Spinnentanz - Jennifer Estep - E-Book

Spinnentanz E-Book

Jennifer Estep

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Beschreibung

Zwar hat sich die erfolgreiche Auftragsmörderin Gin Blanco offiziell zur Ruhe gesetzt, doch der Ärger reißt einfach nicht ab: Als zwei Punks versuchen, Gins Restaurant auszurauben, fallen Schüsse – doch ungewöhnlicherweise ist nicht »Die Spinne« ihr Ziel, sondern ihr Protegé Violet Fox. Gin muss herausfinden, wer hinter dem Angriff steckt und warum. Wenn sexy Detective Donovan Caine sie nur nicht ständig ablenken würde! Als dann auch noch ein anderer Mann ins Spiel kommt, wird dem Steinelementar Gin trotz ihrer Eismagie richtig heiß ...

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Wie immer ist dieses Buch meiner Mom und meiner Grandma gewidmet, die sich so gut um mich kümmern. Und André, aus dem gleichen Grund. Danke für euer Verständnis, wenn ich mal für meinen »Bücher- Kram« untertauchen muss. Eure Liebe und Unterstützung bedeuten mir mehr, als ihr jemals ahnen könnt.

Übersetzung aus dem Amerikanischen von Vanessa Lamatsch.

ISBN 978-3-492-96667-2 September 2016

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2010 unter dem Titel »Web of Lies«, Pocket Books, New York. Deutschsprachige Ausgabe: © Piper Verlag GmbH, München 2014 Covergestaltung: Zero Werbeagentur Covermotiv: FinePic®, München und Karina Vegas / arcangel images und Jeroen Peys / getty images Datenkonvertierung: CPI books GmbH, Leck

Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

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Danksagung

Wieder einmal wäre dieses Buch ohne die Hilfe vieler, vieler Leute nicht möglich gewesen.

Ich danke Annelise Robey für ihre unerschütterliche Unterstützung sowie Megan McKeever und Lauren McKenna für ihren Einsatz und all ihre redaktionellen Ratschläge.

Ich danke Kathy Still, die meine Fragen zum Kohleabbau und mehr beantwortet hat – jeder Fehler geht allein auf mein Konto, nicht auf ihres.

Und schließlich noch einen großen Dank an all die Leser dort draußen. Zu wissen, dass euch meine Bücher Freude bereiten, macht die Arbeit daran lohnenswert.

Viel Spaß beim Lesen!

1

»Stehen bleiben! Keine Bewegung! Das ist ein Überfall.«

Wow. Gleich drei Klischees hintereinander. Hier mangelte es jemandem ganz eindeutig an Phantasie.

Aber die gebrüllten Drohungen hatten dafür gesorgt, dass ein kleiner Schrei erklang. Ich seufzte. Schreie waren immer schlecht fürs Geschäft. Das bedeutete, dass ich den Ärger, der gerade in mein Restaurant gestiefelt war, nicht ignorieren konnte – und mich auch nicht auf die schnelle, gewalttätige Weise darum kümmern konnte, die ich bevorzugt hätte. Ein Steinsilber-Messer ins Herz reichte normalerweise aus, um sich den meisten Ärger vom Leib zu halten. Dauerhaft. Aber nicht in meinem eigenen Laden.

Also hob ich meine grauen Augen von der Taschenbuchausgabe der Odyssee, in der ich gerade las, um zu sehen, was der ganze Aufruhr eigentlich sollte.

Zwei Männer Mitte zwanzig standen in der Mitte des Pork Pit und wirkten zwischen den blauen und pinkfarbenen Plastik-Sitznischen des Restaurants vollkommen fehl am Platz. Das dynamische Duo war in schwarze Trenchcoats gehüllt, die über dünne T-Shirts hingen und um zerrissene Jeans wehten. Keiner von beiden trug Mütze oder Handschuhe, und die Kälte des Herbstes hatte ihre Ohren und Finger leuchtend rot gefärbt. Ich fragte mich, wie lange sie wohl draußen gewartet hatten, um den nötigen Mut zu sammeln und die einfallslosen Forderungen zu stellen.

Wasser tropfte von ihren Stiefeln und bildete Pfützen auf den verblassten blauen und pinkfarbenen Schweineklauenspuren, die sich über den Boden des Restaurants zogen. Ich beäugte die Schuhe der Männer: teures schwarzes Leder, dick genug, um gegen die Novemberkälte zu bestehen. Keine Löcher, keine Risse, keine fehlenden Schnürbänder. Diese beiden waren nicht wie die üblichen verzweifelten Junkies auf der Suche nach schnellem Geld. Nein, sie hatten Kohle – jede Menge davon, wenn man den teuren Schuhen, den Marken-Shirts und den Designerjeans Glauben schenken durfte. Diese reichen Punks wollten mein Barbecue-Restaurant einfach nur ausrauben, weil es ihnen einen Kick verschaffte.

Es war die dümmste Entscheidung ihres Lebens.

»Niemand bewegt sich!«, sagte der eine Kerl, als hätten wir ihn beim ersten Mal nicht gehört.

Er war ein bulliger Mann mit stacheligem blondem Haar, das von irgendeinem glänzenden Gel gehalten wurde. Wahrscheinlich hatte in der Vergangenheit mal ein Riese in der Familie mitgemischt, zumindest schloss ich das nach einem Blick auf seine Körpergröße und die massigen Hände. Obwohl er schon über zwanzig sein musste, hatte er noch Babyspeck im Gesicht, was ihn aussehen ließ wie ein aufgeweichtes Marshmallow. Die braunen Augen des Kerls huschten durch das Restaurant und registrierten alles, von den Baked Beans, die auf dem Herd vor sich hin schmurgelten, über die zischende Fritteuse bis hin zur zerfledderten Ausgabe von Eigentlich hätte es ein herrlicher Sommertag werden können, die hinter der Registrierkasse an der Wand hing.

Dann richtete der Muskelprotz seine Aufmerksamkeit auf die Leute im Pork Pit, um sicherzustellen, dass alle seinen Befehlen Folge leisteten. Es waren nicht allzu viele Gäste da. Montags lief das Geschäft oft mittelmäßig, und heute war es dank des kalten Windes und des peitschenden Regens noch schlimmer gewesen. Die einzigen anderen Leute im Restaurant neben mir und den Möchtegernräubern waren meine Zwergenköchin Sophia Deveraux und zwei Frauen im Collegealter in engen Jeans und Shirts. Insgesamt waren ihre Klamotten denen der Diebe nicht unähnlich.

Die Frauen saßen wie erstarrt mit weit aufgerissenen Augen an ihrem Tisch, ihre Steaksandwiches hielten sie noch in der Luft. Sophia stand neben dem Herd und beobachtete mit gelangweiltem Blick die Bohnen im Topf. Sie grunzte einmal und rührte dann mit einem Metalllöffel darin herum. Sophia ließ sich von so gut wie nichts aus der Ruhe bringen.

Der erste Kerl hob die Hand. In seinen roten aufgesprungenen Fingern glitzerte die Klinge eines kleinen Messers.

Mein Mund verzog sich zu einem harten dünnen Lächeln. Ich mochte Messer.

»Beruhige dich, Jake«, murmelte der zweite Kerl. »Es gibt keinen Grund zu brüllen.«

Ich sah ihn an. Während sein Kumpel blond und bullig war, präsentierte sich Räuber Nummer zwei klein und klapperdürr. Seine wenigen Haare standen aufgrund von offensichtlich unkontrollierbaren Wirbeln in alle Richtungen ab, nicht weil er irgendwelches Zeug hineingeschmiert hatte. Die Locken waren so leuchtend rot, dass er den Spitznamen »Karotte« geradezu herausforderte.

Karotte schob seine Hände in die Hosentaschen, trat von einem Fuß auf den anderen und starrte auf den Boden. Es war deutlich, dass er überall sein wollte, nur nicht hier. Im besten Fall war er ein widerwilliger Handlanger und hatte wahrscheinlich versucht, seinem Kumpel das Ganze auszureden.

Er hätte sich mehr anstrengen sollen.

»Keine Namen, Lance. Erinnerst du dich?«, knurrte Jake mit einem bösen Blick auf seinen Freund.

Lance’ Körper zuckte bei der Nennung seines eigenen Namens zusammen, als hätte ihm jemand einen Taser an den Körper gedrückt. Sein Mund klappte entgeistert auf, aber er verkniff sich einen weiteren Kommentar.

Ich benutzte eine der Kreditkartenabrechnungen des Tages als Lesezeichen in der Odyssee. Dann schloss ich das Buch, richtete mich auf, glitt von meinem Hocker und trat um den langen Tresen herum, der sich an der hinteren Wand des Pork Pit entlangzog. Es war Zeit, den Müll rauszubringen.

Der erste Kerl, Jake, bemerkte aus dem Augenwinkel meine Bewegung. Doch statt mich anzugreifen, wie ich es erwartet hätte, bewegte sich der Halbriese nach links, um eine der jungen Frauen von der Bank zu reißen – das Latino-Fräulein mit Kurzhaarschnitt. Sie schrie, das Steaksandwich flog ihr aus der Hand und klatschte gegen das große Fenster zur Straße. Die Barbecuesoße, die an der Scheibe nach unten floss, sah aus wie zähflüssiges Blut.

»Lass sie in Ruhe, du Arschloch!«, schrie die andere Frau.

Sie sprang auf und stürzte sich auf Jake, der ihr mit dem Handrücken eine saftige Ohrfeige verpasste. Er mochte ja nur ein Halbriese sein, trotzdem lag genug Kraft in dem Schlag, dass die Frau von den Füßen gerissen und gegen einen Tisch geschleudert wurde. Sie rutschte über ihn hinweg und knallte auf den Boden – und zwar hart. Ein tiefes Stöhnen war zu hören.

Zu diesem Zeitpunkt begann Sophia Deveraux, sich ein wenig mehr für die aktuellen Vorgänge im Restaurant zu interessieren. Die Zwergin trat neben mich. Die silbernen Totenköpfe, die von dem schwarzen Lederhalsband hingen, klimperten wie ein Windspiel. Die Schädel passten zu dem Aufdruck auf ihrem schwarzen T-Shirt.

»Du rechts«, murmelte ich. »Ich übernehme links.«

Sophia grunzte und ging zum anderen Ende des Tresens, wo die Frau gelandet war.

»Lance!« Jake deutete mit dem Kinn auf die Verletzte und Sophia. »Pass auf die Nutten auf!«

Lance leckte sich über die Lippen. Sein Gesicht bot ein Bild des Jammers, aber er huschte zu der verletzten Frau, die sich auf Hände und Knie aufgerappelt hatte. Sie schob sich die blauschwarzen Strähnen aus dem Gesicht, und in ihren blauen Augen stand reiner Hass. Sie war eine Kämpferin.

Doch Lance bemerkte ihren giftigen Blick nicht. Er war zu sehr damit beschäftigt, Sophia anzustarren. Die Zwergin war schon ein Grufti gewesen, bevor Gruftis cool waren – ungefähr vor hundert Jahren, vielleicht aber auch länger. Zusätzlich zu dem Totenkopfhalsband und passendem T-Shirt trug Sophia Deveraux schwarze Jeans und Stiefel. Ihre Lippen waren in scharfem Kontrast zu dem schwarz glitzernden Lidschatten und der natürlichen Blässe ihres Gesichtes pink angemalt. Hellrosafarbene Strähnchen leuchteten in ihren kurzen schwarzen Locken.

Jake schien von diesem Anblick nicht beeindruckt. Er zog seine Geisel sogar noch näher an sich heran, drehte sie mit dem Rücken zu sich und drückte ihr das Messer an die Kehle. Jetzt hatte er einen menschlichen Schutzschild. Super.

Aber das war noch nicht das Schlimmste. Ein kleiner roter Funke glühte in den Tiefen seiner braunen Augen, als hätte dort jemand ein Streichholz angezündet. Magie wogte wie ein heißer Sommerwind durch das Restaurant. Die Macht traf meine Haut und ließ die Narben auf meinen Handflächen kribbeln. Flammen schossen zwischen Jakes Fingern heraus, rollten nach oben und sammelten sich um das Messer. In der plötzlichen Hitze fing die Klinge an, rot und orange zu glühen.

Sieh an, sieh an, Jake der Räuber steckte voller Überraschungen. Denn zusätzlich zu einem jämmerlichen Dieb war Jake, der Halbriese, auch ein Elementar – jemand, der eines der vier Elemente kontrollieren konnte. In seinem Fall Feuer.

Das Lächeln gefror mir im Gesicht. Jake war nicht der Einzige mit Superkräften – und vor allem war er nicht der Einzige, der gefährlich war. Sehr, sehr gefährlich. Ich legte den Kopf schräg und konzentrierte mich auf meine Steinmagie. Um mich herum murmelten die Ziegel des Pork Pit unruhig, weil sie die Gefühlsauswallungen der jungen Frauen genauso spürten wie meine finsteren Absichten.

»Ich sagte: Niemand bewegt sich, verdammt!«

Jakes vorher so laute Stimme war nicht mehr als ein raues Flüstern. Seine Augen glühten vollkommen rot, als hätte jemand zwei glitzernde Rubine in sein Babygesicht gesteckt. Der Schweiß rann ihm über die Schläfe, und sein Kopf bewegte sich zu einer Musik, die nur er hören konnte. Jake war auf irgendeine Weise high – ob nun von Alkohol, Drogen, Blut oder seiner eigenen Magie. Wahrscheinlich eine Mischung aus allem. Spielte auch keine große Rolle. In ungefähr einer Minute würde er tot sein. Höchstens zwei.

Das rote Glühen in Jakes Augen wurde heller, als er die Magie in seinem Inneren erneut rief. Die Flammen auf der silbernen Klinge flackerten höher und heißer, bis sie an der Kehle der jungen Frau leckten und sie zu verbrennen drohten. Tränen rannen über ihr herzförmiges Gesicht, und sie atmete schluchzend. Aber sie bewegte sich nicht. Kluges Mädchen.

Ich kniff die Augen zusammen. Es war eine Sache, das Pork Pit auszurauben, mein Barbecue-Restaurant, meinen Laden. Vom Glück verlassenen Elementaren, Vampirnutten und Pennern, die zugedröhnt von ihrer eigenen Magie waren und nach mehr lechzten, konnte man diese Dämlichkeit verzeihen. Aber niemand – niemand! – bedrohte meine zahlenden Gäste. Ich würde es genießen, mich höchstpersönlich um diesen Dreckskerl zu kümmern. Sobald ich ihn von dem Mädchen getrennt hatte.

Also hob ich in einer beruhigenden Geste die Hände und bemühte mich, die kalte Wut in meinen Augen so gut wie möglich zu verstecken. »Ich bin die Besitzerin. Gin Blanco. Ich will keinen Ärger. Lass sie gehen, und ich mache die Registrierkasse auf. Ich werde nicht mal die Polizei rufen, wenn ihr weg seid.«

Hauptsächlich, weil es sowieso nichts bringen würde. Die Cops in der Südstaaten-Metropole Ashland waren korrupt bis ins letzte Glied. Die hoch geschätzten Mitarbeiter der Bullerei machten sich kaum die Mühe, zu Überfällen zu erscheinen, besonders in einem an das verlorene Southtown grenzenden Viertel. Und noch weniger taten sie etwas Hilfreiches, wie zum Beispiel die Täter hinterher zu schnappen.

Jake schnaubte. »Mach nur! Die Polizei kann mir nichts anhaben, Miststück. Weißt du, wer mein Vater ist?«

Ganz offensichtlich war Jake nicht nur ein Feuerelementar, sondern auch völlig unfähig, den Mund zu halten. Ein Wunder, dass er und sein idiotischer Freund überhaupt so lange überlebt hatten.

»Sag es Ihnen nicht!«, zischte Lance.

Jake schnaubte wieder und richtete die roten Augen auf seinen Kumpel. »Ich erzähle ihnen, was auch immer ich will. Also halt deine feige Klappe!«

»Lass sie einfach gehen, und ich mache die Kasse auf«, wiederholte ich mit fester Stimme, in der Hoffnung, dass sie Jakes Magierausch durchdrang und die Dumpfbacke mich verstand.

Er kniff die roten Augen zu Schlitzen zusammen. »Du wirst die Kasse sofort öffnen, oder das Mädchen stirbt – und du gleich mit!«

Er zog die junge Frau näher an sich heran, und die Flammen um das Messer glühten noch heller, sodass sie jetzt fast orange schimmerten. Die Steinsilber-Narben auf meinen Handflächen, die die Form von Spinnenrunen hatten, kribbelten beim Anstieg der Magie im Raum. Ich spannte mich an, weil ich fürchtete, er würde die Kleine direkt hier und jetzt erledigen. Ich konnte ihn umbringen – mühelos –, aber wahrscheinlich nicht, bevor er sie mit seiner Magie verletzt hatte. Das wollte ich nicht. Es würde auch nicht passieren. Nicht in meinem Restaurant. Nicht heute und niemals sonst.

»Jake, beruhige dich!«, flehte Lance seinen Freund an. »Niemand macht Ärger. Es läuft genauso, wie du gesagt hast. Schnell und einfach. Lass uns das Geld nehmen und verschwinden!«

Jake starrte mich an, und die Flammen in seinen Augen bewegten sich im selben Takt wie die Feuerzungen um das Messer. Reine bösartige Freude stand in seinen Blick geschrieben. Selbst wenn ich nicht gut darin gewesen wäre, Leute einzuschätzen, hätte mir diese Beobachtung verraten, dass Jake es genoss, seine Magie einzusetzen. Er liebte die Macht, die sie ihm verlieh, und das Gefühl, unbesiegbar zu sein. Und es verriet mir, dass er nicht damit zufrieden wäre, nur das Geld zu stehlen. Nein, Jake würde seine Feuermagie einsetzen, um jeden im Restaurant umzubringen. Einfach weil er es konnte, mit seiner Magie angeben und beweisen wollte, dass er ein echt harter Typ war. Außer ich tat etwas, um ihn aufzuhalten.

»Jake? Das Geld?«, fragte Lance wieder.

Nach einem Moment ließ das Flackern in den Augen des Feuerelementars ein wenig nach. Er senkte die brennende Klinge und ließ der jungen Frau damit endlich ein wenig Raum zum Atmen. »Geld. Jetzt!«

Ich öffnete die Registrierkasse, nahm alle zerknitterten Scheine heraus und streckte sie ihm entgegen. Jake musste die Geisel nur lange genug loslassen, um vorzutreten und sich das Geld zu schnappen, und ich hätte ihn.

Komm schon, du Drecksack. Komm und spiel mit Gin.

Aber sein Selbsterhaltungstrieb musste sich eingeschaltet haben, denn der bullige Halbriese schüttelte den Kopf. Lance verließ seinen Posten bei der verletzten Frau, schlich vorwärts, riss mir das Geld aus der Hand und trat schnell zurück. Ich machte mir nicht die Mühe, ihn mir zu schnappen, um ihn als Geisel einzusetzen. Kerle wie Jake hatten überhaupt kein Problem damit, ihre Freunde hängen zu lassen – oder auf der Spitze meiner Klinge aufgespießt zu sehen.

Jake leckte sich die dicken rissigen Lippen. »Wie viel? Wie viel ist es?«

Lance zählte schnell die grünen Scheine. »Ein bisschen über zweihundert.«

»Das war’s? Du hältst mich hin, Miststück!«, knurrte Jake.

Ich zuckte mit den Achseln. »Montag ist kein guter Tag. Bei einer solchen Kälte gehen nicht viele Leute vor die Tür, nicht einmal für Grillfleisch.«

Der Feuerelementar starrte mich böse an, während er über meine Worte nachdachte. Ich lächelte ihn an. Er wusste nicht, was er sich eingebrockt hatte – oder mit wem er sich gerade anlegte.

»Lass uns verschwinden, Jake«, flehte Lance. »Es könnte jederzeit ein Cop vorbeikommen.«

Jake umfasste sein brennendes Messer fester. »Nein! Nicht, bis dieses Miststück mir verraten hat, was sie mit dem Rest des Geldes gemacht hat. Das ist das beliebteste Restaurant der Gegend. Es müssten mehr als zweihundert Dollar in dieser Kasse sein. Also, wo hast du es versteckt, Nutte? Trägst du einen Geldgürtel unter deiner hässlichen Schürze?«

Ich zuckte mit den Achseln. »Warum kommst du nicht her und findest es raus, du jämmerliches Stück Scheiße?«

Seine Augen wurden dunkler, roter, wütender, bis ich tatsächlich glaubte, die flackernden Flammen darin würden gleich nach außen schlagen. Jake gab ein wütendes Knurren von sich. Er stieß die junge Frau von sich und stürzte sich auf mich, das Messer ausgestreckt.

Mein Lächeln wurde breiter. Endlich. Zeit zum Spielen …

Ich wartete, bis er in meiner Reichweite war, dann trat ich nach vorne und drehte meinen Körper. Ich rammte ihm den Ellbogen in den Solarplexus und trat ihm die Füße unter dem Körper weg. Jake keuchte, stolperte und fiel kopfüber zu Boden. Beim Aufkommen knallte er mit der Schläfe gegen einen der Tische, und das Blut aus der Platzwunde spritzte auf meine Jeans. Der Schlag reichte aus, um Jakes Konzentration zu unterbrechen und so dafür zu sorgen, dass er für einen Moment den Halt an seiner Magie verlor. Das kribbelnde Gefühl der Macht, das ihn umgeben hatte, verschwand, und die Flammen um das Messer in seiner Hand erloschen. Das heiße Metall zischte und rauchte, als es auf den kühlen Boden fiel.

Ich sah nach rechts. Die Frau, die Jake durch den Raum geschmissen hatte, rappelte sich auf und machte Anstalten, sich auf ihren Peiniger zu stürzen. Aber Sophia packte die Kleine um die Hüfte und zog sie weg. Die Frau wehrte sich kurz, aber die Grufti-Zwergin schüttelte den Kopf und machte einen Schritt, um sich vor sie zu stellen. Lance sah das, schluckte einmal und wich langsam zurück, jederzeit bereit, sich umzudrehen und davonzurennen. Aber Sophia war schneller. Die Zwergin rammte ihm die Faust in den Magen. Er fiel um, als wäre ihm ein Amboss auf den Kopf gefallen, sackte auf dem Boden zusammen und bewegte sich nicht mehr.

Einer erledigt. Damit war nur noch Jake übrig.

Ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder ihm zu, der sich auf die Seite gerollt hatte. Blut lief ihm über die Schläfe. Der Halbriese entdeckte mich über ihm, richtete sich in einer schnellen Bewegung auf und hackte mit dem langsam abkühlenden Messer nach mir. Idiot. Die Klinge kam nicht einmal in meine Nähe. Nachdem Jake noch einmal nutzlos mit dem Messer in der Luft herumgefuchtelt hatte, ging ich in die Knie, umklammerte sein Handgelenk und bog es so lange nach hinten, bis er sich nicht mehr rühren konnte. Dann beäugte ich die Waffe in seiner bewegungsunfähigen Hand.

»Himmel«, sagte ich. »Besorg dir ein richtiges Messer. Damit könntest du ja nicht mal Kartoffeln schälen.« Dann zog ich ihm die Klinge aus den verkrampften Fingern und brach ihm das dicke Handgelenk.

Jake schrie schmerzerfüllt auf, aber der Lärm störte mich nicht. Schon seit Jahren nicht mehr. Ich drückte ihn auf den Rücken zurück und setzte mich rittlings auf seine Brust, sodass meine Knie ihn einklemmten und Druck auf seine Rippen ausübten. Riesen, selbst Halbriesen wie Jake, hassten es, wenn sie nicht richtig atmen konnten. So ging es eigentlich den meisten Leuten.

Ich verlagerte das Messer in meiner Hand, bereit, es ihm ins Herz zu rammen. Es war eine lächerliche Waffe, aber sie würde der Aufgabe gerecht werden. Die meisten Dinge taten das, wenn man genug Stärke in den Schlag legte und entschlossen war. Und ich war sehr stark und sehr entschlossen.

Ein leises unterdrücktes Schluchzen lenkte meine Aufmerksamkeit von Jake und seinen hohen jammernden Schreien ab. Ich hob den Blick. Das zweite Mädchen kauerte ein paar Schritte entfernt unter einem Tisch, die Beine an die Brust gedrückt, die Augen weit aufgerissen, während ihr Tränen über die geröteten Wangen rannen. Eine Situation, in der ich mich selbst schon einmal befunden hatte.

Vor ein paar Monaten hätten mir die junge Frau und ihre Tränen nichts ausgemacht. Ich hätte Jake und seinen Freund umgebracht, mir das Blut von den Händen gewaschen und Sophia gebeten, die Leichen verschwinden zu lassen, bevor ich das Pork Pit für den Abend schloss.

Denn das taten Profikiller nun einmal. Und ich war die Spinne gewesen, eine der besten Auftragsmörderinnen überhaupt.

Aber vor zwei Monaten, als mein Mentor brutal gefoltert und umgebracht worden war – und zwar im Pork Pit, an ziemlich genau der Stelle, an der ich gerade saß –, hatte ich so etwas wie eine Offenbarung gehabt. Der alte Mann, Fletcher Lane, hatte gewollt, dass ich mich zur Ruhe setzte, einen anderen Weg im Leben einschlug und ein bisschen im Tageslicht lebte, wie er es so gerne genannt hatte. Ich war Fletchers Rat gefolgt und hatte den Job als Auftragsmörderin an den Nagel gehängt, nachdem ich zuletzt Alexis James umgebracht hatte, die Luftmagierin, die ihn auf dem Gewissen hatte.

»Hmpf.« Sophia grunzte hinter mir.

Ich sah über die Schulter zu der Zwergin, die immer noch die andere Frau festhielt. Die bemühte sich vergeblich, die kurzen Finger von ihrer Hüfte zu lösen. Viel Spaß dabei. Sophia konnte richtig zupacken. Sobald sie einen einmal hatte, ließ sie nicht mehr los – niemals.

Meine grauen Augen trafen Sophias schwarze. In ihrem dunklen Blick blitzte Bedauern auf, und die Zwergin schüttelte den Kopf. Nein, teilte sie mir damit wortlos mit. Nicht vor Zeugen.

Sie hatte recht. Zeugen waren übel. Ich konnte Jake nicht die Eingeweide herausreißen, während zwei junge Frauen zusahen, und die Leiche hinterher verschwinden lassen. Nicht in meinem eigenen Restaurant. Nicht ohne meine Tarnung als Gin Blanco auffliegen zu lassen und aus der Stadt verschwinden zu müssen. Und das würde ich nicht tun. Nicht für ein solches Stück Dreck wie diesen Feuerelementar.

Aber das bedeutete noch lange nicht, dass ich Jake nicht absolut unmissverständlich klarmachen konnte, mit wem er es zu tun hatte.

Ich wartete, bis seine Schreie ein wenig leiser wurden, dann schob ich mit der Messerspitze sein Kinn nach oben und sah ihm tief in die Augen. Jeder Funke der rot brennenden Magie war verschwunden. Sein Blick war starr, und darin standen Panik, Angst und Schmerz.

»Falls du jemals wieder in mein Restaurant und mir oder meinen Gästen blöd kommst, dann werde ich dich auseinandernehmen wie einen Thanksgiving-Truthahn.«

Ich stach mit dem Messer zu, bis die Haut an seinem dicklichen Hals nachgab. Jake jaulte vor Schmerz auf und wollte seine feisten Finger auf die Wunde drücken. Ich schlug seine Hand zur Seite und ritzte ihm ein weiteres Mal die Haut auf. Der Geruch von warmem kupferhaltigem Blut stieg mir in die Nase. Noch etwas, das mich schon seit sehr langer Zeit nicht mehr störte.

»Jedes Mal, wenn du dich bewegst, schneide ich dich wieder. Jedes Mal tiefer. Nicke, wenn du verstanden hast.«

Hass blitzte in seinen Augen auf und verdrängte Panik und Angst aber er nickte.

»Gut.«

Damit schlug ich ihm den Messerknauf gegen die Schläfe. Jakes Kopf kippte zur Seite. Bewusstlos. Genau wie sein Freund Lance.

Ich stand auf, wischte die Fingerabdrücke vom Messer und ließ die Waffe auf den Boden fallen. Der Halbriese bewegte sich nicht. Dann ging ich zu der Kleinen, die immer noch unter dem Tisch kauerte.

Als ich mich näherte, rutschte sie nach hinten gegen die Beine eines Stuhls, als wollte sie sich hinter dem Metall verstecken. Ihr Pulsschlag raste, das konnte ich an ihrer wild zuckenden Halsschlagader erkennen. Ich setzte mein freundlichstes, vertrauenswürdigstes, charmantestes Südstaaten-Lächeln auf und ging in die Hocke, bis unsere Gesichter auf gleicher Höhe waren.

»Komm schon, Süße«, sagte ich und streckte ihr meine Hand entgegen. »Es ist vorbei. Diese Männer können dir nichts mehr tun.«

Ihre schokoladenbraunen Augen huschten zu Jake auf dem Boden, dann wieder zu mir. Sie biss sich auf die Lippen, und ihre Zähne leuchteten im Kontrast zu ihrer kaffeebraunen Haut.

»Und ich werde dir auch nicht wehtun«, sagte ich leise. »Komm schon. Ich bin sicher, deine Freundin will wissen, wie es dir geht.«

»Cassidy?«, rief die andere junge Frau, die Sophia immer noch nicht losließ. »Geht es dir gut?«

Die Stimme ihrer Freundin durchdrang Cassidys ängstliche Benommenheit. Sie seufzte, nickte und hob den Arm, und ich ergriff ihre zitternde Hand. Cassidys Finger fühlten sich an der erhabenen Narbe in meiner Handfläche wie zerbrechliche Eiszapfen an. Ich zog sie auf die Beine. Sie beäugte mich mit nachvollziehbarer Vorsicht, also bewegte ich mich langsam, um sie nicht zu erschrecken.

»Es geht mir gut, Eva«, sagte Cassidy leise. »Nur ein bisschen durcheinander.«

Sophia ließ das andere Mädchen los, und ich trat zurück. Eva eilte vorwärts und schloss ihre Freundin fest in die Arme. Cassidy erwiderte die Umarmung, und die beiden wiegten sich in der Mitte des Restaurants hin und her.

Ich ging zu Sophia, die die zwei jungen Frauen mit ausdruckslosem bleichem Gesicht beobachtete. »Freundschaft. Ist sie nicht wunderbar?«, witzelte ich.

»Hmpf«, grunzte Sophia. Aber ein Mundwinkel der Grufti-Zwergin verzog sich zu einem winzigen Lächeln.

Die beiden Mädchen hielten sich noch eine Weile umschlungen, dann zog Eva ein Handy aus der Hosentasche.

»Du rufst die Polizei«, wies sie ihre Freundin an. »Ich muss mit Owen sprechen, um ihm zu sagen, dass es mir gut geht. Du weißt ja, wie er ist. Er wird total ausflippen, wenn er davon erfährt.«

Cassidy nickte mitfühlend und zog ihr eigenes Handy aus der Hosentasche. Die beiden Frauen wählten, statt mich, die Restaurantbesitzerin, zu bitten, den Anruf bei der Polizei zu erledigen. Nicht überraschend. Wenn man die Cops holen wollte, tat man es selbst. Man verließ sich nicht auf die Freundlichkeit von Fremden. Nicht in Ashland.

Ich runzelte die Stirn. Cops. Genau das, was ich brauchen konnte. Einige von Ashlands Gesetzeshütern, die mich, den ehemaligen Profikiller, eine Grufti-Zwergin, die in ihrer Freizeit gerne Leichen verschwinden ließ, und die zwei Kerle, die wir so mühelos ausgeschaltet hatten, besuchen kamen. Nicht die Art von Aufmerksamkeit, die ich auf mich ziehen wollte, selbst wenn ich mich inzwischen im Ruhestand befand. Allerdings konnte ich nichts dagegen unternehmen, ohne mich allzu verdächtig zu machen.

Sophia wanderte zurück zum Herd, um ihre Baked Beans umzurühren. Eva unterhielt sich mit leiser Stimme mit jemandem. Cassidy beendete ihren Anruf bei der Polizei und sank auf den erstbesten Stuhl.

Die junge Frau starrte auf Jake auf dem Boden, dann glitten ihre braunen Augen zu dem blutigen Messer. Ihre Unterlippe bebte, ihre Augen wurden stumpf, und ihre Hände zitterten. Sie bemühte sich, die Tränen zurückzuhalten. Etwas, zu dem auch ich mich ab und zu hatte zwingen müssen.

Ich ging zum Tresen und nahm mir einen Glasteller voller Black Forest Cookies – Schokokekse mit getrockneten Kirschen –, die ich am Morgen gebacken hatte.

»Hier.« Ich nahm die Glasglocke vom Teller und hielt ihn ihr entgegen. »Nimm einen Cookie. Da sind jede Menge Zucker, Butter und Schokolade drin. Das hilft gegen das Zittern.«

Cassidy schenkte mir ein mattes Lächeln, nahm einen der Schokoladenkekse und biss hinein. Die bittersüße Schokolade würde ihre Nerven beruhigen, und in ihren Augen stand für einen Moment Zufriedenheit statt Sorge.

Eva beendete ihr Gespräch und setzte sich neben ihre Freundin. Ihre Hände zitterten nicht, als sie ihr Handy zuklappte, und sie musterte Jake mit nachdenklichem Blick. Der einzige Hinweis darauf, dass Eva etwas zugestoßen war, war die rote Schwellung auf ihrer Wange, wo Jake sie mit dem Handrücken erwischt hatte. Die Kleine behielt einen kühlen Kopf und hatte ihre Gefühle unter Kontrolle. Aber das bedeutete nicht, dass sie nicht später zusammenbrechen würde.

Ich hielt ihr den Teller entgegen. »Du auch.«

Eva nahm sich einen Cookie, brach ihn in der Mitte durch und stopfte sich eine Hälfte auf einmal in den Mund. Scheu war sie also auch nicht.

Ich nahm mir ebenfalls eine der Kalorienbomben vom Teller. Nicht, weil ich den Zucker zur Beruhigung brauchte, sondern weil es einfach verdammt gute Cookies waren. Nach einem Monat des Experimentierens hatte ich das Rezept endlich zur Perfektion gebracht.

Ich betrachtete die zwei bewusstlosen Männer auf dem Boden. Lance lag mit ausgestreckten Armen und Beinen neben einer der Sitznischen, genau da, wo Sophia ihn liegen gelassen hatte. Aus den Wunden an Jakes Schläfe und Hals tropfte immer noch Blut, das den Boden rostbraun verfärbte.

Ich nahm mir noch einen Cookie vom Teller und sah Jake beim Bluten zu.

2

Zwanzig Minuten später tauchten zwei uniformierte Polizisten auf. Spät wie gewöhnlich. Hätten wir sie wirklich gebraucht, würden unsere Leichen jetzt in einer Blutlache auf dem Boden auskühlen. Die Cops stürmten durch die Eingangstür, um dann, überrascht von der friedlichen Szene, die sich vor ihnen auftat, abrupt anzuhalten.

Eva und Cassidy saßen an ihrem ursprünglichen Tisch. Cassidy mampfte ihren vierten Cookie und nahm gerade einen Schluck von der Milch, die ich ihr gegeben hatte. Eva hatte ihren Kopf auf den Arm gestützt. Mit ihrer freien Hand zerlegte sie einen Keks und aß ihn langsam, Stück für Stück. Anscheinend hatte der Schock sie letztendlich doch erwischt. Am Herd löffelte Sophia gebackene Bohnen in Marmeladengläser, um sie ihrer älteren Schwester Jo-Jo mit nach Hause zu bringen. Ich saß auf meinem üblichen Stuhl hinter der Registrierkasse, aß meinen dritten Cookie und las gerade, wie Odysseus einen Zyklopen geblendet hatte.

Der erste Polizist war etwa so groß wie ich, ungefähr eins siebzig. Er war sehnig mit nussbrauner Haut und dazu passenden lockigen Haaren, die unter der Mütze herausstanden, unter die er sie gestopft hatte. Dunkle Sommersprossen sprenkelten seine Wangen. Er hatte die Waffe gezogen und hielt sie an seiner Seite.

Im Gegensatz dazu war der zweite Beamte gute zwei Meter zehn mit einem geschorenen Kopf von der Größe einer Wassermelone und sehr gut dazu passenden riesigen Fäusten. Seine Haut war so dunkel, dass sie glänzte wie Onyx. Dasselbe galt für seine Augen. Sein Name war Xavier. Ich hatte ihn als Türsteher im Northern Aggression kennengelernt, einem schicken Nachtclub, den zu besuchen ich in letzter Zeit Gelegenheit gehabt hatte. Mir war nicht klar gewesen, dass er eigentlich bei der Polizei arbeitete.

Xavier erkannte mich ebenfalls und nickte mir zu. Ich erwiderte den Gruß. Er hatte seine Waffe nicht gezogen. Er brauchte sie nicht. Riesen konnten ein paar Kugeln in die Brust einstecken, bevor sie umfielen, und ein präzise gesetzter Schlag von Xaviers Faust konnte so gut wie jedem das Genick brechen. Seltsam allerdings, dass er als Bulle arbeitete. Die meisten Riesen in Ashland verdienten ihr Geld als Bodyguards. Wurde besser bezahlt, auch wenn der Job genauso gefährlich war.

»Wir wurden wegen eines Raubüberfalls benachrichtigt«, sagte der erste Cop. Seine Stimme war hoch und jammernd wie das Geräusch einer Motorsäge.

»Richtig. Diese zwei Kerle sind hier reinspaziert und haben versucht, mich auszurauben. Der da«, ich deutete auf Jake, »kam in den Laden und hat allen gesagt, niemand solle sich bewegen. Als ich die Registrierkasse öffnen wollte, hat er sich eines der Mädchen geschnappt und ihr ein Messer an die Kehle gehalten. Er ist ein Feuerelementar. Hat das Messer mit Flammen überzogen und die Geisel damit fast verbrannt. Aber glücklicherweise waren meine Köchin und ich in der Lage, die beiden zu überwältigen.«

Die Cops sahen zu den zwei Männern. Dann musterten sie erst mich und Sophia und schließlich die Zeuginnen.

»Ist es so abgelaufen?«, fragte der kleine Cop die beiden jungen Frauen.

Eva und Cassidy nickten. Sophia grunzte zustimmend.

»Genau so ist es abgelaufen«, sagte ich.

Der kleine Polizist konzentrierte sich auf Lance. »Und der andere Kerl da?«

»Sein Kumpel. Hat versucht, ihn zu beruhigen. Hat nicht geklappt.«

Der Polizist musterte noch einmal beide Männer, dann sah er mich an. »Und Sie haben den beiden das angetan? Womit? Mit einem Baseballschläger?«

»Nein«, antwortete ich. »Ich habe nur den einen erledigt, den großen. Meine Köchin hat sich um den anderen gekümmert. Keiner von uns hatte eine Waffe.«

Bei ihrer Körperstärke brauchte Sophia genauso wenig Waffen wie ein Riese. Und ich hielt es nicht für nötig, die fünf Steinsilber-Messer zu erwähnen, die in diesem Moment irgendwo unter meiner Kleidung verborgen waren. Oder die anderen Klingen, die an strategisch wichtigen Stellen im Restaurant versteckt lagen. Oder die Tatsache, dass ich einfach mit meiner Eismagie einen gezackten Eiszapfen hätte erzeugen können, um damit Jake die Kehle durchzuschneiden. Oder sogar meine Steinmagie hätte einsetzen können, um das gesamte Restaurant über ihm zum Einsturz zu bringen.

Der kleine Cop pfiff leise. »Haben sich den falschen Laden für einen Überfall ausgesucht, hm?«

Ich antwortete nicht. Schließlich konnte er an den Blutflecken auf dem Boden genau erkennen, wie falsch die Wahl gewesen war.

Die beiden Männer kamen langsam wieder zu Bewusstsein. Lance hielt sich den Bauch und wiegte sich langsam vor und zurück, als könnte das den Schmerz von Sophias Schlag lindern. Jake lag auf dem Rücken und blinzelte zur Decke, als würde er sie gar nicht wirklich sehen.

Der Riesen-Cop, Xavier, beugte sich vor, packte Lance mit einer Hand am Schlafittchen und legte ihm mit der anderen Steinsilber-Handschellen an. »Du. Hiergeblieben, verstanden?«

Aber Lance war zu sehr damit beschäftigt, sich nicht zu übergeben, um etwas Dämliches zu tun, wie zum Beispiel zu fliehen.

Xavier ging auf ein Knie und beugte sich über Jake. Er starrte ihm ins Gesicht, dann runzelte er die Stirn und sah mit seinen schwarzen Augen zu mir auf. »Weißt du, wer das ist?«

»Nein. Sollte ich?«

Der Riese nickte. »Ja. Jake McAllister.«

Ich kniff die grauen Augen zusammen. »McAllister? Wie in Jonah McAllister? Der Rechtsanwalt?«

»Der und kein anderer«, brummte Xavier. »Jake hier ist sein Sohn. Das ist schon das dritte Mal seit Halloween, dass er in Schwierigkeiten steckt.«

Ich spürte den ersten Anflug von Kopfweh. Jonah McAllister war Ashlands teuerster und erfolgreichster Rechtsanwalt. Ein charismatischer Blender, der noch den gemeingefährlichsten, übelsten, psychopathischsten Kriminellen dastehen lassen konnte wie ein unschuldiges Schulmädchen – und die Jury vor Mitleid zum Weinen brachte. McAllister war es vollkommen egal, ob die Leute schuldig waren oder nicht, solange sie seine astronomischen Honorare zahlen konnten.

Die ganze Sache wurde noch dadurch verkompliziert, dass Jonah McAllister außerdem persönlicher Berater von Mab Monroe war. Ashland mochte ja die üblichen Gemeindedienste haben wie jede andere Stadt auch: Polizei und Feuerwehr, einen Stadtrat, einen Bürgermeister. Aber Mab war diejenige, die Ashland wirklich regierte, zusammen mit ihrem eigenen lukrativen mafiaähnlichen Hofstaat. Für die meisten Leute war sie die wohlhabendste Geschäftsfrau der Stadt, die ihren Reichtum großzügig und selbstlos dafür einsetzte, den weniger Glücklichen zu helfen. Aber diejenigen von uns, die sich auf der Schattenseite des Lebens bewegten, wussten, dass Mab alles tat, um ihren Willen durchzusetzen – vom Anordnen von Entführungen über das Bestechen von Beamten bis zur Ermordung von jedem, der ihr in die Quere kam.

Mab hatte Geld, aber ihre wahre Macht entsprang der Tatsache, dass sie ein Feuerelementar war, genau wie Jonah McAllister. Ein Elementar zu sein bedeutete für Mab, dass sie Feuer erschaffen, kontrollieren und auf so gut wie jede Art einsetzen konnte, die ihr einfiel. Jake McAllister konnte jedoch nur von der Macht träumen, die Mab besaß. Gerüchten zufolge hatte Mab mehr Magie, mehr Macht als jeder andere Elementar in den letzten fünfhundert Jahren. Wenn man betrachtete, wie sie die Stadt im Würgegriff hielt und die Unterwelt von Ashland als Königin anführte, war es eigentlich kein Gerücht mehr, sondern eine allgemein bekannte Tatsache. Jeder, der sich Mab Monroe in den Weg stellte, war bald darauf ein toter Mann.

Jonah McAllister war mehr als nur Mabs Anwalt – er war einer ihrer obersten Stellvertreter, zusammen mit Elliot Slater, dem Riesen, der sich um Mabs hauseigenen Sicherheitsdienst kümmerte und ihre Wünsche mit größter Brutalität durchsetzte. McAllisters Job war es, sich um diejenigen zu kümmern, die sich vor Gericht mit Mab anlegten. Er überschüttete sie mit genug Papierkram und Bürokratie, um einen Elefanten darin ertrinken zu lassen, sodass sie entweder sofort aufgaben oder eben dann, wenn allein schon die Kosten ihrer eigenen Anwälte sie in den Bankrott trieben.

Nein, Jonah McAllister wäre nicht begeistert, wenn er erfahren würde, dass ich seinen Sohn zusammengeschlagen hatte. Er und infolgedessen auch Mab Monroe konnten mir Probleme machen. Probleme, die ich jetzt schwerer lösen konnte – nachdem ich inzwischen einfach Gin Blanco war und nicht mehr nebenbei auch unter dem Namen »die Spinne« als Auftragsmörderin arbeitete.

»Bist du sicher, dass du ihn anzeigen willst?«, fragte Xavier. »Die meisten Leute wollen es nicht, nachdem sie herausgefunden haben, wer sein Daddy ist.«

Ich starrte Jake an, der immer noch an die Decke blinzelte. Dann huschte mein Blick zu Cassidy, die konzentriert auf ihre Schuhe starrte. Sie hatte Xaviers Frage gehört, und sie wusste genauso gut wie ich, was der Name McAllister bedeutete. Cassidy dachte, ich würde einknicken, und sie wollte mich nicht anschauen, wenn ich den Polizisten sagte, sie sollten Jake laufen lassen.

Vor meinem inneren Auge stieg das Bild heißer, hungriger Flammen auf, die an Cassidys schmaler Kehle leckten, zusammen mit ihrem tränenüberströmten Gesicht. Und das erinnerte mich an einen anderen Ort, eine andere Zeit, ein anderes verzweifeltes Mädchen, das inbrünstig gehofft hatte, ich würde es retten und davon überzeugen, dass alles in Ordnung war, obwohl ich genau wusste, dass es eine Lüge gewesen wäre. Dass niemals wieder irgendetwas in Ordnung sein würde.

Die Erinnerungen an meine kleine Schwester Bria und die schreckliche Nacht, in der unsere Mutter und unsere ältere Schwester Annabella ermordet worden waren, rumorte in den Tiefen meines Hirns wie ein dunkler Schatten, der nach oben drängte. Die Erinnerung vergrub ihre kalten Krallen in meinem Herzen. Feuer, Folter, Zerstörung, Tod. All das und mehr hatte in dieser einen schicksalshaften Nacht vor siebzehn Jahren stattgefunden. Ich ballte die Hände zu Fäusten und versteckte so die Narben in Form von Spinnenrunen, die in meine Handflächen gebrannt waren – Narben, die mich ständig an meine verlorene Familie erinnerten.

Nach ein paar Sekunden öffnete ich meine Hände wieder und bewegte meine Finger, um sie ein wenig zu entspannen. Wieder konzentrierte ich mich auf Jake McAllister und erinnerte mich an seinen scharfen, hinterhältigen Blick. Zweihundert Dollar Tageseinnahmen hin oder her: Er war bereit gewesen, mich und jeden anderen im Restaurant zu töten – einfach, weil er es konnte. Zumindest theoretisch. Ich wollte verdammt sein, wenn ich ihn damit durchkommen ließ.

»Zum Teufel mit seinem Daddy«, sagte ich. »Er hat diesem Mädchen beinahe die Kehle aufgeschlitzt. Ich erstatte Anzeige.«

Xavier zuckte mit den Achseln. »Deine Entscheidung. Erwarte nur nicht, dass viel passiert.«

Er legte die Steinsilber-Handschellen um Jakes Gelenke und zog den Feuerelementar auf die Beine. Die plötzliche Bewegung riss Jake aus seiner Trance. Er sah über die Schulter zu dem Cop, dann wieder zu mir. Es dauerte ein paar Sekunden, bis die Situation in seinen dicken Schädel eingedrungen war.

»Du hast die Bullerei gerufen? Dafür wirst du zahlen, Miststück!«, brüllte er.

Er warf sich nach vorne, um sich aus Xaviers Griff zu befreien und sich auf mich zu stürzen. Aber Xavier hielt ihn mühelos mit einer Hand zurück. Es war schwer, einem Riesen zu entkommen.

Statt zu bleiben, wo ich war, trat ich um den Tresen herum und ging zu Jake. Dieses Mal ließ ich ihn deutlich erkennen, wie kalt, hart und ausdruckslos meine grauen Augen wirklich waren.

»Du bist derjenige, der zahlen wird, wenn Daddy rausfindet, dass du Restaurants ausraubst – oder es zumindest versuchst. Zu allem Überfluss hast du eine hundsmiserable Figur dabei abgegeben.«

»Miststück!«, brüllte er wieder. »Dafür wirst du sterben! Hörst du mich? Du bist tot!«

Jake warf sich wieder nach vorne, aber der Riesen-Cop riss ihn am Kragen zurück – und zwar nicht allzu sanft. Xavier zwinkerte mir zu, und ich lächelte. Langsam fing ich an, ihn zu mögen. Ich würde ihm beim nächsten Mal, wenn ich ihm als Türsteher des Northern Aggression begegnete, ein paar Scheine zustecken.

»Komm, Jake«, brummte Xavier. »Dann bringen wir dich jetzt in den Streifenwagen, damit du deinen alten Herrn anrufen kannst und er Kaution hinterlegt.«

Xavier schob Jake McAllister und seinen Freund Lance durch die Eingangstür des Pork Pit und auf die Rückbank des wartenden Wagens. Der andere Polizist, der Kleine, nahm die Aussagen von Cassidy und Eva auf. Er war gerade mit ihnen fertig, als sich die Eingangstür zum Restaurant erneut öffnete und ein weiterer Polizist den Raum betrat. Ein großer Mittdreißiger mit kurzen schwarzen Haaren, bronzefarbener Haut, die auf eine Latino-Abstammung hinwies, und Augen in der Farbe von rauchigem Whiskey.

Detective Donovan Caine.

Der Großteil der Polizisten in Ashland mochte ja für seine Gleichgültigkeit und seine Gier bekannt sein, aber Caine war die seltene Ausnahme von der Regel. Er kämpfte gegen die allgegenwärtige Korruption, die Bestechungen und Schmiergeldzahlungen, während die meisten in der Truppe einfach wegsahen. Außerdem versuchte er tatsächlich, Kriminelle zu fangen. Der Detective glaubte wirklich an all dieses gefühlsduselige »Schützen und Dienen«-Gedöns.

Zum ersten Mal hatte ich vor ein paar Monaten mit ihm zu tun gehabt, als ich Cliff Ingles, Caines korrupten Partner, ermordet hatte. Ingles hatte nicht nur im Dienst Schutzgeld und sexuelle Gefälligkeiten von Vampirnutten erpresst, sondern auch die Teenagertochter einer Prostituierten übel vergewaltigt und zusammengeschlagen. Selbst im Abschaum von Ashland war Ingles negativ aufgefallen, und ich hatte ihn gratis erledigt. Das war meine Art von ehrenamtlicher Gemeindearbeit.

Donovan Caine hatte nicht gewusst, was für ein Schwein sein Partner war, und hatte es sich zur Mission gemacht, den Mörder von Cliff Ingles zu fangen – mich. Natürlich war die Spur längst kalt, da ich professionell arbeitete. Aber das hielt Caine nicht davon ab, den Fall weiterzuverfolgen und noch wochenlang nach Informationen zu graben.

Dann waren wir uns vor zwei Monaten ein weiteres Mal über den Weg gelaufen – diesmal persönlich –, als man mir den Mord an einem Informanten namens Gordon Giles anzuhängen versuchte. Einige fiese Leute dachten, der Detective verfüge über Wissen, das ihr Ränkespiel auffliegen lassen könnte. Sie versuchten gerade, die Informationen aus ihm herauszuprügeln, als ich auftauchte, um ihn zu retten. Danach arbeitete Caine widerwillig mit mir zusammen, um den wahren Killer von Gordon Giles zu finden.

Während unserer Ermittlung hatten wir einen heißen One-Night-Stand – na ja, eigentlich eher ein One-Hour-Stand –, aber seitdem war nichts mehr passiert. Die Pfadfindermentalität des Detectives stellte das größte Problem zwischen uns dar. Ich fand seine moralischen Überzeugungen bewundernswert, aber auch ziemlich unpraktisch in einer Stadt, die so dreckig, gewalttätig und korrupt wie Ashland war. Er fand meinen Mangel an Gewissen und Reue über all die blutigen Taten, die ich in meinem ehemaligen Beruf begangen hatte, verstörend – um es vorsichtig auszudrücken.

Doch die Anziehung zwischen uns war heftig, und der gehetzte Sex, den wir in einer Abstellkammer hatten, war phantastisch. Seitdem hatte ich den Detective nur ein einziges Mal gesehen, auf der Beerdigung meines Mentors Fletcher Lane. Caine kam, um mir sein Beileid auszusprechen und nach mir zu sehen. Ich hatte ihn direkt dort auf dem Friedhof geküsst. Danach war er vor mir geflohen wie ein verängstigter Hase.

Es war das letzte Mal gewesen, dass ich den Detective gesehen oder gesprochen hatte. Allerdings dachte ich oft an ihn. Öfter, als mir lieb war. Und jetzt stand er hier in meinem Laden, in meiner kleinen Ecke der Stadt.

Donovan Caine spürte offensichtlich meinen Blick und hob den Kopf. Unsere Blicke trafen sich, Gold auf Grau. Meine Brust zog sich zusammen, und die vertraute Hitze stieg in mir auf, um sich dann in meinem Unterleib zu sammeln. Ich beäugte den marineblauen Mantel des Detectives. Die Wolle lag eng um seine Schultern und verriet etwas über Form und Beschaffenheit des sehnigen harten Körpers darunter. Ich erinnerte mich daran, wie er sich angefühlt hatte. Wie sein Mund sich auf meinen gedrückt hatte, während unsere Zungen tanzten. Wie wir unsere Hände in der Kleidung des anderen vergraben hatten. Sein frischer, sauberer Geruch stieg mir in die Nase. Mir fiel ein, wie er meinen Namen wieder und wieder geflüstert hatte wie einen Fluch – oder die Antwort auf ein Gebet –, während er sich mit schnellen, harten, tiefen Stößen in mir versenkt hatte. Mmmm …

Der kleine Cop sah, dass ich den Detective anstarrte. Er ging hinüber, murmelte Caine etwas zu und deutete mit dem Kopf in meine Richtung. Wahrscheinlich identifizierte er mich als Besitzerin und Hauptzeugin. Die meisten Frauen – und der Großteil aller verlassenen Geliebten – wären jetzt losgestiefelt und hätten wissen wollen, was Caine hier trieb. Warum er nicht mal angerufen hatte. Stattdessen lehnte ich mich mit einem Ellbogen auf den Tresen und blieb locker, obwohl sich mein Magen bei seinem Anblick zusammenzog. Eine meiner Tugenden war Geduld. Schon immer gewesen. Der Detective würde noch früh genug zu mir kommen.

Weniger als eine Minute später beendete Caine sein leises Gespräch mit dem anderen Polizisten und bewegte sich in meine Richtung. Er hielt ungefähr einen halben Meter vor mir an. Seine goldenen Augen musterten meine fettverschmierte blaue Schürze, die abgetragene Jeans und mein langarmiges Shirt. Zwei scharlachrote Tomaten leuchteten auf dem schwarzen Stoff.

»Gin.«

»Detective.«

Wir standen einfach da und glotzten uns an. Zwischen uns lag eine Spannung, die heiße Leidenschaft ausstrahlte. Ich atmete durch. Der saubere seifige Duft des Detectives drang in mich ein und überlagerte den Geruch von Kreuzkümmel, rotem Pfeffer und anderen Gewürzen in der Luft.

Donovan wandte als Erster den Blick ab und räusperte sich. Er machte eine Bewegung mit dem Kopf, und ich folgte ihm ans andere Ende des Restaurants, wo uns niemand hören konnte.

»Willst du mir erzählen, was passiert ist?«, fragte er leise.

»Willst du mir verraten, was du hier tust?«, hielt ich dagegen. »Gewöhnlich beachten Detectives keine Überfälle in der Innenstadt, besonders keine vereitelten Überfälle.«

Donovan starrte mich an. »In Ordnung. Ich habe darum gebeten, über jeden Vorfall im Pork Pit informiert zu werden.«

»Warum? Hattest du Angst, dass ich in meinem eigenen Restaurant Leute umbringe? Du hast vielleicht die Schlagzeile nicht gelesen, aber ich bin im Ruhestand, Detective.«

Überrascht wanderten seine schwarzen Augenbrauen nach oben. »Im Ruhestand?«

Ich nickte. »Im Ruhestand. Jetzt verbringe ich meine Tage hier im Pork Pit und serviere das beste Grillfleisch, den köstlichsten Krautsalat und den leckersten Brombeer-Eistee von ganz Ashland.«

In seinen bernsteinfarbenen Augen blitzte etwas auf. Ein Gefühl. Vielleicht war es Erleichterung oder sogar Hoffnung. Auf jeden Fall verschwand es wieder, bevor ich es entschlüsseln konnte.

»Nun, das ist schön für dich«, sagte er.

Ich zuckte mit den Achseln. Es war weder gut noch schlecht, dass ich meinen Job als Profikiller an den Nagel gehängt hatte. Fletcher Lane hatte mich schon Monate vor seiner Ermordung gedrängt, mich aus dem Geschäft zurückzuziehen. Nach seinem Tod hatte ich beschlossen, den letzten Wunsch des alten Mannes in Erfüllung gehen zu lassen. Nicht mehr, nicht weniger. Aber als meine Augen über Caines Körper glitten, musste ich mich einfach fragen, ob meine Enthüllung wohl dafür sorgen würde, dass der Detective wieder in meinem Bett landete. Schaden konnte es auf keinen Fall.

Caine zog Block und Stift aus der Gesäßtasche. »Also, erzähl mir davon.«

Ich fasste die Geschehnisse der letzten Stunde zusammen. Nachdem ich geendet hatte, starrte Caine, den Stift noch auf den Block gedrückt, stur geradeaus. Offensichtlich dachte er über etwas nach. Dann hob er seinen goldenen Blick.

»Warum hast du sie nicht umgebracht?«, fragte er leise. »Wir wissen beide, dass du es gekonnt hättest.«

»Mühelos«, stimmte ich zu. »Aber eines der Mädchen kauerte direkt neben mir auf dem Boden.«

»Und du wolltest nicht, dass sie es sieht?«

Ich zuckte mit den Achseln. »Zeugen sind schlecht, Detective. Das habe ich dir schon öfter erklärt.«

Er schnaubte. »Und ich dachte schon, dir wäre neuerdings ein Herz gewachsen.«

In seinen Worten schwang Enttäuschung mit. Ich ignorierte das Sehnen, das dieser Klang in mir auslöste.

»Oh, ich hatte immer schon ein Herz, Detective«, antwortete ich locker. »Ich lasse mich dadurch nur nicht davon abhalten, das zu tun, was getan werden muss. Das zeugte von Schwäche, und ich bin nicht schwach. War es schon seit langer Zeit nicht mehr.«

»Nein, schwach bist du definitiv nicht.« Donovan beäugte mich. »Du magst ja im Ruhestand sein, aber eigentlich hast du dich nicht im Geringsten verändert, oder, Gin?«

»Das hängt von der Definition von ›verändert‹ ab. Werde ich mich plötzlich in ein blutendes Herz oder eine Vorstadt-Mom verwandeln, die zulässt, dass die Leute sie als Fußabtreter verwenden? Nein, und das will ich auch nicht. Ich habe meine Prioritäten neu gesetzt, und ich habe vor, mein Leben daran anzupassen. Aber wenn mich jemand unter Druck setzt oder mich angreift, wie diese zwei Clowns es versucht haben, werde ich mich wehren – und zwar dreimal so heftig. Ich habe seit meinem dreizehnten Lebensjahr als Profikiller gearbeitet, Detective. Ich werde nicht die gesamten letzten siebzehn Jahre vergessen, nur weil der Job jetzt Vergangenheit ist.«

»Ich verstehe.«

Dieses Mal war die Enttäuschung in seiner Stimme so scharf wie eines der Steinsilber-Messer in meinem Ärmel. Donovan Caine wollte mich immer noch, aber er legte auch Wert auf ein reines Gewissen. Ich war wohl nicht die Einzige, die sich ändern musste.

Caine räusperte sich. »Weißt du, wer der Blonde ist?«

»Jake McAllister, Jonah McAllisters Söhnchen. Der Riesen-Cop hat es mir erzählt – und hat mich dann gefragt, ob ich ihn trotzdem anzeigen will.«

Donovan sah zu dem Polizisten, der vor dem Fenster auf dem Gehweg stand. »Xavier? Er ist ein guter Kerl. Wahrscheinlich dachte er, er täte dir einen Gefallen, wenn er dir verrät, welche Verbindungen der Junge hat. Denn das wird Jonah McAllister nicht gefallen. Er könnte dir eine Menge Ärger machen.«

»Wenn er das tut, kümmere ich mich so darum, wie ich es immer tue. Schnell. Effizient. Dauerhaft.«

»So, wie du es immer tust? Ich dachte, du versuchst dich zu ändern.«

»Das tue ich«, antwortete ich. »Aber weißer Abschaum bleibt weißer Abschaum, Detective. Niemand stürmt in mein Restaurant, versucht meinen Laden auszurauben und bedroht meine Kunden. Mir ist egal, wer sein Daddy ist.«

Wir starrten einander an. Nicht zum ersten Mal stellte ich mir vor, den Detective einfach zu mir zu ziehen, meine Lippen auf seine zu pressen und herauszufinden, ob der Sex so heiß, hart und gut sein würde wie beim letzten Mal. Auf einem der Tische hätten wir sicherlich mehr Platz als damals in diesem Abstellraum. Mmmm.

Aber ich würde nicht den ersten Schritt machen. Das hatte ich bereits mehrmals getan. Wenn der Detective mich wollte, dann konnte er mich das wissen lassen.

Aber er tat es nicht.

Stattdessen starrte Caine mich weiter an. Seine Augen glitten über mein Gesicht, als wollte er es sich einprägen. Als hätte er nicht vor, mich im Leben noch einmal wiederzusehen. Vielleicht war es ja so. Diese Vorstellung krampfte mir den Magen zusammen, aber ich hielt mein Gesicht ausdruckslos. Ich hatte nicht so lange überlebt, indem ich jedem meine Gefühle verriet. Und ich hatte nicht vor, jetzt noch damit anzufangen. Nicht einmal für ihn.

Schließlich streckte mir Donovan die Hand entgegen. Ich nahm sie. Seine Finger lagen hart, stark und trocken in meinen, und seine Hitze erwärmte meinen gesamten Körper. Dann ließ Donovan plötzlich meine Hand los, als hätte ich ihn verbrannt. Vielleicht empfand er es so, weil er mich so sehr wollte – die Frau, die seinen Partner getötet hatte. Ich hatte einmal gehört, wie der Detective sagte, dass man nicht mit dem Mörder seines Partners schlief. Aber er hatte es getan – zweimal –, und er hatte es genossen. Dafür hasste er sich immer noch.

»Pass auf dich auf, Gin.«

»Du auch, Detective. Du auch.«

Donovan Caine nickte ein letztes Mal. Dann drehte er sich auf dem Absatz um, ging zur Tür, verließ meinen Laden und ließ ihn ein wenig leerer und kälter zurück, als er vorher gewesen war.

3

Es verging kaum eine Minute, bevor die Eingangstür erneut aufschwang und die Glocke klingelte. Ich sah auf, in der Hoffnung, dass der Detective seine Meinung über, na ja, über alles geändert hatte.

Aber der Mann, der ins Pork Pit stiefelte, war weder Donovan noch ein anderer Cop. Dafür war sein Anzug viel zu schick. Der schwarze Stoff lag eng um seine Schultern und betonte einen Körper, der kompakt, kräftig und stark war. Von seinem Körperbau her hätte ich ihn für einen Zwerg gehalten. Aber mit über eins achtzig war er zu groß dafür. Er hatte dichte blauschwarze Haare, während seine Augen leuchtend violett waren. Eine dünne weiße Narbe zog sich schräg über sein Kinn und betonte die leicht schiefe Nase. Das waren die einzigen Unvollkommenheiten in seinem Aussehen, und auf irgendeine Art verliehen sie dem Gesicht sogar noch mehr Charakter, anstatt sein gutes Aussehen zu zerstören.

Er war eine eindrucksvolle Gestalt. Imponierend, selbstbewusst, streitbar, energisch. Jemand, der Aufmerksamkeit verlangte. Jemand, den man im Auge behalten musste. Besonders, da er mir seltsam bekannt vorkam.

Ich rechnete halb damit, dass dem Mann riesenhafte Wachen ins Pork Pit folgen würden. Die meisten Reichen von Ashland hatten zumindest ein paar davon im Schlepptau, und diesem Kerl sah man aufgrund seiner ganzen Erscheinung an, dass er wohlhabend war. Aber er war allein. Seine hellen Augen huschten durch das Innere des Restaurants und blieben kurz an den Blutflecken auf dem Boden hängen. Nach einem Moment glitt sein Blick weiter und landete auf den zwei jungen Frauen, die gerade ihre Taschen packten, um zu gehen.

»Eva«, sagte er mit einer Stimme, die wie Donner grollte. »Geht es dir gut?«

Die junge Frau schloss den Reißverschluss ihres Rucksacks. »Ich bin in Ordnung, Owen.«

Der Mann ging zu ihr. Er bewegte sich steif, aber mit entschlossenen Bewegungen wie ein Bulldozer, der sich seinen Weg durch Löwenzahn bahnt. »Erzähl mir, was passiert ist.«

»Ich habe doch gesagt, ich bin in Ordnung«, wiederholte sie irritiert, als hätten sie diese Diskussion schon oft geführt. »Außerdem hatte ich dir gesagt, dass es nicht nötig ist herzukommen. Du hörst nie auf mich.«

»Ich bin dein großer Bruder«, meinte er. »Ich muss auf dich aufpassen.«

Großer Bruder? Ja, jetzt konnte ich es sehen. Eva sah dem Mann um die dreißig tatsächlich ähnlich. Blauschwarze Haare, helle Augen, bleiche Haut. Sie war schön. Er auch auf eine kalte Art und Weise.

»Erzähl mir, was passiert ist«, drängte er wieder.

Sie verdrehte die Augen und gab eine kurze Zusammenfassung des versuchten Raubüberfalls. Während sie sprach, verschränkte der Mann die Arme vor der Brust. Bei dieser Bewegung spannten sich seine Oberarme an, und er begann, mit dem Zeigefinger der rechten Hand auf den gegenüberliegenden Ellbogen zu klopfen. Trotz der Bewegung war er vollkommen auf seine Schwester konzentriert, als wäre sie für ihn die wichtigste Person auf der Welt. Vielleicht war sie das auch. Er starrte auf die rote Schwellung auf ihrer Wange und ballte die Hände dann zu Fäusten. In mir stieg die tiefe Überzeugung auf, dass er nur zu gern ein paar Minuten allein mit Jake McAllister verbracht hätte.

Als Eva mit ihrer Geschichte fertig war, wandte ihr großer Bruder seine Aufmerksamkeit mir zu. Zum ersten Mal fühlte ich das volle Gewicht seines Blickes. Scharf, gerissen, abschätzend. Wie aus meinen eigenen Augen.

Er trat vor und streckte die Hand aus. »Owen Grayson.«

Na, heute wurde es nun aber wirklich nicht langweilig. Zuerst entschied sich Jake McAllister, mein Restaurant mit seiner Gegenwart zu beehren, und jetzt kam Owen Grayson, um seine Schwester abzuholen. Ich hatte natürlich schon von ihm gehört. Grayson war einer der wohlhabendsten Geschäftsmänner der Stadt. Bergbau, Holz, Metall verarbeitendes Gewerbe. Er hatte seine Finger in vielen gewinnbringenden Geschäften. Grayson besaß dank des dezenten Anzugs und des kantigen Gesichts nicht ganz die auffällige und tödliche Ausstrahlung von Mab Monroe, die es genoss, mit ihrem Status anzugeben. Trotzdem erkannte ich Macht, wenn ich sie sah – ob nun Elementarmacht oder andere. Und Owen Grayson hatte eine Menge davon. Er war definitiv jemand, den man im Auge behalten sollte.

»Gin Blanco.«

»Gin?«, fragte er.

»Wie der Schnaps.«

Owen Graysons Augen glitzerten bei meinem trockenen Ton, trotzdem legte ich meine Hand in seine. Graysons Finger umschlossen meine Haut wie Efeuranken. Hart, kräftig und fast unzerstörbar. Er mochte vielleicht optisch nichts Zwergenhaftes an sich haben, aber ein bisschen Blut dieser Rasse musste in seinen Adern fließen. Eine andere Erklärung gab es nicht für so einen Griff. Grayson sah auf unsere Hände hinunter und runzelte die Stirn, als hätte ich ihm einen elektrischen Schlag verpasst. Vielleicht war es ja so, denn ich hatte an meiner Handfläche ein kurzes Prickeln gespürt.

Die Empfindung verschwand, und ich griff fester zu, nur um ihm zu zeigen, dass man mich nicht so leicht ins Bockshorn jagen konnte. Ein kleines Lächeln umspielte seine Lippen, als fände er meine Zurschaustellung von Stärke amüsant. Ich starrte ihn kühl an, und Owen Grayson musste die Feindseligkeit in meinen grauen Augen erkannt haben, denn er ließ zuerst los.

Eva Grayson beobachtete uns interessiert, genau wie ihre Freundin Cassidy. Sophia Deveraux hatte sich bereits in die hinteren Räume des Pork Pit zurückgezogen, um das Restaurant für den Abend zu schließen.

Owen Grayson starrte mich noch einen Moment an, bevor er sich wieder seiner Schwester zuwandte. »Wenn schon sonst nichts, hat der heutige Abend zumindest meine Einschätzung von Southtown bestätigt. Von nun an wird dich während der Unterrichtszeit jemand begleiten.«

Eva verdrehte wieder die Augen. Es wirkte, als würde sie das in der Nähe ihres großen Bruders recht oft tun. »Nein. Keine Bodyguards mehr. Ich bin neunzehn Jahre alt, Owen. Ich geh aufs College. Ich kann auf mich selbst aufpassen.«

»Wie heute Abend?«

»Das war ein dämlicher Zufall, und das weißt du auch«, gab sie zurück. »Ich werde nicht zulassen, dass du das als Ausrede verwendest. Außerdem war ich die ganze Zeit über vollkommen sicher.«

»Die Schwellung auf deiner Wange spricht eine andere Sprache.«

Owen starrte seine Schwester böse an, aber der feindselige Blick perlte von ihr ab wie ein Wassertropfen von einer Lotosblüte. Es wirkte, als hätte sie Übung darin, ihn zu ignorieren. Stattdessen sah Eva ihren Bruder ruhig und abschätzend an.

»Du willst, dass ich einen Bodyguard bekomme? Dann heuere sie an.« Das Mädchen deutete mit dem Finger auf mich. »Weil sie nämlich mühelos einen Feuerelementar außer Gefecht gesetzt hat. Und sie kocht.«

Owens helle Augen glitten über meinen Körper. Wahrscheinlich fragte er sich, ob ich die Stärke, den Mut oder einfach nur das nötige Glück für den Job besaß.

Ich hatte in meinem Leben schon eine Menge Drecksarbeit gemacht, aber den Bodyguard für ein besserwisserisches Collegemädchen spielen? Ich mochte mich ja aus dem Auftragsmördergeschäft zurückgezogen haben, aber wahnsinnig war ich noch lange nicht geworden.

»Tut mir leid. Meine Tanzkarte ist bereits voll.«

Owen nickte. »Ungeachtet des Jobangebots haben Sie meiner Schwester das Leben gerettet. Ich schulde Ihnen was. Nennen Sie Ihren Preis.«

Jetzt war es an mir, die Augen zu verdrehen. »Ich will Ihr Geld nicht, und ich brauche es auch nicht.«

Seine veilchenblauen Augen huschten durch das Restaurant und begutachteten die verblassten Schweineklauenspuren auf dem Boden, die angeschlagenen Sitznischen, Tische und Stühle. Seine Miene spiegelte Ungläubigkeit, aber er war zu sehr Südstaaten-Gentleman, um mich der Lüge zu bezichtigen. Er hatte ja keine Ahnung, dass ich die Wahrheit sagte. Ich hatte eine Menge Geld auf der hohen Kante – eine Menge Geld –, das ich von meinen tödlichen Aufträgen zur Seite geräumt hatte. Und Fletcher hatte mir in seinem Testament noch mal eine ansehnliche Summe hinterlassen. Ich konnte jahrelang, sogar jahrzehntelang mit Hundertern um mich werfen, und es würde mir kein bisschen wehtun.

Doch statt mir noch einmal Geld anzubieten, griff Owen in seine Jacketttasche und zog eine kleine weiße Karte heraus. Ich nahm sie entgegen. Neben seinem Namen und einer Handynummer war ein silbernes Symbol auf der Karte eingestanzt. Graysons Rune. Ein großer schwerer Hammer, der Stärke, Macht und harte Arbeit symbolisierte.

»Falls Sie je etwas brauchen, bitte zögern Sie nicht, mich anzurufen, egal zu welcher Uhrzeit«, sagte er.

Meine Finger glitten über die Hammer-Rune, und ich prägte mir die Nummer ein. Es war vielleicht gar nicht so schlecht, wenn jemand wie Owen Grayson mir einen Gefallen schuldete. Außerdem würde Finnegan Lane, mein Ziehbruder und Komplize, mich umbringen, wenn ich ablehnte. »In Ordnung.«

Wir sahen uns erneut an. Kühl, abwägend und durchtrieben, auf beiden Seiten. Schließlich nickte mir Grayson einmal zu. Ich tat dasselbe, und damit hatten wir eine Abmachung.

Owen drehte sich zu den zwei Frauen um. »Kommt, Mädchen. Zeit, hier zu verschwinden.«

Er hielt ihnen die Tür auf, und sie gingen. Owen Grayson zögerte auf der Schwelle und sah über die Schulter zurück. Der Geschäftsmann starrte mich noch einen Moment an, bevor er in die Nacht hinaustrat.

Ich verschloss die Eingangstür und drehte das Schild auf Geschlossen. Es war erst kurz nach sieben, aber heute Abend würden uns keine weiteren Kunden mehr mit ihrem Besuch beehren. So nah an Southtown konnten die Leute Gewalt förmlich riechen, fast besser als Bluthunde. Außerdem hatte ich einfach noch keine Lust, Jake McAllisters Blut aufzuwischen.