Sport frei! - Anonym - E-Book

Sport frei! E-Book

Anonym

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Beschreibung

Sport erfuhr in der DDR eine besondere Wertschätzung. »Jedermann an jedem Ort – einmal in der Woche Sport«, lautete die berühmte Losung des Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht aus dem Jahr 1959. Früh hatte der Staat erkannt, dass Erfolge im Spitzensport auch das internationale Ansehen der sozialistischen Republik steigerten. Die Sichtung nach Talenten begann spätestens in der Schule. Auch der Volkssport wurde für jedes Lebensalter und in unzähligen Sportgemeinschaften sommers wie winters gefördert, stellte er nicht zuletzt eine Freizeitbeschäftigung mit geringem finanziellen Aufwand dar. Dieses Buch erzählt von der DDR als Nation von Sportlerinnen und Sportlern. So berichtet Uli Jeschke aus dem Leben eines Neulehrers, der in den 1950er Jahren den Sport in die Dörfer brachte. Die Geschichte des Kultvereins 1. FC Union Berlin schildert Frank Nussbücker. Klaus Behling geht der Frage nach, ob DDR-Sportler*innen Dopingsünder waren. Und natürlich kommen auch Profisportler*innen wie Radfahrlegende Täve Schur oder »das erste Covergirl des DDR-Sports«, die Wasserspringerin Ingrid Krämer-Gulbin, zu Wort.

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Sport frei!

Geschichten von Volks- und Spitzensport in der DDR

Bild und Heimat

In der Reihe liegen bei Bild und Heimat außerdem vor:

Bei der Fahne. Dienen in der NVA (2021)

Republik der Werktätigen. Alltag in den Betrieben der DDR (2020)

Wie der Osten Urlaub machte. Die schönsten Ferienorte der DDR (2019)

eISBN 978-3-95958-829-4

1. Auflage© by BEBUG mbH / Bild und Heimat, BerlinUmschlaggestaltung: fuxbux, BerlinUmschlagabbildungen: Bundesarchiv Bild 183-H1216-1006-003 / Friedrich Gahlbeck (groß); Gerd Rattei (Läuferin); BArch Bild 183-G1108-1001-002 / Wolfgang Kluge (Friedensfahrt)

Ein Verlagsverzeichnis schicken wir Ihnen gern:BEBUG mbH / Verlag Bild und HeimatAxel-Springer-Str. 5210969 BerlinTel. 030 / 206 109 – 0

www.bild-und-heimat.de

Sport in der SBZ und der DDR

Einleitung

Alfred Seefeld

(Bundesarchiv PlakY 12-0029 / Fritzsche)

Das Jahr 1945. Schon zum zweiten Mal in diesem Jahrhundert hatte Deutschland einen Weltkrieg angezettelt und verloren. Diesmal teilten die Sieger der Antihitlerkoalition das Land der Besiegten in vier Besatzungszonen auf, zuvorderst sollte verhindert werden, dass Deutschland je wieder so erstarken würde, um erneut kriegslüstern zu werden. Allerdings waren die Gemeinsamkeiten der Sieger schnell erschöpft. Und so wurde die Entwicklung der Westzonen auch eine Entwicklung gegen die Ostzone und umgekehrt. Das Land driftete auseinander und schlug unterschiedliche Wege ein. Das betraf auch den Sport, mit all seinen kuriosen wie auch tragischen Momenten.

Deutschland lag in Trümmern, der Krieg hatte Zerstörungen, Verwüstungen gebracht und mehr als 6,3 Millionen Deutschen das Leben gekostet. Polen verzeichnete mit 6 Millionen fast ebenso viele Tote, und China mit 13 Millionen und die Sowjetunion mit 27 Millionen Toten hatten die meisten Opfer zu beklagen. War nach solchem Morden Normalität möglich? Die einfachen Menschen sehnten sich danach. Ihr Leben war aus den Fugen geraten, und um den Wahnsinn zu überstehen, bedurfte es alltäglicher Momente. Die Sowjets hatten das bei allem Zorn auf die Deutschen wohl verstanden. So waren die ersten Dinge, die wieder organisiert wurden, der Schulunterricht und die Kultur – neben der Versorgung mit Lebensmitteln. Auch Sport wurde im kommunalen und später betrieblichen Rahmen gestattet, denn die Sportverbände wurden 1945 allesamt aufgelöst. Verboten blieb nur, was im weitesten Sinne als militärische Ertüchtigung gelten konnte. Dazu zählten neben den technischen Sportarten wie Schießen, Fliegen usw. auch Kampfsportarten wie Judo oder Jiu-Jitsu.

Das änderte sich in der SBZ mit der Gründung der Freien Deutschen Jugend (FDJ) am 7. März 1946. Die FDJ übernahm, wenn auch im örtlichen, aber hin und wieder auch im betrieblichen Rahmen, quasi die Schirmherrschaft über die Sportvereine. Am 1. Oktober 1948 gründeten die FDJ und der FDGB (Freie Deutsche Gewerkschaftsbund) den Deutschen Sportausschuß, der den Dachverband für den organisierten Sportbetrieb im Osten bildete. Es entstanden fünf Landessportausschüsse für die Disziplinen Fußball, Handball, Leichtathletik, Schwerathletik, Turnen, Schwimmen sowie Radsport. Der Deutsche Sportausschuß blieb noch zu DDR-Zeiten die administrative Klammer des organisierten Sports und wurde erst 1957 durch den neugegründeten Deutschen Turn- und Sportbund (DTSB) abgelöst. Die technischen und einige Tiersportarten (Hunde- und Pferdesport oder der Brieftaubensport) wurden bei der 1952 gegründeten Gesellschaft für Sport und Technik (GST) angesiedelt. Sie wurde auch die Dachorganisation für den Flug- und Fallschirmsport, einige Motorsportarten und anderes mehr.

Heyrothsberge bei Magdeburg, 1987: Wettbewerbslauf bei der Ausbildung von Feuerwehrmännern. (picture alliance / ZB / Ernst-Ludwig Bach)

Mit der Gründung der DDR kristallisierten sich vor allem drei Arten des Sporttreibens im Land heraus. Zuallererst blieb Sport ein beliebtes Freizeitvergnügen. Die Gründung von Sportvereinen verlagerte sich dabei immer mehr vom kommunalen in den betrieblichen Bereich. Die großen Werke wurden zusehends zu Trägern von Sportvereinen, den Betriebssportgemeinschaften (BSG). Das spiegelte sich in den Namen der Vereine wider. »Aktivist« nannten sich Vereinigungen von Bergbaubetrieben, »Empor« gehörten zur staatlichen Handelsorganisation HO, »Chemie« zu chemischen Werken oder »Lok« zur Reichsbahn. Am häufigsten gab es wohl BSG »Motor«, so nannten sich die BSG sehr vieler Bereiche aus dem Maschinen- und Anlagenbau. Selbst die landwirtschaftlichen Betriebe bekamen ihren Sportnamen: »Traktor«. Dazu gesellten sich, nach sowjetischem Vorbild, die Sportvereinigung (SV) »Dynamo« der Volkspolizei und später auch der Sicherheitsorgane sowie nach NVA-Gründung die Armeesportvereinigung (ASV) »Vorwärts«. Doch auch Kommunen blieben namensgebend. Mein Lieblingsname für einen DDR-Fußballverein ist »Rotes Banner« Trinwillershagen, abgekürzt RB Trine, bei dem mein Freund Herrmann in der DDR-Liga spielte.

Die zweite Säule stellte der Schulsport dar. Bereits im ersten Jugendgesetz der DDR von 1950 wurde festgelegt, dass auf die sportliche Betätigung der Schülerinnen und Schüler großen Wert gelegt werde und deswegen dem Schulsport eine hohe Bedeutung beizumessen sei. Dementsprechend sollten an den Schulen vielfältige Möglichkeiten zur körperlichen Ertüchtigung geschaffen werden und auch für die qualifizierte Ausbildung von Sportlehrern sollte gesorgt werden. Unter anderem dafür wurde schon 1950 die Deutsche Hochschule für Körperkultur (DHfK) in Leipzig gegründet. Gewiss rührte dies auch daher, dass der erste Staatsratsvorsitzende der DDR, Walter Ulbricht, sportbegeistert war und den Sport förderte. Von ihm stammt der 1959 öffentlich gemachte Aufruf: »Jedermann an jedem Ort, einmal in der Woche Sport.« So wies der Sportunterricht im Laufe der DDR eine immer bessere Qualität auf. Dazu gehörte ebenfalls die Forderung, dass jedes Kind ab der dritten Klasse schwimmen lernen sollte. Leider ist dieses DDR-Erbe nicht in der BRD angekommen.

Die dritte Säule des DDR-Sports war der Leistungssport, sicher der nach außen spektakulärste Pfeiler. Bereits im Jahr 1952 wurde das Staatliche Komitee für Körperkultur und Sport gebildet. Diese höchste Instanz in Sachen Sport koordinierte nun neben dem Deutschen Sportausschuß die Mittel, die für das Sporttreiben zur Verfügung gestellt werden sollten. Gleichzeitig begann das Komitee, zentrale Strukturen für den Leistungssport zu schaffen. Ging es in den 1950er Jahren noch um den strukturellen Aufbau und die ständige Rangelei mit den westdeutschen Stellen, wenn es um den Auftritt von Sportlerinnen und Sportlern bei internationalen Wettkämpfen ging, gab man mit Beginn der 1960er Jahre die Bemühungen um gemeinsame deutsche Auftritte auf und konzentrierte sich auf ein nationales DDR-Leistungsportsystem. Trotzdem wurden noch bis Anfang der 1970er Jahre gemeinsame deutsche Mannschaften, nach, nicht immer fairen, Ausscheidungswettkämpfen gebildet. Schließlich traten 1968 zu den Olympischen Sommerspielen in Mexiko zwar schon zwei deutsche Teams an, aber noch mit einer Fahne und einer Hymne. Ausgerechnet bei den Olympischen Spielen in München 1972 erlebte die Sportwelt zum ersten Mal eine DDR-Mannschaft mit eigener Flagge, die damals der Boxer Manfred Wolke trug, und eigener Hymne, die im Laufe des Wettbewerbs für 20 DDR-Olympioniken erklang. Dazu kamen jeweils 23 Silber- und Bronzemedaillen. Die DDR wurde, nach Medaillen, die dritterfolgreichste Nation dieser Spiele der XX. Olympiade in München.

Die Olympischen Spiele 1972 in München: Erstmals tritt die DDR mit eigener Flagge auf, die auf der Eröffnungsfeier am 26. August der Boxer Manfred Wolke trägt. (picture alliance / ZB / Werner Schulze)

Überhaupt avancierten erfolgreiche Leistungssportler zu Helden der DDR-Nation und zu Repräsentanten des kleinen Landes im Ausland. Der Begriff von den »Botschaftern im Trainingsanzug«, den Avery Brundage, IOC-Präsident von 1952 bis 1972, prägte, machte die Runde. Richtig ist sicher daran, dass die DDR in der Welt vor allem durch ihre erfolgreichen Sommer- und Wintersportler bekannt wurde. Das System des Leistungssports in der DDR wurde mit großem Aufwand betrieben und war erfolgreich und effektiv. Es auf Doping zu reduzieren ist Unsinn, erstens hat es die DDR nicht erfunden und zweitens nicht als einzige Nation betrieben. Mit Doping allein formt man keine Weltmeister oder Olympiasieger. Und zur fortwährenden Kritik des Westens nach 1990 am Ostdoping gehört sicherlich auch der Aspekt des Nach­tretens der etwas weniger erfolgreichen BRD gegen die untergegangene DDR. Jedenfalls hat das vereinigte Deutschland noch eine ziemliche Weile bei vielen internationalen Wettkämpfen vom Leistungsportsystem der DDR profitiert. Mit dem endgültigen Verschwinden von Kadern und Strukturen ließen auch die Erfolge nach.

Feststeht: Die DDR war eine Sportnation. Sporttreiben wurde staatlicherseits stark gefördert – auch wenn es nicht für alle Sportarten gereicht hat. Der Leistungssport war ihr Aushängeschild, aber der Volks- und Schulsport ihr Sahnestück. Individuelle Einblicke wird der Leser in den nachfolgenden Beiträgen finden. Tauchen Sie noch einmal ein in die Welt des DDR-Sports, es lohnt sich!

»Jedermann an jedem Ort«

(picture alliance / ZB / Ernst-Ludwig Bach)

Wie der Sport aufs Dorf kam

Mein Vater, der Sportlehrer

Uli Jeschke

(picture alliance / dpa-ZB)

Ende der 1950er, Anfang der 1960er Jahre tickten die Uhren noch anders als heute. Die Unterschiede zwischen Stadt und Land waren groß. Die Städter schauten auf die etwas hinterwäldlerischen Dörfler herab und die Landbevölkerung hielt die Stadtbewohner für oberflächlich und ignorant. Das war auch in der DDR nicht anders, trotz LPG und »Jugend aufs Land«-Kampagnen. Wohnen auf dem Dorf hatte noch etwas Ursprüngliches, Naturverbundenes. Die meisten waren in der Zwischenzeit in die Genossenschaften eingetreten, hatten fast geregelte Arbeitszeiten und sogar Urlaub. Da aber jeder auch noch sein eigenes Stückchen Acker und einiges an Viehzeug besaß, war alles wie immer. Arbeitete man nicht für die Genossenschaft, dann plagte man sich auf dem eigenen Acker. Die Tiere im Stall kannten keinen Sonntag und keinen Urlaub, sie mussten ständig versorgt werden, brauchten Futter und Pflege. Und so wuchsen die Dorfkinder auf inmitten von Tieren und mit dem natürlichen Wechsel von Aussaat, Unkrauthacken und Ernten. Natürlich hatten auch die Dorfkinder Freizeit, spielten oder rannten auf einem Stück Wiese hinter dem Ball her. Im Allgemeinen fand also das Dorfleben arbeitsam und an frischer Luft statt. Exotische Sportarten oder regelmäßiger Trainingsbetrieb waren nicht die Schwerpunkte dörflichen Jugendlebens.

1959 gab es in der DDR eine Schulreform. Die bisherigen achtklassigen Grundschulen und die zehnklassigen Mittelschulen wurden durch einheitliche zehnklassige Polytechnische Oberschulen (POS) ersetzt und die Gymnasien durch Erweiterte Oberschulen (EOS). Das galt für Stadt und Land. Um den Schülern eine gute technische Basis und eine hohe Zahl von Fachlehrern bieten zu können, wurden kleinere Schulen aufgelöst und sogenannte Zentralschulen eingerichtet. Zu einer solchen Zentralschule wurde auch die Schule im Örtchen Klein-Ziethen am südöstlichen Rand der Uckermark. Nun ist Klein-Ziethen ebenso wie der Nachbarort Groß-Ziethen zwar schon fast 800 Jahre alt, aber eben doch sehr klein. Klein war auch die Schule in Klein-Ziethen, obwohl in ihr auch viele Schüler aus der Umgebung beschult wurden. So kamen unter anderem Kinder aus Serwest, Bölkendorf oder Groß-Ziethen an die Schule nach Klein-Ziethen. Allerdings waren die Klassenstufen 1 bis 4 alternierend in Serwest oder Groß-Ziethen und die Abschlussklassen in Joachimsthal untergebracht. Insgesamt waren es wohl nie mehr als 180 bis 230 Schüler, die gleichzeitig die Klein-Ziethener Schule und ihre »Außenstellen« besuchten.

Ende der 1950er Jahre wurde mein Vater als Sportlehrer dorthin versetzt. Nach einem kurzen Direkt- und vielen Jahren Fernstudium an der DHfK Leipzig und der Pädagogischen Hochschule Potsdam durfte er nun als Diplom-Sportlehrer Schülern bis zur 12. Klasse Sportunterricht erteilen. Zu dieser Zeit musste man noch nicht zwingend zwei Fächer belegen, um diplomiert zu werden. Fachlehrer waren rar. So musste er in den nächsten Jahren auch Werken, Biologie und manchmal auch Geografie unterrichten, was zu vielen Stunden Vorbereitung zu Hause geführt hat. Sein eigentliches Metier war jedoch der Sport, schließlich war er durch eigenes Sporttreiben, Boxen, Laufen, Handball, zum Lehrerstudium gekommen. Nun also Klein-Ziethen. Vorher war er als sogenannter Wanderlehrer an einigen anderen kleinen Schulen, auch in seinem neuen Heimatort Chorin, tätig gewesen.

Klein-Ziethen bot wenige Möglichkeiten zum Schulsporttreiben. Für den Winter war man mit der Gemeinde und dem Wirt übereingekommen, den Saal der Gaststätte als Turnhalle nutzen zu können. Damit der Saal nicht ganz kalt war, musste mein Vater den Ofen morgens anheizen. Der Wirt sollte das eigentlich übernehmen, war aber nach manchem schweren Abend am nächsten Tag dazu nicht in der Lage. Im Saal wurden in einer Ecke ein paar Turnmatten gelagert. Später kamen noch ein Kasten, ein Bock zum Überspringen und sogar ein Barren dazu.

Im Sommer ging es nach draußen. Zwar gab es keinen Sportplatz, aber Not macht erfinderisch. Die Schule lag an der einen Seite eines kleinen Rasenplatzes. Auf der anderen Seite stand die Kirche. Mein Vater fand heraus, dass es ziemlich genau 200 Metern entsprach, wenn man am Rand des Platzes entlang und auf der anderen Seite um die Kirche herum lief. Also waren zwei Runden so viel wie eine Runde auf einem Sportplatz. Und eine halbe Runde entsprach der 100-Meter-Sprintstrecke bzw. konnte als 60-Meter-Sprintstrecke für die unteren Klassen eingerichtet werden. An einer etwas sandigen Stelle des Rasenplatzes wurde eine Weitsprunggrube ausgehoben und mit Sand aufgefüllt. In der Platzmitte wurde eine Wurfstelle für Schlagballweitwerfen eingerichtet. Natürlich halfen alle Schüler gern mit beim Einrichten der Sportanlagen, die, solange die Schule existierte, fleißig genutzt wurden.

Sportunterricht in den 1950er Jahren der DDR (picture alliance / ZB / Hanns-Peter Beyer)

Für den Schwimmunterricht wies die Gemeinde der Schule eine Badestelle am Serwestsee, die nur zwei Kilometer vom Dorf entfernt lag, zu. Hier entstand in vielen freiwilligen Stunden ein Badesteg. In einem kleinen Schuppen daneben war Platz für Gerätschaften. So wurde im Sommer gegenüber dem Steg eine Leine gespannt. Die Leine befand sich in einer Entfernung von 25 Metern. Die Schüler konnten vom Steg abspringen und ihre »Bahnen« schwimmen. Nach Fertigstellung geriet der Ort auch zur Klein-Ziethener Badestelle und es fanden dort regelmäßig in den Sommerfreien Schwimmlager statt. So war auch der Schwimmunterricht gesichert, denn auf dem Dorf gingen zwar fast alle Kinder regelmäßig baden – aber schwimmen konnte deswegen noch lange nicht jeder.

Schüler mit Schwimmhilfen beim Schwimmunterricht (picture alliance / ZB / Peter Heinz Junge)

Die Dorfbewohner beobachteten die Aktivitäten des jungen Lehrers sehr genau. Doch der Sportlehrer schien in Ordnung zu sein. Zum einen konnten sie ihn ja, im Gegensatz zu seinen Kollegen in den Klassenzimmern, bei der Arbeit sehen und zum anderen ging er auf die Leute zu. Die einfache und unkomplizierte Art schien bei den zumeist bäuerlich geprägten Leuten anzukommen. Sie sahen, dass er ihre Kinder beim Sport durchaus fordernd, aber mit Respekt antrieb. Absolut im Sinne der Eltern. Disziplin und Zupacken erwarteten sie auch zu Hause. Normalerweise waren Lehrer Respektpersonen, denen man lieber aus dem Weg ging. Schließlich hatten einige nicht gerade gute Erinnerungen an die eigene Schulzeit, die kein Zucker­schlecken gewesen war. Und nicht alle hatten es bis zur achten Klasse geschafft.

Allmählich kam bei den meisten Schülern Begeisterung für den Sport auf. Sie machten gut mit, strengten sich an, entwickelten Kampfgeist und Ehrgeiz. Rennen um die Kirche nach Zeit war besonders beliebt. Das Wetter spielte keine Rolle. Die Kinder waren auch sonst bei jedem Wetter draußen, und es war besser, als im Klassenzimmer zu hocken und sich mit Mathe oder Grammatik zu plagen. In der Zwischenzeit hatten die meisten der Dorfbewohner eingesehen, dass das Sporttreiben extra Sportsachen erfordert, Turnhosen und -hemden, Trainingshosen und Sportschuhe. Meist billige. Die Kinder wuchsen ja schnell aus ihren Klamotten heraus und machten alles kaputt. Der Renner waren Schuhe aus Stoff mit Gummisohle, knöchelhoch, aus Nordkorea. Hielten nicht lange, waren aber sehr günstig …

Am Beginn der Sportstunde zogen sich die Kinder schnell in einem Raum der Schule um. Nur ein Mädchen der sechsten Klasse blieb draußen sitzen. Vom Sportlehrer aufgefordert, sich doch endlich umzuziehen, fing sie an zu weinen.

»Hast du deine Sportsachen vergessen?«, fragte mein Vater sie.

Sie schüttelte den Kopf und weinte noch mehr. Mein Vater ging auf sie zu.

»Was ist denn los?«

»Ich kann mich nicht umziehen, Herr Jeschke«, schluchzte sie laut.

»Warum denn nicht?«

»Ich komm nicht raus.«

»Woraus?«

»Aus dem Kleid!«

»Wieso?«

»Meine Mama hat mich eingenäht!«

Es stellte sich heraus, dass morgens beim Anziehen ein Reißverschluss kaputtgegangen war. Weil aber die Zeit drängte, keine anderen Sachen zur Verfügung standen und die Mutter es eilig hatte, griff sie zu Nadel und Faden und nähte das Kleid einfach zu. Und nun steckte das arme Mädel drin, konnte sich nicht umziehen und nicht am Unterricht teilnehmen.

Noch mehr Schwung kam ab 1964 in den Sportunterricht, als die Spartakiadebewegung für die Schulen in der DDR erfunden wurde. Spartakiaden waren Sportwettkämpfe im Schüler- und Jugendbereich, die im Kreis- und Bezirksmaßstab ausgetragen wurden und auch einer Talentsichtung in verschiedenen Sportarten dienten. Höhepunkt waren die im DDR-Maßstab ausgetragenen zentralen Spartakiaden.

Die Schulen stellten aus ihrer Schülerschar Mannschaften zusammen, die dann im Kreis gegeneinander antraten. Besonders beliebt waren die Sommerwettkämpfe. Es gab zahlreiche Lauf- und Sprungdisziplinen, die von den Schülern ohne spezielles Training ausgetragen werden konnten. Um im Kreismaßstab einen Wettbewerb unter den teilnehmenden Schulen hinzubekommen, hatte sich der zuständige Kreisturnrat ein Koeffizientensystem ausgedacht. Die teilnehmenden Schüler erhielten Punkte für ihre Platzierungen und die wurden dann mit dem Koeffizienten verrechnet, um den Vorteil von großen Schulen, die aus einer größeren Schülerschaft schöpfen konnten, auszugleichen.

So fasste man auch in Ziethen den Beschluss, mit einer Leichtathletikgruppe an der Kreisspartakiade teilzunehmen. Der Sportlehrer stellte eine Mannschaft zusammen und vereinbarte mit ihr ein paar Stunden Sondertraining auf dem Platz zwischen Schule und Dorfkirche. Die Jungs rannten recht ordentliche Zeiten. In dem Bewusstsein, sich nicht zu blamieren, ging es in die Kreisstadt. Da Klein-Ziethen keinen Bahnanschluss hatte, fuhren die Kinder in den Privatautos der Lehrer und Betreuer mit. Austragungsort der Kreisspartakiade war das Fritz-Lesch-Stadion in Eberswalde. Es verfügte über die damals üblichen Laufstrecken, die mit feinkörnigen Schlacke­steinen belegt waren, also über eine Art Aschenbahn. Nun hielten die Ziethener Schüler in den einzelnen Disziplinen gut mit und rechneten sich einen vorderen Platz beim Wettbewerb zwischen den Schulen aus.

Schüler mit unterschiedlichstem Schuhwerk beim Laufen(picture alliance / ZB / Peter Heinz Junge)

Besonders motiviert waren die Jungs, die über kurze Distanzen sprinten sollten. Urwüchsige dörfliche Kraft sollte trainiertes Städtertum schlagen. Doch es kam anders. Besonders beim Start verloren die Dorfjungs gegenüber ihrer städtischen Konkurrenz. Sie konnten ihre Schnellkraft nicht auf den Boden bringen, rutschten auf der Bahn oft weg. Frustriert fragten sie ihren Sportlehrer, woran das liegen könne. Die Antwort war einfach. Die Stadtläufer trugen Spikes, deren kleine Pieken sich in der Aschenbahn eingruben und ihnen mehr Grip verschafften. Das erklärte mein Vater den enttäuschten Läufern, als sie gemeinsam nach Hause fuhren. Spikes waren damals rar und teuer, und noch teurer und rarer die Mitte der 1960er Jahre in der DDR zu habenden Adidas-Spikes. Die kamen aus Jugoslawien, damals das bevorzugte Billiglohnland für westdeutsche Firmen.

Spikes aus den 1960er Jahren (picture alliance / ZB / Hanns-Peter Beyer)

Einige Wochen später, die Spartakiade hatte üblicherweise vor den großen Ferien stattgefunden, versammelten sich die Schüler wieder zum Schulsport auf dem Platz zwischen Schule und Kirche. Wieder einmal stand Lauftraining auf dem Plan. Die Schüler kamen vom Umziehen aus der Schule und liefen zu ihrem Lehrer. Ein Schüler stach mit seinem merkwürdig staksenden Gang heraus. Er lief praktisch nur auf den Hacken und die Turnschuhspitzen ragten in die Höhe. Mein Vater winkte ihn heran und fragte, warum er so merkwürdig liefe. Ein breites Grinsen überzog das Gesicht des Schülers, stolz antwortete er, er hätte nun auch Spikes. Es stellte sich heraus, dass er Nägel durch das Oberleder geschlagen hatte, die nun drei, vier Zentimeter unten aus der Sohle herausragten. Nun, er hatte das Prinzip begriffen – nur mit der Umsetzung haperte es. Mein Vater musste sich das Lachen verkneifen, schließlich hatte sich der Knabe Gedanken gemacht und diese auch gleich in die Tat umgesetzt. Doch Laufen konnte er so nicht.

Also nahm mein Vater Kontakt zu Freunden auf, die er aufgrund der eigenen Sportlerkarriere kannte und siehe da, ein großer Verein, der Adidas-Spikes für seine Leistungskader erhalten hatte, konnte ein paar davon entbehren. Zwar liefen die Schüler erst einmal ohne Spikes weiter auf dem Dorfplatz. Doch bei den nächsten Wettläufen gab ihr Lehrer die Spikes an die besten Klein-Ziethener Läufer aus und sie begannen mit dieser technischen Hilfe Läufe zu gewinnen. Und irgendwann gelang es der Ziethener Schule, mit Hilfe des Koeffizienten und der Spikes, den Pokal erringen.

Einmal Sportlerin, immer Sportlerin

Die ehemalige Kunstturnerin Susanna Wadehn

Bettina Klemm

(Privatarchiv Susanna Wadehn)

Ohne Sport kann sich Susanna Wadehn ihr Leben nicht vorstellen. Sich mit der Seniorin am Donnerstag oder Freitag verabreden zu wollen, ist meist keine gute Idee. Da gibt sie ihre Kurse in Gymnastik und Tanzen. Das ist ihr wichtig, aber auch den Teilnehmerinnen, sie vertrauen auf die Zuverlässigkeit. Und Susanna enttäuscht sie nicht. Sie ist Jahrgang 1950. Auch wenn die meisten jünger als sie sind, kann sie noch sehr gut mit ihnen mithalten. Zu ihrer pflegebedürftigen Mutter fährt sie fast immer mit dem Rad. Zum größten Teil führt der Weg am Dresdner Elbufer vorbei. Dort ist es zu fast jeder Tageszeit und bei jedem Wetter schön. Im Winter geht es in die Berge zum Abfahrtsski, ansonsten wird viel gewandert. Und selbstverständlich registriert ein Schrittzähler an ihrem Arm, dass sie ja auch regelmäßig läuft.