Star Trek: Picard - Julian Wangler - E-Book

Star Trek: Picard E-Book

Julian Wangler

0,0

Beschreibung

Mit Star Trek: Picard kehrte 2020 eine Legende zurück. Seit den ruhmreichen Tagen auf der Enterprise ist im Leben von Jean-Luc Picard viel geschehen. Mehr als ein Jahrzehnt hat er als verbitterter Mann nichts mehr von der Zukunft erwartet. Doch dann soll Picard wieder aufblühen, um erneut das Richtige zu tun. So zeigt uns die Serie eine mutige Neuinterpretation des einst glanzvollen Sternenflotten-Captains und zugleich eine Neuvermessung von Gene Roddenberrys Kosmos. Dieses Buch richtet sich an alle, die Star Trek: Picard bereits gesehen haben, und liefert vielfältige Einordnungen, Analysen und Interpretationen zum Stoff der Serie.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 617

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



„Welch einfache Rätsel Sie alle doch dar‐stellen. Unbedacht sind Ihre Blicke, Ihre Narben offensichtlich. Herrje, was hat die Zeit nur aus Ihnen gemacht? Jämmerliche, alte Krieger!“

- James Moriarty

in PICARD 3x06 Die Bounty

Inhaltsverzeichnis

Einleitung:

Ein neuer Anfang

Kapitel 1:

Kurze Chronologie

Kapitel 2:

„Oh, welch Drama!“

– Die drei

PICARD

‐Staffeln

Kapitel 3:

„Kein Vermächtnis ist so reich als Ehrbarkeit“

– Jean‐Luc Picard und die gebrochene Legende

Kapitel 4:

„Warum tut die Vergangenheit so weh?“

– Neue Helden braucht die Galaxis

Kapitel 5:

„Ich habe vom Tod gekostet, aber das hier ist neu“

– Data und die androide (R)Evolution

Kapitel 6:

„So fürchterlich dunkel“

– William Riker & Deanna Troi und der beständige Schmerz des Verlustes

Kapitel 7:

„Es ist viel passiert in zwanzig Jahren“

– Beverly Crusher und die Bitterkeit des langen Schweigens

Kapitel 8:

„Vermitteln wir freundliche Energie“

– Worf und die wundersame Wandlung des Wesens

Kapitel 9:

„Das waren andere Zeiten“

– Geordi La Forge und ein paar Einsichten über die Familie

Kapitel 10:

„Ich hatte einen schönen Morgen, bevor all das passiert ist“

– Liam Shaw und das Zeug zum Captain

Kapitel 11:

„Ich spüre das Raum‐Zeit‐Kontinuum, ich bin keine Uhr“

– Guinan, Temporalübelkeit und Weltschmerz

Kapitel 12:

„Mon capitaine, wie ich Sie vermisst habe“

– Quälgeist Q und die Hüte auf seinem Kopf

Kapitel 13:

„Sie haben alles verraten, woran ich geglaubt habe“

– Ro Laren und die finale Aussprache

Kapitel 14:

„Mir gefällt nicht, was aus uns geworden ist“

– Die Föderation und die Insel der Sorglosen

Kapitel 15:

„Das war in einem anderen Leben“

– Das Ende des Romulanischen Imperiums und der Morgen danach

Kapitel 16:

„Es kommt der Tag der Ruhe“

– Vadic und ein Leben für die Rache, in flüssiger und fester Form

Kapitel 17:

„Eine Wiedergutmachung für unsere Spezies“

– Die Borg und das letzte Aufbäumen

Kapitel 18:

„Dieses Ding hat sich ins Herz der Föderation geschlängelt“

– Sektion 31 und Utopias Moral

Nachwort:

Utopia ist immer noch möglich

Kapitel 1

>> Kurze Chronologie

2375 – 2379 (DS9, VOY)

Nachdem das Dominion besiegt und in den Gamma-Quadranten zurückgedrängt wurde, zerfällt das Zweckbündnis des Romulanischen Sternenimperiums mit der Vereinigten Föderation der Planeten und dem Klingonischen Reich wieder. Die Romulaner ziehen sich hinter ihre Grenzen zurück. In der neuen Nachkriegsordnung steigen Föderation und Sternenimperium zu den zentralen Flankenmächten auf, sodass sich eine neue Rivalität zwischen beiden Mächten ankündigt.

Anfang 2378 kehrt die

U.S.S. Voyager

vorzeitig von ihrer siebenjährigen Odyssee durch den Delta-Quadranten zurück.

2379 (X: Nemesis)

Auf Romulus führt der unter Remanern lebende menschliche Klon Shinzon, ein Veteran der remanischen Truppen während des Dominion-Kriegs, einen blutigen Staatsstreich durch und ruft sich zum neuen Prätor aus. Er wird unterstützt von mehreren einflussreichen romulanischen Politikern und Militärs.

Shinzons Vorhaben, einen Thalaron-Angriff auf die Erde zu verüben, wird von der

Enterprise

vereitelt. Während der Kampfhandlungen gegen Shinzon wird Lieutenant Commander Data getötet.

Nach langem Misstrauen und kaltem Krieg beginnt eine Phase des zaghaften politischen Tauwetters zwischen der Föderation und den Romulanern.

2381 (Roman I; PIC)

Es wird bekannt, dass die Sonne im romulanischen Heimatsystem sich binnen weniger Jahre in eine Supernova nie gekannten Typs verwandeln wird.

Das Romulanische Imperium sieht sich gezwungen, die Föderation um Hilfe bei der Evakuierung eines großen Teils der von der Nova betroffenen Sternensysteme zu ersuchen.

Jean-Luc Picard übernimmt im Rang eines Admirals den Oberbefehl über die Rettungsmission im romulanischen Raum. Angesichts von 900 Millionen von der Sternenflotte zu evakuierenden Personen kündigt sich die größte, längste und teuerste Operation aller Zeiten an. Um sie in die Wege zu leiten, muss sich Picard argumentativ gegen jene Kräfte in der Föderationspolitik durchsetzen, die ein solch ausgedehntes Engagement skeptisch sehen oder ablehnen.

Zusammen mit einer zunächst begrenzten Kernflotte bricht Picard in romulanischen Raum auf. Er leitet und koordiniert die Rettungsanstrengungen von seinem Missionsflaggschiff, der

U.S.S. Verity

. Einzelne Transportschiffe der

Wallenberg

-Klasse werden nach und nach zur Unterstützung seiner Arbeit entsandt, während in den Utopia Planitia-Werften der Bau tausender solcher Evakuierungs-und Rekolonisierungsschiffe anläuft. Dies ist nur realisierbar, indem massenhaft auf Daystrom-A500-Androiden (‚Synths‘) zurückgegriffen wird.

Picard tritt vor den romulanischen Senat und hält eine Ansprache, um die Akzeptanz für die Rettungsmission der Sternenflotte zu vergrößern und Argwohn abzubauen.

2381 – 2385 (Roman I)

Unter großen Anstrengungen gelingt innerhalb von vier Missionsjahren die Evakuierung einer Reihe romulanischer Welten, darunter Vejuro, Virinat, Ectis, Tavaris, Inxtis, Sithu, Lukol und Yuyat Beta.

Angesichts immer dramatischerer Prognosen über die Destabilisierung des romulanischen Sterns sowie seines Explosionsradius kommen anfänglich ausgewählte Standorte für Millionen romulanischer Flüchtlinge nicht mehr in Frage; Picard muss in der Not unkonventionelle Lösungen ergreifen, die ihm aus der Föderation als auch vonseiten der Romulaner Kritik einbringen.

Die Rettungsmission verliert mit jedem Jahr an Rückhalt in den Reihen des Föderationsrats. Kleinere Mitgliedswelten in der Nähe der Neutralen Zone wollen den erheblichen Verzicht auf Ressourcen zugunsten von Picards Operation nicht länger hinnehmen. Angeführt von Olivia Quest (Ratsmitglied von Estelen) formiert sich eine Fraktion aus 14 Welten, die mit Sezession drohen, wenn die Sternenflotte ihre Mission nicht zurückfährt.

5. April 2385 (ST: Children of Mars; PIC)

Kurz vor der Fertigstellung der ersten großen Welle aus vielen hunderten

Wallenberg

-Transportern verüben die Arbeitsandroiden auf dem Mars einen schweren Anschlag, in dessen Folge sie die Atmosphäre entzünden und nahezu die ganzen Utopia Planitia-Werften auslöschen. Über 90.000 Personen finden den Tod, weite Teile des Mars werden unbewohnbar.

10.-20. April 2385 (Roman I; PIC)

In einem Eilentscheid untersagt der Föderationsrat jegliche Entwicklung und Nutzung von Androiden; die entsprechende Abteilung im Daystrom-Institut in Okinawa wird eingemottet.

Die Evakuierungsmission der Sternenflotte wird eingestellt. Aus Protest quittiert Admiral Picard seinen Dienst und zieht sich zurück.

2387 (ST XI: Star Trek)

Wie erwartet vernichtet die Supernova Romulus, Remus und eine Reihe anderer Welten im Herzen des Sternenimperiums.

Botschafter Spock scheitert mit seinem letzten Versuch, die Detonation des Sterns mithilfe von Roter Materie zu verhindern. Bei diesem Einsatz wird er in ein alternatives Universum des Jahres 2258 versetzt (zusammen mit dem ehemaligen Bergbauer Nero, der den Untergang von Romulus nicht verkraftet und Spock persönlich hierfür verantwortlich macht).

2399

Ereignisse von

Star Trek: PICARD - Staffel 1

2400 – 2401

Picard kehrt nach langer Auszeit zur Sternenflotte zurück und übernimmt den Posten des Kanzlers der Sternenflotten-Akademie.

Raffaela Musiker kehrt in den aktiven Dienst zurück und nimmt einen Posten als Commander auf der

U.S.S. Excelsior

an.

Cristóbal Rios setzt seine Karriere in der Sternenflotte fort. Anfang 2401 wird ihm das Kommando über die neue

U.S.S. Stargazer-A

übertragen.

Frühjahr 2401

Ereignisse von

Star Trek: PICARD - Staffel 2

Sommer 2401

Vadic und ihre abtrünnigen Formwandler brechen auf der Daystrom-Station ein und entwenden eine hochgefährliche Portalwaffe.

Beverly Crusher und ihr Sohn Jack werden während ihrer humanitären Einsätze mit der

S.S. Eleos

aus unklaren Gründen gejagt, zunächst von den Fenris-Rangers, dann von Klingonen, später von der Sternenflotte. Zwar gelingt es ihnen jedes Mal, ihren Verfolgern zu entgehen, doch in den Wochen der ständigen Flucht wächst bei Crusher die Erkenntnis, dass sie Hilfe benötigen werden.

Herbst 2401

Ereignisse von

Star Trek: PICARD - Staffel 3

Kapitel 2

>> „Oh, welch Drama!“ – Die drei PICARD-Staffeln

Wie in der Einleitung beschrieben, ist dies kein Making-of-oder Rezensionsbuch, das die einzelnen Staffeln und Episoden detailliert bespricht und einem kritischen Urteil unterzieht. Dennoch möchte ich – auch im Sinne einer Vorbereitung auf die nachfolgenden Kapitel – in aller Kürze auf einige wichtige Rahmendaten und persönliche Beobachtungen zur Serie PICARD eingehen.

Produktionsgeschichtliche Aspekte

Im August 2018 wurde erstmals vom obersten

Star Trek

-Executive Producer Alex Kurtzman angekündigt, dass es eine neue

Star Trek

-Serie mit Sir Patrick Stewart als Jean-Luc Picard geben würde. Damit würde Stewart nach fast 16 Jahren seit dem Ende von

Nemesis

wieder in seine angestammte Rolle zurückkehren. Stewart bestätigte kurz darauf diese Ankündigung und verband dies mit dem häufig wiederholten Hinweis,

Star Trek: PICARD

würde keine unmittelbare TNG-Fortsetzung sein.

Während die Findung einer passenden Storyline sowie eine Verständigung mit Stewart seitens des Writers Rooms einigen Vorlaufs bedurfte, lief die Produktion für das erste Jahr weitgehend ungehindert an und blieb im Zeitplan. Die Dreharbeiten für Staffel eins begannen im April 2019. Im Oktober 2019 wurde bekannt, dass bereits an einer zweiten Staffel gearbeitet wurde. Im Februar 2021 begannen, nach einer der COVID-19-Pandemie geschuldeten Verzögerung, die Dreharbeiten zur zweiten Season parallel mit den Vorbereitungen zur dritten Staffel, die frühzeitig bestellt worden war. Die Dreharbeiten zur dritten

PICARD

-Season liefen ebenfalls 2021, teilweise parallel zu denen der zweiten.

Wechselnde Showrunner mit unterschiedlichen Vorstellungen, Vorlieben und Fokuspunkten prägten die Serie. Auf Michael Chabon (Season eins) folgten Akiva Goldsman und Terry Matalas (Season zwei). Letzterer stieg nach einer halben Staffel wieder aus, um das finale

PICARD

-Jahr vorzubereiten, für das Matalas allein verantwortlich zeichnete. Er erhielt die Zusage, umzusetzen, was aus seiner Sicht für das große Finale notwendig war.

Die Episoden wurden in den Vereinigten Staaten und Kanada schrittweise auf der Video-on-Demand-Plattform CBS All Access erstveröffentlicht. In anderen Ländern, darunter auch Deutschland, erschien die erste Staffel mit ihren zehn Episoden ab 24. Januar 2020 auf Amazon Prime Video, einen Tag nach den USA und Kanada. Im deutschen Free-TV erfolgte die Erstausstrahlung ab dem 18. Februar 2022 auf RTL II. Die zweite Staffel wurde ab dem 3. März 2022 auf Paramount+ veröffentlicht; die deutschsprachige Veröffentlichung erschien abermals mit einem Tag Verzögerung auf Amazon Prime Video. Die dritte Staffel wurde in den USA und Kanada seit 16. Februar 2023 auf Paramount+ eingestellt; die Veröffentlichung in Deutschland (Amazon Prime Video) setzte ab 17. Februar ein.

Das durchaus kunstvolle Intro präsentiert eine Collage von wichtigen Stationen von Picards Lebensweg. Es nimmt auf einer stilisierten Ebene auch gewisse Entwicklungen vorweg und gibt damit Hinweise auf die Geschehnisse in der neuen Serie. Wir sehen, wie sich die Splitter seiner Erfahrungen und Erinnerungen zu seiner (veränderten) Persönlichkeit zusammensetzen. Passend dazu ist, dass die Intromusik von einem Flötenstück aus einer besonders beliebten TNG-Episode inspiriert ist. In

Das zweite Leben

(5x25) erfährt Picard das Leben des Bürgers Kamin auf dem vor 1.000 Jahren untergangenen Planeten Kataan.

PICARD

sollte ursprünglich mit dem legendären Ex-Captain im Zentrum seinen ganz eigenen Serienweg gehen. Entgegen Patrick Stewarts ursprünglichem Wunsch, möglichst wenig Anleihen bei TNG zu machen, setzte in der Serie frühzeitig die Tendenz ein, mehr und mehr prominente Gesichter aus der Vorgängershow zurückzubringen und somit auch Handlungsfäden aus TNG verstärkt wiederaufzugreifen. Dies fing mit den Gastauftritten von Hugh, Bruce Maddox, William Riker und Deanna Troi an (Season eins) und setzte sich mit der Rückkehr von Guinan und Q fort (Season zwei). Im Vorfeld von Season drei wurde sogar ganz offen mit einer Reunion der TNG-Hauptdarsteller geworben. Die Serie hatte sich also vom Ansatz eines eigenständigen Neuanfangs immer stärker in Richtung einer (verkappten) Sequel-Show bewegt. Dies hatte zur Folge, dass Picards neue Crew nach dem zweiten Jahr größtenteils auseinander ging. Agnes Jurati führte es in kybernetische Gefilde, Cristóbal Rios auf die Spuren der Vergangenheit und den jungen Romulaner Elnor in die Hörsäle der Sternenflotten-Akademie. Vom ursprünglichen Hauptcast blieben lediglich Raffaela Musiker und Seven of Nine erhalten, die jedoch in der dritten Staffel neue Positionierungen erhielten.

Inhaltliche Beobachtungen

Jede der drei

PICARD

-Staffeln verfolgt andere Themen und Motive und hält entsprechenden Entwicklungsraum für die Figuren bereit. Gemäß der mittlerweile eingespielten Konventionen einer modernen Streaming-Serie erzählt jede Staffel eine in sich abgeschlossene Geschichte. Ursprünglich war allerdings angedacht, den einzelnen Staffeln eine deutlich größere Kontinuität und Anschlussfähigkeit zueinander zu verleihen. Dies wurde dann im praktischen Produktionsgeschehen aufgrund verschiedener Erwägungen fallen gelassen. So verzichtete man am Beginn der zweiten Staffel darauf, an das offene Ende von Picard und der

La Sirena

-Crew unmittelbar anzuknüpfen. Die Thematik, dass er sich nun in einem replikantenartigen Golem-Körper befand, wurde kaum noch berücksichtigt und stattdessen eine Art Story-Reset vorgenommen. Hierbei findet die alte

La Sirena

-Mannschaft aufgrund von Qs Einmischung wieder zusammen und besteht ein weiteres gemeinsames Abenteuer. Im Gegensatz zu Staffel eins haben sich Picard und seine Leute wieder mit der Sternenflotte arrangiert.

Als Ausgangspunkt für die Serie dienten die Ereignisse aus

Star Trek

(2009), wo wir von der Vernichtung des Planeten Romulus im Jahr 2387 erfuhren. Dadurch sollten die bislang abseits stehenden J.J. Abrams-Kinofilme (die dereinst das

Star Trek

-Franchise unter neuen Vorzeichen revitalisiert haben) mit dem Prime-Universum aller klassischen Serien verschmolzen werden.

Beim Umgang der Autoren mit den prominenten Figuren fallen scharfe Kontraste zu früheren

Star Trek

-Produktionen auf. So spielt moralischemotionale Kompromittierung aufgrund von schweren, teils traumatischen Einschnitten in den Lebensweg bei einer ganzen Reihe von Charakteren eine zentrale Rolle. Nahezu alle Figuren durchlaufen Phasen im Leben, die sie von der Sternenflotte und deren Grundsätzen wegführen. Dadurch verändern sie sich, passen ihre ehemals intakte Ethik den neuen Erfordernissen an. Aufgrund dessen sehen wir, dass bei einigen Charakteren die Fassade von einer gewissen Brüchigkeit ist; die Selbstkontrolle fällt ihnen vor dem Hintergrund ihrer Erschütterung in der Vergangenheit schwerer. Dies beobachten wir etwa beim zutiefst verbitterten und sentimental gewordenen Picard, aber auch bei Raffaela Musiker, die ihrerseits dazu neigt, rasch erratischen Gefühlsausbrüchen zu verfallen. Seven of Nine wiederum sinnt in Staffel eins auf Rache, die sich in der Ermordung ihrer Peinigerin niederschlagen wird. Sinn und Zweck dieser Verdunkelung der Protagonisten ist klar: Die Bewältigung des erfahrenen Traumas wird zu einem dramaturgischen Mittel, das eine allmähliche Entfaltung der individuellen Hintergründe sowie v.a. eine persönliche Entwicklungsreise durch die einzelnen Staffeln ermöglicht. Hinzu kam bei Produzenten wie Chabon und Goldsman die bewusste Zurückweisung einer übertrieben positiven Darstellung künftiger Menschen, die nach ihrem Dafürhalten eben nicht perfekt sind, sondern genauso anfällig für krisenhafte Entwicklungen und irrationales Verhalten.

PICARD

nimmt sich implizit der Frage an, inwiefern das Vergehen von Zeit eine Perspektive verändern kann. Dies hat in der Serie mindestens zwei Komponenten. Zum einen ist es eine Inkarnation, die bewusst ältere Figuren bzw. Schauspieler in ihren Cast geholt hat. Dabei handelt es sich vorzugsweise um Personen, die wir aus weit jüngeren Jahren gut kennen und von daher mit ihnen vertraut zu sein glaubten. Bei

PICARD

spielt das buchstäbliche chronologische Verstreichen der Jahre eine wichtige Rolle und was es mit Körpern, Gedanken, Gefühlen, Überzeugungen macht. Zum anderen wird in der Serie deutlich, wie unter den Bedingungen einer grundlegend veränderten Gegenwart anders in die Vergangenheit und auch in die Zukunft geblickt wird (Stichworte Nostalgie/‚Retropie‘, Zukunftsangst). Wir sehen beispielsweise, wie der gealterte Picard im Rückblick seine eigene Motivation, zur Sternenflotte gegangen zu sein, neu definiert (er sagt gegenüber Jack, er sei auf der Suche nach der Familie gewesen, die er nicht hatte, doch dies war bekanntermaßen nicht sein tatsächlicher Grund, diesen Lebensweg einzuschlagen). Auch die Reaktion Picards auf die Wiederbegegnung mit Ro Laren zeugt von einer Neuinterpretation seiner Vergangenheit vor dem Hintergrund dessen, was ihm in der Zwischenzeit widerfahren ist (siehe

Kapitel 13

).

Jede Season knüpft inhaltlich an wichtige Elemente in Picards Leben und/oder seiner Zeit auf der

Enterprise

an bzw. macht diese Elemente zum Ausgangspunkt seiner Reise. Im ersten Jahr ist dies die Verbindung zu Data, im zweiten Picards Kindheitstrauma sowie Qs Wiedererscheinen. Entsprechend gibt es zum Ende der beiden ersten Staffeln ein ähnliches Arrangement, bei dem Picard einmal Data und einmal Q gegenübersitzt und ein finales, bittersüßes Abschiedsgespräch führt. Im dritten Jahr tritt dann der familiäre Bund zur gesamten TNG-Crew ins Zentrum und wird mit einer letzten großen Konfrontation verbunden.

Jede der drei Staffeln hält eine neue Art von Aufbruch für den gealterten Picard in den Weltraum bereit, und doch gibt es Konstellationen und Elemente, in denen die Staffeln sich ähneln. Dies gilt v.a. für die Auftaktepisoden. So befindet sich der Admiral a.D. jedes Mal in der Heimeligkeit seines Châteaus in La Barre und wird von den galaktischen Ereignissen aufgerüttelt. In

Gedenken

(1x01) sucht ihn Dahj auf, die sich nach ihrer ‚Aktivierung‘ und der Verfolgung durch romulanische Attentäter Schutz und Hilfe von ihm verspricht. In

Die Stargazer

(2x01) kommt eine Admiralin zu ihm, welche ihm vom Auftauchen eines ominösen Borg-Schiffes berichtet, das offenbar nach Picard verlangt. In

Die nächste Generation

(3x01) ist es schließlich Beverly Crushers Notruf, der Picard dazu bringt, zu den Sternen zurückzukehren.

Staffel eins und drei zehren von dosierten Rückblenden zu Beginn der ersten Folgen; in Staffel zwei sind diese (Erinnerungs-)Flashbacks puzzlestückartig in einem Großteil der Episoden untergebracht und werden letztlich zu einem Gesamtbild zusammengesetzt, um Picards einschneidendes Kindheitserlebnis zu eröffnen.

Fragen von Leben, Tod und Wiederauferstehung – nicht nur menschlicher, sondern genauso künstlicher Lebensformen – sind in der Serie von wiederkehrender Bedeutung, v.a. anhand der Leitfiguren Picard und Data.

In allen Staffeln sind die Borg in irgendeiner Weise vertreten. Es sind jedoch immer spezielle Konstellationen und Situationen, sodass uns das berüchtigte kybernetische Kollektiv nicht mehr in der gewohnten Form begegnet (siehe

Kapitel 17

).

Season eins und drei haben ähnliche Bedrohungsszenarien. Dreh- und Angelpunkt dabei ist eine von klandestin operierenden Feinden unterwanderte Sternenflotte, die sich gegen den Admiral a.D. und seine Getreuen richtet. Und letzten Endes geht es bei den Gefahren, die zu bewältigen sind, stets um die Drohung ultimativer Auslöschung, um alles oder nichts. Unterhalb einer Bedrohungslage im globalgalaktischen Maßstab macht es

PICARD

also nicht.

In Erinnerung werden Staffel eins und zwei v.a. dadurch bleiben, dass sie rührende Würdigungen der Figuren von Data und Q ermöglichten. Demgegenüber fällt in den beiden ersten Jahren auf, dass eine Vielzahl von Handlungsbögen eröffnet wurden, die nicht alle zufriedenstellend aufgelöst werden konnten.

- Staffel eins: Rebellion der Androiden auf dem Mars und Verschwörung in der Sternenflotte; Krise der Romulaner (zurückgelassene Flüchtlinge, politische Veränderungen in der Gegenwart); Picards Vergangenheit (samt Laris und Zhaban sowie sein Verhältnis zu Raffaela Musiker); Hintergründe und Rolle von Hugh und den xBs auf dem ‚Artefakt‘; Wirken und Pläne von Bruce Maddox; Sevens Lebensweg und die Fenris-Rangers; William Riker und Deanna Troi; Coppelius-Androiden und ein unerwarteter, neuer Soong-Abkömmling; Bedrohung des organischen Lebens durch eine hochentwickelte Allianz synthetischer Entitäten; Picards neues Leben in einem Golem-Körper

- Staffel zwei: Erklärung über Ablauf und Hintergründe des Raum-Zeit-Paradoxons; Qs Rolle darin; Qs tragisches Schicksal (warum stirbt er, stirbt nur er oder das ganze Kontinuum?); dystopisches Konföderations-Szenario; Situation und Verlauf der irdischen Geschichte vom Jahr 2024 ausgehend (wie passen Eugenische Kriege, die Schutzzonen-Thematik aus DS9 oder der baldige Dritte Weltkrieg hinein?); Rolle und Bedeutung von Renée Picard bei der Ermöglichung einer besseren Zukunft; Rolle und Bedeutung von Adam Soong für künftige Ereignisse; Hintergründe und Einfluss der Watcher (und ihre Verbindung zu den Reisenden); Beschaffenheit und Verbleib des alternativen Kollektivs (Jurati-Königin)

Für Staffel drei verfolgte Showrunner Matalas eine abweichende Prämisse, bei der es darum ging, die ehemalige TNG-Crew wieder vollständig zu versammeln und sie in den Endkampf gegen einen erbitterten Erzfeind ziehen zu lassen (die wahren Borg). Aufgrund einer kohärenteren Stoßrichtung des finalen Jahres wurden weniger Plots eröffnet, die dann auch stringenter bearbeitet werden konnten. Ironischerweise kollidieren einige wichtige Geschehnisse der dritten Season mit Entwicklungen der beiden vorangegangenen Staffeln (was die schwache Kontinuität bestätigt). So ist das Wiederauftauchen des echten Borg-Kollektivs zum einen überraschend, zum anderen wird Agnes Juratis abweichendes Kollektiv nicht mehr thematisiert; der eigentlich definitiv todgeglaubte Data erhält sein drittes Leben; Q tritt zum Ende der Staffel auf einmal wieder in Erscheinung.

Noch ein paar Anmerkungen aus der Abteilung ‚Kurioses‘:

- Es ist eine Eigenart von PICARD, dass der Admiral im Ruhestand im Laufe der Serie immer wieder von seinen Getreuen wie auch von anderen Figuren, auf die er trifft, hart in die Schranken verwiesen oder regelrecht zusammengestaucht wird. Diese Momente sollen unterstreichen, dass Picard nicht mehr die Legende alter Tage ist und auch keine natürliche Autorität mehr besitzt.

- Bars und der Konsum von Spirituosen haben in der neuen Serie eine erheblich größere Bedeutung als in früheren TNG-Tagen. Dies wird v.a. in den Staffeln zwei und drei deutlich.

- In Staffel eins und drei nimmt Picard jeweils eine Simulation eines vertrauten Ortes auf die La Sirena (Château) bzw. die Titan (Guinans Bar) mit, mit der er sich umgibt. In Staffel zwei ist er auf keine Simulation einer Bar angewiesen, da er Guinans Etablissement in realiter besuchen kann (und zwar gleich in zwei Zeitperioden).

- Brent Spiner spielt in PICARD so viele verschiedene Rollen, dass man leicht den Überblick verlieren kann. Er taucht auf als Data (Staffel eins und drei), dessen bösartiger Bruder Lore (Staffel drei), aber auch als Noonien Soongs Nachfrage Altan Inigo Soong (Staffel eins und drei). Im zweiten Jahr verkörpert er wiederum den durchtriebenen Soong-Vorfahren und Mad Scientist Adam Soong, der im 21. Jahrhundert lebte. Damit erweitert PICARD den Stammbaum der Soong-Familie weiter. Bereits in TNG hatten wir neben Data und Lore (1x13; 4x03; 6x26; 7x01) Lal (Datas erste Tochter; 3x16), Androidenschöpfer Noonien Soong (4x03; 6x16) und Juliana Tainer (Kopie von Soongs Ehefrau; 7x10) kennengelernt. Im Film Nemesis kam später noch der unterentwickelte Prototyp B-4 hinzu. Zusätzlich war in einem Enterprise-Dreiteiler der Soong-Vorfahre Arik Soong zu sehen, der im 22. Jahrhundert im Verborgenen eine Gruppe von Augments großzog. 2154 wurde er zusammen mit Captain Jonathan Archers Mannschaft in eine von diesen genetisch optimierten Menschen ausgehende Krise verwickelt (ENT 4x04; 4x05; 4x06).

- Zeitlich spielt die erste Staffel im Jahr 2399, also ziemlich genau 20 Jahre nach Nemesis. Die zweite Staffel ist Anfang 2401 angesiedelt. Es wird gemunkelt, dass Staffel drei eigentlich für das Jahr 2411 vorgesehen war. Um allerdings einen wichtigen (Borg-)Twist zum Ende der Geschichte aufzulösen, wurde der Zeitraum für das finale Abenteuer auf Herbst 2401 deutlich vorgezogen. Ohne dass wir konkrete Beweise haben, sprechen gewisse Indizien für die Theorie, dass Terry Matalas und Co. ursprünglich die Handlung eine Dekade später stattfinden lassen wollten. So sollen die Kinder von Jean-Luc Picard und Beverly Crusher sowie von Geordi La Forge in universe erst Anfang zwanzig sein, doch die gecasteten Schauspieler sind allesamt rund zehn Jahre älter (allem voran Ed Speleers alias Jack Crusher und Ashlei Sharpe Chestnut alias Sidney La Forge). Auch der Frontier Day wirkt etwas eigenartig aufgesetzt; er wird im Sinne eines Sternenflotten-Jubiläums auf den Start der Enterprise NX-01 zurückgeführt, doch wäre es noch naheliegender, wenn im Jahr 2411 das 250. Jubiläum der Föderationsgründung (2161) gefeiert worden wäre.

Kapitel 3

>> „Kein Vermächtnis ist so reich als Ehrbarkeit“ – Jean-Luc Picard und die gebrochene Legende

Steckbrief

Vorangegangene Serie(n): TNG (Season 1 – 7); DS9 (1 Episode)Filme: Star Trek VII – XAuftauchen in PICARD: Staffel 1 – 3Spezies: MenschGeboren: 2305, La Barre, Frankreich, ErdeEltern: Yvette Picard; Maurice PicardRolle in PICARD: ehemaliger Captain der U.S.S. Stargazer (2333 – 2355) sowie der U.S.S. Enterprise-D/-E (2364 – 2371; 2372 – 2381); ehemaliger Leiter der Sternenflotten-Rettungsmission und Kommandant der U.S.S. Verity (2381 – 2385); nun Admiral a.D. (2385 – 2401); Kanzler der Sternenflotten-Akademie (2400 – 2401)Kind(er): Jack CrusherSchauspieler: Patrick Stewart

Spätestens mit dem Anbruch der 1990er Jahre hatte ein gewisser Mann Spuren im Star Trek-Franchise und weit darüber hinaus hinterlassen; er wurde zu einem Teil der weltweiten Popkultur. TNG – die bis dato mit Abstand erfolgreichste Star Trek-Serie – sollte für immer untrennbar mit seinem Namen verbunden bleiben. Die Rede ist von einem kahlköpfigen, kultivierten Captain mit französischem Namen und (auffallend) britischem Akzent, der für sein Leben gern Earl Grey trinkt und den Bannerträger von Gene Roddenberrys optimistischem Zukunftsentwurf verkörpert. Der feinsinnige und umfassend gebildete Jean-Luc Picard stand für die berühmte „weiter entwickelte Sensibilität“ einer nun geeinten menschlichen Gesellschaft. Im Gespräch mit dem Androiden Data dachte er nicht bloß über das Wesen des Menschseins nach; nein, er war jederzeit bereit, tatkräftig zu demonstrieren, was es bedeutet, auch in kritischen oder existenziellen Momenten zu Humanismus und moralischen Grundfesten zu stehen.

Doch nach dem letzten TNG-Kinofilm, Nemesis (2002), war Schluss. Eigentlich hatte Schauspieler Patrick Stewart lange Jahre ausgeschlossen, jemals wieder in seine Rolle als Captain Picard zurückzukehren. Er hatte nicht für alle Zeit und ausschließlich auf diese Figur festgelegt sein wollen. Der Charakter und seine Abenteuer, so Stewart in verschiedenen Interviews, seien auserzählt worden. Hinzu kam, dass mit dem Fortgang der Zeit die Vorstellung einer in Frieden und Idealismus geeinten Menschheit angesichts diverser politischer Krisenerscheinungen in immer weitere Ferne zu rücken schien, und Stewart hatte sich frühzeitig als ausdrücklicher Gegner des Brexits und von Donald Trumps neoisolationistischer Politik hervorgetan.

Dann kamen die Dinge bekanntlich doch noch anders. Als Alex Kurtzman im Sommer 2018, mehr als anderthalb Jahrzehnte nach Nemesis, zum Verblüffen vieler Fans die Serie PICARD ankündigte, wussten wir, dass es sich – analog zur in der Realität vergangenen Zeit – um eine Fortschreibung des Universums aus TNG/DS9/VOY handeln und wir einem deutlich gealterten Jean-Luc Picard wieder begegnen würden. Wir waren folglich alle gespannt, wie das Leben des vermutlich größten Idols der Sternenflotten-Geschichte in der Zwischenzeit verlaufen ist. Und welchen weiteren Weg und welche Entwicklungen die neue Show für ihn bereithalten würde. Dabei zeichnete sich frühzeitig ab, dass die Serie keine schlichte Fortsetzung von TNG sein sollte, sondern sich anschickte, das All, die stets so heile Föderation und das Bild des legendären Kommandanten bewusst anders zu betrachten. Ganz im Sinne von Stewarts Wunsch, nicht an der Vorlage zu kleben, sollte PICARD nicht auf alten Pfaden wandeln, vielmehr sollte die Serie neue ausloten und beherzt beschreiten. Tatsächlich wurde sie in Ton und Inhalt eine völlig andere Veranstaltung als das überlebensgroße TV-Vorbild aus dem letzten Jahrhundert.

Nun, da alle drei Staffeln von PICARD uns vorliegen, wollen wir zurückblicken: Welchen Jean-Luc Picard hat uns die Serie, die seinen Namen trägt, gezeigt? Wie hat sich Picard verändert und warum? Es ist an der Zeit, das Ganze einmal aufzuarbeiten und in Ruhe darüber nachzusinnen.

- Grußfrequenzen offen

„Als wir die Serie erschufen, erschien es uns richtig, die Veränderungen in der realen Welt abzubilden. Was feststehend und sicher gewesen war, menschlich und fürsorglich an der Föderation und der Sternenflotte, hatte sich geändert, weil die Welt sich verändert hatte. Regierungen wechseln, Haltungen zur Gesellschaft ändern sich. Das wollten wir in PICARD aufgreifen […], und deshalb konnte man nichts mehr als gesichert betrachten. Dies hatte Jean-Luc unter anderem zu einem deprimierten, schuldgeplagten, zornigen Mann gemacht. Alles Eigenschaften, die er in The Next Generation nicht an den Tag gelegt hatte.“ (Patrick Stewart, Bonusmaterial der DVD/Bluray-Veröffentlichung zu Star Trek: PICARD Season 1)

- Teil 1: Gestern

Was machte Jean-Luc Picard nach Nemesis?

Zunächst verblieb Picard weiter an Bord der Enterprise-E. Diese wurde nach dem dramatischen Kampf gegen Shinzon wieder instandgesetzt und ging auf neue Missionen. Allerdings brachten die Ereignisse von Nemesis mehrere tiefgreifende Einschnitte mit sich: Data hatte zum Schutz seiner Freunde das eigene Leben geopfert – ein Verlust, unter dem Picard noch sehr lange leiden würde –, und William Riker und Deanna Troi wechselten auf die Titan, wo Picards langjährige Nummer Eins nun selbst das Kommando übernahm. Nach allem, was wir wissen, blieben Beverly Crusher, Geordi La Forge und Worf Teil von Picards Besatzung. Im Frühsommer 2381 wurde Picard dann vom Sternenflotten-Oberbefehlshaber Admiral Victor Bordson zur Erde zurückbeordert, um ihn in seiner Funktion als Flaggschiff-Kommandant über eine anstehende Katastrophe galaktischen Ausmaßes in Kenntnis zu setzen: In wenigen Jahren würde sich das Zentralgestirn des Romulanischen Sternenimperiums in eine bislang nicht gekannte Supernova verwandeln. Damit waren nicht nur die Zwillingswelten Romulus und Remus dem Untergang geweiht, sondern auch zahlreiche andere Welten und Protektorate des eigentlich so mächtigen romulanischen Reichs starrten geradewegs in einen Abgrund. Denn die Supernova würde auch auf Planeten, die sie nicht unmittelbar zerstörte, klimatische Bedingungen irreparabel zugrunde richten und angestammte Versorgungslinien abreißen lassen. Aus diesem Grund mussten diese akut gefährdeten und äußerst dicht besiedelten Gebiete in der Herzkammer des romulanischen Raums so schnell wie möglich evakuiert und die dort lebenden Romulaner auf andere Planeten umgesiedelt werden.

Trotz großer Vorbehalte hatten Prätor und Senat erkennen müssen, dass ihnen angesichts der rasch progressiven Destabilisierungsrate des Sterns und der enormen Zahl von umzusiedelnden Bürgern nichts anderes übrig blieb, als um die Hilfe des alten Erzfeindes, der Föderation, zu ersuchen. Dabei war früh absehbar, dass der gewaltige Ressourcenhunger, welcher mit einer Evakuierungsmission dieses Ausmaßes einhergehen würde, erhebliche Auswirkungen auf die Kernmission der Sternenflotte hätte. Das bedeutete weit mehr als dass ehrgeizige Forschungsmissionen vorerst vom Tisch sein würden. Auch die Ingenieure und Wissenschaftler der Raumflotte würden ihre eigentlichen Projekte auf viele Jahre vertagen müssen. Um innerhalb der pluralen Föderationsgesellschaft – in der viele nach wie vor ausgeprägte Vorurteile gegen die Romulaner hegten – die nötige politische Akzeptanz für eine solche Mission zu schaffen, würden massive Kraftanstrengungen vonnöten sein. Es war fraglich, wie weit die Bereitschaft zur Unterstützung der Romulaner in den politischen Hallen des Sternenbundes gehen würde.

„Diese Mission – sie ist riesig, beispiellos. […] Es könnte die Sternenflotte eine ganze Generation lang beschäftigen. […] Sind wir bereit, Opfer zu bringen, um etwas in diesem Maßstab auf die Beine zu stellen? All die geplanten Forschungsmissionen? […] Gibt es überhaupt genug Schiffe, die dafür umfunktioniert werden können? Was wird sonst noch gekürzt werden müssen? Kultivierung von Grenzwelten? Terraforming-Projekte? Was denken Sie, wie das bei den Bürgern der Föderation ankommen wird?“ (Kirsten Clancy in Roman I)

Am Ende der ausgedehnten Einsatzbesprechung erklärte sich Picard bereit, die herkulische Aufgabe zu übernehmen, die präzedenzlose Evakuierungsmission zu leiten. Daraufhin stellte die Föderation sich darauf ein, drastische Maßnahmen zur Unterstützung der Romulaner auf den Weg zu bringen.

Warum übernahm Picard die Leitung der Sternenflotten-Rettungsmission?

Glaubt man dem Roman Die letzte und einzige Hoffnung, tat er es nur bedingt proaktiv. In einem leidenschaftlichen Plädoyer argumentierte Picard im Sinne einer breit angelegten Rettungsoperation und dass die Föderation ohne Wenn und Aber für ihre humanitären Grundsätze einstehen müsse, was Eindruck bei der Admiralität und den politisch Verantwortlichen hinterließ. Dann nahm das Oberkommando ihn in die Pflicht – das Ganze hatte sich offenbar wie eine persönliche Bewerbungsrede angehört. Picard wusste von vorneherein um seine Verantwortung, und er machte das Beste aus der Situation. Nach kurzem Nachdenken willigte er ein und erklärte sich auf Bitten des Oberkommandos bereit, das Kommando über die Enterprise kurzfristig abzutreten (Ersatz war mit seinem XO Commander Worf zum Glück schnell gefunden) und sich zum Admiral befördern zu lassen. Picard war entschlossen, so viele Leben wie möglich zu retten; dem ordnete er von nun an alles andere unter. Kurz darauf begann er, den Oberbefehl über ein beispielloses Aufgebot an Mann und Material zu übernehmen und traf die logistischen und politischen Vorbereitungen für ein Anlaufen der Evakuierungsmission. In diesem Zuge erhielt er ein neues Schiff, die U.S.S. Verity, einen gewaltigen Kreuzer der neuen Odyssey-Klasse, welche die Evakuierungsflotte von zunächst nicht mehr als zwei Dutzend Schiffen anführte. Zu seinem neuen Ersten Offizier machte Picard die langjährige Geheimdienstmitarbeiterin Lieutenant Commander Raffaela Musiker, die er erst bei der Besprechung mit Bordson kennengelernt hatte.

„Hier spricht Admiral Jean-Luc Picard. Ich spreche zu Ihnen vom Raumschiff Verity. Zusammengenommen umfasst unsere gesammelte Erfahrung viele hundert Jahre, tausende Welten und hunderttausende Missionen. Heute begeben wir uns auf die bislang größte Mission der Sternenflotte. Die ehrlichste, tiefst empfundene und notwendigste aller Aufgaben. Um Jahrhunderte des Zweifels, der Angst und des Misstrauens beiseitezuschieben und unseren Nachbarn in ihrer Stunde der Not die bedingungslose Hand der Freundschaft zu reichen.“ (Jean-Luc Picard in Roman I)

„Zum Glück hat die Föderation dann beschlossen, die Rettungsmaßnahmen zu unterstützen. […] Nun, ich war wohl schon immer recht überzeugend. Und der Föderation war klar, dass unzählige Millionen von Leben auf dem Spiel standen.“ (Jean-Luc Picard in PIC 1x01)

Es ist bezeichnend, dass Picard trotz der hohen Stellung, die ihm zuteilwurde, von Beginn an Wert darauf legte, selbst im romulanischen Raum präsent und vor Ort zu sein anstatt alles von einem Schreibtisch im Hauptquartier aus zu koordinieren. Damit blieb er seiner alten Profession als Captain ausgesprochen treu, bei der er stets die Wirkung der eigenen Entscheidungen hatte sehen und die Konsequenzen unmittelbar tragen können. Gleichzeitig gab er mit dem Entschluss, Admiral ‚an der Front‘ sein zu wollen, womöglich frühzeitig einige wichtige Möglichkeiten aus der Hand, Einfluss auf die politischen Vorgänge im Herzen der Föderation zu nehmen, weil er eben die meiste Zeit über weit draußen unterwegs war.

Was wissen wir über den Verlauf der Rettungsmission?

Während die Romulaner aufgrund von Sicherheitsbedenken und Paranoia der Föderation untersagten, Hilfeleistungen im Zentralsystem beizusteuern, wurde der Planetenallianz gestattet, im föderationswärts vorgelagerten Gebiet des imperialen Hoheitsraums die Evakuierung von insgesamt 900 Millionen Personen zu übernehmen. Die Sternenflotte willigte ein, in der ihr zugewiesenen Zone tätig zu werden und arbeitete konkrete Pläne aus. Einer der ersten Schritte Admiral Picards bestand darin, im Zusammengehen mit Föderationspolitik und Oberkommando eine Umschichtung von Ressourcen und Finanzmitteln vorzunehmen. Wie erwartet, wurde die Mission der Sternenflotte infolgedessen beeinträchtigt und zahlreichen Forschungs- und Entwicklungsprojekten im gesamten Föderationsraum die Förderung entzogen. Stattdessen wurden insbesondere die Utopia Planitia-Flottenwerften mit dem sukzessiven Bau einer nie dagewesenen Rettungsarmada von bis zu 10.000 Schiffen der Wallenberg-Klasse betraut, die in der Lage waren, eine vollständige Umsiedlung und nötigenfalls auch Rekolonisierung durchzuführen. Ein schwerwiegendes Problem war allerdings, dass es auf konventionellem Weg mehr als ein Jahrzehnt brauchen würde, all diese Schiffe zu konstruieren. Mithilfe von Commander Geordi La Forge, den Picard bat, bis auf weiteres das Kommando auf Utopia Planitia zu übernehmen, fand man eine (ethisch-moralisch nicht ganz saubere) Möglichkeit, den Bau der Wallenberg-Flotte mutmaßlich innerhalb weniger Jahre zu realisieren: Die gewaltige Transportflotte sollte mithilfe bioneuraler, nichtempfindungs- und urteilsfähiger Androiden, welche kurzfristig vom Daystrom-Institut – namentlich Dr. Bruce Maddox und dessen Team – entwickelt wurden (Daystrom-A500-Androiden), konstruiert und administriert werden.

Die Androidenlösung kam auf keinen Fall zu früh: Schon sehr bald stellte sich heraus, wie dramatisch die Notlage rund um den romulanischen Zentralstern wirklich war. Die Astrophysikerin am Astronomie-Institut von Cambridge, Dr. Amal Safadi, ermittelte, dass die Destabilisierung des romulanischen Sterns in immer erschreckenderem Ausmaß voranschritt, sodass sich die ursprünglichen Berechnungen rasch als Makulatur erwiesen. Die romulanische Sonne würde erheblich schneller als allgemein erwartet zur Supernova werden und aufgrund einer noch stärkeren Detonationswelle weitere Welten im imperialen Gebiet mit in den Untergang reißen – darunter auch solche, die bereits als Evakuierungsstandorte ausgewählt worden waren. Folglich bedeuteten diese Neuigkeiten einen größeren Bedarf an Schiffen in noch kürzerer Zeit und eine Verknappung von Ersatzwelten im romulanischen Gebiet. Doch während die Föderation auf diese neue Erkenntnis reagierte, versuchte die romulanische Führung die Wahrheit zunächst zu vertuschen, um ihr Gesicht zu wahren – selbst wenn dies auf Kosten der eigenen Bevölkerung gehen würde.

Diese konzentrischen Kreise, dachte Picard, während sie Safadis neues Modell begutachteten, sie schienen sich jedes Mal, wenn er sie ansah, weiter auszubreiten. Jede neue Welle brachte eine Vielzahl von Auswirkungen mit sich – soziale, politische, kulturelle und natürlich die Konsequenzen, die es auf die benötigten Ressourcen haben würde. Mehr betroffene Welten – von denen einige sogar für die Neuansiedlung eingeplant waren –, mehr betroffene Personen. Das bedeutete mehr Schiffe. (Roman I)

Ungeachtet dieses katastrophalen Szenarios schritt zwischen 2381 und 2384 die Evakuierungsmission der Föderation in romulanischem Raum voran. Picard und sein Team unternahmen zahlreiche Anstrengungen, um mit den ihnen bis dahin zur Verfügung stehenden Schiffen so viele Personen wie möglich aus dem Einflussbereich der Supernova zu schaffen. So konnten eine Reihe von Kolonien wie Ectis II oder Inxtis mit einigem Aufwand erfolgreich evakuiert werden. Doch im Zuge der Umsiedlungsbemühungen kam es immer wieder zu problematischen Zwischenfällen, bei denen permanent die Gefahr einer Verstrickung der Sternenflotte in innerromulanische Angelegenheiten bestand. Picard merkte schnell, auf welch schmalem Grat zwischen seinen humanitären Werten und dem Prinzip der Nichteinmischung in eine autarke, höchst xenophobe Gesellschaft er wandelte. Praktisch von Beginn seiner Langzeitmission an wurde er bei verschiedenen Gelegenheiten Ziel von terroristischen Attacken, die teilweise aus dem Widerwillen und dem Hass radikaler Fraktionen im romulanischen Reich erwuchsen, teilweise aber auch das Ergebnis von Kollateralschäden des Rettungseinsatzes waren. Als Beverly Crusher im Jahr 2401 auf diese turbulente Zeit zurückblickt, nennt sie einige Beispiele für Übergriffe und Anschlagsversuche auf Picard, darunter seine mehrtägige Entführung durch Flüchtlinge von Kalara V, die wegen der Umsiedlung von Romulanern in ihre Umgebung wütend geworden waren, aber auch Attacken remanischer Attentäter im Dontra-Sektor auf die Verity sowie einen Anschlag mittels einer Photonengranate bei Picards Verhandlungen mit dem romulanischen Prätor (PIC 3x03).

Angesichts widriger Umstände und des hohen Zeitdrucks sah Picard sich schließlich sogar gezwungen, romulanische Flüchtlinge durch die Neutrale Zone zu bringen und auf peripheren Föderationswelten wie Vashti oder Torrassa anzusiedeln, was teilweise Widerstand bei den indigenen Bevölkerungen sowie benachbarten VFP-Welten hervorrief, auch wenn sich die lokale Regierung auf Vashti zunächst bereit erklärte, ein Integrationsprojekt und eine Willkommenskultur zu etablieren. Zudem wurde Picard immer wieder mit dem Vorwurf der romulanischen Regierung konfrontiert, Kulturimperialismus zu betreiben, das romulanische Volk verwirren und in alle Winde zerstreuen zu wollen. Auf Seiten der Föderation entstand hingegen vermehrt der Eindruck, die Romulaner seien undankbar. Eine nicht unbeträchtliche Hilfe für Picard und sein Team war ein Orden der Qowat Milat, spirituelle romulanische Kriegernonnen mit eigener, alternativer Weltanschauung (siehe Kapitel 15), die seit jeher in Opposition zum Tal Shiar stehen. Sie halfen nicht nur bei der Evakuierung und Ansiedlung zahlreicher Romulaner auf Vashti, sondern sicherten auch deren Versorgung und Schutz ab. Picard entwickelte v.a. zur Oberin Zani und einem von ihrer Gruppe aufgenommenen Waisenkind namens Elnor ein enges Vertrauensverhältnis. In den kommenden Jahren würde er Vashti bei mehreren Gelegenheiten besuchen, wobei er sich einen Überblick über das voranschreitende Integrationsprojekt verschaffte, dessen Gelingen nach seiner Überzeugung für die öffentliche Akzeptanz der Rettungsmission eine wichtige Rolle spielte (PIC 1x04). Picard ging so weit, das Vashti-Projekt, Zani, Elnor und die Qowat Milat als seinen „Fels in der Brandung“ zu bezeichnen.

Wann und wie endete die Rettungsmission?

Entgegen Picards energischen Bemühungen, das Engagement der Sternenflotte aufrechtzuerhalten und kontinuierlich an die humanitäre Verantwortung zu erinnern, konnte er nicht verhindern, dass die Rettungsmission innerhalb der Föderation zunehmend an Rückhalt verlor. Ehrgeizige Politiker aus den kleineren Grenzwelten nutzten geschickt die Lage, um Zweifel und Missgunst an Picards Evakuierungsbemühungen reifen zu lassen. An ihrer Spitze stand Olivia Quest, anfangs Juniorratsmitglied der kleinen VFP-Welt Estelen im Föderationsrat. Quest monierte, dass innerhalb der Föderation ein Machtkartell der „Großen Vier“ (Erde, Vulkan, Andoria, Tellar) bestehe und diese den kleineren, entlang der Neutralen Zone gelegenen Mitgliedswelten massive politische und ökonomische Einschnitte aufzwängen, um romulanische Leben zu retten. Im Laufe der Zeit wurde Quest sogar zur Wortführerin einer regelrechten innerföderalen Opposition von insgesamt 14 Welten, drohte unverhohlen mit einer Sezession und machte in der Öffentlichkeit gegen die Rettungsmission mobil (PIC 1x02).

„Ist das jetzt die offizielle Politik? Werden alle Welten entlang der Grenze gebeten, romulanische Siedler aufzunehmen? Wird der Punkt kommen, an dem wir dazu genötigt werden? Natürlich fühlen wir mit diesen Leuten in Not, doch man wird wohl noch die Frage stellen dürfen, ob dies wirklich die beste Lösung ist. Die Destabilisierung der Grenze. Eine Flut von Flüchtlingen. Kontrollverlust und Entmündigung unserer Welten.“ (Olivia Quest in Roman I)