, aber da glaubte mir ja keiner. Ist das wahr? Ist Angie wirklich tot?«

Für Carinas Begriffe wechselte er etwas zu schnell von besorgt zu vorwurfsvoll und zornig. Neigte er zu Wutausbrüchen?

Sie zeigten ihre Marken. »Steve Thomas?«, fragte Will. »Haben Sie am Samstag versucht, eine Vermisstenanzeige aufzugeben?«

»Ja, das sage ich ja, aber niemand wollte mir zuhören. Ich wusste, dass etwas nicht stimmte, aber der Cop meinte, sie wird noch nicht lange genug vermisst, und deshalb wollte er nichts unternehmen.« Er atmete langsam aus. »Entschuldigung. Was ist passiert? Sind Sie sicher, dass es Angie ist?«

»Könnten wir uns kurz unterhalten?«, fragte Will, statt Thomas zu antworten.

Für einen Moment sah er aus, als wollte er sich weigern, nickte dann aber.

Carina sagte: »Gehen wir in die Cafeteria, Mr. Thomas. Es sei denn, Sie möchten lieber mit aufs Revier kommen.«

»Schon gut.« Thomas biss die Zähne zusammen.

Sie ließen Abby gehen, allerdings wollte Carina später noch einmal mit ihr sprechen. Abby wusste etwas.

Jetzt jedoch mussten sie sich um den Verdächtigen kümmern. In den allermeisten Fällen wurden Frauen von ihren Ehemännern, Freunden oder Ex-Freunden ermordet.

Will ging voraus an einen ruhigen Tisch in der hinteren Ecke der Cafeteria, die sich jetzt zur Mittagszeit zusehends füllte.

»Was ist mit Angie passiert?«, war Thomas’ erste Frage.

»Wir warten noch auf die endgültige Identifizierung, aber ...«

»Dann kann es sein, dass sie es gar nicht ist!« Er machte Anstalten, aufzuspringen, aber Will bedeutete ihm, sitzen zu bleiben.

»Wir sind sicher, dass sie es ist«, fuhr Will fort. »Der Rest ist eine reine Formalität.«

Thomas, der in stocksteifer, beinahe militärischer Haltung dagesessen hatte, sackte sichtlich in sich zusammen. War die Hoffnung, Angie könnte noch leben, nur gespielt? Er wirkte glaubwürdig, aber Mörder, zumal die kaltblütigen, waren oft auch sehr gute Schauspieler. Sie konnten ihre Umgebung, selbst ihre nächsten Angehörigen, bisweilen perfekt täuschen. Und die Polizei zu belügen gehörte beinahe schon ins Grundrepertoire eines jeden Kriminellen.

»Wo waren Sie Freitagabend?«

Thomas setzte sich wieder kerzengerade auf, und seine Trauer – sofern es denn Trauer gewesen war – wandelte sich erneut in Wut. »Scheiße, das glaub ich doch nicht! Ich bin derjenige, der euch Jungs gesagt hat, dass etwas nicht stimmt!«

Zumindest wusste Carina jetzt schon mal, dass Steve Thomas ein Mann war, der schnell zwischen extremen Emotionen wechselte. Doch kaum war dieser kurze Ausbruch vorüber, entschuldigte er sich erneut.

»Tut mir leid, ich ... ich dachte bloß, es wäre richtig, dass ich zur Polizei gehe. Aber nun sitzen Sie hier und reden mit mir, statt nach dem zu suchen, der Angie auf dem Gewissen hat.«

»Mr. Thomas«, sagte Carina, »ich versichere Ihnen, dass wir sowieso mit Ihnen geredet hätten, unabhängig von Ihrer Vermisstenanzeige am Samstag. Sie sind Angies Ex-Freund, und sie hatte eine einstweilige Verfügung gegen Sie erwirkt.«

»Das war ...«

Will fiel ihm ins Wort. »Wo waren Sie Freitagabend?«

»Wann?«, fragte Thomas mit zusammengebissenen Zähnen.

»Fangen Sie beim Abendessen an.«

»Ich traf mich mit einem Freund in einem mexikanischen Restaurant in der Innenstadt.«

»Hat der Freund einen Namen?«

»Ja.«

»Und der wäre?«

»Der hat nichts mit Angies Verschwinden zu tun.«

»Aber er würde Ihnen ein Alibi verschaffen.«

»Das glaub ich doch alles nicht! Ich habe nichts mit dem zu tun, was Angie zugestoßen ist.«

»Haben Sie Angie Freitagabend gesehen?«

»Ja, ich sah sie im Sand Shack, als sie Feierabend machte, so gegen zehn. Ich habe ihr angeboten, sie nach Hause zu fahren, aber sie lehnte ab. Da bin ich wieder weg.«

»Sie boten ihr an, sie nach Hause zu bringen, obwohl sie eine einstweilige Verfügung gegen Sie hatte?« Carina sah in ihre Notizen. »Der Verfügung nach dürfen Sie sich Angie nicht weiter als bis auf hundert Meter nähern, es sei denn, Sie beide sind in einem Kurs.«

»Sie verstehen das nicht.«

»Dann klären Sie uns auf.«

Fast eine Minute lang sagte Thomas gar nichts. Dachte er sich eine Geschichte aus? Erfand er ein Alibi für sich? Irgendetwas störte Carina, nur konnte sie nicht sagen, was genau. »Angie und ich haben vor über zwei Monaten Schluss gemacht, aber in aller Freundschaft. Fragen Sie, wen Sie wollen. Fragen Sie Abby. Aber Angie ... Sie fing an, sich in der Partyszene zu bewegen, traf sich mit diesem Arschloch Doug Masterson. Ich schwöre, Angie hat nie Drogen genommen, bis Doug ihr Koks gab. Ich habe versucht, ihr ins Gewissen zu reden, sie gewarnt, doch das führte bloß zum Streit, und dann habe ich Sachen gesagt, die ich besser nicht hätte sagen sollen. Ihre Freundin Kayla überredete sie zu dieser einstweiligen Verfügung.«

»Haben Sie sie bedroht?«

»Nein!«

»Warum hatte sie dann Angst vor Ihnen?«

Steve ballte die Hände zu Fäusten. »Sie hatte keine Angst vor mir, sondern vor dem, was ich gesagt habe. Sie hat es schlicht auf mich bezogen.«

»Und was haben Sie gesagt, das ihr solche Angst machte?«

Einen Moment starrte er auf seine Fäuste, löste sie dann und faltete die Hände fest vor sich. »Es klingt übel, aber ich wollte, dass sie begreift, welche Folgen ihr Handeln haben kann.«

»Was haben Sie gesagt?«, fragte Carina nochmals.

Er wurde rot, als er zu ihr aufsah. Wut? Schuldgefühle? Angst? Leise murmelte er: »Ich habe ihr gesagt, wenn sie nicht aufpasst, kann es sie das Leben kosten.«

4

Das Sand Shack lag am Highway, direkt gegenüber vom Strand. Es war eine Mischung aus hawaiianischem Luau und Surferkneipe mit mehr Tischen draußen als drinnen und einem großen Regal, wo die Gäste ihre Surfbretter, ihre Badelaken und ihre Rucksäcke lassen konnten. Zahlreiche Gäste saßen in Badeanzügen und Flip-Flops vor gigantischen Hamburgern. Drinnen gab es sogar ein halbes Dutzend Internetanschlüsse. Wer wollte, konnte also direkt nach dem Surfen im Meer mit dem Surfen im Internet weitermachen.

Zu Carinas College-Zeit hieß das Sand Shack noch Big John’s und war eine dieser Eisdielen im Stil der Fünfziger: weniger lässig als jetzt, aber auch damals schon ein beliebtes Studentenlokal. Sie hätte das Shack sicher auch gemocht, obwohl ihr die altmodische Zapfanlage für Softdrinks und die Jukebox fehlten, in der nur Platten aus den Fünfzigern und Sechzigern zu finden waren.

Will und sie gingen geradewegs auf eine der Bedienungen zu, einen Jungen in der »Uniform« aus Jeans und rotem T-Shirt mit »The Sand Shack« in weißen Lettern auf dem Rücken. »Wir würden gern mit dem Besitzer oder Manager reden.«

»Klar doch.« Er eilte davon.

Kurz darauf kam ein Mann auf sie zu. »Ich bin der Manager, Kyle Burns. Was kann ich für Sie tun?«

Burns war Mitte bis Ende zwanzig, hatte kurzes, sandbraunes Haar, ein wenig stechende blaue Augen und den Körperbau eines Gewichthebers.

Sie stellten sich vor, und Will fragte: »Haben Sie ein Büro oder irgendeinen Raum, wo wir ungestört reden können?«

Zunächst sah es so aus, als wollte der Manager widersprechen, aber dann schien er es sich anders zu überlegen und ging voran in den hinteren Teil des Restaurants. Eine kleine Nische war von der großen, blitzsauberen Edelstahlküche als Büro abgeteilt.

Burns blickte auf seine Uhr, und Carina fragte: »Halten wir Sie von irgendetwas ab?«

»Nein, ist schon okay. Ich habe nur um drei einen Kurs. Eigentlich wäre ich heute Mittag gar nicht hier, aber meine Stellvertreterin ist nicht aufgetaucht.«

Er zog die Schiebetür zu und setzte sich auf die Ecke seines aufgeräumten Schreibtischs. Für drei Leute war es recht eng hier drinnen, sodass sich keiner setzen konnte. Will lehnte sich lässig gegen die schmale Wand.

»Was kann ich für Sie tun?«, fragte Burns.

»Wann haben Sie Angela Vance zuletzt gesehen?«, begann Will ohne Umschweife.

Burns sah erst Will, dann Carina und wieder Will an. »Sie ist die Stellvertreterin, die nicht aufgekreuzt ist. Ist ihr was passiert? Ist sie okay?«

»Haben Sie sie am Wochenende gesehen?«

Burns gefiel offensichtlich nicht, dass Will seine Fragen nicht beantwortete. »Sie hat Freitagabend gearbeitet, und seitdem habe ich sie nicht mehr gesehen.«

»Haben Sie ihren Dienstplan zur Hand?«

Der Manager griff in ein Hängeregister in der Ecke des Schreibtischs und zog einen Ordner hervor. »Hier.«

Will blätterte in dem Ordner, während Carina fragte: »Wissen Sie, ob Angie mit jemandem liiert war oder wer ihre engsten Freundinnen sind? Gab es vielleicht jemanden hier bei der Arbeit, mit dem sie Schwierigkeiten hatte?«

»Sie traf sich öfter mit diesem Doug Masterson. Ich sagte ihr, dass sie aufpassen soll, denn bei mir hatte er Hausverbot, seit ich ihn erwischt habe, wie er hier Drogen verticken wollte. Und ich habe ihr gesagt, sollte ich mitbekommen, dass sie ihn reinlässt, während ich nicht da bin, würde ich sie feuern. Das will ich zwar nicht, aber wir sind ein sauberer Laden, und so soll es auch bleiben.« Er legte eine Pause ein, ehe er hörbar besorgt fragte: »Was ist passiert? Sie wären doch nicht hier, wenn Angie nichts zugestoßen wäre.«

»Angies Leiche wurde heute Morgen am Strand gefunden«, sagte Carina.

»Ihre Leiche? Heißt das, sie ist tot?«

Burns schien ehrlich schockiert und betroffen. Aber für Carina galt hier dasselbe wie bei der Befragung von Steve Thomas: Mörder waren begabte Lügner.

»Angie hat Freitagabend gearbeitet«, schaltete sich Will wieder ein. »Waren Sie an dem Abend auch hier?«