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Wieso ist Geld meist knapp und in Krisen auf einmal schier unbegrenzt verfügbar? Woher nimmt die Regierung in Zeiten von Corona-Pandemie und Energiepreiskrise auf einmal Hunderte Milliarden von Euro? Wieso werden die Reichen dabei reicher? Wie entsteht Inflation? Was lässt sich dagegen tun? Und was könnte sich unsere Gesellschaft wirklich leisten? Anschaulich und für ein breites Publikum erklärt Monika Stemmer nach den neusten Erkenntnissen der Modern Monetary Theory (MMT) die Geldschöpfung, das staatliche Währungsmonopol sowie die Besonderheiten der Eurozone. Dabei wird das Verhältnis von Markt und Staat wieder vom Kopf auf die Füße gestellt, denn der Staat hat alle Trümpfe in der Hand: Er allein erzeugt einen Kreislauf aus Geldschöpfung und Besteuerung, der unabhängig ist von Krisen, Wachstum und Gewinn. Das Verständnis unseres Geldsystems ist notwendig, um demokratische Gestaltungsmöglichkeiten besser zu erkennen und die Wirtschaft so zu steuern, dass sich die Gräben zwischen Arm und Reich sowie zwischen den Ländern Europas nicht weiter vertiefen.
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Seitenzahl: 310
Veröffentlichungsjahr: 2023
Ebook Edition
Monika Stemmer
Staat Macht Geld
Modern Monetary Theory oder das Ende der schwarzen Null
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ISBN 978-3-86489-863-1
© Westend Verlag GmbH, Frankfurt / Main 2023
Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin
Satz: Publikations Atelier, Dreieich
Titel
Vorneweg
Einleitung Geld ist der Schlüssel zum Verständnis von Wirtschaft, Krisen, Wachstum und Verteilung
I Die vier Grundtatsachen unseres Geldsystems
1. Der Staat hat das Währungsmonopol und schöpft unbegrenztes Fiatgeld
Währungsmonopol und Kompetenz-Kompetenz
Moderne Fiatwährungen sind unbegrenzt schöpfbar
2. Die Steuern geben der staatlichen Währung ihren Wert
Steuern nötigen zur Verwendung der Währung
Steuern erhalten den Geldwert
Die Ressourcengrenze und die Inflation
Zwei Sorten staatlicher Geldschöpfung: Die Zentralbank …
… und die demokratische Geldschöpfung
3. Banken schöpfen ein Geld zweiter Ordnung, das Geld auf unseren Girokonten
Zentralbankgeld und Giralgeld
Auch hinter dem Bankengeld steht der Staat
Zwei Sorten Geld und zwei Geldkreisläufe
Das zweistufige Geldsystem und die Inflation
Das zweistufige Geldsystem und die Staatsanleihen
Das zweistufige Geldsystem und der digitale Euro
4. Alles Geld entsteht in Bilanzen – gemeinsam mit einer gleich hohen Schuld
Was ist Kreditgeld?
Auch Bankkonten sind Kreditgeld
Der Staat gibt das beste Kreditgeld selbst heraus
Das Medium des Geldes ist die Bilanz
Bankengeldschöpfung – eine kleine Demonstration46
Geldschöpfung aus der Perspektive der Bank
Der kanadische Staat schöpft Geld – ein Bilanzierungsbeispiel
Staatsschulden sind keine normalen Schulden
II Der Bankkredit schafft Krisen – der Staat sorgt für Stabilität
1. Kreditgeld ermöglicht Wachstum und Wohlstand
Eine sich selbst erfüllende Prophezeiung
Kreditgeld – technischer Fortschritt – Wachstum!
Im Boom genügt die Bankengeldschöpfung
2. Kreditgeld erzeugt Instabilität und Krisen
Die nächste Krise kommt bestimmt
Alle Wirtschaftsakteure sind durch Bilanzen verbunden
In der Krise sinkt die Geldmenge
Das Sparparadoxon: Alle werden ärmer
Kreditgeld ist prozyklisch und braucht Wachstum
3. Der Staat muss die Wirtschaft mit seiner Geldschöpfung stabilisieren
Der Staat: jenseits von Gewinn und Trend
Corona: Der Staat stützt die Wirtschaft – und die Aktienkurse
Der Staat schafft den Rahmen und Innovationen
4. Staaten finanzieren Banken, nicht umgekehrt
Zentralbankgeld für Bargeld, Mindestreserve und Clearing
Der Interbankenmarkt und die Zentralbank als Retterin in der Not
Bankenrettung aus dem Staatshaushalt
5. Banken müssen endlich streng reguliert werden
Geldschöpfungsverbot für Banken?
III Der Staat macht das Geld und ist kein Schuldner wie andere
1. Staatliche Defizite sind private Guthaben: Die Corona-Krise macht die Reichen reicher
Global entsprechen die Staatsschulden den privaten Guthaben
Staatsausgaben bleiben bei den Reichen liegen …
… wenn sie nicht zurückgesteuert werden
Steuern für Geldwertstabilität, Gerechtigkeit und Demokratie
2. Staatsschulden werden nicht zurückgezahlt
Staatsschuld und private Guthaben sinken nur gemeinsam
Die Rückzahlung von Staatsschulden führt in die Rezession
Nur die Staatsschuldenquote sinkt
Wichtig sind allein Inflation und Arbeitslosigkeit
3. Staatsanleihen sind nicht nötig zur Staatsfinanzierung, sondern für den Leitzins
Überflüssiges Zentralbankgeld in den Bankbilanzen
Staatsanleihen saugen Zentralbankgeldüberschuss auf
Die Zentralbank steuert alle Zinsen
Staatsanleihen in privater Hand wirken antiinflationär
4. Hinter jeder sicheren Rente steht der Staat
Private (Renten-)Versicherungen brauchen Staatsanleihen
Wer hat hier wirklich Finanzierungsprobleme?
Alles ist eine Frage der Verteilung materieller Ressourcen
5. Ein Staat kann nicht pleitegehen – außer er verschuldet sich in fremder Währung
Unvergleichbar: Schulden in eigener oder fremder Währung
Argentinien ging in Dollar pleite, nicht in Pesos
Das Ende der politischen Souveränität
Die Wurzel allen Übels: Handelsdefizite
Perfekte Welt: Handelsgleichgewichte und souveräne Geldschöpfung
Die Relativität der Währungssouveränität
IV Die Eurozone hat sich selbst kastriert
1. Der Euro trennt, was zusammengehört: Geldpolitik, Fiskalpolitik, Demokratie
Die zweifelhafte Loyalität der EZB
Der neoliberale Geist der Euro-Verträge
Der chronische Geldmangel in der Eurozone
Geldpolitik und Fiskalpolitik gehören zusammen
Die neuen Bundesländer und die D-Mark
Maastricht: Die Eurozone kastriert sich selbst
2. Geldschöpfungshürden: Schuldenobergrenzen und der Spread
Grenzen und Strafen
Der griechische Schuldenschnitt öffnet die Zinsschere
20 Staatsanleihen laden ein zur Spekulation
3. Trotz Staatsfinanzierungsverbot: Nur die EZB kann die Eurostaaten finanzieren
Das Staatsfinanzierungsverbot ist ein Märchen
Defizitausgaben: Variabler Ablauf, gleiches Ergebnis
4. Italien hat den Euro zu teuer bezahlt
Die italienische Staatsschuld steigt von allein
»Whatever it takes«: Mario Draghi spricht ein Machtwort
Der Euro: Sargnagel einer erfolgreichen Wirtschaftsnation
Außerhalb der Eurozone hätte Italien kein Schuldenproblem
5. Zum Wohle aller: In Deutschland müssen die Löhne steigen – und die Importe
Währungskurse wirken als Puffer zwischen Ökonomien
Löhne drücken in der Währungsunion – ein No-Go!
Auch das musterhafte Frankreich verliert
Die fehlende Kaufkraft deutscher Löhne
Dumme Überschüsse verdampfen in Krisen
Chinesisches Geld für die arme Eurozone
6. Exportüberschüsse sind falsch verstandene Stärke – und Gift für Europa
Exportüberschüsse sind materielle Verluste
Eine Leitwährung kann und muss sich Defizite leisten
7. Antizyklische Geldschöpfung für die Eurozone!
Der Euro hat seine Anziehungskraft verloren
Der Euro und der Rechtsruck in Europa
Corona und die handlungsunfähige Eurozone
Die EU-Kommission erbarmt sich
Die Eurozone braucht antizyklische Geldschöpfung
Pragmatische Lösungen müssen her
8. Deutsche Haftungsängste und das Ende des Euro
Alles hat seinen Preis
Haftungsrisiken – selbst im schlimmsten Fall überschaubar
Die Target-Salden
Das Ende des Euros: unwahrscheinlich, aber schnell
V Inflation – wie gefährlich ist sie und was hilft?
1. Inflation ist ein komplexes Phänomen
Das deutsche Inflationstrauma
Definitionen, Varianten, Einflussfaktoren
2. Die Rolle von Regierung, Zentralbank und Banken
Banken und Regierung als Geldschöpfer
3. Krieg, Fremdwährungsschulden und Inflation
Die Hyperinflation von 1923
Der russische Krieg in der Ukraine
Inflation und Fremdwährungsschulden
4. Erhöhte Preise durch Angebotsschocks und Knappheit
Corona führt zu einer Verknappung des Angebots
Die Zentralbanken behalten zunächst einen kühlen Kopf
Gegen Angebotsschocks ist kein Kraut gewachsen
Gewinninflation und Spekulation
5. Nachfrage-Inflation: Die Lohn-Preis-Spirale der 1970er Jahre
Steigende Preise als Folge des Arbeitskampfes
Die radikale Deutsche Bundesbank
Das Ende des Keynesianismus, der Aufstieg des Neoliberalismus
6. Inflation, Wachstum und steigender Wohlstand in Italien
Inflation und Wechselkurse
7. Die Bundesbank und die unnötige Rezession der 1990er Jahre
8. Der Leitzins ist ein einseitiges und brutales Werkzeug
An einer Schnur schieben
Der Leitzins wirkt nur verlässlich bei einer Vollbremsung
Stabiles Geld um den Preis von Arbeitslosigkeit
9. Eine bessere Geldpolitik ist möglich: Steuern statt Leitzins!
Das Finanzministerium hat Gaspedal und Bremse
Der natürliche Zins ist der Nullzins
Sozialsysteme stabilisieren die Wirtschaft und das Geld
VI Zukunftschancen und Wachstumsschmerzen
1. Die Jobgarantie: gegen Inflation, für sozialen Frieden und politische Utopien!
Ein staatliches Arbeitsplatzprogramm
Gleichzeitig wirksam gegen Inflation und Arbeitslosigkeit
Ein Mindeststandard und das Recht auf Arbeit
Die Jobgarantie im Vergleich zum Bedingungslosen Grundeinkommen (BGE)
Europäische, demokratische und feministische Utopien
2. Ökosystem Erde und ein Wirtschaftssystem, das wachsen muss
Der ökonomische Systemzwang
Der ökologische Systemzwang
3. Kann Wachstum grün, nachhaltig und verträglich sein?
Vergebliche Preissignale, relative und absolute Entkopplung
Leider ist quantitatives Wachstum notwendig
4. Nur der Staat kann sich von Gewinn und Wachstum unabhängig machen
Ohne Wachstum keine kapitalistische Marktwirtschaft
Wirtschaftliche Gegenmodelle müssen erforscht werden
Übergangsjahre: Green-New-Deal und soziales Netz
Glossar
Grundlegendes
Geldbegriffe
Staatsschulden und Politik
Bibliographie
Anmerkungen
Titel
Inhaltsverzeichnis
Gewidmet meinen Freundinnen, die keine Bücher über Wirtschaft lesen, es aber trotzdem immer wissen wollen.
Dieses Buch stützt sich auf die Forschung, die MMT-Ökonom:innen seit den 1990er Jahren geleistet haben, darunter L. Randall Wray, Warren Mosler, Stephanie Kelton und Pavlina Tcherneva in den Vereinigten Staaten sowie Bill Mitchell in Australien. Insbesondere stütze ich mich auf die Arbeit von Dirk Ehnts, dem wichtigsten Vertreter dieser Strömung in Deutschland. Aus seinem Buch Geld als Kredit: eine €-päische Perspektive habe ich die Darstellung in Form von T-Konten zur Illustration einiger Phänomene übernommen, ebenso wie das kanadische Beispiel als einfachste Form staatlicher Geldschöpfung. Darüber hinaus hat Dirk Ehnts dieses Projekt mit seiner Bereitschaft, offene Fragen zu beantworten und einige Zweifel auszuräumen, freundlich unterstützt, wofür ich ihm ganz herzlich danke. Schließlich greift das vorliegende Buch auf die Erkenntnisse zahlreicher weiterer postkeynesianischer Autor:innen zurück, die unsere Wirtschaft im Gegensatz zur neoklassischen Mainstream-Ökonomik als ein dynamisches und krisenanfälliges System zur Kenntnis nehmen und empirisch beschreiben. Besonderer Dank gilt Ulrike Herrmann, die auch dort weiterdenkt, wo das Wirtschaftswachstum aus ökologischen Gründen enden muss und die meisten Postkeynesianer:innen der Mut verlässt.
Woher kommt das Geld? Wieso ist es meist knapp, aber in Krisen auf einmal schier unbegrenzt verfügbar? Woher nimmt die Bundesregierung in der Corona-Pandemie und der Energiepreiskrise auf einmal Hunderte Milliarden von Euro? Wer schöpft dieses Geld – Regierungen, Zentralbanken oder Banken? Könnten sich unsere Gesellschaften auch in normalen Zeiten mehr leisten? Und wenn ja, wie viel? Unter welchen Umständen entsteht Inflation und wie geht man gegen sie vor? Müssen unsere Kinder die Staatsschulden von heute später einmal zurückzahlen? Erstaunlich wenige Menschen haben Antworten auf diese Fragen, obwohl Geld eine so wichtige Rolle in der Wirtschaft spielt und ebenso im Leben von uns Einzelnen. Das vorliegende Buch schafft Abhilfe, indem es unser Geldsystem als Ganzes, mit all seinen Akteuren analysiert, nach den neusten empirischen Erkenntnissen der »Modern Monetary Theory«, kurz MMT.
Diese Moderne Geldtheorie ist ein wunderbarer, nachvollziehbarer Einstieg in wirtschaftliche Zusammenhänge, auch für all diejenigen ohne ökonomische Vorbildung. Sie liefert eine solide Basis, von der aus sich viele politische Fragen besser verstehen lassen, wie zum Beispiel: Wieso muss der Staat die Privatwirtschaft immer wieder retten? Wieso hat die Corona-Krise die Reichen reicher gemacht? Wieso ist die Privatisierung der Rente eine schlechte Idee? Wieso haben sich in Italien die Rechtspopulist:innen durchgesetzt? Wieso ist die EU durch den Euro nicht zusammengewachsen, sondern tiefer gespalten denn je? Aber auch was den Elefanten im Raum – die Klima-Krise – angeht, ist ein grundlegendes Verständnis unseres Geldsystems absolut unverzichtbar. Denn es zeigt, dass hinter dem Wachstumszwang mehr steckt als individuelle Gier oder kollektive Bequemlichkeit. Das Geld hilft uns, die Funktionsweise und Dynamik unserer kapitalistischen Wirtschaft zu begreifen. Und nur mit diesem Verständnis haben wir eine Chance, sie sinnvoll zu steuern – ohne unkontrollierte ökonomische und gesellschaftliche Zusammenbrüche zu erzeugen.
Egal was uns also persönlich besonders umtreibt – soziale Gerechtigkeit und demokratische Teilhabe, die Angst vor Arbeitslosigkeit, Inflation, die Sorge um das europäische Friedensprojekt oder die Bedrohung durch den Klimawandel –, dieses Buch versucht, die wirtschaftlichen Hintergründe zu vermitteln sowie aufzuzeigen, was der Staat mit den ihm zur Verfügung stehen Instrumenten leisten könnte – und wo seine Grenzen liegen.
Außerdem ermöglicht die Geldperspektive, sich eine eigene Meinung zu bilden, oder für die Vorgebildeten, die eigenen ökonomischen Annahmen zu überdenken. Denn Geld ist keine Ansichtssache, sondern kann empirisch erforscht werden: Es entsteht und bewegt sich (mit Ausnahme des Bargelds) in Bilanzen. Gesetze und Bilanzierungsvorschriften regulieren die Geldschöpfung von Banken und Zentralbanken. Die Beschreibung des Geldsystems, wie die MMT sie vornimmt, ist daher falsifizierbar – ein absolutes Alleinstellungsmerkmal bei Wirtschaftstheorien. So erzählt die amerikanische Ökonomin und einflussreiche MMT-Vertreterin Stephanie Kelton folgende Geschichte: »Als mir ein Kollege vor vielen Jahren bei einer Dinnerparty zum ersten Mal von moderner Geldtheorie erzählte, dachte ich: Der spinnt! Dann habe ich mir von der Regierung und der Fed alle Zahlen besorgt und angefangen, einen wissenschaftlichen Aufsatz zu schreiben mit dem Ziel, die Thesen des Kollegen zu widerlegen. Das Problem war nur, dass ich am Ende feststellen musste: Der Mann hat recht.«1 Dagegen zeigt sich, dass die neoklassische Mainstream-Geldtheorie, die nach wie vor in vielen Ökonomie-Lehrbüchern steht, praxisfremd und in ihren elementarsten Annahmen schlichtweg falsch ist. Diese Einschätzung kann man auch den Publikationen der Zentralbanken selbst entnehmen.2
Das Verständnis von Geld verhilft uns somit auch zu einem Beurteilungsmaßstab für die unterschiedlichen ökonomischen Schulen, die jeweils weitreichende politische Konsequenzen haben: höhere oder niedrigere Steuern auf Einkommen oder Gewinne, mehr oder weniger Sozialleistungen, die Höhe von Bildungsausgaben und Subventionen, die Entscheidung zwischen privaten oder öffentlichen Gesundheits- und Rentensystemen, zwischen regulierten oder unregulierten Finanzmärkten. Die jeweils gültigen ökonomischen Glaubenssätze wirken national wie global und haben weitreichende Folgen für Wohlstand, Verteilung, Entwicklung und Nachhaltigkeit, die uns alle in irgendeiner Form betreffen. Volkswirtschaftliche Theorien sind daher nicht nur etwas für verschrobene Nerds, sondern für alle, denen die Entwicklung unserer Gesellschaft am Herzen liegt.
Ältere Leser:innen erinnern sich noch an den großen ökonomischen Paradigmenwechsel Anfang der 1980er Jahre und die darauf folgende langsame Durchlöcherung sozialer Errungenschaften. Damals wurde der Wirtschaftswunder-Keynesianismus von der Neoklassik abgelöst. Der wichtigste Streitpunkt zwischen diesen beiden großen Schulen ist die Frage, in welchem Verhältnis Markt und Staat zueinanderstehen. Seit bald 100 Jahren ringen die marktgläubigen, neoliberalen »rechten« Neoklassiker:innen und die eher staatsgläubigen »linken« (Post-)Keynesianer:innen3 um die Deutungshoheit.4 Viele von uns haben instinktive Sympathien für die eine oder andere Seite. Aber die allerwenigsten von uns können die unterschiedlichen ökonomischen Modelle kompetent beurteilen.
Die hier vorgestellte Modern Monetary Theory steht in der keynesianischen Tradition. Doch da sie sich der Volkswirtschaft von der Geldseite nähert, muss niemand irgendwelche Behauptungen unbesehen glauben. In einem rein deskriptiven Ansatz haben die MMT-Ökonom:innen in den letzten Jahrzehnten im Detail erforscht, wie Geldschöpfung, Staatsanleihen und Besteuerung in verschiedenen Ländern und Währungsräumen organisiert sind.
Vor allem zeigt uns die MMT, dass der Staat mehr Spielraum bei der Verfolgung seiner politischen Ziele hat. Denn er erzeugt über sein Geld- und Steuersystem einen Kreislauf, durch den er die ganzen Ressourcen des Landes nutzbar machen kann. Geld ist für den Staat nicht knapp: Alles, was mit den verfügbaren Materialien, Rohstoffen und Arbeitskräften real umgesetzt werden kann, lässt sich auch finanzieren. Die Grenze ist nicht das Geld, sondern die materiellen Ressourcen. In Wahrheit handelt es sich »bei den meisten Zwängen, von denen Regierungen gegenwärtig annehmen, sie kämen von internationalen Märkten, in Wirklichkeit um selbst auferlegte Beschränkungen […], die auf einem falschen Verständnis der Natur von Staatsdefiziten beruhen«,5 so der MMT-Ökonom L. Randall Wray. Denn wichtig sind allein die Phänomene Arbeitslosigkeit und Inflation, die erstaunlich unabhängig von der Staatsschuld auftreten.
MMT-Ökonom:innen sind auch die Einzigen, die sich in den letzten Jahrzehnten intensiv mit den Themen Inflation und Preisstabilität auseinandergesetzt haben. Dabei haben sie normative Vorschläge zur besseren Steuerung der Geld- und Fiskalpolitik entwickelt. Einer davon ist die fast schon utopisch klingende Arbeitsplatzgarantie als ergänzendes Sozialsystem, finanziert über das staatliche Währungsmonopol und realisiert auf der Ebene der Kommunen. So würden Konjunktur und Arbeitsmarkt in beide Richtungen abgepuffert sowie Nachfrage und Preise stabilisiert. Natürlich hätte ein garantiertes Recht auf Arbeit zudem weitreichende soziale Folgen: Menschen müssten weniger Angst vor der Zukunft haben, Gesellschaften würden wieder solidarischer, in den Kommunen und in abgehängten Regionen bekämen die Zivilgesellschaften erstaunliche Gestaltungsspielräume. Auf europäischer Ebene würde eine solche Jobgarantie zu Ausgleich und Befriedung führen, als das fiskalische Element, das dem Euro seit seiner Gründung fehlt. Zudem könnte sie in Zukunft dabei helfen, den Übergang in eine Wirtschaftsordnung jenseits der Wachstumslogik abzufedern.
Aber hier sind wir bereits knietief im Bereich der politischen Zukunftsvisionen, die man teilen kann – oder auch nicht. Alle, die es weniger utopisch mögen, können aus der vorgelegten Analyse des Geldsystems ihre eigenen Schlussfolgerungen ziehen. Ganz allgemein gesprochen enthält dieses Buch eine gute Nachricht: Wenn unsere Regierungen ihr eigenes Geldsystem nur richtig verstehen und steuern, besitzen sie beachtliche Handlungsspielräume: in der jeweils akuten globalen Krise, im Falle von Inflation oder Arbeitslosigkeit, bei der Gestaltung des Euros und sogar bei der Umstellung auf ein nachhaltiges Wirtschaftsmodell.
Staaten sind nun einmal in Anbetracht der globalen Herausforderungen die einzigen wirkungsmächtigen Akteure, sofern wir das Spielfeld nicht den transnationalen Konzernen überlassen. In demokratischen Gesellschaften können wir zumindest auf die Richtung, die wir nehmen wollen, Einfluss nehmen. In diesem Sinne wünsche ich mir, dass das vorliegende Buch möglichst vielen Menschen hilft, die volkswirtschaftlichen Hintergründe der Probleme, die uns umtreiben, besser zu verstehen. So lässt sich die ganze Bandbreite der pragmatischen und utopischen Maßnahmen überblicken, die wir Wähler:innen sinnvollerweise von unseren Regierungen fordern können – auf dass wir unsere demokratischen Gestaltungsmöglichkeiten voll ausschöpfen und die besten Lösungen für die kommenden Herausforderungen und Krisen finden mögen.
1.Wir haben ein staatliches Währungsmonopol. Der Staat legt seine eigene Währung fest und nur er darf sie herausgeben. Heutige Währungen sind nicht mehr an einen externen Wert wie Gold gebunden und daher theoretisch unbegrenzt schöpfbar.
2.Der Staat tätigt mittels seines Geldschöpfungsprivilegs Ausgaben und holt sich sein Geld dann über Steuern (größtenteils) zurück. Erst die Steuern machen die Währung verbindlich und stabil.
3.Unser Geldsystem ist zweistufig. Die Zentralbank schöpft die staatliche Währung und die Geschäftsbanken schöpfen ein Geld zweiter Ordnung, das Giralgeld. Es entsteht durch die Kreditvergabe und leitet seinen Wert von der staatlichen Währung ab.
4.Geld wird erschaffen, indem Zentralbanken und Geschäftsbanken es vorschriftsgemäß in Bilanzen eintragen. Dabei müssen sich Guthaben und Schulden stets die Waage halten. Geld entsteht also immer mit einer gleich hohen Schuld.
Dies sind die Grundregeln moderner Währungen, wie sie in den meisten Staaten heute üblich sind. Dennoch sind sie erstaunlich unbekannt und stehen vielleicht sogar in Widerspruch zu dem, was einige Leser:innen bisher über Geld zu wissen glaubten. Diejenigen werden auf den nächsten Seiten vielleicht immer wieder einmal den Kopf schütteln und denken: »Aber das stimmt doch nicht … Die Zentralbank ist doch unabhängig … Aber es gibt doch Staatsanleihen … Das trifft doch auf die Eurozonen-Staaten gar nicht zu … Und was ist mit dem Bankrott Griechenlands, was mit den Finanzierungsproblemen Italiens?« Im Falle derartiger Zweifel möchte ich um etwas Geduld bitten. Denn natürlich spielen in der Praxis noch weitere Faktoren eine Rolle. Vor allem aber wird die Geldschöpfung in verschiedenen Ländern und insbesondere in der Eurozone durch zusätzliche Regeln erschwert. Denn auch das ist ein Vorrecht der Staaten und ihres Währungsmonopols: die Geldschöpfung so kompliziert wie möglich zu gestalten.
Es ist wie mit demokratischen Verfassungen: Sie haben einerseits gemeinsame, unverrückbare Grundprinzipien, andererseits sind sie unterschiedlich und zum Teil sehr komplex in ihrer institutionellen Ausgestaltung. Und so verhält es sich auch bei Währungen: Die Grundregeln sind überall gleich, aber die Abläufe und Zuständigkeiten variieren. Mit den Besonderheiten in verschiedenen Ländern beschäftigen sich die nächsten Kapitel, und natürlich insbesondere mit der vertrackten Lage, die sich die Eurozone selbst geschaffen hat. Auch die Rolle von Staatsanleihen behandle ich erst später ausführlich, denn sie ist weniger wichtig, als allgemein angenommen. Wir beginnen stattdessen mit dem Fundament, auf dem alle modernen Währungen ruhen und das ist das staatliche Geldschöpfungsmonopol. Um die überragende Rolle des Staates sichtbar zu machen, unterscheide ich zunächst auch nicht zwischen Finanzministerium, Zentralbank oder Eurozonenbeschlüssen, sondern spreche meist ganz allgemein vom Staat. Wir starten also aus der Vogelperspektive und zoomen im Laufe des Buches immer weiter hinein in die verschiedenen Währungen, Institutionen, technischen Details und politischen Konsequenzen.
Wir haben ein staatliches Währungsmonopol. Der Staat legt seine eigene Währung fest und nur er darf sie herausgeben. Heutige Währungen sind nicht mehr an einen externen Wert wie Gold gebunden und daher theoretisch unbegrenzt schöpfbar.
Der Staat kann sich selbst eine eigene Währung geben, die nur er allein schöpfen darf. Alle anderen, die es versuchen, wandern wegen Geldfälschung ins Gefängnis. Dieses Währungsmonopol behält sich der Staat ebenso exklusiv vor wie Gesetzgebung, Justiz, Verteidigung und Bildung. Erst diese sogenannten Hoheitsrechte erlauben es ihm, funktionierende Institutionen aufzubauen. Die staatliche Geldschöpfung wiederum macht es möglich, diese Institutionen auch sicher zu finanzieren, wodurch der Staat erst souverän wird. Gerade eine Demokratie braucht einen handlungs- und zahlungsfähigen Staat, der in der Lage ist, den Willen seiner Bürger:innen praktisch umzusetzen. Andernfalls wären die schönsten demokratischen Prozesse und Beschlüsse nichts wert.
Die genauen Regeln rund um die Geldschöpfung legt der Staat also selbst fest: Parlament, Regierung und Zentralbank – wer muss welche Rolle spielen und welche Kompetenzen bekommen? Wer darf zu welchem Zweck neues Geld erzeugen oder erzeugen lassen? Wie unabhängig soll die Zentralbank sein? So entsteht ein System, in dem sich verschiedene staatliche Institutionen bei der Geldschöpfung gegenseitig kontrollieren. Außerdem wird festgelegt, welche Rechte und Pflichten die privaten Banken, sogenannte Geschäftsbanken, bekommen und wie sie kontrolliert werden.
Der Staat entscheidet auch, ob und wie er den Wert seiner Währung zusätzlich stabilisieren will. Früher haben Staaten ihr Geld oft an Gold oder Silber gebunden. Aber sie können sich auch entscheiden, ihre Währung an eine andere zu binden oder einem Währungssystem beizutreten. So wurde zum Beispiel im Bretton-Woods-Abkommen der Nachkriegsordnung ein Großteil der Währungen zu fixen Kursen an den Dollar gebunden, dessen Wert als einziger den Krieg unbeschadet überstanden hatte.1 Ebenso durften sich die europäische Staaten Jahrzehnte später entscheiden, ihre eigenen Währungen aufzugeben und stattdessen gemeinsam den Euro einzuführen. Wenn sie wollen, können sich Staaten in ihrer Geldschöpfung auch freiwillig im Vorhinein limitieren, indem sie sich Schuldenbremsen in die Verfassung schreiben, so wie es Deutschland 2009 getan hat. Allerdings sind Parlament und Regierung in der Lage, solche Gesetze später wieder aufzuheben – wie es beispielsweise gerade diskutiert wird.
Schwieriger ist die Situation in der Eurozone, wo es nur allen Staaten gemeinsam möglich ist, die Regeln in den Verträgen zu ändern. Allerdings könnte ein sehr unzufriedener Staat zur Not die Eurozone verlassen und sich wieder eine eigene nationale Währung geben, bei der er allein die Regeln macht. Der Staat hat – rechtlich gesprochen – die Kompetenz-Kompetenz: Er teilt die verschiedenen Rollen und Rechte zu – seinen eigenen Institutionen sowie auch anderen Akteuren.
MYTHOS 1 Geld ist ein knappes Gut.
Unsere modernen Währungen werden als sogenanntes Fiatgeld herausgegeben, das durch keinen äußeren Wert, wie zum Beispiel Gold, begrenzt wird. Der Begriff leitet sich vom lateinischen Wort fiat für »es werde« ab. So wie Gott im biblischen Anfang rief: »Es werde Licht«, so werden auch unsere modernen Währungen sozusagen durch einen Sprechakt ins Leben gerufen. Und zwar ist es der Staat mit seinem Währungsmonopol, der allein rufen darf: »Es werde Geld« – und dann ist da Geld. Eine Begrenzung ergibt sich nur aus den Regeln, die der Staat sich selbst gibt.2 Das Fiatgeld kann dagegen seiner Natur nach nicht knapp sein. Zumindest Zentralbanker wussten das schon immer. So sagte der damalige Chef der amerikanischen Zentralbank Alan Greenspan in einer Befragung 1997 unter Eid über die US-Regierung: »Es gibt nichts, was die Bundesregierung davon abhält, so viel Geld zu schöpfen, wie sie will, und es an irgendjemand auszuzahlen.«3
Unsere staatlichen Währungen werden bereits seit 1971 ganz offiziell als gänzlich ungesichertes Fiatgeld herausgegeben, das an keinen äußeren Wert wie Gold mehr gebunden ist. Wir können zwar Gold zum jeweiligen Kurs kaufen, aber die Banknote garantiert uns schon lange nicht mehr die Auszahlung einer immer gleichen Menge durch die Zentralbank. Bis 1971 gab es noch einen symbolischen Rest von Goldbindung: Im Rahmen des internationalen Bretton-Woods-Systems versprach die amerikanische Zentralbank, kurz Fed, den anderen beteiligten Zentralbanken, je eine Unze Gold für 35 Dollar auszuzahlen. Als die Europäer aber drohten, ihre angesammelten Dollar einzutauschen, hoben die Amerikaner dieses Versprechen kurzerhand auf.4 Weltweit nutzten die Menschen ihre Währungen, ohne mit der Wimper zu zucken, weiter wie zuvor – obwohl sie soeben ganz offiziell zu reinem Fiatgeld erklärt worden waren. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass es auch vorher nicht das Gold war, das den Währungen ihren Wert verliehen hatte. Was aber dann?
Der Staat tätigt mittels seines Geldschöpfungsprivilegs Ausgaben und holt sich sein Geld dann über Steuern (größtenteils) zurück. Erst die Steuern machen die Währung verbindlich und stabil.
Damit sich die staatliche Währung auf Dauer durchsetzt, reicht es nicht, das Geld per Gesetz zum alleinigen Zahlungsmittel zu erklären. Es muss auch tatsächlich von möglichst allen Menschen für alle Zahlungen akzeptiert und genutzt werden. Um das zu gewährleisten, hat der Staat zusätzlich zur Geldschöpfung ein weiteres durchschlagendes Privileg: Er allein kann uns besteuern und tut es auch. Damit nötigt der Staat die Bürger:innen regelmäßig zu Zahlungen in der Landeswährung. Die brauchen dementsprechende Einkünfte und werden das staatliche Geld daher auch voneinander akzeptieren.
Dieses Prinzip zeigte sich immer wieder auf grausame Weise in der Kolonialgeschichte. Die Einheimischen sahen keinen Grund für die Kolonialisten zu arbeiten, nur weil diese ihnen einen Lohn in einer fremden, bedeutungslosen Währung boten. In vielen Fällen lösten die Europäer ihr Problem, indem sie eine Kopf- oder Hüttensteuer erhoben, versehen mit einer durchschlagenden Strafandrohung. Und auf einmal hatten die Einheimischen einen zwingenden Grund für das fremde Geld zu arbeiten.5 Dies ist ein sehr drastisches Beispiel dafür, wie effektiv Steuern eine Währung durchsetzen können, und auch dafür, wie der Staat dank der Besteuerung dafür sorgen kann, dass die Bevölkerung Arbeitsleistungen für ihn erbringt.
Als der Euro eingeführt wurde, war Europa längst eine durchmonetarisierte Gesellschaft. Die Menschen arbeiteten sowieso schon für Geld und mussten nicht durch Strafandrohung dazu genötigt werden. Dementsprechend machten wir uns bei der Euro-Einführung auch keine Gedanken über den Zusammenhang von Währung, Besteuerung und Strafandrohung. Die Umstellung war erfolgreich, weil wir darauf vertrauten, dass die neue Währung funktionieren würde, so wie vorher die D-Mark, der Gulden, der Franc und die Lira. Vor allem haben wir aber mitgemacht, weil alle anderen auch mitgemacht haben. Geld ist schließlich eine kollektive und keine individuelle Entscheidung. Was hätte es genutzt, sich seine ganzen D-Mark von der Bank zu holen und unter die Matratze zu legen, wenn sie demnächst niemand mehr haben will? Doch auch wenn in unseren demokratischen Gesellschaften der Zwang hinter der staatlichen Währung sehr viel weniger sichtbar ist, existiert er durchaus. Wer seine Steuern nicht bezahlt, wird bestraft, vielleicht sogar mit Freiheitsentzug. Die Macht zur Besteuerung ist der tieferliegende Grund, warum wir uns kollektiv vom Staat und nicht von irgendjemand sonst die Währung diktieren lassen und warum private Währungen nie konkurrenzfähig sein werden.6 Denn nur der Staat kann einen Kreislauf erzeugen, indem er erst Geld erzeugt, es dann ausgibt und schließlich über Steuern zurückholt.7
MYTHOS 2 Der Staat muss erst Steuern erheben, bevor er Ausgaben tätigen kann.
Die meisten gehen (unbewusst) davon aus, dass der Staat erst Steuern erhebt und dann Geld ausgibt. Dabei handelt es sich aber um einen kollektiven Logikfehler. Denn wenn man das staatliche Währungsmonopol zur Kenntnis nimmt, dreht sich die Reihenfolge um.8 Bei der Einführung einer brandneuen Währung ist das ganz offensichtlich: Der Staat muss sie zunächst unter die Leute bringen, bevor er die ersten Steuern erheben kann. Aber auch die Corona-Pandemie und die Energiepreiskrise sind praktische Beispiele für die Reihenfolge: erst ausgeben, dann besteuern. In den drei Krisenjahren 2020, 2021 und 2022 wurden insgesamt rund 485 Milliarden Euro an zusätzlichen Staatsausgaben beschlossen.9 Es war aber keineswegs so, dass die Finanzminister Scholz und Lindner dafür zunächst hektisch die Steuern erhöht und eingetrieben hätten, sondern sie konnten diese riesigen Geldmengen einfach per Beschluss mobilisieren. Drei Jahre lang wurde allenfalls diskutiert, ob und wie man eventuell zu einem späteren Zeitpunkt die Steuern erhöhen müsste.
Der Staat erzeugt also einen Kreislauf aus Geldschöpfung und Besteuerung. Dabei besteuert er uns nicht, weil er sonst kein Geld hätte – schließlich könnte er jederzeit neues schöpfen. Der Staat besteuert uns stattdessen, weil das die Währung nicht nur verbindlich, sondern auch stabil macht. Denn wollte er jeden Jahreshaushalt allein über Geldschöpfung finanzieren, würde die Geldmenge viel schneller wachsen als die Produktivität der Wirtschaft. Die Menschen würden mit dem vielen Geld in die Geschäfte gehen und Waren und Dienstleistungen nachfragen, die in dieser Menge gar nicht zur Verfügung stünden. Daraufhin würden die Verkäufer:innen die Preise anheben, es käme also zu Inflation.
Um einen solchen ständigen Anstieg von Geldmenge und Nachfrage zu verhindern, gibt es die Steuern. Das staatliche Geld ist so stabil, weil immer wieder der Großteil der Ausgaben zurückgesteuert wird. Über Geldschöpfung und Besteuerung hat der Staat also gleich zwei Hebel, um die Nachfrage an die produktiven Möglichkeiten des Landes anzupassen: Mittels Geldschöpfung für Investitionen kann er die Produktionskapazität erhöhen, während die Besteuerung den Zweck erfüllt, die Nachfrage zu reduzieren.10 Darüber hinaus ermöglicht dieser Kreislauf es dem Staat, in jedem Moment für so viel Umverteilung und sozialen Ausgleich zu sorgen, wie politisch gewünscht ist. Im Rahmen der Haushaltspolitik wird entschieden, wer durch (höhere) Staatsausgaben begünstigt und wer durch (höhere) Steuern zur Kasse gebeten wird. Der Staat kann so das Ergebnis von wirtschaftlichen Prozessen immer wieder über seinen Geldkreislauf korrigieren. Der MMT-Ökonom Dirk Ehnts fasst es so zusammen: »Das Geldsystem erfüllt einen bestimmten Zweck. Es ermöglicht die Produktion von Gütern und Dienstleistungen und deren sinnvolle gesellschaftliche Verteilung.«11
Dank seines Geldschöpfungsprivilegs hat der Staat immer genug Geld, um seine Politik auch praktisch umzusetzen und zu finanzieren. Er muss nur darauf achten, dass die Währung dabei stabil bleibt. Die große Frage ist natürlich: Wie hoch darf das jährliche Haushaltsdefizit sein, wie viel zusätzliches Geld kann der Staat also jedes Jahr schöpfen, bevor die gefürchtete Inflation einsetzt? Wie gesagt: Steigt die Nachfrage stärker als die Gütermenge, erzeugt das Inflation. Es kommt also auf die Entwicklung beider Faktoren an. Wenn die Regierung zusätzliches Geld schöpft und ausgibt, die Empfänger das Geld nicht sparen, sondern ihrerseits ausgeben, dann erhöht sich die Nachfrage. Das hat aber noch nicht per se einen inflationären Effekt, denn nun versuchen die Unternehmen ihren Output zu erhöhen, um an der zusätzlichen Nachfrage zu verdienen. Die Gütermenge wächst und es stellt sich ein neues Gleichgewicht ein.12
Das funktioniert allerdings nur, solange es noch Fabriken gibt, die freie Kapazitäten haben, genügend zusätzliche Arbeitskräfte und ausreichende Rohstoffe. Wenn dagegen die allermeisten Menschen einen Arbeitsplatz haben, Produktionsanlagen und Rohstoffe fehlen – dann wird die Menge an Waren und Dienstleistungen zwangsläufig stagnieren. Ab jetzt führt zusätzliche Nachfrage nur noch zu steigenden Preisen und zu höheren Inflationsraten.13 Es gibt also eine materielle Grenze für die staatliche Geldschöpfung und das sind die tatsächlich verfügbaren Ressourcen. Wenn die Wirtschaft wächst und dieses Limit in vielen Branchen erreicht ist, sollte die Regierung die Steuern erhöhen oder die Staatsausgaben senken. Im Umkehrschluss heißt das aber auch: Der Staat kann ohne Schaden neues Geld schaffen, um brach liegende Ressourcen im Land zu aktivieren, und dazu gehört auch die Arbeitskraft von unfreiwillig arbeitslosen Menschen. In den 20 Jahren nach der Euro-Einführung herrschten zunächst in Deutschland und dann im Rest Europas Arbeitslosigkeit und eine deflationäre Tendenz. Statt in den Krisenjahren zu sparen, hätten die Mitgliedsstaaten problemlos Geld schöpfen und in ihre Volkswirtschaften stecken können.
Wie der Staat am besten auf Inflationen wie die der jüngsten Zeit reagiert, sehen wir uns in Kapitel 5 und 6 noch ausführlich an.
Theoretisch könnte die Erzeugung der Währung auch im Finanzministerium erfolgen. Das zeigt sich etwa daran, dass es bis heute die Finanzministerien sind, die in den meisten Ländern die Münzen herausgeben.14 Aber im Sinne der Gewaltenverschränkung ist vor allem die staatliche Zentralbank dafür zuständig, die Währung ganz praktisch zu erzeugen. Sie veranlasst das Drucken der Banknoten. Außerdem schöpft sie das unbare Zentralbankgeld, bei dem es sich letzten Endes nur um Zahlen handelt, die die Zentralbank in die Konten auf ihrem Computer eingibt. Zusätzliches Guthaben erzeugt sie einfach, indem sie das entsprechende Zentralbankkonto in ihrer großen Excel-Tabelle15 per Tastendruck erhöht.16 Dementsprechend kann eine Zentralbank auch nicht pleitegehen – ihr können schließlich nicht die Zahlen auf der Tastatur ausgehen. Und auch eine gesetzliche »Schuldenbremse« existiert für Zentralbanken nicht.17 Dennoch ist natürlich streng geregelt, wer für wen die Zahlen, die unsere Währung verkörpern, erhöhen darf und wie genau das bilanziell zu geschehen hat.
Grundsätzlich gibt es zwei unterschiedliche Sorten staatlicher Geldschöpfung. Die eine darf die Zentralbank auf eigene Faust betreiben. Dabei schöpft sie aber kein Geld, das je auf unseren privaten Konten landen würde, denn dafür fehlt ihr die demokratische Legitimation. Die Aufgabe der Zentralbank ist es vielmehr mit ihrer Geldschöpfung ausschließlich die Geschäftsbanken und das Zahlungssystem funktionsfähig zu halten, wie wir später noch ausführlich sehen werden.
Politisch interessanter ist die andere Form der staatlichen Geldschöpfung, die von Parlament und Regierung ausgeht. Wobei nur die zentralen Institutionen des Bundes das Geldschöpfungsmonopol ausüben, nicht aber Länderregierungen und regionale Parlamente. Lediglich die zentrale Regierung samt Parlament kann im Rahmen eines Haushaltsgesetzes Defizitausgaben beschließen, die nicht durch die jährlichen Steuereinnahmen gedeckt sind – und die Zentralbank schöpft im Hintergrund dann das dafür nötige Geld. Das Prozedere ist unterschiedlich komplex, schließt aber in der Regel den Verkauf von Staatsanleihen ein und auch den Banken wird meist eine Rolle zugewiesen. In Kanada ist diese Form der Geldschöpfung besonders unkompliziert, wie wir gleich sehen werden, und in der Eurozone wurde sie maximal verkompliziert. Dennoch ist das Ergebnis immer dasselbe: Die Zentralbank schöpft das neue Geld, das benötigt wird, um die im Haushaltsgesetz beschlossenen Ausgaben zu bezahlen. Das frisch geschaffene Geld wird im Rahmen der Staatsausgaben auf private Konten geschickt, zum Beispiel an Bürger:innen, die Elterngeld erhalten, oder an Unternehmen, die der Regierung Waren oder Dienstleistungen verkaufen. Diese Sorte Geldschöpfung wird selten als solche bezeichnet, stattdessen sprechen wir in diesem Zusammenhang nur von den Schulden, die der Staat macht. Tatsächlich handelt es sich bei dieser Zusammenarbeit von Regierung, Parlament und Zentralbank aber um die originäre Ausübung des Währungsmonopols, ja, man könnte sogar sagen: um die Mutter aller Geldschöpfungen.
Im besten Fall finanziert eine demokratisch gewählte Regierung auf diese Weise sinnvolle Politiken, die möglichst vielen Menschen zugutekommen. Wenn der Staat in sein Bildungs- und Gesundheitssystem investiert, in Infrastruktur, Parks, öffentliche Schwimmbäder, eine Grundsicherung oder Mindestrente, dann hat die ganze Bevölkerung etwas vom staatlichen Währungsmonopol. Auch die Corona-Pandemie und die Energiepreiskrise sind eindrückliche Beispiele für die Nützlichkeit einer unbegrenzt schöpfbaren Währung, denn dank ihr ist der Staat im Notfall sofort handlungsfähig: Parlament und Regierung beschließen ein Haushaltsgesetz mit hohen Defizitausgaben – und wenig später fließt neues Geld auf die Konten gebeutelter Bürger:innen und Unternehmen.
Unser Geldsystem ist zweistufig. Die Zentralbank schöpft die staatliche Währung und die Geschäftsbanken schöpfen ein Geld zweiter Ordnung, das Giralgeld. Es entsteht durch die Kreditvergabe und leitet seinen Wert von der staatlichen Währung ab.
Außer dem Staat gibt es im Geldsystem auch noch die privaten Akteure, die Geschäftsbanken, im Weiteren der Einfachheit halber meist »Banken« genannt. Damit sind alle Geldinstitute gemeint, die keine staatliche Zentralbank sind, also Aktiengesellschaften wie die Deutsche Bank, aber auch städtische Sparkassen oder Genossenschaftsbanken. Diese gewöhnlichen Banken schöpfen ebenfalls Geld, und zwar indem sie Kredite an Privatpersonen und Unternehmen vergeben. Entgegen einer verbreiteten Auffassung verleihen sie dabei nicht die Einlagen ihrer Sparer:innen weiter. Was Banken vielmehr von allen anderen Wirtschaftsteilnehmer:innen unterscheidet, ist ihr Recht, selbst Geld herstellen zu dürfen.
Wie aber passt diese Geldschöpfung der Banken zum staatlichen Währungsmonopol? Die Antwort ist, dass wir in einem hierarchischen Geldsystem leben, das sich historisch entwickelt hat18 und mit zwei Sorten Geld operiert: dem Geld der staatlichen Zentralbank und dem ihm untergeordneten Giralgeld der Banken. Der Staat schöpft sein Geld mittels der Zentralbank. Dafür, dass dieses staatliche Geld relativ unbekannt ist, hat es erstaunlich viele Namen. Es wird Währung, Zentralbankgeld, Reserven, Geldbasis, M0 (für »Geldmenge null«) oder zum Teil auch einfach Liquidität genannt.19 Ich beschränke mich im Weiteren auf die synonym verwendeten Begriffe »staatliches Geld«, »Zentralbankgeld« oder »Währung«. Dagegen ist »Fiatgeld« ein Ausdruck, der vor allem benutzt wird, wenn man unterstreichen will, dass modernes staatliches Geld ohne einen materiellen Gegenwert wie Gold auskommt. Zum jederzeitigen Nachschlagen dieser vielen Begriffe gibt es hinten im Buch ein Glossar.
Das staatliche Geld kommt als Bargeld in Scheinen und Münzen daher, aber auch unbar in Form von Zahlen auf den Konten bei der Zentralbank. Wobei ausschließlich Staaten und Banken Zentralbankkonten besitzen und sich die offizielle Währung dort hin und her überweisen. Tatsächlich nutzen Banken, Zentralbanken und Regierungen untereinander ausschließlich die staatliche Währung.20
Privatpersonen und Unternehmen können dagegen kein Konto bei der Zentralbank eröffnen.21 Sollten wir es dennoch versuchen, würde man uns höflich zur nächsten Sparkasse oder einer anderen Bankfiliale um die Ecke schicken. Wenn wir partout staatliches Geld haben wollen, bleibt uns nur das Bargeld. Für unsere Überweisungen können wir dagegen ausschließlich das Geld nutzen, das die Banken schöpfen. Dabei handelt es sich um ein Geld zweiter Ordnung, das seinen Wert vom Zentralbankgeld ableitet. Das Bankengeld wird meist als »Giralgeld« bezeichnet und ich werde diese beiden Begriffe im Weiteren synonym benutzen. In der Fachsprache ist weiterhin oft von »Einlagen« die Rede, wahlweise auch Bank- oder Kontoeinlagen. Früher wurde der Ausdruck »Buchgeld« verwendet. Letzten Endes sind einfach alle Zahlen auf unseren Bankkonten gemeint.22
Das Giralgeld lautet zwar ebenfalls auf die Landeswährung, bei uns in Deutschland also auf Euro – tatsächlich sind Zahlen auf normalen Bankkonten aber keine Euros. Wenn unser Girokonto einen Kontostand von 544 Euro aufweist, dann bedeutet das lediglich, dass wir einen rechtlichen Anspruch gegen die Bank haben auf die Auszahlung von 544 Euro in staatlichem Bargeld. Giralgeld stellt also einen Rechtsanspruch auf die Auszahlung von Währung dar und erhält erst auf diese Weise seinen Wert.23