Star Trek - Discovery 2: Drastische Maßnahmen - Dayton Ward - E-Book

Star Trek - Discovery 2: Drastische Maßnahmen E-Book

Dayton Ward

3,0

Beschreibung

Der zweite Teil der epischen Saga zum Netflix-Hit STAR TREK - DISCOVERY! Während sie auf die Versetzung zu ihrem nächsten Posten wartet, wird Commander Philippa Georgiou mit der Aufgabe betraut, eine kleine hastig zusammengestellte Gruppe Ersthelfer nach Tarsus IV zu bringen, wo eine schlimme Hungersnot herrscht. Man hofft, so die missliche Lage dort zu stabilisieren, bis weitere Hilfe eintrifft. Doch Georgiou und ihr Team stellen fest, dass sie zu spät kommen: der bösartige Gouverneur Kodos hat bereits einen abscheulichen Plan in die Tat umgesetzt. Und so müssen Georgiou und Lorca jetzt den Mann jagen, den die Geschichtsbücher eines Tages "Kodo, der Henker" nennen werden.

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STAR TREK™DISCOVERY

DRASTISCHEMASSNAHMEN

Von

DAYTON WARD

Based onStar Trekcreated by Gene RoddenberryandStar Trek: Discoverycreated by Bryan Fuller and Alex Kurtzman

Ins Deutsche übertragen vonHelga Parmiter

Die deutsche Ausgabe von STAR TREK – DISCOVERY: DRASTISCHE MASSNAHMEN wird herausgegeben von Amigo Grafik, Teinacher Straße 72, 71634 Ludwigsburg.

Herausgeber: Andreas Mergenthaler und Hardy Hellstern, Übersetzung: Helga Parmiter; verantwortlicher Redakteur und Lektorat: Markus Rohde; Lektorat: Katrin Aust; Korrektorat: Katja Wetzel;

Satz: Rowan Rüster/Amigo Grafik; Cover Artwork: CBS Studios Inc.;

Print-Ausgabe gedruckt von CPI Moravia Books s.r.o., CZ-69123 Pohorelice. Printed in the Czech Republic.

Titel der Originalausgabe: STAR TREK – DISCOVERY: DRASTIC MEASURES

German translation copyright © 2018 by Amigo Grafik GbR.

Original English language edition copyright © 2018 by CBS Studios Inc. All rights reserved.

™ & © 2018 CBS Studios Inc. STAR TREK and related marks and logos are trademarks of CBS Studios Inc. All rights reserved.

This book is published by arrangement with Pocket Books, a Division of Simon & Schuster, Inc., pursuant to an exclusive license from CBS Studios Inc.

Print ISBN 978-3-95981-672-4 (März 2018) · E-Book ISBN 978-3-95981-673-1 (März 2018)

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Für Michi, Addison und Erin

Inhalt

HISTORISCHE ANMERKUNG

PROLOG

TARSUS IV, KOLONIEPLANET DER FÖDERATION 2246

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

U.S.S. SHENZHOU NCC-1227 16. MÄRZ 2256

Kapitel 40

TARSUS IV, KOLONIEPLANET DER FÖDERATION 2247

EPILOG

DANKSAGUNGEN

ÜBER DEN AUTOR

ANDERSWO

HISTORISCHE ANMERKUNG

Diese Geschichte spielt im Jahr 2246, ungefähr zehn Jahre vor dem Kampf beim Doppelstern in »Das Urteil« (STAR TREK – DISCOVERY) und neunzehn Jahre vor der Begegnung der U.S.S. Enterprise unter dem Kommando von Captain James T. Kirk mit der Energiebarriere am Rande unserer Galaxis (STAR TREK – THE ORIGINAL SERIES – »Die Spitze des Eisbergs«).

PROLOG

Auszug aus Die Viertausend: Krise auf Tarsus IV Veröffentlicht 2257

Im Gegensatz zu den Strafkolonien auf der Erde herrscht in denen auf anderen Welten der Föderation ein gewisser Mangel an modernen Annehmlichkeiten. Dennoch, verglichen mit den Einrichtungen, in denen Patienten nach der Diagnose einer schweren psychischen Störung oder nach einer Verurteilung wegen eines abscheulichen Verbrechens untergebracht und behandelt werden, ist die Vollzugseinrichtung auf Garodon V geradezu komfortabel.

Als der Planet ursprünglich besiedelt wurde, handelte es sich um einen Sternenflottenaußenposten für Langstreckenbeobachtungen. Er sollte einen Abschnitt der Neutralen Zone überwachen, die das Territorium der Föderation und der Romulaner voneinander trennt. Diese Aufgabe wurde vor Jahrzehnten einigen Beobachtungsstationen übertragen, mit denen die Überwachungsposten verstärkt werden sollten, die man nach dem Ende des Irdisch-Romulanischen Kriegs ein Jahrhundert zuvor entlang der Grenze installiert hatte. Inzwischen dient der Außenposten als Hilfseinrichtung für Schiffe der Sternenflotte. Eine kleine zivile Kolonie ist ebenfalls entstanden, wenn auch auf der anderen Seite des Planeten. Die Strafkolonie selbst ist ähnlich isoliert und liegt versteckt in einem Gebirgstal tausend Kilometer vom nächsten Bevölkerungszentrum entfernt.

Einer der Hauptunterschiede zwischen dieser Siedlung und anderen – wie der Erdkolonie Neuseeland – besteht darin, dass diejenigen, die man hierherschickt, akzeptieren, dass sie Gefangene sind. Obwohl sie wegen Verbrechen gegen die Gesellschaft dazu verurteilt wurden, hierherzukommen, glauben diejenigen, die sie hier weggesperrt haben, dass diese Insassen durchaus wiedereingegliedert werden können. Zu diesem Zweck gibt es nur eine Handvoll Insassen, die man für Schwerverbrechen wie Mord oder Beihilfe zum Mord verurteilt hat. Eine dieser Gefangenen ist die Teilnehmerin am heutigen Interview.

Wir spazieren einen schmalen Kiesweg entlang. Er windet sich durch das Gelände um die Gebäudegruppe, die die Hauptsiedlung der Kolonie darstellt. Sie trägt Handschellen und Fußfesseln, die es ihr erlauben, zu gehen, aber nicht, zu rennen oder zu treten. Hisayo Fujimura ignoriert betont die Gruppe aus vier Sicherheitsoffizieren, die uns heute Morgen begleitet. Laut ihres offiziellen Zeitplans müsste Fujimura sich im Speisesaal melden, um bei der Vorbereitung des Mittagessens für die Insassen zu helfen. Sie verabscheut diese Pflicht zutiefst, also ist das hier eine willkommene Abwechslung. Die Sonne scheint durch die Bäume. Fujimura scheint die Wärme auf ihrer blassen Haut zu genießen. Sie hat die Ärmel ihres gelben Overalls bis über die Ellbogen und ihre Hosenbeine bis über die Knie aufgekrempelt. Dies ist offensichtlich ein Verstoß gegen die Kleidungsvorschriften für die Gefangenen, aber niemand scheint ein Interesse daran zu haben, diese durchzusetzen. Am Horizont drohen Sturmwolken den Frieden und die Ruhe zu verjagen, die den heutigen Tag bisher geprägt haben.

»Ich darf das nur ein- oder zweimal pro Woche machen, je nach Wetter«, sagt Fujimura. »Normalerweise regnet es während meiner Bewegungszeit. Ich habe darum gebeten, im Regen laufen zu dürfen, aber sie lassen mich nicht.« Sie hält ihre Handgelenke hoch und zeigt dann auf die Fesseln um ihre Knöchel. »Es ist ja nicht so, als ob sie nicht wüssten, wo ich bin – oder als ob ich entkommen könnte.« Sie lächelt wissend und fügt hinzu: »Ihnen ist klar, dass die Wachen nicht nötig sind, oder? Ich meine, meinetwegen. Sie sind nicht meinetwegen hier – sie sind hier, um Sie zu schützen. Die glauben, ich könnte versuchen, Sie zu töten oder so was.« Sie lacht über ihren eigenen Witz.

Wir gehen schweigend fünfzig oder sechzig Meter weiter und folgen den Biegungen des Wegs. Dies ist natürlich nicht unser erstes Treffen. Die erste Zusammenkunft diente dazu, Fujimura mögliche Themen der Unterhaltung vorzustellen und ihr Zeit zu geben, über ihre möglichen Antworten auf bestimmte Fragen nachzudenken. Diese Rücksicht lassen wir bei jedem walten, der für das Buch interviewt wird. Und es ist nur fair, jemandem, dessen Meinung von denen so vieler anderer Mitwirkender abweicht, dieselbe Höflichkeit entgegenzubringen.

»Nun denn«, ergreift sie nach einigen Momenten das Wort, »Sie wollten mit einem Anhänger der Sache sprechen. Einem wahren Gläubigen, wie man sagt. Ich weiß nicht, ob das die richtige Bezeichnung ist, aber ich nehme an, sie ist gut genug. Sie war jedenfalls für die Leute, die mich hierhergeschickt haben, gut genug.«

Sie kratzt sich an der Nase – eine einfache Bewegung, aber sie erweckt die Aufmerksamkeit einer der Wachen. Obwohl unsere vier Eskorten einen diskreten, wenn auch geringen Abstand gewahrt haben, sorgen Fujimuras Bewegungen dafür, dass einer von ihnen – ein blonder Mann, der viel zu jung wirkt, um in der Sternenflotte zu sein – aus dem Gleichschritt ausschert und in unsere Richtung geht. Sobald die Gefangene ihre Hände wieder vor sich hängen lässt, entspannt der Wachmann sich, hält aber weiterhin den Blick auf uns gerichtet, während er auf seine Position in dem Ring zurückkehrt, den er und seine Gefährten um uns bilden.

Fujimura lacht leise. »Die sind so schreckhaft. Ich frage mich, wie oft ich sie nervös machen kann, während wir hier draußen sind.« Als würde sie spüren, dass ihre Versuche, sich zu amüsieren, jetzt schon eine nachteilige Wirkung auf ihr Interview haben, wird sie ernster.

»Ich bin keine kaltblütige Mörderin, ganz gleich, was die Abschriften der Verhandlung sagen. Ich bin aus denselben Gründen nach Tarsus IV ausgewandert wie viele andere Leute. Die Kolonie bot eine Chance auf Unabhängigkeit, eine Chance, das Leben, das ich führen wollte, selbst zu gestalten – ohne Einmischung der Föderation.« Sie zuckt mit den Schultern. »Okay, also vielleicht nicht ganz ohne, aber wir waren weit genug weg, dass niemand an uns interessiert zu sein schien. Wir waren nur eine kleine Kolonie, die sich um ihre Landwirtschaft kümmerte und sich bemühte, eine in sich geschlossene Gemeinschaft zu werden, die sich nicht wie andere Siedlungen auf regelmäßige Überprüfungen oder Nachschublieferungen verlassen musste.« Ein verächtliches Schnauben unterstreicht diese Feststellung.

»Es war vielleicht nicht das glamouröseste Leben, aber es war unseres. Ganz allein unseres. Weit weg von den überfüllten Zentralplaneten und sogar einigen der größeren Kolonien, die sich ganz alleine hochgearbeitet haben, um Föderationsmitglieder zu werden. Ich wurde auf Mantilles geboren, doch sobald sich die Grenzen der Föderation in diese Richtung ausweiteten, wurde der Planet zu einem der größten Anlaufhäfen für Sternenflotten- und Handelsschiffe. Dank des milden Klimas war er auch interessant für Touristen. Wir Einheimischen hassten das alles.«

Eine Kreuzung, an der der Pfad um einen kleinen Teich läuft und dann wieder in die Richtung führt, aus der wir gekommen sind, gibt uns einen Grund, einen Moment stehen zu bleiben. Fujimura sagt nichts, während sie einige Enten beobachtet, die am Rand des Teichs umherlaufen oder im Wasser schwimmen.

»Beinahe jeder, der bei meiner Ankunft auf Tarsus IV lebte, wollte dasselbe: in Ruhe gelassen werden. Wir haben nicht versucht, uns abzuspalten, oder etwas ähnlich Dummes. Es ging nicht darum, gegen die Föderation zu sein. Wir wollten nur unseren eigenen Weg bestimmen – in guten wie in schlechten Zeiten. Die Kolonie hatte bereits Jahrzehnte so existiert, bevor ich überhaupt geboren wurde. Wir erfuhren auf dieselbe Weise von der Katastrophe auf Epsilon Sorona wie alle anderen – über die Nachrichtensendungen der Föderation. Wir wussten allerdings erst, nachdem die Entscheidung gefallen war, dass die Flüchtlinge des Planeten nach Tarsus IV umgesiedelt werden würden.« Fujimura hält ihre Hände hoch. »Okay, das ist nicht ganz die Wahrheit. Die Kolonieregierung wusste davon. Gouverneurin Ribiero und die Führungsspitze begrüßten die Idee und die Flüchtlinge mit offenen Armen. An und für sich war es natürlich das Richtige. Sie brauchten eine neue Heimat und Tarsus IV war einer der wenigen Kolonieplaneten, der eine so große Zahl neuer Siedler ohne größere Schwierigkeiten aufnehmen konnte. Er ist ein großer Planet, auf dem es viel Platz für alle gibt. Und es ist auch nicht so, als hätte die Föderation sie uns einfach vor die Nase gesetzt. Sie unterstützten uns auf vielfältige Weise – mit neuer Ausrüstung, beim Bau neuer Wohnungen und bei der Verbesserung unserer Energie- und Wasserversorgung und weiterer notwendiger Infrastrukturen. Um ehrlich zu sein, wuchs New Anchorage dank der Föderationshilfe innerhalb von zwei Jahren um vierzig Prozent und unsere Energie- und Bewässerungssysteme für die Landwirtschaftsgemeinschaften wurden um das Zehnfache verbessert. Wir hätten dankbar sein müssen, und das waren wir auch … wenigstens eine Zeit lang.«

Sie macht wieder eine Pause und beobachtet weitere Enten, die vom Ufer des Teichs ins Wasser gleiten.

»Die stammen nicht von hier, wissen Sie«, sagt sie und zeigt auf die Wasservögel. »Wie die Kolonisten, das Sternenflottenpersonal, die Zivilisten und wir wurden sie gemeinsam mit all den anderen Tieren importiert, wie auch einige der Pflanzen. Man hat sie natürlich nicht einfach hier ausgesetzt. Intensive Forschungen wurden angestellt, bevor man fremde Tiere und Pflanzen in ein neues Ökosystem einbrachte. Eine irgendwie neuartige Idee, finden Sie nicht?«

Es ist offensichtlich, worauf sie hinauswill, und es ist unnötig, ihr weitere Fragen zu stellen.

»Wenn man doch nur so viel Mühe auf die Umsiedlung nach Tarsus IV verwendet hätte. Stellen Sie sich vor, wie anders die Dinge heute sein könnten. Etwas Offensichtliches wurde nicht getan oder einfach übersehen. Ich habe das offizielle Fazit gelesen und einige Berichte, die diesen Ergebnissen widersprechen.« Sie zuckt mit den Schultern. »Es ist zehn Jahre her und ich weiß immer noch nicht, wem oder was ich glauben soll.«

Wir gehen weiter und folgen dem Pfad am Westufer des Teichs. Hier stehen keine Bäume und die Sonne vertreibt die immer noch anhaltende Morgenkühle. Ein kurzer Blick zum Horizont zeigt, dass die graue Wand aus Sturmwolken größer und dunkler geworden ist. Es wird in einer oder höchstens zwei Stunden regnen.

Es wurde viel über die Ursache der Pilzinfektion geschrieben, die die Lebensmittelvorräte des Planeten zerstörte. In den Jahren seit der Krise wurde sie als Mahnung herangezogen, um die Risiken bei der Kombination von Elementen aus zwei oder mehr planetaren Ökosystemen zu verdeutlichen. Die Lektionen, die man von Tarsus IV gelernt hat, werden heute noch gelehrt, um zu verhindern, dass eine derartige Katastrophe jemals wieder vorkommt. Vernünftiges Krisenmanagement ist jedoch ebenso wichtig.

»In den ersten Tagen gab es viele Schuldzuweisungen«, sagt Fujimura. »Die Leute gaben sich alle Mühe, jemanden zu finden, dem sie die Schuld in die Schuhe schieben konnten. Hätte die Seuche verhindert werden können? War sie etwas, das wir hätten aufhalten können, oder war sie unvermeidlich? Wir konnten diese Fragen unmöglich beantworten und in Wahrheit spielte das alles eigentlich auch keine Rolle, obwohl sich viel zu viele Leute in sinnlosen Diskussionen ergingen. Sie können von ihm halten, was Sie wollen, aber Kodos hatte einen Plan. Er wollte keine Zeit mit etwas vergeuden, das die Situation nicht voranbrachte. Ich war an jenem Abend dort. Bei ihm, meine ich. Kodos war während der Stunden vor der Zusammenkunft nicht besonders gesprächig. Wir hatten ihm Essen gebracht, aber er hatte sich selbst die Regel auferlegt, nichts zu essen, bevor er den Plan zu unserer Rettung nicht in die Tat umgesetzt hatte. Viele Bücher und Artikel, die ich im Laufe der Jahre über ihn gelesen habe, stellen ihn als kalten, gnadenlosen Mann hin, der sich nichts aus den Menschen machte, deren Leben er kontrollierte.« Fujimura schüttelt den Kopf. »An dem Abend konnte man die Zweifel sehen. Zur Hölle, man konnte sie spüren!«

Sie bleibt stehen und ihr Blick schweift von dem Pfad nicht zum Teich, sondern zum Horizont. Es ist offensichtlich, dass die Erinnerung an die Nacht »des Opfers« schwer auf ihr lastet.

»An jenem Abend stand Kodos am Fenster seines Büros und beobachtete, wie die Leute zum Amphitheater gingen. Die meisten gingen zu Fuß, aber es gab auch ein paar Fahrzeuge. Die Straßen und Bürgersteige waren voller Leute, die auf dem Weg zu der Zusammenkunft waren. Unter diesen Umständen vermutete ich, dass Kodos nervös sein würde. Es würde schließlich seine erste öffentliche Ansprache an die Kolonie sein, seit er den Posten des Gouverneurs übernommen hatte.« Sie macht eine Pause und stößt einen tiefen Seufzer aus. »Ich an seiner Stelle hätte entsetzliche Angst gehabt, aber mit jeder Minute, die verging, schien ihn eine merkwürdige Ruhe zu überkommen.«

Die Berichte der wenigen Leute, die Adrian Kodos in jenen letzten Stunden beobachten konnten, weichen in vielen Dingen voneinander ab, aber alle offenbaren einen Mann, der vollkommen von der Rede, die er in Kürze halten würde, vereinnahmt war. Gehilfen und Mitglieder der Ratsführung erinnern sich daran, dass er während des ganzen Tages eine Datentafel mit sich herumtrug. Natürlich kannte niemand den Inhalt der Rede, an der er arbeitete, aber sie alle würden sie bald genug zu hören bekommen.

»Da ich eine der wenigen war, die wussten, was passieren würde, war ich dabei, als er seine Rede vorbereitete. Er lief in seinem Büro im Kreis, während er sie immer wieder aufsagte.« Fujimura schüttelt ihren Kopf. Wir setzen unseren Spaziergang fort. »Es ging nicht um einfaches Ablesen, er wollte daraus eine echte Darbietung machen.«

Natürlich bleibt nur eine wirkliche Frage. Fujimura hat diese seit dem Beginn des Interviews kommen sehen und zuckt nicht mit der Wimper, als sie schließlich gestellt wird.

»In einer zivilisierten Gesellschaft kann das, was Kodos getan hat, niemals gerechtfertigt oder vergeben werden. Er versuchte, so viele Menschen, wie er für möglich hielt, zu retten. Er hätte es natürlich nicht getan, wenn er geahnt hätte, dass Hilfe unterwegs ist, aber zu dem Zeitpunkt? Er glaubte, das sei die beste Entscheidung unter einer Reihe schrecklicher Wahlmöglichkeiten.«

Sie bleibt wieder stehen und unsere Blicke treffen sich. »Aber machen wir uns nichts vor. Er hat nicht alleine gehandelt und er tat es nicht ohne Unterstützung. Ich war von Anfang an dabei. Ich wusste, was geschehen würde. Ich hatte eine Chance, meine Ablehnung zum Ausdruck zu bringen, aber ich hielt den Mund. Ich wollte nicht, dass noch jemand starb, aber ich war einverstanden damit, dass es jemand anderes war als ich. Ich war nicht dort, als Kodos seinen Plan in die Tat umsetzte, aber ich tat auch nichts, um es zu verhindern. Wieso nicht? Weil ich leben wollte. So einfach war das. In vielerlei Hinsicht macht das Leute wie mich noch schlimmer als Kodos. Schließlich wurden die wirklich entsetzlichen Verbrechen von denjenigen unter uns verübt, die davon überzeugt waren, dass er recht hatte, und beschlossen, ihm zu helfen. Und so wird uns die Geschichte für alle Zeiten verdammen.«

TARSUS IV, KOLONIEPLANET DER FÖDERATION 2246

1

Gabriel Lorca hatte beide Arme vor sich ausgestreckt und umklammerte den Phaser mit beiden Händen. Er unterbrach sein Vorrücken durch den Flur, als die Tür am anderen Ende des Durchgangs sich öffnete. Jenseits des Türrahmens standen zwei Männer. Sie gehörten nicht zu Lorcas Team. Beide Männer trugen die Uniform der Sicherheitsleute der Kolonie und hatten einen Phaser. Ihre Augen weiteten sich überrascht, als sie Lorca nur wenige Meter vor sich stehen sahen.

»Sie sind nicht das Hausmädchen.«

Er schoss.

Nur einer der Männer schaffte es, seinen Phaser in Anschlag zu bringen. Lorcas Betäubungsstrahl raubte ihm das Bewusstsein, noch bevor er auf dem Boden aufschlug. Ein einzelner Schuss aus seiner eigenen Waffe riss ein Loch in den Boden. Lorca feuerte erneut. Der andere Mann sackte neben seinem Gefährten zu Boden. Sie lagen so nah an der Tür, dass die Sensoren blockierten.

Lorca zog kurz in Erwägung, dass ihm vielleicht besser gedient gewesen wäre, wenn er einen der Männer bei Bewusstsein gelassen hätte – wenigstens lange genug, um ihm einige nützliche Informationen zu entlocken. Er verwarf den Gedanken. Die Eindringlinge waren betäubt und die Tatsache, dass sie sich Zugang zu einer Anlage der Sternenflotte verschafft hatten, genügte, um ihre Absichten zu erraten. Man konnte sie befragen, wenn die Situation unter Kontrolle und der Außenposten wieder sicher war.

Lorca näherte sich den liegenden Männern und versicherte sich, dass sie außer Gefecht gesetzt waren, bevor er ihre Waffen an sich nahm. Die Narbe im Boden von der Waffe seines Gegners verriet ihm, dass beide Waffen auf Töten eingestellt waren und nicht auf Betäubung.

»Aber warum?«

Auch mit den Notfallmaßnahmen, die von der Kolonialregierung als Reaktion auf die aktuelle Krise in Kraft gesetzt worden waren, gab es keinen Grund für so extreme Handlungsweisen, wie sie diese Sicherheitsleute von New Anchorage – der Hauptstadt des Planeten – offenbar an den Tag legten. Was könnte zu solch einer vorschnellen Entscheidung geführt haben? Lorca und sein Team hatten Gouverneurin Gisela Ribiero und ihrer Führung bereits ihre volle Unterstützung zugesichert, um mit der Situation, der sie sich gegenübersahen, fertigzuwerden. Das Verhältnis zwischen der Zivilbevölkerung der Kolonie und dem Beobachtungsposten der Sternenflotte hier auf Tarsus IV bestand aus gegenseitiger Kooperation und reichte bis zu den Gründertagen der Kolonie vor einigen Jahrzehnten zurück. Hatte die Gouverneurin den Verstand verloren? Wenn sie bereit war, Truppen mit einer Mordmission hierherzuschicken, wozu mochte sie sonst noch fähig sein?

Ich nehme an, ich werde sie wohl selbst fragen müssen.

Lorca stellte die Waffen auf Betäubung ein und verstaute sie im Hosenbund seiner Zivilhose. Als Nächstes schob er mit seinem Fuß die Männer von der Tür weg, kehrte in den Flur zurück und ließ die Tür zugleiten. Er tippte einmal auf die Kontrolltafel, die in die Wand neben der Tür eingelassen war, und aktivierte den Verschlussmechanismus. Jetzt konnte sie nur noch von dieser Seite aus geöffnet werden.

So weit so gut.

Schritte rannten in seine Richtung. Lorca drehte sich mit schussbereitem Phaser um und sah den Flur entlang. Doch er senkte die Waffe, als Ensign Terri Bridges um die Ecke bog und in sein Sichtfeld kam. Sie gehörte ebenfalls zu dem fünfköpfigen Team des Außenpostens. Im Gegensatz zu ihm trug die junge Offizierin der Sensorkontrolle eine Dienstuniform der Sternenflotte, doch ihr braunes, schulterlanges Haar wirkte zerzaust. Als ihre Blicke sich trafen, breitete sich Erleichterung auf ihrem Gesicht aus.

»Gott sei Dank, ein freundliches Gesicht!«

Glücklich, ein Mitglied seines eigenen Teams zu sehen, spürte Lorca, wie seine Anspannung sich etwas legte, wenn auch nicht sehr viel. »Sind Sie in Ordnung?«

Bridges nickte. »Ja.« Sie zeigte mit dem Daumen über ihre Schulter in die Richtung, aus der sie gekommen war. »Ich habe noch zwei in der Nähe des zweiten Eingangs betäubt. Ihre Waffen waren auf Töten eingestellt, Sir. Die internen Sensoren zeigen, dass noch ein Dutzend weitere im oder um den Außenposten herum unterwegs sind. Haben Sie eine Ahnung, was zum Teufel hier eigentlich los ist, Commander?«

»Ich könnte raten, aber das wäre wirklich ein Schuss ins Blaue.« Lorca bedeutete ihr, mit ihm zu kommen. Dann folgte er einer Abzweigung, die zum Hauptkontrollraum der Anlage führte. »Es muss mit den Sicherheitsprotokollen zu tun haben, die von der Gouverneurin in Kraft gesetzt wurden, aber nur, wenn sie komplett den Verstand verloren hat. Die sind wohl kaum nur hinter unseren Lebensmittelvorräten her. Außerdem haben wir bereits alles Verfügbare zugesichert, um so gut wie möglich auszuhelfen.«

Den letzten Berichten aus dem Büro der Gouverneurin zufolge war die Pilzinfektion, die in den Siedlungen auf Tarsus IV wütete, immer noch nicht identifiziert. Ihre Ursprünge waren ebenso wenig bekannt. Unstrittig war jedoch die Auswirkung der Seuche auf die Lebensmittelvorräte der Kolonie. Die Pilze zerstörten organische Lebensmittel in alarmierender Geschwindigkeit und so blieben nur Fertigmahlzeiten und Packungen mit Feld- oder Notfallrationen, um die mehr als achttausend Kolonisten zu ernähren. Der Pilz hatte außerdem die Bauernhöfe und Hydrokulturen der Kolonie befallen und das Erdreich durchdrungen. Dadurch waren New Anchorage und alle kleineren umliegenden Siedlungen dazu gezwungen, die Ernten und Pflanzen zu vernichten. Ausrüstung zur Lebensmittelverarbeitung, die aus rohem, ungenießbarem Material Mahlzeiten herstellte, war ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen worden. Ingenieure bauten die Maschinen auseinander und dekontaminierten sie, während der größte Teil der betroffenen Lebensmittelbestandteile in dem verzweifelten Versuch, wenigstens etwas des Materials zu retten, vernichtet wurde. Solange die Infektion allerdings nicht eingedämmt war, würden all diese Maßnahmen natürlich vergeblich sein.

Das noch drängendere Problem war, dass selbst großzügigsten Schätzungen zufolge die verbliebenen Lebensmittelreserven niemals ausreichen würden, um alle für eine angemessene Zeitspanne zu ernähren. Man hatte einen Notruf abgesetzt und Hilfe war unterwegs. Allerdings war man besorgt, dass diese nicht eintreffen würde, bevor die bereits begrenzten Vorräte aufgebraucht waren. Als Reaktion auf diese dramatische Lage hatte die Kolonialregierung strenge Verordnungen erlassen, um die Verteilung der noch verbliebenen Lebensmittel zu regeln. Zusätzlich war eine Ausgangssperre zwischen 2200 und 0600 verhängt worden. Sicherheitspersonal wurde damit beauftragt, die neuen Regelungen durchzusetzen und die Ordnung aufrechtzuerhalten, wobei die neuen Befugnisse in keinem Verhältnis zu dem relativ ruhigen alltäglichen Verhalten standen, das typisch für das Leben der Bevölkerung auf Tarsus IV war.

Lorca zog seinen Sternenflottenkommunikator aus der Gesäßtasche und klappte den Deckel auf. Das Gerät gab nicht das übliche Zirpen von sich, um seine Aktivierung anzuzeigen. War es funktionsuntüchtig?

»Hier ist Lorca, an alle Mitglieder des Außenpostenteams. Antworten Sie.« Es kam keine Antwort von den anderen drei Offizieren des Trupps, deren Aufenthaltsort und Lage unbekannt waren. Stattdessen hörte er nur ein tiefes Zischen, das auf ein Problem mit der Kommunikationsfrequenz hindeutete. Er gab Bridges ein Zeichen, ihren Kommunikator auszuprobieren. Dann wartete er mit wachsendem Unbehagen, während sie den Ruf an die anderen Mitglieder der Sternenflottentruppe in der Anlage mit demselben Ergebnis absetzte.

»Wenn ich raten müsste«, meinte sie, »würde ich sagen, wir werden irgendwie blockiert. Um sicherzugehen, bräuchte ich allerdings einen Trikorder, um auf die internen Sensoren zugreifen zu können.«

Lorca wischte den Vorschlag beiseite. »Ich bin mir sicher genug. Kommen Sie.« Er bedeutete Bridges, ihm zu folgen. »Wir müssen das Operationszentrum erreichen. Nachdem der Computer das unbefugte Eindringen angezeigt hat, habe ich befohlen, den Bereich abzuriegeln und ihn nur auf Stimmbefehle des Teams zu öffnen. Das wird niemanden davon abhalten, die Türen aufzuschneiden, aber es sollte uns etwas Zeit verschaffen.«

Ohne auf Widerstand zu treffen, liefen sie durch das einzige Stockwerk der Anlage. Sie ließen die Mannschaftsquartiere und Freizeitbereiche hinter sich und gingen an den Abteilungen vorbei, die für die Stromerzeugungs- und Verteilungssysteme sowie für Computer-, Sensor- und Kommunikationsausrüstung des Außenpostens vorgesehen waren. Die meisten dieser Bauelemente funktionierten automatisch, obwohl sie regelmäßige Wartung und gelegentliche Reparaturen von Lorca und seinen Leuten benötigten. Ansonsten drehten sich die Hauptpflichten der Teammitglieder um die Analyse der Daten, die sie von einem Netzwerk automatischer Langstreckensensoren erhielten, die auf die Tiefen des Alls ausgerichtet waren. Jede Sonde wies in die Weiten des Alpha-Quadranten und suchte dort nach Anzeichen für Aktivitäten oder Zivilisationen. Außerdem achteten sie ständig wachsam darauf, ob sich mögliche Bedrohungen näherten.

Im Gegensatz zu den Überwachungsstationen, die man auf Asteroiden errichtet und entlang der Neutralen Zone, die den Föderationsraum vom Romulanischen Imperium trennte, verteilt hatte, waren diese Anlagen nicht bewohnt. Riesige Konstrukte aus Metallgerüsten schützten die darin versteckte sensible Überwachungssoftware. Routinewartungen fielen in den Verantwortungsbereich des Ingenieurkorps der Sternenflotte und wurden normalerweise von Ingenieuren der in diesem Gebiet patrouillierenden Raumschiffe durchgeführt. So blieb für die kleine Besatzung des Außenpostens nur die oft eintönige Arbeit, die Telemetriedaten zu sichten, die sie von den Sensoranlagen erhielt, und wichtige Ergebnisse und andere Informationen an Sternenbasis 11 weiterzuleiten. Diese war die maßgebliche Versorgungseinrichtung der Sternenflotte in diesem Sektor.

Es war eine zeitaufwendige, wenn auch anspruchslose Arbeit und bei Weitem nicht dazu geeignet, einen bewaffneten Einmarsch abzuwehren.

Außenposten Tarsus IV, kurz AT-4, war vor fast einem Jahrhundert errichtet worden und eine abgelegene Anlage, die recht wenig mit der nächsten Sternenbasis zu tun hatte – und noch weniger mit dem aufregenden Dienst auf einem Raumschiff. Es hatte ihn schon vor der zivilen Kolonie auf dem Planeten gegeben und er operierte immer noch als eigenständige Einheit, nachdem die ersten Siedler Ende des zweiundzwanzigsten Jahrhunderts eingetroffen waren. Die Lage des Planeten machte ihn zu einem idealen Ziel für die sich immer weiter ausbreitenden Handels- und Patrouillenrouten der Sternenflotte in diesem Bereich des Weltalls. Die Kolonisationsbemühungen entfernten sich immer weiter von der Erde und den verkehrsreichen Gebieten der noch jungen Vereinigten Föderation der Planeten. Tarsus IV wurde zu einem Ankerpunkt stellarer Navigationskarten. Nach Jahren fast völliger Isolation empfing das Sternenflottenpersonal, das dem Außenposten zugewiesen war, die Neuankömmlinge mit offenen Armen.

Wie der Rest der aktuellen Besatzung hatte Lorca seinen Dienst vor sechs Monaten auf dem Außenposten angetreten. Es war üblich, das gesamte fünfköpfige Team alle zwei Jahre abzulösen. Dabei gab es eine kurze Übergangsphase, in der das scheidende Team sicherstellte, dass ihre Nachfolger für ihre neuen Aufgaben gerüstet waren. Nachdem er drei Jahre als Chef einer Sicherheitseinheit an Bord der U.S.S. Helios und davor vier Jahre auf zwei anderen Raumschiffen gedient hatte, brauchte Lorca einen Tapetenwechsel. Er wollte sein Leben entschleunigen. Der Dienst auf einer normalen Raumbasis der Sternenflotte oder einer Bodeninstallation bot jedoch nur wenig Reiz für ihn. Sein Captain und Mentor, Zachary Matuzas, hatte den Posten auf AT-4 vorgeschlagen. Matuzas – der unkonventionellste kommandierende Offizier, den Lorca in seiner kurzen Laufbahn getroffen hatte – erklärte ihm, dass die Beobachtungs- und Weitervermittlungsaußenstelle nicht nur eine wichtige Rolle in der Gesamtmission der Sternenflotte spielte, sondern ihm auch ausreichend Gelegenheit bieten würde, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben und sich an weitem, offenem Gelände, frischer Luft und echtem Sonnenschein zu erfreuen. Nachdem er die für den Leiter des kleinen Sternenflottenteams auf AT-4 nötigen Voraussetzungen durchgelesen hatte, beschloss der frischgebackene Lieutenant Commander Lorca, dass dies der perfekte Ausgleich zu fast einem Jahrzehnt im Weltraum war.

Im Moment klingt Weltraum ziemlich gut.

Lorca näherte sich dem Ende des Flurs, der von den Arbeits- und Mannschaftsbereichen des Außenpostens wegführte, und blieb vor der Luke stehen, die zur Kommando- und Kontrollzentrale der Anlage führte. In der Zentrale befand sich auch ein Ausgang aus dem Gebäude, den die Eindringlinge sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bei ihrem Einbruch zunutze gemacht hatten. Warteten Eindringlinge hinter der Tür auf sie? Ohne einen Trikorder oder die Möglichkeit, die Sensoren des Außenpostens zurate zu ziehen, war es unmöglich, das herauszufinden.

»Wir haben womöglich Gesellschaft da drinnen«, sagte er leise. Um die Bedeutung seiner Aussage zu unterstreichen, hob er seinen Phaser und zeigte damit zur Tür.

Bridges hob ebenfalls ihre Waffe und umklammerte sie mit beiden Händen. »Okay.«

Wie die anderen Eingänge zu den Wohnbereichen der Mannschaft öffnete auch diese Luke sich nicht automatisch, wenn jemand sich ihr näherte. Stattdessen ließ sie sich nur mit einem Code entriegeln, der auf einem in der Wand eingelassenen Zahlenfeld eingetippt werden musste. Lorca gab seinen Zugangscode ein und spürte, wie sein Griff um den Phaser fester wurde, während seine Hand über der Taste schwebte, mit der er den Befehl zur Öffnung der Tür geben würde.

»Wird schon schiefgehen.«

In den zwei Sekunden nachdem er den Auslöser, der die Tür zur Seite gleiten ließ, berührt hatte, bemerkte Lorca zwei Dinge. Zunächst sah er die reglosen Gestalten des Teamingenieurs, Chief Petty Officer Meizhen Bao, und des Kommunikationsspezialisten, Lieutenant Pjotr Nolokov, die zusammengesunken an den Wänden zu beiden Seiten des kurzen Flurs lagen. Lorca spürte, wie Zorn in ihm aufwallte, und richtete seinen Blick auf zwei Eindringlinge, die vor der Tür zum Operationszentrum standen. Einer der Männer war muskelbepackt mit blondem Bürstenhaarschnitt. Er hielt seinen Phaser nah an sein Gesicht und benutzte ihn als Schneidbrenner, um die verstärkte Luke aufzuschneiden. Beide trugen die Uniform der Sicherheitsleute der Kolonie. Sie hörten, wie die Tür sich hinter ihnen öffnete. Der Mann, der seinen Gefährten bei der Arbeit beobachtete, war etwas schlanker und hatte schwarze Haare, die ihm bis auf die Schultern fielen. Er reagierte als Erster und der Phaser in seiner linken Hand zielte auf Lorca und Bridges.

»Commander!«

Lorca spürte, wie er nach links gestoßen wurde. Der Phaserstrahl des Eindringlings durchschnitt die Luft und verpasste haarscharf Lorcas rechten Arm. Bridges ging in die Hocke und erwiderte das Feuer. Sie traf den Sicherheitsoffizier in die Brust. Er fiel rücklings gegen die Wand hinter ihm und glitt zu Boden. Gleichzeitig ging sein Partner in die Hocke und drehte sich, um in ihre Richtung zu feuern. Lorca war schneller, zielte und schoss, bevor der andere Mann abdrücken konnte. Der Eindringling sank auf die Knie, ehe er nach vorn kippte und aufs Deck fiel.

»Besten Dank«, sagte Lorca und nickte Bridges respektvoll zu, bevor er durch die Luke in den Flur ging. Er hielt seinen Phaser auf die beiden betäubten Eindringlinge gerichtet, bis er sich davon überzeugt hatte, dass sie bewusstlos waren. Als er sicher war, dass keiner der beiden Männer in naher Zukunft irgendwohin gehen würde, trat er ihre Phaser beiseite und drehte sich zu Bridges um, die neben der gestürzten Gestalt von Meizhen Bao kniete.

»Sie ist tot, Sir«, meldete der Sensoroffizier. Sie warf dem Körper von Pjotr Nolokov einen Blick zu. »Beide sind tot.«

Warum?

Welche mögliche Rechtfertigung konnte es für so eine hinterhältige Tat geben? Obwohl er erst vor Kurzem nach AT-4 versetzt worden war und noch nicht lange mit ihnen zusammengearbeitet hatte, waren diese Leute bereits mehr als nur Kollegen für ihn geworden. Die Abgelegenheit ihres Einsatzorts sorgte dafür, dass sie zu besten Freunden wurden. Bao war eine großartige Tennisspielerin gewesen. Das hatte Lorca während ihrer häufigen, lebhaften Spiele sonntagmorgens auf die harte Tour lernen müssen. Nolokov wiederum hielt sich für einen Amateurastronomen. Es war nicht ungewöhnlich, ihn an klaren Abenden etwa einen Kilometer westlich des Außenpostens auf freiem Feld sitzend zu finden. Er benutzte ein altmodisches Refraktorteleskop, um die Sterne am Nachthimmel von Tarsus IV zu betrachten. Lorca hatte sich ihm ein paar Mal angeschlossen. Dabei hatte er auch Proben des neuesten Bourbons genossen, den der Lieutenant mit einer selbst entwickelten Methode herstellte. Wie Lorca herausfand, war das Ergebnis etwas, das man erlebt haben musste, um es schätzen zu können.

Jetzt waren die beiden tot – auf brutale Weise ohne nachvollziehbaren Grund niedergemetzelt. Jemand würde dafür geradestehen müssen. Lorca wusste, er würde keine Ruhe geben, bis er eine angemessene Erklärung gefunden hatte, koste es, was es wolle. Und es war ihm auch egal, wem er die Antworten abpressen musste. Wenn das hieß, sich den Weg durch alle Mitglieder der Sicherheitsabteilung der Kolonie bis zur Gouverneurin zu erkämpfen, dann war das eben so.

Verdammt sein sollt ihr alle!

Er wurde durch das Geräusch der Tür des Operationszentrums aus seinen Gedanken gerissen, die ohne Vorwarnung aufglitt. Lorca wirbelte herum, um in die Richtung zu sehen, hob seinen Phaser und zielte damit auf die neue Bedrohung, die auf ihn zukam.

2

»Hey!«

Lorca starrte am Lauf seiner Waffe entlang in die geweiteten Augen von Lieutenant Aasal Soltani. Der führende Computerspezialist des Außenpostens hob überrascht seine Hände. Sein Blick war auf den Energieemitter des Phasers geheftet, der nur wenige Zentimeter vor seinem Gesicht schwebte.

Lorca atmete erleichtert aus und senkte den Phaser. »Tut mir leid.« Er atmete tief durch, während er sich selbst gratulierte, den jungen Offizier nicht erschossen zu haben, und sagte: »Schön zu sehen, dass mit Ihnen alles in Ordnung ist, Aasal.«

»Gleichfalls, Sir.«

Soltani sah müde und besorgt aus und wenn Lorca den Ausdruck auf seinem Gesicht richtig deutete, dann lag darin auch ein Hauch von Angst. Er war ein hochgewachsener, schlanker Mann mit dunkler Haut und dunklen Haaren und stammte aus Saudi-Arabien auf der Erde. Wenn er sprach, war sein Tonfall beinahe melodisch.

Soltani sah an Lorca vorbei und lächelte dünn und freudlos, als er Bridges entdeckte. »Es ist auch schön, Sie zu sehen, Ensign. Als der Alarm losging, habe ich mich im Operationszentrum verschanzt und darauf gewartet, dass der Rest von Ihnen eintrifft.« Er machte ein langes Gesicht, als sein Blick auf die Gestalten von Bao und Nolokov fiel. »Pjotr und Meizhen wurden von diesen beiden Männern verfolgt. Sie waren unbewaffnet. Sie hatten keine Chance.« Er betrachtete die betäubten Sicherheitsoffiziere. »Sie haben die beiden wortlos erschossen, sind dann einfach über sie hinweggestiegen und haben angefangen, sich durch die Tür zu schneiden. Wenn Sie nicht gekommen wären …«

Lorca nickte verständnisvoll und legte dem anderen Mann eine Hand auf die Schulter. »Schon gut, Aasal. Sie hätten nichts tun können.«

Die drei Offiziere trugen ihre gefallenen Kameraden ins Operationszentrum. Dann verschloss Lorca die Tür. Erst danach gestattete er sich ein wenig Entspannung. Adrenalin trieb ihn immer noch an und schürte seine Angst und seinen Zorn. Er musste sich körperlich anstrengen, um seine Emotionen wieder unter Kontrolle zu bekommen. Er wollte Gerechtigkeit für Nolokov und Bao, aber er wusste, dass es gerade wichtigere Dinge gab.

Bald! Das Wort hämmerte in seinem Schädel und wiederholte sich immer wieder, während er auf die Leichen seiner Kollegen starrte. Ihr habt mein Wort, meine Freunde.

Er zwang sich, den Blick von ihren leblosen Körpern abzuwenden, und betrachtete das Operationszentrum. Es war einfach und zweckmäßig – ein rechteckiger Raum mit Arbeitsstationen, die in drei der vier Wände eingelassen waren. Ein großer Bildschirm – größer als der Hauptbildschirm, der auf den meisten Raumschiffbrücken zu finden war – dominierte die vordere Wand und wurde von zwei Computerkonsolen flankiert. Stationen, die den verschiedenen Primärstationen zugeordnet waren, säumten die anderen beiden Wände. Im Gegensatz zu einer Schiffsbrücke gab es keinen Kommandosessel in der Mitte des Raums. Stattdessen war Lorcas Verantwortungsbereich eine Arbeitsstation auf einer erhöhten Plattform. Diese befand sich in der Nähe der Wand, die dem Hauptbildschirm gegenüberlag. Er sah, dass Ensign Bridges bereits an ihrer Sensorkontrollstation saß, und ging zu seiner eigenen Station.

»Mit wie vielen Eindringlingen haben wir es zu tun?«

Bridges nickte, ohne sich von ihrer Konsole abzuwenden. »Es gibt zehn weitere Lebenszeichen außer unseren, Sir.« Sie zeigte auf einen der kleineren Computerbildschirme ihrer Station. »Es sieht nicht so aus, als hätten sie vor, zu bleiben.« Sie machte eine Pause, um eine Reihe Befehle auf einigen Steuerungstasten einzugeben, und fügte hinzu: »Sie ziehen sich definitiv zurück. Ich sehe ungefähr einhundert Meter südlich unserer Position zwei Bodentransporter.«

»Wir haben sechs von ihnen betäubt«, antwortete Lorca und warf einen Blick auf Soltani. »Wir müssen sie irgendwo einschließen, bis ich mit ihnen reden kann.« Der Außenposten besaß keine Arrestzelle oder ein Gefängnis, also mussten sie improvisieren. »Lassen Sie sie draußen und sichern Sie die Luken. Nur die beiden, die wir vor der Ops gefunden haben, nicht. Die können wir in die zusätzlichen Gästequartiere stecken. Dort gibt es keine Fenster und wir können die Luken problemlos verschließen. Sie müssen nicht lange dortbleiben.« Er hatte nicht die Absicht, sie länger als unbedingt nötig festzuhalten, aber er hatte sich noch nicht entschieden, was er mit ihnen anfangen würde, sobald er sicher war, dass sie keinen Nutzen mehr für ihn hatten. Außerdem war da noch die Tatsache, dass sie Bao und Nolokov getötet hatten, was sie nicht einfach übergehen konnten.

Eins nach dem anderen.

Lieutenant Soltani, der seinen Posten an seiner Arbeitsstation im Zentrum des Raums eingenommen hatte, sagte: »Commander, wir haben noch ein Problem. Die Kommunikationssysteme sind ausgefallen. Ich dachte, sie hätten uns nur blockiert. Stattdessen scheint alles abgeschaltet zu sein.«

Bevor er sich zurückhalten konnte, warf Lorca der reglosen Gestalt von Pjotr Nolokov einen Blick zu. Obwohl alle Mitglieder des AT-4-Teams in verschiedenen Disziplinen ausgebildet waren, war Nolokov der mit Abstand Qualifizierteste der Gruppe, wenn es um die Bedienung, Wartung und Reparatur der Kommunikationsausrüstung des Außenpostens ging.

»Ich habe die Sensorlogs überprüft«, sagte Soltani. »Die Kommunikation ist erst seit ungefähr zehn Minuten abgeschaltet. Das müssen sie auf dem Weg nach draußen gemacht haben. Ich kann die internen Systeme inspizieren und eine Schätzung über die Dauer der Reparaturen abgeben.«

Lorca nickte. »Sie und Bridges kümmern sich um unsere Besucher und dann darum.« Ihm gefiel der Gedanke nicht, abgeschnitten zu sein – und zwar nicht nur von der Kolonie, sondern auch von Sternenbasis 11 oder Schiffen, die unterwegs nach Tarsus IV waren, um Hilfe anzubieten.

Bridges drehte sich auf ihrem Sitz um. Ihr Gesichtsausdruck war wieder höchst besorgt.

»Sir, die Leute, die sich aus dem Gebiet zurückziehen – Sie tragen Waffenkisten. Fünf Stück, auf Antigrav-Schlitten.«

»Wie bitte?« Lorca beugte sich zu ihr und sah sich die Messwerte selbst an. »Mistkerle! Haben Sie eine Bestätigung, dass die Waffenkammer aufgebrochen wurde?«

Stirnrunzelnd antwortete Bridges: »Ja, Sir. Das Schloss der Tür ist immer noch aktiv, aber die internen Sensoren zeigen den Einbruch. Sie haben wahrscheinlich die Luke auf dieselbe Weise aufgeschnitten, mit der ihre Freunde hier einbrechen wollten.«

»Könnte das der Grund sein, weshalb sie überhaupt hergekommen sind?«, fragte Soltani. »Aber warum? Die Sicherheitskräfte der Kolonie haben ihre eigenen Waffen.«

Lorca drehte sich um und ging durch den Raum zu seiner Arbeitsstation. »Wir haben Zeug, das sie nicht haben.« Er ließ sich in den Sessel hinter seinem Schreibtisch fallen und streckte die Hand nach dem Computerinterface auf seiner Tischplatte aus. »Was zur Hölle haben sie mitgenommen?«

Obwohl der Außenposten klein war, unterhielt er doch eine beachtliche Lagereinrichtung einschließlich einer Waffenkammer. Letztere war ein Überbleibsel aus den Tagen, als AT-4 noch mehr Truppen beherbergt hatte, die für die gesamte Bevölkerung des Planeten verantwortlich gewesen waren. Es gab Bedenken hinsichtlich der Sicherheit der Anlage in solch einem isolierten, unregelmäßig bereisten Bereich des Weltraums am Rande des Föderationsterritoriums. Damals war die aktive Verteidigungskapazität der Anlage weitaus größer gewesen als heute. Die meisten der schweren, für diese Zwecke vorhandenen Waffen waren zerlegt und eingelagert worden. Obwohl man sie in den üblichen Zeiträumen gemeinsam mit der restlichen Ausrüstung des Außenpostens erneuert oder ersetzt hatte, blieben sie in ihren Frachtcontainern und waren in der Waffenkammer untergebracht. Die einzigen Ausnahmen waren persönliche Handfeuerwaffen, die in gesicherten Spinden in den Wohnquartieren der Teammitglieder aufbewahrt wurden.

Bridges’ Aufmerksamkeit galt einmal mehr ihrer Konsole und sie rief: »Die internen Sensoren der Waffenkammer wurden abgeschaltet. Ich kann den Inhalt des Raums nicht ermitteln.« Sie warf ihm einen Blick zu. »Angesichts der Größe der Kisten würde ich Phasergewehre vermuten, aber wir müssten uns das ansehen, um sicherzugehen.«

Lorca, der gerade selbst erfolglos versucht hatte, den Inhalt der Waffenkammer über das Computernetzwerk des Außenpostens aufzurufen, machte ein finsteres Gesicht. »Nein. Ich habe eine bessere Idee.«

3

Sie hatten die Männer an den Handgelenken gefesselt und sie auf den Stühlen, die Lieutenant Soltani herbeigeschafft hatte, festgebunden. Beide starrten Lorca verächtlich an. Weder sie noch Lorca sagten etwas, als er das Gästequartier flankiert von Soltani und Bridges betrat. Das Schweigen wurde auch während der nächsten sechzig oder siebzig Sekunden nicht gebrochen. Dann wurde Lorca belohnt, als der muskulöse Mann mit dem blonden Haar, der bei dem Versuch, die Tür zur Ops aufzuschneiden, unterbrochen worden war, auf seinem Sitz herumrutschte und sein trotziger Gesichtsausdruck Unsicherheit wich.

»Ich habe nicht viel Geduld für so etwas«, sagte Lorca, nachdem weitere Sekunden verstrichen waren. »Also kommen wir zum Punkt. Sie beide werden angeklagt wegen Mordes an zwei Sternenflottenoffizieren, schweren Einbruchs, unbefugtem Besitz von Sternenflotteneigentum und weil Sie mich stinksauer gemacht haben. Der erste und der letzte Punkt auf der Liste sollten Ihnen gerade richtig Kopfschmerzen bereiten. Diese beiden Leute waren meine Freunde. Keiner von Ihnen sieht intelligent genug aus, um diesen kleinen Raubzug selbst geplant zu haben, also werden Sie mir jetzt mitteilen, wer Sie hierhergeschickt hat.«

»Und wenn nicht?«, fragte der blonde Mann, was ihm ein missbilligendes Stirnrunzeln seines dunkelhaarigen Gefährten eintrug.

Um die Frage seines Gefangenen zu beantworten, machte Lorca einen Schritt nach vorn und rammte die Sohle seines Stiefels vor die Brust des Mannes. Die Wucht des Tritts genügte, um den anderen Mann mit seinem Stuhl umzukippen, der auf dem Boden aufprallte und auf dem Rücken liegen blieb, wobei seine Füße zur Decke zeigten.

Lorca ignorierte das überraschte Stöhnen und die wachsende Wut des Mannes und wandte seine Aufmerksamkeit dem anderen ungebetenen Gast zu. »Wer hat Sie geschickt? Zwingen Sie mich nicht dazu, noch einmal zu fragen. War es Gouverneurin Ribiero?« Zu seiner Überraschung grinste der Mann höhnisch als Antwort.

»Die? Nein. Die hat nicht mal mehr das Kommando. Sie hat nicht die Erfahrung, um mit Notfällen wie diesem umzugehen.« Sein verächtlicher Blick wurde härter. »Also hat man sie abgesetzt.«

Lorca kannte Gisela Ribiero nur von einer Handvoll flüchtiger Begegnungen seit seiner Ankunft auf Tarsus IV. Die Gouverneurin war erst seit Kurzem im Amt gewesen. Die Wahlen hatten nur wenige Monate vor dem plötzlichen, unerwarteten Zustrom von Siedlern aus einer anderen Kolonie stattgefunden. Diese war einer Naturkatastrophe zum Opfer gefallen, wodurch die Evakuierung und Umsiedlung nötig geworden war. Das war die bisher schwerste Prüfung während Ribieros kurzer Amtszeit als Gouverneurin und soweit Lorca wusste, hatten die Anfangsschwierigkeiten dieses abrupten Wachstums reichlich Konflikte verursacht. Eine der Herausforderungen, die sich ihr stellten, waren die widersprüchlichen Ansichten der ursprünglichen Kolonisten auf Tarsus IV, die von Akzeptanz bis hin zu offenem Protest reichten. Sie hatte die Bevölkerung überzeugen können, indem sie an ihre Menschlichkeit und Empathie appellierte. Lorca erinnerte sich an nicht unwesentlichen Widerstand von Hardlinern, die sich gegen das wehrten, was sie als Herumtrampeln sowohl auf ihrer grundsätzlichen Unabhängigkeit als auch auf dem Recht, selbst über die beste Nutzung der von ihnen hier aufgebauten Heimat zu entscheiden, empfanden. Als die Monate vergingen und die Flüchtlinge von Epsilon Sorona sich allmählich in ihre neue Heimat integrierten, schienen die negativen Kommentare abzunehmen, die von einigen Nachrichtensendern und Medien abgegeben wurden.

Aber offensichtlich sind sie nicht vollkommen verstummt.

Natürlich verblassten die Widerstände, die mit der Umsiedlung der Kolonisten von Epsilon Sorona entstanden waren, vor dem Hintergrund der aktuellen ökologischen Krise. Lorca fand es unfair, mit Ribiero zu diesem Zeitpunkt zu hart ins Gericht zu gehen, wenn man sich die Geschwindigkeit, mit der die Seuche sich ausgebreitet hatte, vor Augen hielt. Man hatte kaum Zeit gehabt, den Erreger der Seuche zu erkennen, geschweige denn sie einzudämmen. Ribieros oberste Priorität waren Sicherheit und Schutz der Kolonisten.

Jemand hatte scheinbar andere Vorstellungen.

»Wer hat jetzt das Sagen?«, fragte Soltani.

Der blonde Mann lag immer noch an seinen Stuhl gefesselt auf dem Rücken und antwortete: »Er heißt Kodos. Er hat offenbar Erfahrungen mit derartigem Krisenmanagement und hat zugestimmt, die Führung als Gouverneur zu übernehmen, bis wir das hier überstanden haben.«

»Und wer ist Kodos?«, wollte Bridges wissen.

»Ich habe seinen Namen schon einmal gehört, ihn aber nie kennengelernt.« Lorca kannte nur eine Handvoll Leute im Stab von Gouverneurin Ribiero. Er fand es besorgniserregend, dass der Führungsrat der Kolonie die Gouverneurin eigenmächtig ihres Amtes enthob. Wie würde so eine vorschnelle Handlung vom Rest der Bürger aufgenommen werden? Was Kodos betraf, so nahm Lorca sich vor, alles über den neuen Gouverneur herauszufinden, bevor er den Versuch unternahm, mit ihm zu sprechen oder sich mit ihm zu treffen.

Die Gefangenen fragte er: »Und er hat Sie hierhergeschickt?«

Die beiden Männer wechselten einen Blick, bevor der blonde Mann sagte: »Ja.«

»Mit dem Befehl, uns zu töten?« Lorcas Stimme wurde härter, als er diese Frage stellte. Das hatte auf beide Männer die gewünschte Wirkung, denn ihre Augen weiteten sich beunruhigt.

»Wir sollten Ihre Waffen und Ihre Lebensmittelvorräte überprüfen«, sagte der dunkelhaarige Mann. »Nachsehen, wie viel von der Seuche verschont geblieben ist.«

Lorca näherte sich dem Mann und starrte ihn wütend an. »Wir haben diese Information bereits Gouverneurin Ribiero zur Verfügung gestellt. Wir haben angeboten, unsere restlichen Ressourcen mit den Vorräten der Kolonie zusammenzuwerfen und alles so weit wie möglich zu strecken.«

Nur ein Drittel der Rohbestandteile, die für die Nahrungsverteiler des Außenpostens verwendet wurden, waren von der Pilzinfektion verschont geblieben. Der Rest stand unter Quarantäne oder war von Chief Nolokov vernichtet worden. Nachdem der Ingenieur damit fertig gewesen war, hatte er das unverdorbene Material in vakuumverschlossenen Containern gesichert. Was noch übrig war, reichte aus, um das ganze fünfköpfige Team für fast zwei Monate zu ernähren, ohne rationieren zu müssen. Außerdem gab es einen Vorrat von einzeln abgepackten Notfallrationen, die für weitere drei Wochen ausreichten. Früher am Tag hatte Nolokov Spuren des zerstörerischen Pilzes in den sechs Nahrungsverteilern der Anlage gefunden, was die Abschaltung und Dekontamination der Geräte zur Folge hatte. Der Chief hatte beschlossen, alle Geräte sicherheitshalber zu säubern. Da die Infektion immer noch akut war, war die Dekontamination nur vorläufig, aber Nolokov wollte alles in seiner Macht Stehende tun, um der Entwicklung möglichst einen Schritt voraus zu bleiben.

Ausgestattet mit diesen Informationen hatte Lorca kurz vor Ende seiner vorherigen Schicht der Gouverneurin eine Nachricht geschickt. Er wollte Ribiero und allen Kolonisten zeigen, dass er und das Team von AT-4 ein Teil dieser Gemeinschaft waren – in guten wie in schlechten Zeiten. Dieser neue Gouverneur, Kodos, hätte das wissen können oder müssen, bevor er sein Team auf diese abenteuerliche Mission zum Außenposten geschickt hatte.

»Wir haben unsere Hilfe angeboten«, sagte Lorca. »Und doch sind Sie ohne Gewissensbisse hierhergekommen, um uns zu töten. Und nachdem es offensichtlich war, dass Ihnen das nicht gelingen würde, haben Ihre Freunde unsere Waffen gestohlen, bevor sie sich aus dem Staub gemacht haben. Was wollen Sie mit den gestohlenen Sachen anfangen?« Als keiner der beiden Gefangenen sich äußern wollte, spürte Lorca, wie seine Hände sich zu Fäusten ballten. Es kostete ihn große Willenskraft, seine Arme an seinen Seiten zu lassen. Die anderen Männer bemerkten seine aufsteigenden Emotionen und betrachteten ihn mit wachsender Angst.

Er brauchte einen Moment, um sicher zu sein, dass er sein Temperament zügeln konnte. Dann entspannte Lorca seine Hände, aber sein Tonfall blieb eiskalt und hart. »Wir können Sie offensichtlich nicht der Sicherheitsabteilung der Kolonie überstellen – wenigstens so lange nicht, bis wir herausgefunden haben, wem wir trauen können. Ich kann Sie nicht töten, obwohl mir der Gedanke mehr als einmal gekommen ist. Für den Moment bleiben Sie hier. Benehmen Sie sich und Sie werden dem Captain des Raumschiffs übergeben, das hier eintrifft, um uns zu helfen. Legen Sie sich mit mir an, werfe ich Sie die nächste Klippe hinunter, die ich finden kann. Haben wir uns verstanden?«

Er wartete nicht auf eine Antwort, drehte sich auf dem Absatz herum und verließ den Raum. Erst als er im Flur und außer Sichtweite der Gefangenen war, gestattete er seinem Zorn, sich ein wenig Luft zu machen, kanalisierte ihn durch seine Faust und schlug gegen die nächste Wand.

»Commander? Alles in Ordnung?« Das war Bridges, die mit Soltani neben der jetzt geschlossenen Tür des Gästequartiers stand.

Lorca genoss den Schmerz in seiner Hand und sagte eine Weile nichts. Er beugte und streckte die Finger, um sicherzugehen, dass er sich nichts gebrochen hatte. Dann lehnte er sich an die Wand, die nicht Ziel seiner Wut gewesen war, stützte sich mit der anderen Hand ab und atmete ein paar Mal tief durch, um sich zu beruhigen.

»Tut mir leid.« Er schüttelte den letzten Schmerz in seiner Hand ab und zeigte auf das Gästequartier. »Sorgen Sie dafür, dass sie hinter Schloss und Riegel bleiben. Wir müssen sie hierbehalten, bis wir uns darüber klar geworden sind, was wir mit ihnen machen sollen.«

Wenn es stimmte, dass der neue Gouverneur Kodos die Gruppe Eindringlinge hierhergeschickt hatte, war es möglich, dass die restlichen Sicherheitskräfte der Kolonie auf ähnliche Weise gegen den Außenposten mobilisiert wurden. Jetzt, da Lorca und die anderen wussten, was ihnen möglicherweise bevorstand, konnten sie sich auf weitere Übergriffe vorbereiten. Sie würden fortgesetzte Angriffe allerdings nicht abwehren können. Lorca wusste, dass sie der Situation einen Schritt voraus sein mussten, bevor sie außer Kontrolle geriet.

»Geben Sie mir eine Minute«, sagte er zu den anderen. »Aasal, fangen Sie mit der Überprüfung der Kommunikationssysteme an. Sehen Sie, ob Sie ihm helfen können, Ensign. Ich sehe Sie dann in der Ops.«

Bridges nickte. »Aye, Commander!«

Sobald er allein war, ging Lorca den kurzen Flur bis zu seinem Quartier entlang. Erst als die Tür sich hinter ihm geschlossen hatte, stieß er einen müden Seufzer aus. Was zur Hölle sollte er nur tun? Das war keine Situation, für die er ausgebildet war. In seinem Kopf gab es nur eine mögliche Vorgehensweise: Kodos entgegentreten – wer immer er auch war – und der Sache auf den Grund gehen. In Lorcas Augen war der Gouverneur so lange für das verantwortlich, was mit Meizhen Bao und Pjotr Nolokov geschehen war, bis das Gegenteil bewiesen war.

Lorca durchquerte den Raum und ging zu seinem Schreibtisch. Er bemerkte das kleine, blinkende Symbol in der rechten, unteren Ecke seines Computerbildschirms, das eine ungelesene Nachricht anzeigte. Der Zeitstempel wies darauf hin, dass die Botschaft vor weniger als einer Stunde angekommen war. Das war vor der Invasion und der Abschaltung der Kommunikationssysteme gewesen. Lorca tippte auf eine Taste, um die Nachricht aufzurufen, und sah, dass sie von Balayna Ferasini stammte, einer zivilen Geologin, die er kurz nach seiner Ankunft auf dem Planeten kennengelernt hatte.

»Gabriel, ich weiß, du hast gesagt, du würdest heute Abend wegen der Ausgangssperre nicht in die Stadt kommen, aber heute am späten Abend findet etwas statt. Hast du die Nachrichten über Gouverneurin Ribiero gehört? Sie wurde offenbar ihres Amtes enthoben und der Rat hat einen neuen Gouverneur eingesetzt. Ich habe noch nie von ihm gehört, aber angeblich hat er Erfahrung mit Krisenmanagement in Situationen wie der unsrigen. Er heißt Kodos. Kennst du ihn?«

Balayna stammte von Alpha Centauri und war, um es mit einem Wort zu sagen, bildhübsch. Dunkles, lockiges Haar fiel über ihre Schultern und ihre seelenvollen, jadegrünen Augen hatten es ihm vom ersten Moment an angetan. Lorca hatte sie zufällig in einer der beliebten Kneipen in New Anchorage kennengelernt und ihre Unterhaltung hatte die Sperrstunde weit überdauert. Ihre Beziehung hatte sich in den folgenden Monaten weiter vertieft. Ihre sorglose Art, Herzenswärme und unerschütterlich positive Lebenseinstellung hatten Lorca fasziniert, ja beinahe berauscht. Bisher war er noch nie mit jemandem wie ihr zusammen gewesen und selbst seine besten Freunde würden ihn als konventionell beschreiben: geschniegelt und gestriegelt, wenn nicht sogar stinklangweilig. Balayna war zu alldem das perfekte Gegenstück – doch statt ihn zu verurteilen, lockte sie ihn aus dem Schneckenhaus, von dem er nicht einmal gewusst hatte, dass er darin hauste, bis er sie getroffen hatte. Am Ende dieses ersten Abends war er verzaubert.

Es wurde zur Gewohnheit, die Wochenenden mit ihr in der Stadt zu verbringen, und sie hatten sogar schon darüber gesprochen, dass er ganz bei ihr einziehen sollte. Obwohl er nicht auf der Suche nach einer Beziehung nach Tarsus IV gekommen war, dachte Lorca immer häufiger darüber nach, seinen Einsatz hier zu verlängern oder sogar die Sternenflotte zu verlassen, um ganz hierzubleiben.

»Wie auch immer – er hat für heute Abend eine Versammlung im Amphitheater einberufen. Er will mit der gesamten Kolonie von Angesicht zu Angesicht sprechen. Alle haben eine persönliche Einladung erhalten. Es klingt so, als ob er versuchen will, auf die Bedenken einzugehen und vielleicht sogar die Stimmung zu heben. Angesichts der Größe der momentanen Bevölkerung hat man uns Nachrichten geschickt, in denen steht, dass wir in zwei Gruppen aufgeteilt werden, da nur ungefähr die Hälfte von uns ins Stadion passt.« Balayna machte eine Pause und seufzte. »Das scheint sehr viel Aufwand für eine einzige Rede zu sein, aber wir könnten im Moment vielleicht ein wenig Gemeinschaftsgefühl brauchen. Ich weiß, dass du dich an die Ausgangssperre und die anderen neuen Vorschriften halten willst, aber ich würde mich besser fühlen, wenn du heute Abend mit mir hier wärst. Vielleicht kann der neue Gouverneur dir und deinem Team eine Ausnahmegenehmigung oder so was geben. Wenn du diese Nachricht bekommst … ich bin für die erste Zusammenkunft eingeteilt. Hol mich zu Hause ab und wir gehen zusammen hin. Bis dann.«

Die Botschaft endete, Balaynas Bild verschwand und wurde durch das Sternenflottenlogo ersetzt. Lorca grübelte über diese neue Entwicklung nach. Eine große Versammlung der Kolonisten im Amphitheater war nichts Ungewöhnliches. Der Veranstaltungsort war zu dem Zweck gebaut worden, die ganze Bevölkerung aufnehmen zu können, während alle möglichen Darbietungen aufgeführt wurden oder andere Ereignisse stattfanden. Dennoch, wenn der neue Gouverneur all seinen Schutzbefohlenen wichtige Informationen mitteilen wollte, warum nutzte er dann nicht das Kommunikationssystem der Kolonie? Vielleicht hatte Balayna recht und das war ein Mittel, um die Kolonisten zu beruhigen und gleichzeitig auf den neuesten Stand der Dinge zu bringen.

Klingt so, als sollten wir das nicht verpassen.

4

Der kleine Klappschreibtisch in der Ecke des Schiffsfrachtraums war übersät mit Datentafeln und Datenchips sowie einigen Werkzeugen. Außerdem standen darauf eine kleine Lampe und ein Computerterminal, ein leerer Kaffeebecher und die Überbleibsel einer Essensration. War es das Mittagoder Abendessen gewesen? Sie konnte sich nicht erinnern. Wenn sie so darüber nachdachte, konnte sie sich nicht einmal erinnern, woraus die Mahlzeit bestanden hatte.

Vielleicht ist das auch gut so.

Philippa Georgiou richtete sich auf ihrem Stuhl auf, verschränkte die Hände hinter dem Rücken, streckte sich und stieß einen erleichterten Seufzer aus. Kurz bevor sie die Augen schloss, warf sie einen Blick auf die Uhr in der Ecke der Terminalanzeige, die ihr sagte, wie lange sie schon hier saß. Diese Information vertiefte nur die Müdigkeit, die sie mühsam in Schach zu halten versuchte. Die Uhr sagte ihr außerdem, dass der Tag noch lange nicht vorüber war. Eine Ruhepause war noch Stunden entfernt und lauerte hinter einem ganzen Stapel Aufgaben, der trotz ihrer Bemühungen, ihn zu erklimmen, ständig zu wachsen schien. Wenn sie Glück hatte, würde sie Zeit für eine Dusche und ein Nickerchen haben, bevor sie an ihrem Zielort eintrafen.

Und dann fängt die eigentliche Arbeit erst an.

»Commander Georgiou?«

Sie öffnete die Augen und sah hoch. Lieutenant Enamori Jenn stand vor ihrem Schreibtisch. Wie lange war sie schon dort? Lange genug, um ihren Namen zweimal zu rufen, dämmerte es Georgiou.

»Tut mir leid, Lieutenant.« Sie spürte Verlegenheit in sich aufsteigen und zwang sich zu einem müden Lächeln. Dabei zeigte sie auf ihren Tisch. »Diese Berichte sind todlangweilig.«

Jenn verzog das Gesicht und hielt ihre eigene Datentafel hoch. »Ich fürchte, das hier macht es nicht besser, Commander. Ich habe die abschließenden Zahlen der Bestandsaufnahmen, die Sie von den Gruppenleitern erbeten haben.«

»Nun, ich habe ja darum gebeten.« Georgiou nahm Jenn die Datentafel ab und legte sie oben auf die anderen, die ihrer Aufmerksamkeit bedurften. »Danke, dass Sie das in die Hand genommen haben. Ich werde sie mir ansehen, sobald ich eine Pause habe – in einem Monat oder so.«

Jenn lächelte verständnisvoll und mitfühlend über den schwachen Witz. Sie war eine bildhübsche Betazoidin. Ihre Spezies war von Menschen fast nicht zu unterscheiden, das verräterischste Zeichen waren ihre schwarzen Iriden. Ihre braunen Haare waren aus dem Gesicht gekämmt und im Nacken mit einem silbernen Band zusammengebunden. Der Pferdeschwanz reichte bis über die Schulterblätter. Ihre Uniformjacke war oben nicht zugeknöpft und ließ ihr schwarzes Sternenflottenunterhemd hervorblitzen. Ihre Heimatwelt Betazed war das jüngste Mitglied der Föderation und Jenn war die Erste ihres Volks, der Georgiou begegnet war. Die beiden hatten sich zum ersten Mal auf Sternenbasis 11 bei einer gemeinsamen Besprechung getroffen, bevor sie auf der U.S.S. Narbonne eingeschifft waren. Soweit Georgiou das beurteilen konnte, waren die Betazoiden sehr zurückhaltend, zumindest, wenn es darum ging, Einzelheiten über ihr Privatleben preiszugeben. Jenn war eine angenehme Person und führte ihre Pflichten präzise und sorgfältig aus. In weniger als zwei Tagen war sie für Georgiou zu einer unschätzbar wertvollen Assistentin geworden. Das Team, in das man sie beide gesteckt hatte, arbeitete hektisch daran, sich auf die vor ihnen liegende Situation vorzubereiten.

»Ich brauche etwas Abstand«, sagte sie, stieß sich vom Tisch ab und stand auf. Sie konnte gerade noch vermeiden, unwillkürlich vor Erleichterung zu stöhnen, als die Muskeln in ihrem Rücken ihr für die Positionsveränderung dankten. »Und wenn es nur für ein paar Minuten ist.«

Sie verließen die Ecke, die sie zu ihrem vorläufigen Büro erklärt hatte. Jenn ging neben ihr her, während sie in den übergroßen Frachtraum ging. Er war einer von zwölf, die den größten Teil des Innenraums der Narbonne einnahmen. Genau wie die angrenzenden Abteile war dieses mit allen möglichen Vorräten und Ausrüstungsteilen gefüllt und platzte beinahe aus allen Nähten. Sie musste nicht Lieutenant Jenns Inventarbericht ansehen, um zu wissen, dass Nahrung den größten Teil des Raums einnahm, den man ihr und ihrem Team für diese Mission zugewiesen hatte. Dort, wo sie hinflogen, wurde diese am dringendsten benötigt. Doch Georgiou wusste, dass selbst die Tonnen an Material, die sich in ihrer Obhut befanden, nur ein Anfang waren. Es wurde sehr viel mehr benötigt.

Aber es ist ein Anfang.

»Gibt es etwas Neues vom Captain?«, fragte Jenn.

Georgiou schüttelte ihren Kopf und rief sich die letzte Unterhaltung mit dem kommandierenden Offizier der Narbonne, Aurobindo Korrapati, ins Gedächtnis. »Immer noch keine Antwort von der Kolonie, obwohl er jemanden abgestellt hat, der versucht, sie zu erreichen, seit wir Sternenbasis 11 verlassen haben. Er hat außerdem seine Ingenieure darangesetzt, jedes ihnen bekannte Ass aus dem Ärmel zu holen, um die Reichweite der Langstreckensensoren dieses Schiffs auszudehnen, aber wir sind immer noch zu weit weg. Vielleicht in einer Stunde oder so.« Bei der gegenwärtigen Geschwindigkeit des Schiffs waren sie weniger als zehn Stunden von ihrem Ziel entfernt.

Tarsus IV.

Es war nur eine von vielen Kolonien der Föderation, über die Georgiou nichts wusste. Sie hatte Informationen auf dem Bordcomputer der Narbonne aufgerufen, aber die hatten nur wenig Aufschluss gebracht. Es handelte sich nur um die übliche Sammlung von Statistiken über die Gründung und die Anzahl der Menschen, die den Planeten als Heimat bezeichneten. Besonders interessant war, dass er als neue Heimat für Flüchtlinge einer anderen Kolonie ausgesucht worden war. Diese war einer Naturkatastrophe zum Opfer gefallen und musste vollständig evakuiert werden. Georgiou erinnerte sich, darüber etwas in einem Bericht gelesen zu haben. Derartig drastische Maßnahmen waren so ungewöhnlich, dass sie Aufmerksamkeit erregten, aber es war auch etwas, auf das sie gestoßen war, als sie versuchte, den Grund für die Situation zu verstehen, in die sie und ihr Team sich begaben.

»Als ich an der Akademie war, hatte ich Freunde, die auf Kolonieplaneten aufgewachsen waren«, sagte sie, während sie weiter in den Laderaum hineingingen. »Nachdem wir Sternenbasis 11 verlassen hatten, nahm ich mit einigen Kontakt auf, von denen ich wusste, dass sie schwere Zeiten durchlebt hatten – extreme Wetterereignisse, Erdbeben und sogar Krankheiten. Kein Vergleich zu dem hier, aber ich dachte, es wäre hilfreich, eine Vorstellung davon zu bekommen, was wir von den Kolonisten zu erwarten haben, wenn wir ankommen.«

Zu diesem Zweck hatte Georgiou Captain Korrapati und den Kommunikationsoffizier der Narbonne dazu gedrängt, ihre früheren Klassenkameraden, die auf verschiedene Schiffe und Einrichtungen verteilt waren, aufzuspüren und ihnen Subraumnachrichten zu schicken. Ihre Idee hatte sich ausgezahlt, da es ihr gelungen war, einige neue Eindrücke über die Denkweise von Kolonisten zu gewinnen, die von Krisen heimgesucht wurden.

Jenn fragte: »Was hatten Ihre Freunde zu sagen?«

»Die Föderation hat Notfallpläne für alle möglichen Dinge«, antwortete Georgiou. »Tarsus IV stellt ein besonderes Problem dar, weil seine Bevölkerung viel größer ist, als man in dieser Entfernung von den großen Bevölkerungszentren erwarten würde.« Sie wusste, dass dies das Ergebnis der Umsiedlungsbemühungen war, durch die zu den zweitausend bereits auf Tarsus IV lebenden Kolonisten sechstausend neue hinzugekommen waren. Obwohl eine Umsiedlung in diesem Ausmaß ungewöhnlich war, war der Planet durchaus geeignet, eine Gemeinschaft dieser Größe zu ernähren.

Zumindest dachten wir das.

»Auch die besten Pläne brauchen Zeit zur Umsetzung«, sagte Jenn. »Besonders, wenn wir von Planeten sprechen, die Lichtjahre entfernt von bewohnten oder viel bereisten Regionen liegen. Ganz egal, wie schnell unsere Schiffe fliegen, der Weltraum ist immer noch sehr groß.«