Star Trek - Discovery 3: Die Furcht an sich - James Swallow - E-Book

Star Trek - Discovery 3: Die Furcht an sich E-Book

James Swallow

4,0

Beschreibung

Der dritte Teil der epischen Saga zum Netflix-Hit STAR TREK - DISCOVERY! Lieutenant Saru ist ein Kelpien. Als Angehöriger einer Beutespezies und geboren auf einem Planeten, der von riesigen Raubtieren überrannt wurde, ist er aufs Engste mit der Angst vertraut. Von allen Seiten gefordert ist er entschlossen, über sich und seine Ursprünge hinauszuwachsen und als Sternenflottenoffizier an Bord der U.S.S. Shenzhou erfolgreich zu sein. Doch als Saru das Protokoll missachtet, um sich vor seinen Mannschaftskameraden zu beweisen, gerät das, was zunächst wie eine lebensnotwendige Rettungsmission für ein in Not geratenes Schiff beginnt, schnell außer Kontrolle.

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DIE FURCHT AN SICH

Von

JAMES SWALLOW

Based onStar Trekcreated by Gene RoddenberryandStar Trek: Discoverycreated by Bryan Fuller and Alex Kurtzman

Ins Deutsche übertragen vonHelga Parmiter

Die deutsche Ausgabe von STAR TREK – DISCOVERY: DIE FURCHT AN SICH wird herausgegeben von Amigo Grafik, Teinacher Straße 72, 71634 Ludwigsburg. Herausgeber: Andreas Mergenthaler und Hardy Hellstern, Übersetzung: Helga Parmiter; verantwortlicher Redakteur und Lektorat: Markus Rohde; Lektorat: Katrin Aust; Korrektorat: Katja Wetzel; Satz: Rowan Rüster/Amigo Grafik; Cover Artwork: CBS Studios Inc.; Print-Ausgabe gedruckt von CPI Moravia Books s.r.o., CZ-69123 Pohorelice. Printed in the Czech Republic.

Titel der Originalausgabe: STAR TREK – DISCOVERY: FEAR ITSELF

German translation copyright © 2018 by Amigo Grafik GbR.

Original English language edition copyright © 2018 by CBS Studios Inc. All rights reserved.

™ & © 2018 CBS Studios Inc. STAR TREK and related marks and logos are trademarks of CBS Studios Inc. All rights reserved.

This book is published by arrangement with Pocket Books, a Division of Simon & Schuster, Inc., pursuant to an exclusive license from CBS Studios Inc.

Print ISBN 978-3-95981-865-0 (Juli 2018) · E-Book ISBN 978-3-95981-866-7 (Juli 2018)

WWW.CROSS-CULT.DE • WWW.STARTREKROMANE.DE • WWW.STARTREK.COM

Für Bryan Fuller, vielen Dank für all die Ratschläge

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

HISTORISCHE ANMERKUNG

Diese Geschichte spielt 2252, vier Jahre vor jenem Tag im Mai 2256, an dem eine schicksalsträchtige Begegnung zwischen der U.S.S. Shenzhou und Anhängern von T’Kuvma einen Krieg mit dem Klingonischen Reich entfacht. (STAR TREK – DISCOVERY»Das Urteil«).

Nichts macht uns wanken, als uns’rer Feigheit Schmach.

– William ShakespeareCymbeline, 5. Akt, 2. Szene

1

In der Dunkelheit wartete unsichtbar und unhörbar die Gefahr auf Saru.

Er duckte sich ganz tief und zog seine langen Arme und Beine eng an seinen dünnen Körper. Sein Kopf war gesenkt, seine Augen geschlossen und er erweiterte seine Sinne in den Raum hinaus, um die Bedrohung aufzuspüren.

Kelpianer verfügten nicht über Ohrläppchen, aber seine Gehörgänge und die Vertiefungen in seiner Kopfhaut führten auch das kleinste Geräusch seiner Wahrnehmung zu. Elektrosensitive Nervenknoten unter seiner Gesichtshaut und auf der Oberseite seiner dünnen Finger schmeckten geradezu das ständige Hintergrundsummen des Schiffs um ihn herum. Instinktiv filterte er den dauerhaften Ansturm der Sinneseindrücke nach irgendetwas Unerwünschtem und fand … nichts.

Langsam schlug Saru die Augen auf. Sein Sehvermögen passte sich sofort dem Zwielicht des unbeleuchteten Raums an. Er entfaltete sich zu voller Größe und stand mit dem Rücken zur Zimmerecke auf, sodass er die einzige Tür, die hinein- oder herausführte, im Blick hatte. Schemen drangen in sein Sichtfeld ein: sein Bett, ein Schreibtisch mit einem Computer, ein Tisch, auf dem ein abgegriffenes, geschnitztes Holzkästchen stand, ein dreidimensionales Schachspiel und eine Datentafel. Diese Gegenstände waren harmlos, es ging keine Bedrohung von ihnen aus. Oder wenigstens sollte er das denken.

Er stand ganze zwei Minuten da, ohne auszuatmen. Für einen flüchtigen Betrachter hätte er vollkommen reglos gewirkt, eine merkwürdige Statue im Stillleben der Kabine.

Dann setzte er sich schnell, aber besonnen in Bewegung. Von der Ecke des Zimmers bis zur Tür waren es genau fünf Hufschritte und Saru wäre in der Lage, diese Entfernung innerhalb eines Lidschlags zu überwinden, wenn er wollte. Doch heute waren seine Schritte gemessen und vorsichtig. Es war die Geschwindigkeit von jemandem, der passiv und harmlos war und der das Gleichgewicht dessen, was immer in den Schatten lauerte, nicht stören wollte.

Bei seinem dritten Schritt bemerkte er zwei identische Tassen, die auf dem Serviertablett seines Nahrungsverteilers standen.

Es war unnötig, dass dort zwei Tassen standen. Außer Saru wohnte niemand in diesem Quartier. Er war Lieutenant der Sternenflotte. Dieser Rang war hoch genug und die U.S.S. Shenzhou groß genug, um ihm den Vorzug von Privatsphäre in seiner Unterkunft zu gewähren. Und er war zu penibel, um unnötigerweise ein zweites Trinkgefäß zu produzieren, wenn bereits eins vorhanden war. Die Form der Metalltasse erzitterte mit einem öligen Schimmern. Er wurde instinktiv von der Bewegung, die eigentlich nicht da sein sollte, angezogen und wandte sich der Tasse zu.

Die Tasse veränderte sich. Die zylindrische Form verwandelte sich in etwas, das irgendwo zwischen Gel und Pulver angesiedelt war, und fiel zu einer Pfütze zusammen. Dann nahm sie eine stachlige Form an, die wie eine Gruppe krabbelnder, krebsartiger Beine wirkte, ein Klumpen glänzender Extremitäten, denen ein zentraler Verbindungspunkt fehlte. Die Kreatur setzte sich explosionsartig in Bewegung. Ihre schleimigen Sensorfühler spürten die Veränderung in der Luftdichte, als Saru an ihr vorbeiging.

Die Spitzen ihrer Beine verdichteten sich, bis sie beinahe so hart waren wie Stahl. Sobald die Kreatur ihr Opfer gefunden hatte, suchte sie nach dem weichsten Gewebe und durchbohrte dieses mit ihren Beinen. Nachdem die Haut durchstochen war, würde sie fressen.

Dieser Vorgang lief in drei Phasen ab: Ein Nervengift wurde ausgestoßen, das die anvisierte Lebensform lähmte. Dann wurde das gesamte Nervengewebe verflüssigt, was ebenso qualvoll wie grausam war. Schließlich wurden die inneren Organe ausgesaugt und verzehrt. Bei Eintritt der dritten Phase war das Opfer zum Glück bereits tot. Wenn die Mahlzeit ausreichend sättigend war, würde der vollgefressene Angreifer in einen Keimzyklus verfallen und sich vermehren. Eine gut genährte Kreatur konnte viele Male laichen, vorausgesetzt, sie erhielt ausreichend Nahrung. Sarus groß gewachsener Körper würde ein Dutzend Generationen mehr als ausreichend versorgen.

Er erstarrte, als die Kreatur auf seiner Schulter landete. Der Beinhaufen hielt inne, die Nadelspitzen zögerten. Er bewegte sich um seinen Halsansatz herum, über seinen Hinterkopf und dann an seinem Arm hinunter. Die Fühler zuckten durch die Luft. Das Verhalten der Kreatur ließ darauf schließen, dass sie verwirrt war. Die Bewegung, die sie gespürt hatte, hatte aufgehört. Ihr primitives, beuteorientiertes Gehirn konnte nicht begreifen, wie ein Beuteding von einer solchen Masse sich in einem Moment bewegen konnte und im nächsten nicht mehr. Sie war daran gewöhnt, dass das Ziel um sich schlug und in Panik verfiel. Das war ihre Bestätigung dafür, dass sie ihre nächste Mahlzeit gefunden hatte.

Saru rührte sich nicht, während das Ding sich an seiner dunkelblauen Uniform entlang nach unten bewegte und an dem Stoff zupfte. Bald verlor es das Interesse, ließ sich fallen und klapperte aufs Deck. Er beobachtete, wie die Kreatur über den Boden davonlief, bevor sie sich schließlich wieder neu konfigurierte. Der kleine Polymorph verwandelte sich zurück in die letzte Form, die er angenommen hatte, und wurde wieder zu einer passablen Kopie einer Tasse. Diese stand auf dem Boden vor der Tür und wirkte merkwürdig deplatziert.

Saru atmete tief durch und schoss nach vorn. Mit seinem Huf, der in einem schweren Stiefel steckte, stampfte er auf die Kreatur, bevor diese sich verwandeln konnte. Sie glitzerte, während sie starb – allerdings nicht aufgrund organischer Gegebenheiten, sondern weil holografische Pixel aufflackerten und dann verblassten.

»Simulation abgeschlossen«, verkündete eine Frauenstimme von einer Computerkonsole an der gegenüberliegenden Zimmerwand. »Wünschen Sie einen Neustart?«

»Was war das?«, fragte Saru ins Leere, erfrischt durch den Adrenalinstoß, der durch seinen Körper prickelte.

»Die Holo-Projektion war ein ausgewachsenes Exemplar der Spezies Salazinus metamorphii, im Volksmund Salazars Täuschung genannt. Es handelt sich um eine mimetische Lebensform der Gefahrenstufe zwei, die auf einem Y-Klasse-Planeten im Lembatta-Cluster beheimatet ist. Wünschen Sie einen Neustart?«

Erneut ignorierte er die Frage und stellte stattdessen selbst Fragen. »Das fühlte sich für mich langsam an. War ich langsam? Hätte sie mich in der Wirklichkeit getötet?«

»Negativ. Ihre Reaktionszeit war ausreichend, um einen tödlichen Verlauf zu umgehen. Dennoch waren Sie eins Komma drei Millisekunden langsamer als bei Ihrer letzten aufgezeichneten Einheit.«

»Ah. Ja, natürlich.« Saru warf einen Blick zu dem Holo-Projektormodul, das er an der Decke seines Quartiers montiert hatte. Beim letzten Mal hatte das Simulationsprogramm zufällig einen denebianischen Schleimteufel generiert, der im Schlitz der Müllentsorgung gelauert hatte. Dem Ding wäre fast ein Biss gelungen, der ihn – wenn es echt gewesen wäre – zwei Finger auf Höhe des zweiten Fingerknöchels gekostet hätte. »Grund?«, verlangte er zu wissen.

»Autorisierung erforderlich, um auf die medizinischen Scans zuzugreifen, damit eine Vermutung angestellt werden kann«, antwortete der Computer.

»Ja, ja«, sagte er knapp und gestikulierte. »Autorisierung Kappa Saru sieben.«

»Anfrage wird bearbeitet.«

Er warf einen Blick aus dem Bullauge der Kabine und sah ein unbewegliches Feld aus fremden Sternen, die von der unermesslichen Weite der Nacht eingerahmt waren. Auf der Steuerbordseite des Bugs der Shenzhou erfasste Sarus scharfer Blick eine graue Metallplatte mit glatten Seiten, deren Oberfläche durch tiefe Kerben verunziert war. Er betrachtete sie und wandte sich dann ab.

Eigentlich hätte Saru schon längst unterwegs zu seinem Posten sein müssen, aber das hier war etwas, das er nicht verschieben wollte. Er fühlte sich schon seit einigen Tagen langsam und unbehaglich, und wenn ihn irgendetwas verlangsamte, dann wollte er es jetzt wissen, bevor jemand anderes es bemerkte.

»Analyse abgeschlossen«, verkündete der Computer. »Blutzuckerwerte liegen unterhalb der empfohlenen Werte.«

Saru stieß den Atem aus. »Ah.« Zwei Mal in den letzten drei Tagen hatte er eine Mahlzeit in der Messe ausgelassen und die Lücke mit einem Rationsriegel überbrückt. Das, in Kombination mit dem Stress seines aktuellen Einsatzes, erklärte es. »Ich kann es mir nicht leisten, langsam zu sein«, sagte er vor sich hin. »Die Langsamen und Schwachen sind so gut wie tot.«

»Befehl bitte wiederholen.«

»Programm anhalten!«, fauchte Saru gereizt und fügte dann hinzu: »Vorläufig.«

Sinn und Zweck der Hologramm-Raubtiere und der Zufallssoftware, die diese generierte, war es, seine Sinne zu schärfen, erinnerte er sich selbst. Wenn er auf die primitiven Reiz-Reaktionen zurückgreifen müsste, die seine Mannschaftskameraden für selbstverständlich hielten, würde Saru »die Wände hochgehen«, wie Ensign Januzzi es einmal treffend beschrieben hatte. Die Simulation half Saru dabei, fokussiert zu bleiben und – was noch wichtiger war – sie erinnerte ihn ständig an seinen obersten Grundsatz: Das Universum war ein von Grund auf gefährlicher Ort, der alle auf der Stelle tötete, die unachtsam oder unvorbereitet waren.

Er wischte einen Fussel von den silbernen Streifen an den Seiten seiner Uniform, richtete sich auf, nahm die Datentafel vom Tisch und ging schnell hinaus in den Flur …

… und trat direkt in den Weg von Chief Petty Officer Zuzub. Der kaferianische Sicherheitsoffizier machte mit seinen breiten Kiefern ein klickendes Geräusch, trat zur Seite und hob entschuldigend die Arme. »Pardon, pardon, Lieutenant«, murmelte der auf der Schulter des Insektoiden angebrachte Vocoder. »Die Brücke führt eine Übung durch, Sir, ich muss mich beeilen.«

»Hmm«, brachte Saru hervor und schob das Entsetzen beiseite, das sofort in ihm aufgeflackert war, als er einen riesigen räuberischen Arthropoden im Flur vor sich aufragen sah. »W… weitermachen.«

Zuzubs großer Kopf hüpfte auf und ab und er machte sich wieder auf den Weg. Der Kaferianer war prinzipiell freundlicher Natur, aber seine Spezies hatte etwas Angsteinflößendes, das ihre sanftere Art Lügen strafte. Saru ging in die entgegengesetzte Richtung und dachte darüber nach. Er hatte viele empfindungsfähige Wesen kennengelernt, seit er sich der Sternenflotte angeschlossen hatte, und verschiedene fremde Welten besucht. Vom Kopf her verstand er, dass die äußere Erscheinung der meisten Wesen in keinem Zusammenhang mit ihren inneren Werten stand. Doch es war schwer, die ein Leben lang erlernten, tief sitzenden instinktiven Reaktionen sowie seine Physiologie zu ignorieren. Alles war nur darauf ausgelegt, beim kleinsten Anlass Fluchtreflexe auszulösen.

Saru ging weiter und beschloss, sich erst später im Sekundärsystemlabor auf Deck drei zu melden und sich zunächst einem niederen Bedürfnis zu widmen: einem vernünftigen Frühstück. Er konnte die Zeit dazu nutzen, sich noch einmal seine Notizen auf der Datentafel anzusehen und sich auf sein Tagwerk vorzubereiten. Er lief den Flur mit federnden, langen Schritten entlang und nickte im Vorbeigehen zwei menschlichen Ensigns der Astrogeologieabteilung zu.

Menschen wirkten immer so entspannt auf Saru, geradezu gefährlich entspannt. Er fragte sich, ob es ihnen auch so ging wie ihm und sie spürten, wie ihre primitiven Naturen an ihren hoch entwickelten Persönlichkeiten zerrten. Ihren offenen, glatten Gesichtern fehlten emotionsvermittelnde Riefen und die leere Gleichmäßigkeit ihrer spürbaren Auren machte es Saru schwer, die subtileren emotionellen Zustände ihrer Spezies zu erfassen. Er musste sie erst sorgfältig beobachten, um sie dann einzuschätzen, was für ihn sehr ermüdend sein konnte. Nicht zum ersten Mal fragte er sich, wie es wohl wäre, durchs Leben zu gehen, ohne das geisterhafte Summen der elektromagnetischen Energie zu hören, die jeder um ihn herum abstrahlte. Es wäre nicht anders, als ohne Geschmacks- oder Geruchssinn zu leben.

Für Saru schnurrte die Shenzhou vor sich hin, während die Systeme des Raumschiffs synchron arbeiteten. Der Antrieb war vorläufig auf Stand-by, da das Schiff sich mit der Station bewegte. Würden sie sich mit Impulskraft bewegen, hätte er das in dem Moment gewusst, als er seine Kabine verließ. Es gab eine unverwechselbare Schwingung des elektromagnetischen Felds, das er irgendwo am Oberkopf spürte, wenn sie sich mit Unterlichtgeschwindigkeit fortbewegten. Die Ausstöße bei Warpgeschwindigkeit riefen eine schärfere Färbung hervor, die sich an seinem Halsansatz sammelte. Nach Jahren in der Sternenflotte hatte der Kelpianer sich an diese Effekte gewöhnt, doch es gab immer noch Zeiten – üblicherweise dann, wenn er müde war –, wenn sie es ihm schwermachten, sich zu konzentrieren. Der Captain hatte Saru großzügigerweise erlaubt, die Wände seiner Kabine mit Schalldämpfungsplatten auszukleiden, um seinen Schlaf zu fördern. Dafür würde er ihr ewig dankbar sein.

Er spürte, dass sich ein weiterer Mensch näherte, noch bevor der Chefingenieur der Shenzhou in Gedanken versunken um eine Ecke des Flurs bog und zügig an ihm vorbeiging. Lieutenant Commander Saladin Johar machte noch ein paar Schritte und wirbelte dann schnell auf dem Absatz herum, um zu Saru hochzustarren. »Wissenschaftsoffizier«, setzte er an, als wollte er eine Frage formulieren.

»Ja, Sir?« Saru kam schwankend zum Stehen und balancierte auf seinen Hufspitzen.

»Ich bin unterwegs hinunter zur Brücke. Vielleicht können Sie mir die Fahrt im Turbolift ersparen.« Die meisten Menschen waren kleiner als der schlaksige Kelpianer und Saru hatte festgestellt, dass viele von ihnen unwillkürlich eine Verteidigungshaltung einnahmen, wenn sie gezwungen waren, zu jemandem hochzusehen – so, wie Johar es jetzt tat. Er widerstand dem Drang, sich vorzubeugen, während der Chefingenieur weitersprach. »Mein Team ist bereit, die Ersatzboje auszusetzen, sobald Sie uns grünes Licht geben. Ich habe mich gefragt, warum Sie uns warten lassen.«

»Es gibt Fragen, die erst noch beantwortet werden müssen«, erwiderte Saru und verschränkte seine Hände um die Datentafel herum. »Lieutenant Burnham und ich sind dabei, die beschädigte Einheit gründlich zu untersuchen … Es wäre unklug, sie auszutauschen, wenn wir nicht sicher sind, was die Fehlfunktion der vorherigen Boje verursacht hat.«

»Das haben Sie mir schon in der letzten Einsatzbesprechung gesagt. Vor zwanzig Stunden.« Johar musterte ihn. Er runzelte die gebräunte Stirn. Der Ingenieur hatte die letzte Woche Doppelschichten absolviert und war für Lieutenant Commander Itzel Garcia eingesprungen, während sich der zweite Offizier auf Pacifica aufhielt, das hieß aber nicht, dass ihm etwas entging.

Saru experimentierte mit einem Schulterzucken. »Meine Erklärung bleibt dieselbe, Sir. Der Schaden war umfangreich. Der Grund dafür ist unklar. Wir brauchen eine Weile, um das zu analysieren.« Er fügte nicht hinzu, dass seine Meinungsverschiedenheiten mit Michael Burnham darüber, wie genau man diese Analyse durchführen sollte, den Prozess merklich erschwert hatten.

Zu sagen, dass Saru und die Menschenfrau nicht einer Meinung waren, wäre eine Untertreibung gewesen. Burnhams Hang, sich zu sehr auf bestimmte Einzelheiten zu konzentrieren, kollidierte ständig mit Sarus angeborenem Drang, etwas vereinfachte Problemlösungen anzustreben. Saru vermutete, dass ihre Veranlagung von ihrer vulkanischen Erziehung herrührte. Er selbst war jemand, der strikt nach Vorschrift analysierte, doch ihre ablehnende Haltung anderen Herangehensweisen gegenüber war gelegentlich schlichtweg erdrückend.

Johars Gesichtsausdruck änderte sich nicht. Der Chefingenieur war mit der Antwort unzufrieden. »Beschleunigen Sie die Sache, Lieutenant«, sagte er und ging davon. »Bevor sich noch Spinnweben an den Warpgondeln bilden.«

Saru nickte, obwohl er die Redensart nicht ganz verstand. Dann ging er weiter in Richtung Messe. Unterwegs drängte sich das gegenwärtige Problem in den Vordergrund seiner Gedanken.

Die entlegene Überwachungsboje, die die Shenzhou vor zwei Tagen entdeckt hatte, gehörte zu einem weit verbreiteten Netzwerk aus eigenständigen, selbst versorgenden Geräten, die in diesem Abschnitt des Weltraums vom Sternenflottenkommando platziert worden waren. Dutzende identischer Einheiten – zylindrische Module von der Größe eines Photonentorpedos – schwebten hier draußen an der äußeren Grenze der Vereinigten Föderation der Planeten. Jede enthielt einen kompakten Kernreaktor, einen Ionenantrieb, einen Satz hochempfindlicher Sensoren und ein Subraumfunkgerät mit hoher Reichweite, das an ein spezielles Computersystem angeschlossen war. Sie waren die schweigenden Wächter der Sternenflotte, stets wachsam und bereit, Alarm auszulösen, sollte eine Bedrohung auftauchen.

Und sie waren hier aus gutem Grund stationiert. In einigen Lichtjahren Entfernung befanden sich die Grenzen anderer interstellarer Mächte, wie die schrecklich schwammigen Ränder der Tholianischen Versammlung. Saru rief sich ins Gedächtnis, was er während seiner Zeit an der Akademie der Sternenflotte über diese streitsüchtige, kristalline Spezies gelernt hatte. Sie hatten eine unberechenbare, kriegerische Art, legten Wert auf Pünktlichkeit und neigten zu feindseligen Handlungen. Der Kelpianer hatte noch nie eins ihrer pfeilförmigen »Netzspinner«-Schiffe gesehen, außer auf verschwommenen Bildern von Datenbändern, und er hatte auch nicht das Verlangen danach. Jeder an Bord der Shenzhou wusste, dass die Tholianer irgendwo da draußen waren und jede Bewegung der Sternenflottenschiffe vom äußersten Rand ihrer Sensorreichweite aus beobachteten. Saru stellte sie sich wie die Ba’ul vor, die gefährlichen Raubtiere seiner Heimatwelt, die auf der Lauer lagen, bis sie gegen ihre Beute losschlugen.

Die logische Annahme – zumindest in Sarus Augen – war, dass die Überwachungsboje ein Opfer tholianischer Aggression geworden war. Doch sollte sich das als wahr erweisen, würde es eine Fülle neuer Probleme für die Shenzhou und die Sternenflotte auf den Plan rufen. Burnham hatte bei Sarus Argumentation eine Augenbraue hochgezogen und angemerkt, dass die Nähe zur Versammlung nicht automatisch die Tholianer zu den Übeltätern machte. Zu Recht wies sie darauf hin, dass sich noch weitere intelligente Spezies im bündnisfreien Raum zwischen den beiden größeren Territorien befanden. Außerdem waren stellare Phänomene und andere Ursachen für die erlittenen Schäden der Einheit denkbar. Saru wusste, dass sie recht hatte, aber der Kelpianer war nur wegen des unfehlbaren Sinns seiner Spezies für Gefahren so alt geworden – und in diesem Moment sagte diese pragmatische Ader ihm, er solle sich auf das Schlimmste vorbereiten.

Der Junior-Wissenschaftsoffizier überlegte sich, wie er das Burnham erklären würde, als er durch die Tür ging und die Messe betrat. Dort saß die dunkelhäutige Frau an einem Tisch.

Sie war jung und markant. Burnhams Blick war forschend und Saru hatte immer das Gefühl, als wäre sie kurz davor, etwas zu tun, auch wenn ihre gemäßigte Art sie davon abhielt. Sie zögerte, ließ ihren Löffel in der Schüssel vor sich liegen und entdeckte die Datentafel in seiner Hand. Burnham nickte in Richtung ihres eigenen Geräts, das auf dem Tisch lag. Es zeigte genau wie Sarus dicht gedrängte Textblöcke von der vorläufigen Untersuchung der Boje aus nächster Nähe.

»Lieutenant. Wie es scheint hatten wir beide heute Morgen dieselbe Idee.«

»Lieutenant«, wiederholte er. »Es hat ganz den Anschein.« Er wusste, was ihn nun erwartete, holte sich aus dem Nahrungsreplikator etwas Müsli und Joghurt gewürzt mit einer großzügigen Menge aldebaranischer Paprika und setzte sich dann Burnham gegenüber an den Tisch.

Sie ließ ihm nicht einmal genug Zeit, seine Mahlzeit zu beginnen. »Ich habe die Sensoranzeigen noch einmal überprüft. Der nächste logische Schritt wäre, die beschädigte Einheit im Labor auseinanderzunehmen. Analysen aus der Ferne geben uns einfach nicht die Antworten, die wir brauchen.«

Saru kaute verbissen an einem großen Mundvoll, bevor er antwortete: »Captain Georgious Befehle waren deutlich. Gehen Sie vorsichtig vor! Wenn wir die Boje an Bord holen, bevor wir sicher sein können, dass sie keine Bedrohung für das Schiff darstellt, vernachlässigen wir unsere Pflichten …«

»Sie ist inaktiv!«, beharrte Burnham. »Da bin ich mir sicher.«

»Ich weiß, dass Sie sich da sicher sind«, konterte er.

»Es gibt einen Punkt, ab dem man ein gewisses Risiko akzeptieren muss«, sprach sie weiter. »Dieses Schiff wäre nicht hier draußen, wenn das nicht stimmte. Es würde die Sternenflotte nicht geben. Sie würden immer noch auf Kaminar leben.«

»Sie könnte mit einer Sprengfalle versehen sein«, sagte Saru und schnitt ihren Gedankengang ab. »Die Tholianer sind dafür bekannt, solche Strategien anzuwenden.«

»Es gibt keinen Beweis dafür, dass sie dahinterstecken.« Der Hauch eines Lächelns umspielte ihre Lippen. »Aber … das ist ein guter Einwand. Also schön. Wenn Sie nicht wollen, dass wir sie uns holen, dann gehen wir eben zu ihr.«

»Wie bitte?« Saru blinzelte.

»Sie und ich gehen in Raketenanzügen nach draußen. Bei der Arbeit, die wir verrichten müssen, würde ich schätzen, dass die Außenmission nicht länger als … sagen wir zehn oder zwölf Stunden dauern wird.«

Sarus Haut prickelte. Der Gedanke, im All herumzu-schweben und nur ein paar Schichten elastisches Netzgewebe und einen Helm zwischen sich und einem sofortigen Erstickungstod zu wissen, gefiel dem Kelpianer überhaupt nicht. »Es ist schon eine Weile her, seit ich den letzten Auffrischungskurs für Schwerelosigkeit absolviert habe«, gab er zu.

»Wirklich?« Burnham zog ihre Augenbraue in sehr vulkanischer Manier hoch. »Vielleicht möchten Sie dann meinen vorherigen Vorschlag noch einmal in Betracht ziehen?!«

Ihr Tonfall machte ihn wütend und die Gereiztheit war ihm an den Augen abzulesen. Seine Kinnlade fiel instinktiv ein Stück herunter. Die unwillkürliche Reaktion entblößte die empfindliche Oberfläche seines Gaumens. Auf Kaminar würde das seiner Spezies erlauben, die Luft zu schmecken und Spuren des Raubtiers aufzufangen, aber hier und jetzt war es ein Anzeichen für seinen Ärger über Burnhams Versuch, die Befehlsgewalt über die gemeinsame Aufgabe an sich zu reißen.

Es wäre ein Leichtes gewesen, sich einfach seiner absoluten Abneigung dieser Frau gegenüber hinzugeben – wäre da nicht die Tatsache gewesen, dass sie gut in dem war, was sie tat. Saru konnte nicht bestreiten, dass sie über einen scharfen Verstand verfügte, und das machte die Sache nur noch schlimmer. Es war kein Geheimnis an Bord der Shenzhou, dass Lieutenant Michael Burnham ein aufstrebender Stern war, dessen Aufstieg durch die Ränge geradezu kometenhaft gewesen war. Saru hatte gehört, wie andere Offiziere darüber sprachen, dass sie die wahrscheinlichste Kandidatin für den Posten des Ersten Offiziers dieses Schiffs war – in ein paar Jahren, wenn die Zeit für den amtierenden Ersten Offizier, Commander ch’Theloh, gekommen war, sein eigenes Schiff zu übernehmen. Das gefiel dem Kelpianer überhaupt nicht.

Sarus Karrierekurve war weitaus flacher verlaufen und hatte einen langsamen, aber gleichmäßigen Weg genommen, den er sich durch harte Arbeit und sorgfältige Abwägungen geebnet hatte. Er war Wissenschaftler, das war sein erster und wahrhaftigster Antrieb, aber die Rolle des XO und der Weg, der zum Kommando eines Raumschiffs führte, zogen Saru an wie nichts zuvor in seinem Leben. Er glaubte nicht an so etwas wie Schicksal, aber nachdem er seine Heimatwelt für die Akademie der Sternenflotte verlassen hatte, glaubte er, dass er seine wahre Berufung gefunden hatte: Captain eines Raumschiffs, das Unbekannte erforschen, die Föderation beschützen. Diese Zukunft wagte er anzustreben.

Aber Burnham würde ihm zuvorkommen. Er spürte, dass das unausweichlich war. Sie würde ihn in den Schatten stellen und an ihm vorbeistürmen – und irgendwo wusste die Menschenfrau das auch. In seinen pessimistischeren Momenten fragte Saru sich, ob Burnham ihn als Hindernis auf ihrem Weg zum Kommandosessel betrachtete. Er wurde aus ihr nicht schlau und alles, woraus Saru nicht schlau wurde, sah er automatisch als Gefahr an.

Bevor er sich zusammenreißen konnte, nahm er das Muster der streitbaren Diskussion wieder auf, das jede Unterhaltung zwischen den beiden Lieutenants zu bestimmen schien.

»Alleine die Einheit an Bord zu beamen, könnte eine versteckte Waffe auslösen«, sagte er schnell. »Ein schützendes Energiefeld müsste im Labor errichtet werden, um eine mögliche Entladung …«

Burnham tippte auf ihre Datentafel. »Ich habe ein Makro für ein passendes Eindämmungsfeld bereits heute Morgen programmiert.«

»Natürlich haben Sie das«, murmelte er. »Ich finde es schwer nachvollziehbar, warum jemand, der mit den vulkanischen Lehren aufgewachsen ist, nicht begreift, dass es logisch ist, vorsichtig zu sein.«

Sie zog die Augenbrauen zusammen. »Genau wie ich es nicht nachvollziehen kann, dass jemand, der unter tödlichen Raubtieren aufgewachsen ist, nicht zwischen echter und eingebildeter Gefahr unterscheiden kann. Man kann durch Beobachtungen aus der Ferne nur sehr begrenzt etwas erreichen, Saru.«

Er wich zurück und bedachte sie mit einem tadelnden Blick. »Ich erinnere mich an eine menschliche Redensart: Blinder Eifer schadet nur …«

Burnham kräuselte die Lippen. »Wir beschäftigen uns jetzt seit Tagen damit. Hier ist alles im Spiel, aber kein blinder Eifer.« Sie stießt einen Atemzug aus. »Und aus diesem Grund habe ich schon vor dem Frühstück entschieden, den Transport vorzunehmen.«

»Wie bitte?« Saru sprang auf die Füße und machte einen Schritt auf die Aussichtsfenster zu, die sich über die ganze Breite der Wand in der Messe erstreckten. Sofort sah er zum Bug, wo er die Boje von seiner Kabine aus noch hatte schweben sehen. Das Objekt war nicht länger sichtbar.

Burnham stand auf und kam zu ihm. »Wir sind alle noch hier. Also schätze ich, dass die Boje doch nicht mit einer Sprengfalle versehen war.«

»Sie hatten kein Recht, das ohne mich durchzuführen!«, presste Saru wütend hervor und starrte hinaus zu den Sternen. »Wir mögen denselben Rang bekleiden, aber ich bin der Dienstältere!«

Sie stand neben ihm und betrachtete die Leere. »Darum geht es hier nicht. Ich versuche nicht, Sie zu untergraben, ich versuche, unsere Aufgabe zu erledigen.«

»Indem Sie Vorschriften missachten?«

»Indem ich sie auslege«, schoss Burnham zurück. »Bestmöglich.«

»Was sollte dann die Bemerkung mit den Raumanzügen?«

Sie zuckte mit den Schultern. »Ich war gespannt, was Sie dazu sagen.«

Saru drehte sich zu ihr um, hob einen Finger und wurde sich erst zu spät bewusst, dass jemand hinter ihnen stand. »Ihre Aufgabe ist es, die Boje zu analysieren, nicht meine Reaktion auf …« Er brach ab, als ihm klar wurde, dass der Neuankömmling der kommandierende Offizier der Shenzhou, Captain Philippa Georgiou, war. Burnham reagierte ebenfalls überrascht auf das Auftauchen der anderen Frau.

Der Captain hatte das unfehlbare Talent, aus dem Nichts aufzutauchen, sodass selbst Sarus scharfe Sinne sie manchmal nicht bemerkten. Außerdem besaß sie die scheinbar endlose Geduld eines Mentors für die Eigenarten ihrer Mannschaft. Ein trockenes Lächeln umspielte Georgious Mund, bevor sie an einem Becher mit Tee nippte. »Oh, Mister Saru«, begann sie, »Sie müssen nicht meinetwegen aufhören. Es ist faszinierend, zwei meiner Offiziere dabei zu beobachten, wie sie in ihrer natürlichen Umgebung zanken.«

»Es ist kein …« Saru erstarrte vor Verlegenheit. »Wir haben nicht …«

Man musste Burnham zugutehalten, dass sie die Ehrlichkeit besaß, so zerknirscht auszusehen, wie Saru sich fühlte. »Wir haben uns nicht gezankt, Captain. Es war mehr eine … angeregte …«

»Angeregte Unterhaltung«, fügte Saru hinzu. »Über zwei unterschiedliche …«

»Wissenschaftliche Methoden«, beendete Burnham die zusammengewürfelte Erklärung der beiden.

»War es das?«, fragte Georgiou milde. Bei diesen Worten fühlte Saru sich kurz wie ein ungezogenes Kind, das von seinen Eltern zur Ordnung gerufen wurde. Burnham stand genauso starr neben ihm. »Ich unterstütze durchaus unterschiedliche Denkweisen an Bord meines Schiffs, aber die Grenze ist bei regelrechten Auseinandersetzungen überschritten.« Der Captain nippte noch einmal an dem Tee und beäugte beide. »Sie sind zwei meiner besten Offiziere. Ihre Fähigkeiten sollten sich ergänzen und keine Reibungen erzeugen.« Ein anderer Befehlshaber hätte diese Worte tadelnd klingen lassen, aber nicht Philippa Georgiou. Sie ließ sie wie eine Herausforderung klingen, wie eine Aufforderung. Ihr Lächeln wurde breiter. »Nun. Nicht allzu sehr jedenfalls.«

»Lieutenant Saru und ich werden bis zum Ende der Schicht einen aktuellen Bericht bereitstellen«, sagte Burnham. »Ich werde den Chefingenieur davon in Kenntnis setzen, dass er die Ersatzboje aussetzen kann.« Sie warf Saru einen fragenden Blick zu, der besagte: Einverstanden?

»Selbstverständlich.« Saru wollte noch mehr hinzufügen, aber dann erregte ein Aufflackern am Rande seines Sichtfelds die Aufmerksamkeit des Kelpianers und er sah wieder zu den Fenstern der Messe. Ganz kurz blitzte draußen in der Finsternis ein stecknadelkopfgroßes, grellweißes Licht auf und verblasste dann wieder.

»Saru, was ist los?« Burnham sah in dieselbe Richtung und legte die Stirn in Sorgenfalten.

»Haben Sie das gesehen?« Es war möglich, dass Burnham und der Captain es nicht gesehen hatten, da der menschliche optische Erfassungsbereich nicht so ausgeprägt war wie der des Kelpianers, der bis ins Ultraviolette reichte. »Ein Lichtblitz, wie eine weit entfernte Supernova …« Saru zögerte. Hatte er sich geirrt?

Während er noch grübelte, ertönte der schrille Klang einer Bootsmannspfeife, als sich das Interkom der Shenzhou einschaltete. Die strenge, kompromisslose Stimme des Ersten Offiziers war zu hören. »Captain und Wissenschaftsoffiziere bitte sofort auf der Brücke melden.«

Es lief Saru eiskalt den Rücken hinunter und er starrte hinaus in die Richtung des Aufblitzens. Die Neugier, die er ganz kurz gespürt hatte, verwandelte sich in Angst.

Burnham folgte ihrem Captain auf die Brücke der Shenzhou. Saru trabte einen Schritt hinter ihnen her. In der Mitte des Kommandozentrums drehte sich der Sessel des Captains herum. Commander ch’Theloh stand geschmeidig daraus auf und nahm Haltung an. »Captain auf der Brücke!«, verkündete er knapp und die Antennen des Andorianers krümmten sich.

Ch’Theloh hatte ein offenes Gesicht, das im Widerspruch zu seiner steifen Art stand. Sein Festhalten am militärischen Protokoll erschien Burnham manchmal übertrieben zeremoniell, aber die nahezu chirurgisch-präzise Effizienz des Ersten Offiziers stand außer Frage – ebenso wie seine Fähigkeit, die Brückenbesatzung in Krisenzeiten zu dirigieren. Burnham warf einen Blick zu den anderen Stationen und sah, dass jeder diensthabende Offizier schwer beschäftigt war. Sie ging zur Wissenschaftskonsole. Saru folgte ihr immer noch. Dann warf sie Ensign Troke an der zweiten Scankonsole einen Blick zu. Der blassblaue Tulianer sah sie skeptisch an. Dabei tippte er gegen das drahtlose Datenimplantat an seinem Hals. Irgendetwas stimmt nicht.

Captain Georgiou nahm auf ihrem Sessel Platz, wandte sich dem Hauptbildschirm zu und studierte das Bild, das auf die innere Oberfläche der Aussichtskuppel projiziert wurde, die das unterste Deck der Shenzhou bildete. Ch’Theloh hatte bereits eine taktische Berechnung über die Sternenlandschaft gelegt. Die wenigen Sonnen und Staubwolken, die in der näheren Umgebung verstreut waren, wurden leuchtend blau und grün hervorgehoben. »Bericht!«, befahl der Captain.

Wie immer verschwendete der Erste Offizier keine Zeit mit Vorreden. »Ungewöhnliche Energieentladung in extremer Entfernung. Subraumfrequenzen, auf diese Distanz diffus, aber stark genug, um unsere Sensoren auszulösen.«

Während ch’Theloh sprach, rief Burnham das Muster des Energieeffekts auf, das Troke in die Konsole eingespeist hatte, und begutachtete es eingehend. Saru spähte über ihre Schulter, um der Analyse zu folgen. »Phasenwellenimpuls«, vermutete er und legte das, was man bei ihm als Stirn bezeichnen konnte, in Falten. »Künstlich?«

Sie nickte und zeigte auf die glatten Spitzen und Tiefen des Wellenmusters. »Genau. Die hohe Gleichmäßigkeit macht das wahrscheinlich. Ein natürliches Phänomen wäre unregelmäßiger.«

»Ingenieur Johar rief uns fast in demselben Moment an, als es auftrat«, fuhr der Erste Offizier fort. »Er sagte, die Entladung würde auf seiner Anzeige im Maschinenraum angezeigt.«

»Aus dieser Entfernung?« Georgiou wirbelte herum, um einen Blick in Burnhams und Sarus Richtung zu werfen. »Lieutenants, wie sehen Sie das?«

Burnham neigte ihren Kopf und ließ Saru den Vortritt. Er räusperte sich. »Der Lichtblitz, den ich von der Messe aus gesehen habe, scheint die sichtbare Komponente eines Energieschocks im Subraum zu sein. Ich glaube, wir haben einen örtlich begrenzten, hoch intensiven Quanteneffekt vor uns, der aus einer künstlichen Quelle stammt.«

»Es handelt sich um einen Nadionimpuls«, fügte Burnham hinzu.

»Captain, Nadionpartikel werden von Energiewaffen erzeugt«, meldete sich Kamran Gant, der ranghöchste taktische Offizier der Shenzhou, zu Wort. »Die Romulaner verwenden diese Technologie.«

»Zur Kenntnis genommen. Aber wir sind weit vom Sternenimperium entfernt«, sagte Georgiou und erstickte derartige Spekulationen im Keim. »Was könnte sonst noch dafür verantwortlich sein?«

»Eine polarische Ionenenergiematrix«, schlug Saru vor. »Bestimmte Arten von Warpantrieben mit Kontrafeldern verwenden Zünder mit Nadioneinspritzung …«

Burnham hörte nur mit halbem Ohr zu, während sie die Konsole vor sich bediente. Sie erstellte anhand der Messungen, der Entfernung und der Partikelzerfallsrate ein virtuelles Modell, wie das Epizentrum dieses Impulses aussehen konnte. Was auf dem holografischen Bildschirm vor ihr entstand, war alarmierend. »Captain, die Quelle des Impulses war sehr stark. Die Tatsache, dass das Aufblitzen der UV-Strahlung für Saru sichtbar war, bedeutet, dass es sich um eine katastrophale Entladung gehandelt hat. Ich glaube, wir haben möglicherweise gerade die Zerstörung eines Raumschiffs miterlebt …«

»Keine Zerstörung«, berichtigte Saru. Er beugte sich vor und tippte eine Befehlsreihe auf der Konsole ein. Ein verschwommener Quadrant der Anzeige schimmerte, während er sich wieder scharf stellte. »Wäre das der Fall, würden wir ein breites Feld mit verstrahlten Wrackteilen erfassen.«

»Bestätigt!«, sagte Troke und starrte ins Leere, während sein Datenimplantat neue Messungen direkt in seinen zerebralen Kortex schickte. »Ich habe mit hoher Wahrscheinlichkeit zwei separate Objekte am Ursprungsort des Impulses entdeckt. Schiffe.«

Der Captain warf Ensign Fan an der Kommunikation einen Blick zu. »Mary, fangen Sie irgendwelche Signale von diesen Schiffen auf?«

Fan hielt einen drahtlosen Empfänger an ihr Ohr und schüttelte langsam den Kopf. »Nichts, Captain.« Ihr katzenhaftes Gesicht spannte sich vor Konzentration an. »Aber der örtliche Subraum ist so voll statischen Rauschens von dem Impuls, dass sie eine denobulanische Oper auf voller Lautstärke übertragen könnten und wir würden nichts hören.«

»Ähm, Captain?« Der junge Offizier am hinteren Ende der Brücke, wo sich die Maschinenkontrolle befand, meldete sich zu Wort. »Ich möchte hinzufügen, Nadionimpuls? Nicht gut.«

»Ganz Ihrer Meinung, Ensign Weeton«, sagte Georgiou. »Fahren Sie fort!«

»Lieutenant Saru hat recht, was die Warpmatrix-Konstruktionen angeht, die diese Technologie verwenden, aber die sind vollkommen unzuverlässig.« Weeton vollführte eine komplizierte Geste in der Luft vor sich, um eine Tatsache der Quantenphysik nur mit seinen Fingern zu beschreiben. »Eine Partikelfreisetzung von diesem Ausmaß reicht, um jedes vorbeifliegende Schiff aus dem Warp zu pusten. Und jeder, der mittendrin ist, würde sich am Rande eines Kernbruchs wiederfinden.«

Burnham beobachtete, wie sich der Ausdruck auf dem Gesicht des Captains veränderte, und sie wusste, welche Richtung Georgious Gedanken einschlugen. Commander ch’Theloh wusste es ebenfalls. Die Antennen des Andorianers bogen sich leicht nach unten und er schüttelte düster den Kopf.

»Bevor Sie es aussprechen«, warnte der Erste Offizier, »werfen Sie einen Blick auf die taktische Karte. Detmer, zoomen Sie raus!« Die Frau an der Steuerkonsole tippte auf ein Bedienfeld und die taktische Grafik schrumpfte auf einen kleineren Maßstab. Sie zeigte einen breiten Streifen des Grenzraums. »Ich muss Ihnen nicht sagen, dass wir uns hier am Rande einer Gefahrenzone befinden.« Das Epizentrum des Impulses glühte in der Mitte von zwei sich überlappenden Farbflecken. »Das Phänomen befindet sich in einem Gebiet, das sowohl von den Tholianern als auch von einem bündnisfreien Volk, den Pelianern, zur Pufferzone erklärt wurde. Egal wie man es dreht und wendet, es befindet sich außerhalb unserer Zuständigkeit.«

»Aber es befindet sich nicht außerhalb unserer Verantwortung, Nummer Eins.« Georgiou lehnte sich in ihrem Sessel zurück und ihre und Burnhams Blicke trafen sich kurz. »Lieutenant, gibt es irgendwelche Anzeichen, dass der Impuls noch einmal auftreten und die Shenzhou dadurch Schaden nehmen könnte?«

»Unbekannt«, antwortete Burnham. Sie hasste es, keine weiteren Informationen geben zu können, aber die Scans waren vage und widersprüchlich.

»Wenn wir uns nähern, wissen wir nicht, was uns erwartet«, beharrte Saru und spürte, wie Burnham sich neben ihm anspannte. Sie dachte dasselbe.

»Zur Kenntnis genommen.« Georgiou drehte sich wieder zum Hauptbildschirm um. »Ensign Detmer, berechnen Sie einen Abfangkurs. Notieren Sie im Logbuch des Schiffs, dass wir unseren Posten und den Föderationsraum verlassen.«

»Captain!«, platzte es aus Saru heraus. Seine Hand bewegte sich ruckartig zu seinem Hinterkopf, als ein Satz dünner Fühler dort aus der Haut fuhr. Burnham hatte diese Reaktion schon früher bei dem Kelpianer gesehen. Das Ausfahren seiner »Bedrohungsganglien« war eine reflexartige Reaktion von Sarus Spezies, wenn sie eine unmittelbare Gefahr spürten. »Die Tholianer! Sie werden jeden Übergriff auf ihren Raum als Invasion werten!«

»Dessen bin ich mir sehr wohl bewusst«, sagte Georgiou, »aber wir haben in der ganzen Zeit, die wir hier verbracht haben, noch keine Spur von ihnen gesehen, Mister Saru, und genau genommen gehört die Pufferzone nicht ihnen. Ich werde mich nicht davon abhalten lassen, Wesen, die sich in großer Gefahr befinden, Hilfe zukommen zu lassen, nur weil das ihren Unmut erregen könnte. Wir fliegen hin.«

»Kurs liegt an«, meldete Detmer.

»Energie!«, befahl der Captain.

Draußen vor dem Aussichtsfenster sprang das statische Sternenmuster heran und bildete verzerrte Lichtstreifen, als sich die Shenzhou durch die Barrieren der relativistischen Bewegung stürzte.

Saru gab ein leises, widerwilliges Geräusch von sich, massierte sich den Hinterkopf und zog sich unwillkürlich einen Schritt von der Wissenschaftskonsole zurück. »Ich hoffe, wir werden das nicht bereuen«, murmelte er.

Commander ch’Theloh ging hinüber zur Wissenschaftskonsole und blickte theatralisch auf die Anzeige vor Burnham. »Sie müssen die Sensoren wie ein tarkaleanischer Falke beobachten, Lieutenant. Beim ersten Anzeichen, dass dieser Impuls sich wiederholen könnte, will ich das wissen.«

»Aye, Sir!« Sie nickte. Der Andorianer wandte sich an Saru und legte eine Hand auf dessen Schulter.

Der Erste Offizier der Shenzhou war der Einzige an Bord, der annähernd an die fast zwei Meter von Saru heranreichte. Er sah den Kelpianer scharf an. »Vorsicht ist nützlich«, stellte der Commander fest, »aber man kann sich auch zu viele Sorgen machen. Vergeuden Sie Ihre Energie nicht mit Problemen, die wir noch gar nicht haben.«

»Ich verstehe, Sir«, antwortete Saru und warf Burnham einen kurzen Blick zu, »aber einige Schiffe sind in diesem Sektor im Laufe der Jahre bereits spurlos verschwunden. Erst vor ein paar Wochen ist ein Transporter der J-Klasse von der Chartergesellschaft Evans verschwunden …«

»Keine Sorge, Mister Saru«, sagte der Captain und sprach laut genug, damit die ganze Brücke sie hören konnte. »Ich habe nicht die Absicht, die Shenzhou – oder diese Schiffe da draußen – zu einem weiteren Fall in der Statistik werden zu lassen.«

Sarus Antwort war deprimiert. »Captain, leider hat meine Spezies eine genetische Veranlagung dafür, sich Sorgen zu machen.«

2

Der Warpsprung wurde von einem gleitenden Transit durch den einsteinschen Raum zu einem ruckeligen, rüttelnden Rennen gegen unsichtbare Linien räumlicher Spaltung.

Die Shenzhou war ein altes Schiff und gehörte zu den leichten Kreuzern der Walker-Klasse. Sie hatte bereits mehr beschwerliche Reisen als üblich überstanden, doch die Hülle ächzte alarmierend, als Vibrationen der strukturellen Integritätsfelder sich durch ihre vordere Untertassensektion und die Pylonen der untergebauten Warpgondeln ausbreiteten.

Die verdichteten Partikel des abschwellenden Nadionimpulses destabilisierten die Warpmatrix jedes herkömmlichen Raumschiffs so weit, dass die Blase, in der es sich mit Überlichtgeschwindigkeit bewegte, verpuffen würde, wenn es direkt durch eine hohe Konzentration von ihnen flog. Das unglückliche Schiff würde direkt in die Unterlichtgeschwindigkeit zurückfallen und ohne angemessenen Schutz würde die ungeheure Kraft der außerplanmäßigen Abbremsung es auf der Stelle vernichten. Aber die Shenzhou war ein altes Schlachtross und sie war zäh. Es würde weit mehr als das brauchen, um sie zur Strecke zu bringen.

Der Raum um das Schiff herum verdichtete sich, während es sich dem Epizentrum des Effekts näherte. Die Shenzhou beschrieb eine Dauerspirale, um die Entfernung zu überwinden. Direkten Kurs darauf zu nehmen, wäre so gewesen, als ob man durch zähen Schlamm steuerte – so surfte sie auf dem zerfallenden Nadionfeld und behielt ihren Schwung bei.

Vor dem Schiff der Sternenflotte schwebten zwei fremde Schiffe im flackernden Schimmer eisblauer Tscherenkow-Strahlung. Das erste war knapp doppelt so groß wie ein Shuttle. Sein Rumpf wirkte wie ein ausgebeultes Projektil, an dem an den Seiten zwei »Flügel« mit Solarzellen und unten eine Antriebsgondel angebracht waren. Die Solarsegel hingen schlaff herab und waren versehentlich ausgefahren worden, als das kleinere Schiff aus dem Warp gefallen war. Es trieb in Bezug zum Annäherungswinkel der Shenzhou mit der Nase nach unten und zog einen Schweif austretenden Kühlmittels hinter sich her. Eiskristalle glitzerten in der Dunkelheit.

Das zweite Schiff war riesig und fast einen Kilometer lang. Das vordere Viertel der Hülle bestand aus einem schweren Metallblock, der mit einigen beleuchteten Bullaugen gesprenkelt war. Ein Kragen aus Pylonen am rückwärtigen Ende der vorderen Sektion trug vier große Warpgondeln. An den Zwischenkühlern entlang ihrer Flanken flackerten unkontrollierte Entladungen auf. Der Rest des riesigen Schiffs bestand aus einem fischgrätenähnlichen Grundgerüst, auf dem zahllose gigantische Modulbehälter angebracht waren, die alle untereinander verbunden waren. Das erinnerte entfernt an die Bauweise der alten Warpfrachter, die einst von den Weltraumnomaden der Föderation geflogen worden waren, doch damit endeten die Ähnlichkeiten auch. Beide Schiffe hatten ziselierte dekorative Verkleidungen an ihren Aufbauten, eine ästhetische Hülle, die organische Formen knollenförmiger Pflanzen suggerierte.

Zufällig auftretende grüne Blitze krochen über die Hüllen der fremden Schiffe. Sie waren verräterische Zeichen dafür, dass die Energiekerne überschüssige Energie in dem verzweifelten Versuch abließen, eine kritische Überladung abzuwenden. Jemand mit Weltraumerfahrung musste nur einen Blick darauf werfen, um zu wissen, dass die Schiffe keine lange Lebenserwartung mehr hatten.

Sie verlangsamten auf Impulsgeschwindigkeit. Saru betrachtete die Szene durch die durchsichtigen Bereiche des Brückendecks, während Ensign Detmer die Shenzhou wendete. »Konstruktion und Konfiguration passen zu bekannten Bauweisen«, erklärte sie. »Die Schiffe gehören den Einwohnern von Peliar Zel.«

»Keine Kommunikation«, meldete sich Ensign Fan zu Wort und nahm die nächste Frage des Captains vorweg.

Georgiou hielt ihren Blick auf dasselbe Aussichtsfenster gerichtet und sprach den diensthabenden Ingenieur an. »Weeton. Diese Blitze auf den Hüllen, ist es das, wofür ich es halte?«

»Falls Sie denken, dass es sich um sublimiertes Warpplasma handelt, dann ja, Captain.« Der Ensign nickte ernst.

»Ich sehe identische Fluktuationen in den Warpkernen beider Schiffe«, sagte Saru, der seine Konsole studierte. »Sie stecken in großen Schwierigkeiten.« Sein erster Instinkt war es, zurückzuweichen, als würde er zu nah an einem Feuer stehen, doch er ignorierte diesen Drang.

»Sind Sie sicher?« Commander ch’Theloh beugte sich hinüber, um die Anzeigen selbst in Augenschein zu nehmen. »Die Sensoren sind einer Menge Störungen ausgesetzt.«

»Ja, Sir«, räumte Saru ein, »aber die Ausströmung aus dem Warpkern ist so stark, dass sie sich einfach durch die Störungen frisst. Das alleine ist schon ein schlechtes Zeichen.«

»Wie lange haben sie noch?«, wollte Georgiou wissen.

»Bestenfalls Minuten«, stellte Weeton fest.

»Senden Sie das hier über alle bekannten allgemeinen Kommunikationsprotokolle.« Der Captain holte tief Luft. »Achtung, pelianische Schiffe. Hier ist das Föderationsraumschiff Shenzhou. Wir sind bereit, Hilfe zu leisten. Antworten Sie, wenn Sie können.« Es war üblich, eine derartige Botschaft zu senden, aber niemand auf der Brücke erwartete eine Antwort.

»Sie werden nicht antworten«, sagte Burnham so leise, dass nur Saru sie hörte. »Sie können es nicht.«

Die Einwohner des Peliar-Zel-Systems waren Bürger eines unabhängigen, eigenständigen Territoriums, das seit vielen Jahrzehnten jeglichen Kontakt mit Außenweltlern vermieden hatte. Sie zogen es vor, ihre eigenen Planeten und eine Handvoll nah gelegener Kolonien zu unterhalten. Doch in letzter Zeit hatte ihre Regierung versucht, sich der Vereinigten Föderation der Planeten anzunähern, und prüfte die Möglichkeit einer Mitgliedschaft in der VFP. Als ausgebildete Xenoanthropologin würde Burnham mehr über die Kultur der Pelianer wissen als er, aber Saru schätzte, dass der wahrscheinlichste Grund für die Kontaktaufnahme der Fremden mit der Föderation die Angst vor einer weiteren Ausbreitung der Tholianer war. Mit diesem Gedanken im Kopf betrachtete er skeptisch die Langstreckensensoren und suchte nach irgendetwas an der Peripherie, das wie ein lauerndes Netzspinner-Schiff aussah.

Georgiou beugte sich auf ihrem Sessel vor, als würde sie an Gurten zerren, die sie auf ihrem Platz festhielten. »Irgendein Hinweis auf den Ursprung des Nadionimpulses, der sie lahmgelegt hat?«

»Die Partikeldichte ist um das größere Schiff, also den Frachter, herum höher«, sagte Ensign Troke. »Meiner Einschätzung nach kam der Impuls von dem großen Schiff und hat beide aus dem Warp geworfen.«

»Dem würde ich zustimmen«, bestätigte Weeton. »Sie sind wahrscheinlich dicht nebeneinander geflogen. Das andere Schiff war vermutlich eine Eskorte.«

»Also eine Fehlfunktion des Antriebs?« Ch’Theloh dachte über diese Möglichkeit nach. »Keine Folge eines Angriffs.«

»Wir können uns über die Ursache Gedanken machen, nachdem wir uns um die Auswirkungen gekümmert haben«, sagte der Captain. »Also schön, wenn wir nicht mit ihnen kommunizieren können, was können wir dann tun? Ist es möglich, sie mit einem Traktorstrahl aus den dichteren Bereichen des Partikelfelds zu ziehen?«

»Traktorstrahl ist einsatzbereit.« Ensign Troy Januzzi an der Ops strich sich unwillkürlich mit der Hand über seinen kahlen Schädel und warf der Frau auf dem Sitz neben sich einen Blick zu. »Die Frage ist, ob Kayla glaubt, dass wir sie herausziehen können?!«

Detmer verzog das Gesicht. »Ich bin nicht sicher, ob das die beste Lösung ist. Das Masseverhältnis fällt nicht zu unseren Gunsten aus.«

»Sie haben recht«, stimmte Georgiou nachdenklich zu und überlegte weiter. »Das wird zu lange dauern. Und wir können die Transporter nicht nutzen, solange die Strahlung noch anhält.«

Saru warf einen Blick auf die Anzeige vor Burnham. Dort waren Live-Übertragungen der vorderen Sensorphalanx zu sehen, die darauf eingestellt waren, Lebenszeichen aufzuspüren. Der Wert schwankte wild – in einem Moment zeigte er eine Schiffsbesatzung von weniger als einem Dutzend an, im nächsten stand dort eine Zahl, die der Bevölkerung einer großen Ortschaft entsprach. »Ich kann die Messungen nicht stabilisieren!«, sagte Burnham gereizt. »Die Interferenzen sind zu stark.«

»Irgendetwas von dem kleineren Schiff?«, hakte er nach.

Sie runzelte die Stirn. »Eine durchweg negative Anzeige auf Lebenszeichen. Ich glaube, dass es sich um eine Art automatische Drohne handelt.«

»Captain!«, rief Troke alarmiert und unterbrach ihre Unterhaltung. »Das Begleitschiff! Die Messungen von seinem Warpkern schießen in die Höhe. Captain, ich glaube, es explodiert gleich!«

»Schilde auf Maximum!« Ch’Theloh donnerte den Befehl und alle Augen richteten sich auf den Bereich des Bildschirms, wo das Schiff mit den Solarsegeln trieb.

Georgiou hob gerade rechtzeitig ihre Hand, um ihre Augen zu schützen, als das kleinere pelianische Schiff in einer winzigen Sonne aufging. Die Brücke der Shenzhou wurde kurz in grelles Weiß und scharf umrandete Schatten getaucht, als eine tödliche Kollision aus Materie und Antimaterie das Begleitschiff verschlang. Ein rollendes, donnerndes Beben durchlief das Raumschiff, als die Druckwelle der Zerstörung auf die Schilde traf. Es schwankte unter dem Aufprall.

»Status?« Georgious Erster Offizier reagierte schnell und marschierte zur Schadenskontrolle.

»Geringe Schäden, kein Hüllenbruch«, meldete Weeton. »Aber die Eskorte der Pelianer … wurde pulverisiert, Sir.«

Der Captain drehte sich zu Trokes Station um und sah, dass der gesunde himmelblaue Hautton des Tulianers sich in ein kränkliches Blassgrün verwandelt hatte. Sie wusste, was er als Nächstes sagen würde, noch bevor er die Worte hervorstieß. »Der Warpkern des größeren Schiffs zeigt identische Vorzeichen für einen Bruch. Denen wird dasselbe passieren, es sei denn, wir können es aufhalten.«

»Warum stoßen sie den Kern nicht ab und machen, dass sie hier rauskommen?«, sagte Detmer durch zusammengebissene Zähne, als könnte sie ihre Aufforderung durch die Leere zu dem anderen Schiff schicken.

»Das würde keine Rolle spielen«, erwiderte Weeton niedergeschlagen. »Sie würden nicht weit genug flüchten können, um der Explosionswirkung zu entkommen.«

Und selbst mit voller Kraft könnte die Shenzhou sie nicht aus dem Weg ziehen. Diese düstere Erkenntnis dämmerte Georgiou und einen Lidschlag später folgte darauf die Aussicht auf eine furchtbare Entscheidung. An Bord ihres Schiffs befanden sich Hunderte Leben und sie konnte alle sofort retten, indem sie den Befehl gab, in sichere Entfernung davonzuwarpen. Sie hatte das Kommando und trug an allererster Stelle die Verantwortung für ihre Mannschaft.

Doch wenn sie sich zurückzogen, würde die außer Kontrolle geratene Destabilisierung des Warpkerns im Schiff der Pelianer mit Sicherheit jedes einzelne Leben dort fordern. Mit diesem Wissen würde Philippa Georgiou leben müssen, wenn sie das zuließ.

Der Captain richtete sich auf und setzte zu einer Rede an – weniger für ihre Offiziere als fürs Protokoll. »Wir haben keinen Notruf erhalten. Wir sind nicht in der Lage, die Absichten der pelianischen Besatzung zu deuten. Dennoch lauten meine Befehle wie folgt: Wir werden diesen Leuten jede erdenkliche Hilfe zukommen lassen. Wenn wir auf eine Aufforderung warten, wird es zu spät sein.« Sie warf ihrem Ersten Offizier einen Blick zu. »Commander, bereiten Sie ein Shuttle zum sofortigen Abflug vor.«

»Aye, Captain!« Ch’Theloh machte sich an die Arbeit.

Georgiou tippte auf eine Taste auf der Armlehne ihres Sessels. »Maschinenraum. Commander Johar?«

»Ich höre, Captain.«

»Schnappen Sie sich einen Piloten, einen Arzt und ein paar ihrer besten Techniker und dann begeben Sie sich im Laufschritt zur Shuttlebucht. Sie werden sich auch ohne Aufforderung an Bord des anderen Schiffs begeben.«

»Verstehe. Ich packe eine Jolly-Roger-Flagge ein.« Johar zögerte. »Darf ich Weeton mitnehmen? Er ist pfiffig und kommt gut mit einem Hyperschlüssel klar.«

»Er ist unterwegs. Brücke Ende.« Georgiou nickte dem Ensign zu und der junge Offizier erhob sich. Dabei verbarg er ein kurzes Aufflackern von Angst.

»Captain, ich möchte mich freiwillig für den Rettungstrupp melden.« Burnham verließ ihre Konsole und nahm steif Haltung an. »Sie könnten da drüben einen Wissenschaftler gebrauchen.«

»Und das müssen ausgerechnet Sie sein?« Der bissige Kommentar war über Sarus Lippen gekommen, bevor der Kelpianer sich überhaupt bewusst war, dass er ihn ausgesprochen hatte.

Burnham sah ihn scharf an und Georgiou erkannte, dass derselbe Streit, den sie in der Messe unterbrochen hatte, wieder neu entfacht wurde. Die beiden leisteten ausgezeichnete Arbeit, aber die anhaltende Problematik, Saru und Burnham zur Zusammenarbeit zu bewegen, hatte die Tendenz, sich immer in unangebrachten Momenten zu Konflikten auszuwachsen. Und jetzt gerade hatte der Captain keine Zeit zu verschwenden.

Michael Burnham war immer diejenige, die sich einer Gefahr entgegenwarf, und Saru hatte immer einen Grund parat, weshalb man auf Nummer sicher gehen sollte. Trotz der schwerwiegenden Situation sah Georgiou plötzlich einen Weg, die Spannung zwischen den beiden Wissenschaftlern zu entschärfen und hoffentlich auch das größere anstehende Dilemma zu lösen. »Ein guter Vorschlag. Ich weiß Ihr Angebot zu schätzen, Lieutenant Burnham … aber Sie bleiben auf Ihrem Posten.« Die andere Frau konnte ihre Enttäuschung nicht verbergen, doch diese wandelte sich zu Überraschung, als Georgiou dem Kelpianer einen Blick zuwarf. »Lieutenant Saru, Sie stoßen zum Team in der Shuttlebucht.«

»Ich?« Sarus blassblaue Augen blinzelten entsetzt.

»Sie«, sagte der Captain und nickte zum Turbolift. »Und jetzt zackig!«

Der Turbolift war auf Prioritätssteuerung eingestellt und raste ohne Zwischenstopp zur Shuttlebucht, die sich im hinteren Bereich des Primärrumpfs befand. Sarus Gedanken rasten, um mitzuhalten, als er hinter Ensign Weeton aus dem Lift trat.

Was ist da grade passiert? Er hatte ohne nachzudenken gesprochen und Burnhams Begierde, Eindruck zu machen, kritisiert. Dabei hatte er die Konsequenzen nicht bedacht und jetzt würde er dafür bezahlen. Captain Georgiou hatte ihn in Verlegenheit gebracht, und Saru hatte keine andere Wahl, als den Befehlen Folge zu leisten und den Einsatz zu akzeptieren.

»Ich schätze, das haben Sie nicht erwartet«, sagte Weeton, als die beiden sich dem Shuttle Yang näherten. Der Ensign gab ihm eine Ausrüstungsweste und einen Einsatzkoffer vom Regal und nahm sich dann auch eine. »Zeit, sich die Hände schmutzig zu machen, nicht wahr, Lieutenant?«

Saru war nicht sicher, ob er Sarkasmus im Tonfall des Ensigns hörte, also ignorierte er es. Er presste die Lippen aufeinander und behielt die Bedenken, die ihm durch den Kopf schwirrten, für sich, während er sich in die Weste zwängte. Sieh das hier nicht als gefährliche Situation an, sagte er zu sich, betrachte es als Gelegenheit, der Mannschaft zu zeigen, was in dir steckt.

»Ein bisschen schneller bitte«, rief der Chefingenieur, der aus der Luke hinten am länglichen Rumpf der Yang heraushing. »Weeton, machen Sie, dass Sie hier reinkommen und uns in die Luft kriegen, solange es noch jemanden gibt, den wir retten können!«

Die beiden eilten an Bord. Saru suchte sich einen Sitz Johar gegenüber im hinteren Kabinenbereich aus. Weeton schwang sich auf den Pilotensitz und startete die Impulstriebwerke. Die Luke schloss sich scheppernd. Saru warf einen kurzen Blick aus dem vorderen Sichtfenster. Die Shuttlebucht war bereits offen und ein glitzerndes Kraftfeld trennte die Atmosphäre drinnen vom Vakuum. Draußen vor der Shenzhou sah er die sich immer noch ausbreitende Wolke radioaktiver Trümmer, die einst die Eskortdrohne der Pelianer gewesen war.

Die Yang hob ab. Das Licht verschwamm, als sie das Innere ihres Mutterschiffs hinter sich ließ und ins All hinausschoss. Saru überprüfte zum wiederholten Male seine Ausrüstung. Johar setzte zu einer kurzen Einsatzbesprechung an.

»Also schön, allerseits. Uns sitzt die Zeit im Nacken, also müssen Sie alle schnell und mit Köpfchen arbeiten. Ein Nadionimpuls bedeutet höchstwahrscheinlich eine Überladung der sekundären Einspritzmodule des Warpkerns. Also gehen wir rein und stellen jede Hilfe bereit, um diesen wieder zu stabilisieren.« Er zeigte auf die gelblich-blasse Vok’sha, die neben Saru saß. Sie war ein Petty Officer mit den bronzefarbenen Streifen eines Technikers. »Yashae, Sie kennen dieses Zeug wie Ihre Westentasche, also will ich, dass Sie die Spitze übernehmen. Crewman Subin, Sie tun, was sie Ihnen sagt, verstanden?« Die schlanke Mazaritin auf der anderen Seite der Kabine nickte nachdrücklich.