Speisen der Götter - Terence McKenna - E-Book

Speisen der Götter E-Book

Terence McKenna

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Beschreibung

Terence McKenna erinnert uns mit diesem Kultwerk der psychedelischen Literatur daran, dass der Mythos unserer Kultur mit dem Verspeisen der Frucht vom Baum der Erkenntnis im Garten Eden beginnt. Schon vor langer Zeit entdeckten unsere Vorfahren, dass bestimmte Pflanzen Schmerzen lindern, Energieschübe bewirken, immun gegen Krankheitserreger machen und Kreativität katalysieren. Priester und Priesterinnen verwendeten Zauberpilze, Tränke und Kräuter, um mit dem Mysterium der Natur und mit Gott eins zu werden. Der Verlust dieses schamanischen Wissens führte zur Entwicklung von Substanzen, die stark abhängig machen destillierter Alkohol und weißer Zucker, Morphium und Heroin. McKenna lässt die Geschichte der Drogen im Osten und im Westen Revue passieren, vom alten Gewürzhandel bis zu Marihuana, Kokain und anderen modernen Substanzen. Er beschließt das Buch mit einem Gesamtplan zur Lösung der heutigen Drogenprobleme, untersucht, warum die Jagd nach Glück illegal ist, wenn sie Pflanzen umfaßt, die in der freien Natur wachsen, und spricht auch das Thema Legalisierung von Drogen an. Neuausgabe des gesuchten Klassikers von 1993.

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Seitenzahl: 509

Veröffentlichungsjahr: 2025

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TERENCE MCKENNA

SPEISEN DER GÖTTER

DIE SUCHE NACH DEMURSPRÜNGLICHEN BAUM DER WEISHEIT

E-Book-Ausgabe

Die Verbreitung dieses Produkts durch Funk, Fernsehen oder Internet, per fotomechanischer Wiedergabe, auf Tonträgern jeder Art, als elektronisches beziehungsweise digitales Medium sowie ein über das Zitier-Recht hinausgehender auszugsweiser Nachdruck sind untersagt. Jegliche öffentliche Nutzung bzw. Wiedergabe setzt die ausdrückliche, schriftliche Genehmigung der Nachtschatten Verlag AG voraus.

Diese Publikation enthält versteckte und personalisierte Informationen bezüglich Herstellung, Vertrieb, Verkauf und Käufer. Im Falle von unerlaubter Verbreitung des Inhalts behält sich der Rechteinhaber vor, Missbräuche juristisch zu belangen.

Herstellung:

Bookwire GmbH

Voltastraße 1

60468 Frankfurt am Main

Deutschland

Verlag:

Nachtschatten Verlag AG

Kronengasse 11

4500 Solothurn

Schweiz

IMPRESSUM

Terence McKenna

Speisen der Götter

Die Suche nach dem ursprünglichen Baum der Weisheit

Nachtschatten Verlag

Kronengasse 11

4500 Solothurn

www.nachtschatten.ch

[email protected]

© 1992 Terence McKenna

Erstauflage bei Bantam Books 1992 mit dem Titel

Food Of The Gods, The Search For The Original Tree Of Knowledge

Der Nachtschatten Verlag wird vom Bundesamt für Kultur mit einemStrukturbeitrag für die Jahre 2021–2025 unterstützt.

Korrektorat: Markus Berger

Layout: Elena-Maria Bloch, Nina Seiler

Cover: Nina Seiler

Druck: ScandinavianBook

ISBN: 978-3-03788-666-3

eISBN: 978-3-03788-693-9

Auslieferung EU:

LKG

Leipziger Kommissions- und Großbuchhandelsgesellschaft mbH

An der Südspitze 1-12

04571 Rötha

[email protected]

INHALT

EINFÜHRUNG

EIN MANIFEST NEUER ÜBERLEGUNGEN ZUM THEMA DROGEN

Eine schmerzhafte Neubewertung

Das Wiederbeleben des Archaischen

Ein neues Manifest

Das Erbe der Herrschaftskultur

PARADIES

1SCHAUPLATZ SCHAMANISMUS

Schamanismus und gewöhnliche Religion

Ekstasetechniken

Eine Welt aus Sprache

Höherdimensionale Realität

Ein schamanisches Mem

Schamanismus und die verlorene archaische Welt

2DIE MAGIE IN DER KOST

Es war einmal ein zottiger Menschenaffe …

Du bist, was du isst

Symbiose

Die Evolution des Menschen in neuem Licht

Das tatsächlich fehlende Glied in der Evolutionskette

Drei große Schritte für die Menschheit

Weg von Lamarck

Auf den Geschmack gekommen

3DIE SUCHE NACH DEM URSPRÜNGLICHEN BAUM DER ERKENNTNIS

Halluzinogene als fehlendes Glied in der Evolutionskette

Die Suche nach dem Baum der Erkenntnis

Welche Pflanzen kommen in die engere Wahl?

Die Urpflanze

Was sind pflanzliche Halluzinogene?

Das transzendente Andere

4PFLANZEN UND PRIMATEN: ANSICHTSKARTEN AUS EINER BERAUSCHTEN STEINZEIT

Die Einzigartigkeit des Menschen

Das kognitive Potenzial des Menschen

Umwandlungen der Affen

Das Auftauchen der menschlichen Vorstellungskraft in der Vorgeschichte

Strukturen und Begreifen

Bewusstseinskatalyse

Und das Fleisch wurde Wort

Frauen und Sprache

5GEWOHNHEIT ALS KULTUR UND RELIGION

Ekstase

Schamanismus als Katalysator gesellschaftlicher Prozesse

Der Monotheismus

Pathologischer Monotheismus

Archaische Sexualität

Ibogain bei den Fang

Kontraste in der Sexualpolitik

6DIE HOCHEBENEN VON EDEN

Das Tassili-Plateau

Die Rundkopfzivilisation

Das wiedergefundene Paradies?

Eine Kultur als fehlendes Glied in der Evolutionskette

Der afrikanische Ursprung

Çatal Hüyük

Der entscheidende Unterschied

Die Intelligenz der Pflanzen

Gaia-Holismus

DAS VERLORENE PARADIES

7DIE SUCHE NACH SOMA: DAS GOLDENE RÄTSEL DER VEDEN

Kontaktaufnahme mit der Intelligenz hinter der Natur

Was ist Soma?

Haoma und die Zoroaster

Haoma und Harmalin

Die Fliegenpilztheorie der Wassons

Einwände gegen den Fliegenpilz

Wasson: Die Widersprüche in seiner Theorie und andere Kandidaten für Soma aus dem Reich der Pilze

Peganum harmala als Soma

Soma als männlicher Mondgott

Soma und das Rind

Wassons Zweifel

Eine plausiblere Erklärung

Die Indoeuropäer

8SCHWINDENDES LICHT ÜBER EDEN: DAS MINOISCHE KRETA UND DAS ELEUSINISCHE MYSTERIUM

Die Preisgabe des Mysteriums

Der Niedergang Çatal Hüyüks und das Zeitalter des Königtums

Minoische Pilzphantasien

Der Mythos von Glaukos

Honig und Opium

Das Bindeglied Dionysos

Das eleusinische Mysterium

Ein psychedelisches Mysterium?

Die Theorie vom Mutterkornbier

Ranke-Graves’ Psilocybin-Theorie

Ein historischer Wendepunkt

9ALKOHOL UND DIE ALCHIMIE GEISTIGER GETRÄNKE

Die Sehnsucht nach dem Paradies

Alkohol und Honig

Der Wein und die Frau

Natürliche und synthetische Drogen

Alchimie und Alkohol

Geißel Alkohol

Alkohol und das Weibliche

Sexuelle Klischees und Alkohol

10DIE BALLADE DER TRAUMWEBER: CANNABIS UND KULTUR

Haschisch

Die Skythen

Indien und China

Cannabis als Kulturstil

Cannabis in der Antike

Cannabis und die Sprache des Geschichtenerzählens

Cannabis in Europa und die Versessenheit auf den Orient

Cannabis und das Amerika des neunzehnten Jahrhunderts

Die Entwicklung der Einstellungen zu Drogen

Fitz Hugh Ludlow

Cannabis im zwanzigsten Jahrhundert

HÖLLE

11WOHLBEHAGLICHES IM MORGENROCK: ZUCKER, KAFFEE, TEE UND KAKAO

Geschmackserweiterung

Ein fade schmeckendes Leben

Noch ein wenig Zucker dazu?

Zucker als Sucht

Zucker und Sklaverei

Zucker und der Stil der Herrschaftsgesellschaft

Die Drogen der Vornehmen

Kaffee und Tee: Neue Alternativen zum Alkohol

Es braut sich etwas zusammen: Tee und Revolution

Kreisläufe der Ausbeutung

Kaffee

Kontra Kaffee

Kakao

12RAUCH VERNEBELT DEN BLICK: OPIUM UND TABAK

Paradoxe Einstellungen

Europa führt das Rauchen ein

Die alte Verlockung des Opiums

Alchimistisches Opium

Schamanentabak

Tabak als Medizin der Quacksalber

Gegen den Tabak

Der Triumphzug des Tabaks

Die Opiumkriege

Opium und Kulturstil: De Quincey

Die Anfänge der Psychopharmakologie

13SYNTHETISCHE DROGEN: HEROIN, KOKAIN UND DAS FERNSEHEN

Harte Betäubungsdrogen

Kokain: Entsetzen in Weiß

Pro Kokain

Die moderne Hysterie gegenüber Drogen

Drogen und Regierungen

Drogen und internationale Geheimdienste

Elektronische Drogen

Der heimliche Verführer

DAS ZURÜCKGEWONNENE PARADIES?

14ZUR GESCHICHTE PSYCHEDELISCHER DROGEN

Die Halluzinogene der neuen Welt

Ayahuasca

Der Vater der Psychopharmakologie

Die Freuden des Meskalins

Eine moderne Renaissance

Das Geraune um einen Pilz der Neuen Welt

Die Erfindung des LSD

Der Deckel ist weg, die Büchse der Pandora ist offen

LSD und die psychedelischen Sechziger

Richard Schultes und die halluzinogenen Pflanzen

Leary in Harvard

Psilocybin: Psychedelische Drogen in den Siebzigern

Die eigentliche Bedeutung und die Auswirkungen psychedelischer Drogen

Das Problembewusstsein der Öffentlichkeit

15AUSBLICKE AUF DAS ARCHAISCHE PARADIES

Das Wahlangebot an wirklicher Welt

Triftige Gründe für halluzinogene Tryptamine

Wie fühlt es sich denn an?

Im Angesicht der Lösung

Das Modell Tintenfisch

Kunst und die Revolution

Bewusstseinserweiterung

Der Krieg gegen das Rauschgift

Der Hyperraum und die Freiheit des Menschen

Das Neue daran

Die DMT-Erfahrung

Der Hyperraum und die Gesetzgebung

Begegnungen mit einer bemerkenswerten Überseele

Unsere wiedergefundenen Ursprünge

Der Beitrag der Fundamentalisten

Der Streit um die Legalisierung

Ein bescheidener Vorschlag

EPILOG

INNEN WIE AUSSEN SCHAUEN WIR AUF EIN MEER AUS STERNEN

Wenn nicht wir, wer dann? Wenn nicht jetzt, wann denn?

Den Ausweg finden

Von den Graslandschaften zum Weltraumschiff

Tief in der Vision warten wir schon auf uns

Anmerkungen

Glossar

Register

DANKSAGUNGEN

Ich möchte mich bei meinen Freunden und Kollegen für ihre Geduld und ihre Unterstützung beim Schreiben dieses Buches bedanken, insbesondere bei Ralph Abraham, Rupert Sheldrake, Ralph Metzner, Dennis McKenna, Chris Harrison, Neil Hassall, Dan Levy, Ernest Waugh, Richard Bird, Roy und Diane Tuckman, Faustin Bray und Brian Wallace, sowie Marion und Allan Hunt-Badiner. Ich danke auch Dr. Elizabeth Judd und Marc Lamoreaux, mit denen ich brieflich Kontakt hatte und die mir nützliche Informationen zukommen ließen. Jeder dieser Menchen hat mit seinem eigenen, einmaligen Beitrag etwas zu meinen Überlegungen beigesteuert, obwohl die daraus gezogenen Schlüsse nur ich zu rechtfertigen habe.

Der Archivar und Freund Michael Horowitz hat viel für dieses Werk getan. Er las das Manuskript sorgfältig, kritisierte es und machte mir die Bildarchive der Fitz Hugh Ludlow Memorial Library zugänglich, wodurch die visuelle Seite meiner Ausführungen ungeheuer bereichert wurde. Danke, Michael!

Mein besonderer Dank gilt Michael und Dulce Murphy, Steve und Anita Donovan, Nancy Lunney, Paul Herbert, Kathleen O'Shaugnessy und allen am Esalen Institute, die mir die Gelegenheit gaben, im Juni 1989 und 1990 in Esalen zu wohnen, zu lehren und zu forschen. Teile dieses Buches wurden während dieser Aufenthalte geschrieben. Ich danke auch Lew und Jill Carlino und Robert Chartoff, geduldigen Freunden, die Teilen dieses Buches zuhörten, ohne es vielleicht gewußt zu haben.

Meine Partnerin Kat, Kathleen Harrison McKenna, teilt seit langem meine Leidenschaft für den psychedelischen Ozean und die Ideen, die darin schwimmen. Auf unseren Reisen ins Amazonasgebiet und zu anderen Orten war sie mir bestmögliche Begleiterin, Kollegin und Muse.

Kat und meine beiden Kinder, Finn und Klea, unterstützten mich, während ich dieses Buch schrieb, und waren immun gegen meine vielen Launen und die langen Zeiten der Zurückgezogenheit eines Schriftstellers. Ihnen gilt meine tiefste Liebe und Anerkennung. Danke, dass ihr das solange ausgehalten habt!

Ein besonderes Dankeschön auch an Leslie Meredith, meine Verlegerin bei Bantam Books, und ihre rechte Hand, Claudine Murphy. Ihr unermüdlicher Glaube an die Wichtigkeit dieser Gedanken inspirierten mich, mein Denken in neue Bereiche auszudehnen und meine Gedanken zu klären. Auch meinem Agenten, John Brockman, gilt mein Dank. Er führte mich durch die spezielle Einweihung, die einem nur der Reality Club geben kann.

Zum Schluss will ich den tiefen Dank zum Ausdruck bringen, den ich der psychedelischen Gemeinde schulde, den Hunderten von Menschen, mit denen in Kontakt zu kommen ich das Privileg hatte. Und das während eines Lebens, das der Jagd nach einem flüchtigen Blick auf den Gottesboten in Pfauengestalt gewidmet war. Es sind die Schamanen unter uns, alte wie neue, die den Weg weisen und meine Inspiration waren, die, deren Augen Dinge gesehen haben, die vorher noch keines Menschen Auge geschaut hat.

EINFÜHRUNG

EIN MANIFEST NEUER ÜBERLEGUNGEN ZUM THEMA DROGEN

Die planetarische Kultur wird von einem Schreckgespenst heimgesucht – dem Schreckgespenst der Drogen. Die durch die Renaissancebewegung geschaffene Definition der Menschenwürde, die sich zu den demokratischen Werten der modernen Zivilisation des Westens entwickelte, scheint sich am Punkt der Auflösung zu befinden. Aus den großen Medien tönt es in voller Lautstärke: Die Fähigkeit des Menschen zu zwanghaftem Verhalten und zur Sucht ist eine satanische Ehe mit der modernen Pharmakologie, dem Marketing und schnellen Transportmitteln eingegangen. Bis vor kurzem unbedeutende Formen einer Nutzung chemischer Substanzen konkurrieren jetzt offen auf einem globalen Marktplatz miteinander, auf dem es keine Regeln gibt. Ganze Regierungen und Nationen der Dritten Welt stehen im Bann legaler und illegaler Handelsgüter, die zwanghaftes Verhalten fördern.

Diese Situation ist nicht neu; sie verschlechtert sich jedoch. Bis vor gar nicht so langer Zeit waren die internationalen Drogenkartelle gehorsame Diener der Regierungen und Geheimdienste, die die Kartelle dazu geschaffen hatten, Quellen für ‹unsichtbare› Gelder zu suchen, mit denen ihre Art des institutionalisierten Zwangsverhaltens finanziert wurde.1 Durch den beispiellosen Anstieg der Nachfrage nach Kokain gleichen diese Drogenkartelle heute bösartigen, von der Herde verstoßenen Elefanten, angesichts deren Macht selbst ihre Schöpfer allmählich unruhig werden.2

Von allen Seiten dringt das traurige Spektakel der ‹Drogenkriege› auf uns ein. Diese Kriege werden von den gleichen Regierungsinstitutionen geführt, die üblicherweise durch ihre Lethargie und Unwirksamkeit wie gelähmt sind oder offenkundig gemeinsame Sache mit den internationalen Drogenkartellen machen, die sie vor dem Druck der Öffentlichkeit zu zerschlagen gelobten.

In diese Situation eines allgemeinen Gebrauchs wie Missbrauchs von Drogen kann kein Licht fallen, solange wir unsere gegenwärtige Lage nicht einer schonungslosen Neubewertung unterziehen und einige alte, fast vergessene, Verhaltensweisen und Erfahrungsmuster im Umgang mit Drogen untersuchen. Dieser Aufgabe können wir gar nicht genug Bedeutung beimessen. In Eigenregie psychoaktive Substanzen zu nehmen, wird in wachsendem Maße zu einem Bestandteil der zukünftigen Entfaltung globaler Kultur werden.

EINE SCHMERZHAFTE NEUBEWERTUNG

Am Anfang jeder Neubewertung unseres Gebrauchs von Substanzen muss der Begriff der Gewohnheit stehen, «einer ständigen Neigung oder verfestigten Handlungsweise». Vertraut, sich dauernd wiederholend und größtenteils nicht Gegenstand einer Überprüfung, ist Gewohnheit einfach das, was wir tun. «Der Mensch ist ein Gewohnheitstier», sagt der Volksmund. Auch Kultur besteht zum großen Teil aus Gewohnheiten, die wir von den Eltern und den Menschen um uns herum gelernt haben und die langsam durch Veränderungen der Lebensbedingungen und inspirierten Neuerungen modifiziert werden.

Wie langsam diese kulturellen Umwandlungsprozesse scheinbar auch ablaufen mögen, im Kontrast zu den sich langsamer als Gletscherbewegungen vollziehenden Modifikationen einer Spezies oder eines Ökosystems präsentiert sich Kultur als ein fortwährendes Spektakel wilder Neuerungen. Wenn uns Natur das Prinzip der Wirtschaftlichkeit vor Augen führt, dann veranschaulicht Kultur sicherlich das Prinzip einer durch Exzess bewirkten Neuerung.

Wenn uns Gewohnheiten vereinnahmen, wenn unsere Hingabe an sie die kulturell definierten Normen übersteigt, bezeichnen wir sie als Zwänge. In solchen Situationen haben wir das Gefühl, dass die nur dem Menschen eigentümliche Dimension des freien Willens irgendwie beeinträchtigt wurde. Ein Zwangsverhalten können wir in fast jeder Hinsicht entwickeln: Das Lesen der Morgenzeitung kann genauso zum Zwang werden wie die Besessenheit von materiellen Objekten (beim Sammler), von Land und Eigentum (beim Gründer eines Imperiums) oder von der Macht über andere Menschen (beim Politiker).

Viele von uns sind ja vielleicht Sammler, nur wenige von uns haben jedoch die Gelegenheit, unserer Besessenheit so weit zu frönen, dass wir ein Imperium gründen oder Politiker werden. Der normale Mensch neigt dazu, seine Besessenheit auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren, und zwar auf den Bereich unmittelbarer Befriedigung durch Sex, Nahrung und Drogen. Bewirken chemische Bestandteile der Nahrung und Drogen (auch Metabolite genannt) zwanghaftes Verhalten, wird das als Sucht bezeichnet.

Sucht und Zwangshandlungen gibt es nur bei Menschen. Gewiss, es gibt genügend Anekdoten, die den Gedanken unterstützen, dass es auch bei Elefanten, Schimpansen und einigen Schmetterlingen eine Vorliebe für Rauschzustände gibt.3 Wir sehen jedoch, dass es wie bei der Gegenüberstellung der linguistischen Fähigkeiten von Schimpansen oder Delfinen und der Sprache des Menschen riesige Unterschiede zwischen dem entsprechenden Verhalten der Tiere und dem der Menschen gibt.

Gewohnheit. Zwangsverhalten. Sucht. Diese Begriffe sind Wegmarken auf der Bahn eines immer weiter dahinschwindenden freien Willens. Der Begriff der Sucht beinhaltet das völlige Fehlen der Kraft des freien Willens, und in unserer Kultur wird Sucht jeglicher Art als ernste Sache angesehen – insbesondere bei einem exotischen oder unüblichen Suchtverhalten. Im neunzehnten Jahrhundert wurde der Opiumsüchtige im Englischen mit dem Begriff ‹opium fiend› bezeichnet, wobei ‹fiend› in der Bedeutung von ‹Erzfeind› oder ‹Satan› die Vorstellung einer dämonischen Besessenheit durch eine kontrollierende Kraft von außen anklingen lässt. Im zwanzigsten Jahrhundert wurde der Süchtige als besessene Person durch die Vorstellung von der Sucht als Krankheit ersetzt. Bei dieser Vorstellung ist der freie Wille endgültig zu einem Nichts zusammengeschrumpft. Für Krankheiten, die wir erben oder die wir uns zuziehen können, gelten wir ja schließlich auch nicht als verantwortlich.

Die chemische Abhängigkeit des Menschen spielt heute jedoch eine viel bewusstere Rolle bei der Ausbildung und Aufrechterhaltung kultureller Werte als je zuvor.

Seit der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts hat die organische Chemie Forschern, Ärzten und letztendlich jedem immer schneller und effizienter eine unendliche Fülle synthetischer Drogen an die Hand gegeben. Diese Drogen sind stärker, wirksamer, wirken länger und rufen in einigen Fällen eine um ein Vielfaches stärkere Sucht hervor als ihre natürlichen Verwandten. (Eine Ausnahme ist Kokain, das ausgesprochen zerstörerisch wirkt, wenn man es aufbereitet, konzentriert und injiziert, obwohl es sich dabei um ein natürliches Produkt handelt.)

Das Aufkommen einer globalen Informationskultur hat zur allgemeinen Verfügbarkeit von Informationen über der Erholung dienliche, aphrodisische, stimulierende, beruhigende und psychedelische Pflanzen geführt. Diese Pflanzen waren von neugierigen Menschen entdeckt worden, die in abgeschiedenen und bis dahin nicht miteinander in Verbindung stehenden Regionen des Planeten lebten. Zeitgleich mit dem Eintreffen dieser Flut an botanischen und ethnographischen Informationen in der westlichen Gesellschaft, durch die Gewohnheiten anderer Kulturen auf die unsere übertragen wurden und uns größere Wahlmöglichkeiten als je zuvor zur Verfügung standen, ging es auf dem Gebiet der Synthese komplexer organischer Moleküle und im Ausmaß unseres Verständnisses des molekularen Mechanismus der Gene und der Erbmasse in Riesenschritten voran. Diese neuen Einsichten und Technologien tragen zu einer ganz anderen Kultur psychopharmakologischer Steuerungstechniken bei. Designerdrogen, MDMA oder Ecstasy und Anabolika, die von Athleten und Teenagern dazu genutzt werden, die Bildung von Muskeln anzuregen, sind die Vorboten einer Ära, in der wir auf pharmakologischem Wege noch häufiger und wirksamer darauf Einfluss nehmen, wie wir aussehen, welche Leistungen wir vollbringen und wie wir uns fühlen.

Die Vorstellung, den Gebrauch von zunächst Hunderten und dann Tausenden von leicht herzustellenden, heiß begehrten, jedoch illegalen synthetischen Substanzen auf globaler Ebene strengen Reglements zu unterwerfen, entsetzt jeden, der auf eine offenere und weniger reglementierte Zukunft hofft.

DAS WIEDERBELEBEN DES ARCHAISCHEN

Dieses Buch will die Möglichkeit einer Wiederbelebung der archaischen Einstellung gegenüber der Gemeinschaft, der Verwendung von Substanzen und der Natur erkunden, die einer vorindustriellen, des Lesens und Schreibens unkundigen Kultur entsprach und unseren prähistorischen nomadischen Ahnen vor dem Aufkommen des gegenwärtigen, ‹westlich› genannten Kulturstils über eine lange Zeit hinweg gute Dienste geleistet hat. Der Begriff ‹archaisch› bezieht sich dabei auf die sieben- bis zehntausend Jahre zurückliegende Zeit des Jungpaläolithikums, die Zeit unmittelbar vor der Erfindung und Verbreitung der Landwirtschaft. Das Archaische war eine Zeit des nomadischen Hirtentums und der Partnerschaft, einer Kultur, die auf Viehzucht, Schamanismus und der Verehrung der Göttin beruhte.

Die folgenden Erörterungen habe ich grob in chronologischer Reihenfolge zusammengestellt, wobei die letzten und am meisten auf die Zukunft ausgerichteten Abschnitte die archaischen Themen der früheren Kapitel wiederaufgreifen und umgestalten. Die Ausführungen folgen der Route einer pharmakologischen Pilgerreise. Daher nannte ich die vier Teile des Buches «Paradies», «Das verlorene Paradies», «Hölle» und, hoffentlich nicht zu optimistisch, «Das zurückgewonnene Paradies?» Ein Verzeichnis spezieller Begriffe mit den entsprechenden Erläuterungen ist am Ende des Buches zu finden.

Offensichtlich können wir nicht weiter auf die alte Weise über den Gebrauch von Drogen nachdenken. Als globale Gesellschaft müssen wir ein neues Leitbild für unsere Kultur finden, das die Sehnsüchte der Menschheit mit den Erfordernissen des Planeten und den Bedürfnissen des Einzelnen vereint. Eine Analyse der existentiellen Unvollständigkeit in uns, die uns dazu treibt, Abhängigkeits- und Suchtbeziehungen zu Pflanzen und Drogen aufzunehmen, wird zeigen, dass wir mit dem Heraufdämmern der Geschichtsschreibung etwas Kostbares verloren haben, durch dessen Fehlen wir uns die Krankheit des Narzissmus zuzogen. Nur eine Wiederentdeckung unserer Beziehung zur Natur, die wir durch die Verwendung psychoaktiver Pflanzen vor dem Sturz in die von der Geschichtsschreibung erfassten Zeit entwickelten, können wir die Hoffnung auf eine menschliche und uns weiter offenstehende Zukunft hegen.

Bevor wir uns unwiderruflich dem Hirngespinst einer drogenfreien Kultur anvertrauen, die zum Preis eines vollständigen Über-Bord-Werfens der Ideale einer freien und demokratischen planetarischen Gesellschaft erkauft wird, müssen wir schwierige Fragen stellen: Warum sind wir als Spezies Mensch so sehr von veränderten Bewusstseinszuständen fasziniert? Wie haben sich diese Zustände auf unsere ästhetischen und spirituellen Bestrebungen ausgewirkt? Was haben wir verloren, indem wir dem einzelnen jede Legitimität absprachen, Substanzen zu nutzen, um persönlich das Transzendente und Heilige zu erleben? Ich hoffe, dass wir durch eine Antwort auf diese Fragen gezwungen werden, uns den Konsequenzen eines Leugnens der spirituellen Dimension der Natur zu stellen und zu erkennen, welche Folgen es hat, wenn wir in der Natur lediglich eine ‹Ressource› sehen, um die wir kämpfen und die wir plündern. Eine informierte Diskussion dieser Fragen wird weder von Kontrolle Besessene noch ignorante religiöse Fundamentalisten noch braunen Faschismus jeglicher Form beruhigen.

Die Frage, wie wir als Gesellschaft und wie jeder einzelne von uns im späten zwanzigsten Jahrhundert zu psychoaktiven Pflanzen stehen, wirft eine noch umfassendere Frage auf: Wie wurden wir über die Zeit hinweg von den sich ändernden Verbindungen geformt, die wir auf unserem Weg durch den Irrgarten der Geschichte mit verschiedenen Vertretern der Pflanzenwelt eingegangen sind und die wir wieder aufgelöst haben? Diese Frage wird uns in den kommenden Kapiteln noch ausführlicher beschäftigen.

Der Urmythos unserer Kultur beginnt im Garten Eden mit dem Essen der Frucht vom Baum der Erkenntnis. Wenn wir nicht aus unserer Vergangenheit lernen, könnte diese Geschichte mit einem vergifteten Planeten enden, dessen Wälder nur noch in unserer Erinnerung vorhanden sind, dessen biologischer Zusammenhalt zerstört wurde und auf dem das uns bei unserer Geburt übertragene Erbe zu einer unter Unkräutern erstickten verwüsteten Einöde geworden ist. Wenn wir bei unseren bisherigen Versuchen, unsere Ursprünge und unseren Platz in der Natur zu begreifen, etwas übersehen haben, befinden wir uns jetzt in einer Position, von der aus wir zurückschauen und nicht nur unsere Vergangenheit, sondern auch unsere Zukunft in gänzlich neuer Weise verstehen können? Wenn wir das verlorene Gespür für die Natur als lebendiges Mysterium wiedergewinnen können, können wir neuer Perspektiven des kulturellen Abenteuers sicher sein, das mit Bestimmtheit vor uns liegen muss. Wir haben die Möglichkeit, uns von dem düsteren historischen Nihilismus zu entfernen, der für die Zeit unserer tief patriarchalischen Herrschaftskultur so kennzeichnend ist. Wir sind in der Lage, die archaische Aufgeschlossenheit für unsere fast symbiotische Beziehung mit psychoaktiven Pflanzen als einen aus der Pflanzenwelt zur Welt des Menschen herüberfließenden Urquell der Einsicht und des harmonischen Zusammenspiels wiederzugewinnen.

Das Mysterium unseres eigenen Bewusstseins und der Kräfte der Selbstreflektion ist irgendwie mit diesem Kommunikationskanal zu einer ungesehenen Intelligenz verknüpft, von dem die Schamanen beharrlich behaupten, es sei der Geist oder die Intelligenz der lebendigen Welt der Natur. Für Schamanen und schamanische Kulturen stellte die Erkundung dieses Mysteriums immer eine glaubwürdige Alternative zum Leben in einer einschränkenden materialistischen Kultur dar. Wir von den industriellen Demokratien können uns dazu entschließen, diese unvertrauten Dimensionen jetzt zu erforschen oder solange zu warten, bis die voranschreitende Zerstörung des lebendigen Planeten jede weitere Erforschung bedeutungslos werden.

EIN NEUES MANIFEST

Die Zeit ist daher reif, im Rahmen des großartigen, der menschlichen Natur entsprechenden Diskurses, den die Ideengeschichte darstellt, über unsere Faszination vom gewohnheitsmäßigen Gebrauch psychoaktiver und physioaktiver Pflanzen noch einmal gründlich nachzudenken. Aus den Exzessen der Vergangenheit und insbesondere denen der sechziger Jahre müssen wir zwar lernen, können aber nicht einfach befürworten, «Drogen, nein danke!» zu sagen. Genausowenig können wir den Rat geben: «Probier’s doch mal, es wird dir schon gefallen!» Einen Standpunkt, der die Gesellschaft in Drogenbenutzer und Menschen, die Drogen meiden, aufteilt, können wir ebenfalls nicht unterstützen. Zur Lösung dieser Fragen benötigen wir einen umfassenden Ansatz, der auch die tieferen evolutionären und geschichtlichen Hintergründe miteinbezieht.

Der Mutationen hervorrufende Einfluss der Ernährung auf den frühen Menschen und die Wirkung exotischer Metabolite auf die Evolution seiner Neurochemie und Kultur ist immer noch unerforschtes Territorium. Die frühen Hominiden wurden zum Allesfresser und entdeckten die Kraft bestimmter Pflanzen; beides waren entscheidende Faktoren dafür, dass sich der frühe Mensch aus dem Strom der Tierevolution heraus und in die schnell ansteigende Flut der Sprache und Kultur hineinbewegte. Unsere entfernten Vorfahren fanden heraus, dass die Einnahme bestimmter Pflanzen Appetit unterdrückt, Schmerz lindert, zu plötzlichen Energieschüben führt, immun gegen Krankheitserreger macht und an Erkenntnisprozessen synergistisch mitwirkt. Diese Entdeckungen veranlassten uns, die lange Reise zur Selbstreflektion anzutreten. Sobald wir Allesfresser wurden und Werkzeuge gebrauchten, verwandelte sich die Evolution selbst von einem Prozess langsamer Modifikationen unserer physischen Form in ein rasches Festlegen kultureller Formen durch die immer weiter vorangetriebene Verfeinerung von Ritualen, Sprachen, Geschriebenem, Gedächtnisleistungen und Technologie.

Diese ungeheuren Veränderungen vollzogen sich im wesentlichen als Ergebnis des Zusammenwirkens von Menschen und den verschiedenen Pflanzen, mit denen sie in Interaktion traten und mit denen sie einen gemeinsamen Entfaltungsprozess durchliefen. Eine vorbehaltlose Beurteilung des Einflusses, den Pflanzen auf die Grundlagen menschlicher Institutionen ausüben, würde ergeben, dass sie dabei absolut an erster Stelle stehen. In Zukunft wird die Anwendung von Problemlösungen, zu denen wir durch Pflanzen inspiriert wurden wie das Nullwachstum der Bevölkerungszahl, die Wasserstoffgewinnung aus Meerwasser, massive Recyclingprogramme und andere Lösungen in Form von Fließgleichgewichten vielleicht dazu beitragen, die Reorganisation unserer Gesellschaftssysteme und des Planeten in stärkerem Maße in holistische, umweltbewusste, neo-archaische Bahnen zu lenken.

Die Unterdrückung der natürlichen Faszination des Menschen für veränderte Bewusstseinszustände und die gegenwärtige gefährliche Situation für das gesamte Leben auf der Erde sind eng und ursächlich miteinander verknüpft. Wenn wir den Zugang zu schamanischer Ekstase verbieten, schotten wir uns vom erfrischenden Wasser der Emotionen ab, die einer tief eingebundenen und fast symbiotischen Beziehung zur Erde entströmen. Als Folge entwickeln sich schlecht an die Lebensumgebung angepasste Gesellschaftsstile, die Überbevölkerung, eine schlechte Nutzung natürlicher Ressourcen und Umweltvergiftung begünstigen, und halten sich selbst aufrecht. Keine Kultur auf der Erde befindet sich in einem Zustand derart massiver Abgestumpftheit gegenüber den Konsequenzen eines so schlecht angepassten Verhaltens wie die des industriellen Westens. In einer surrealen Atmosphäre sich immer weiter verschärfender Krisen und unversöhnlicher Widersprüche tun wir so, als wäre alles ganz normal.

Als Spezies müssen wir uns die Tiefe des historischen Dilemmas eingestehen, in dem wir stecken. Wir werden weiter nur mit der Hälfte der vorhandenen Karten spielen, solange wir von Regierung und Wissenschaft begangene Grundfehler tolerieren. Diese Institutionen sind auch noch so dreist zu diktieren, worauf die Neugier des Menschen ihre Aufmerksamkeit legitimerweise richten darf und worauf nicht. Solche Einschränkungen der menschlichen Vorstellungskraft sind erniedrigend und unsinnig. Die Regierung begrenzt nicht nur die Erforschung psychedelischer Substanzen, die zu wertvollen psychologischen und medizinischen Einsichten führen würde, sondern maßt sich auch noch an, deren religiösen und spirituellen Gebrauch zu unterbinden. Jeder Bürger hat ein Anrecht darauf, psychedelische Pflanzen für religiöse Zwecke zu gebrauchen. Die Einschränkung dieses bürgerlichen Grundrechts unterdrückt legitime religiöse Gefühle. Tatsächlich wird dabei nicht nur irgendein religiöses Gefühl unterdrückt, sondern das religiöse Gefühl schlechthin, die Erfahrung einer Rückbindung oder religio, die auf Verbindungen zwischen Menschen und Pflanzen beruht, die schon lange vor dem Aufkommen der Geschichte ihren angestammten Platz hatten.

Wir können es nicht länger hinauszögern, die wahren Kosten und den tatsächlichen Nutzen eines gewohnheitsmäßigen Gebrauchs von Pflanzen und Drogen mit denen einer Unterdrückung ihrer Verwendung aufrichtig gegeneinander abzuwägen. Unsere globale Kultur läuft Gefahr, unter dem Orwellschen Versuch zusammenzubrechen, das Problem durch Militär und Polizei begangenen Terrorismus an Drogenkonsumenten innerhalb unserer Bevölkerung und an Drogenproduzenten in der Dritten Welt aus der Welt zu knüppeln. Diese repressive Reaktion wird weitgehend von einer nicht hinterfragten Angst geschürt, die das Ergebnis falscher Informationen und eines fehlenden Wissens über historische Entwicklungen ist.

Tiefsitzende kulturelle Vorurteile erklären, warum der westliche Intellekt sich urplötzlich verängstigt und repressiv verhält, wenn er über Drogen nachsinnt. Von Substanzen hervorgerufene Bewusstseinsveränderungen enthüllen auf dramatische Weise, dass unser Innenleben physische Grundlagen hat. Psychoaktive Drogen sind daher eine Herausforderung für die christliche Auffassung von der Unverletzlichkeit der Seele und ihres speziellen ontologischen Status. Auf ganz ähnliche Weise stellen sie auch die moderne Vorstellung vom Ich, seiner Unverletzlichkeit und seiner Kontrollstrukturen in Frage. Kurzum, Begegnungen mit psychedelischen Pflanzen gefährden die gesamte Weltanschauung der dominatorischen Herrschaftskultur.

Wir werden bei dieser erneuten Betrachtung unserer Geschichte noch oft auf das Thema des Ichs oder Egos und der Herrschaftskultur stoßen. Die schreckliche Angst, die das Ego verspürt, wenn es über die Auflösung der Grenzen zwischen Selbst und Welt nachsinnt, steht nicht nur hinter der Unterdrückung veränderter Bewusstseinszustände, sondern erklärt ganz allgemein auch die Unterdrückung des Weiblichen, des Fremden und Exotischen und transzendenter Erfahrungen. In vorhistorischer, aber nacharchaischer Zeit, ungefähr 5000 bis 3000 v. Chr., schuf die Unterdrückung herrschaftsfreier Partnerschaftsgesellschaften durch patriarchalische Eindringlinge die Voraussetzungen für eine Unterdrückung der von Schamanen betriebenen offenen experimentellen Erforschung der Natur. In hochorganisierten Gesellschaften wurde diese archaische Tradition durch eine Tradition ersetzt, für die Dogma, Priesterschaft, Patriarchat, Kriegskunst und schließlich ‹die rationalen und wissenschaftlichen› Werte oder die Werte der Herrschaftskultur kennzeichnend waren.

Bis jetzt habe ich die Begriffe ‹partnerschaftlicher› und ‹dominatorischer› Kulturstil ohne Erläuterung benutzt. Diese nützlichen Begriffe verdanke ich Riane Eisler und ihrem bedeutsamen Rückblick auf die geschichtliche Entwicklung in ihrem Buch Kelch und Schwert4. Eisler hat darin den Gedanken ausgeführt, dass partnerschaftliche Gesellschaftsmodelle den dominatorischen, auf Herrschaft begründeten Formen gesellschaftlicher Organisation vorangingen, später mit ihnen konkurrierten und schließlich von letzteren unterdrückt wurden. Herrschaftskulturen sind hierarchische, paternalistische, materialistische und von Männern beherrschte Kulturen. Riane Eisler glaubt, dass die Spannungen zwischen den partnerschaftlich und den dominatorisch organisierten Gesellschaften und der übermäßige Ausdruck eines von Herrschaftsstrukturen geprägten Gesellschaftsmodells verantwortlich sind für unsere Entfremdung von der Natur, von uns selbst und voneinander. Eisler hat eine hervorragende Synthese verfasst, die das Aufkommen menschlicher Kultur im Altertum auf dem Gebiet des Vorderen Orients und die sich entfaltende politische Diskussion über eine Feminisierung der Kultur und die Notwendigkeit, beim Schaffen einer lebenswerten Zukunft männliche Herrschaftsstrukturen zu überwinden, zusammenführt. Ihre Analyse einer sanften Politik hebt das Niveau dieser Debatte über die Stimmen hinaus, die auf so schrille Weise das eine oder andere alte ‹Matriarchat› oder ‹Patriarchat› bejubelt oder schlechtgemacht haben. Kelch und Schwert führt den Begriff der ‹Partnerschaftsgesellschaft› und der ‹Herrschaftsgesellschaft› ein und stützt sich bei der Argumentation, dass über ungeheuer große Gebiete hinweg und viele Jahrhunderte lang die Partnerschaftsgesellschaften des Mittleren Ostens ohne Krieg und große Umwälzungen lebten, auf archäologische Zeugnisse. Krieg und Patriarchat entstanden mit dem Aufkommen der Werte einer Herrschaftskultur.

DAS ERBE DER HERRSCHAFTSKULTUR

Unsere Kultur, die sich durch die toxischen Nebenprodukte der Technologie und einer egozentrischen Ideologie selbst vergiftet, ist der unglückliche Erbe der in einer Herrschaftskultur verbreiteten Einstellung, dass eine Veränderung des Bewusstseins mittels Pflanzen oder chemischer Substanzen irgendwie falsch, onanistisch und auf perverse Weise gegen das soziale Zusammenleben gerichtet ist. Ich werde Argumente dafür bringen, dass eine Unterdrückung der schamanischen Gotteserkenntnis mit ihrem in eine ekstatische Auflösung des Egos gesetzten Vertrauen und ihrer Betonung dieses Prozesses uns unseres Lebenssinns beraubt hat und uns zu Feinden des Planeten, Feinden von uns selbst und Feinden unserer Enkel gemacht hat.

Wir bringen den Planeten um, nur damit wir nicht an den irrigen Annahmen rühren, auf denen ein auf dem Ego und auf Vorherrschaft aufbauender Kulturstil beruht.

Die Zeit ist reif für einen Wandel.

PARADIES

1

SCHAUPLATZ SCHAMANISMUS

Reglos saß Raongi im Licht des verlöschenden Feuers. Er spürte, wie sich tief drinnen in seinem Körper etwas hin und her wand, als hätte er einen Aal verschluckt. Als er diesen Gedanken formte, erschien wie auf Befehl der übergroße und in elektrisches Blau getauchte Kopf eines Aals im verdunkelten Raum hinter seinen Augenlidern.

«Muttergeist des ersten Wasserfalls…»

«Großmutter der ersten Flüsse…»

«Zeige dich, zeige dich!»

Der verdunkelte Raum hinter der sich jetzt langsam um seine Achse drehenden Gestalt des Aals reagierte auf die Stimmen und füllte sich mit Funken; Lichtwellen schlugen höher und höher, begleitet von einem immer intensiveren Tosen.

«Es ist die erste maria.» Die Stimme von Mangi, der älteren Schamanin des Dorfes Jarocamena, war es, die das sagte. «Sie ist so stark, so stark!»

Mangi schweigt, als die Visionen über den beiden zusammenschlagen. Sie stehen auf der Schwelle zu Venturi, der wirklichen Welt, der blauen Zone. Das Geräusch des fallenden Regens draußen ist nicht mehr zu erkennen. Das Rascheln trockener Blätter vermischt sich mit dem Klang entfernter Glocken. Ihr Klingeln scheint eher aus Licht als aus Tönen zu bestehen.

Bis vor relativ kurzer Zeit waren die Praktiken von Mangi und ihrem in der Abgeschiedenheit des Amazonasgebietes lebenden Stammes typisch für religiöse Praxis überall. Erst in den letzten paar Jahrtausenden haben sich Theologie und Ritual allmählich zu komplizierteren und nicht notwendigerweise brauchbareren Formen entwickelt.

SCHAMANISMUS UND GEWÖHNLICHE RELIGION

Als ich zu Beginn des Jahres 1970 im Gebiet des oberen Amazonas eintraf, hatte ich gerade etliche Jahre in asiatischen Gesellschaften gelebt. Asien ist ein Ort, an dem die Scherben ausrangierter religiöser Ontologien wie die Schalen vom Sand blank geputzter Skarabäen in der staubigen Landschaft herumliegen. Auf der Suche nach dem Wunderbaren hatte ich ganz Indien bereist. Ich hatte seine Tempel und Ashrams, seine Dschungel und Bergeinsiedeleien besucht. Doch Yoga, dessen Ruf man ein Leben lang folgen kann, und von dem einige wenige disziplinierte und asketische Geister wie besessen scheinen, war nicht imstande, mich in die inneren Landschaften zu befördern, die ich suchte.

In Indien lernte ich, dass Religion zu allen Zeiten und an allen Orten, an denen die leuchtende Flamme des Geistes niedrig brennt, nur großes Getue ist. Religion starrt einem in Indien aus weltmüden Augen entgegen, die an viertausend Jahre Priesterschaft gewöhnt sind. Das moderne hinduistische Indien war für mich einerseits der Gegenpol und andererseits das passende Vorspiel zu dem fast archaischen Schamanismus, den ich bei meiner Ankunft im Gebiet des Unterlaufs des Rio Putumayo in Kolumbien vorfand, um dort damit zu beginnen, den Gebrauch halluzinogener Pflanzen durch Schamanen zu studieren.

Schamanismus ist die aus dem Jungpaläolithikum überlieferte Praxis des Heilens, der Weissagung und theatralischer Schauspiele, die auf einer vor zehn- bis fünfzehntausend Jahren entwickelten Naturmagie beruht. Mircea Eliade, Autor von Schamanismus und archaische Ekstasetechnik und die herausragendste Autorität auf dem Gebiet des Schamanismus im Kontext der vergleichenden Religionswissenschaften, hat nachgewiesen, dass der Schamanismus zu allen Zeiten und überall in seinen Praktiken und Glaubensvorstellungen eine überraschende innere Übereinstimmung aufweist. Ob es sich bei dem Schamanen um einen in der Arktis lebenden Inuit oder einen Witoto am Oberlauf des Amazonas handelt, bestimmte Techniken und Erwartungen bleiben gleich. Die bedeutendste dieser Konstanten ist die Ekstase, was mein Bruder und ich bereits in unserem Buch The Invisible Landscape feststellten:

Der ekstatische Teil der Initiation des Schamanen lässt sich schwieriger analysieren, da er seitens des Novizen auf einer bestimmten Empfänglichkeit für Trancezustände und Ekstase beruht; vielleicht ist er launisch oder kränklich, hat einen schwachen Körper, eine Prädisposition zur Abgeschiedenheit, vielleicht Anfälle von Epilepsie oder Katatonie oder irgendeine andere psychologische Auffälligkeit (obwohl das nicht immer der Fall sein muss, wie einige Autoren zu diesem Thema meinen).1 In jedem Fall bildet die psychologische Veranlagung zur Ekstase nur den Ausgangspunkt für eine Initiation. Der künftige Schamane wird nach dem Durchleben unterschiedlich intensiver psychosomatischer Krankheiten oder dem Zeigen psychologischer Abweichungen schließlich damit beginnen, sich der initiatorischen Krankheit und Trance zu unterziehen;

er wird mehrere Tage lang wie tot oder wie im Tiefschlaf daliegen. In dieser Zeit wird er in seinen Träumen von HiIfsgeistern aufgesucht; vielleicht empfängt er Anweisungen von ihnen. Unweigerlich wird der werdende Schamane während seiner langen Trance eine Episode des mystischen Todes und der Auferstehung durchleben. Vielleicht sieht er, wie nur noch sein Knochengerüst übrigbleibt und dann mit neuem Fleisch versehen wird, oder er sieht, wie er in einem Kessel gesotten, von Geistern verschlungen und dann wieder ganz gemacht wird. Vielleicht stellt er sich auch vor, dass er von den Geistern einer Operation unterzogen wird, bei der seine Organe entfernt und durch ‹Zaubersteine› ersetzt werden, und dass er danach wieder von ihnen zusammengenäht wird.

Obgleich im Schamanismus die jeweiligen Motive zwischen den Kulturen und sogar von Person zu Person voneinander abweichen können, zeigte Eliade, dass der Schamanismus ganz offensichtlich eine allgemeine Struktur besitzt: Der künftige Schamane geht durch einen symbolischen Tod und die Wiederauferstehung, die als radikale Transformation in einen übermenschlichen Zustand begriffen wird. Von nun an hat der Schamane Zugang zur übermenschlichen Ebene; er ist Meister der Ekstase, kann nach Belieben im Geisterreich umherreisen und, was am wichtigsten ist, heilen und wahrsagen. In The Invisible Landscape bemerkten wir:

Kurzum, der Schamane wird vom profanen in einen heiligen Seinszustand transformiert. Durch diese mystische Umwandlung hat er nicht nur seine eigene Heilung bewirkt, sondern ist jetzt auch mit der Macht des Heiligen ausgestattet und daher auch in der Lage, andere zu heilen. Es ist von allerhöchster Wichtigkeit, sich daran zu erinnern, dass der Schamane nicht einfach krank oder wahnsinnig ist, sondern ein Kranker, der sich selbst geheilt hat, der jetzt geheilt ist und als Schamane wirken muss, um weiterhin geheilt zu bleiben.2

Es sollte Erwähnung finden, dass Eliade das Wort ‹profan› bewusst benutzte, um die Vorstellung von der profanen Welt des gewöhnlichen Erlebens deutlich von der der heiligen Welt, dem ‹gänzlich anderen›, zu trennen.3

EKSTASETECHNIKEN

Nicht alle Schamanen benutzen den von Pflanzen verursachten Rausch, um in einen ekstatischen Zustand zu kommen; jede schamanische Praxis zielt jedoch darauf ab, Ekstase entstehen zu lassen. Trommeln, Atemmanipulationen, Torturen, Fasten, theatralische Täuschungen, sexuelle Enthaltsamkeit – das sind alles altehrwürdige Methoden, um in die für schamanische Arbeit notwendige Trance zu geraten. Doch keine dieser Methoden ist so effektiv, so alt und so überwältigend wie der Genuss von Pflanzen mit chemischen Verbindungen, die Visionen hervorrufen.

Diese Praxis eines Gebrauchs visionärer, pflanzlicher Rauschmittel wirkt auf einige Menschen aus dem Westen vielleicht fremd oder überraschend. Unsere Gesellschaft nimmt psychoaktive Drogen entweder nicht ernst oder hält sie für gefährlich und räumt ihnen bestenfalls bei der Behandlung schwerer Geisteskrankheiten, für die keine andere wirksame Methode zur Verfügung steht, einen Platz ein. Die Vorstellung des Heilers ist bei uns an die Gestalt des professionellen Mediziners gebunden, der heilen kann, weil er besondere Kenntnisse besitzt. Doch das spezialisierte Wissen des modernen Arztes ist ein klinisches Wissen, das sich von dem bei jeder einmaligen und besonderen Person auf dramatische Weise entfaltenden Geschehen entfernt hat.

Schamanismus ist da ganz anders. Wenn Drogen benutzt werden, nimmt gewöhnlich der Schamane und nicht der Patient die Droge. Auch die Motivation ist eine völlig andere. Die vom Schamanen verwendeten Pflanzen sollen keineswegs das Immunsystem oder andere natürliche Abwehrmechanismen des Körpers gegen die Krankheit mobilisieren. Vielmehr erlauben die schamanischen Pflanzen dem Heiler, in einen unsichtbaren Bereich zu reisen, in dem die Kausalität der gewohnten Welt durch die Grundprinzipien der Naturmagie ersetzt wird. In diesem Bereich haben Sprache, Ideen und Bedeutung eine größere Kraft als Ursache und Wirkung. Sympathien, Resonanzen, Absichten und der persönliche Wille werden mittels einer poetischen Rhetorik sprachlich verstärkt. Man beschwört die Vorstellungskraft, und manchmal werden deren Gebilde für die Augen sichtbar. Die auf den Bereich des Magischen eingestimmte innere Haltung des Schamanen nimmt den gewöhnlich in der Welt vorhandenen Verbindungen und den sogenannten Naturgesetzen ihre Kraft oder ignoriert sie.

EINE WELT AUS SPRACHE

Die in Jahrtausenden schamanischer Erfahrung gesammelten Belege sprechen dafür, dass die Welt eigentlich auf irgendeine Weise aus Sprache besteht. Obwohl das im Widerspruch zu den Erwartungen der modernen Wissenschaft steht, stimmt diese radikale Behauptung mit vielem im gegenwärtigen sprachwissenschaftlichen Denken überein.

«Die linguistische Revolution des 20. Jahrhunderts», sagt der Anthropologe Misia Landau von der Boston University, «besteht aus der Erkenntnis, dass Sprache nicht nur ein Mittel für den Austausch von Ideen über die Welt ist, sondern eher ein Instrument, mit dem die Welt überhaupt erst ins Dasein gebracht wird. Wirklichkeit wird nicht einfach ‹erfahren› oder in der Sprache ‹gespiegelt›, sondern stattdessen durch Sprache erst produziert.»4

Aus der Perspektive des psychedelischen Schamanen gesehen scheint das Wesen der Welt eher aus einer sprachlichen Äußerung zu bestehen oder den Charakter einer Erzählung zu haben, als dass es auf irgendeine Weise etwas mit den Leptonen und Baryonen oder mit der Ladung und dem Spin zu tun hat, von denen unsere Hohepriester, die Physiker, sprechen. Für den Schamanen ist der Kosmos eine Geschichte, die Wahrheit wird, während sie erzählt wird oder sich selbst erzählt. Diese Perspektive bringt stillschweigend zum Ausdruck, dass die menschliche Vorstellungskraft in der Lage ist, die Steuerung des Seins in der Welt zu übernehmen. Freiheit, persönliche Verantwortung und ein demütig machendes Gewahrsein der wirklichen Größe und Intelligenz der Welt verbinden sich bei dieser Ansicht miteinander und machen diese Eigenschaften zur angemessenen Grundlage eines authentischen neo-archaischen Lebens. Eine tiefe Ehrfurcht vor der Macht der Sprache und der Kommunikation und die Vertiefung darin sind die Fundamente des schamanischen Weges.

Darum ist der Schamane auch der Urahn des Dichters und Künstlers. Unser Bedürfnis, uns als Teil der Welt zu fühlen, scheint es erforderlich zu machen, dass wir uns durch schöpferische Aktivitäten Ausdruck verschaffen. Der Urquell dieser Kreativität ist im Mysterium der Sprache verborgen. Die Ekstase des Schamanen ist ein Akt der Hingabe, der sowohl dem individuellen Selbst als auch dem Mysterium des Seins, dem der Schamane sich hingibt, Authentizität verleiht. Weil unsere Landkarten der Wirklichkeit von unseren gegenwärtigen Lebensumständen bestimmt werden, neigen wir dazu, das Gewahrsein der übergeordneten zeitlichen und räumlichen Strukturen zu verlieren. Nur indem wir Zugang zum Transzendenten Anderen gewinnen, können wir einen flüchtigen Blick auf diese zeitlichen und räumlichen Strukturen und die Rolle, die wir darin spielen, erhaschen. Der Schamanismus strebt nach dieser höheren Sicht, die durch eine sprachliche Meisterleistung erreicht wird. Ein Schamane ist jemand, der eine Vision von den Anfängen und dem Ende aller Dinge erhalten hat und diese Vision mitteilen kann. Dem rationalen Denker ist das unbegreiflich, die Techniken des Schamanismus jedoch sind auf dieses Ziel ausgerichtet. Auch die Kraft des Schamanen hat hier ihren Ursprung. Die Verwendung pflanzlicher Halluzinogene steht bei den schamanischen Techniken dabei an erster Stelle. Diese pflanzlichen Halluzinogene sind die Quellen einer lebendigen, durch Pflanzen inspirierten Gotteserkenntnis oder Gnosis, die in unserer weit zurückliegenden Vergangenheit gesprudelt haben und mittlerweile fast völlig in Vergessenheit geraten sind.

HÖHERDIMENSIONALE REALITÄT

Indem der Schamane die Domäne pflanzlicher Intelligenz betritt, erlangt er in gewisser Weise das Privileg, von der Perspektive einer höheren Dimension aus auf das Erleben zu schauen. Der gesunde Menschenverstand geht davon aus, dass der Rohstoff des von der Sprache Ausgedrückten relativ konstant und allen Menschen gemeinsam ist, obwohl sich Sprachen immer weiterentwickeln. Wir wissen jedoch auch, dass die Hopi-Sprache keine Zeitform der Vergangenheit oder der Zukunft oder abstrakte Begriffe enthält. Wie kann dann die Welt der Hopi der unseren gleichen? Die Inuit kennen keine erste Person. Wie kann dann deren Welt wie die unsere sein?

Die Grammatik der jeweiligen Sprachen und damit deren innere Regeln wurden sorgfältig studiert. Viel zu wenig Aufmerksamkeit widmete man jedoch einer Untersuchung der Frage, wie Sprache Begrenzungen der Realität kreiert und festlegt. Vielleicht lässt sich Sprache besser begreifen, wenn wir sie als Magie auffassen, denn die Magie vertritt ausdrücklich die Position, dass die Welt durch Sprache geschaffen wurde.

Wenn wir akzeptieren, dass Sprache die Grundlage jedes Wissens ist, sind wir im Westen auf traurige Weise in die Irre geführt worden. Nur die Methoden des Schamanismus werden uns Antworten auf die Fragen geben können, die wir am interessantesten finden: Wer sind wir? Woher kommen wir? Welches Schicksal steht uns bevor? Diese Fragen waren nie von größerer Bedeutung als zum gegenwärtigen Zeitpunkt, an dem es überall um uns herum offenkundig wird, dass die Wissenschaft dabei versagt hat, die Seele des Menschen zu nähren. Wenn wir nicht aufpassen, geraten wir nicht nur in den Zustand einer vorübergehenden Langeweile des Geistes, sondern kommen in das kollektive Endstadium von Körper und Geist.

Die rationale, mechanistische, gegen alles Spirituelle gerichtete Voreingenommenheit unserer eigenen Kultur machte es uns unmöglich, die innere Haltung des Schamanen zu würdigen. Wir sind kulturell und sprachlich gegenüber der Welt der Kräfte und der Verbindungen zwischen allen Dingen mit Blindheit geschlagen und damit blind für eine Welt, die für diejenigen, die sich die archaische Verbindung zur Natur erhalten haben, deutlich sichtbar ist.

Natürlich wusste ich bei meiner Ankunft im Amazonasgebiet vor zwanzig Jahren nichts von alledem, was ich oben beschrieben habe. Wie die meisten Menschen des Westens glaubte ich, dass Magie eine mit Naivität und Primitivität verbundene Erscheinung ist, und dass die Wissenschaft erklären könne, wie die Welt funktioniert. Mit dieser intellektuell naiven Grundhaltung begegnete ich das erste Mal den Psilocybin-Pilzen, und zwar im südkolumbianischen San Augustino im Alto Magdalena. Etwas später und nicht weit davon entfernt, in Florencia, stieß ich dann auf die aus Banisteriopsis-Lianen zubereiteten visionären Gebräue, das Yagé oder Ayahuasca aus den im Untergrund kursierenden Legenden der sechziger Jahre5, und machte auch davon Gebrauch.

Die Erlebnisse, die ich während dieser Reisen hatte, krempelten mich völlig um. Wichtiger noch: Sie führten mich in Erfahrungen ein, die für die Wiederherstellung eines Gleichgewichts innerhalb der Welten unserer Gesellschaften und der Umwelt, in der wir leben, von entscheidender Bedeutung sind.

Ich war Teil des Gruppengeistes, der während der visionären Sitzungen der Ayahuasqueros erzeugt wird. Ich habe die magischen, aus rotem Licht bestehenden Wurfpfeile gesehen, die ein Schamane einem anderen schicken kann. Doch eine größere Offenbarung als die übernatürlichen Kunststücke talentierter Zauberer und Geistheiler waren die inneren Reichtümer, die ich auf dem Gipfelpunkt jener Erfahrungen innerhalb meines eigenen Geistes entdeckte. Mein Bericht ist eine Art Zeugnis von Jedermann, denn wenn ich diese Erlebnisse hatte, können sie genausogut Bestandteil des allgemeinen Erfahrungsschatzes von Männern und Frauen überall auf der Welt sein.

EIN SCHAMANISCHES MEM

Meine schamanische Ausbildung war nichts Einmaliges. Tausende sind auf verschiedenen Wegen zu dem Schluss gekommen, dass psychedelische Pflanzen und die schamanischen Institutionen, die ihr Gebrauch mit sich bringt, tiefgreifende Werkzeuge für die Erkundung der inneren Tiefen der menschlichen Psyche darstellen. Die psychedelischen Schamanen sind mittlerweile eine weltweite Subkultur von Erforschern anderer Dimensionen, die immer größer wird; viele von ihnen sind auch wissenschaftlich gebildet. Auf diese Weise gerät eine Landschaft in unser Blickfeld, eine bis jetzt nur undeutlich wahrgenommene, aber dennoch ans Tageslicht tretende Region, die die Aufmerksamkeit des rationalen Denkens auf sich zieht – und dieses Denken möglicherweise in seinen Grundfesten zu erschüttern droht. Vielleicht erinnern wir uns ja noch daran, wie wir uns verhalten und wie wir unseren korrekten Platz im alles verbindenden Gefüge, im nahtlosen Gewebe aller Dinge, einnehmen sollen.

Die vergessenen und mit Füßen getretenen Kulturen der Regenwälder und Wüsten der Dritten Welt und die Eingeborenenvölker in den Reservaten und Schutzräumen, in die die Herrschaftskulturen sie zwingen, verstehen noch, wie man dieses Gleichgewicht erreicht. Die schamanische Gnosis ist möglicherweise im Sterben begriffen, mit Sicherheit verändert sie sich. Die pflanzlichen Halluzinogene jedoch, die am Ursprung dieser ältesten aller menschlichen Religionen stehen, bleiben ein klar sprudelnder Quell und genauso erfrischend, wie sie es immer gewesen sind. Schamanismus ist etwas Vitales und ganz Reales, weil das Individuum darin der durch halluzinogene Pflanzen hervorgerufenen Ekstase und Herausforderung, dem durch sie verursachten Staunen und Hochgefühl begegnet.

Meine Begegnungen mit dem Schamanismus und den Halluzinogenen im Amazonasgebiet überzeugten mich jenseits aller Zweifel von deren Wichtigkeit. Einmal überzeugt, war ich fest entschlossen, die unterschiedlichen Formen sprachlicher, kultureller, pharmakologischer und persönlicher Störgeräusche herauszufiltern, die das Mysterium undeutlich werden ließen. Ich hoffte, die Essenz des Schamanismus herauszudestillieren, die unter den Menschen erschienene Göttin in ihrem Versteck aufzuspüren. Ich wollte hinter die Schleier ihres wirbelnden Tanzes spähen. Als kosmischer Voyeur träumte ich davon, ihrer nackten Schönheit gegenüberzustehen.

Ein Zyniker könnte sich ganz im Stil der Herrschaftskultur damit zufriedengeben, das als die Verirrungen eines romantischen Jugendlichen abzutun. Ironischerweise war ich jedoch selbst einmal ein solcher Zyniker. Ich spürte das Närrische dieser Suche, wusste, welche Aussichten auf Erfolg sie hatte. «Das ‹Andere›? Nackte platonische Schönheit? Das kann doch nicht dein Ernst sein!»

Wir müssen zugeben, dass einem auf diesem Weg übel mitgespielt werden kann. «Wir müssen Narren Gottes werden», bedrängte mich einmal ein Bekannter, der Zen praktizierte. Er meinte damit: «Mach dich auf den Weg!» Suchen und Finden war eine Methode, die in der Vergangenheit für mich funktioniert hatte. Ich wusste, dass schamanische Praktiken, die die Verwendung halluzinogener Pflanzen zur Grundlage haben, im Amazonasgebiet überlebt hatten. Ich ahnte, dass hinter diesem Sachverhalt ein großes unentdecktes Geheimnis stand, und war fest entschlossen, dieses intuitive Gefühl zu bestärken.

Die Wirklichkeit übertraf alle Vorstellungen. Das fleckige Gesicht der aussätzigen alten Frau wurde noch erschreckender und abscheulicher, als das von ihr betreute Feuer plötzlich aufflackerte, da sie Holz nachgelegt hatte. Im Halbdunkel hinter ihr konnte ich den Führer sehen, der mich zu diesem namenlosen Platz am Rio Cumala gebracht hatte. Zufällig war ich in der Bar dieser Stadt am Fluss einem Bootsführer begegnet, der bereit war, mich auf einen Besuch bei der wundertätigen Ayahuasca-Hexe, die in der Gegend einen legendären Ruf hatte, mitzunehmen. Es hatte wie eine einmalige Gelegenheit für eine Story ausgesehen. Jetzt, nach drei Tagen Flussreise und einem halben Tag mühsamen Vorankämpfens auf Pfaden, die so schlammig waren, dass sie einem bei jedem Schritt die Stiefel von den Füßen zu saugen drohten, war ich mir dessen nicht mehr so sicher.

Zu diesem Zeitpunkt hatte ich kaum noch Interesse am ursprünglichen Gegenstand meiner Suche: dem richtigen Ayahuasca aus den Tiefen des Regenwaldes, das den Berichten nach mit dem Gesöff der Scharlatane auf dem Marktplatz nichts zu tun hatte.

«Tome, caballero!», hatte die alte Frau gegackert, als sie mir eine volle Tasse mit schwarzem, schwerflüssigem Inhalt reichte. Die Oberfläche glänzte wie Motoröl.

Sie muss in diese Rolle hineingewachsen sein, dachte ich beim Trinken. Das Gebräu war warm und salzig, schmeckte kalkig und bittersüß, wie das Blut eines uralten Wesens. Ich versuchte, nicht darüber nachzudenken, wie sehr ich diesen fremden Menschen jetzt ausgeliefert war. Doch insgeheim verließ mich der Mut. Sowohl Doha Catalina als auch der spöttische Blick des Führers nahmen langsam den kalten Ausdruck einer Gottesanbeterin an. Eine Woge insektenartiger Geräusche fegte den Fluss hoch und schien die Dunkelheit mit scharfkantigen Lichtfetzen zu bespritzen. Ich spürte, wie meine Lippen taub wurden.

Verzweifelt darum bemüht, nicht so berauscht zu wirken, wie ich mich fühlte, ging ich zu meiner Hängematte hinüber und legte mich hin. Hinter meinen geschlossenen Augenlidern strömte ein Fluss aus magentafarbenem Licht. Innerlich so etwas wie eine traumähnliche geistige Pirouette drehend, hatte ich den Eindruck, ein Hubschrauber müsse auf dem Dach der Hütte gelandet sein, und das war dann auch das letzte, was ich empfand.

Als ich wieder zu Bewusstsein kam, schien ich auf der sich überschlagenden Innenkante einer über einhundert Meter hohen Woge entlangzusurfen, die aus hell erleuchteten, durchscheinenden Informationen bestand. Verzückung wich Entsetzen, als ich merkte, dass meine Woge auf eine felsige Küste zuraste. Alles löste sich im tosenden Chaos einer auf virtuelles Land krachenden Woge aus Informationen auf. Wieder fehlte eine Zeitspanne. Dann hatte ich den Eindruck, ein gestrandeter und an eine tropische Küste gespülter Seefahrer zu sein. Ich spürte, wie ich mein Gesicht in den heißen Sand eines tropischen Strandes drückte. Ich war ungeheuer glücklich zu leben. Ich bin ungeheuer glücklich zu leben! Oder lebe ich um glücklich zu sein? Ich schüttete mich aus vor Lachen.

An dieser Stelle beginnt die alte Frau mit ihrem Gesang. Sie singt kein gewöhnliches Lied sondern einen Icaro, ein magisches Heillied, das in unserem berauschten und ekstatischen Zustand eher einem Fisch in einem tropischen Korallenriff oder einem belebten, vielfarbigen Seidenschal glich als dem, was eine Stimme hervorbringen kann. Das Lied, eine sichtbare Manifestation der Kraft, umhüllte uns und gab uns Sicherheit.

SCHAMANISMUS UND DIE VERLORENE ARCHAISCHE WELT

Mircea Eliade hat Schamanismus auf wunderschöne Weise als «archaische Ekstasetechniken» bezeichnet. Eliades Verwendung des Begriffes ‹archaisch› ist hier wichtig, denn es macht uns die Rolle bewusst, die der Schamanismus bei jeder authentischen Wiederbelebung vitaler archaischer Formen des Seins, des Lebens und des Verstehens spielen muss. Der Schamane wird in eine Welt eingelassen, die vor den Menschen, die in der gewöhnlichen Realität zu Hause sind, verborgen ist. In dieser anderen Dimension lauern Kräfte, die gleichermassen hilfreich und böswillig sind. Sie gehorchen nicht den Regeln unserer Welt, sondern eher den Regeln, die im Mythos und im Traum gelten.

Schamanische Heiler bestehen auf der Existenz eines intelligenten ‹Anderen› irgendwo in einer Dimension nebenan. Keiner wird erwarten, dass sich die Wissenschaft mit dem Vorhandensein von mit ihrer Umwelt in Beziehung tretenden Seelen oder mit dem Thema einer nicht inkarnierten Intelligenz herumschlägt und dann daraus hervorgeht, ohne an ihren Prämissen Schaden genommen zu haben. Das trifft ganz besonders dann zu, wenn dieses ‹Andere› schon seit langem Bestandteil des ökologischen Systems der Erde ist, zwar da ist, aber ungesehen bleibt, ein globaler Geheimnisträger.

Die Schriften Carlos Castanedas und seiner Nachahmer haben ‹schamanisches Bewusstsein› vorübergehend Mode werden lassen. Auf allerdings verworrene Weise wurde der Schamane so von einer Randfigur aus der kulturanthropologischen Literatur zu dem von den Medien aufgebauschten Modell für die volle Mitgliedschaft in der neo-archaischen Gesellschaft. Obwohl der Schamanismus die Vorstellungskraft der Allgemeinheit fesselt, wurden die übernatürlichen Phänomene, die der Schamane für tatsächlich und wahr hält, von der modernen Wissenschaft nie ernstgenommen, selbst wenn sich Wissenschaftler bei ihrer Analyse des Schamanismus in einem seltenen Anfall von Achtung an die Psychologen und Anthropologen gewendet haben. Diese Blindheit für die übernatürliche Welt hat in unserer normalen Sicht der Welt einen intellektuellen blinden Fleck entstehen lassen. Wir sind uns der magischen Welt des Schamanen völlig unbewusst. Sie ist ganz einfach fremder, als wir uns vorstellen können.

Betrachten wir doch einmal einen Schamanen, der Pflanzen benutzt, um sich mit einer unsichtbaren und von nichtmenschlichen Intelligenzen bewohnten Welt zu verständigen. Es hat doch den Anschein, als müsste das der Sensationspresse im Regal des Supermarkts eigentlich eine Schlagzeile wert sein. Und doch berichten Anthropologen andauernd von solchen Dingen, und kein Mensch runzelt auch nur die Stirn darüber. Das liegt daran, dass wir zu der Annahme neigen, der Schamane interpretiere sein Rauscherlebnis als Kommunikation mit Geistern oder Ahnen, womit wir stillschweigend zum Ausdruck bringen, du oder ich würden die gleiche Erfahrung ganz anders interpretieren und daher sei es auch keine große Sache, wenn irgendein armer, ungebildeter Campesino der Meinung war, mit einem Engel gesprochen zu haben.

So sehr diese Haltung auch der Ausdruck einer Scheu vor dem Fremden sein mag, sie deutet doch auf eine gute Vorgehensweise hin, denn sie sagt nichts anderes als «Zeig mir deine Ekstasetechniken und ich werde mir selbst ein Urteil über deren Wirksamkeit bilden.» Genau das habe ich getan. Das sind die Referenzen, die ich für die von mir vertretenen Theorien und Meinungen angeben kann. Anfangs war ich entsetzt über das, was ich vorfand: Die Welt des Schamanismus mit ihren ganzen Verbündeten, Gestaltveränderungen und magischen Angriffen ist viel realer, als die Konstrukte der Wissenschaft es jemals sein können, denn diese Geistahnen und ihre jenseitige Welt können gesehen und gespürt werden, sie lassen sich in der ungewohnten Realität kennenlernen.

Etwas Tiefgreifendes, Unerwartetes, fast Unvorstellbares wartet auf uns, wenn wir unsere forschende Aufmerksamkeit dem Phänomen halluzinogener Pflanzen im Schamanismus zuwenden. Die außerhalb des Einflusses westlicher Geschichte lebenden Menschen, die weder Lesen noch Schreiben können und sich in der Traumzeit befinden, haben die Flamme eines ungeheuren Mysteriums aufrecht gehalten. Das einzugestehen und von diesen Menschen zu lernen, macht bescheiden, aber auch das gehört zur Wiederbelebung des Archaischen.

Ich will damit jedoch nicht sagen, dass wir mit offenem Mund vor den Leistungen der ‹Primitiven› stehen müssen und das Bild einer weiteren Version des edlen Wilden in die Welt setzen. Jeder, der Feldforschungen betrieben hat, ist sich der Tatsache bewusst, dass unsere Erwartungen darüber, wie sich ‹echte Kinder des Regenwaldes› zu verhalten haben, häufig mit den Wirklichkeiten des Alltagslebens eines Stammes im Widerspruch stehen. Noch begreift keiner die geheimnisvolle Intelligenz, die den Pflanzen innewohnt, oder die Konsequenzen des Gedankens, dass sich die Natur in einer chemischen Grundsprache mitteilt, die unbewusst, aber tiefgründig ist. Noch verstehen wir nicht, auf welche Weise Halluzinogene die Botschaft im Unbewussten in Offenbarungen umwandeln, die der Geist schauen kann. Als die archaischen Menschen ihre Intuition und ihre Sinne durch die Verwendung jeder nur greifbaren Pflanze verfeinerten, um in den Vorteil einer gesteigerten Anpassungsfähigkeit zu kommen, hatten sie wenig Zeit für philosophische Betrachtungen. Bis heute sind uns die Auswirkungen des Vorhandenseins dieses der Natur innewohnenden Geistes oder ihrer Intelligenz, das von schamanistischen Völkern entdeckt wurde, immer noch nicht vollständig bewusst.

In der Zwischenzeit ging der Schamanismus in aller Stille und außerhalb der Geschichte seinen Dialog mit einer unsichtbaren Welt nach. Das Vermächtnis des Schamanismus kann als eine stabilisierende Kraft wirken, die unser Bewusstsein wieder auf das kollektive Schicksal der Biosphäre zurücklenkt. Der Schamane glaubt daran, dass der Mensch nicht ohne Verbündete dasteht. Es gibt Kräfte, die unserem Ringen um die Geburt als intelligente Spezies freundlich gesinnt sind. Doch diese Kräfte sind still und scheu; wir müssen sie suchen und werden sie nicht als im Erdenhimmel auftauchende ausserirdische Sternenflotten finden, sondern direkt um die Ecke in der Abgeschiedenheit der Wildnis, der Umgebung von Wasserfällen, und – ganz genau, auf den Grasflächen und Weiden, die wir mittlerweile viel zu selten unter unseren Füßen spüren.

2

DIE MAGIE IN DER KOST

Seit Tagen hatte der Fuchs-Clan ungewöhnlich große Mengen an Nahrung gesammelt und eingelagert. Gazellenfleischstreifen waren zu gleichmäßig dunkler Farbe geräuchert worden, die Kinder des Clans hatten beblätterte Süßgras-Sprosse und Insektenpuppen gesammelt. Und die Frauen hatten Unmengen von Eiern zusammengetragen – eine größere Zahl hatte es noch nie gegeben. Diese Eier nahmen Lami völlig in Anspruch, die sich mit aller Sorgfalt der ihr bevorstehenen Aufgabe widmete. Sie war doch schließlich die Tochter der Gebieterin über alle Vögel, nicht wahr? Die Eier mussten vorsichtig in offene geflochtene Körbe geschichtet und auf dem Kopf einiger der verantwortungsbewussteren Mädchen transportiert werden. Das Ritual des Nahrungstausches würde stattfinden, wenn die Leute des Fuchs-Clans, Lamis Leute, die Leute vom Habicht-Clan trafen, die geheimnisvollen Bewohner des Landes der steilen Sandsteingipfel. An diesem besonderen Tag würden sie sich zu jenen anderen Menschen gesellen, wie sie es jedes Jahr seit unvordenklichen Zeiten getan hatten, bei den großen Festtänzen mitmachen und den Nahrungstausch vollziehen. Lami erinnerte sich noch gut an die letzte Versammlung ihrer blutsverwandten Sippe, als Venda, die von allen die größte Zahl von Zyklen Schamanin der Fuchsleute war, das Fest und den Grund dafür verkündet hatte.

«Nahrung zu teilen, bedeutet, aus einem Körper zu sein. Wenn der Habicht-Clan von unserer Nahrung isst, wird er wie wir. Wenn wir von deren Nahrung essen, werden wir sie. Indem wir die Nahrung des anderen essen, bleiben wir eins.» Venda mit ihren runzligen Brüsten und ihrer nach hinten geneigten Haltung machte einen älteren Eindruck als Lami. Wie alt sie auch immer sein mochte, keine hatte ein besseres Gedächtnis als sie, und ihr Wort wurde in der Gruppe nur selten in Zweifel gezogen. Behutsam hob Lami ihre Last für die lange Wanderung hoch. Wenn die Habichtleute Eier wollten, sollten sie sie haben.

Die Art und Weise, auf die die Menschen Pflanzen, Nahrungsmittel und Drogen benutzen, bewirkt Veränderungen in den Wertvorstellungen einzelner Personen und schließlich ganzer Gesellschaften. Das Verspeisen einiger Nahrungsmittel macht uns glücklich, das anderer schläfrig, und das wiederum anderer wach. Abhängig von dem, was wir gegessen haben, sind wir vergnügt, ruhelos, erregt oder niedergeschlagen. Die Gesellschaft unterstützt stillschweigend bestimmte, inneren Empfindungen entsprechende Verhaltensweisen und begünstigt dadurch den Gebrauch von Substanzen, die ein akzeptables Verhalten hervorrufen.

Das Dämpfen oder Ausleben von Sexualität, die Fruchtbarkeit und die sexuelle Potenz, das Ausmaß der Sehschärfe, die Sensibilität für Geräusche, die Reaktionsgeschwindigkeit der Muskeln, das Tempo der körperlichen Entwicklung und die Lebensspanne – das sind nur einige der typischen Merkmale eines Tieres, die durch Nahrungspflanzen mit exotischer chemischer Zusammensetzung beeinflusst werden können. Auch die sprachlichen Fähigkeiten des Menschen, seine Fähigkeit zur Symbolbildung und seine Empfänglichkeit für gemeinschaftliche Werte können sich unter dem Einfluss psychoaktiver und physiologisch aktiver Metabolite verändern. Eine in einer Single-Bar verbrachte Nacht, in der wir das Verhalten anderer beobachten, sollte an Feldarbeit ausreichen, um diese Feststellung zu bestätigen. Bei der Suche nach dem Partner oder der Partnerin fürs Leben und dem dabei veranstalteten Wirbel wurde die Fähigkeit zum sprachlichen Ausdruck schon immer mit besonderem Wert belegt, was sich schon dann erweist, wenn wir eine Weile nur auf Konversationsstile und Eröffnungsworte achten.

Denken wir über Drogen nach, neigen wir dazu, uns auf Episoden des Rausches zu konzentrieren. Viele Drogen werden jedoch in Dosierungen benutzt, bei denen die Wirkung unterhalb der Wahrnehmungsschwelle bleibt oder einfach nur aufrechterhalten wird. In unserer Kultur sind Kaffee und Tabak offensichtliche Beispiele dafür. Das Resultat ist eine Art ‹Rauschambiente›. Wie der Fisch im Wasser schwimmen die Menschen einer Kultur im praktisch unsichtbaren Milieu kulturell gebilligter, aber dennoch künstlicher Gemütszustände.

Auch Sprachen sind für die Menschen, die sie sprechen, unsichtbar, aber trotzdem erschaffen sie das Realitätsgefüge ihrer Sprecher. Das Problem der Verwechslung von Sprache und Wirklichkeit ist im Alltagsleben nur allzugut bekannt. Die Verwendung von Pflanzen ist ein Beispiel für eine komplexe, aus chemischen Wechselwirkungen und sozialen Interaktionen bestehenden Sprache. Die meisten von uns sind sich der Wirkungen, die Pflanzen auf sie und ihre Realität ausüben, gar nicht bewusst. Teilweise liegt das daran, dass wir vergessen haben, dass die Beziehung der menschlichen Kultur zur Welt als Ganzes immer über Pflanzen lief.

ES WAR EINMAL EIN ZOTTIGER MENSCHENAFFE …

Im Gombe Stream Nationalpark in Tansania fanden Primatologen heraus, dass eine bestimmte Blattart immer unverdaut im Kot der Schimpansen auftauchte. Sie fanden auch heraus, dass die Schimpansen, anstatt wie gewöhnlich ihre Wildfrüchte zu essen, alle paar Tage zwanzig Minuten oder länger zu einer Stelle wanderten, an der eine Aspilia-Art wuchs. Immer wieder stülpten die Schimpansen dort ihre Lippen über ein Aspilia-Blatt, behielten es in ihrem Mund, rollten es dort eine Zeitlang herum und schluckten es dann als Ganzes herunter. Auf diese Weise verzehrten sie immerhin um die dreißig kleine Blätter.

Der Biochemiker Eloy Rodriguez von der kalifornischen Universität Irvine isolierte den chemisch aktiven Grundbestandteil des Aspilia-Blattes – ein rötliches Öl namens Thiarubrin-A. Neil Towers von der Universität British Columbia fand heraus, dass diese Verbindung normale Bakterien in Konzentrationen von weniger als eins zu einer Million abtöten kann. Aufzeichnungen über Herbarien, die Rodriguez und Towers untersuchten, zeigten, dass afrikanische Völker Aspilia-Blätter bei der Behandlung von Wunden und Bauchschmerzen einsetzten. Von den vier in Afrika heimischen Arten dieser Pflanze fanden nur drei bei den dort lebenden Völkern Verwendung, und zwar die gleichen drei Arten, die auch die Schimpansen nutzten.1 Rodriguez und Towers haben ihre Untersuchungen über das, was die Schimpansen mit Pflanzen machen und wie diese auf sie wirken, fortgesetzt. Mittlerweile können sie fast ein Dutzend Pflanzen identifizieren, die bei Schimpansenpopulationen in Gebrauch sind. Eine richtige Materia medica!

DU BIST, WAS DU ISST

Die Geschichte, die wir vom Eintritt des Menschen ins Licht der Selbstreflexion erzählen wollen, trägt den Titel: Du bist, was du isst. Große klimatische Umwälzungen und eine von neuem erweiterte und von da an mutagene Ernährung bot der natürlichen Selektion viele Gelegenheiten, auf die Evolution wichtiger menschlicher Eigenschaften einzuwirken. Jede Begegnung mit einem neuen Nahrungsmittel, einer neuen Droge oder einem neuen Geschmacksstoff barg jede Menge Risiken und hatte unvorhersehbare Konsequenzen. Heute trifft das in noch viel stärkeren Ausmaß zu, denn unsere Nahrung enthält jetzt Hunderte kaum untersuchter Konservierungs- und Zusatzstoffe.

Als Beispiel für Pflanzen, die das Potenzial besitzen, auf die Bevölkerung eines bestimmten Gebietes einzuwirken, sollen uns Süßkartoffeln der Gattung Dioscorea dienen. In einem großen Teil der Tropen sind Süßkartoffeln eine verlässliche und nahrhafte Nahrungsquelle. Trotzdem enthalten etliche eng mit ihnen verwandte Arten chemische Verbindungen, die den Eisprung beeinträchtigen können (und aus denen Grundstoffe für moderne Anti-Baby-Pillen gewonnen werden). Wenn eine Gruppe Menschenaffen sich daran gewöhnen würde, sich von diesen Dioscorea-Arten zu ernähren, würde fast so etwas wie ein genetisches Chaos über sie hereinbrechen. Viele ganz ähnliche, allerdings weniger spektakuläre Szenarien müssen sich abgespielt haben, als die frühen Hominiden mit neuen Nahrungsmitteln experimentierten, während sie sich als Allesfresser neue Ernährungsweisen angewöhnten.