Spinnenfunke - Jennifer Estep - E-Book

Spinnenfunke E-Book

Jennifer Estep

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Beschreibung

Gin Blancos Erzfeindin, die Feuer-Elementarmagierin Mab Monroe, wurde schon vor langer Zeit besiegt. Trotzdem versucht immer wieder jemand, Gin zu töten. Und als eine neue Feindin mit dem mysteriösen Namen M. M. Monroe in Ashland auftaucht, ist Gin nicht das einzige Ziel der listigen, grausamen Killerin: Auch Gins Freunde werden immer wieder – scheinbar zufällig – in Unfälle verwickelt. Gin weiß, dass mehr dahinter steckt und M. M. Monroe versucht, die sprichwörtliche Schlinge mit jedem »Unglück« enger zuzuziehen. Wird Gin mehr brauchen als nur ihre mächtige Eis- und Steinmagie, um M. M. Monroes Mordplänen zu entkommen?

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Übersetzung aus dem Amerikanischen von Vanessa Lamatsch

 

© Jennifer Estep 2014Titel der amerikanischen Originalausgabe: »Black Widow« bei Pocket Books, a division of Simon & Schuster, Inc., New York 2014© Piper Verlag GmbH, München 2019Covergestaltung: zero-media.net, MünchenCovermotiv: FinePic®, München

 

Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

 

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Inhalt

Cover & Impressum

Widmung

Danksagung

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Für meine Mom, meine Grandma und Andre – für eure Liebe, eure Geduld und alles andere, was ihr mir über die Jahre geschenkt habt.Für meine Großmutter (mal wieder) – die niemals eine gewöhnliche Alte ist.Für meinen Großvater – ich werde dich vermissen.

Danksagung

Wieder einmal möchte ich mich bei all denjenigen bedanken, die mir dabei geholfen haben, meine Idee in ein Buch zu verwandeln:

Ich danke meiner Agentin Annelise Robey, meinem Lektor Adam Wilson und meiner Lektorin Lauren McKenna für ihre hilfreichen Ratschläge, ihre Unterstützung und Aufmunterung. Außerdem danke ich Trey Bidinger.

Ich danke Tony Mauro für den Entwurf eines weiteren tollen Buchcovers und Louise Burke, Lisa Litwack und allen anderen bei Pocket Books und Simon & Schuster für ihre Arbeit am Cover, am Buch und an der Serie.

Und schließlich möchte ich von Herzen meinen Lesern danken. Zu wissen, dass Leute meine Bücher lesen und lieben, erfüllt mich mit Demut und ich bin froh, dass ihr so viel Spaß an Gin und ihren Abenteuern habt. Ich weiß das mehr zu schätzen, als ihr euch vorstellen könnt.

Viel Spaß beim Lesen!

1

Es war pure Folter.

Die eigene Todfeindin dabei zu beobachten, wie sie alles bekam, was sie wollte, war die reinste Folter, ganz einfach.

Madeline Magda Monroe stand neben einem hölzernen Podium, die Hände vor ihrem starken, schlanken Körper verschränkt und eine ernste, nachdenkliche Miene auf ihrem schönen Gesicht. Neben ihr stand ein Beamter der Stadt mit grauem Schnurrbart in einem braun karierten Jackett und redete und redete und redete über all die guten Dinge, die ihre Mutter in Ashland bewirkt hatte.

Bitte. Das einzig Gute, was Mab in ihrem ganzen Leben getan hatte, war zu sterben. Wobei ich ihr nur zu gern behilflich gewesen war.

Andererseits taten das Profikiller nun einmal – und ich war die Beste, die Spinne.

Madelines scharlachrote Lippen verzogen sich zu einem leichten Lächeln, sodass für einen Moment ihre leuchtend weißen Zähne aufblitzten, als fände sie die Worte des Redners genauso ironisch wie ich. Sie wusste genau, was für ein sadistisches Miststück ihre Mutter gewesen war, besonders, da sie aus genau demselben, blutbesudelten Holz geschnitzt war.

Trotzdem musste selbst ich zugeben, dass Madeline eine engelsgleiche Figur abgab, wie sie da so ruhig und gelassen in ihrem weißen Hosenanzug stand, als genieße sie es tatsächlich, dem Gerede über Mabs angebliche wohltätige Werke zuzuhören. Es war zwölf Uhr mittags und die gleißende Sonne ließ die kupferfarbenen Strähnen in Madelines kastanienbraunem Haar aufleuchten, sodass es aussah, als beständen ihre fließenden Locken aus aneinandergebundenen Kohlestücken, die jeden Moment in Flammen aufgehen konnten. Doch Madeline besaß nicht die berühmte Feuermagie ihrer Frau Mama. Sie besaß etwas viel Selteneres und viel Gefährlicheres: Säuremagie.

Madeline verlagerte ihr Gewicht in ihren weißen Stilettos, was dafür sorgte, dass die Sonne den Steinsilber-Anhänger an ihrem Hals aufleuchten ließ – eine Krone mit einem flammenförmigen Smaragd in ihrer Mitte. Ein Ring an ihrer rechten Hand zeigte dasselbe Design. Madelines persönliche Rune, das Symbol für rohe, zerstörerische Macht, die auf gespenstische Art an die Rubin-Sonne erinnerte, die Mab getragen hatte, bevor ich das Schmuckstück vernichtet hatte – genau wie sie selbst.

Allein der Anblick von Madelines Rune sorgte dafür, dass ich die Hände zu Fäusten ballte und die Fingernägel in die Narben auf meinen Handflächen bohrte – ein kleiner Kreis umgeben von acht dünnen Strahlen. Eine Spinnenrune, das Symbol für Geduld.

Mab hatte mir diese Narben vor Jahren verpasst, als sie meinen Spinnenrunen-Anhänger in meine Handfläche eingeschmolzen und mich so für immer gezeichnet hatte. Ich fragte mich nur, wie viele Narben ihre Tochter meiner Kollektion hinzufügen würde, bevor unsere Familienfehde endlich ein Ende fand.

»Ich würde sagen, sie sieht so zufrieden aus wie eine Katze, die einen Kanarienvogel gefressen hat … aber wir wissen beide, dass sie nur ihre Säuremagie einsetzen würde, um das arme Wesen zu vernichten.« Die kultivierte Stimme, die diese Worte formulierte, ließ die Aussage irgendwie noch bissiger klingen.

Ich sah nach links, zu dem Mann, der an dem Ahornbaum lehnte, in dessen Schatten wir beide standen, die Schultern entspannt, die Hände in den Hosentaschen, die langen Beine an den Knöcheln verschränkt. Sein Haar war von einem dunklen Walnussbraun, das fast mit dem Stamm verschmolz, doch in seinen grünen Augen glitzerte Erheiterung, sodass ich sie trotz der Schatten, die über sein Gesicht huschten, genau erkennen konnte. Sein aschgrauer Fiona-Fine-Anzug betonte perfekt seine muskulöse Gestalt und verlieh ihm eine lässige Eleganz, die in vollkommenem Kontrast zu meiner angespannten, wachsamen Haltung stand.

Andererseits wirkte Finnegan Lane, mein Ziehbruder, immer so cool wie ein Eisbecher, egal, ob er nur durch den Park schlenderte, gerade als Investmentbanker Geschäfte abschloss oder durch das Zielfernrohr eines Scharfschützengewehrs spähte, bereit, jemandem eine Kugel in den Kopf zu jagen.

Finn zog eine Augenbraue hoch. »Also, Gin? Was sagst du?«

Ich schnaubte. »Oh, Madeline würde ihre Säuremagie nicht auf diese Art einsetzen. Sie würde jemand anderen so manipulieren, dass er für sie den Vogel und die Katze umbringt – während der arme Narr davon überzeugt ist, dass die ganze Idee nur auf seinem eigenen Mist gewachsen ist.«

Finn lachte leise. »Nun, irgendwie muss man das an ihr bewundern.«

Ich schnaubte wieder. »Dass sie eine meisterhafte Manipulatorin ist, die gerne alle Leute tanzen lässt wie Marionetten an Fäden, in die sie sie einwickelt, bevor ihnen auch nur aufgeht, was passiert? Bitte. Das Einzige, was ich an ihr bewundere, ist, dass sie es geschafft hat, während dieser gesamten Dankesrede keine Miene zu verziehen.«

Finn und ich standen ganz hinten in der Menge, die sich in einem Park in Northtown versammelt hatte – dem reichen, schicken, teuren Teil von Ashland, in dem die Wohlhabenden, die Mächtigen und die extrem Gefährlichen wohnten. Der Park war genau das, was man in diesem Teil von Northtown erwartete: jede Menge perfekt gepflegte, grüne Rasenflächen und hoch aufragende Bäume mit weit ausladenden Ästen sowie ein weitläufiger Spielplatz mit Sandkasten, Wippen, Schaukeln und einem kleinen Karussell. Es war ein pittoresker Anblick an diesem wunderschönen Oktobertag, an dem die Sonne vom blauen Himmel strahlte und der vielschichtige Duft des Herbstes die Luft erfüllte. Doch die angenehmen Temperaturen und die fröhlichen Sonnenstrahlen, die durch das herbstlich rote Blätterdach über mir drangen, konnten meine Laune nicht im Geringsten bessern.

Bei meinen harschen Worten drehten sich ein paar Leute in der Menge um und warfen mir genervte Blicke zu, doch ein kalter Blick von mir sorgte dafür, dass sie sich ein Stück entfernten, bevor sie sich wieder dem Podium zuwandten.

Erneut gluckste Finn in sich hinein. »Deine umfassende Sozialkompetenz erstaunt mich immer wieder.«

»Halt die Klappe«, murmelte ich.

Während der Sprecher weiter seinen Text herunterleierte, ließ ich meinen wintergrauen Blick über den Park gleiten und dachte dabei an das letzte Mal, als ich hier gewesen war – und an die Männer, die ich getötet hatte. Ein Vampir und ein paar Riesen, einige von Mabs Handlangern, die gerade einen unschuldigen Barkeeper folterten und ihn umbringen wollten, als ich mich eingemischt hatte. Die Wippen, die Schaukeln, das Karussell, die Rasenflächen. Überall in diesem Park waren Männer gestorben. Ich hatte sogar meine Rune in einen der Sandkästen gezeichnet, um Mab zu verspotten und sie aufzufordern, mich zu suchen – die Spinne, die schwer greifbare Killerin, die ihr solchen Ärger bereitete.

Und hier stand ich jetzt, Monate später, konfrontiert mit der nächsten Monroe, die mich erledigen wollte.

Manchmal fragte ich mich, ob ich der Vergangenheit mit all ihren Konsequenzen wohl jemals wirklich entkommen würde. Mab hatte meine Mutter und meine ältere Schwester ermordet, bevor sie versucht hatte, auch mich und meine jüngere Schwester Bria umzubringen. Ich war allein, verletzt und obdachlos zurückgeblieben. Fletcher Lane, Finns Dad, hatte mich aufgenommen und zur Profikillerin ausgebildet. Letztendlich hatte ich Mab letztes Jahr getötet. Und seitdem hatten alle Unterweltbosse versucht, mich zu ermorden.

Der Beamte kam langsam zum Ende seiner ermüdenden Rede und machte eine Geste in Richtung Madeline. Sie trat vor, hob die Hand und packte eine lange, schwarze Kordel, die ein riesiges weißes Tuch an einem der Eisentore um den Park festhielt. Madeline lächelte in die Menge und zögerte einen Moment, um die Dramatik zu erhöhen, dann riss sie an dem Seil und zog das Tuch herunter, begleitet von einer theatralischen Geste ihrer freien Hand.

Schicke, geschwungene Buchstaben aus Eisen verkündeten über dem Halbrund des Tores den neuen Namen des Parks: Monroe Memorial Park.

Ich starrte die Schrift böse an und wünschte mir, ich hätte einen der Hämmer, die mein Liebhaber, Owen Grayson, in seiner Schmiede verwendete, um das Tor umzuhauen und jeden einzelnen dieser verdammten Buchstaben zu Schrott zu schlagen. Besonders diejenigen, die Monroe bildeten. Doch natürlich konnte ich das nicht tun. Nicht jetzt. Vielleicht heute Nacht, wenn der Park schön leer war und niemand sehen konnte, wie ich meine aufgestaute Wut an einem unschuldigen Schriftzug ausließ.

Das war nicht die erste Einweihungsfeier, die ich in den letzten Wochen besucht hatte. Nachdem Madeline im September endlich ihren großen Auftritt in Ashland hingelegt hatte, hatte sie keine Zeit verschwendet, um als M. M. Monroe ihr Erbe einzufordern, in Mabs Herrenhaus zu ziehen und alle wissen zu lassen, dass sie vorhatte, die Geschäfte ihrer Mutter zu übernehmen, die legalen wie die illegalen.

Ich wusste nicht genau, wie ihr Masterplan aussah, aber Madeline hatte sofort begonnen, sich bei verschiedensten Arten von bürgerlichen, kommunalen oder wolhltätigen Organisationen einzuschleimen, unter dem Vorwand, sie wolle die guten Werke fortführen, die ihre Mutter zu Lebzeiten vorangetrieben hatte. Natürlich log sie dabei nach Strich und Faden, denn Madeline war keinen Deut wohltätiger als ihre verstorbene Frau Mama. Doch wenn es eines gab, worauf Leute in Ashland reagierten, dann war das kaltes, hartes Geld – oder zumindest das Versprechen darauf.

Und so hatten die Einweihungsfeiern ihren Anfang genommen. Ein Flügel des Briartop Museums, der neue Bahnhof, mehrere Brücken, ein ordentliches Stück der Schnellstraße, die um die Innenstadt herumführte, und jetzt dieser Park. Auf die tränenreiche Bitte ihrer lieben und pflichtbewussten Tochter Madeline hin schien alle paar Tage jemand irgendetwas Mab zu widmen. So wurden Bilder von ihr gemalt und Büsten von ihr gemeißelt, ihr Name wurde in Dinge eingraviert oder laut verkündet.

Und ich war bei jedem einzelnen Frühstück, Mittagessen und Abendessen gewesen, bei jeder Teeparty, Cocktailstunde, jedem Kaffeeklatsch und Grillabend – in dem Versuch, herauszufinden, was meine neue Feindin plante. Doch Madeline war eine herausragende Schauspielerin; sie tat nichts anderes als lächeln, Small Talk betreiben und sich für die Kameras in Pose zu werfen. Hin und wieder ertappte ich sie dabei, wie sie mich anstarrte, ein leichtes Lächeln auf den Lippen, als amüsierte sie meine offensichtliche Observation. Nun, das galt nur für sie.

Natürlich hatte ich Finn gebeten, alles über Madeline herauszufinden, über ihre Vergangenheit, ihr Privatleben und ihre Finanzen – in der Hoffnung, irgendwo einen Hinweis darauf zu entdecken, was sie plante, in Bezug auf mich und den Rest der Unterwelt von Ashland. Doch bisher hatte Finn absolut nichts Ungewöhnliches aufdecken können. Genauso wenig wie Silvio, mein selbst ernannter persönlicher Assistent.

Madeline hatte keine kriminelle Vorgeschichte. Keine riesigen Schuldenberge. Es gab keine großen Abhebungen von ihren Konten. Es hatte keine feindlichen Übernahmen von Geschäften gegeben – weder legalen noch illegalen –, die früher einmal Mab gehört hatten. Und, vielleicht am aufschlussreichsten, es hatte auch keine heimlichen Treffen mit den Unterweltbossen gegeben.

Noch nicht.

Trotzdem wusste ich, dass Madeline irgendetwas für mich plante. Drohende Gefahr sorgte immer dafür, dass meine Spinnenrunen-Narben kribbelten – um mich zu warnen und in Vorfreude darauf, den Spieß umzudrehen, sodass meine Feinde in Gefahr waren.

Gewöhnlich ignorierte Madeline mich bei den Einweihungsfeiern, aber anscheinend wollte sie heute ein Schwätzchen halten, weil sie, nachdem sie dem städtischen Beamten die Hand geschüttelt hatte, in meine Richtung schlenderte. Und sie war nicht allein.

Zwei Personen folgten Madeline. Die eine war eine Riesen-Leibwächterin, gekleidet in eine weiße Seidenbluse und einen schwarzen Hosenanzug, fast zwei Meter zehn groß, mit hellbraunen Augen und einem schicken Bob goldener Haare, die sich an den Spitzen leicht lockten. Die Sonne hatte ihre hellen Wangen gerötet, sodass die leichten Sommersprossen noch deutlicher hervortraten. Die andere Person war ein viel kleinerer Mann, der sich einen Steinsilber-Aktenkoffer an die Brust drückte. Sein grauer Anzug war noch schicker und teurer als der von Finn. Eine Löwenmähne grauen Haares wippte auf seinem Kopf, so hübsch und perfekt wie Zuckerguss auf einem Kuchen. Die elegante, silberne Farbe verriet sein Alter – er war Mitte sechzig – im Gegensatz zu seinem glatten, gebräunten Gesicht.

Emery Slater und Jonah McAllister. Emery war die Nichte von Elliot Slater, der Mabs rechte Hand und ihr Vollstrecker gewesen war, bevor ich den Ruhm dafür eingeheimst hatte, ihn getötet zu haben. Jonah hingegen war Mabs persönlicher Anwalt gewesen und jemand, dessen viele Verbrechen ich letzten Sommer nur zu gerne hatte auffliegen lassen. Unnötig zu erwähnen, dass wir vier uns gegenseitig von Herzen verabscheuten.

»Im Landeanflug«, murmelte Finn. Zugleich stieß er sich vom Baum ab, richtete sich auf und stellte sich neben mich.

Madeline hielt vor mir an, mit Emery und Jonah zu ihren beiden Seiten. Der Riese und der Rechtsanwalt warfen mir böse Blicke zu, doch Madeline wirkte fast erfreut, als sie noch einen kleinen Schritt nach vorne machte. Dann glitt ein Lächeln über ihre Lippen.

»Wen haben wir denn da? Gin Blanco«, schnurrte sie, »wie schön, dass du heute zu meiner Einweihungsfeier gekommen bist. Und du siehst so … schick aus.«

Ich trug, was ich immer trug: schwarze Stiefel, dunkle Jeans, ein langärmliges, schwarzes T-Shirt. Neben Madeline und ihrem leuchtend weißen Anzug sah ich eher aus wie einer der Obdachlosen, die im Park übernachteten. Madeline wirkte nach außen so süß und freundlich, aber ich wusste, dass ihr Herz genauso voller Gift und Bösartigkeit war wie meines.

»Nein, Madeline«, antwortete ich gedehnt. »Du weißt doch, dass ich das um nichts in der Welt hätte verpassen wollen.«

»Ja«, murmelte sie. »Du scheinst gern überall aufzutauchen, wo ich bin.«

»Nun, das kannst du mir kaum übel nehmen. Es ist immer so wunderbar, zu sehen, dass jemand von Mabs Format auf so rührende Art geehrt wird.«

Madelines Lippen zuckten erneut, als hätte sie Mühe, bei meiner krassen Lüge ihr Lachen zurückzuhalten. Genau. Mir ging es genauso.

»Allerdings finde ich etwas sehr witzig«, meinte ich. »Weißt du, was mir aufgefallen ist? Eigentlich ist es gar nicht Mabs Name, der verewigt wird. Es ist immer ›Monroe Memorial‹ hier und ›Monroe Memorial‹ da. Wenn ich es nicht besser wüsste, könnte ich fast annehmen, dass du durch die Stadt wanderst und allem deinen Namen aufdrückst. Statt dem deiner lieben, verstorbenen Frau Mama.«

Finn gluckste. Emery und Jonah richteten ihre kalten Blicke auf ihn, doch Finn lachte einfach weiter, vollkommen immun gegen ihr fieses Starren. Er war in dieser Hinsicht ziemlich unverbesserlich.

Kleine Fältchen bildeten sich in den Winkeln von Madelines grünen Augen, als würde es ihr Mühe bereiten, ihr freundliches Lächeln zu halten. »Ich glaube, du irrst dich, Gin. Ich ehre meine Mutter auf genau die Weise, wie sie es sich gewünscht hätte.«

»Und ich glaube, du hast deine liebe Frau Mama ungefähr genauso sehr geliebt wie ich«, antwortete ich. »Dir ist vollkommen egal, was sie gewollt hätte.«

Wut blitzte in Madelines Augen auf, sodass sie in noch hellerem Grün leuchteten – in derselben brennenden Farbe wie die Säure, die sie mit einer Bewegung ihrer gepflegten Hand heraufbeschwören konnte. Sie mochte es nicht, dass ich sie in Bezug auf ihre wahren Gefühle ihrer Mutter gegenüber zur Rede stellte. Und besonders gefiel ihr nicht, dass ich darauf hingewiesen hatte, dass es bei all diesen Einweihungsfeiern um ihr Ego ging, nicht um das von Mab.

Gut. Ich wollte sie wütend machen. Ich wollte, dass sie so richtig sauer war. Ich wollte sie so sehr zur Weißglut bringen, dass sie nicht mal mehr klar sehen, geschweige denn klar denken konnte – besonders, wenn es um mich ging. Denn dann würde sie einen Fehler machen und ich konnte endlich herausfinden, wie ihr Masterplan aussah. Und sie aufhalten, bevor sie alles und jeden zerstörte, der mir etwas bedeutete.

»Aber es steht mir wahrscheinlich nicht zu, ein Urteil zu fällen«, sprach ich weiter. »Mir wäre es wahrscheinlich auch egal. Sie war ja nicht meine Mutter. Ich nehme an, das ist einer der Punkte, wo wir uns darauf einigen müssen, dass wir uns nicht einig sind.«

Madeline blinzelte, dann zwang sie ihre scharlachroten Lippen zu einem noch breiteren Lächeln. »Weißt du, ich glaube, da hast du recht. Wir sind einfach dazu bestimmt, uns nicht einig zu sein – in Bezug auf unzählige Dinge.«

Wir starrten einander an, unsere Haltung war locker und unsere Mienen waren freundlich, doch in unseren Augen glänzte eine gefährliche, tödliche Kälte.

»Auf jeden Fall muss ich jetzt gehen«, sagte Madeline, um das Schweigen zu brechen. »Ich muss für morgen eine weitere kleine Einweihung vorbereiten. Diesmal in der Bibliothek in der Innenstadt.«

»Ich werde dort sein.«

»Nein«, sagte sie freundlich. »Ich glaube nicht, dass du kommen wirst. Aber ich danke dir dafür, dass du heute da warst, Gin. Wie du schon sagtest, es ist immer schön, dich zu sehen.«

Madeline grinste mich an, dann wirbelte sie auf einem hohen Absatz herum und stöckelte zurück zum Podium, um noch ein paar Hände zu schütteln und allen für ihre Unterstützung und die guten Wünsche zu danken. Emery und Jonah schenkten mir jeweils noch einen feindseligen Blick, dann folgten sie ihr. Bald befanden sie sich mitten in der Menge, während Finn und ich unter dem Ahorn zurückblieben.

»Sie ist wirklich unglaublich«, sagte Finn bewundernd, den Blick auf Madelines schlanke, atemberaubende Gestalt gerichtet.

Obwohl mein Ziehbruder mit Bria liiert war, blieb Finn ein schamloser Frauenheld, der gerne mit jeder Frau flirtete, die ihm in die Quere kam. Aus offensichtlichen Gründen war Madeline die Ausnahme von dieser Regel, aber das hielt ihn nicht davon ab, sie zu begaffen. Schnaubend verdrehte ich die Augen.

»Was?«, protestierte er. »Sie ist wie diese Spinne … die Schwarze Witwe. Ich kann die Schönheit einer solchen Kreatur bewundern, auch wenn ich weiß, wie tödlich sie ist.«

»Nur du würdest denken, dass es die Sache wert wäre, bei deinem postkoitalen Schläfchen aufgefressen zu werden.«

Finn zuckte mit den Achseln, dann schenkte er mir ein verschlagenes Lächeln. »Aber was für eine Art zu sterben.«

Er starrte Madeline noch einen Moment an, bevor er den Rest der Menge musterte. Anscheinend hatte er jemanden entdeckt, den er kannte, weil er winkte, mir eine kurze Entschuldigung zumurmelte und in Richtung einer verschrumpelten alten Zwergin loszog, die einen riesigen, rosafarbenen Sonnenhut und eine noch größere Diamantbrosche trug, die ihre eigene Postleitzahl verdient gehabt hätte. Finn verpasste nie eine Gelegenheit, Geschäft mit Vergnügen zu vermischen. Einen Moment später stand er bereits neben der Zwergin, nachdem er sich an der Riesin vorbeigeschoben hatte, die als ihre Personenschützerin arbeitete. Finn schenkte der älteren Frau ein charmantes Lächeln, dann beugte er sich vor und drückte ihr einen Kuss auf die braune, faltige Hand. Nun, zumindest flirtete er wirklich mit jeder Frau.

Doch ich beobachtete weiter Madeline, die immer noch Hände schüttelte und inzwischen direkt unter dem Torbogen stand, auf dem ihr Familienname prangte. Vielleicht lag es daran, wie die Sonne auf das Metall traf, doch das Wort Monroe schien in einem besonders unheilvollen Licht zu flackern und zu glühen, als beständen die Buchstaben aus schwarzem Feuer statt aus stabilem Eisen.

Madeline bemerkte, dass ich sie anstarrte, und schenkte mir ein weiteres hochmütiges, zufriedenes Lächeln, bevor sie mir den Rücken zuwandte und mich vollkommen ignorierte. Emery und Jonah taten dasselbe, indem sie sich erneut rechts und links von ihrer Chefin einreihten.

Ich konnte nichts anderes tun, als dort zu stehen und zu beobachten, wie meine Feindin eine tolle Zeit hatte, indem sie im warmen Schein der Gunst aller Versammelten badete.

Vielleicht hatte ich mich geirrt, als ich Finn erklärt hatte, es wäre das Schlimmste, gefressen zu werden.

Darauf zu warten, dass einen die Schwarze Witwe fraß, das war vermutlich die schlimmste Folter.

2

Die Park-Einweihung endete kurz darauf. Madeline, Emery und Jonah stiegen in einen schwarzen Audi und fuhren davon, wahrscheinlich zum Familienanwesen der Monroes, um den Rest des Tages mit Intrigen und Verschwörungen zu verbringen.

Ich blieb neben dem Ahorn stehen und starrte abwechselnd böse auf den davonbrausenden Audi und den Schriftzug über dem Tor, der mich jetzt ständig an Mab, Madeline und all die schrecklichen Dinge erinnern würde, die sie mir und den Leuten, die ich liebte, angetan hatte. Ich ballte erneut die Hände zu Fäusten, grub meine Nägel noch tiefer in die Spinnenrunen-Narben, während kalte Wut aus meinem Herzen bis in meinen Magen ausstrahlte.

Finn hörte auf, mit der älteren Zwergin und ihrer Leibwächterin zu flirten, und wanderte zu mir zurück.

»Ich brauche einen Drink«, knurrte ich.

Finn wurde sofort munter. »Das ist mal ein Wort.«

Wir verließen den neu ernannten Monroe Memorial Park und wanderten einen knappen Kilometer, bis wir ein graues, nichtssagendes Gebäude erreichten, das aussah, als wären darin irgendwelche Büros untergebracht. Ein großes Neonschild in Form eines Herzens, das von einem Pfeil durchbohrt wurde, hing über dem Eingang – der einzige Hinweis darauf, dass hinter diesem Laden mehr steckte, als man auf Anhieb erkennen konnte. Das Northern Aggression, Ashlands dekadentester Nachtclub, wurde von Roslyn Phillips geführt, einer Vampir-Freundin von uns.

Es war gerade mal ein Uhr nachmittags, also war das Neonschild dunkel. Sobald die Sonne unterging, würde es allerdings aufleuchten, ein Signalfeuer in Rot, Orange und Gelb, das Leute von nah und fern einlud, einzutreten und sich allen hedonistischen Vergnügungen hinzugeben, die der Club anbot: Blut, Alkohol, Sex, Rauchwaren. Im Northern Aggression konnte man all das bekommen, je nach Wunsch in kleiner oder großer Menge, solange man genug Geld hatte, um dafür zu bezahlen.

Roslyn wusste, dass Finn und ich zu der Einweihung gehen wollten, also hatte sie uns eingeladen, hinterher bei ihr vorbeizuschauen. Ich klopfte an eine der Türen, aber niemand reagierte. Außerdem klingelte ich, nur für den Fall, dass Roslyn mein lautes Pochen nicht gehört hatte. Immer noch keine Reaktion.

»Glaubst du, irgendetwas ist nicht in Ordnung?«, fragte ich. Sorge verdrängte die Wut, die mich bis dahin beherrscht hatte. »Dass jemand Roslyn da drin gefangen hält?«

Genau das war vor ein paar Wochen passiert, als Beauregard Benson, ein Vampir-Drogenhändler, Roslyn als Geisel genommen und sie gezwungen hatte, mich in den Nachtclub zu locken.

»Ich bin mir sicher, Roslyn geht es gut«, sagte Finn. »Nicht alles ist Teil einer bösartigen Intrige gegen dich, Gin.«

Ich warf ihm nur einen ausdruckslosen Blick zu.

Er seufzte. »Aber angesichts deiner bisherigen Erfahrungen kann es wahrscheinlich nicht schaden nachzusehen, ob wirklich alles paletti ist.« Er streckte mir eine Hand entgegen. »Wenn du so freundlich wärst?«

Genau wie Madeline war ich eine Elementarmagierin mit mächtiger Magie. Und genau wie Madeline besaß ich ein seltenes Talent: Ich konnte nicht nur eines, sondern gleich zwei der Hauptelemente kontrollieren. In meinem Fall waren das Eis und Stein. Also hob ich ebenfalls meine Hand und rief die kühle Macht, die durch meine Adern floss. Ein silbernes Licht flackerte auf, direkt über der Spinnenrunen-Narbe in meiner Handfläche, dann verblasste es wieder. Eine Sekunde später reichte ich Finn zwei schmale, lange Dietriche aus Eis.

Er beugte sich vor und steckte die Dietriche ins Schloss. Zehn Sekunden später hörte man ein leises Klick-klick-klick und die Tür öffnete sich. Finn warf die Eisdietriche zum Schmelzen auf den Asphalt.

Er grinste. »Kinderspiel.«

Ich schüttelte den Kopf, bevor ich ihm in den Club folgte.

Im Inneren des Northern Aggression herrschte nur dämmriges Licht, das von ein paar einzelnen Lampen hier und dort ausstrahlte. Der seitlich liegende VIP-Bereich war vollkommen dunkel. Finn schlenderte weiter und trat auf das federnde Bambusparkett der Tanzfläche in der Mitte des Clubs, doch ich wählte eine etwas vorsichtigere Route, immer an den dicken, roten Samtvorhängen an den Wänden entlang, während ich in die Schatten spähte und nach möglichen Gefahren Ausschau hielt. Außerdem ließ ich eines meiner Steinsilber-Messer in meine Hand gleiten, aus dem Fünfer-Arsenal, das ich immer am Körper trug – eines in jedem Ärmel, eines an meinem Kreuz und jeweils eines in jedem Stiefel.

Ich ging nicht davon aus, dass Madeline mich an einem Ort wie dem Northern Aggression ins Visier nehmen würde. Doch das machte einen Angriff hier nur umso wahrscheinlicher. Oder zumindest vermutete ich das, bei dem Pech, das ich in letzter Zeit hatte. Ich rechnete stark mit irgendeinem Angriff aus dem Hinterhalt, bei dem das sprichwörtliche Messer aus der Dunkelheit schoss und wieder und wieder in meinen Rücken gerammt wurde, bis ich verblutend auf dem Boden lag. Dass Madeline sich inzwischen seit mehr als einem Monat in der Stadt aufhielt und immer noch keinen offensichtlichen Angriff auf mich gestartet hatte, machte mich nur umso nervöser.

O ja, darauf zu warten, dass die Schwarze Witwe endlich zuschlug, war definitiv die schlimmste Art der Folter.

»Was soll das heißen, es gibt da ein Problem?«, erklang plötzlich eine laute, wütende Stimme.

Finn und ich stoppten beide, als eine Tür in der hinteren Wand so heftig aufgerissen wurde, dass die Vorhänge daneben ins Schwingen gerieten, und Roslyn Phillips durch den Rahmen stiefelte, ein Handy ans Ohr gedrückt. Sie trug einen eng anliegenden, fahlgrünen Hosenanzug, der zugleich die warme, schokoladenbraune Färbung ihrer Haut und ihrer Augen betonte und ihre perfekte Figur hervorhob. Ein dünnes Stirnband mit durchsichtigen, quadratischen Kristallen hielt das schwarze Haar aus ihrem Gesicht, doch die angewiderte Miene, die sie zog, lenkte ein wenig von der perfekten Schönheit ihrer symmetrischen Züge ab.

Roslyn entdeckte Finn und deutete mit dem Finger auf die Bar aus elementarem Eis, die sich an einer Wand entlangzog, womit sie ihm sagte, er solle es sich bequem machen. Finn stiefelte sofort los, doch ich sah mich noch einmal genau um, bevor ich das Messer zurück in den Ärmel schob, zu ihm ging und mich auf den Hocker neben ihm setzte. Roslyn marschierte hinter die Eisbar und fing an, auf und ab zu tigern, sodass das Bambusparkett unter ihren schnellen Schritten knirschte.

»Ich soll Sie verstehen? Natürlich verstehe ich Sie. Aber noch wichtiger, ich verstehe die Situation – wir haben einen Vertrag«, blaffte Roslyn ins Telefon. »Und wenn Sie sich nicht daran halten, dann werde ich Sie auf jeden Tropfen Alkohol und auf jede einzelne Kröte verklagen, die ich aus Ihnen herauspressen kann. Das sollten Sie verstehen.«

Damit legte sie auf und klatschte das Telefon so heftig auf die Bar, dass ein paar Splitter elementares Eis abbrachen. Roslyn starrte das Gerät böse an, bevor sie sich den Nasenrücken massierte. Sie zog eine Grimasse, bei der die kleinen Fangzähne in ihrem Mund sichtbar wurden, dann stieß sie ein langes, müdes Seufzen aus und senkte die Hand wieder.

»Tut mir leid, Leute«, sagte sie. »Wie ihr sicher bemerkt habt, habe ich ein kleines Problem. Ich habe die Klingel schon gehört und wollte euch gerade aufmachen. Doch wie ich sehe, konnte Finn nicht so lange warten.«

Er zwinkerte ihr zu. »Ich lasse niemals zu, dass eine solche Kleinigkeit wie eine verschlossene Tür zwischen mir und einem kostenlosen Drink steht.«

Roslyn lachte, doch mir lief ein kleiner, nervöser Schauder über den Rücken.

»Was für ein Problem?«, fragte ich.

Sie schüttelte den Kopf. »Obwohl wir einen narrensicheren Vertrag haben und seit Jahren zusammenarbeiten, hat mein Getränkehändler plötzlich beschlossen, seine Preise zu verdreifachen. Er droht damit, den Club gar nicht mehr zu beliefern, wenn ich seinen Forderungen nicht nachgebe. Geldgieriger Mistkerl.«

Roslyn griff unter die Bar, um Stift und Zettel herauszuziehen. Sie blätterte zu einer leeren Seite, dann wandte sie uns den Rücken zu und fing an, die bunten Flaschen mit Alkoholika auf dem verspiegelten Regal hinter der Bar zu zählen.

»Was glaubst du, wieso er das tut?«, fragte ich. »Und wieso jetzt?«

Sie zuckte nur mit den Achseln und zählte weiter. »Wahrscheinlich ist ihm bewusst geworden, wie viel Geld ich allein mit dem Verkauf von Drinks mache und er will einfach ein größeres Stück des Kuchens abhaben.«

»Also glaubst du nicht, dass etwas anderes dahintersteckt?«, beharrte ich. »Dass jemand ihn aufgehetzt hat?«

Finn schnaubte, glitt von seinem Stuhl und ging hinter die Bar.

Roslyn hielt mit ihrer Inventur inne und sah über die Schulter zu mir zurück, die Stirn vor Verwirrung gerunzelt. »Wer sollte ihn denn aufhetzen?«

Finn schnappte sich eine Flasche teuren Gin von einem der Regale und musterte sie fast bewundernd. »Oh, zweifellos denkt Gin, dass das Teil eines hinterhältigen Plans von Madeline Magda Monroe ist.«

»Madeline Monroe?«, fragte Roslyn. »Wieso sollte sie sich für meinen Getränkelieferanten interessieren?«

Ich seufzte. »Weil du mit mir befreundet bist. Weil sie mich hasst. Weil sie böse ist. Weil sie es genießt, kleinlich und grausam zu sein und das Leiden anderer zu beobachten, egal, wie klein und scheinbar trivial die Probleme auch sein mögen, die sie ihnen verursacht.«

Roslyn warf Finn einen Blick zu, an dem ich deutlich ablesen konnte, dass sie mich für komplett paranoid hielt, auch wenn sie zu höflich war, das laut auszusprechen.

Finn stimmte ihr nur mit einem Achselzucken zu, dann machte er sich daran, einen Gin einzugießen. Er dekorierte das Glas noch mit einer dicken Limettenscheibe, bevor er es über die Bar zu mir schob. »Hier. Trink das. Ist ein Doppelter. Vielleicht vertreibt das ein paar deiner Wahnvorstellungen.«

Ich starrte ihn finster an, doch seine Antwort bestand nur darin, mich aus großen Augen anzusehen, bevor er weitere Gin Tonics für Roslyn und sich mixte.

Die Vampirin wedelte wegwerfend mit der Hand. »Finn hat recht. Solche Dinge geschehen einfach hin und wieder. Mein Lieferant hat in letzter Zeit immer mal wieder angedeutet, dass er unseren Vertrag neu verhandeln will. Das ist nichts. Einfach nur der Preis, den man zahlt, wenn man ein Geschäft führt … besonders in Ashland.«

»Wie gut ich das weiß«, stimmte ihr Finn zu. »Darauf trinke ich.«

Die beiden stießen miteinander an, dann begannen sie, sich über all die betrügerischen Geschäftsleute zu unterhalten, die sie kannten, und all die Tricks, mit denen diese über die Jahre versucht hatten, sie über den Tisch zu ziehen. Doch ich saß einfach nur da, ließ ihr fröhliches Gespräch an mir vorbeirauschen, die Ellbogen auf die kalte Oberfläche der Bar gestützt, mein Glas in der Hand, und brütete vor mich hin. Normalerweise hätte ich es genossen, mich mit Finn und Roslyn zu unterhalten, im Moment aber fehlte mir sogar die Energie, um an meinem Drink zu nippen.

Vielleicht waren Roslyns Probleme mit ihrem Lieferanten wirklich nur Zufall. Vielleicht hatte es absolut nichts mit mir zu tun, dass der Kerl ausgerechnet heute beschlossen hatte, seine Preise zu erhöhen. Vielleicht hatten meine Freunde recht und das war einfach der Preis, den man zahlen musste, wenn man in unserer korrupten Südstaaten-Stadt Geschäfte machen wollte.

Das einzige Problem daran war, dass ich nicht an Zufälle glaubte. Nicht wirklich und besonders nicht jetzt, da Madeline sich in der Stadt aufhielt. Nicht, wenn die Möglichkeit bestand, so klein sie auch sein mochte, dass Madeline im Hintergrund die Fäden zog, um statt mir Roslyn Probleme zu bereiten.

Dann war da noch Madelines nicht gerade versteckte Drohung bei der Einweihung gewesen – als sie gesagt hatte, dass ich es wohl nicht schaffen würde, morgen der Veranstaltung in der Bibliothek beizuwohnen. Hatte sie damit gemeint, dass ich nicht dort sein würde, weil ich damit beschäftigt wäre, Roslyn zu helfen? Doch Finn hatte recht. Das erschien absurd, egal, wie hoch mein Paranoia-Level auch sein mochte. Roslyn brauchte keine Hilfe beim Umgang mit ihren Lieferanten. Um so etwas konnte sie sich problemlos selbst kümmern, so wie sie es in all den Jahren getan hatte, die sie ihren Club schon führte. Ehrlich, der Kerl wäre ein Narr, würde er riskieren, sie als Kundin zu verlieren, bei der Menge an Alkohol, die sie jede Woche bei ihm bestellte.

Finn und Roslyn plauderten weiter. Ich beteiligte mich am Gespräch, wann immer sie mir eine direkte Frage stellten, die meiste Zeit aber saß ich einfach nur an der Bar und versuchte herauszufinden, was Madeline davon hätte, Roslyn zu belästigen – abgesehen von der Befriedigung, der Vampirin das Leben schwer zu machen. Für Madeline würde diese Motivation wahrscheinlich schon ausreichen. Aber vielleicht hatten meine Freunde recht. Vielleicht war ich wirklich zu paranoid und malte den Teufel an die Wand, obwohl es gar nichts gab, worum man sich Sorgen machen musste.

Doch auch wenn ich unnötig den Teufel an die Wand malte, war die Gefahr trotzdem immer real und wartete darauf, einen hinterrücks zu verschlingen.

Trotz der beruhigenden Worte von Finn und Roslyn konnte ich mich des Gefühls einfach nicht erwehren, dass Madeline endlich die erste Salve abgefeuert und damit unseren bisher kalten Krieg in einen heißen verwandelt hatte.

 

Finn und ich plauderten ungefähr eine Stunde lang mit Roslyn, bis die ersten Angestellten im Club auftauchten, um alle Vorbereitungen für den Abend zu treffen. Wir wanderten zurück zu unseren Autos, die wir auf dem Parkplatz des Northern Aggression abgestellt hatten, dann trennten sich unsere Wege.

Finn fuhr in die Innenstadt zu seiner Bank, um wenigstens so zu tun, als hätte er heute gearbeitet. Ich dagegen hatte mir im Pork Pit, meinem Barbecue-Restaurant, den Nachmittag freigenommen, um zu der Park-Einweihung zu gehen. Da ich keine anderen Verpflichtungen hatte, fuhr ich zum Anwesen der Monroes.

Ja, wahrscheinlich war ich paranoid, aber genau diese Eigenschaft hatte lange Zeit dafür gesorgt, dass ich am Leben blieb. Es gab keinen guten Grund, jetzt davon abzurücken.

Eigentlich fuhr ich gar nicht wirklich zum Monroe-Familienanwesen, sondern parkte in der Nähe. Ich lenkte meinen neuesten Aston Martin an den Rand der Straße vor dem benachbarten Herrenhaus, einer sechsstöckigen Villa, die Charlotte Vaughn gehörte. Ich stoppte meinen Wagen ungefähr einen halben Kilometer vor dem offenen Tor, das zum Anwesen der Vaughns führte, und hängte eine weiße Tüte in das Fahrerfenster, als wäre etwas mit dem Auto nicht in Ordnung und ich wäre Hilfe holen gegangen.

Ich konnte schlecht am Herrenhaus von Madeline vorbeifahren, zumindest nicht, ohne von einer der Riesenwachen entdeckt zu werden, die das Tor im Blick behielten. Aber das Vaughn-Grundstück hatte ich schon unzählige Male betreten. Es war einfach, über die Steinmauer zu steigen, auf der anderen Seite nach unten zu springen und unter den dichtstehenden Bäumen am Rand der Rasenfläche unterzutauchen. Danach ging es nur noch darum, vorsichtig durch den nachmittäglichen Schatten zu schleichen, bis ich das Waldstück erreicht hatte, welches das Vaughn-Grundstück von Madelines trennte.

Kurz bevor ich im Wald verschwand, hielt ich an und sah zur Vaughn-Villa auf. Die weißen Spitzenvorhänge vor den Fenstern der Bibliothek im dritten Stock waren zurückgezogen und gaben den Blick frei auf eine Frau mit schwarzem Haar, die an einem Schreibtisch saß, einen Telefonhörer zwischen Kopf und Schulter eingeklemmt, während sie auf einer Tastatur herumtippte. Charlotte Vaughn – der ich vor Jahren einerseits geholfen und die ich andererseits tief verletzt hatte. Doch ich war nicht hier, um mich mit Charlotte zu beschäftigen, also glitt ich in den Wald und eilte weiter.

Charlotte mochte Madelines nächste Nachbarin sein, aber ihre jeweiligen Villen lagen trotzdem noch ein paar Kilometer voneinander entfernt, also brauchte ich fast eine Stunde, um mein Ziel zu erreichen: ein paar alte, graue und verwitterte Bretter, die ich zehn Meter hoch in einen stattlichen Ahornbaum genagelt und mit einem verschlissenen Tarnnetz abgedeckt hatte, das schon bessere Tage gesehen hatte.

Auf den ersten Blick wirkte das Konstrukt wie ein Hochsitz, den ein engagierter Jäger errichtet und dann vergessen hatte. Doch ich war erst vor ein paar Wochen tief in der Nacht hier erschienen, um mein improvisiertes Baumhaus anzubringen. Madeline besaß jede Menge anonymer, austauschbarer Lakaien, die sie jederzeit ins Pork Pit schicken konnte, um mich auszuspionieren – daher wollte ich auch eine Möglichkeit haben, sie im Blick zu behalten.

Ich kontrollierte den Boden um das Baumhaus herum, auf der Suche nach Fußabdrücken, abgebrochenen Ästen oder Zweigen. Dann überprüfte ich, ob die kleinen Steinstapel, die ich errichtet hatte, noch standen. Als letzte Vorsichtsmaßnahme schickte ich meine Magie aus – diesmal meine Steinmacht – und lauschte auf die Vibrationen der Felsen, die unter der Blätterschicht begraben lagen.

Doch die Steine flüsterten nur von kälter werdenden Nächten und dem langsamen Näherrücken des Winters. Ich schickte meine Magie weiter aus, vernahm jedoch kein finsteres, verschlagenes Murmeln, kein besorgtes Zischen und auch keine Angst. Dem Baumhaus hatte sich nichts Größeres als ein Kaninchen genähert, seitdem ich vor drei Nächten das letzte Mal hier gewesen war.

Zufrieden kletterte ich den Stamm nach oben, zog mich auf die Bretter und kontrollierte die schwarze Sporttasche mit Ausrüstung, die ich vor ein paar Tagen hier hinterlassen hatte. Feldstecher, Flaschen mit Wasser, Müsliriegel, eine Digitalkamera, ein Richtmikrofon, ein paar Zielfernrohre. Alles, was eine Profikillerin brauchte, um eine Zielperson ordentlich auszuspähen.

Und Madeline war definitiv meine Zielperson – so wie ich ihre war.

Ich setzte mich gemütlich hin, griff nach dem Fernstecher und spähte hindurch. Mein Baum stand auf einem Hügel und mein kleines Haus lag hoch genug, um mir einen guten Blick auf die Hinterseite der Monroe-Villa zu verschaffen, wo sich ein olympiatauglicher Pool befand, der von einer Terrasse umgeben war. Obwohl wir schon Oktober hatten, war das Schwimmbad noch nicht abgedeckt und das blaue Wasser bildete einen schönen Kontrast zu dem ganzen grauen Granit außen herum.

Das Einzige, was den eleganten Ausblick störte, waren die hölzernen Latten, orangefarbenen Verlängerungskabel, Stapel von Elektrowerkzeugen und die kräftigen Zwerge, die ins Herrenhaus gingen, daraus hervortraten oder um das Gebäude herumliefen. Obwohl ich mich mehr als hundertfünfzig Meter von der Terrasse entfernt aufhielt, konnte ich die dichten Wolken Sägestaub sehen, die aus den offenen Türen und Fenstern drangen und sich dann in der Luft verteilten, begleitet vom scharfen Geruch nach Farbe.

Madeline renovierte eifrig, sowohl innen wie auch außen. Die Bauarbeiter hatten sich jedes Mal hier herumgetrieben, wenn ich in den letzten Wochen hergekommen war, um sie zu bespitzeln. Ich hatte sogar darüber nachgedacht, mich als Arbeiterin zu verkleiden, nur um zu sehen, was im Inneren des Hauses eigentlich vor sich ging, aber das Risiko war zu groß. Mir war es egal, wie Madeline ihr Haus umgestaltete. Ich wollte einfach wissen, wie ihre Pläne für mich und meine Familie aussahen.

Trotzdem, als ich die Bauarbeiter beobachtete und hörte, wie sie sich gegenseitig Anweisungen zubrüllten, konnte ich nicht anders, als an die Nacht zu denken, als ich zuletzt dem Herrenhaus so nahe gewesen war – damals, als ich versucht hatte, Mab zu ermorden, indem ich mich aufs Grundstück geschlichen hatte, auf eines der Vordächer geklettert war und durchs Fenster des Speisezimmers mit einer Armbrust auf sie geschossen hatte. Ich hatte allerdings nicht gewusst, dass Mab just an diesem Abend ein Essen für eine Gruppe Kopfgeldjäger gegeben hatte, die sie angeheuert hatte, um mich zur Strecke zu bringen. Statt mit Mabs Tod hatte die Sache damit geendet, dass ich angeschossen worden und in den Wäldern um mein Leben gerannt war.

Andererseits endeten eine Menge meiner Nächte so.

Also war ich nicht allzu scharf darauf, einen weiteren Mordanschlag im Herrenhaus zu riskieren. Zumindest noch nicht. So wie ich mein Glück kannte, würde ich entdeckt werden, bevor ich nahe genug war, um auch nur zu versuchen, Madeline zu töten. Ein weiteres Gegenargument waren die Riesen, die um das Herrenhaus patrouillierten und die Bauarbeiter im Blick behielten. Alle Wachen waren mit Handys und Pistolen bewaffnet, zusätzlich zu ihren massiven Fäusten.

Weitere bewaffnete Riesen trampelten auf den Rasenflächen hin und her, wobei sie immer wieder auch bis zum Waldrand vordrangen. Doch sie traten nicht zwischen die Bäume und kamen nicht mal in die Nähe meines Verstecks. Das hätte einfach keinen Sinn gemacht, zumindest nicht tagsüber, denn sie würden sowieso jeden entdecken, der aus dem Wald kam und versuchte, über die Rasenfläche auf das Haus zuzulaufen – und sie könnten diese Person erschießen, bevor sie auch nur die Hälfte der Strecke zurückgelegt hätte.

Trotzdem fand ich es ein wenig schlampig von Madeline, ihre Sicherheitsparameter nicht weiter zu fassen. Als Mab noch lebte, hatten die Riesen auch zu allen Tages- und Nachtzeiten die Wälder kontrolliert und fiese Überraschungen wie Sonnenrunen waren in die Baumstämme geritzt gewesen, bereit, jeden mit elementarem Feuer zu beschießen, der das Pech hatte, sie auszulösen. Ganz zu schweigen von den Stolperdrähten, Bomben und anderen gemeinen Fallen, die jeden erwartet hatten, der auch nur in die Nähe von Mabs Anwesen kam.

Aber Madeline schien damit zufrieden zu sein, nur das Herrenhaus selbst zu schützen, zusammen mit dem gepflegten Garten. Ich fragte mich, ob sie wirklich so sehr auf Emery Slater vertraute – und auf die Fähigkeiten der Riesin, sie zu schützen. Vielleicht machte Madelines eigene Säuremagie sie aber auch so zuversichtlich, gepaart mit dem Riesenblut, das dank ihres Vaters, Elliot Slater, in ihren Adern floss.

Auf jeden Fall lehnte ich mich gegen den Baumstamm, spähte durch meinen Feldstecher und tat mich an einem Müsliriegel gütlich, da ich im Northern Aggression ja nur ein flüssiges Mittagessen genossen hatte. Um ehrlich zu sein, war diese Bewachung im Wald nicht die unangenehmste Art, den Nachmittag zu verbringen. Erinnerte mich ein wenig an die Wanderungen, die ich mit Fletcher unternommen hatte. Und zumindest hatte ich so das Gefühl, ich täte tatsächlich etwas, um herauszufinden, was Madeline plante, statt nur Däumchen zu drehen und darauf zu warten, dass sie mich unter den scharfen Absätzen ihrer weißen Stilettos zerquetschte.

Trotzdem schrieb ich zusätzlich noch Nachrichten an alle meine Freunde, um mich bei ihnen zu melden und sicherzustellen, dass bei ihnen nicht – wie bei Roslyn – plötzliche, verdächtige Probleme aufgetreten waren.

Owen saß in einem Meeting, während Eva Grayson, seine kleine Schwester, und Violet Fox, ihre beste Freundin, gerade ihre gewohnten Kurse am Community College besuchten. Violets Großvater, Warren T. Fox, stand in seinem Laden, dem Country Daze, oben in den Bergen über der Stadt.

Jolene »Jo-Jo« Deveraux war eifrig damit beschäftigt, Haare zu schneiden und zu färben, Dauerwellen zu legen und ihre Kunden in ihrem Schönheitssalon zu stylen, während ihre Schwester Sophia für mich im Pork Pit stand, zusammen mit Catalina Vasquez, meiner besten Kellnerin. Catalinas Onkel, Silvio Sanchez, war unterwegs und tat, was persönliche Assistenten von Profikillerinnen wie mir eben taten.

Phillip Kincaid und Cooper Stills – der Erste war Owens bester Freund, der Zweite sein Mentor – spielten Poker auf Phillips Flussschiff, der Delta Queen. Detective Bria Coolidge schließlich, meine Schwester, war genauso wie ihr Partner Xavier mit dem endlosen Papierkram beschäftigt, der unvermeidbar war, wenn man zu den wenigen guten Cops in Ashland gehörte.

Also waren alle mit ihrem eigenen Leben beschäftigt und zufrieden. Ich war die Einzige, die sich zwanghaft mit Madeline und ihren möglichen Plänen auseinandersetzte.

Andererseits, so war es ja meistens.

Schließlich, eine Stunde, zwei Müsliriegel und eine Flasche Wasser später, wurde meine Geduld belohnt. Eine der Hintertüren des Herrenhauses öffnete sich und Madeline schlenderte auf die Terrasse, gefolgt von Emery und Jonah. Madeline sah aus, als hätte sie gerade trainiert, mit ihrer engen, weißen Yogahose und dem dazu passenden Tanktop. Ihr kastanienbraunes Haar war zu einem Pferdeschwanz gebunden und um ihren Hals lag ein Handtuch, sodass ihre Steinsilber-Kette mit dem Krone-mit-Flamme-Anhänger nicht zu sehen war. Emery und Jonah trugen immer noch dieselbe Kleidung wie im Park.

Madeline warf das Handtuch zur Seite und ließ sich in einen riesigen, weißen Korbsessel sinken, der zum Pool ausgerichtet war. Ein Hausmädchen mit leuchtend rotem Haar, das in eine Uniform aus weißer Bluse und schwarzer Hose gekleidet war, brachte ein silbernes Tablett mit einer Kanne Limonade und mehreren Gläsern. Emery und Jonah warteten beide, bis Madeline ein gekühltes Glas Limonade in der Hand hielt, bevor sie sich ihr gegenüber in weitere Sessel setzten.

Zu meiner Freude bemerkte ich, dass Jonah unruhig wirkte. Er hielt seinen Koffer aufrecht auf dem Schoß, als könnte er sich damit vor Madelines Säuremagie schützen, sollte sie ihn damit beschießen wollen. Außerdem zerrte Jonah ständig an seiner Krawatte, als säße das Stoffband zu eng um seinen Hals, und beäugte Emery voller Misstrauen, als rechnete er jeden Moment damit, von ihr zu Tode geprügelt zu werden.

Dem verschlagenen Rechtsanwalt geschähe es nur recht, wenn Madeline ihn umbrachte. Schließlich hatte er versucht, ihr Erbe zu stehlen, und er hatte schon Jahre zuvor Geld von Mab hinterzogen. Madeline hatte genauso viele gute Gründe wie ich, ihn tot sehen zu wollen, wenn nicht sogar mehr. Ich bezweifelte allerdings, dass sie mir diese Aufgabe abnehmen würde. Nicht, solange sie noch glaubte, McAllister könnte ihr von Nutzen sein.

Madeline und Emery nippten an ihrer Limonade, also legte ich den Feldstecher zur Seite, griff nach dem Richtungsmikrofon und schaltete es an. Silvio hatte dieses schicke Spielzeug vor ein paar Wochen für mich besorgt. Ich hatte ihm gesagt, was ich wollte, und er war schon am nächsten Tag damit im Pork Pit aufgetaucht. Und er hatte nur leicht die Augenbrauen hochgezogen, als er es mir gegeben hatte. Ich hätte ihm das nie gestanden, aber irgendwie mochte ich es, einen Assistenten zu haben – besonders einen so stillen, diskreten und effizienten Assistenten wie Silvio.

Sobald ich das Mikrofon angeschaltet hatte, begann ich, an den Knöpfen herumzuspielen, um die Reichweite und die Empfangsqualität zu optimieren. Vor allem hörte ich das dauerhafte, hohe Heulen der Elektrosägen der Bauarbeiter, gepaart mit dem schweren Bumm-bumm-bumm von Nägeln, die in Bretter geschlagen wurden. Was auch immer die Handwerker da im Herrenhaus taten, es klang laut, groß und eindrucksvoll. Genau das, was ich erwartet hatte, wenn man bedachte, was für einen Aufruhr Madelines Rückkehr nach Ashland ausgelöst hatte.

Nach ungefähr zehn Minuten machten ein paar der Arbeiter eine Trinkpause, sodass das Geräusch von Sägen und Hämmern ein wenig verklang. Ich beugte mich vor und drehte noch ein bisschen am Mikrofon herum, bevor ich es wieder auf die Terrasse ausrichtete, um so viel wie möglich aus dem Moment herauszuholen. Es kostete mich ungefähr dreißig Sekunden, aber schließlich gelang es mir, das Gespräch aufzufangen. Zusätzlich hob ich den Feldstecher wieder und spähte hindurch.

»… wie geht es voran?«, fragte Madeline.

Emery kippte ihre Limonade hinunter, stellte das Glas auf den Tisch, zog ihr Handy heraus und fing an, Nachrichten zu schreiben. »Alles ist bereit.«

Madeline wandte sich an Jonah. »Und bei dir?«

Er räusperte sich, dann rückte er noch einmal seine Krawatte zurecht. »Auch bei mir ist alles vorbereitet. Ich habe alle wichtigen Leute erreicht. Besonders Dobson ist schon ganz scharf darauf, endlich loszulegen.«

Ich runzelte die Stirn. Dobson? Wer war das? Und worauf war er so scharf? Ich zog mein eigenes Handy heraus und schrieb mir eine Notiz, damit ich den Namen nicht vergaß.

Dann frischte der Wind auf und wehte weitere Sägemehl-Wolken über den Garten. Ich bewegte mein Richtmikrofon von einer Seite meines improvisierten Baumhauses zur anderen, aber die Böen verhinderten, dass ich viel mehr hörte als statisches Knistern.

Doch das spielte auch keine Rolle, weil Madeline den letzten Schluck Limonade trank und aufstand. Sie lächelte Emery verschwörerisch zu, sah Jonah, der immer noch mit einer Hand sein volles Glas und mit der anderen seinen Aktenkoffer umklammerte, aber nicht mal an.

»Gut«, schnurrte sie förmlich. »Freut mich, dass endlich alles so weit ist. Ich musste lange darauf warten, doch jetzt wird es Zeit, meine Anwesenheit kundzutun – allen in Ashland.«

Madeline strahlte Emery noch einen Moment an, bevor sie sich umdrehte und ins Haus rauschte.

Jonah stand auf und machte Anstalten, ihr zu folgen, doch Emery trat ihm in den Weg und bedachte den Anwalt mit demselben kalten Blick, den sie eigentlich jedem schenkte.

»Vermassel das nicht«, knurrte sie. »Oder du wirst dir wünschen, Blanco hätte dich umgebracht, als sie die Chance dazu hatte.«

Jonah lächelte, in dem Versuch, die Anspannung zu lösen, doch der Ausdruck erreichte seine braunen Augen nicht und seine glatte Haut wirkte noch angespannter als gewöhnlich, als bisse er die Zähne aufeinander, damit sie nicht vor Angst klapperten. Ich fragte mich, wie ihm seine neuen Herrinnen wohl gefielen. Ich hätte gewettet, dass Madeline sogar ein noch größerer Albtraum war als Mab zu ihrer Zeit jemals, so gern wie sie mit Leuten spielte.

Emery bedachte Jonah mit einem letzten harschen Blick, bevor auch sie im Herrenhaus verschwand.

Der Anwalt blieb, wo er war. Er schwankte leicht, als stünde er kurz davor, ohnmächtig zu Boden zu sinken. Er sah sich um, vergewisserte sich, dass niemand auf ihn achtete, dann stellte er sein Glas ab, öffnete seinen Aktenkoffer, griff hinein und zog einen nicht allzu kleinen Flachmann heraus. Er warf den Kopf in den Nacken und kippte den Inhalt des kleinen Fläschchens, wie auch immer der aussehen mochte, hinunter.

Ich lachte leise. Der arme Jonah. Er arbeitete erst einen Monat für Madeline und hing bereits an der Flasche. Oh, wie leid er mir doch tat.

Sobald der Flachmann leer war, stopfte McAllister ihn zurück in den Aktenkoffer, ließ die Verschlüsse einrasten, nahm die Schultern zurück und wanderte ins Herrenhaus, wo er alles ertragen würde, was Madeline und Emery für den Rest des Tages noch geplant hatten …

Knack.

Ich erstarrte bei dem unerwarteten Geräusch. Doch noch schlimmer waren die Stimmen, die eine Sekunde später erklangen – tiefe, heisere Stimmen, die lauter und lauter wurden und sich meinem Versteck unaufhaltsam näherten.

3

Ich hielt so still wie eine Leiche und wagte kaum zu atmen, während ich wartete und lauschte, um herauszufinden, ob ich entdeckt worden war.

»Glaubst du wirklich, hier draußen ist jemand?«, brummte ein Riese, seine tiefe Stimme klang erschreckend nah.

»Ich weiß es nicht«, murmelte ein anderer zurück. »Aber Emery glaubte eine Lichtreflexion im Wald gesehen zu haben. Sie hat mir eine Nachricht geschrieben und mich angewiesen, kurz nachzusehen.«

Da sie mich bisher nicht entdeckt hatten, schaltete ich vorsichtig und leise das Richtmikrofon aus, damit das statische Knistern mich nicht verriet, dann legte ich es ab, zusammen mit dem Feldstecher. Anschließend rollte ich mich auf den Bauch, ohne mich um die Splitter zu kümmern, die durch mein T-Shirt in meinen Bauch stachen, und schob mich an den Rand meines Baumhauses, um durch einen Riss im Tarnnetz nach unten zu spähen.

Und tatsächlich, ungefähr fünf Meter entfernt bewegten sich die Äste eines großen Rhododendron-Busches und zwei Riesen drängten sich daran vorbei.

Schlampig, schlampig, Gin! Im Stillen verfluchte ich mich selbst. Ich hatte mich so darauf konzentriert, am Mikrofon herumzudrehen, um zu hören, was Madeline und die anderen sprachen, dass ich nicht auf die Wachen auf dem Rasen geachtet hatte. Zwei von ihnen hatten ihren Posten verlassen und schlichen jetzt durch den Wald auf mich zu. Sie hatten die Waffen gezogen und hielten Ausschau nach der kleinsten Bewegung, um sofort zu schießen und die Gefahr auszuschalten.

Emery musste das Glitzern der Sonne auf meinem Feldstecher gesehen haben, als ich ihre kleine Limonadenparty beobachtet hatte. Doch statt laut Alarm zu schlagen und ein ganzes Bataillon von Riesen in meine Richtung zu jagen, war sie diskret an die Sache herangegangen und hatte ihre Männer heimlich losgeschickt, in der Hoffnung, mich auf frischer Tat zu ertappen – und zu ermorden.

Ich blieb absolut bewegungslos und still liegen, während die Riesen den Wald unter mir durchsuchten. Natürlich hätte ich ein Messer in meine Hand gleiten und mich von meinem Hochsitz auf ihre Rücken fallen lassen können, um sie beide zu töten. Doch ich bezweifelte, dass ich dabei so leise vorgehen konnte, dass nicht sofort alle anderen Riesen in meine Richtung rannten. Und wenn die Wachen in meine Richtung stürmten, nun, dann würde mir eine Flucht schwerfallen, besonders da Emery die Truppe zweifelsohne persönlich anführen würde. Sie wäre nicht zufrieden, bis ich gefangen war – oder tot.

Vor allem aber wollte ich nicht preisgeben, dass ich das Herrenhaus beobachtete. Vielleicht würde ich hierher zurückkehren müssen, also wollte ich, dass mein Versteck unentdeckt blieb. Damit kam es nicht infrage, die Riesen zu töten, es sei denn, es ging wirklich nicht anders.

Doch ich konnte mich auch nicht davonschleichen, während die Wachen sich direkt unter mir herumtrieben. Ich konnte nur still liegen bleiben, warten und hoffen, dass sie nicht auf die clevere Idee kommen würden, nach oben zu sehen, um herauszufinden, ob sich vielleicht etwas in den Ästen über ihnen versteckte.

»Das ist sinnlos«, murmelte einer der beiden schließlich. Er steckte seine Pistole ein und lehnte sich ausgerechnet gegen den Baum, auf dem ich kauerte. »Hier draußen ist niemand. Emery ist paranoid wie immer.«

Der andere Riese hielt ebenfalls an, doch er steckte seine Waffe nicht weg. »Na ja, du weißt, dass sie sich Sorgen um Blanco machen und sich fragen, was sie unternimmt, wenn die Dinge ins Laufen kommen. Sie rechnen auf jeden Fall damit, dass sie zurückschlägt. Oder es zumindest versucht. Nicht, dass sie eine große Chance hätte, zumindest nicht, wenn alles nach Madelines Plan läuft.«