Spinnenfieber - Jennifer Estep - E-Book

Spinnenfieber E-Book

Jennifer Estep

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Beschreibung

Gin kennt sich mit Messern besser aus als mit Gefühlen. Dass nun ausgerechnet sie bei Geschäfttsmann Owen Grayson Schmetterlinge im Bauch hat wie ein pubertierender Teenager, hätte sie sich nie träumen lassen. Aber es ist eben nichts heißer als ein Mann, der sie so nimmt, wie sie ist - inklusive ihrer Vergangenheit, die immerhin dazu geführt hat, dass sie ziemlich mächtige Feinde hat. Und die haben es mal wieder auf Gin abgesehen. Nur haben sie diesmal eine Killerin angeheuert, die Gin das Wasser reichen kann.

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Wie immer widme ich dieses Buch meiner Mom, meiner Grandma und Andre – für alles, was sie für mich tun.

Übersetzung aus dem Amerikanischen von Vanessa Lamatsch

ISBN 978-3-492-96941-3

September 2016 © 2011 Jennifer Estep Titel der amerikanischen Originalausgabe: »Tangled Threads«, Pocket Books, New York 2011 Deutschsprachige Ausgabe: © Piper Verlag GmbH, München/Berlin 2015 Covergestaltung: Zero Werbeagentur Covermotiv: FinePic®, München Datenkonvertierung: CPI books GmbH, Leck

Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

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Danksagung

Wieder einmal möchte ich von Herzen allen danken, die mir dabei geholfen haben, meine Worte in ein echtes Buch zu verwandeln.

Ich danke meiner fantastischen Agentin Annelise Robey dafür, dass sie immer so viel Geduld mit mir hat, und meinen ebenso fantastischen Lektorinnen Megan McKeever und Lauren McKenna für ihre Ratschläge, ihre Anregungen und ihre Unterstützung. Ihr habt alle dafür gesorgt, dass es noch mehr Spaß gemacht hat, über Gin zu schreiben.

Außerdem möchte ich Tony Mauro für die wunderbaren Buchcover danken. Jedes Mal denke ich, Tony könne sich auf keinen Fall ein weiteres Mal übertreffen, nur um dann erneut in Ehrfurcht zu erstarren.

Und schließlich möchte ich all meinen Lesern dort draußen danken. Zu wissen, dass es dort draußen Leute gibt, die meine Bücher lesen und genießen, erfüllt mich immer wieder mit Demut. Ich bin froh, dass ihr Gin und ihre Abenteuer mögt.

Viel Spaß!

1

»Wirst du diesen Kerl jetzt umbringen? Oder wollen wir die ganze Nacht hier herumsitzen?«

»Geduld, Finn«, murmelte ich. »Wir sitzen erst seit einer Stunde im Auto.«

»Die längste Stunde meines Lebens«, seufzte er.

Ich sah mit hochgezogenen Augenbrauen zu Finnegan Lane, meinem Komplizen für den Abend. Eigentlich für die meisten Abende. Es war kurz nach zehn Uhr, ein paar Tage vor Weihnachten, und wir saßen auf den dunklen Sitzen von Finns schwarzem Cadillac Escalade. Er hatte den Wagen vor einer Stunde in einer abgelegenen Gasse geparkt, die uns einen guten Ausblick über die Docks am Aneirin ermöglichte. Seitdem saßen wir hier – und Finn meckerte nonstop.

Er rutschte auf seinem Sitz herum, während ich ihn musterte. Der Wollstoff seines dicken Mantels betonte seine breiten Schultern, auch wenn eine schwarze Wollmütze die walnussfarbenen Haare verbarg. Seine Augen zeigten selbst im Halbdunkel ein leuchtendes Grün, und es gelang den Schatten nicht, die Attraktivität seines kantigen Gesichts zu verhüllen.

Die meisten Frauen wären froh gewesen, so nah bei Finnegan Lane zu sein. Dank seines strahlenden Lächelns und seines natürlichen Charmes hätte er die meisten von ihnen bereits auf dem Rücksitz gehabt, mit aufgeknöpfter Bluse und gespreizten Beinen, während die Fenster des Autos beschlugen und der Wagen rhythmisch wackelte.

Nur gut, dass ich nicht die meisten Frauen war.

»Komm schon, Gin«, jammerte Finn wieder. »Zieh los, ramm ein paar von deinen Messern in den Kerl und hinterlass Mab deine Rune, damit wir hier verschwinden können.«

Ich starrte durch die Windschutzscheibe. Auf der anderen Seite der Straße fuhr der Kerl, den Finn meinte, im Licht einer Straßenlaterne damit fort, hölzerne Kisten von dem kleinen Schleppkahn abzuladen, mit dem er vor ungefähr einer Dreiviertelstunde ans Dock gefahren war. Selbst aus der Entfernung konnte ich hören, wie die verwitterten Holzbohlen unter dem Gewicht ächzten, während der Fluss unter ihnen hindurchfloss.

Der Mann war ein Zwerg – klein, untersetzt, breit gebaut, stark – und trug schwarze Kleidung, die fast der entsprach, die Finn und ich auch anhatten. Jeans, Stiefel, Pulli, Jacke. Die Art von anonymem Outfit, das man anlegte, wenn man in der Nacht herumschleichen wollte, besonders in der rauen Gegend von Southtown. Und ganz sicher dann, wenn man verhindern wollte, dass jemand anderes mitbekam, was man so trieb. Oder wenn man vorhatte, jemanden umzubringen, wie es bei mir heute Nacht der Fall war. Das galt eigentlich für die meisten Nächte.

Ich rieb mit dem Daumen über den Knauf des Steinsilber-Messers, das ich in der rechten Hand hielt. Das Metall glänzte im spärlichen Licht des Wageninneren nur schwach. Das kühle Gewicht der Waffe übte wie immer eine beruhigende Wirkung auf mich aus. Der Griff berührte leicht die Spinnenrunen-Narbe in meiner Handfläche.

Es wäre nur zu leicht gewesen, Finns Gequengel nachzugeben, aus dem Auto zu gleiten, die Straße zu überqueren, mich hinter den Zwerg zu schleichen, ihm die Kehle durchzuschneiden und seine Leiche vom Dock in den kalten Fluss darunter zu werfen. Wahrscheinlich würde ich mir nicht mal die Kleidung mit Blut besudeln, wenn ich den richtigen Winkel erwischte.

Denn das war es, was Profikiller taten. Das war es, was ich tat. Ich. Gin Blanco. Die Auftragsmörderin, die als »Die Spinne« bekannt war, eine der besten in meiner Branche.

Doch ich stieg nicht aus dem Wagen, wie Finn es wollte. Stattdessen seufzte ich. »Er scheint kaum die Mühe wert zu sein. Er ist ein Lakai, genau wie alle anderen, die ich in den letzten zwei Wochen getötet habe. Mab wird für seinen Job jemand anderen angeheuert haben, noch bevor sie seinen Leichnam aus dem Fluss ziehen.«

»Hey, du warst diejenige, die beschlossen hat, Mab Monroe den Krieg zu erklären«, stellte Finn klar. »Korrigier mich, wenn ich falschliege, aber ich hatte das Gefühl, dass du sogar recht scharf darauf bist, dich langsam in der Nahrungskette nach oben zu morden, bis du die Schlampe schließlich selbst ins Visier nimmst. Du hast gesagt, das würde dir Spaß machen.«

Jetzt war es an mir, zu nörgeln. »Das war vor sechs Morden. Inzwischen sehne ich mich nur noch danach, Mab umzubringen und damit jedem in Ashland ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk zu präsentieren, mir selbst eingeschlossen.«

Doch Finn hatte recht. Vor ein paar Wochen hatte eine Folge von Ereignissen dafür gesorgt, dass ich Mab offiziell den Krieg erklärt hatte, und jetzt musste ich mich mit den Folgen auseinandersetzen – und der damit einhergehenden Langeweile.

Mab Monroe war die Feuermagierin, die unsere Südstaatenstadt Ashland regierte wie ihr eigenes kleines Königreich. Für die meisten Leute war sie der Inbegriff der Tugend, eine Feuermagierin, die ihre Magie, geschäftlichen Verbindungen und ihr Geld einsetzte, um Wohltätigkeitsprojekte in der gesamten Stadt zu unterstützen. Doch diejenigen, die auf der Schattenseite des Lebens standen, wussten genau, was Mab wirklich war – die Chefin eines mafiaähnlichen Reiches, das von Glücksspiel über Drogen bis hin zu Prostitution und Entführungen alles Übel einschloss. Mord, Schutzgeld, Folter, Erpressung, Prügelattacken. Mab konnte all das und noch mehr quasi aus dem Stegreif befehlen. Die Feuermagierin war so wohlhabend, so mächtig, so stark in ihrer Magie, dass niemand es wagte, sich gegen sie aufzulehnen.

Na ja. Von mir mal abgesehen.

Ich hatte einen besonderen Grund, Mab zu hassen – sie hatte meine Mutter und meine ältere Schwester ermordet, als ich gerade mal dreizehn Jahre alt gewesen war. Und sie hatte vorgehabt, dasselbe auch mir und meiner kleinen Schwester Bria anzutun. Doch an diesem schicksalhaften Abend vor so langer Zeit hatte Mab zuerst mich eingefangen und gefoltert, bevor sie ihr eigentliches Ziel, meine Schwester, gefunden hatte. So war ich an die beiden Narben auf meinen Handflächen gekommen.

Ich rieb mit dem Knauf erst über die eine Narbe in meiner Hand, dann über die andere. Ein kleiner Kreis, umgeben von acht dünnen Strahlen, war in jede meiner Hände gebrannt. Eine Spinnenrune. Das Symbol für Geduld. Mein Name als Auftragskillerin. Und eine Rune, der Mab inzwischen überall begegnete, wo sie hinging.

In den letzten zwei Wochen hatte ich Mabs Männer verfolgt, hatte ihr Unternehmen ausgekundschaftet und herausgefunden, in welche illegalen Geschäfte sie verwickelt war. Ich hatte ein paar ihrer Handlanger erledigt, wann immer ich sie dabei erwischte, wie sie Dinge taten, die sie nicht tun sollten, oder Leuten Schmerzen zufügten, die keinen Schmerz verdient hatten. Eine kurze Drehung meines Messers, ein Herabsausen meiner Klinge, und Mab Monroe besaß einen Soldaten weniger in ihrer kleinen Armee des Grauens.

Es war nicht schwer gewesen, ihre Handlanger zu töten, zumindest nicht für mich. Ich hatte die letzten siebzehn Jahre meines Lebens als Auftragsmörderin verbracht, abgesehen von ein paar Monaten, in denen ich mich im Ruhestand gewähnt hatte. Manche Fähigkeiten verlor man einfach nie.

Früher hatte ich nichts zurückgelassen, wenn ich jemanden umgebracht hatte. Keine Fingerabdrücke, keine Waffe, keine DNS. Doch bei Mabs Männern dekorierte ich den Tatort jedes Mal mit dem Symbol meiner Spinnenrune, ganz nah neben der Leiche. Um Mab zu verhöhnen. Um Mab wissen zu lassen, wer ihre Pläne durchkreuzte und dass ich entschlossen war, ihr Reich zu zerstören und einen nach dem anderen abzumurksen, wenn es denn nötig war.

Deswegen saßen Finn und ich jetzt hier im Dunkeln an den Docks, in diesem gefährlichen Viertel von Southtown. Finn hatte von einer seiner Quellen den Tipp bekommen, dass Mab eine Ladung Drogen und anderes illegales Zeug in Ashland erwartete. Also hatte ich beschlossen, hierherzukommen und mal zu sehen, was ich tun konnte, um einen weiteren von Mabs Plänen zu vereiteln, ihr eine lange Nase zu drehen und sie auf die Palme zu bringen.

»Komm schon, Gin«, sagte Finn und unterbrach damit meine Gedanken. »Komm in die Gänge! Der Kerl ist allein. Hätte er einen Partner, hätten wir ihn bereits entdeckt.«

Ich musterte den Zwerg, der inzwischen mit dem Entladen des Kahns fertig war und begonnen hatte, die Kisten zu einem Lieferwagen am Ende des Docks zu schleppen.

»Ich weiß«, sagte ich. »Doch irgendwas stimmt einfach nicht.«

»Klar«, murmelte Finn. »Nämlich dass ich meine Füße nicht mehr spüren kann und du mir nicht erlaubst, die Heizung anzuschalten.«

»Trink deinen Kaffee. Dann fühlst du dich besser. So ist es doch immer.«

Zum ersten Mal am heutigen Abend erhellte ein breites Grinsen Finns Gesicht. »Das halte ich für eine hervorragende Idee.«

Er griff nach hinten und fischte eine große silberne Thermoskanne aus dem Fußraum des Rücksitzes. Er drehte den Deckel ab, und der Duft seines Malzkaffees erfüllte den Wagen. Dieser Geruch erinnerte mich immer an seinen Vater, Fletcher Lane. Er war mein Mentor gewesen, derjenige, der mir alles darüber beigebracht hatte, was es bedeutete, eine Profikillerin zu sein. Der alte Mann hatte dieselbe Plörre getrunken wie sein Sohn, bis er vor einigen Monaten ermordet worden war. Ich lächelte bei der Erinnerung an ihn und wegen der Wärme, die sich dabei in meiner Brust ausbreitete.

Während Finn seinen Kaffee trank, beobachtete ich weiter das Geschehen vor mir. Alles schien ruhig, kalt, dunkel. Doch ich konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass hier etwas faul war. Dass diese ganze Szenerie irgendwie falsch aussah. Fletcher hatte mir immer erklärt, dass es nie verkehrt war, wenn man ein paar Minuten länger wartete. Dieser Ratschlag hatte mich ein ums andere Mal am Leben gehalten, und ich hatte nicht vor, ihn heute Abend zu missachten.

Wieder ließ ich meinen Blick über die Gegend schweifen. Leere Straße. Ein paar verfallene Gebäude am Ufer. Das schwarze Band des Aneirin River. Die fahlen Bretter des Docks. Eine einsame Glühbirne, die über dem Kopf des Zwerges flackerte…

Ich kniff die Augen zusammen und konzentrierte mich auf das Licht, das in der dunklen Nacht wie ein Leuchtfeuer strahlte. Dann sah ich die Straße entlang, kontrollierte eine Laterne nach der anderen. Jede andere Lampe in diesem Block war zerstört worden. Nicht überraschend. Wir befanden uns schließlich in Southtown, dem Teil von Ashland, in dem die Gangs, die Vampirnutten und die Elementare lebten, die süchtig nach dem Gebrauch ihrer eigenen Magie waren. In diesem Viertel wurde man genauso schnell umgebracht wie angeschaut. Es war kein Ort, an dem man sich länger aufhalten wollte, nicht einmal tagsüber.

Also überraschte es mich nicht, dass die Straßenlaternen zerstört worden waren, wahrscheinlich schon vor langer Zeit; von geworfenen Steinen, Bierflaschen und anderem Dreck, den man mühelos von der Straße aufheben konnte. Seltsam war jedoch, dass nur diese eine Glühbirne noch brannte – ausgerechnet die, die über dem Lieferwagen schwebte, in den der Zwerg gerade Kisten mit illegalem Zeug einräumte.

Wie … praktisch.

»Du kannst es dir wieder gemütlich machen«, sagte ich, während ich die einsam leuchtende Laterne anstarrte. »Denn wir werden noch eine Weile hierbleiben.«

Finn stöhnte.

Wir brauchten nicht lange zu warten. Weniger als eine Viertelstunde später lud der Zwerg die letzte Kiste in den Lieferwagen. Sobald ich angefangen hatte, ihn zu beobachten – ihn wirklich zu beobachten–, war mir klar geworden, dass er sich bei der ganzen Sache ziemlich viel Zeit ließ. Er bewegte sich langsamer, als man es gewöhnlich getan hätte, besonders angesichts der eisigen Kälte, die Ashland heute Nacht fest im Griff hielt. Andererseits war das hier auch bei Weitem nicht so harmlos, wie es von außen erscheinen mochte.

Jetzt stand der Zwerg neben dem Lieferwagen, rauchte eine Zigarette und starrte mit wachsamem Blick in die Dunkelheit.

»Was treibt er da?«, fragte Finn, bevor er noch einen Schluck Kaffee trank. »Wenn der Mann auch nur einen Funken Verstand hätte, würde er den Motor anwerfen, die Heizung anschalten und hier verschwinden.«

»Warte«, murmelte ich. »Warte einfach.«

Finn seufzte und nahm noch einen Schluck von seiner Malzbrühe.

Weitere fünf Minuten vergingen, bevor eine Bewegung am Dock meine Aufmerksamkeit erregte. »Da«, sagte ich und lehnte mich vor. »Verdammt noch mal, genau da.«

Eine Gestalt trat hinter einer kleinen niedrigen Baracke am Ende des Docks hervor.

Finn richtete sich so plötzlich auf, dass er fast seinen Kaffee auf den Ledersitzen verteilt hätte. »Wo zur Hölle kommt der Kerl her?«

»Kein Kerl«, murmelte ich. »Eine Sie.«

Die Frau schlenderte den Steg entlang auf den Zwerg zu. Die einzelne Laterne erlaubte mir trotz der Dunkelheit einen guten Blick auf sie. Sie war winzig und schlank, ungefähr in meinem Alter, also so um die dreißig. Ihre dunklen Haare waren zu einem Bob geschnitten und wurden von einer Art Stirnband zurückgehalten. Ihre Gesichtszüge wirkten asiatisch – porzellanweiße Haut, ausdrucksvolle Augen, schmale Wangenknochen. Außerdem war sie von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet wie der Rest von uns auch.

Ich runzelte die Stirn. Keine vernünftige Frau würde sich nachts allein in dieser Gegend aufhalten. Verdammt, viele würden es nicht einmal tagsüber wagen – noch weniger würden im Dezember, bei Temperaturen um minus fünf Grad eine gute Stunde in einer heruntergekommenen Bretterbude ausharren.

Außer sie hatten einen wirklich sehr guten Grund dafür. Und langsam drängte sich mir das Gefühl auf, dass ich dieser Grund war.

Die Frau erreichte den Zwerg, der seine Zigarette austrat. Sie sagte etwas zu dem Mann, der langsam mit dem Kopf nickte. Dann drehte sich die Frau um und spähte auf die Straße, auf dieselbe Art, wie ich es die letzte Stunde immer wieder getan hatte. Doch ich wusste, dass sie uns nicht sehen konnte. Der Müllcontainer am Beginn der Gasse schirmte unser Auto vor ihren Blicken ab.

Nach einer halben Minute intensiver Musterung drehte sich die Frau wieder zu dem Zwerg um und ging auf ihn zu. Für einen Moment wirkte er verwirrt. Dann überrascht. Dann riss er die Augen auf, wirbelte herum und wollte vor ihr weglaufen. Er kam vielleicht fünf Schritte weit, bevor sie die rechte Hand hob und ein grüner Blitz aus ihren Fingerspitzen schoss.

Der Zwerg wurde steif und schrie laut genug, dass das Geräusch durch die verlassene Straße hallte, während der Blitz seinen Körper zum Zucken brachte. Die Frau ging weiter auf ihn zu, und je näher sie ihm kam, desto intensiver wurde das magische Licht, das von ihrer Hand ausging.

Sie war verdammt stark. Sie stand um die dreißig Meter von mir entfernt, aber trotzdem konnte ich das scharfe statische Knistern ihrer Macht spüren, sogar hier im Auto. Ihre Elementarmagie ließ die Spinnenrunen-Narben auf meinen Handflächen brennen und jucken, wie sie es immer taten, wenn sie viel Macht, einem Aufwallen von roher Magie ausgesetzt waren. Und diese Frau hatte wirklich eine Menge davon.

Eine Sekunde später ging der Zwerg in Flammen auf. Er schwankte hin und her, bevor er schließlich auf den rissigen Asphalt fiel. Doch die Frau stoppte ihren magischen Angriff nicht. Sie stand über seiner Leiche und schickte eine Welle Blitze nach der anderen in seinen Körper, während die grünen elementaren Flammen ihrer Macht seine Haut, Haare und Kleidung verschlangen.

Als sie fertig war, ballte die Frau ihre Hand zur Faust. Die hellen Blitze flackerten kurz, um sich dann in nichts aufzulösen wie eine Kerze, die man ausgepustet hatte. Graugrüner Rauch stieg von ihren Fingerspitzen auf, den sie auf die Art wegblies, wie die Revolverhelden im Wilden Westen nach einem Duell auf ihren Colt pusteten. Wie dramatisch.

»Hast du das gesehen?«, flüsterte Finn, die grünen Augen weit aufgerissen. Der Kaffee in seiner Hand war offenbar vergessen. »Sie hat ihn durch Stromschläge getötet.«

»Ja. Ich habe es gesehen.«

Ich fügte nicht hinzu, dass sie ihre Elementarmagie dafür eingesetzt hatte. Das hatte Finn genauso deutlich gesehen wie ich.

Elementare waren Leute, die eines der vier Elemente – Luft, Feuer, Eis und Stein – erschaffen, kontrollieren und beeinflussen konnten. Das waren die Bereiche, in denen die Begabungen der meisten Elementare lagen, diejenige, die man anzapfen können musste, um als echter Elementar zu gelten. Doch Magie offenbarte sich in vielen Formen, hatte viele Facetten. Daher gab es auch Elementare, deren Begabungen in einem der Ableger der Elemente lagen. Metall zum Beispiel war ein Ableger der Steinmagie, Elektrizität gehörte in die Gruppe der Luftmagie. Dank der geheimnisvollen Frau hatten wir gerade einen sehr effizienten Einsatz dieser Art von Magie gesehen.

Ich war ebenfalls ein Elementar. Ich besaß die seltene Fähigkeit, zwei Elemente kontrollieren zu können: Stein und Eis. Doch ich hatte noch nie zuvor jemanden mit einer Begabung für Elektrizität gesehen. Und jetzt fragte ich mich, ob ich auf diese Erfahrung nicht auch gut hätte verzichten können.

Die Frau stieß die Leiche des Mannes mit einem Fuß an. Ein großer Teil seines Körpers, vor allem die Extremitäten, zerfiel bei ihrer Berührung zu grauer Asche und flirrte in der Luft wie ein makabrer Nebel. Bei diesem Anblick verzogen sich die Lippen der Frau zu einem Lächeln. Dann griff sie in ihre Manteltasche, zog etwas Weißes heraus und warf es auf die Leiche, bevor sie zum Lieferwagen ging und auf den Fahrersitz glitt.

Dreißig Sekunden später lenkte die Frau den Lieferwagen die Straße entlang, bog um eine Ecke und verschwand aus unserem Blickfeld. Doch statt den Lieferwagen zu beobachten, starrte ich auf die verbrannte Leiche, die sie zurückgelassen hatte, und fragte mich, was dieses weiße Ding war, das auf der immer noch rauchenden Brust lag.

»Soll ich ihr folgen?«, fragte Finn, die Hand bereits am Zündschlüssel.

Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Bleib hier und pass auf.«

Ich stieg aus dem Wagen und schlich über die Straße, wobei ich von Schatten zu Schatten huschte, ein Steinsilber-Messer in jeder Hand. Nach ungefähr zwei Minuten vorsichtigen Schleichens und jeder Menge Pausen, um zu lauschen, erreichte ich die Ecke des Gebäudes, das der Leiche des Zwerges am nächsten lag. Dort kauerte ich unsichtbar in der Dunkelheit, bis ich mir sicher war, dass die geheimnisvolle Frau nicht nur einmal um den Block gefahren war, um zu sehen, ob jemand ihr Werk bewundern wollte. Dann holte ich tief Luft, stand auf und ging zu dem toten Zwerg.

Selbst jetzt, Minuten nach dem eigentlichen Angriff, stieg noch Rauch von der Leiche auf wie elegante graugrüne Bänder, die dem schwarzen Himmel entgegenstrebten. Ich atmete durch den Mund, trotzdem nahm ich den Gestank von verbranntem Fleisch wahr. Der vertraute Geruch löste jede Menge Gefühle in mir aus, die besser tief vergraben geblieben wären. Doch jetzt drängten sie an die Oberfläche, ob es mir gefiel oder nicht.

Für einen Moment war ich wieder dreizehn. Ich weinte und schluchzte, während ich auf die mit Asche bedeckten Formen hinuntersah, die meine Mutter Eira und meine Schwester Annabella gewesen waren, bevor Mab Monroe ihr Elementarfeuer eingesetzt hatte, um sie zu verbrennen. Ich musste darum kämpfen, mich nicht zu übergeben, als mir klar wurde, was man ihnen angetan hatte. Was man vor dem nächsten Morgen auch Bria und mir antun würde. Die süße kleine Bria…

Entschlossen schüttelte ich die Erinnerung ab. Meine Hände ballten sich zu Fäusten, bis ich spürte, wie sich die Knäufe meiner Steinsilber-Messer in die Spinnenrunen-Narben auf meinen Handflächen bohrten. Nur mit Mühe gelang es mir, meine Hände zu entspannen, dann ging ich in die Hocke, um mir den weißen Fleck auf der Leiche des Zwerges genauer anzusehen.

Zu meiner Überraschung war es eine einzelne weiße Orchidee mit weichen Blütenblättern, auserlesen und elegant. Ich kniff die Augen zusammen und betrachtete die Blüte nachdenklich. Ich wusste, was sie bedeutete und wer sie hier hinterlassen hatte, damit sie gefunden wurde. Das war ihr Markenzeichen. Ihr Zeichen, wie es bei mir die Spinnenrune war. Sie hatte die Blume hier hingelegt, um ihre Anwesenheit zu verkünden, ihr Mordopfer für sich zu beanspruchen und um jeden zu warnen, der es wagte, ihr in die Quere zu kommen. Sie verhöhnte mich, so wie ich Mab Monroe die letzten zwei Wochen über verhöhnt hatte.

»LaFleur«, murmelte ich, weil ich ihren Namen laut hören wollte.

Ein Profikiller war nach Ashland gekommen – um mich zu töten.

2

»Du kannst dir nicht sicher sein, dass sie hier ist, um dich zu töten, Gin«, sagte Finn.

Nachdem ich den toten Zwerg untersucht hatte, war ich wieder über die Straße gejoggt und in Finns Escalade eingestiegen. Dann hatten wir die Docks und die finsteren Straßen von Southtown hinter uns gelassen. Jetzt fuhren wir gerade durch die Innenstadt, auf dem Weg in die Vorstädte, die Ashland umschlossen.

Die Geldscheffler hatten die Hochhäuser und Bürogebäude der City schon lange verlassen, um für den Abend nach Hause zurückzukehren. Die einzigen Leute, die sich zu dieser Zeit noch auf den Straßen befanden, waren die Obdachlosen, die es noch nicht geschafft hatten, einen Unterschlupf für die Nacht zu finden. Ein paar von ihnen standen in dunklen Seitengassen und wärmten sich die Hände an Feuern, die in Mülltonnen brannten. Auf der Hauptstraße wanderten Vampirprostituierte auf und ab. Sie trugen so wenig Kleidung, wie es in der Kälte eben möglich war, während sie darauf hofften, dass irgendein Sugardaddy noch mal kommen wollte, bevor er in sein warmes, gemütliches Bett kroch. Die Nutten beäugten Finns Auto mit lüsternem Interesse, als er vorbeifuhr, und ihre Reißzähne glänzten im harten Licht der Straßenlaternen wie spitze Perlen.

»Vielleicht wollte LaFleur den Zwerg einfach nur umbringen, um an sein Zeug zu kommen«, fügte Finn hinzu.

»Und dann? Sie wartet eine Stunde lang in dieser Hütte auf dem Dock, bis er die Kisten für sie ausgeräumt hat? Und dann kommt sie raus und unterhält sich mit ihm, bevor sie ihn mit ihrer elektrischen Magie frittiert? Eher nicht«, antwortete ich. »Der Zwerg wusste die ganze Zeit über, dass sie da war. Sie hat ihn gefragt, ob er etwas gesehen oder gehört hätte. Ob er ein Zeichen von mir gesehen oder gehört hat. Deswegen hat er mit den Achseln gezuckt. Die ganze Aktion war eine Falle, ganz einfach.«

Das war die einzige Erklärung, die Sinn ergab. Es konnte keinen anderen Grund dafür geben, warum jemand mit LaFleurs Ruf, Fähigkeiten und Magie eine Stunde lang in der Dunkelheit herumsitzen sollte. Nein, sie war dafür bezahlt worden, dort zu sein – und ich wusste auch genau, wer das Geld dafür ausgespuckt hatte.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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