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Eine Spurensuche im Archiv des Arolsen Archivs über den Luftangriff am 15. Februar 1944 auf das Berliner Hotel Bristol und den dabei verstorbenen und verletzten ausländischen Angestellten und Hotelgästen mit Informationen über den Einsatz ausländischer Angestellter und Zwangsarbeiter in der Hotelbetriebs AG und aus der Akte des sogenannten Hauptamtes für Kriegssachschäden über das Hotel Bristol aus dem Landesarchiv Berlin.
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Seitenzahl: 92
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Dieses Buch wäre ohne die großartige Unterstützung von Celeste Krüger nicht möglich gewesen. Ich möchte mich auch bei den anderen Personen bedanken, welche mir bei den Recherchen und im Lektorat geholfen haben.
Vorwort
Abkürzungen
Kapitel I Ermittlungen der Berliner Kriminalpolizei
Kapitel II Arbeitsamt Berlin
Kapitel III Krankenakte von Marc Villot
Kapitel IV Nachforschungen in der Nachkriegszeit
Kapitel V Hotelbetriebs AG
Kapitel VI Hauptamt für Kriegssachschäden
Zusammenfassung
Anhang
Personenregister
Bildernachweis
Im Rahmen meiner Nachforschungen zur Zwangsarbeit in der Region Berlin-Brandenburg bin ich in der frei zugänglichen digitalen Archivdatenbank des Arolsen Archivs auf einen interessanten Aktenbestand der Berliner Kriminalpolizei gestoßen. Darin sind Vorgänge überliefert, die bei Luftangriffen auf die ehemalige Reichshauptstadt verstorbene ausländische Personen, überwiegend Zwangsarbeiter, betreffen. Mehrere Unterlagen beschäftigen sich dabei mit den Opfern des Luftangriffs auf das damals berühmte Luxushotel Bristol Unter den Linden am 15. Februar 1944. Ich begann daraufhin eine Spurensuche durch die großen digitalisierten Aktenberge in Arolsen. In diesem Buch präsentiere ich die Ergebnisse meiner Recherche und setze die gefundenen Informationen zusammen, um dem Leser einen Einblick in die Geschehnisse vom 15. Februar 1944 und nähere Auskünfte über die dabei verstorbenen oder verletzten ausländischen Personen zu geben. Zudem konnten verschiedene Informationen über den Einsatz ausländischer Personen im Bristol und anderen Geschäften des Besitzers, der Hotelbetriebs AG, ermittelt und hier zusammengestellt werden. Eine Akte über den Luftangriff auf das Bristol vom sogenannten „Hauptamt zur Kriegssachschädenbeseitigung“ aus dem Landesarchiv Berlin bildet den Abschluss dieser Spurensuche und setzt die im Arolsen Archiv zusammengetragenen Informationen in einen kohärenten Gesamtkontext.
Das Luxushotel Bristol befand sich Unter den Linden 63-65 in eine der bekanntesten Straßen Berlins. Es wurde zwischen 1890 und 1891 erbaut und 1904 durch die Hotelbetriebs AG erworben. In den darauffolgenden Jahrzehnten wurde das Hotel eine namhafte Unterkunftsmöglichkeit in Berlins prachtvoller Stadtmitte. Es war ausgestattet mit hunderten Salons, Schlaf- und Badezimmern, einem Restaurant, einer Bar, Gärten und einer Hauskapelle. Nach zwei Luftangriffen 1943 wurden Teile des Gebäudes schwer beschädigt, aber erst der Luftangriff am 15. Februar 1944 zerstörte das Hotel vollständig und endgültig. Die ausgebrannte Ruine wurde nach Kriegsende abgetragen und ein neues Gebäude errichtet, heute die Botschaft der Russischen Föderation.
Dieses Buch beschäftigt sich hauptsächlich mit dem Luftangriff am 15. Februar 1944 auf das Hotel Bristol, den dabei verstorbenen oder verletzten ausländischen Angestellten und teilweise auch Hotelgästen, dem Einsatz ausländischer Vertragsarbeiter und Zwangsarbeiter in der Hotelbetriebs AG und den Ermittlungen der Berliner Kripo und des Arbeitsamtes Berlin zu den verstorbenen ausländischen Angestellten. Auf die dafür genutzten Quellen wird in den einzelnen Kapiteln genauer eingegangen. Ein Fazit fasst die ermittelten Informationen noch einmal zusammen. Ein Namensverzeichnis ermöglicht es, Informationen zu bestimmten Personen direkt nachzuschlagen.
Warum beschränkt sich diese Publikation auf eine Spurensuche im Arolsen Archiv? Die Bestände dieses Archivs sind fast vollständig digitalisiert und der Öffentlichkeit frei zugänglich, so dass dem Leser ein schneller, unkomplizierter und insbesondere orts- und zeitunabhängiger Zugriff auf die ermittelten Unterlagen ermöglicht wird; dies ist in regulären Archiveinrichtungen nur stark eingeschränkt oder überhaupt nicht möglich. Das Arolsen Archiv ist keine Archiveinrichtung im üblichen Sinne und viele der darin befindlichen Dokumente wurden noch nicht von der Geschichtsforschung erforscht und ausgewertet. Dieses Buch versteht sich als eine Möglichkeit, die verschiedenen, in den Unterlagen des Arolsen Archivs noch unentdeckten Geschichten zu erzählen und als ein erster dokumentarischer Annäherungsversuch an die Geschichte des Hotels Bristol und den Einsatz ausländischer Arbeiter und Zwangsarbeiter in der Hotelbetriebs AG. Für Angehörige der Opfer und deren Nachfahren, historisch interessierte Personen sowie die allgemeine Geschichtswissenschaft soll ein Anreiz geschaffen werden, sich weiter mit den Überlieferungen im Arolsen Archiv auseinanderzusetzen.
Die Kripoakten im Arolsen Archiv sind kompliziert zu nutzen, weswegen hier für Personen mit einem Interesse an diesem Bestand kurz darauf eingegangen wird. In der digitalen Archivdatenbank befinden sich die Akten im Unterbestand „Dokumente ohne zugeordnete Signatur“ des Bestandes „2.1.5.1. Listen von Angehörigen der Vereinten Nationen, anderer Ausländer, deutscher Jüdinnen und Juden und Staatenloser, Berlin“. In diesem Unterbestand liegt zum aktuellen Zeitpunkt eine sehr große Anzahl unsortierter Digitalisate vor, unterteilt in nummerierte „Teile“. Zum Veröffentlichungszeitpunkt befanden sich die ermittelten Kripoakten vollständig im „Teil 129: Ordner 0127“. Dieser Teil besteht aus 137 Digitalisaten, dabei wurden teilweise mehrere Dokumente zu einem einzelnen Digitalisat zusammengeführt. Dieses Konvolut besteht nicht aus typischen Akten der Kripo, sondern beinhaltet die lückenhaften Ermittlungsunterlagen der „Kriminalinspektion Mitte I“ zu Ausländern, die infolge von Luftangriffen während des Zweiten Weltkrieges verstarben. Die Vorgänge enthalten beispielsweise Beerdigungsscheine, Leichenberichte, Schriftverkehr mit Berliner Standesämtern, Ermittlungsberichte, Zeugenaussagen, Aktenvermerke oder Telegramme. Wie diese Unterlagen in das Arolsen Archiv gelangten, konnte nicht rekonstruiert werden. Auch in welchem Verhältnis diese Dokumente mit den Akten der Berliner Kriminalpolizei im Landesarchiv Berlin stehen oder ob sich dort die fehlenden Unterlagen und weitere Vorgänge zu ausländischen Opfern der Luftangriffe befinden, konnte nicht eindeutig geklärt werden.
ITS
International Tracing Service (Internationaler Suchdienst)
LAB
Landesarchiv Berlin
Gestapo
Geheime Staatspolizei
RM
Reichsmark (Geldwährung)
Nach dem Luftangriff auf das Hotel Bristol begann die Staatliche Kriminalpolizeiinspektion Mitte I mit den Ermittlungen zu den verstorbenen ausländischen Angestellten. Die Lage war zuerst chaotisch. Nachdem das Bristol getroffen wurde, verursachten die Bomben einen Brand, der die gesamten noch vorhandenen Gebäudeteile endgültig zerstörte und die Bergungsarbeiten weiter erschwerte. In den darauffolgenden Wochen konnten die Leichen mit nur zwei Ausnahmen geborgen werden, weswegen sich die polizeilichen Untersuchungen hauptsächlich auf die zwei vermissten Personen konzentrierten. Für die übrigen ausländischen Angestellten und Hotelgäste wurden die notwendigen Formalitäten, insbesondere die Ausstellung von Beerdigungsscheinen und Leichenberichten, und die Nachlassverwaltung geregelt. Die meisten Leichen konnten am 16. Februar geborgen werden. Bergungsarbeiten begannen an diesem Tag spätestens um 1:00 Uhr morgens, also nur wenige Stunden nach dem Luftangriff. Zur schnellen Identifizierung, sehr wahrscheinlich aber primär zur Unterstützung der Bergungsarbeiten, waren Angestellte des Hotels anwesend. Die Leichenidentifizierung übernahm in den ersten Tagen hauptsächlich der Personalchef des Hotels Herr Rochow, manchmal in Begleitung vom Betriebsobmann Page. Nachlässe wurden gesichert, die Vorgänge protokolliert und die Leichen entweder in einem Leichenhaus vorübergehend untergebracht oder direkt zur Beerdigung zum Friedhof transportiert. Die Beerdigungsscheine für die Leichenfunde am 16. Februar wurden zwischen dem 17. und 22. Februar ausgestellt, die Leichenberichte zwischen dem 16. und 21. Februar. Weitere Bergungen wurden in den darauffolgenden Tagen durchgeführt, verwaltet und bescheinigt. Die letzte dokumentierte Leichenbergung eines ausländischen Opfers erfolgte am 22. Februar, die Identifizierung des Verstorbenen übernahm der Empfangschef des Bristols Herr Steinbrecher. Nachdem die Verwaltungsarbeiten erledigt waren, erhielten entweder andere Behörden oder Verwandte, in den meisten Fällen aber der Personalchef des Hotels die ausgefüllten Toten- und Beerdigungsscheine.
Einer der Vermissten war Hans Behrendt, der als „Kellnerlehrling“ im Bristol eingesetzt wurde. Behrendt lebte zuletzt bei seiner Mutter in der Koloniestraße. Es ist unklar, ob er ein ausländischer oder deutscher Angestellter war. Sein Tod konnte schnell zweifelsfrei festgestellt werden trotz fehlender sterblicher Überreste, die Ermittlungsunterlagen sind aber nicht mehr vorhanden. Behrendt wird hier nicht weiter erwähnt, da keine Belege vorliegen, dass es sich um einen ausländischen Hotelangestellten handelte.
Zum Fall des zweiten Vermissten Karl Krejči existieren deutlich mehr Informationen. Wie Behrendt wurde er als vermisst gemeldet, nachdem seine Leiche nicht gefunden werden konnte, eine offizielle Vermisstenanzeige wurde zunächst nicht veröffentlicht. Der Betriebsobmann vom Bristol, Herr Paaschen, äußerte gegenüber der Berliner Kriminalpolizei die Meinung, dass Krejči das Chaos ausnutzte, um sich illegalerweise in die Heimat abzusetzen. Daraufhin wurden entsprechende Ermittlungen im Oktober 1944 eingeleitet.1 Am 12. Oktober wurde die Kriminalpolizeistelle in Prag angeschrieben, sie solle prüfen, ob sich Krejči in seinem Zuhause oder anderswo in seiner Heimatstadt Prag befinde. Andernfalls sollte mit einem Verwandten eine ordnungsgemäße Vermisstenanzeige aufgegeben werden. In seiner Wohnung, wo die Mutter lebte, erwartete die Polizei eine Überraschung. Die Mutter hatte Monate zuvor am 24. Februar einen Brief der Hoteldirektion erhalten, worin der Tod von Krejči gemeldet wurde. Sein Arbeitskollege im Bristol, der Kellner Syrovy, erschien wenige Tage später, um der Mutter den Todesfall persönlich mitzuteilen. Er erzählte, dass nur wenige aus dem Luftschutzraum gerettet werden konnten, weil sie das Glück hatten, in einer bestimmten Ecke zu stehen, als der Raum einstürzte. Ein Überleben von Krejči schloss Syrovy damals aus. Die Prager Kripo leitete die Informationen an die Berliner Kollegen weiter und verzichtete auf die Vermisstenanzeige. Wenig später, am 31. Oktober, meldete sich die Berliner Kriminalpolizei wieder in Prag und bat erneut um eine Vermisstenanzeige. Sie sei als „Ermittlungsunterlage“ notwendig. Zudem sollte der Kellner Syrovy offiziell von der Kripo Prag befragt werden, weil er sich laut der Berliner Polizei vorliegenden Informationen im November wieder in Prag befinden sollte. Die Prager Polizei bekam den Brief am 6. November.2 In Berlin erhielt man als Antwort auf die gebetene Zeugenaussage am 27. November eine Absage, da eine Ermittlung von Syrovys Standortes mit dem polizeilichen Melderegister wegen der Häufigkeit dieses Nachnamens in Prag nicht möglich sei. Die Prager Kollegen empfahlen, sich stattdessen an das Hotel Bristol zu wenden.3
Während lokale Nachforschungen in Prag durchgeführt wurden, hatte die Berliner Kriminalpolizei in Berlin die Augenzeugen befragt. Die Protokolle sind vollständig überliefert. Der Koch Ernst Paschen erklärte am 30. Oktober 1944:
Zur Zeit des Bombenangriffs auf das Hotel Bristol, am 15.2.44, abends zwischen 21 und 22 Uhr, befand ich mich als Truppführer des erweiterten Selbstschutzes im Hotel Bristol.
Anwesend war zu dieser Zeit auch der Protektoratsangehörige, Koch Karl Krejer [Anm. d. Verf.: Karl Krejči]. Er hatte mit mir zusammen Luftschutzwache. Ich gab die Anweisung, dass sich die Wache in dem ostseitigen Kellerflügel aufzuhalten habe, der als unbedingt sicher angesehen wurde. Dort hielt sich Krejer auch auf. In diesem Kellerflügel kamen beim Bombeneinschlag 45 Menschen ums Leben, darunter wahrscheinlich auch Krejer.
Wenn seine Leiche bei den sofort aufgenommenen Bergungsarbeiten nicht gefunden wurde, so wohl nur deshalb, weil er durch die Wirkung des Bombeneinschlages zerrissen worden ist. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass sich seine Leiche noch unter den Trümmern befindet, obwohl die Bergungsarbeiten 5 Wochen lang durchgeführt wurden.
Ich nehme keinesfalls an, dass sich Krejer unberechtigt von seiner Arbeitsstelle entfernt hat, da er einer der verlässlichsten Angestellten war.
Nach meiner festen Überzeugung ist Krejer tot und bei dem Luftangriff ums Leben gekommen.
Wo sich der Kellner Syrovy z. Zt. aufhält, ist mir nicht bekannt, doch nehme ich an, dass er in Prag ist.
Ich mache aber den Luftschutzleiter Peter Strellner namhaft, der zu diesem Fall ebenfalls genaue und erschöpfende Angaben machen kann. Ich werde veranlassen, dass er morgen auf der Dienststelle erscheint.4
Unter dem Gesprächsprotokoll vermerkte ein Kriminaloberassistent, dass Ernst Paschen zusätzlich die Angaben machte, dass Krejči im Hotel Bristol gewohnt hatte und ein Nachlass nicht sichergestellt werden konnte.5 Einen Tag später konnte, wie von Paschen versprochen, der Luftschutzleiter des Bristols, Peter Strellner, ausgefragt werden:
Zur Zeit des Luftangriffs, am 15.2.44, war ich im Hotel Bristol als Zimmerkellner tätig. Außerdem war ich stellvertretender Luftschutzleiter.
Ich selbst kann nicht mit Sicherheit bekunden, dass sich der Protektoratsangehörige Koch Krejer [Anm. d. Verf.: Karl Krejči], zu dieser Zeit im Hotel Bristol aufhielt, doch bin ich davon überzeugt, dass es sich so verhalten hat, wenn Paschen es so ausgesagt hat.