Star Trek: Deep Space Nine - Julian Wangler - E-Book

Star Trek: Deep Space Nine E-Book

Julian Wangler

0,0

Beschreibung

1993 startete mit Star Trek: Deep Space Nine der dritte Ableger von Gene Roddenberrys unsterblicher Science-Fiction-Vision. Die Serie rund um Benjamin Sisko und seine multikulturelle Crew sollte 176 Episoden füllen. DS9 sollte Fans mit dramatischem Storytelling und komplexen Charakteren begeistern. Dieses Buch widmet sich der vielfältigen Welt der Serie. Beleuchtet werden die sieben Staffeln und sämtliche Figuren, aber auch Mächte und Völker sowie einschneidende Ereignisse der Seriengeschichte.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 427

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



„Es ist leicht, ein Heiliger im Paradies zu sein.“

- Benjamin Sisko in

Der Maquis, Teil II

Inhaltsverzeichnis

Vorwort:

Die Welt einer

Star Trek

-Serie erkunden

– Die Serie –

Neuer Anfang: Geburt und Genese von

Deep Space Nine

Trek with an edge: Das Besondere an

Deep Space Nine

Besprechung: Die sieben Staffeln

Die

Top-10

unter 176 Episoden

Zeitleiste: Wichtige Ereignisse im Überblick

Prominente Schauplätze

– Die Figuren –

Die Hauptfiguren

Wiederkehrende Gastcharaktere

Beziehungskisten

Kommandotandem: Sisko - Kira

Benjamin Sisko: Wanderer zwischen den Welten

Gul Dukat: Portrait eines vielschichtigen Schurken

Wandel des Herzens: Liebeslektionen in

Deep Space Nine

– Mächte in

Deep Space Nine

Utopia im Existenzkampf: Vereinigte Föderation der Planeten

Machtgier und Machtverfall: Cardassianische Union

Krieg und Ehre: Klingonisches Reich

List und Tücke: Romulanisches Sternenimperium

Anti-Föderation aus der Dunkelheit: Das Dominion

Lang lebe der Kapitalismus: Ferengi-Allianz

Frostige Schimäre: Breen-Konföderation

– Politische Ereignisse in

Deep Space Nine

2340-75: Cardassia-Konflikt und Maquis

2371: Pakt der Geheimdienste

2371-73: Demokratie auf Cardassia

2372/73: Klingonischer Krieg

2372: Leyton-Verschwörung

2373-75: Dominion-Krieg

– Station und Raumschiffe in

Deep Space Nine

„Hier liegen unsere Hoffnungen“: DS9 im Wandel der Zeit

„Tapferes, kleines Schiff“: Die

U.S.S. Defiant

Schwere Zeiten voraus: Die Sternenflotte im 24. Jahrhundert

„Des Krieges Hund‘ entfesseln“: Klingonische Schiffe

„Alles wird wieder uns gehören“: Cardassianische Schiffe

„Wir werden uns behaupten“: Dominion-Schiffe

„Wir glauben nicht an das Glück“: Romulanische Schiffe

– Essays –

Dunkel, tragisch, glaubwürdig: Die Cardassianer

Fremde Gestade: Der Gamma-Quadrant

Wer ist schuld am Krieg? – Eine alternative Betrachtung

Extensions of Man: Ein futuristisches Tabuthema

Sektion 31: Auf dunklen Pfaden verlieren wir uns

Deep Space Nine

-Romanwelten –

Das, was hinter Dir liegt: Die Okkupations-Trilogie

Das, was noch vor Dir liegt: Der

Deep Space Nine

-Relaunch

„Das Spiel darf nicht enden“: Einblicke in die 8. Staffel

Alte, neue Crew: Die Hauptfiguren der 8. Staffel

Nachwort:

Das Vermächtnis einer besonderen Serie

Vorwort: Die Welt einer Star Trek‐Serie erkunden

Star Trek ist viel mehr als ein fiktives Abenteuer zwischen den Sternen. Es ist voll von Parabeln und Metaphern, die auf unsere Gegenwart anspielen. Zugleich weist es in seinen besten Momenten weit darüber hinaus, indem es jene inspirierende Utopie stiftet, in der sich eine vereinte Menschheit dem Universum zugewandt hat. Star Trek begleitet mich nun schon über einen großen Teil meines Lebens. Irgendwie ist es immer dabei gewesen, in allen möglichen Lebenslagen, bewusst wie unbewusst.

Am Anfang dieses Buches steht zunächst ein klares Bekenntnis: Ich bin ein Fan des ‚klassischen‘ Star Trek – wobei ich als Geburtsjahrgang 1985 hierunter weniger Gene Roddenberrys Originalserie (TOS) verstehe als die zwischen 1987 und 2005 entstandenen Nachfolgeserien1. Nachdem ich im Jahr 2021 begonnen habe, meine persönliche Sicht und Interpretation in Bezug auf die Inkarnationen Voyager (1995‐2001)2 und Enterprise (2001‐2005)3 in Buchform zu veröffentlichen, soll auch Deep Space Nine (1993‐1999) nicht fehlen.

Diese chronologisch gesehen dritte Star Trek‐Serie ist die letzte, deren Produktionszeit vollständig im 20. Jahrhundert lag. Und sie ist zweifellos diejenige, die mich unter den verschiedenen Entwürfen des ST‐Franchise am meisten geprägt, beschäftigt und mitgerissen hat. Ich sage immer gerne: Mit Star Trek: The Next Generation und Captain Jean‐Luc Picard bin ich zum Fan geworden, doch Deep Space Nine hat mich mitten ins Herz getroffen.

Die Serie rund um Commander bzw. Captain Benjamin Sisko und seine gemischte Mannschaft an Bord der cardassianischen Raumstation hat in vielerlei Hinsicht Maßstäbe gesetzt. So wie mit der Entdeckung des rätselhaften Wurmlochs eine Tür in einen unbekannten Quadranten der Galaxis aufgestoßen wurde, hat DS9 eine Pforte der Gelegenheit geöffnet, um Star Trek mutig zu erweitern und zu modernisieren. Dies ist eine bleibende Leistung, von der die Serie auch heute – Jahrzehnte nach ihrem Produktionsende – mächtig zehrt.

In diesem Buch möchte ich mich nicht in langen Nacherzählungen über das Making‐of oder Details der Produktion ergehen, die es anderswo bereits zuhauf zu lesen gibt. Stattdessen möchte ich neben einer Besprechung der einzelnen Staffeln v.a. das meiner Meinung nach einzigartige Setting von DS9 beleuchten, analysieren und interpretieren. Darunter fasse ich in der Serienhandlung stattfindende politische Ereignisse im Ränkespiel der Mächte, prominente Völker und Kulturen, Figuren, deren Persönlichkeiten und Beziehungen untereinander, Raumschiffe und Schauplätze.

In verschiedenen Essays möchte ich mich mit den unterschiedlichen Bestandteilen der komplexen Welt von Star Trek: Deep Space Nine auseinandersetzen, die wie ein sich immer weiter verdichtender und erhitzender Nexus daherkommt. Diese Welt ist von einer solchen Dynamik, dass die ehemals am Rand des erforschten Alls liegende namensgebende Station binnen weniger Jahre zum Knotenpunkt des Star Trek‐Kosmos im 24. Jahrhundert wird. Die Veränderungen am Ende der Serie werden schwerwiegend, einschneidend und nachhaltig sein, und doch steckt der Gang der Geschehnisse, den uns DS9 präsentiert, voller Dramatik, moralischem Konflikt und tiefer Menschlichkeit.

Ich möchte darauf verzichten, übertriebene Allegorien und Vergleiche mit der politischen Gegenwart zu ziehen, sondern den narrativen Stoff der Serie möglichst für sich betrachten. Dennoch soll dieses Buch am Ende hoffentlich auch wiedergeben, wie ich die Serie erlebt habe und was mich daran so fasziniert. Hier habe ich meine persönlichen Gedanken, Übersichten und Deutungen zusammengetragen.

‐ Der Autor, im März 2022

Anmerkung zur 2. Auflage:

In der zweiten Auflage dieses Buches wurden neben einer Überarbeitung und Ergänzung aller bestehenden Kapitel einige neue Kapitel bzw. Abschnitte hinzugefügt. Letzteres bezieht sich v.a. auf die Erweiterung der Sektionen zu Station und Raumschiffen, Essays und DS9‐Romanwelten.

‐ Januar 2024

1„Der Himmel ist das Limit“ – Die Star Trek‐Serien von 1987 bis 2005, BoD, 2022, 2. Auflage

2Star Trek: Voyager – Überblicke, Gedanken und Analysen zur siebenjährigen Sci‐Fi‐Odyssee, BoD, 2022, 2. Auflage

3Star Trek: Enterprise – Ein Rückblick auf die fünfte Star Trek-Serie, BoD, 2022, 2. Auflage Anmerkung: Dieses Buch ist nicht im Auftrag oder durch Unterstützung bzw. Veranlassung von Produzenten der Star Trek‐Serien oder zusammenhängenden Merchandise‐Artikeln entstanden. Es handelt sich ausschließlich um Meinungen und Interpretationen des Autors. Star Trek™ und sämtliche verwandten Markennamen sind eingetragene Warenzeichen von CBS Studios Inc. und Paramount Pictures.

– Die Serie –

„Der Weg zur Hölle ist

mit guten Absichten gepflastert.“

‐ Benjamin Sisko in

In fahlem Mondlicht

Die Serie

>> Neuer Anfang: Geburt und Genese von Deep Space Nine

Alles fing mit einem Anruf an

Im Frühjahr 1993 startete als nunmehr dritter Sprössling des Star Trek‐Kosmos die Serie Deep Space Nine, doch eigentlich beginnt die Geschichte bereits zwei Jahre vorher. Ende 1991 erhielt Rick Berman – seinerzeit Produzent von Star Trek: The Next Generation (TNG) und fortan allumfassender Herr über das Franchise bis in die 2000er Jahre –, einen Anruf von Brandon Tartikoff, damals Vorsitzender von Paramount Pictures. Berman wurde gebeten, eine dritte Star Trek‐Serie zu entwerfen. Tartikoff ließ ihn wissen, dass er es gerne sehen würde, wenn sich die neue Serie erkennbar von The Next Generation abheben würde. Keine allzu einfache Bitte, wenn man bedenkt, dass das Fandom zu diesem Zeitpunkt bereits auf sehr klar konturierte ST‐Abenteuer eingeschworen war und TNG ein im Wesentlichen modernisiertes Remake der Classic‐Serie aus den 1960er Jahren darstellte.

Die nächste Generation für Star Trek

Bei Deep Space Nine handelte sich um die erste ST‐Show, die nicht unter Anleitung oder Mitwirkung des ebenso verehrten wie umstrittenen Franchiseschöpfers Gene Roddenberry entstand. Da der Star Trek‐Erfinder im Herbst 1991 unerwartet verstorben war, übernahmen dessen Nachfolger Rick Berman sowie der bereits für TNG erfolgreich arbeitende Drehbuchautor Michael Piller die Rolle der ausführenden Produzenten.

Für beide Männer war zu diesem Zeitpunkt klar, dass ihre sorgsame, sanierte Fortführung des Roddenberry‐Universums funktionierte, und sie waren nun bereit, neue Ufer anzusteuern. Aufgrund des beispiellosen, stil‐bildenden Erfolgs von TNG und der zurückliegenden TOS‐Kinofilme war die Marke Star Trek zu Beginn der 1990er Jahre hoch frequentiert und in aller Munde. Was also lag da näher als es nach dem Ende der Abenteuer von Picard und Co. im TV mit einem weiteren Ableger zu probieren?

Harte Konkurrenz war absehbar

Freilich bedeutete dies, dass sich eine neue Inkarnation aus dem ST‐Kosmos an den starken Vorbildern würde messen lassen müssen – und tatsächlich sind solche Vergleichssituationen speziell im ST‐Fandom wirklich schwierig, weil jede neue Serie Polarisierungspotenzial besitzt. Zudem war das Produktionsumfeld ein anderes geworden.

Star Treks Erfolge in Film und Fernsehen hatten maßgeblich dazu beigetragen, dass andere Science‐Fiction‐Shows wie Pilze aus dem Boden schossen. Prominente Beispiele hierfür sind Time Trax: Zurück in die Zukunft, seaQuest DSV, Akte X – Die unheimlichen Fälle des FBI und insbesondere J. Michael Straczynskis Babylon 5 (eine Serie, die auffällige Gemeinsamkeiten mit DS9 besitzt und über die manche Gemüter bis heute uneins sind, wer sich an welcher Stelle von wem hat inspirieren lassen). Später würde sich Star Trek die Konkurrenz obendrein ins eigene Haus holen, indem DS9 über weite Strecken parallel zur vierten Serie, Star Trek: Voyager, lief – eine Entscheidung, die man durchaus kritisch hinterfragen kann.

Tartikoff wurde erhört

Konzeptionell entschieden Berman und Piller, einen sichtbaren Alternativweg zu TNG einzuschlagen. Nachdem verschiedene Konzepte diskutiert worden waren (z.B. Captain Sulu‐Serie, Klingonen‐Serie, Serie auf einer planetaren Kolonie), setzte sich die Idee einer auf einer Raumstation angesiedelten Geschichte durch, die im gleichen Zeitrahmen wie TNG spielen und damit das bestehende Universum des 24. Jahrhunderts erweitern sollte.

Dieses grundlegende Konzept bedeutete einen Bruch mit dem bis dato bei Star Trek üblichen Erzählstil. Dies war nämlich kein Setting, in dem ein Raumschiff vom einen zum nächsten Problem flog, dieses (vermeintlich) löste und dann weiter reiste, ohne noch etwas mit den mittel‐und längerfristigen Konsequenzen zu tun zu haben. Eine Raumstation blieb hingegen an Ort und Stelle, sodass hier eher gegeben war, dass Probleme permanent vor sich hin brodelten und immer wieder zurückkehrten.

Herausforderungen für das Storywriting

Analog dazu mussten sich die Autoren stärker vom Prinzip der Stand‐alone‐Episode lösen und stattdessen staffel‐ bzw. serienübergreifende Handlungsbögen erarbeiten. Abseits der Stammbesetzung, die bewusst gemischter ausfallen sollte, musste diese neue Serie zudem von mehreren wiederkehrenden Nebencharakteren mitgetragen werden. Bei einer an einem stabilen Wurmloch (Passage in einen anderen, fernen Quadranten) gelegenen Raumbasis sollten – wie bei einem intergalaktischen Handels‐ und Raumhafen – immer wieder neue, aber eben auch alte Gesichter auftauchen, was ein großes Rollenpotenzial bereithielt.

Außerdem sollte die neue Serie die Beziehungen zwischen den verschiedenen Figuren realistischer – ja, auch deutlich konfliktreicher – darstellen (etwas, das unter Roddenberry explizit abgelehnt worden war). Es sollten Personen mit abweichenden Moralvorstellungen und unterschiedlichen kulturellen und politischen Hintergründen aufeinandertreffen. In Bezug auf Optik und Handlung sollten bewusst dunklere Töne angeschlagen werden. Das ursprünglich erdachte Setting sollte nicht das paradiesgleiche Zentrum der Föderation abbilden, wo es an nichts fehlt, sondern einen Außenposten in einem zerrütteten Stellargebiet am Rand einer ehemals feindseligen Macht, wo es an allem mangelt – ein sprichwörtliches Pulverfass.

Ira Steven Behr kommt zum Zuge

Als Michael Piller 1995 zu Star Trek: Voyager wechselte, wurde er als ausführender Produzent bzw. Leiter des Writers Room durch Ira Steven Behr ersetzt, unter dem DS9 dann so richtig Fahrt aufnahm. Behr war bereits bei TNG dabei gewesen, hatte die Serie aber immer stark dafür kritisiert, dass sie zu starr und im Hinblick auf die Figuren entwicklungs‐ bzw. konfliktarm gewesen sei. Bei DS9 sollte er etwas Neues vorfinden – und das Ganze ab Staffel drei immer weiter nach seinem eigenen Gusto kultivieren.

In dieser Phase wich das ursprüngliche Konzept vom entlegenen Außenposten einer Raumstation Deep Space Nine als hochgerüsteter Festung, die angesichts der Bedrohung durch das aggressive, totalitäre Dominion zum gefühlten Mittelpunkt allen Geschehens im Quadranten avancierte – ein radikaler Wandel, der aber glaubwürdig und durchdacht vollzogen wurde. Man könnte auch sagen: Spätestens, als Avery Brooks alias Benjamin Sisko (der erste schwarze Protagonisten‐Kommandant in einer ST‐Serie) sich einen Bart stehen ließ und ‚oben ohne‘ zu tragen begann, war der kreative Durchbruch von DS9 geschafft. Zusammen mit Robert Hewitt Wolfe und Hans Beimler verfasste Behr die Drehbücher für die meisten Dominion‐zentrierten Episoden.

Behr bildete die große Kontinuitätslinie bis zum Serienende, die dafür sorgte, dass DS9 sich ‚aus einem Guss‘ entwickelte. Er war es, der elementare Veränderungen in der Dramaturgie forcierte, epische Begebenheiten im Blick hatte, die Charakterentwicklung vorantrieb und demonstrierte, wie viel er von modernem, horizontalem Erzählen verstand. Obgleich DS9 – wie nahezu alle Serien zu dieser Zeit – keinem vorab verfassten Masterplan folgte und wie auch TNG ‚on the fly‘ geschrieben wurde, stellte Behr sicher, dass sich die Show in Richtung einer genuinen Fortsetzungssaga entwickelte anstatt durch ein bestimmtes Setting verbundene Einzelabenteuer zu präsentieren, wie es während der ersten beiden Staffeln noch verbreitet gewesen war. Für eine Zeit, in der durchgehende Handlungsbögen in TV‐Serien kaum existierten (von exotischen Ausnahmen wie Babylon 5 oder Twin Peaks einmal abgesehen), kam diese Genese von DS9 einem kleinen produktionstechnischen Revoluzzertum gleich und sichert der Serie, Jahrzehnte nach ihrer Erschaffung, in der Ära der Streaming‐Serien die Anschlussfähigkeit an ein neues Publikum.

Wie auch The Next Generation sollte die Serie in Syndication vertrieben, also an regionale Networks weiter verkauft werden. Sie sollte sieben volle Staffeln mit insgesamt 176 Episoden füllen und damit eine weit über‐durchschnittliche Produktionsdauer erreichen. In der Gesamtbetrachtung würden es – um auf Tartikoffs ursprünglichen Wunsch zurückzukommen – tatsächlich v.a. die (teils scharfen) Kontraste zur bisherigen Star Trek‐Tradition sein, die DS9 hervorstechen und über die Zeit weiter reifen lassen würden.

Eine Frage von Erwartung und Aufmerksamkeit

Dennoch würde es der Serie nicht ganz leicht gemacht werden. Die Show hat immer darunter gelitten, dass sie sowohl von Studio‐ als auch Publikumsseite nie jene Aufmerksamkeit und Würdigung erhielt, die ihr eigentlich gebührt hätte (hierüber geben Showrunner wie Behr selbst ziemlich deutlich Auskunft). Tatsächlich war es so, dass andere Star Trek‐Erzeugnisse mehr im Fokus des Augenmerks standen. Insofern ist etwas dran, wenn man behauptet, DS9 sei innerhalb des Star Trek‐Universums eine eher unterschätzte Produktion. Dies drückt sich u.a. auch in verschiedenen Emmy‐Nominierungen aus, die der Serie letztlich aber durch die Lappen gegangen sind.

Ein Problem war, dass die Erwartungen an DS9, den enormen Quotenerfolg von TNG fortzusetzen, von vorneherein sehr hoch lagen. Als die Crew der U.S.S. Enterprise, NCC‐1701‐D, im Mai 1994 ihre siebenjährige Reise auf dem kleinen Fernsehbildschirm beendete und eine Kinokarriere begann, verfolgten erheblich mehr Zuschauer die abschließende siebte Staffel als es bei der ersten Staffel der Fall gewesen war – TNG entpuppte sich als wahres Quotenwunder. Dies ist eine äußerst rare Entwicklung im harten Seriengeschäft und konnte nur von einer Handvoll Serien erreicht werden, darunter auch Emergency Room oder Friends.

Trotz eines sehr erfolgreichen DS9‐Pilotfilms – mit 18,8 Quotenpunkten ein Ergebnis, das keine andere ST‐Serie vor und nach ihr toppen konnte – ging es über die Jahre der Serie beständig bergab, bis etwa ein Drittel des harten Zuschauerkerns verblieb. Aus heutiger Sicht ist das immer noch ein gutes Ergebnis, erst recht wenn man bedenkt, dass sich DS9 – anders als Captain Picard und Co. – einer Menge Konkurrenzprodukte auf dem Sci‐Fi‐Markt stellen musste. Von der Konkurrenz im eigenen Hause, die zuerst mit TNG und dann Voyager erfolgte, ganz zu schweigen.

Diese Form von Marktübersättigung blieb natürlich nicht ohne Auswirkungen: Der Epos rund um die Raumstation musste sich mit einem kleineren Stück vom Kuchen zufrieden geben. Die Quoten waren mit denen der Nachfolgeshow Voyager ziemlich gut vergleichbar, wobei dort niemals ein so hartes Urteil über mangelnden Erfolg gefällt wurde. Wer weiß, vielleicht fiel bei DS9 die Enttäuschung seitens Paramount größer aus, weil es sich um die unmittelbare Nachfolgeserie von TNG handelt. Die Maßstäbe waren vermutlich einfach zu hoch angesetzt worden. Trotzdem ließ man DS9 gewähren, fokussierte sich auf andere ST‐Produktionen und ließ das ‚schwarze Entlein‘ im Windschatten der Franchisepioniere weitermachen. Darin lag auch eine Chance für Behr und sein Team, ihr eigenes Ding zu machen.

Zum problematischen Erwartungsmanagement auf der Studioseite hinzu kommt, dass die abweichende inhaltliche Richtung und der neue Stil von DS9 zwar neue Zuschauer ansprachen, jedoch nicht alle der angestammten Star Trek‐Fans mitnehmen konnten. Die cardassianische Raumstation bot alleine optisch ein völlig anderes Erscheinungsbild als die geradezu antiseptisch saubere, helle und stets geordnete Enterprise. Die Figuren stritten teils wie die Kesselflicker, wo es unter Jean‐Luc Picard im Grunde nur Friede, Freude, Eierkuchen zu besichtigen gegeben hatte. Zudem dominierte gerade in der zweiten Hälfte der Serie die Konfrontation mit dem Dominion, was DS9 dahingehend vertiefte, dass es die Konsequenzen von Krieg, moralischer Makelhaftigkeit und schweren Entscheidungen behandelte.

Auch die ehrwürdige Föderation bekam ihr Fett weg. Denkt man an die kritische Darstellung der Sternenflotte (z.B. Putschversuch durch Admiral Leyton) oder die in ihrem Herzen wohnende Sektion 31, wird das Image der Planetenallianz durchaus angekratzt. Dadurch ist die Utopie in DS9 gegenüber dem Vorgänger TNG eindeutig abgeschwächt. Der Umstand, dass DS9 immer dichtere Geschichten in ausgedehnten Handlungssträngen erzählte, machte es für den Gelegenheitszuschauer schwieriger, hier und da mal einzuschalten und der Serie unkompliziert zu folgen.

Erfolg in einem schwieriger werdenden Umfeld

Entgegen all dieser Widrigkeiten konnte sich DS9 über die Jahre dennoch zu einem insgesamt erfolgreichen Star Trek‐Ableger mausern, der v.a. in kreativer Hinsicht seinesgleichen suchte. Aufgrund ihres frischen und mutigen Ansatzes ist die Serie auch Jahrzehnte nach ihrer Produktion weithin aktuell geblieben, vielleicht in mancher Hinsicht sogar an den Zeitgeist herangerückt.

Ganz sicher handelt es sich bei DS9 um eine der besten Science‐Fiction‐Serien überhaupt. Aus meiner persönlichen Sicht ist es nach TNG die letzte große Star Trek-Serie, die es mit Intelligenz, Einfallsreichtum, Herz und Risikobereitschaft verstand, einem der größten Franchises neue Wege aufzuzeigen. Warum das so ist, wollen wir im folgenden Abschnitt vertiefen.

Die Serie

>> Trek with an edge: Das Besondere an Deep Space Nine

An dieser Stelle möchte ich mir Allgemeinplätze und platte Lobeshymnen sparen, denn natürlich halte auch ich DS9 für eine herausragende, wenn nicht sogar die beste Star Trek‐Serie von allen. Stattdessen möchte ich nun zum Wesentlichen vorstoßen und die Frage weiter verfolgen: Was macht DS9 eigentlich so besonders? Was hebt es bis heute so klar von den anderen Franchisevertreterinnen ab?

Zunächst würde ich schlicht festhalten: DS9 hatte den Mut, in vielerlei Hinsicht neue Wege zu gehen. Davon profitierte nicht nur das erzählerische Niveau, wenn es etwa um die moralische Fehlbarkeit einer Hauptfigur oder die Konflikte innerhalb der gemischten Besatzung ging, sondern auch die Vielfalt im Star Trek‐Universum. Die Serie wurde so viel mehr zum direkten Spiegel unserer Gegenwart, ohne die moralisch‐humanistische Erhabenheit des Kern‐Treks aufzugeben. DS9 hat Star Trek in gewisser Weise ‚neu‘ erfunden und dem Franchise dadurch eine Frischzellenkur verpasst. Zugleich hat es aber immer in hohem Maße mit den Vorlagen TOS und TNG gearbeitet und eine organische Anschlussfähigkeit seiner Weiterentwicklungen sicherzustellen versucht.

Meiner Einschätzung nach lässt sich der Alleinstellungswert von DS9 drei groben Kategorien zuordnen, auf die ich mich im Folgenden konzentrieren will: Setting, Erzählung und Figuren.

Das Setting

Fester Schauplatz: DS9 hatte von vorneherein ein klar lokalisierbares Zentrum mit der im bajoranischen Heimatsystem stationierten namensgebenden Raumstation. Es hat zwar nicht darauf verzichtet, neue und wechselnde Handlungsorte einzuführen und fremde Welten zu besuchen, aber trotzdem gab es stets einen Rückbezug auf dieses Zentrum. Mit der festen Verortung der Serie ging die Möglichkeit einher, vertiefte Erzählungen zu schildern (man nehme z.B. die Bajor‐ und Cardassiazentrierten Episoden) und sehr konkrete Entwicklungslinien zu verfolgen; alte Probleme kehrten manchmal in neuer Form zurück und beschäftigten Sisko und seine Crew weiter. Das für ST typische, manchmal etwas beliebige Alien‐of‐the‐week‐Prinzip wurde nachhaltig durchbrochen – auch nach der Einführung der U.S.S. Defiant als stärker mobiles Serienelement blieb das so.

Verlassen des utopischen Raums: DS9 hatte sich ein Setting gewählt, in dem es die Utopie (die hehre Föderationszivilisation) explizit nicht aufgeben muss, aber zugleich den Raum der Utopie mit dem bajoranischen Sektor als Hauptschauplatz verlässt. Dies gilt nicht nur für die äußeren Verhältnisse (neutraler Raum, Cardassianer und EMZ direkt ‚nebenan‘, Wurmloch als Tor ins buchstäbliche Unbekannte), sondern auch für das Innenleben auf der Station, wo eine ganze Reihe von Figuren vertreten sind, die nicht aus der Föderation kommen und dementsprechend auch nicht deren Prinzipien vertreten und teilen müssen. Zur Umgebung außerhalb von Utopia zählt übrigens auch das Wirtschaftliche. Auf der Erde und den Kernwelten der Föderation gehört Geld bekanntermaßen der Vergangenheit an, aber auf DS9 – jenseits des Föderationsraums – ist das anders. Goldgepresstes Latinum ist hier das Bezahlmittel der Wahl, offenbar die beste und kompatibelste Universalwährung.

Vom Rand der Galaxis zum Zentrum allen Geschehens: Startete DS9 als eine Serie in einem entlegenen, eher verruchten Winkel der Galaxis (man denke an Dr. Bashirs Schwärmerei von der „Wildnis“ im Pilotfilm), mauserte das dynamische Setting sich durch die enorm politischen Konsequenzen (Entdeckung des Wurmlochs, Kontakt und Konflikt mit dem Dominion, DS9 als Vor‐und Frontposten) spätestens in der vierten Staffel endgültig zum gefühlten Mittel‐ und Brennpunkt allen Geschehens. Auf DS9 gibt sich so das halbe Who‐is‐who des Quadrantengefüges im Laufe der Zeit die Klinke in die Hand. Obwohl diese Entwicklung zu Beginn der Serie nicht zwangsläufig war, erscheint sie doch organischkonsequent, eröffnete die Möglichkeit für stärker pangalaktische Handlungsstränge und unterstreicht die Bedeutung der titelgebenden Station.

Reflexion der neuen Weltlage: Paradigmatisch und politkulturell stand DS9 für eine neue weltpolitische Ausrichtung des Star Trek‐Franchise – und das ist nicht gering zu schätzen. Seit Gene Roddenberrys Originalserie war das ST‐Universum bis dahin in den Koordinaten des Kalten Kriegs und damit der Blockkonfrontation beheimatet gewesen. In TNG setzte Captain Picard, analog zu den USA in den 1970er und 1980er Jahren (eine Vielzahl von Abrüstungs‐ und Verständigungsabkommen mit der Sowjetunion wurden geschlossen), auf bi‐ und multilaterale Problemlösungen. Gerade Groß‐ und Supermächte sollten tunlichst nicht in kriegerische Auseinandersetzungen geraten, daher wurde der Diplomatie stets der Vorzug vor aggressiven Interventionen gegeben, wie sie noch in TOS durchaus Gang und Gäbe gewesen waren. Der Kalte Krieg hatte sich somit in friedliche Koexistenz verwandelt. Diplomatie sollte Konflikte entschärfen, lösen und zivilisieren, und sie sollte den Status quo sichern helfen. Das Star Trek‐Signum des Völkerrechts war die Oberste Direktive. Mit dem Kollaps des sowjetischen Riesenreichs stand die Welt mit einem Mal vor einer gänzlich neuen Lage, und dies griff DS9 in komprimierter Form auf: Durch Überdehnung und allmählichen Niedergang der Cardassianischen Union ist ein Machtvakuum entstanden, der ehemals okkupierte Planet Bajor hat seine Freiheit zurückerlangt, und während Föderation und Cardassianer sich auf einen neuen, aber fragwürdigen Frieden zu bewegen, muss die allgemeine Lage allem voran stabilisiert werden. Die Föderation – stellvertretend für die Vereinten Nationen – springt in diesem Winkel des Weltraums ein, und tatsächlich ähneln ihre Aufgaben den typischen UN‐Missionen der 1990er Jahre: Wiederaufbau, Friedenserhalt und Konfliktbewältigung. Dies ist wohlgemerkt nur der Ausgangspunkt der Serie, die sich zu einer durch und durch globalgalaktischen Angelegenheit weiterentwickelt.

Herausfordernde Gegner: DS9 ist ungemein spannend, weil es nicht zuletzt mit bedrohlichen, dreidimensionalen Gegnern arbeitet. Sind es zunächst v.a. die Cardassianer (die wie die Bajoraner von TNG über‐nommen wurden), steigt ab der dritten Staffel das Dominion zum großen Kontrahenten auf. Das Dominion ist deshalb so gefährlich, weil es wie eine regelrechte Anti‐Föderation erscheint und sich sehr gezielt den Mitteln von Tücke und Furcht bedient. Auch die Klingonen werden zeitweilig als entfesselte Bedrohung inszeniert, die in einer Zeit der Paranoia zu ihren aggressiven Wurzeln zurückkehrt, doch dann werden sie in der Not zu wertvollen Alliierten. Denken wir zudem an den Maquis: Die Rebellenbewegung und ihre Anführer sind im Sinne einer für die Sternenflotte schmerzlichen moralischen Zwickmühle ein interessanter Gegner, weil dieser ein Stück Gerechtigkeit stets auf seiner Seite hat. Lediglich die Romulaner kommen in der Serie zu kurz. Viele der antagonistischen Figuren sind nicht nur gut von den entsprechenden Schauspielern in Szene gesetzt, sondern ihre Motive sind oft nachvollziehbar, sodass sie plastischer und authentischer wirken. Ich denke hier an Charaktere wie Weyoun, Michael Eddington oder auch Gowron (die Liste ließe sich noch erheblich verlängern). Das in meinen Augen aber beste Beispiel für einen herausfordernden Gegner ist und bleibt Gul Dukat, welcher schon im Pilotfilm als Widersacher aufgebaut wird. Der ehemalige Präfekt von Bajor – der den Abzug von seinem alten Posten nie wirklich verwunden hat – ist kein platter rachsüchtiger, gewalttätiger Schurke, wie er selbst bei Star Trek viel zu oft präsentiert wird. Nein, Dukat ist facettenreich, und obwohl er einen sehr dunklen, boshaften Kern hat, tritt er nicht immer als offensichtlicher Feind auf – ganz im Gegenteil. Dukat ist ein hochintelligenter, gewiefter Mann; er ist innerlich zerrissen, und aufgrund der sich rasch wandelnden politischen Umstände schlüpft er in verschiedene Rollen. So glaubt der Zuschauer zeitweilig, bei Dukat könnte eine Entwicklung zum Positiven eingesetzt haben (etwa wenn er vermeintlich selbstlos seine Tochter Ziyal aus einem Breen‐Gefängnis befreit oder Siskos Besatzung bei mehreren Gelegenheiten hilft), ehe man mit Entsetzen feststellt, dass dies ein Trugschluss war (z.B. als sich herausstellt, dass Dukat Geheimverhandlungen mit dem Dominion geschlossen und Cardassia an den neuen Feind ‚verkauft‘ hat). Dukats Bösartigkeit entspringt seiner Verletzlichkeit, seinem gekränkten Narzissmus, und mit Donald Trump haben wir auch in der Realität vorgeführt bekommen, wohin solche charakterlichen Grundkonstellationen ein ganzes Land und sogar die Welt führen können. Dukat interpretiert seine Zeit als Bajors Präfekt idealisiert und verklärt, obwohl er gemordet, gefoltert, versklavt hat. Er funktioniert als Kontrahent so gut, weil er Sisko in vielen Dingen gleicht und dennoch völlig anders ist. Wie Sisko ist Dukat einflussreicher Kommandant und Vater, Soldat und (später) religiöse Figur. Aber er deutet diese Rollen völlig im Gegensatz zu Sisko. Eine weitere Figur, deren persönliche Schwächen und innere Korrumpierbarkeit sich als sehr verhängnisvoll erweisen, ist Kai Winn Adami. Hinter der Fassade einer vermeintlichen Heiligkeit schlummert in der Kai eine abgründige, von Missgunst zerfressene Seele.

Religion und Mystik als authentische Elemente: Star Trek war immer sehr skeptisch in Bezug auf metaphysische Erscheinungen und Storyelemente. Entsprechend negativ bis lächerlich wurde Religion in den früheren Serien dargestellt, insbesondere in TOS. Roddenberry selbst gab zu Protokoll, dass Religion für ihn ein Teil des Problems heutiger Gesellschaften sei, da ihr Vorurteile, Obrigkeitsdenken und antiaufklärerische Einstellungen entsprängen. Der Franchise‐Erschaffer betrachtete Religion als archaisches, spalterisches Element, das nicht zu seiner Vision einer rationalen, humanistischen Zukunft passt. DS9 schlug hier eine gänzlich andere Marschroute ein. Als bislang einziger ST‐Serie gelang es ihr, spirituelle und mystische Bestandteile zu integrieren, ohne die Nase darüber zu rümpfen und zugleich die dezidiert rationale Star Trek‐Perspektive niemals zu verlieren. Diese Anreicherung schafft mehr Nähe zu unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit. Dass Religion auch eine Quelle positiver Energien sein kann, führen uns die Bajoraner vor Augen, von denen wir gleich zu Beginn lernen, dass es ihr Glaube an die Propheten war, der sie die lange und harte cardassianische Besatzung ihrer Welt ertragen und aufopferungsvoll gegen die Peiniger kämpfen ließ. Und in der Konsolidierungsphase ihres Planeten nach dem Abzug der Cardassianer ist es ebenfalls die Religion, die eine enorme und zentrale Integrationsfunktion unter den zersplitterten und zerstrittenen Bewohnern Bajors einnimmt. Gerade Kai Opaka und Vedek Bareil repräsentieren Werte wie Barmherzigkeit, Altruismus und moralische Festigkeit. Gleichwohl lernen wir auch die Schattenseiten von Religion bzw. Religiosität anhand von Figuren wie Winn oder später sogar Dukat kennen, wenn nämlich Egoismus, Machtgier und Hass im Spiel sind. Ähnliches gilt unter anderen Vorzeichen für die Gründer, die den Vorta und den Jem’Hadar zwecks optimaler Kontrolle eingepflanzt haben, sie als Götter zu verehren. Hier ist Religion ein klares Machtinstrument. Immer wieder gelingt es DS9, eine Doppelperspektive von Wissenschaft und religiöser Weltanschauung bewusst herzustellen, sodass säkulare und glaubensorientierte Weltsichten ihre Berechtigung haben und nebeneinander stehen können. Selbst für Siskos Pfad des Abgesandten, seine Visionen und die Wahrheit über seine Existenz, die er letztendlich herausfindet, gilt dies. Ob die von den Bajoranern angebeteten Propheten nun tatsächlich Götter oder schlicht außerhalb von Raum und Zeit lebende Wurmlochwesen sein mögen – es liegt am Betrachter selbst, sich ein Urteil zu bilden. Dass mit Kira Nerys eine primäre Hauptfigur der Serie selbst tief im bajoranischen Glauben verwurzelt ist, unterstreicht die tolerante Grundbotschaft der Serie. Wissenschaft und Religion mögen sich immer wieder aneinander reiben, doch es gibt keinen Grund, weshalb sie am langen Ende nicht miteinander vereinbart werden könnten. DS9 ist in diesem Zusammenhang nachdenklich und prinzipiell vorurteilsfrei.

Umarmung des Star Trek‐Universums: Es gehört zu den Ironien des Franchise, dass DS9 von einem Teil des Fandoms bis heute vorgeworfen wird, kein ‚richtiges‘ Star Trek zu sein. Dabei hat keine andere Serie Star Trek in seiner Ganzheit je wieder derart umschlossen wie DS9 es getan hat. Verschiedene Versatzstücke sind im Laufe dieses Textes bereits angesprochen worden. DS9 baute in TNG etablierte Völker und Mächte (Cardassianer, Bajoraner, Ferengi, Trill, im weiteren Sinne auch die Klingonen, Maquis etc.) zu vollwertigen Kulturen in einem politischen Geflecht aus, transferierte bekannte Charaktere (O’Brien und seine Familie, Worf, Gowron, Thomas Riker, Lwaxana Troi etc.) in die eigene Serienwelt und entwickelte alles gemeinsam organisch weiter. Insoweit ist etwa das Erscheinen Worfs auf der Station in Der Weg des Kriegers kein Bruch, sondern die ziemlich konsequente Fortsetzung eines Trends, der bereits früh von den Serienmachern verfolgt worden war. Und DS9s Umarmung des ST‐Kosmos geht noch darüber hinaus: Man denke beispielsweise an das wiederkehrende Spiegeluniversum oder an eine ikonische Zeitreise‐Episode anlässlich des dreißigjährigen Jubiläums von Roddenberrys Vision (Immer die Last mit den Tribbles). Man denke an die Versuche, der Menschheitsgeschichte im 20. und 21. Jahrhundert mehr Hintergrund zu verleihen (Gefangen in der Vergangenheit) oder an die mit Julian Bashirs ‚Enttarnung‘ zusammenhängende Thematisierung von genetischer Erweiterung (Dr. Bashirs Geheimnis, Statistische Wahrscheinlichkeiten), die bis zu Khan Noonien Singh zurückreicht. DS9 war insoweit immer Meta‐Trek, und doch ruhte es sich nie auf all diesen Referenzen aus, sondern war klug genug, seinen ganz eigenen Storyweg einzuschlagen. Mehr kann man von einer kunstvollen und großen Franchiseshow nicht erwarten.

Die (epische) Erzählung

Komplexe Storyarcs: Keine andere Serie führte in ihrem Pilotfilm derart viele Handlungsstränge und damit mögliche Entwicklungslinien für die kommenden Seasons ein wie DS9. Umso bemerkenswerter ist, wie viele dieser Stränge im Prinzip bis zum Schluss weiterverfolgt oder zumindest immer wieder aufgegriffen wurden, wiewohl natürlich auch im Laufe der Serie neue Arcs hinzukamen. Die Komplexität der Erzählung ist von vorneherein weit dichter und epischer als bei anderen ST‐Serien, weil die Macher in DS9 neben den klassischen Einzelepisoden in regelrechten Storybögen dachten, die schubweise – mal mehr, mal weniger stark – verfolgt werden und die Serie daher in Episodenpaketen betrachtet werden muss. Beispiele sind etwa die Folgen, die sich mit den (politischen) Wandlungsprozessen der bajoranischen Gesellschaft befassen, mit dem sich verstärkenden Maquis‐Konflikt oder auch dem in Etappen vorbereiteten bzw. verlaufenden Krieg gegen das Dominion. Besonders herausragend sind in diesem Zusammenhang die in einem Stück erzählten Episoden rund um die Eroberung und Rückeroberung von DS9 zum Ende der fünften bzw. am Beginn der sechsten Staffel sowie die zehn zusammenhängenden Finalfolgen in der siebten Staffel. Man merkt deutlich, dass sich DS9 Zeit nimmt, die Geschichte langsam und sorgfältig zu entfalten; das ‚Pacing‘ ist dadurch von einer gänzlich anderen Sorte und Qualität. Die Macher bewiesen einen langen Atem und Geduld, gerade wenn man an die Entfaltung der Dominion‐Bedrohung bis hin zum Kriegsausbruch denkt.

Politische Handlungen: TNG tat es bereits, wenn auch nur in einzelnen und abgeschlossenen Episoden – DS9 nimmt sich daran ein Beispiel und steigert sich enorm. Ein festes, verankertes Setting und die Möglichkeit zu zusammenhängenden Episoden, die Abschied nehmen von der berüchtigten ‚Roddenberry Box‘, eröffnen politische Handlungen, die DS9 von Anfang an weitestgehend gekonnt verfolgt. Zu nennen sind zunächst der Wiederaufbau und die schwierige Übergangszeit auf Bajor, die Konflikte mit Cardassia und dem Maquis (Entmilitarisierte Zone), das Säbelrasseln mit dem Dominion, die überaus dramatischen Umbrüche im Alpha‐ und Be‐ta‐Quadranten vor Ausbruch des Kriegs gegen die Macht von der anderen Seite der Galaxis und schließlich der Kriegsverlauf selbst mit all seinen Irrungen und Wirrungen. Dabei verzichtet DS9 auch nicht darauf, das Innenleben der Föderation stärker zu beleuchten und durchaus ihre Schwachpunkte und zweifelhaften Seiten zu zeigen – etwas, das andere Serien so gut wie vollständig unterließen. So brachte die Infiltration der Föderation durch die formwandelnden Gründer das innerstaatliche Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit auf das Tableau der Serie. Wenn man sich DS9 heute, über zwei Jahrzehnte nach der Ausstrahlung seiner Finalfolge, ansieht, so fällt auf, dass die Autoren einige politische und gesellschaftliche Entwicklungen in fast schon visionärer Voraussicht antizipiert haben. Einige Parallelen zur Gegenwart sind derart frappierend, dass es einem den Atem verschlägt. Nehmen wir nur das Zeitreiseabenteuer Gefangen in der Vergangenheit aus der dritten Staffel. In diesem begeben sich Sisko, Bashir und Dax zurück in das Jahr 2024. DS9 zeigt uns eine sozial und ökonomisch tief gespaltene und segregierte amerikanische Gesellschaft. Während eine reiche Oberschicht in Saus und Braus lebt, muss eine teils unverschuldet arm gewordene oder arm geborene Unterschicht in vom Staat geschaffenen Ghettos ein unwürdiges Leben fris‐ten. Es sind Zonen, aus denen man kaum jemals wieder herauskommt.

Dilemmata und der Umgang mit ihnen: An verschiede‐nen neuralgischen Punkten der Seriengeschichte werden die Helden mit Problemen konfrontiert, für die es keine einfachen Lösungen gibt. Wenn es hart auf hart kommt, sind es sogar schwerwiegende moralische Dilemmata – die berüchtigte Wahl zwischen zwei Übeln. Für manche der Figuren bedeutet die Auseinandersetzung mit solchen Fragen eine existenzielle Konfrontation: Wie weit ist man bereit, für ein höheres Gut zu gehen? Inwieweit stellt man dafür seine Moral zurück? Wo verlaufen rote Linien? Kann man mit solchen Entscheidungen, in deren Zuge die eigene Ethik kompromittiert werden musste, langfristig leben? Inwiefern wird man davon verfolgt? Die Begegnung mit Dilemmaszenarien, mit moralischen Bürden, die die Charaktere zu tragen haben, ist zu einem echten Markenzeichen der Serie avanciert und verleiht ihr weit mehr Realismus, ja Authentizität. Zudem hält dies große Rückkopplungen für die Figurenentwicklung bereit. Die Drehbuchschreiber waren stets so klug, beides nicht voneinander zu trennen.

Krieg und seine Folgen: DS9 besichtigt allem voran in seiner zweiten Hälfte in der Rolle eines ausgemachten Antikriegsdramas die Bedeutung von Krieg als gesellschaftlicher und individueller Wirklichkeit. Totalitäre und revisionistische Mächte schließen sich zusammen, um die freien Gesellschaften zu vereinnahmen und zu unterwerfen; sie schrecken nicht davor zurück, Zivilisationsbrüche zu begehen. Wie geht man damit um? Versucht man sich im Sinne der Vermeidung von Krieg an Appeasement (also politischem Entgegenkommen) oder bleibt man standhaft‐kompromisslos? Als der Krieg dann ausbricht und zu einer schrankenlosen militärischen Auseinandersetzung gerät, sind es andere Fragen, die ins Zentrum rücken. Damit einhergehend, werden v.a. direkte und indirekte Konsequenzen eines umfassenden, ausgedehnten Kriegs auf verschiedensten Ebenen beleuchtet. Hierbei fokussiert die Serie mutig und differenziert, inwiefern Kriege dazu führen, dass Menschen emotional und moralisch abstumpfen, den Feind zusehends entmenschlichen und damit ihre eigene Menschlichkeit zu verlieren drohen. Es geht aber auch, wie bereits angesprochen, um gesellschaftliche Veränderungen innerhalb der Föderation, die ja eigentlich ihrer Grundierung nach dem Krieg als Mittel der Politik abgeschworen hat. Im Angesicht der existenziellen Konfrontation mit dem Dominion und einer drohenden Niederlage sieht sich die Planetenunion gezwungen, ihre humanistischrechtschaffenen Grundsätze zu kompromittieren. In den Vordergrund schiebt sich ein kaltes Kosten‐Nutzen‐Denken, das die Integrität des interstellaren Völkerbundes untergräbt. So beleuchtet DS9, dass selbst eine vermeintlich fortschrittliche, utopische Gesellschaft im Angesicht von Verheerung und Tod zivilisatorisch zurückfallen kann. Zugleich präsentiert es aber auch Helden, die es sich in den Wirren des Kampfes zu keiner Zeit leicht machen und sich bewusst sind, was sie zu verlieren drohen, wenn sie der Verantwortungsethik nachgeben. Im Gegensatz zu prominenten Antikriegserzählungen wie Band of Brothers oder The Pacific setzt DS9 weniger auf die Macht der Bilder als auf die Macht der Erzählung und des Wortes.

Fehlbares Utopia: In DS9 wird das Bild der bislang so unantastbaren Föderation mit einigen erheblichen Makeln und Schrammen versehen. Dies erfolgte zeitgeschichtlich betrachtet ein Stück weit parallel zur zusehends kritischeren Auseinandersetzung und Diskussion über die Rolle der USA als ‚Hüter‘ der neuen Weltordnung nach dem Kalten Krieg. Diese Rolle wird anhand der Föderation, die in TNG noch eine Art gesegnetes Idyll war, durchaus erwachsen reflektiert. In der gesamten Serie zeigt sich die Planetenallianz fehlbar. Selten offen belehrend, konfrontiert uns DS9 mit kritischen Fragen, denen wir nachhängen können: Stolpert die Föderation durch eigenes Mitverschulden in den Krieg gegen das Dominion hinein, weil sie die Zeichen der Zeit nicht rechtzeitig erkannte? Oder man denke an ihren Umgang mit den Cardassianern und dem Maquis. Um tunlichst Frieden mit einer ehemals verfeindeten Macht zu schaffen, war sie bereit, einen sehr hohen Preis zu zahlen – und ihre eigenen Bürger im Grenzgebiet aufzugeben. Dadurch schuf sie sich neue Probleme, die wiederum den Frieden mit Cardassia bedrohen und dessen Hunger auf Revision des Status quo weiter anfachen. Die Art und Weise, wie die Sternenflotte den Maquis kriminalisiert und verfolgt wie Schwerverbrecher, kann ebenfalls hinterfragt werden. Und wie selbstverständlich und unumstößlich ist eigentlich die innere Verfasstheit der Föderation? Zeigte uns der Putschversuch von Admiral Leyton nicht, dass eine gehörige Portion Angst und Paranoia dazu führen können, dass die Demokratie plötzlich als schwach und reversibel betrachtet wird, weil der Ruf nach dem vermeintlich ‚starken Mann‘ laut wird? Und mehr noch: Was im Herzen der Planetenallianz rund um die Machenschaften von Sektion 31 geschieht, zieht einem zum Ende der Serie sprichwörtlich den Boden unter den Füßen weg. Wie wir sehen, ist Sektion 31 nicht isoliert, nein, sie infiltriert Denken und Handeln der Sternenflotte und Föderationspolitik. An verschiedenen Punkten der Serie wird also hart mit der Planetenallianz ins Gericht gegangen. Zwar wird DS9 keinen echten Zweifel daran aufkommen lassen, dass die Föderation im Kern ihres Wesens für eine normativ gute, gerechte Ordnung steht, doch ist die Serie gespickt mit markanten Ambivalenzen, die der in TNG noch verklärten Zukunftsgesellschaft Grautöne und sogar Schattenseiten andichten. Dadurch wird deutlich: Nichts ist gottgegeben und selbstverständlich, und auch Demokratie und Werte müssen tagtäglich neu erkämpft und geschützt werden, gerade in Krisenzeiten. Auch im Hinblick auf diese Botschaft war DS9 in bemerkenswerter Weise seiner Zeit voraus.

World Building: Star Trek entdeckte seit seiner Entstehung unzählige fremde Welten, aber nicht immer war es gut, wenn es um die glaubwürdige Darstellung von Kulturen ging. DS9 ragt gerade hier heraus. Das fest verortete Setting brachte die große Chance, bestimmte Völker bzw. Weltenbündnisse wie die Bajoraner, Cardassianer und das Dominion vertieft und facettenreich zu betrachten. Mit dem Einstieg des von TNG importierten Worf in der vierten Staffel wandte sich DS9 auch der konsequenten Weiterverfolgung der klingonischen Gesellschaft zu. Zudem ist es ausschließlich das Verdienst dieser Serie, dass die Ferengi von einer Ansammlung von Witzfiguren und Halunken zu einer spannenden, alternativen und trotzdem unterhaltsamen Kultur ausgebaut wurden, die eine Menge ironischer Anspielungen auf die Auswüchse des US‐amerikanischen Kapitalismus bietet.

Überwinden von Tabus: DS9 segelte produktionsmäßig eher im Windschatten von TNG und VOY. Vielleicht ist das einer der wesentlichen Gründe, weshalb die Macher freier waren als bei anderen ST‐Serien, die üblichen Restriktionen innerhalb des Franchise zu überwinden. Teilweise wurden kreative Lösungen gefunden, ohne in direkter Weise mit den seit Roddenberry geltenden Vorgaben zu brechen, die auch dem neuen Franchiseoberhaupt Rick Berman am Herzen lagen. So wurden immer wieder neue Dinge ausprobiert, ohne die Grundprinzipien der Funktionsweise einer modernen Star Trek‐Serie auszuhebeln. Beispielsweise galt es seit Roddenberry‐Zeiten als ungeschriebenes Gesetz, dass es innerhalb des Hauptcasts keinerlei Konflikte geben durfte, weil eine moralisch geläuterte Menschheit präsentiert werden sollte – ein Umstand, unter dem die TNG‐Autoren seinerzeit sehr gelitten hatten. Dieses Problem umgingen die Macher von DS9, indem sie besonders viele nichtmenschliche Vertreter in die Führungscrew einführten, die nicht der Sternenflotte angehörten und entsprechend auch nicht ihren Regeln und ihrer Ethik unterworfen waren. Auf ganz ähnliche Weise wurde auch eine Ökonomie an Bord der multikulturellen Station außerhalb des Föderationsraums eingeführt. Das Ergebnis war ein wirklichkeitsnäheres Setting, das dennoch problemlos Teil von ST bleiben konnte.

Die Figuren

Konsequente Charakterentwicklung: Weg vom Technobabble, hin zu den Figuren – das war von vorneherein der Anspruch von DS9, und tatsächlich merkt man es der dritten ST‐Serie von Beginn an. Viele Charaktere haben regelrechte Entwicklungsbögen und ‐etappen, in denen sie in ganz verschiedene Situationen gebracht werden, etwas gravierend Neues über sich erfahren und intensive Wandlungsprozesse durchleben. Dies gilt beispielsweise für Kommandant Benjamin Sisko, der zu Beginn noch große Probleme damit hat, eine Doppelrolle zwischen Sternenflotten‐Befehlshaber und Abgesandtem zu spielen und der genau diese Rollendualität am Ende umarmt. Kira Nerys wiederum entwickelt sich über die sieben Serienjahre von einer trotzigen Rebellin zu einer ausgeglichenen und verantwortungsvollen Offizierin, die lernt, ihren pauschalen Hass auf die Cardassianer und damit ihr Schwarz‐Weiß‐Denken zu überwinden. Genauso gelten fundamentale Entwicklungsprozesse aber auch für Odo, Bashir, Worf, Quark, Garak und Dukat. Hintergründe werden ausgeleuchtet, häppchenweise Informationen über Figuren hinzugefügt und dadurch ein beeindruckend komplexes Bild mancher Charaktere erstellt. DS9 ist zudem die ST‐Serie der Eigenbrötler, Sonderlinge und Exoten (man denke an Figuren wie Odo, Worf, Garak oder Rom). Odo brachte selbst einmal auf den Punkt, was DS9 zu seinem Proprium gemacht hat: „Ein Außenseiter zu sein, ist gar nicht so schlecht. Es gibt einem eine einzigartige Perspektive.“ Eine auffällige Tendenz zur ‚Pärchenbildung‘ (z.B. Sisko‐Dukat, Odo‐Kira, Bashir‐Garak, Odo‐Quark, Worf‐Dax, O’Brien‐Bashir) verstärkt das Vermögen der Serie, Charaktere voneinander abzugrenzen und möglichst scharf zu zeichnen sowie auch glaubwürdige Freundschaften und (durchaus reibungsintensive) Beziehungen mit einer gewissen Chemie zu schildern.

Riesiges, diverses Ensemble: Keine andere Serie versammelt ein so großes und diverses Aufgebot an Gastcharakteren wie DS9, insbesondere ab Staffel vier (Garak, Nog, Rom, Weyoun, Martok, Eddington, Brunt, Gowron, Ziyal, Vic Fontaine etc.). Dabei gelingt es der Serie oft meisterhaft, neue Nebenrollen zu integrieren, ohne die Weiterentwicklung des bestehenden Casts zu vernachlässigen. So entsteht gerade in der zweiten Hälfte der Show ein buntes, schillerndes Figurenensemble, das glaubhaft symbolisiert, wie groß der (soziopolitische) Bogen ist, den DS9 spannt. Die Serie wird zu einem echten Nexus der unterschiedlichsten Persönlichkeiten, mit einem besonderen Auge für ungewöhnliche Grenzgänger zwischen verschiedenen Kulturen (z.B. Odo, Garak, Worf, die Ferengi Quark, Nog und Rom).

Charaktere im Graubereich: DS9 präsentiert nicht nur strahlende Helden, sondern ist stark darin, Figuren glaubhaft und tief auszuleuchten. Man denke, wie bereits angesprochen, an innerlich zerrissene Charaktere wie Garak oder Dukat, die sich dem klassischen Gut‐Böse‐Schema entziehen oder beispielsweise auch an Michael Eddington. Ebenfalls in diese Kategorie fällt Admiral Leyton, der es vielleicht gut mit der Erde meint, aber am Ende zum tragischen, fehlgeleiteten Putschisten wird. Trotz vieler dunklerer und schattierterer Figurenzeichnungen (die nicht zuletzt deshalb möglich wurden, weil die Macher in die Riege der Haupt‐ und Gastrollen viele Nicht‐Föderationsfiguren geholt hatten) verliert DS9 zu keiner Zeit den grundsätzlichen Charakter einer Serie, die eine utopische Gesellschaft behandelt, welche sich für den richtigen Weg entscheiden möchte. Charaktere im Graubereich zu zeigen, kann auch bedeuten, an und für sich gute Personen in hochproblematische Entscheidungssituationen zu bringen, in denen sie plötzlich im Namen des höheren Ziels bereit sind, Abstriche bei ihren Vorstellungen von Rechtschaffenheit und Gerechtigkeit zu machen. Da sind sie wieder, die bereits angesprochenen Dilemmata. Sie verändern die Charaktere, im Guten wie im Schlechten.

Über die Zeit gereift wie keine andere ST‐Serie

Wie auch bei TNG war der Start ein wenig holperig, aber spätestens ab dem dritten Jahr startete DS9 ordentlich durch. Ab dem vierten Jahr wurden gar exzellente Geschichten präsentiert, die in jeder Hinsicht dramatisch und glaubwürdig waren; auch die Schauspieler gingen endgültig in ihren über Jahre gewachsenen Rollen auf. Ohne Frage hat Deep Space Nine dem Star Trek‐Franchise wertvolle Impulse verschafft – in Bezug auf Storytelling, Characterbuilding, Inhalte und Atmosphäre. Es ist nicht übertrieben zu behaupten, dass DS9 damit einem in die Jahre gekommenen Serienuniversum seinerzeit neues Leben eingehaucht hat. Dass die Produzenten damals auf ein risikoloses ‚Weiter so‘ verzichteten und neue Pfade beschritten haben, ist ihnen im Rückblick enorm hoch anzurechnen. Hierzu gehört auch Rick Berman, der in meinen Augen zu Unrecht oft gescholten wird, er habe durch ein allzu beharrliches Festhalten an den Roddenberry‐Prinzipien zum Niedergang von Star Trek in den 2000er Jahren beigetragen.

Ironischerweise wurde die dritte Star Trek‐Serie oftmals als ein Gegenentwurf zu Roddenberrys Star Trek gedeutet. Nach meinem Dafürhalten ist genau das Gegenteil zutreffend. Im dunkleren DS9‐Kosmos strahlt die positive, zukunftsgewandte Botschaft von Star Trek möglicherweise am hellsten. DS9 hat über die Jahre kaum etwas von seiner Aktualität verloren; die Serie scheint aufgrund ihrer inneren Lebendigkeit, dramaturgischen Komplexität und politischen Relevanz kaum gealtert (anders als im Falle anderer ST‐Serien). Die Themen, die in den Geschichten rund um Sisko, Kira und Co. behandelt werden, sind auch in unserer Gegenwart immer noch von großer Bedeutung, teilweise sogar relevanter als zur damaligen Zeit. All das sichert DS9 einen ganz besonderen Platz in den Star Trek‐Annalen und kann als Erklärung dafür herhalten, warum gerade diese Serie im Streaming‐Zeitalter so ungeheuer beliebt ist und inzwischen ganz neue Fankreise erschlossen hat.

Die Serie

>> Besprechung: Die sieben Staffeln

Das Spiel beginnt – Der Pilotfilm (1993)

Endlich: Nach fünf Jahrzehnten der Besatzung und des Leidens ist Bajor frei, die Cardassianer sind abgezogen. Zurückgelassen haben sie nicht nur Elend, Zerrüttung und Verwüstung auf dem Planeten, sondern auch eine große Raumstation im Orbit, die sie vor ihrem Rückzug noch ordentlich ausgeschlachtet und demoliert haben. Auf Einladung der Provisorischen Regierung Bajors soll die Sternenflotte die Leitung der Station – in Deep Space Nine umbenannt – übernehmen, denn ihrer Ansicht nach kann das gerade erst befreite Volk in dieser Zeit des Umbruchs die Unterstützung durch die Föderation gut gebrauchen. Doch nicht alle Bajoraner sind hiervon begeistert, wittern bereits die nächste sich ankündigende Besatzung. Commander Benjamin Sisko wird für das Kommando und die harte Wiederaufbauarbeit ausgewählt – eine Stelle, um die ihn sicher kaum jemand in der Sternenflotte beneidet. Auffällig ist von Anfang an, wie vergleichsweise wenige Ressourcen die Sternenflotte Sisko und seinen Leuten zur Verfügung stellt. Glaubt die Sternenflotte vielleicht nicht an den Erfolg seiner Mission? Immerhin scheint ein Bürgerkrieg auf Bajor zu drohen. Denkt die Föderation, dies sei in Wahrheit ein aussichtsloses Unterfangen, eine reine Alibimission, die schnell vorbei ist und nur der Gesichtswahrung des interstellaren Völkerbundes gilt?

Alles andere als begeistert vom Herbeieilen der Föderation ist Major Kira Nerys, Siskos neuer XO und Verbindungsoffizier zur wackeligen bajoranischen Administration. Die Wiederbegegnung mit Captain Jean‐Luc Picard reißt alte Wunden in Sisko auf, und er beginnt zu zweifeln, ob er auf DS9 überhaupt richtig aufgehoben ist – die Aufgabe scheint zu groß. Da wird er vom religiösen Oberhaupt Bajors, Kai Opaka, auf den Planeten eingeladen und dort mit einem sonderbaren Artefakt konfrontiert: einer Träne der Propheten (später auch Drehkörper genannt). Opaka ist überzeugt, dass es sich bei Sisko um den lange prophezeiten Abgesandten handelt, der den Himmelstempel der Propheten (bajoranische Götter) finden wird. Und tatsächlich wird Sisko mit Unterstützung seiner Crew wenig später das erste stabile Wurmloch entdecken, zu jeder Zeit beäugt von den alten Peinigern Bajors, den Cardassianern und dem ehemaligen Präfekten Gul Dukat, der das abrupte Ende seiner Ära als Herrscher über die Bajoraner nicht verwunden hat…

Das Budget für den Pilotfilm betrug 12 Millionen US‐Dollar und war damals, zu Beginn der 1990er Jahre, das höchste unter Auftaktfolgen dramatischer Fernsehserien. Das DS9‐Debüt aus der Feder von Rick Berman und Michael Piller ist unter bestimmten Gesichtspunkten das wohl beste aller ST‐Serien. Der Pilotfilm ist geistreich, mit Informationen gespickt und geht mit Blick auf Siskos Trauma doch ans Herz. Zweifellos ist der Auftakt von DS9 mehr Exposition; hier werden neue, sehr diverse Charaktere gesetzt (einige der Figureneinführungen passieren noch ein wenig mit dem Holzhammer, man denke insbesondere an Kira oder Odo), ein für ST‐Verhältnisse überraschend unwirtliches Setting und ein ungewohnt politischer Gesamtkontext etabliert. Auch wenn die zweite Hälfte des Pilotfilms unnötigerweise die Actionkarte zückt, stand DS9 mit dieser Aufmachung von vorneherein im scharfen Kontrast zu den Abenteuern von Picard und Co. Das ist nur richtig so, denn nichts wäre schlimmer gewesen als ein direkter Vergleich mit dem zu diesem Zeitpunkt bereits überlebensgroßen TNG.

Etwas merkwürdig finde ich, dass eine so hoch entwickelte Spezies wie die Cardassianer in all den Jahrzehnten der Besatzung nie das Wurmloch im Denorios‐Gürtel entdeckt hat. Und dann taucht die Sternenflotte auf und findet im Rekordtempo die gewaltige Anomalie. Der Pilotfilm lässt jedoch einen interpretativen Ausgang: Vielleicht hat sich das Wurmloch aufgrund von Siskos Anwesenheit geöffnet. Später in der Serie erfahren wir ja noch, dass die Propheten mit Siskos Existenz verflochten sind und daher wussten, er würde eines Tages kommen und die Rolle des Abgesandten übernehmen (auch wenn dies bei ihrer ersten Begegnung noch nicht so wirkt, aber die Propheten haben bekanntlich ihre Geheimnisse). Auch Opaka erkennt in ihm die Erfüllung der Prophezeiung. Der Pilotfilm hätte vielleicht ein wenig stärker andeuten können, dass die persönliche Anwesenheit Siskos etwas mit der Öffnung des Wurmlochs zu tun gehabt hat. Dass die Wurmlochwesen speziell an ihm ein Interesse haben, zeigt sich später. Doch DS9 folgte eben keinem von vorneherein feststehenden Masterplan, wie dies etwa bei Babylon 5 der Fall gewesen war.

Trotz der einen oder anderen Unebenheit: Der Start war gelungen, auch wenn er für viele Freunde des optimistischen Star Trek teilweise schwermütig, (macht‐)politisch und kopflastig geriet. DS9 sollte sich abgrenzen und auf eigenen Beinen stehen. Zugleich bemühte sich die Serie von vorneherein, deutliche Brücken zu TNG zu bauen, was durch die zentralen Völker und insbesondere O’Briens Figur gelingt. Der Cameo‐Auftritt von Picard ist nützlich und ist insofern richtig, als er nicht TNG‐Nostalgie aufkommen lässt. Den Piloten mit der Schlacht von Wolf 359 zu beginnen und Siskos Schicksal damit zu verknüpfen, ist ein toller Schachzug, zumal wir von diesen Kampfhandlungen in Angriffsziel Erde nie etwas sahen.

Bemerkenswert ist, dass aus nahezu allen Handlungsbögen, die in Der Abgesandte begonnen werden, etwas im Laufe der Serie gemacht werden wird. Ein Problem ist indes, dass der Pilotfilm so viele thematische Fässer aufmacht (Bajor, Cardassianer, Entdeckung des Wurmlochs, Figuren etc.), dass man ahnt, die erste Staffel könnte womöglich nicht alle Erwartungen sogleich einlösen. Tatsächlich wird sich zeigen, dass die Serie sich nur bestimmte Themen nacheinander vornehmen kann. Vielleicht wäre es besser gewesen, das Wurmloch erst ein paar Folgen später entdecken zu lassen? Aber das wäre vermutlich auch nicht gut gewesen, denn der Pilotfilm sollte ja möglichst überzeugen, Erwartungshaltungen vorgeben, mit Blick auf die Final Frontier‐Frage hungrig machen.

Produktionstechnisch ist Der Abgesandte noch Lichtjahre von den späteren DS9‐Schauwerten entfernt, die insbesondere ab der dritten und dann v.a. der vierten Staffel einen neuen Standard setzen werden. Dennoch war die Auftaktdoppelfolge für die damaligen Verhältnisse bemerkenswert. Noch nie hat man so viele fremdartige Aliens in einer ST‐Serie gesehen (die phlegmatische Kultfigur und Bar‐Stammbesucher Morn ist übrigens auch schon mit von der Partie); auch die Kulissen untermauern die Nicht‐Sternenflotten‐Atmosphäre auf DS9. Sets wie die Ops oder das Promenadendeck samt Quarks Etablissement sind beeindruckend und verströmen exotisch‐düsteres Flair. Die cardassianische Raumstation wird leider aufgrund von Budgetlimitierungen nicht in allen Einzelheiten erkundet werden können, doch wir werden noch mehr von ihr zu sehen bekommen.

Summa summarum: Der Abgesandte hat seinen Sinn und Zweck erfüllt. Die Grundlage für Kommendes ist gelegt.

Season 1 (1993)

Der vielleicht beste Pilotfilm aller Star Trek‐Serien, in dem nahezu alle Handlungsfäden der späteren Serie bereits begonnen werden (welche andere Franchiseserie kann das schon von sich behaupten?). Danach muss sich Deep Space Nine allerdings erst einmal finden und startet mit relativ belanglosen Alien‐of‐the‐week‐Episoden bei nicht immer gegebener Charakterorientierung; manchmal sind die Charaktere zudem noch etwas holzschnittartig. Einige der Folgen (Tosk, der Gejagte, Der Parasit, Die Legende von Dal‘Rok) hätten genauso gut in jede andere ST‐Serie gepasst. Es fällt auf, dass die Serie in dieser Phase noch fast ausschließlich abgeschlossene Geschichten ohne Konsequenz und Anknüpfung präsentiert. Bajor und seine politische Situation (im Piloten noch groß angekündigt) kommt etwas kurz – eine verschenkte Chance –, dafür grüßt der Gamma‐Quadrant. DS9 zeigt sich nicht als sicherer, übertechnisierter Schutzhafen, sondern als latent konfliktgeladenes Setting, das durch das Wurmloch jederzeit Besuch von neuen, unbekannten Zivilisationen bekommen kann. Wobei die Besucher von der anderen Seite oft aus der Klischeeschublade der ST‐Aliens zu kommen scheinen. Q ist auf DS9 wahrhaft unerwünscht, die große, mysteriösvertrauenserweckende Kai Opaka für meinen Geschmack zu schnell verschwunden (Die Prophezeiung