2,99 €
Was haben Vivaldi, Waschpulver, Zirkuselefanten und die eigene Schwiegermutter mit gelungener Kommunikation im Krankenhaus zu tun? Inwiefern beeinflussen Gesetzmäßigkeiten der Physik das Verhalten von Patienten? Erschaffen wir uns schwierige Patienten vielleicht manchmal selbst? Und woran denken eigentlich Angehörige, wenn sie hören, dass sie sich keine Sorgen machen müssen? Unsere Überzeugungen haben großen Einfluss auf unser Denken, Handeln und die Wahrnehmung unserer Umwelt. Nicht umsonst heißt es: Der Glaube versetzt Berge. Manchmal genügt jedoch ein einziges Wort, um ganze Gebirgsketten in Bewegung zu bringen. Mithilfe der richtigen Wortwahl können Mitarbeiter einer Klinik den zentralen Punkt ihrer Arbeit – die Fürsorge für den Patienten – gelassener und erfolgreicher erfüllen. Die Art und Weise, wie Mediziner mit uns reden und wie gut wir uns verstanden fühlen, bestimmt den Grad der Überzeugung, „in guten Händen zu sein“. Sprache formt diese Realität. Eine stimmige Kommunikation bildet die Grundlage für die Verbindung von Professionalität und Menschlichkeit. Dieses Buch vermittelt verständlich und humorvoll, wie mithilfe einfacher Worte und Gesprächstechniken ein spürbar positiver Effekt auf das zwischenmenschliche Miteinander im Krankenhaus – und somit die Genesung von Patienten – erreicht wird. Theoretische Modelle werden dabei mit Erfahrungsberichten, praktischen Übungen und persönlichen Anekdoten veranschaulicht. Mithilfe der vorgestellten Methoden verbessert sich die Wirkung Ihrer Kommunikation in der alltäglichen Arbeit, da Sie gezielter, reflektierter und professioneller mit Patienten und Angehörigen umgehen. Gleichzeitig werden Sie entlastet, da Sie Werkzeuge erhalten, mit deren Hilfe Sie reibungsloser arbeiten können.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 529
Veröffentlichungsjahr: 2021
Für Marie und Moritz
Christoph Sieper
Sprache formt Realität
Ein neuer Wegweiser zur Kommunikationspsychologie im Krankenhaus
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.
Es konnten nicht alle Rechtsinhaber von Abbildungen ermittelt werden. Sollte gegenüber dem Verlag der Nachweis der Rechtsinhaberschaft geführt werden, wird das branchenübliche Honorar nachträglich gezahlt.
Dieses Werk enthält Hinweise/Links zu externen Websites Dritter, auf deren Inhalt der Verlag keinen Einfluss hat und die der Haftung der jeweiligen Seitenanbieter oder -betreiber unterliegen. Zum Zeitpunkt der Verlinkung wurden die externen Websites auf mögliche Rechtsverstöße überprüft und dabei keine Rechtsverletzung festgestellt. Ohne konkrete Hinweise auf eine solche Rechtsverletzung ist eine permanente inhaltliche Kontrolle der verlinkten Seiten nicht zumutbar. Sollten jedoch Rechtsverletzungen bekannt werden, werden die betroffenen externen Links soweit möglich unverzüglich entfernt.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2021 Christoph Sieper
Umschlag: Christoph Sieper, André Kolodzeike
Illustrationen: Christoph Sieper, Martin Barth
Lektorat, Korrektorat: Marie Sieper, Wilma Lang, Thorben Loeppke
Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg
ISBN
Paperback
978-3-347-23580-9
Hardcover
978-3-347-23581-6
e-Book
978-3-347-23582-3
Nur mal angenommen …
… es gäbe ein unterhaltsames Buch, das Ihnen in der täglichen Arbeit mit Patienten, Angehörigen sowie mit Kolleginnen und Kollegen hilft, miteinander in einen besseren Kontakt zu kommen und selbst in schwierigen Situationen reibungsloser zu arbeiten. Und weiterhin angenommen, die in diesem Buch vorgestellten Methoden hätten einen positiven Effekt auf den Umgang mit Ihren Kindern, Ihrem Partner und die alltäglichen Begegnungen mit anderen Menschen. Macht Sie das neugierig?
Dann möchte ich Sie einladen weiterzulesen.
Vorwort
Bei meiner Tätigkeit als Referent für mittlerweile 100 Krankenhäuser deutschlandweit wurde mir in den letzten Jahren von Seminarteilnehmern immer wieder berichtet, dass es unter anderem als sehr anstrengend und nervenaufreibend empfunden wird, wenn Angehörige bei Patientengesprächen anstelle des Patienten antworten. Dies sei teilweise sogar schon hart an der Grenze zur Arbeitsbehinderung. Der behandelnde Arzt stellt dem Patienten eine Frage. Bevor der Patient jedoch auch nur die geringste Chance zum Antworten hat, nimmt seine Begleitung bereits das Heft in die Hand und schildert die Symptome. Vielleicht haben Sie dieses Szenario schon einmal selbst erlebt? Dabei stellt sich jedoch die Frage: Waren Sie in dieser Situation Mediziner, Patient oder Angehöriger?
Hierzu eine kurze Geschichte: Im Sommer 2017 hat meine Frau unser erstes Kind zur Welt gebracht. Nachdem wir morgens den Blasensprung bemerkt hatten, packten wir in Windeseile unsere sieben Sachen und machten uns direkt auf den Weg in die Klinik.
Wir kommen also „leicht gestresst“ auf die Geburtsstation des Klinikums. Die Hebamme tastet den Bauch meiner Frau ab und beginnt währenddessen mit der Voruntersuchung, der sog. Anamnese.1 Die erste Frage an meine Frau lautet: „Wann hatten Sie den Blasensprung?“ Die Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen: „Heute Nacht.“ Allerdings nicht etwa von meiner Frau, sondern von mir, ohne dass ich mir irgendetwas dabei gedacht hätte. Ich kann beobachten, wie die Hebamme mit den Augen rollt und tief durchatmet, ohne das Ganze jedoch weiter zu kommentieren. Sie tastet den Bauch weiter ab und fragt als Nächstes: „Wann haben Sie das bemerkt?“ Postwendend kommt die Antwort: „Heute Morgen um sieben Uhr direkt nach dem Aufstehen“, wieder von mir. Im gleichen Moment fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Ich realisiere, dass ich genau das Gleiche tue, was seit Jahren in Schulungen immer wieder beklagt wird. Ich behindere die Hebamme bei Ihrer Arbeit und das sogar trotz besserem Wissen. Es handelt sich hierbei um ein exemplarisches Beispiel für Störungen in der Kommunikation, die ohne Not zu schwierigen Situationen führen können.
Hinter meinem Verhalten verbirgt sich eine positive Absicht, die wahrscheinlich jeder gut nachempfinden kann. Als angehender Vater möchte ich lediglich helfen und Teil des Prozesses sein. Wenn es der Hebamme gelingt, die beschriebene Situation aus dieser Brille zu betrachten, ist es für sie leichter, mein vermeintlich störendes Verhalten würdigen zu können. Durch ein paar einfache Worte kann sie dann die Situation schnell in die richtige Richtung lenken: „Es ist gut, dass Sie hier sind. Ich kann nachempfinden, dass Sie gerne mithelfen möchten. Im Moment ist es wichtig, dass Ihre Frau meine Fragen selbst beantwortet, damit ich überprüfen kann, wie adäquat sie dazu in der Lage ist. Wenn ich eine Frage an Sie habe, wende ich mich durch direkte Ansprache an Sie, Herr Sieper. Ist dieses Vorgehen für Sie okay?“ Hierdurch wird der Grundstein für eine vertrauensvolle und harmonische Begegnung gelegt. Genau darum geht es in diesem Buch.
Als Kommunikationstrainer und Coach unterstütze ich seit vielen Jahren Menschen im Gesundheitswesen. Ich helfe Krankenhäusern weiter, wenn es im Bereich der Patientenkommunikation Optimierungsbedarf gibt. Optimierungsbedarf ist im Bereich der Personalentwicklung ein charmantes Wort für „es läuft nicht gut“ oder „es könnte noch besser laufen“. Durch die Beherzigung einfacher Daumenregeln und Kommunikationstechniken kann es jedoch gelingen, die Außenwirkung eines Klinikums nachhaltig zu verbessern. Sie können reibungsloser arbeiten, da Sie gezielter und reflektierter mit Patienten und Angehörigen umgehen. Darüber hinaus kommen Sie auch in einen besseren Kontakt mit Kollegen und anderen Berufsgruppen. Gute Beziehungen werden folglich auf allen Ebenen gefördert. Das ist ein wesentlicher Schlüsselfaktor für erfolgreiches und konfliktfreies Arbeiten im Krankenhaus. Für ein gutes Klima ist ein wertschätzender Umgang miteinander notwendig. Ein wertschätzender Umgang ist Ausdruck der persönlichen Haltung und erfordert Achtsamkeit sowie eine gewisse Methodenkompetenz im Bereich Kommunikation.
In diesem Buch werden Möglichkeiten erörtert, wie Sie angemessen auf ein schwierig empfundenes Verhalten von anderen Menschen reagieren können. Dabei werden Sie lernen, wie Sie schwierige Situationen gekonnt entschärfen, eine gastliche Atmosphäre aufbauen und dabei sogar Zeit sparen. Außerdem werden Sie erkennen, dass der Andere oft keine „Schuld“ hat. Möglicherweise hat Ihnen bisher einfach das passende Werkzeug für einen erfolgreichen Umgang gefehlt oder Sie sind einer von vielen – häufig versteckten – Stolperfallen der Kommunikationspsychologie zum Opfer gefallen. Es wird deutlich, dass viele vermeintlich schwierige Situationen mithilfe einfacher Tricks gelöst oder sogar bereits im Vorfeld vermieden werden können. Man kann mithilfe einzelner Worte, bzw. kleiner Veränderungen in der Wortwahl, die Gefühle, Einstellungen, das Verhalten als auch die Wahrnehmung von Patienten und Angehörigen positiv beeinflussen. Manchmal sogar mehr, als man jemals für möglich gehalten hätte.
Leider liegen bei vielen Fachthemen Theorie und Praxis weit auseinander. Aus diesem Grund ist dieses Buch nicht als reine Fachbuchlektüre zu verstehen. Die besten Theorien sind nur so gut wie ihre Anwendbarkeit und Relevanz für den alltäglichen Gebrauch. Wenn die Inhalte eines Seminars oder Buches wenig mit dem wahren Leben zu tun haben, erscheint eine Auseinandersetzung mit der Materie eher als Zeitverschwendung. Aus diesem Grund benutze ich bei Vorträgen und Seminaren den Ansatz des Erlebnislernens, d.h., dass ich zum Beispiel einzelne Teilnehmer direkt mit einer bestimmten Formulierung anspreche und anschließend erfrage, was dieser Satz im Hier und Jetzt bei ihnen auslöst. Auf diese Weise kann derjenige direkt „live“ erleben, welche Wirkung bestimmte Worte auf ihn haben. Dieser Ansatz wird auch in diesem Buch verfolgt, indem ich Sie als Leser dazu einlade, sich auf sog. Erlebnislesen2 einzulassen. Zur gedanklichen Einbindung wende ich mich in der Ansprache immer direkt an Sie. Sie werden hin und wieder zu kurzen Gedankenexperimenten und kleinen Übungen angeregt, um ein Modell besser verstehen – oder bestimmte Techniken direkt anwenden zu können. Die entsprechenden Anleitungen mit den dazugehörigen Übungen finden Sie in den jeweiligen Kapiteln, die aufeinander aufbauen. Ich verwende die herkömmliche, männlich geprägte Sprachform, um den Text leichter lesbar zu gestalten. Selbstverständlich sind grundsätzlich alle Geschlechter angesprochen.
Ich halte mich an die Vorgehensweise aus meiner täglichen Arbeit, in der Hoffnung zeigen zu können, dass sich komplexe Inhalte am besten lebendig und lebensnah vermitteln lassen. Der Leitgedanke stammt von meinem ehemaligen Professor für Psychologie und sollte auch bei der täglichen Arbeit im Krankenhaus seine Anwendung finden: „So einfach wie möglich, so komplex wie nötig.“ Um die dargestellten Inhalte greifbar zu machen, sind sowohl Beispiele aus der Arbeit im Krankenhaus, als auch Geschichten aus alltäglichen Begegnungen mit anderen Menschen Bestandteil dieses Buches. Hierzu zählen sowohl schwierige als auch lustige Situationen mit Seminarteilnehmern, Selbsterfahrungen als Patient sowie Erlebnisse mit meiner Frau und unserem Sohn. Dabei wird hin und wieder auch auf liebevolle Art und Weise mit Klischees gespielt. Folglich können Sie dieses Buch als Fachliteratur verstehen, in dem spannende Themen und theoretische Hintergründe aus der Kommunikationspsychologie am Beispiel der Arbeit im Krankenhaus leicht verständlich aufbereitet und veranschaulicht werden. Es ist ebenso ein Übungsbuch, mit dessen Hilfe Sie die vorgestellten Themen direkt einüben und ausprobieren können. Und zu guter Letzt handelt es sich um eine unterhaltsame Lektüre mit Geschichten aus dem Alltag. Wenn Sie sich dabei das ein oder andere Mal selbst ertappt fühlen, schmunzeln oder sogar lachen müssen, ist das umso schöner. Dieses Buch soll zum Lachen und Nachdenken anregen, Sie in Ihrem eigenen Tun bestärken und darüber hinaus den ein oder anderen einfachen Kniff aufzeigen, mit dem Sie sich die eigene Arbeit, aber auch das alltägliche Leben erleichtern können.
Was soll das Ganze bringen?
Gebracht wird Ihnen nichts – stattdessen können Sie sich Dinge nehmen. Bei den hier vorgestellten Methoden und Ideen handelt es sich lediglich um Angebote. Entscheiden Sie selbst, welche Sie davon annehmen und ausprobieren möchten. Vielleicht haben Sie auch an der ein oder anderen Stelle die Erfahrung gemacht, dass ein anderer Weg für Sie persönlich besser funktioniert. In diesem Fall lautet meine Bitte: Bleiben Sie dabei und lassen Sie es mich wissen, damit ich diesen Tipp zukünftig an andere Menschen weitergeben kann.
Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen beim Lesen!
Christoph Sieper
1 Eine Anamnese ist der medizinische Fachbegriff für ein Gespräch zwischen einem Mediziner und einem Patienten, bei dem Symptome, Vorerkrankungen und Krankheitsverläufe erfasst werden.
2 Dieser Begriff ist frei erfunden.
1 Problemstellung
Patienten und Angehörige sind im Krankenhaus mit einer für sie extrem ungewohnten Situation konfrontiert. Sie betreten unbekanntes Terrain, geben ihre Selbstbestimmung an der Eingangstür ab und fühlen sich dabei häufig ängstlich, hilflos, ausgeliefert und alleingelassen. Auf der anderen Seite geht die Arbeit im Krankenhaus oft mit Eile einher. Mediziner3 sehen sich mit einer Kombination aus erhöhtem Arbeitsaufkommen und einer stetig wachsenden Anspruchshaltung konfrontiert. Jeder Wunsch soll Patienten direkt von den Lippen abgelesen, Arbeitsprozesse effizienter gestaltet und Anfragen von Angehörigen – besser gestern als heute – kompetent beantwortet werden. Überspitzt gesagt, fühlen sich Pflegekräfte dabei teilweise schon wie Angestellte einer Hotelkette. Patienten klingeln nach einer Krankenschwester, obwohl sie uneingeschränkt mobil sind. Man möge ihnen ein Glas Wasser reichen. Wenn das nicht auf der Stelle geschieht, wird direkt mit einer Beschwerde bei der Pflegedienstleitung gedroht.
Hierbei gilt es häufig sehr unterschiedlichen, teilweise gegensätzlichen, Anforderungen gerecht zu werden. Einerseits soll man sich geduldig Zeit nehmen, um die Anliegen von Patienten und Angehörigen zu bearbeiten. Andererseits sollen „noch ganz nebenbei“ Verwaltungsarbeiten gewissenhaft und fehlerfrei ausgeführt werden. Der stetige Kostendruck sowie Personalknappheit machen diese Situation nicht gerade leichter. Laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung liegt der sog. Nurse-Patient-Ratio, also das Verhältnis von Pflegepersonal zu Patienten, in Deutschland tagsüber bei eins zu 13, in der Nacht sogar nur bei eins zu 19, 4 d.h., dass eine Pflegekraft in Deutschland während der Nacht durchschnittlich 19 Patienten gleichzeitig betreut.
Aufgrund dieses Spannungsfeldes wird die Arbeit im Krankenhaus von vielen Medizinern auf zwischenmenschlicher Ebene als sehr herausfordernd erlebt. In diesem speziellen Kontext kommt neben der medizinischen Versorgung einer gelungenen Kommunikation, insbesondere auch in schwierigen Situationen, eine ganz besondere Bedeutung zu.5 Doch was sind überhaupt schwierige Situationen? Die einen empfinden den Kontakt mit kritischen Angehörigen als schwierig. Andere hingegen empfinden eher aggressive oder unzugängliche Menschen als problematisch. Dritte erachten es als problematisch, wenn Patienten sich unkooperativ verhalten und eine geringe Therapietreue zeigen. Somit scheint es kein einheitliches Bild von schwierigen Situationen bzw. Patienten und Angehörigen zu geben. Vielmehr bezeichnen wir jene als schwierig, zu denen wir noch keinen passenden Zugang haben.
Hieraus lässt sich eine Vielzahl von Fragestellungen ableiten:
- Welche kommunikationspsychologischen Stolperfallen führen dazu, dass Patienten nicht das tun, worum wir sie bitten?
- Warum befolgen manche Patienten ärztliche Anordnungen nicht?
- Wie kann man Patienten zu mehr Therapietreue motivieren?
- Patientenzufriedenheit erhöhen und gleichzeitig stressfreier arbeiten – geht das überhaupt?
- Kann man eine gastliche Atmosphäre aufbauen und dabei sogar Zeit sparen? Wann sind Patienten mit der Betreuung in einem Krankenhaus tatsächlich zufrieden?
- Warum verhalten sich gestandene Menschen als Patient in einem Krankenhaus plötzlich völlig anders als beim täglichen Einkauf im Supermarkt?
- Warum versteht mein Gesprächspartner eine Aussage ganz anders, als ich sie gemeint habe? Wie kann ich das vermeiden?
- Wie gehe ich mit unzufriedenen oder aggressiven Patienten um?
- Wie schafft man es, Aussagen von Angehörigen nicht persönlich zu nehmen?
- Wie kann man Ruhe bewahren und freundlich bleiben, selbst wenn der Andere unfair und übergriffig wird? Muss man sich alles gefallen lassen?
- Wie lassen sich schwierige Situation gekonnt entschärfen?
- Kann man Angehörigen tatsächlich ihre Angst nehmen, indem man ihnen versichert, sie bräuchten sich keine Sorgen zu machen?
- Wie kann man Beschwerden über lange Wartezeiten vermeiden?
- Welche Rolle spielt der erste Eindruck beim Kontakt mit Patienten und Angehörigen?
- Erschaffen wir uns schwierige Patienten manchmal selbst?
- Beeinflusst unsere Wortwahl unter Umständen sogar den Behandlungserfolg? Und wenn ja, wie und warum?
Und zu guter Letzt: Was hat all das mit Vivaldi, Waschpulver, Zirkuselefanten und der eigenen Schwiegermutter zu tun?
3 Ich verwende diesen Begriff im weiteren Verlauf als Synonym für Ärzte und Pflegekräfte.
4 Vgl. Simon & Mehmecke (2017). In Ländern wie der Schweiz oder Holland liegen diese Werte bei 1:8 bzw. 1:7. Im Bundesstaat Kalifornien sogar nur bei 1:5,3.
5 Vgl. Bartens (2013), vgl. Stahl & Nadj-Kittler (2016). Im Laufe ihres Berufslebens führen Ärzte Schätzungen zufolge durchschnittlich zwischen 150.000 und 200.000 Patientengespräche. Sie verbringen somit ca. 60 – 80% ihrer täglichen Arbeitszeit im Dialog mit Patienten.
2 Meine Erwartungen als Patient
„People will forget what you said, People will forget what you did, … but they will remember how you`ve made them feel.”
(Maya Angelou)
Ich möchte Sie gerne zu einem kleinen Gedankenexperiment einladen.
Nur mal angenommen – Sie haben seit knapp drei Wochen ein Drehschwindelgefühl. Dieses Gefühl wird begleitet von Übelkeit, Sehstörungen und teilweise extrem starken Kopfschmerzen. Es ist Freitagvormittag. Sie nehmen ihr Herz in die Hand und entschließen sich spontan, ihrem Hausarzt einen unangekündigten Besuch abzustatten. Sie möchten wissen, was los ist. Nach entsprechender Wartezeit kommen Sie tatsächlich noch dran. Der Arzt führt mit Ihnen ein Gespräch über die Symptome, er macht ein EKG und hört Sie ab. Er kann jedoch nichts feststellen. Bei der anschließenden Besprechung über das weitere Vorgehen wird Ihnen empfohlen, eine Spezialklinik aufzusuchen. Diese befindet sich allerdings 160 Kilometer von Ihrem Wohnort entfernt. Wenn Sie sich direkt auf den Weg machen, kämen Sie vermutlich erst am frühen Abend dort an. Außerdem steht das Wochenende bevor. Da Sie antizipieren, dass über das Wochenende weniger Untersuchungen durchgeführt werden, entscheiden Sie sich, erst am Montag in die Klinik zu fahren.
Jetzt ist Montagmorgen und Sie kommen dort an:
- Sie sind alleine
- Sie sind in einer fremden Stadt
- Sie kommen in ein fremdes Klinikum und Sie haben eine unklare Diagnose
Welches Verhalten des Klinikpersonals würde Ihnen persönlich in dieser Ausnahmesituation guttun? Was wünschen Sie sich?
Bei der Beantwortung dieser Frage geht es ausschließlich um Verhaltensweisen. Es ist irrelevant, ob die Patientenaufnahme nach den neuesten Erkenntnissen der Farbenlehre gestrichen ist und das Klinikpersonal die passende Kleidung dazu trägt. Vermeiden Sie auch Ideen, die sich auf eine überhöhte Anspruchshaltung von Patienten beziehen („Ich will einen großen Fernseher“ oder „Ich möchte ein besonders bequemes Bett“). Es geht einzig und alleine um die Frage, was Ihnen persönlich guttun würde. Was können die Angestellten des Klinikums tun, damit es Ihnen in dieser Ausnahmesituation besser geht und Sie sich gut aufgehoben fühlen?
Welches Verhalten tut mir gut? Was wünsche ich mir?
Mediziner bemängeln häufig, dass Patienten und Angehörige völlig überzogene Vorstellungen davon haben, mit welchen Leistungen sie während eines Klinikaufenthaltes rechnen können. Die Erwartungen werden als übertrieben, realitätsfern und stressfördernd empfunden. Wenn ich allerdings Seminarteilnehmern aus dem Gesundheitswesen das oben beschriebene Szenario vorstelle, werden immer die gleichen Punkte genannt:6
1. Freundlichkeit
2. Empathie & Verständnis
3. Ernstgenommen werden
4. Hilfsbereitschaft
5. Zeit nehmen/Ruhe ausstrahlen
6. Klare Aussagen
7. Verbindlichkeit
8. Informationen (Abläufe, Räumlichkeiten, Ansprechpartner, Wartezeiten)
9. Ehrlichkeit
10. Diskretion
11. Interesse an der Person
12. Zuhören
13. Transparenz
14. Verständlichkeit
15. Kompetenz/Gute Behandlung
16. Gute, freundliche Arbeitsatmosphäre
Die aufgeführten Punkte verdeutlichen, dass die eigene Anspruchshaltung ebenfalls sehr hoch ist. Die Antworten decken sich mit verschiedenen Studien zu den Einflussfaktoren auf die Patientenzufriedenheit in Krankenhäusern7, ohne dabei Anspruch auf Vollständigkeit zu haben. Auf der vorherigen Seite haben Sie die Aspekte aufgezählt, die Ihnen persönlich wichtig sind. Sind diese deckungsgleich mit der o.g. Liste? Mit Sicherheit gibt es einige Überschneidungen, doch woher kommt das?
Wenn man den „Ottonormalverbraucher“ unmittelbar nach einem Krankenhausaufenthalt dazu befragt, wie er die Qualität des Aufenthaltes beurteilt, werden die folgenden drei Kriterien zumeist als Erstes genannt: Die dritthäufigste Antwort auf die Frage lautet „Die Zimmer waren sauber oder dreckig“, also der Hygieneaspekt. Die zweithäufigste Antwort lautet „Das Essen war gut oder schlecht“, und das, obwohl es um die Bewertung eines Krankenhauses und nicht eines Restaurantbesuches geht. Die Bedeutung des Essens für die Patientenzufriedenheit nimmt allerdings bereits einige Tage nach dem Krankenhausaufenthalt stark ab. Aus diesem Grund schicken die Krankenkassen ihren Kunden die Fragebögen zur Beurteilung des Krankenhausaufenthaltes auch erst nach drei bis vier Wochen zu.
Die absolute Topantwort auf die Frage, wie es dem Patienten in dem Krankenhaus gefallen hat, lautet jedoch „Das Personal war freundlich oder unfreundlich.“ Dieser Punkt wird auch bei der Arbeit mit Seminargruppen zu der Eingangsfrage (Welches Verhalten tut mir gut?) fast immer als Erstes genannt. Hierfür gibt es eine relativ banale Erklärung.
Nehmen wir wieder an, Sie sind Patient in einem Krankenhaus. In dieser Situation gehen Sie mit hoher Wahrscheinlichkeit davon aus, dass es Ihnen bei der Entlassung etwas besser geht als vorher, oder? Das gilt natürlich nicht bei einer unheilbaren Diagnose. Betrachten wir stattdessen das vereinfachte Beispiel eines gebrochenen Arms. Sie bekommen einen Gipsverband und ggf. ein Schmerzmittel, sodass es Ihnen beim Verlassen des Krankenhauses wieder ein wenig besser geht. Wenn wir diesen Gedanken weiterspinnen, bedeutet das zugleich, dass die medizinische Versorgung in einer Klinik die absolute Minimalleistung darstellt. Patienten gehen ohnehin davon aus, dass ihnen medizinisch geholfen wird. Folglich können die Angestellten eines Klinikums an dieser Stelle gar keine „Pokale gewinnen“. Patienten erachten diese Leistung als selbstverständlich. Aus diesem Grund wird auch bei der Eingangsfrage (Was tut mir gut?) der Aspekt einer guten Behandlung bzw. Kompetenz in der Regel nachrangig – teilweise sogar gar nicht – genannt. Hohe medizinische Standards, effektive Therapien und medizinisches Fachwissen werden heute in jedem Krankenhaus vorausgesetzt. Doch inwiefern können Patienten die medizinische Versorgung objektiv beurteilen?
Patienten sind dazu kaum in der Lage, da sie in den meisten Fällen Laien auf diesem Gebiet sind. Sie verfügen über keinerlei oder nur sehr geringe Fachexpertise. Woher sollte ein Patient beispielsweise wissen, ob sein Röntgenbild aus Klinik A besser und genauer ist als die Röntgenaufnahme aus Klinik B? Ein Patient kann den radiologischen Scan in Bezug auf seine Qualität nicht beurteilen – er hat keine Ahnung davon. Patienten können den medizinischen Wert einer Behandlung oft nicht beurteilen, „behandelt“ fühlt sich dagegen jeder. Da es für Patienten maßgeblich ist, ob sie sich in einer Klinik gut betreut und versorgt fühlen, machen sie Qualitätsunterschiede an anderen Dingen fest. Hierbei spielt die Form der Kommunikation eine entscheidende Rolle. Durch eine bedachte Wortwahl bzw. dieKraft der Sprache kann man starken Einfluss darauf nehmen, wie Patienten den Aufenthalt in einem Krankenhaus erleben. Trotz aller wissenschaftlichen und technischen Möglichkeiten, die Medizinern heute zur Verfügung stehen, gilt Kommunikation noch immer als das A und O des klinischen Prozesses zur Diagnose, Behandlung und pflegerischen Versorgung von Patienten. Die Zufriedenheit von Patienten mit der Behandlung durch Ärzte und Pflegekräfte hängt sehr stark von der Qualität der Kommunikation ab, die zwischen ihnen abläuft. Untersuchungen zeigen eine stark ausgeprägte Zufriedenheit bei Patienten im Zusammenhang mit (1) freundlichem Verhalten von Medizinern gegenüber den Patienten, mit (2) Einfühlungsvermögen, mit (3) der Klärung und Zusammenfassung von erhaltenen Informationen sowie (4) der Weitergabe von Informationen an Patienten in einer ihnen verständlichen Sprache.8 Einer der wesentlichen Hilfsparameter zur Beurteilung eines Krankenhaues ist folglich die wahrgenommene Freundlichkeit des Klinikpersonals. (Überprüfen Sie an dieser Stelle noch einmal Ihre eigene Liste, ob und an welcher Stelle Freundlichkeit und Kompetenz bei Ihnen auftauchen.)
Dieses Gedankenspiel lässt sich auf viele andere Alltagssituationen, wie beispielsweise die einer Autoreparatur übertragen. Wenn wir unser Auto im Schadensfall oder für eine Inspektion zur Werkstatt bringen, gehen wir davon aus, dass das Fahrzeug im Anschluss daran wieder einwandfrei fährt. Im Krankenhaus gehen wir davon aus, dass eine gesundheitliche Verbesserung eintritt. Hier besteht also eine gewisse Parallele. Stellen Sie sich nun folgendes Szenario vor: Sie bringen Ihr Auto in eine Werkstatt und bekommen es nach einem halben Tag mit dem Ergebnis zurück, dass der Wagen wieder 1A fährt. Der Servicemitarbeiter in der Werkstatt ist bei der Schlüsselübergabe allerdings extrem unfreundlich und gibt Ihnen das Gefühl, nicht willkommen zu sein. Er signalisiert durch sein Verhalten, dass Sie stören. Würden Sie Ihr Auto beim nächsten Mal wieder dorthin bringen? Die meisten Menschen beantworten diese Frage mit einem klaren Nein. Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig ein freundliches Auftreten ist. Die eigentliche Leistung, also die Reparatur des Autos, wird tadellos erbracht. Wenn der Mitarbeiter der Werkstatt jedoch als unfreundlich empfunden wird, kann es durchaus passieren, dass der Kunde beim nächsten Mal zur Konkurrenz wechselt. Das gleiche Prinzip kann auf die Arbeit im Krankenhaus übertragen werden. Ein Patient erhält aus medizinischer Sicht die bestmögliche Versorgung, die man sich überhaupt vorstellen kann. Wenn dieser Patient die Angestellten des Krankenhauses jedoch als unfreundlich empfunden hat, besteht die Gefahr, dass er trotz einer guten Behandlung direkt im Anschluss an seinen Krankenhausaufenthalt auf sozialen Medien wie Facebook oder Google ein negatives Feedback hinterlässt und sich beim nächsten Mal für eine andere Klinik entscheidet.
6 Grundlage hierfür ist die Arbeit mit über 500 Seminargruppen.
7 Vgl. Stahl & Nadj-Kittler (2016), vgl. Wachholz (2020)
8 Vgl. Comstock et al. (1982), vgl. Korsch & Negrete (1972)
3 Einfache Worte, große Wirkung – Die Kraft der Sprache
„Auch eine schwere Tür hat nur einen kleinen Schlüssel nötig.“
(Charles Dickens)
Ein freundlicher Umgang mit Patienten, Angehörigen und auch in der Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen ist sehr wichtig. Dieser Punkt wird im Folgenden, insbesondere unter kommunikationspsychologischen Aspekten, genauer betrachtet. Wenn wir uns die Kraft der Sprache zunutze machen, können wir die Wahrnehmung von Patienten und Angehörigen in Bezug auf diesen Punkt positiv beeinflussen. Einfache Kommunikationstechniken und eine bedachte Wortwahl können dabei helfen, als freundlich, höflich und zuvorkommend wahrgenommen zu werden. Gezielte Formulierungen erhöhen die Motivation und Kooperationsbereitschaft der angesprochenen Person, sodass für alle Beteiligten eine bessere Atmosphäre entsteht. Gleichzeitig können Konflikte entschärft und sogar vermieden werden. Auf der anderen Seite gibt es Worte oder Sätze, die genau das Gegenteil bewirken. Unser Gegenüber hält uns für unverschämt und grob. Er empfindet uns als distanzlos und übergriffig. Solche Formulierungen wirken demotivierend, führen zu Streitigkeiten und verursachen Stress für beide Seiten.
3.1 „Sie müssen zum Röntgen“
Sie müssen jetzt sehr aufmerksam sein. Außerdem müssen Sie konzentriert weiterlesen. Anschließend müssen Sie eine Übung machen…
Was haben diese Sätze gerade bei Ihnen ausgelöst? Gibt es etwas, das aus Ihrer Sicht an diesen Formulierungen nicht in Ordnung ist? Haben Sie unter Umständen inneren Widerstand verspürt?
Wenn ich einen Seminarteilnehmer direkt anspreche und sage, er müsse jetzt nach vorne kommen, erlebe ich immer wieder das gleiche Reaktionsmuster. Die angesprochene Person verdreht die Augen, bleibt zögerlich sitzen und verschränkt im Extremfall sogar die Arme und antwortet: „Ich muss gar nichts! Sie haben vorhin gesagt, dass hier alles freiwillig ist.“
Dahinter verbirgt sich ein einfaches und dennoch nicht ganz triviales Prinzip. Menschen mögen es nicht, wenn sie gesagt bekommen, dass sie etwas tun müssen. Die Aussage „Sie müssen jetzt …“ ist ein Befehl und impliziert, dass die angesprochene Person auch dazu gezwungen werden kann, sofern sie nicht reagiert bzw. kooperiert. In diesem Zusammenhang wurde in einem Krankenhaus ein sehr spannendes Experiment durchgeführt. Die Pflegekräfte des Klinikums sind in die Patientenzimmer gegangen und haben vorgegeben, Patienten zu einer Untersuchung abholen zu wollen. Dabei wurden typische Formulierungen wie „Sie müssen jetzt zum Röntgen“ oder „Sie müssen zur Therapie“ verwendet. Was glauben Sie, waren typische Reaktionen der Patienten auf diese Aufforderung?
Eine Vielzahl der Patienten reagierte intuitiv mit Widerstand: „Ich muss erst noch auf Toilette“ oder „Ich muss noch zu Ende essen“. Die Patienten stellten zuerst ihre Autonomie unter Beweis. Sie machten „ihr eigenes Ding zu Ende“ bevor sie bereit waren, der Aufforderung zum Mitkommen nachzukommen. Außerdem erkundigten sich die Patienten regelmäßig, warum dies ausgerechnet jetzt passieren müsse.
Mithilfe von Stoppuhren wurde die Reaktionszeit der Patienten festgehalten, also die Zeit von der Aufforderung bis hin zu dem Zeitpunkt, wo sie zum Mitkommen bereit waren. Die durchschnittliche Reaktionszeit lag bei einer Minute und 16 Sekunden. So weit so gut. Alleine betrachtet ist dieses Ergebnis nichts Besonderes. In der Folgewoche wurde bei dem Versuch jedoch eine kleine Änderung vorgenommen. Die Pflegekräfte wurden darum gebeten, bei der Abholung der Patienten auf das Wort müssen zu verzichten. Bitte stellen Sie sich für einen kurzen Moment vor, dass es Ihre Aufgabe ist, einen Patienten zu einer Röntgenuntersuchung abzuholen, ohne dieses Wort zu verwenden. Wie würden Sie das formulieren? Bitte schreiben Sie zwei mögliche Alternativen auf, bevor Sie umblättern.
1.
2.
Mögliche Formulierungen lauten:
- Bitte kommen Sie jetzt zum Röntgen.
- Ich hole Sie zum Röntgen ab.
- Die Röntgenabteilung hat angerufen. Sie können jetzt kommen.
- Sie haben jetzt einen Termin beim Röntgen. Die warten schon auf Sie…
- Sie dürfen jetzt zum Röntgen.
- Sie können jetzt zum Röntgen.
- Würden Sie jetzt zum Röntgen mitkommen?
- Könnten Sie jetzt mitkommen?
- Wären Sie so freundlich und …?
Finden sich Ihre Antworten hier wieder? Es wird schnell deutlich, dass es eine große Bandbreite möglicher Alternativen gibt. Um die Vergleichbarkeit in dem Experiment gewährleisten zu können, einigten sich die Pflegekräfte darauf, die Patienten mit der ersten Alternative abzuholen („Bitte kommen Sie jetzt zum Röntgen“). Glauben Sie, dass es hierdurch eine Veränderung in der Reaktionszeit der Patienten gab?
Die Ergebnisse sind sehr beeindruckend. Die Patienten reagierten durchschnittlich schon nach 28 Sekunden, also nahezu dreimal schneller! Die neue Formulierung hat dabei zwei Effekte:
1. Es klingt schlichtweg freundlicher, wenn wir einen Patienten darum bitten mitzukommen, anstatt ihm einen Befehl zu erteilen.
2. Es beschleunigt Prozesse und erleichtert die Arbeit, da es nicht mehr so schnell zu unnötigen Diskussionen kommt.
In den vorgestellten Alternativen stecken allerdings noch weitere Stolperfallen, die es zu berücksichtigen gilt. Einige der Alternativen sind deutlich zielführender als andere, wie Sie im Folgenden erkennen werden.
3.2 Klare Aussagen treffen & Weichmacher vermeiden
An dieser Stelle möchte ich auf einen Unterschied zwischen Männern und Frauen hinweisen, der häufig in Seminaren deutlich wird. Eine vielfach genannte Alternative zu „Sie müssen zum Röntgen“ lautet „Könnten Sie jetzt mitkommen?“ oder „Würden Sie jetzt zum Röntgen kommen?“. Vielleicht haben Sie diese Formulierung auch benutzt? Bei genauerer Betrachtung fällt auf, dass aus der Aufforderung plötzlich eine Frage wird.
Es wird Frauen häufig unterstellt, dass sie geschwätziger als Männer sind und mehr Wörter benötigen, um den gleichen Sachverhalt zu beschreiben. Das ist allerdings nur ein Klischee. Forschungsergebnisse deuten sogar auf das komplette Gegenteil hin. In Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass Männer je nach Kontext deutlich häufiger und länger reden.9 Frauen sprechen lediglich anders und haben eine Tendenz zur sog. indirekten Ansprache. Sie nutzen bis zu sechs Mal häufiger Wörter wie könnte, würde, sollte, eigentlich, vielleicht, eventuell10 und neigen eher dazu, Aufforderungen als Fragen zu formulieren.11 Männer verstehen Fragen jedoch häufig nur als Fragen. Das führt regelmäßig zu Diskussionen, aber nicht zur Umsetzung. Dieses Phänomen kennen die meisten sicherlich aus Ihrem Alltag. Hierzu ein einfaches Beispiel:
Sie:
„Schatz, kannst du mal den Müll rausbringen?“
Er (Variante 1):
„Nein, ich habe gerade keine Zeit.“
Er (Variante 2):
„Ja, kann ich.“ (Er tut es aber nicht)
Bei Variante zwei wird schlichtweg die Frage beantwortet. Natürlich kann er den Müll rausbringen. Das heißt aber noch lange nicht, dass er es auch tatsächlich tut. Die meisten Männer, mich eingeschlossen, kennen dieses Spielchen nur allzu gut. Wenn ich abends mit meiner Frau Marie vor dem Fernseher sitze und Lust auf Chips bekomme, frage ich sie: „Schatz, sind noch Chips da?“ Wissen Sie, was meine Frau jetzt macht? Sie steht auf und sagt: „Ich gehe mal gucken.“ Wenn sie mich allerdings 20 Minuten später fragt, ob wir noch Schokolade haben, antworte ich: „Keine Ahnung, du kannst ja mal nachschauen.“ Man könnte diese Antwort durchaus als machomäßig empfinden. Letztendlich beantworte ich jedoch einfach nur ihre Frage.12
Was bedeuten diese Überlegungen, übertragen auf die Arbeit im Krankenhaus? Angenommen, Sie fragen einen Patienten, ob er so nett ist, mal eben ein Formular auszufüllen. Die meisten werden dieser Bitte nachkommen. Es bleibt jedoch dieses große Fragezeichen: „Warum soll ich das jetzt ausfüllen? Benötigen Sie das auf der Stelle von mir? Oder kann ich Ihnen das auch später ausgefüllt wiedergeben?“ Es ist in unserer Kultur und in der Art miteinander zu sprechen ein Irrglaube, dass eine ganz besondere Form von Freundlichkeit darin bestünde, Aufforderungen in sog. Zuckerwatteformulierungen zu verpacken („Wären Sie so nett und könnten Sie vielleicht, wenn das mal irgendwie zwischendurch passt…“). In diesem Zusammenhang kommen weitere Faktoren zum Tragen. In der einschlägigen Literatur zur Kommunikationspsychologie wird darauf hingewiesen, dass ungefähr 58% des Gesagten ausschließlich über unsere Körpersprache transportiert wird. Weitere 34% werden durch die Mimik übertragen, wohingegen lediglich 8% über den tatsächlich ausgesprochenen Inhalt vermittelt wird.13 Stellen Sie sich zur Verdeutlichung einen Redner vor, der mit runterhängenden Schultern, betrübtem Blick und stark gedämpfter Stimme vor sein Publikum tritt und sagt: „Ich freue mich wirklich sehr darüber, hier zu sein.“ Würden Sie ihm das abkaufen? Mit hoher Wahrscheinlichkeit eher nicht. Er spricht zwar davon Spaß zu haben, jedoch schreiben wir seiner Mimik und Körperhaltung in dieser Situation mehr Bedeutung zu. Diese signalisiert das komplette Gegenteil. Es kommt also neben der richtigen Wortwahl auch immer auf die Art und Weise an, wie eine Aussage vermittelt wird
Für eine sinnvolle und effektive Kommunikation ist es entscheidend, dass alle drei Kommunikationskanäle (Körpersprache, Mimik, Inhalt) deckungsgleich sind. Freundlichkeit und Klarheit stehen dabei in keinem Widerspruch zueinander. Wir können anderen Menschen gegenüber klar und deutlich unsere Wünsche und Erwartungen äußern, ohne dabei unfreundlich oder gar forsch zu wirken. Und das untergräbt nicht unsere Autorität. Im Gegenteil – es unterstreicht sogar Souveränität. Eindeutige und klare Aussagen helfen gegenseitiges Verständnis aufzubauen. Formulieren Sie daher Aufforderungen nicht als Fragen, sondern als Bitten. Vermeiden Sie sog. Weichmacher in der Sprache. Beispiele hierfür sind:
könnte würde sollte mal
vielleicht eigentlich eventuell man
Weichmacher werden natürlich auch von Männern benutzt, allerdings lassen sie sich tendenziell eher bei Frauen beobachten. Es ist wichtig zu erkennen, dass man bei der Verwendung dieser Wörter jedes Mal ein Stück Klarheit einbüßt und Raum für Interpretationen öffnet. Dadurch können Missverständnisse und schwierige Situationen entstehen. Bezogen auf das Röntgenbeispiel könnte durch einen Weichmacher folgender Dialog entstehen:
Mediziner:
„Frau Fröhlich, würden Sie jetzt zum Röntgen kommen?“
Frau Fröhlich:
„Nein, jetzt gerade nicht.“
Mediziner:
„Aber Sie haben jetzt einen Termin.
Dort wird bereits auf Sie gewartet.“ (siehe Seite 28)
Frau Fröhlich:
„Warum fragen Sie mich denn dann überhaupt?!“
Merken Sie, wer jetzt gerade den Raum betreten hat? Der Konflikt!
Weichmacher sind immer dann problematisch, wenn sich die Frage nach JA oder NEIN bzw. A oder B gar nicht stellt. Die Röntgenabteilung hat ein vorgegebenes Zeitfenster für die Untersuchung. Der behandelnde Arzt wartet bereits auf die Untersuchungsergebnisse. Es spielt keine Rolle, ob der Patient Lust zum Mitkommen hat oder nicht. Wenn Sie möchten, dass er mitkommt, ist eine klare und unmissverständliche Ansprache zielführender. Suggerieren Sie keine Wahlmöglichkeiten, wenn es gar keine gibt.
Ein weiterer Klassiker in diesem Zusammenhang ist die Kommunikation am Telefon. Ein Angehöriger ruft auf Station an mit der Bitte, den Oberarzt sprechen zu dürfen. Daraufhin wird er gefragt, ob er in 15 Minuten noch einmal anrufen könne. Die Antwort lautet: „Nein, ich will den Arzt sofort sprechen!“ Diese unangenehme Situation wird umgangen, wenn wir dem Anrufer kurz erklären, dass der Arzt derzeit beschäftigt ist: „Bitte rufen Sie in 15 Minuten noch einmal an.“ Er wird dieser Aufforderung eher nachkommen, weil wir ihm gar keine Möglichkeit zur Verneinung einräumen. Wir öffnen keine Tür für Diskussionen.
Grundsätzlich ist es im Umgang mit Patienten und Angehörigen sehr hilfreich, wenn sie in Entscheidungsprozesse mit einbezogen und ihnen somit Wahlmöglichkeiten einräumt werden.14 Patienten erwarten sogar von Medizinern in Hinblick auf ihre Behandlung und Betreuung eine Beteiligung an Entscheidungsprozessen.15 Das ist jedoch nur dann sinnvoll, wenn das Gegenüber tatsächlich eine Wahlmöglichkeit hat. Ein einfaches Beispiel hierzu ist die Frage während der Menüerfassung, ob der Patient lieber Kartoffeln oder Reis essen möchte. Man kann diese Frage nur stellen, wenn man auch tatsächlich Reis und Kartoffeln im Angebot hat. Wenn man ihm beides anbieten kann (und möchte), ist die Frage legitim. Wenn sich die Frage nach JA oder NEIN bzw. A oder B aber eben nicht stellt, ist es besser eine Aufforderung als Bitte zu formulieren. Auf diese Weise können unangenehme Situationen wie in den nachfolgenden Erfahrungsberichten vermieden werden.
Bei der Gruppentherapie in einer Rehaklinik sollten sich die Patienten für eine Gymnastikübung im Raum verteilen. Ein Physiotherapeut wandte sich an einen Patienten und fragte ihn: „Könnten Sie noch ein bisschen rücken?“ Daraufhin antwortete dieser: „Nee, ich stehe hier gut.“ Hierdurch entstand für alle Beteiligten eine schwierige Situation. Der Patient hatte seinen Widerwillen bereits verbal zum Ausdruck gebracht. Versuchen Sie jetzt einmal, ihn vor den Augen der ganzen Gruppe davon zu überzeugen, seine Position zu wechseln. Ein Praxisanleiter der gleichen Rehaklinik war mit einem Pflegeschüler zum Blutabnehmen im Patientenzimmer. Der Schüler fragte den Patienten, ob er ihm Blut abnehmen dürfte. Der Patient verneinte die Frage, da er jeden Moment Besuch bekäme. Der Schüler war daraufhin irritiert und wollte eine Diskussion mit dem Patienten eingehen. Der Praxisanleiter intervenierte und verließ gemeinsam mit dem Schüler das Zimmer. Anschließend erklärte er ihm, dass die Reaktion des Patienten in der Art der Kommunikation begründet war. Schließlich habe er den Patienten soeben gefragt, ob er einverstanden sei. In diesem Fall ist es nicht verwunderlich, wenn ein Patient sein Einverständnis unter Umständen verweigert. Dementsprechend ist es ebenfalls unklug, Angehörige bei einer bevorstehenden Untersuchung zu fragen, ob sie vor der Tür warten können. Es kann schnell passieren, dass Angehörige auf diese Frage mit Unverständnis reagieren, da sie gerne im Zimmer bleiben möchten. Zur Vermeidung unnötiger Diskussionen ist es besser, Angehörige mit einer klaren Bitte aufzufordern, den Raum während der Untersuchung zu verlassen oder alternativ den Ablauf kurz zu erklären: „Nach der Untersuchung können Sie wieder reinkommen.“
Diese Überlegungen beschränken sich nicht nur auf die Arbeit im Krankenhaus. Bei der Vorbesprechung für eine Schulung saß ich gemeinsam mit einem Personalentwickler und dem Geschäftsführer in einem Besprechungsraum. Während wir noch ein wenig Small-Talk halten, bereitet eine junge Frau die Unterlagen vor und baut die Technik auf. Als sie fertig ist und sich beim Hinausgehen der Tür zuwendet, richtet der Geschäftsführer das Wort an sie und fragt: „Könnten Sie uns noch einen Kaffee machen?“, woraufhin sie lediglich antwortet: „Nein, das ist nicht meine Aufgabe.“ Auch in diesem Beispiel handelt es sich um ein klassisches Missverständnis. Hinter der Aussage des Geschäftsführers verbirgt sich in Wahrheit keine Frage, sondern ein Arbeitsauftrag (siehe Kapitel 5). Der Geschäftsführer wirkte aufgrund ihrer Antwort mindestens irritiert und war sichtlich verärgert über die Unverfrorenheit seiner Mitarbeiterin. Die junge Frau hingegen verstand die Frage lediglich als Frage und beantwortete sie nach bestem Wissen und Gewissen. Sie hat sich vermutlich nichts Böses dabei gedacht.
Bei der Vergabe von Arbeitsaufträgen sind Sätze wie: „Man sollte mal wieder …“ oder „Eigentlich wäre es gut, wenn …“ ebenfalls völlig diffus. Wer ist „man“? Außerdem stellt sich durch die Verwendung des Wortes „mal“ die Frage, zu welchem Zeitpunkt das Ganze überhaupt passieren soll. Durch diese Weichmacher wird sowohl die personelle Verantwortung als auch die zeitliche Komponente unklar kommuniziert. Das gleiche Prinzip kann auf viele Alltagssituationen übertragen werden. Der Ehemann sagt zur Ehefrau: „Schatz, eigentlich sollte man mal den Rasen mähen?!“ Es mögen die Diskussionen beginnen. Klare Aussagen führen hingegen zur Umsetzung und signalisieren dem Gesprächspartner unsere Wertschätzung. In einer Schulung vor ein paar Jahren fiel einer Teilnehmerin auf, dass sie Kollegen regelmäßig zum Mitkommen auffordert, indem sie fragt „Magst du vielleicht mal eben mitkommen?“ Sie gab mir die Rückmeldung, dass sich diese Formulierung anhöre, als spreche sie mit einem sechsjährigen Kind. Eine klare Kommunikation auf Augenhöhe sieht anders aus bzw. hört sich anders an.
Im Rahmen der Kindererziehung kommen diese Gedanken ebenfalls zum Tragen. Im Umgang mit unserem Sohn habe ich bei mir und meiner Frau ein neues, sehr interessantes Kommunikationsmuster festgestellt. Wer selbst Kinder hat, ist sich sicherlich der Tatsache bewusst, dass man mit dem Nachwuchs eine etwas andere Art des Sprechens entwickelt – Sie wissen, was ich meine?! Hierzu folgende Situation: Um 18 Uhr gibt es bei uns Abendessen. Zu dieser Zeit sitzt unser Sohn oft im Wohnzimmer und ist mit seinen Spielsachen beschäftigt. Es ist uns schon häufiger passiert, dass wir ihn gefragt haben, ob er jetzt zum Abendessen kommen möchte. Postwendend kam seine unmissverständliche Antwort: „Nein, ich will weiterspielen!“ Diese Situation ist ziemlich verrückt, da es überhaupt nicht die Entscheidungskompetenz unseres dreijährigen Kindes ist, ob um 18 Uhr gegessen wird oder nicht. Durch die Frageform machen wir es jedoch (unbewusst) zu seiner Entscheidung. Vergleichbare Situationen setzen sich im Verlauf des Größerwerdens natürlich fort, wenn unter anderem Fragen aufkommen wie: „Könntest du mal endlich dein Zimmer aufräumen?“ oder „Möchtest Du nicht mal langsam mit deinen Hausaufgaben anfangen?“ Durch diese Fragestellungen rennen wir als Eltern direkt in eine Sackgasse. Mittlerweile sind wir zumindest hinsichtlich des Essens dazu übergegangen unserem Kind einfach zu erklären: „Komm bitte, es gibt jetzt Essen.“
Praxistransfer
Klare Aussagen machen – Weichmacher vermeiden
Passiert es Ihnen, dass Sie Aufforderungen als Fragen formulieren?
„Würde es Ihnen (vielleicht) etwas ausmachen, morgen eventuell ein bisschen früher zu kommen?“
Vermeiden Sie folgende Weichmacher:
würde, könnte, sollte, man, eventuell, vielleicht, mal, eigentlich
Sagen Sie stattdessen, was Sie tatsächlich wollen. Dann werden Ihre Aufforderungen eher befolgt. Sie sparen Zeit und vermeiden Missverständnisse.
Menschen agieren häufig implizit, weich und zurückhaltend, weil man fälschlicherweise annimmt, dies sei besonders höflich. Es gilt jedoch immer: Der Ton macht die Musik. Insofern möchte ich noch einmal hervorheben, dass Freundlichkeit und Klarheit in keinem Widerspruch zueinander stehen. Das Motto lautet „Bitten statt Fragen“. Probieren Sie es aus, Aufforderungen als Bitten zu formulieren und sie werden an der Körpersprache Ihres Gegenübers merken, dass er sich deutlich entspannt. Klare Aussagen vermitteln Kompetenz und Selbstbewusstsein.
Das war jedoch nur der erste Streich, der zweite folgt sogleich. Es existieren noch weitere Möglichkeiten für mehr Motivation und Kooperationsbereitschaft. In vielen Kliniken erhalten Patienten beispielsweise zur Kennung ein Patientenarmband. Die Frage „Darf ich Ihnen das Armband anlegen?“ kann dazu führen, dass der Patient die Frage verneint. Eine bessere Methode besteht darin, ihm eine kurze Erklärung zu geben, welchen Zweck das Armband hat, um es anschließend einfach anzulegen. Neben der Vermeidung einer Frage steckt dahinter eine weitere, sehr wirkungsvolle Gesprächstechnik.
3.3 Wieso, weshalb, warum? Überzeugen statt Überreden
Angenommen, wir sind von der Frage „Könnten Sie morgen vielleicht ein bisschen früher kommen?“ abgerückt und formulieren stattdessen eine klare Bitte: „Bitte kommen Sie morgen pünktlich um acht Uhr.“ Diese Aussage ist zwar weniger missverständlich, aber noch nicht verbindlich genug.
Ein bekanntes Prinzip menschlichen Verhaltens besagt, dass wir bei der Bitte um einen Gefallen mehr Aussicht auf Erfolg haben, wenn wir unsere Bitte begründen.16 Wir möchten gerne einen Grund haben, für das, was wir tun. Diese wenig überraschende Tatsache demonstrierte die Psychologin Ellen Langer in einem sehr interessanten Experiment in der Bibliothek einer Universität.17 Eine Versuchsperson trat in die Warteschlage vor einem Kopiergerät. Sie sprach willkürlich eine der wartenden Personen in der Schlange vor ihr an und fragte: „Darf ich bitte vor?“
Die Beobachtungen zeigten, dass knapp 26% die Frage mit Ja beantworteten. In einer zweiten Versuchsbedingung am Folgetag wurde eine Kleinigkeit verändert. Die gleiche Versuchsperson ging wieder zu einer willkürlich ausgewählten Person in der Warteschlange. Dieses Mal fragte sie allerdings: „Darf ich bitte vor? Ich habe lediglich fünf Kopien.“ Sie lieferte also eine Begründung dafür, warum sie vorgelassen werden wollte. Glauben Sie, dass dies Auswirkungen auf das Verhalten der angesprochenen Personen hatte? Aber hallo. Die Versuchsperson wurde plötzlich in 60% der Fälle vorgelassen. In einem weiteren Versuch wurde die Begründung noch einmal verstärkt, indem zusätzlich gesagt wurde: „Entschuldigung, ich habe lediglich fünf Kopien. Lassen Sie mich bitte vor, weil ich es sehr eilig habe.“ Bei dieser Formulierung wurde die Versuchsperson sogar in 94% der Fälle vorgelassen! Dieses Ergebnis mag auf den ersten Blick wenig verwunderlich sein. Wenn ein anderer in Eile ist, steigt die Bereitschaft ihn vorzulassen. Zunächst scheint das der einzige Unterschied zwischen den beiden Szenarien zu sein. Dem ist aber nicht so. Der entscheidende Unterschied ist das Wörtchen weil.
Am Folgetag wurde der Versuch mit dem Kopiergerät ein viertes Mal mit einer weiteren Abänderung durchgeführt. Die Versuchsperson sagte diesmal: „Entschuldigung, können Sie mich bitte vorlassen, weil ich etwas kopieren möchte?“ Sie werden wahrscheinlich sofort denken, dass die Person in dieser Versuchsbedingung unter keinen Umständen vorgelassen wurde. Schließlich liefert diese Aussage keinen inhaltlichen Mehrwert, da alle Wartenden kopieren möchten.
Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass die Aussage „… weil ich etwas kopieren möchte“ nach wie vor eine Begründung darstellt. Im Endergebnis wurden bei dieser Formulierung weiterhin 93% vorgelassen. Dieser Befund zeigt, dass der Inhalt der Begründung – überspitzt formuliert – gar nicht so wichtig ist. Entscheidend ist in erster Linie, dass wir dem Anderen überhaupt eine Begründung liefern, da diese zumeist eine automatische Einwilligungsreaktion auslöst. Es kommt alleine auf das Wort weil an. Das ist der Begründungseffekt.18
Menschen lieben Begründungen. Es ist ein menschliches Bedürfnis, den Grund für einen Sachverhalt zu erfahren. Dies wird auch bei der Beobachtung von Kindern deutlich. Unser Wunsch nach Erklärungen entwickelt sich bereits im Kleinkindalter. Die aktuelle Lieblingsfrage unseres Sohnes lautet: „Warum ist das so?“
Praxistransfer
Warum denn nur? Überzeugen mithilfe von Begründungen
Wenn Sie Bitten/Aufforderungen begründen, ist es deutlich wahrscheinlicher, dass andere sie Ihnen auch erfüllen.
(93% statt 26% Zustimmung)
„Bitte unterschreiben Sie hier, damit ich Ihren Antrag fertigstellen kann.“
In Studien wird außerdem deutlich, dass der Inhalt der Begründung zweitrangig ist:
Am Kopierer: „Darf ich vor? Ich möchte kopieren.“
Ich möchte Sie an dieser Stelle gerne zu einem Selbstversuch einladen. Nehmen Sie sich bei Ihrem nächsten Einkauf eine Dose Cola. Gehen Sie anschließend zur Kasse und fragen Sie Ihren Vordermann, ob Sie vorbeigehen dürfen, weil Sie lediglich diesen einen Artikel haben. Ich verspreche Ihnen, dass Sie in mindestens neun von zehn Fällen vorgelassen werden.
Diese Forschungsergebnisse sind auf den ersten Blick schier unglaublich. Andererseits wird der soeben beschriebene Sachverhalt umso deutlicher, wenn wir die folgenden Alternativformulierungen zu dem Satz „Sie müssen zum Röntgen“ von Seite 28 noch einmal betrachten: „Die Röntgenabteilung hat angerufen. Sie können jetzt endlich kommen“ und „Sie haben jetzt einen Termin beim Röntgen. Die warten schon auf Sie.“ Beide Formulierungen werden in Schulungen regelmäßig von Seminarteilnehmern in den Raum geworfen, ohne dass diese von anderen Teilnehmern kommentiert, geschweige denn infrage gestellt werden. Ferner gehe ich davon aus, dass Sie diese Sätze beim Durchlesen ebenfalls als sinnvoll erachtet haben? Hätten Sie mich auch zum Röntgen abgeholt, wenn dort niemand auf mich wartet? Bei genauerer Betrachtung fällt auf, dass die Aussage „… Die warten schon auf Sie“ auf der inhaltlichen Ebene genauso unsinnig erscheint wie die Aussage „Ich möchte etwas kopieren.“ Der Clou besteht jedoch darin, dass durch den Zusatz „Die warten da auf Sie“ niemand mehr danach fragt, warum er jetzt abgeholt wird. In diesem Fall haben wir unserem Gegenüber das „Warum“ nämlich bereits geliefert.
An dieser Stelle wird nun ein Schuh daraus. Unsere Aufforderungen werden eher befolgt, wenn wir das Wort „müssen“ vermeiden und unsere Aufforderung als Bitte anstatt als Frage formulieren. Außerdem erhöhen wir die Kooperationsbereitschaft unseres Gegenübers, wenn wir zudem begründen, warum wir ein bestimmtes Verhalten von ihm erwarten („Sie müssen zum Röntgen“ versus „Bitte kommen Sie zum Röntgen. Sie haben dort jetzt einen Termin“).
Die Wirkungsweise von Begründungen lässt sich bei der Arbeit mit Seminargruppen ebenfalls sehr gut beobachten. Viele Schulungen beginnen mit der Bearbeitung einer bestimmten Fragestellung in Kleingruppen von drei bis vier Personen. In diesem Fall nehme ich die Aufteilung der Teilnehmer vor, indem ich sie abzähle. Diesen Vorgang leite ich in der Regel mit folgenden Worten ein:
„Ich zähle Sie jetzt ab und möchte Sie bitten, dass Sie sich Ihre Nummer merken, damit Sie gleich wissen, mit wem Sie in einer Gruppe sind.“
Vor einigen Jahren hatte ich noch eine andere Vorgehensweise. Ich leitete die Gruppenübung mit den Worten ein: „Ich zähle Sie jetzt mal ab.“ Anschließend zählte ich von eins bis drei. Jedes Mal mit dem gleichen Ergebnis:
Es ist Montagmorgen um zehn Uhr. Ich sitze mit zwölf erwachsenen Menschen in einem Seminarraum. Alle Teilnehmer sind hochgradig motiviert und wollen sich beteiligen. Mindestens ein bis zwei Teilnehmer erkundigten sich jedes Mal nach dem Abzählen noch einmal nach ihrer Nummer. Seitdem ich die Begründung hinzufüge („… damit Sie wissen …“), wird nicht mehr nachgefragt. Die Begründung führt zu mehr Transparenz über den Prozess der Gruppenbildung und erhöht die Verbindlichkeit meiner Aussage und damit auch die Aufmerksamkeit der Teilnehmer.
3.3.1 Begründungen können wie Küsse schmecken
In diesem Zusammenhang gibt es eine Königsdisziplin, die in den meisten Fällen ebenfalls anwendbar ist. Machen Sie nach Möglichkeit aus der Begründung ein Geschenk für Ihr Gegenüber. Diese Idee hört sich im ersten Moment vielleicht etwas merkwürdig an. Schauen wir daher noch einmal auf das Beispiel aus der Röntgenuntersuchung. Sie können den Patienten abholen, indem Sie beispielsweise sagen: „Bitte kommen Sie mit zum Röntgen, dann sind Sie für heute auch schon fertig.“ Hiermit wird der Vorteil für den Patienten hervorgehoben. Das erhöht noch einmal die Wahrscheinlichkeit, dass er schneller mitkommt. Es gilt natürlich zu beachten, diese Begründung nur dann zu benutzen, wenn sie inhaltlich tatsächlich der Wahrheit entspricht. Andernfalls ist dieses Vorgehen nicht zu empfehlen.
Ein sehr eingängiges Beispiel dazu findet sich in unserem Alltag: „Sie müssen noch hier unterschreiben.“ Dieser Satz wird in Deutschland sehr häufig angewandt und entspricht dem Klischee des klassischen Beamtendeutsch. Eine Alternative dazu besteht darin, den Privatpatienten (also Selbstzahler) aufzufordern: „Ich benötige hier noch eine Unterschrift, dann können wir den Antrag noch heute an die Krankenkasse verschicken.“ Hieraus kann der Patient schlussfolgern, dass er durch die zeitnahe Versendung des Antrags sein Geld schneller zurückerhält – es entsteht ein Vorteil für ihn.
Ein weit verbreitetes Problem in Krankenhäusern besteht darin, dass mehrere Angehörige gleichzeitig einen Patienten besuchen möchten. Insbesondere in Mehrbettzimmern fühlen sich andere Patienten dadurch gestört. Die daraus resultierenden Diskussionen kosten alle Beteiligten Zeit und Nerven. Ein Krankenhaus in Baden-Württemberg hat sich zur Lösung dieses Problems der Wirkungsmechanismen von Begründungen bedient. Am Eingang wurde ein gut sichtbares Schild mit folgender Aufschrift platziert:
Um die bestmögliche Genesung und ausreichend Ruhe für die Patienten zu gewährleisten, bitten wir Sie, Besuche auf maximal zwei Angehörige zur gleichen Zeit zu beschränken.
Dieser Ansatz ist sehr elegant. Zum einen wird das Geschenk bzw. der Vorteil einer Besucherbeschränkung deutlich – eine bessere Genesung. Zum anderen wird indirekt an das Selbstbild der Angehörigen appelliert. Eine Nichtbeachtung der Regel führt dazu, dass der Patient nicht so schnell gesund wird, wie er eigentlich könnte. Es wundert demzufolge nicht, dass diese Klinik seit dem Aufhängen des Schildes über deutlich weniger Beschwerden wegen zu hoher Besucherzahlen klagt. Es ist einleuchtend, dass kein Angehöriger dafür verantwortlich sein möchte, dass die eigene Mutter oder Schwester länger als notwendig stationär behandelt wird. Das Schild wird selbstverständlich nicht von allen Angehörigen wahrgenommen. Außerdem gibt es weiterhin eine kleine Minderheit, die mit Unverständnis reagiert und versucht, sich darüber hinwegzusetzen. Entscheidend ist jedoch, dass sich insgesamt eine Verbesserung der Situation eingestellt hat. Eine weitere Lösungsmöglichkeit hinsichtlich der Problematik zu vieler Besucher besteht im Übrigen darin, Patienten in einem guten Gesundheitszustand anzubieten, gemeinsam mit ihrem Besuch in die Cafeteria zu gehen. Bei schlechtem Gesundheitszustand können Sie erneut argumentieren, dass eine Aufteilung des Besuchs für eine bessere Genesung sinnvoll ist. Das funktioniert selbst bei Kulturen, wo alle zusammen da sein wollen. Es können schließlich alle gemeinsam zu Besuch kommen. Sie gehen nur eben nicht gleichzeitig, sondern abwechselnd in das Krankenzimmer.
Medizinern ist in aller Regel klar, zu welchem Zweck bestimmte Regeln bestehen bzw. warum gewisse Anordnungen oder Empfehlungen ausgesprochen werden. Man kann jedoch nicht davon ausgehen, dass Patienten und Angehörige diesbezüglich den gleichen Wissensstand haben. Aus diesem Grund sind Erklärungen sehr wichtig. Mithilfe expliziter Begründungen schaffen wir Transparenz und erhöhen damit die Patientenzufriedenheit. Außerdem wird unser Gegenüber kooperativer, wenn wir nicht gegen ihn („Sie dürfen jetzt nicht …“), sondern mit einer Begründung als Geschenk für etwas argumentieren („Wenn Sie diese Regelung einhalten, werden Sie die erste Nahrungsaufnahme besser vertragen“). In diesem Fall spüren Patienten Fürsorge statt Sanktionen. Und zu guter Letzt erhöht sich die Therapietreue. „Sie müssen jetzt die Tabletten einnehmen“ erzeugt Widerstand. Mithilfe der richtigen Wortwahl können wir stattdessen den Fokus auf die Genesung legen: „Wenn Sie die Tabletten jetzt einnehmen, entwickelndiese die beste Wirkung.“ Durch diese Erklärung versteht der Patient die Motivation hinter der Anordnung und kommt ihr schneller nach.
Praxistransfer
Warum denn nur? (Teil 2) Begründungen als „Geschenk“
Überlegen Sie, mit welchem Ziel für den Patienten Sie Anordnungen aussprechen.
Verdeutlichen Sie Patienten den Nutzen ihres Handelns:
✓ „Das hilft Ihnen …“
✓ „Damit verbessern Sie … “
✓ „Das erleichtert Ihnen … “
✓ „Damit können Sie schneller … “
✓ „Das bedeutet für Sie mehr … “
3.3.2 Unter Manipulationsverdacht: Wirken und Bewirken
Man könnte diese Gesprächstechnik als hochgradig manipulativ ansehen. Ist es ethisch vertretbar, anderen Menschen Versprechungen zu machen, damit wir schneller das bekommen, was wir uns von ihnen wünschen? Diese Frage kann klar bejaht werden.
Der Begriff einer Manipulation ist grundsätzlich negativ behaftet. Ich definiere Manipulation allerdings als „Zusammenspiel“ von Wirken und Bewirken. In diesem Sinn stellt jede Form der Kommunikation eine Manipulation dar. Losgelöst von Inhalt und Form des Gesagten üben wir mit unserer Sprache immer eine bestimmte Wirkung auf unseren Gesprächspartner aus. Diese Wirkung löst wiederum eine entsprechende Reaktion aus. Insofern „manipulieren“ wir das Gegenüber jedes Mal, sobald wir mit ihm in Interaktion treten. Die bisher angestellten Überlegungen dienen ausschließlich dazu, diese Interaktion für beide Seiten zu verbessern.
Darüber hinaus sind Wertschätzung, Offenheit und Ehrlichkeit elementare Bausteine für eine vertrauensvolle Beziehung zu Patienten und Angehörigen. Zur Verbesserung der Interaktion ist es essentiell, dass bei der Verwendung von Begründungen ausschließlich Versprechen gemacht bzw. Geschenke angeboten werden, die im Anschluss auch tatsächlich umgesetzt werden können. Denn: Vertrauen ist die Summe der eingehaltenen Versprechen.
Das Ziel der hier vorgestellten Techniken besteht darin, Beziehungen aufzubauen, die auf Offenheit und Einfühlsamkeit basieren, sodass sich über kurz oder lang die Bedürfnisse aller Beteiligten besser erfüllen lassen.19 Es geht nicht darum, Menschen und ihr Verhalten zu ändern, damit wir unseren Willen besser durchsetzen können. Losgelöst von diesen Punkten kommt das wichtigste Argument hierzu jedoch von Medizinern selbst. In einer Vielzahl von Erfahrungsberichten aus dem Klinikalltag wird immer wieder darauf hingewiesen, dass sich die Arbeit mit Patienten und Angehörigen durch mehr Transparenz und Verbindlichkeit erheblich verbessern lässt. Patienten und Angehörige sind grundsätzlich sehr daran interessiert, die Gründe für das weitere Vorgehen oder eine bestimmte Aufforderung zu erfahren. Es sei noch einmal darauf hingewiesen, dass eine Vielzahl der Patienten in dem Experiment auf die Aussage „Sie müssen zum Röntgen!“ mit der Frage „Warum?“ reagiert haben. Hier wird der Wunsch nach einer Begründung deutlich.
3.4 Gesetzmäßigkeiten der Physik – Druck erzeugt Gegendruck Oder: Was würde Till Eulenspiegel dazu sagen?
An dieser Stelle lade ich Sie zu einem kleinen Experiment ein. Sie benötigen hierfür lediglich eine zweite Person und ein wenig Platz. Stellen Sie sich gegenüber auf. Bitten Sie Ihren Partner den linken Arm auszustrecken und seine Hand im 90 Grad Winkel nach oben zu halten:
Kündigen Sie an, dass Sie gleich mit Ihrer Hand gegen die seine drücken werden. Anschließend beginnen Sie, mit Ihrer Hand zu drücken.
Beobachten Sie, wie Ihr Gegenüber reagiert. Ohne im Besitz einer Glaskugel zu sein vermute ich, dass er den Druck Ihrer Hand erwidert. Woher ich das weiß? In 99 von 100 Fällen passiert genau das im Seminar: Druck erzeugt Gegendruck. Diese Regel gilt nicht nur in der Physik, sondern auch in der Kommunikation. Wenn wir anderen Menschen sagen, dass sie etwas tun müssen, erzeugen wir Druck. „Ich muss gar nichts, außer sterben!“ entspricht dem Gegendruck. Dieser bezieht sich in den meisten Fällen nicht auf den Inhalt, sondern auf die Formulierung.
Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich an einem heißen Sommertag zu der Direktoriumssitzung eines Klinikums eingeladen war. Dort sollte ich das Konzept für eine Schulungsmaßnahme der Angestellten in der Telefonzentrale vorstellen. Ich kam eine Viertelstunde zu früh und traf aufgrund der hohen Außentemperaturen den Entschluss, schon einmal im klimatisierten Sekretariat der Geschäftsführung vorstellig zu werden. Als ich das Büro betrat, sagte die Sekretärin: „Sie sind zu früh. Da müssen Sie noch einen Moment Platz nehmen!“ Wie Sie sich sicher denken können, bin ich hochgradig sensibel in Bezug auf das Wort „müssen“. Folglich habe ich damals intuitiv beschlossen, das Ganze im wahrsten Sinne des Wortes „durch zu stehen“ und mich unter gar keinen Umständen hinzusetzen. „Ich lasse mich doch nicht wie ein kleiner Schuljunge auf die Bank setzen!“ Dieses Beispiel verdeutlicht, dass die Stolperfalle in der Formulierung liegt und nicht beim Inhalt. Die meisten Menschen empfinden es als deutlich angenehmer beim Warten zu sitzen. Ich gehöre ebenfalls dazu. Mir passte es nicht, dass ich befohlen bekam, mich hinzusetzen. Das muss ich nämlich nicht. Es ist meine freie Entscheidung.
Dieser Sachverhalt wurde bei einer Wiederholung des Experiments aus Kapitel 3.1 in einer Onkologie verdeutlicht. Hier wurde den Patienten mitgeteilt: „Sie müssen zur Therapie.“ Bei Menschen mit Krebsleiden geht man intuitiv davon aus, dass es relativ belanglos ist, wie sie zum Mitkommen aufgefordert werden, solange sie eine Aussicht auf Schmerzlinderung oder eine Verbesserung ihrer gesundheitlichen Situation haben. Hier kam man jedoch zu dem gleichen Ergebnis wie zuvor. Es dauerte fast dreimal länger, wenn den Patienten gesagt wurde, dass sie zur Therapie mitkommen müssen, als wenn sie stattdessen darum gebeten wurden. Die Formulierung war hier entscheidender als der Inhalt. In der nachfolgenden Tabelle sind Praxisbeispiele von Seminarteilnehmern aufgeführt. Hiermit können Sie Widerstand vermeiden und mehr Transparenz schaffen.
Befehlsformulierung „Sie müssen …“
Befehlsfrei + Begründung
Das müssen Sie mit der Ärztin besprechen.
Frau Dr. Fröhlich klärt das weitere Vorgehen mit Ihnen ab. Sie weiß dazu am besten Bescheid.
Sie dürfen jetzt nicht raus. Sie müssen noch einen Moment Platz nehmen.
Bitte nehmen Sie Platz. Sie haben kurzfristig einen Termin bekommen.