Star Trek - The Next Generation: Vorhandenes Licht - Dayton Ward - E-Book

Star Trek - The Next Generation: Vorhandenes Licht E-Book

Dayton Ward

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Beschreibung

In diesem brandneuen Thriller aus dem Star-Trek-Universum wird Captain Picard unerbittlich von den Schatten der Vergangenheit eingeholt … Sektion 31 – jene Geheimorganisation, die länger als zwei Jahrhunderte unkontrolliert aus dem Verborgenen heraus agiert hat – ist aufgeflogen, und das Ausmaß der Verbrechen ihrer Mitglieder kommt ans Licht. Im ganzen Föderationsraum werden Agenten und Anführer der abtrünnigen Gruppierung festgenommen. Jetzt ist das Sternenflottenkommando gezwungen zu entscheiden, was aus den Offizieren werden soll, die in den Skandal verwickelt sind, darunter die Admirals William Ross, Edward Jellico und Alynna Nechayev sowie Captain Jean-Luc Picard. Gemeinsam mit anderen sollen sie an der gewaltsamen Amtsenthebung eines Föderationspräsidenten beteiligt gewesen sein. Unterdessen ist die Enterprise in einer weit entfernten, unerforschten Region des Weltraums unterwegs, die als der Odysseeische Pass bekannt ist. Picard und seine Crew müssen ihre persönlichen Gefühle und Sorgen um das politische Geschehen hintanstellen, als sie ein gewaltiges, mysteriöses Raumschiff entdecken, das seit Jahrhunderten durch die stille Leere des Alls treibt. Es ist die letzte Rettung einer bedrohten Zivilisation, die seit Generationen auf der Suche nach einem Zufluchtsort ist. Doch eine Bande von Plünderern hat es ebenfalls auf das uralte Schiff abgesehen, und die Enterprise stellt das einzige Hindernis auf ihrem Weg zum Ziel dar …

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STAR TREK

THE NEXT GENERATION®

VORHANDENES LICHT

DAYTON WARD

Based on

Star Trek

and

Star Trek: The Next Generation

created by Gene Roddenberry

Ins Deutsche übertragen vonAimée de Bruyn Ouboter

Die deutsche Ausgabe von STAR TREK – THE NEXT GENERATION: VORHANDENES LICHTwird herausgegeben von Cross Cult, Teinacher Straße 72, 71634 Ludwigsburg.Herausgeber: Andreas Mergenthaler; Übersetzung: Aimée de Bruyn Ouboter;verantwortlicher Redakteur und Lektorat: Markus Rohde; Lektorat: Kerstin Feuersänger;Korrektorat: André Piotrowski; Cover Artwork: Doug Drexler & Ali Ries, Satz: Rowan Rüster;Print-Ausgabe gedruckt von CPI Moravia Books s.r.o., CZ-69123 Pohorelice. Printed in the EU.

Titel der Originalausgabe: STAR TREK – THE NEXT GENERATION: AVAILABLE LIGHT

German translation copyright © 2020 by Cross Cult.

Original English language edition copyright © 2019 by CBS Studios Inc. All rights reserved.

TM & © 2020 CBS Studios Inc. STAR TREK and related marks and logos are trademarks of CBS Studios Inc.

All Rights Reserved.

This book is published by arrangement with Pocket Books, a Division of Simon & Schuster, Inc.,

pursuant to an exclusive license from CBS Studios Inc.

Print ISBN 978-3-96658-073-1 (September 2020) · E-Book ISBN 978-3-96658-074-8 (September 2020)

WWW.CROSS-CULT.DE · WWW.STARTREKROMANE.DE · WWW.STARTREK.COM

Für Michi, Addison and Erin – aus den bekannten Gründen

Inhalt

HISTORISCHE ANMERKUNGEN

KAPITEL 1

KAPITEL 2

KAPITEL 3

KAPITEL 4

KAPITEL 5

KAPITEL 6

KAPITEL 7

KAPITEL 8

KAPITEL 9

KAPITEL 10

KAPITEL 11

KAPITEL 12

KAPITEL 13

KAPITEL 14

KAPITEL 15

KAPITEL 16

KAPITEL 17

KAPITEL 18

KAPITEL 19

KAPITEL 20

KAPITEL 21

KAPITEL 22

KAPITEL 23

KAPITEL 24

KAPITEL 25

KAPITEL 26

KAPITEL 27

KAPITEL 28

KAPITEL 29

KAPITEL 30

KAPITEL 31

KAPITEL 32

KAPITEL 33

KAPITEL 34

KAPITEL 35

KAPITEL 36

DANKSAGUNG

HISTORISCHE ANMERKUNGEN

Diese Geschichte spielt Ende 2386, sieben Jahre nach der Konfrontation der U.S.S. Enterprise-E mit dem romulanischen Praetor Shinzon (STAR TREK – NEMESIS) und einige Wochen nach der Begegnung der Besatzung der Enterprise mit dem Volk der Eizand (STAR TREK – THE NEXT GENERATION»Herz und Verstand«). Die Enthüllungsreportage der Trill-Journalistin Ozla Graniv ist wie eine Bombe eingeschlagen: Graniv berichtet über die Geheimorganisation Sektion 31 und deren zahlreiche Aktivitäten im Verborgenen, einschließlich des Komplotts gegen den Föderationspräsidenten Min Zife im Jahr 2379, das zu seiner Ermordung führte (STAR TREK»Sektion 31 – Kontrolle«). Ihre Reportage hat die Sternenflotte und die Föderation bis in die Grundfesten erschüttert.

KAPITEL 1

William Ross saß erstarrt auf der Terrasse seines Lieblingscafés im Künstlerviertel von New Glasgow, die Teetasse halb erhoben, den Blick auf den Fernsehschirm an der Mauer des Innenhofs geheftet, als ohne Vorwarnung seine dunkelsten Geheimnisse erbarmungslos ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt wurden.

»… enthält eine Flut bisher streng geheimer Informationen über eine Organisation, die ohne Aufsicht oder Rechenschaftspflicht operiert haben soll und offenbar Mitglieder innerhalb und außerhalb der Föderationsregierung hat.«

Die Kamera war auf eine Frau mit dunkler Hautfarbe gerichtet. Sie saß an einem Schreibtisch, auf dem das Emblem des Nachrichtendienstes der Föderation prangte. Ganz offenbar las sie nicht von einem sorgfältig vorbereiteten Skript ab, sondern konsultierte hastig zusammengestellte Notizen: Sie machte immer wieder Pausen, um rasch auf das Padd hinunterzuschauen, das sie vor sich auf dem Schreibtisch liegen hatte.

Ross spürte, wie sich sein Herzschlag beschleunigte. Behutsam setzte er die Tasse auf ihrer Untertasse ab. Um ihn herum erstarben die Gespräche, als sich mehr und mehr Cafébesucher dem Fernsehschirm zuwandten und ihre Kuchenteller sowie ihre Begleiter vergaßen.

»Die Organisation ist unter dem Namen Sektion 31 bekannt. Ihre Geheimagenten stehen unter dem Befehl von zivilen Funktionären der Föderation sowie Sternenflottenoffizieren, offizielle Dienstwege werden unterlaufen. Offenbar wurde Sektion 31 vor über zweihundert Jahren gegründet, um die Erde vor internen sowie externen Bedrohungen zu schützen. Später weitete die Gruppierung ihre ›Mission‹ auf die gesamte Föderation aus. Der vorliegende Bericht macht deutlich, dass zu ihren Aktivitäten Aggressionen gegen souveräne Regierungen zählen – ob diese der Föderation nun feindlich gesinnt waren oder nicht. Zudem muss das Vorgehen der Geheimorganisation gegen Bürger der Föderation als zum größten Teil illegal betrachtet werden. Offenbar wurde in den letzten beiden Jahrhunderten jeder einzelne Föderationsbürger von einer hoch entwickelten künstlichen Intelligenz aktiv überwacht, um bestimmte Handlungsmuster und somit Hinweise auf ›Bedrohungen‹ aufzuspüren. Personen, die auf Grundlage dieser Informationen als Gefahr für die Interessen der Föderation oder der Sternenflotte eingestuft wurden, wurden von Geheimagenten der Organisation ermordet. Sektion 31 erkennt weder die Autorität der Föderationsregierung noch der Sternenflottenführung an.«

Unwillkürlich verengte Ross die Augen zu Schlitzen und biss die Zähne zusammen. Er zwang sich, ruhig sitzen zu bleiben. Die Nachrichtensprecherin stockte erneut: Ihr war anzusehen, dass sie die Informationen selbst noch verarbeitete. Wie jedem guten Journalisten in solch einer Lage schossen ihr vermutlich tausend Fragen durch den Kopf, sie musste jedoch für ihre Zuschauer Haltung bewahren.

Da hast du’s. Das ist der Anfang vom Ende.

Die leise innere Stimme verhöhnte ihn. Es stimmte: Er hätte wissen müssen, dass der Frieden, den er hier gefunden hatte, nur von kurzer Dauer sein konnte. Beinahe sein ganzes Leben hatte er in den Dienst von anderen gestellt. Nur seiner Familie wegen hatte er letztendlich entschieden, diesen Schritt zu gehen. Doch nun würde er mit Entscheidungen konfrontiert werden, die er in bester Absicht getroffen hatte, stets das Gemeinwohl im Blick, auch wenn ihre Folgen schwer auf seiner Seele gelastet hatten. Alte Schulden, dachte er bitter. Alte Schulden, die doch noch eingetrieben werden.

Dir war doch klar, dass es früher oder später so weit sein würde. Gib’s zu: Du hast bloß gehofft, dass du den Löffel abgibst, ehe die Rechnung fällig wird!

Eine Weile lang hatte es so ausgesehen, als würde diese Strategie aufgehen. Nachdem Präsidentin Nanietta Bacco erfahren hatte, dass Ross in die gewaltsame Amtsenthebung Min Zifes verwickelt gewesen war, hatte sie seinen Rücktritt gefordert. Zu seiner eigenen Überraschung hatte er seinen Ruhestand genossen: Die unerwartete Freiheit und das entspannte Leben mit seiner Frau Stefana hier auf Caldos II hatten ihm gefallen. Auch mit seinem Sohn Zachary hatte er mehr Zeit verbringen können. Zachary war Student an der Columbia University auf der Erde, kam jedoch über die Semesterferien und an Feiertagen zu Besuch. Dann verbrachten Vater und Sohn jeden Morgen zusammen auf dem Tennisplatz hinter dem Haus. Trotz des Altersunterschieds, der (daran erinnerte Zach ihn gern) beinahe vierzig Jahre betrug, konnte Ross sich immer noch gegen seinen Sohn behaupten.

Mit Caldos II hatten sie eine glückliche Wahl getroffen: Als die Borg vor fünf Jahren noch einmal in den Föderationsraum eingedrungen waren, waren Ross und seiner Familie die katastrophalen Auswirkungen weitgehend erspart geblieben. Die einzige Kriegsfolge, die sie hautnah miterlebt hatten, war die Umsiedlung von Überlebenden gewesen, die ihren Heimatplaneten verloren hatten. Viele Bewohner von Caldos II hatten befürchtet, der Flüchtlingsstrom könnte eine unzumutbare Belastung sein, aber die Sternenflotte und die Föderation hatten ganze Arbeit geleistet und durch ihre Unterstützung dafür gesorgt, dass keine Probleme entstanden. Überall auf dem Planeten waren neue Dörfer und Gemeinden erbaut worden, die seit Beginn der Post-Borg-Ära wuchsen und gediehen. Es hatte nicht lange gedauert, bis das Leben auf Caldos II zur Normalität zurückgekehrt war.

Und jetzt? Jetzt würde dieses beschauliche Dasein, das er nach so langer Zeit im Dienst der Sternenflotte endlich für sich entdeckt hatte, ein Ende haben. Konnte er irgendetwas dagegen unternehmen? Ross erwog verschiedene Möglichkeiten, verwarf aber eine nach der anderen. Er hatte gehofft, auf Caldos II in Vergessenheit zu geraten. Der Planet war eine Koloniewelt gewesen, ehe er als vollwertiges Mitglied in die Föderation aufgenommen worden war. Noch immer war er ein Rückzugsort für all jene, die den politischen Machenschaften des 24. Jahrhunderts entfliehen wollten. Er profitierte von regelmäßigen Sicherheitspatrouillen und ziviler Handelsschifffahrt, war aber gerade abgelegen genug, um der Sternenflotte keinen Grund zu geben, einen dauerhaften Stützpunkt zu errichten. Wenn es Ross hier nicht gelingen würde, im Halbdunkel der Geschichte zu verschwinden – was blieb ihm dann noch übrig?

Gar nichts.

Wenn die Berichterstattung auf Tatsachen beruhte – und dass sie auf Tatsachen beruhte, war ihm klar –, konnte er sich nirgendwo verstecken. Man würde ihn aufspüren, so wie alle anderen auch.

Die Nachrichtensprecherin schaute wieder auf ihr Padd hinunter und räusperte sich. Als sie den Blick hob, las Ross eine wilde Entschlossenheit in ihren Augen.

»Mir liegt eine Liste von Personen vor, die in der Vergangenheit mit Sektion 31 zusammengearbeitet haben oder sogar noch zusammenarbeiten. Diese Liste ist … Es ist verstörend, die Namen darauf zu lesen. Bekannte Namen … Namen von Personen, die wir als Helden ansehen, als Bewahrer unserer Ideale. Wenn auch nur ein Bruchteil von dem veröffentlichten Material der Wahrheit entspricht, reden wir hier von einer in ihrem Ausmaß erschütternden Verletzung grundlegender Bürgerrechte sowie der Privatsphäre … Und die Schuldigen sind ausgerechnet diejenigen, die wir damit beauftragt haben, die Werte unserer Gesellschaft zu schützen!«

Die Aufregung würde sich legen. Gerichtsprozesse würden geführt und entschieden werden; die Verurteilten – und das schloss ihn ein – würde man nach Auckland in Neuseeland oder in eine andere Strafkolonie schicken. Und wenn es so weit war, würde sich kaum noch jemand daran erinnern, was er und zahllose andere im Lauf der Zeit an Gutem bewirkt hatten. Ehe die Föderation gegründet worden war – ja, ehe auch nur die ersten Erdraumschiffe die Grenzen des eigenen Sonnensystems überwunden hatten –, hatten Ross’ Vorgänger im Geheimen ihr ganzes Streben darauf gerichtet, die Menschheit davor zu bewahren, Opfer ihres eigenen blinden Idealismus und ihrer Naivität zu werden.

Und manchmal mussten zu diesem Zweck eben moralisch zweifelhafte Maßnahmen ergriffen werden. Ross war nicht immer darüber in Kenntnis gesetzt worden, warum bestimmte Ereignisse in Gang gesetzt worden waren, und anfänglich hatten ihn heftige Zweifel geplagt. Konnte man eine Organisation straffrei operieren lassen, die ebenjene Grundwerte mit Füßen zu treten schien, zu deren Schutz sie abgestellt war? Trotz seiner militärischen Ausbildung, seines Geschicks als Stratege und seiner Tendenz, die meisten Situationen schwarz-weiß zu malen (so war es leichter, sie in den Griff zu bekommen), hatte er sich nicht sofort mit den Methoden von Sektion 31 anfreunden können.

Aber nachdem er jahrzehntelang für die Geheimorganisation gearbeitet hatte – auch und gerade während des Dominion-Krieges –, war ihm klar geworden, welchen ungeheuren Nutzen eine solche Institution haben konnte. War Sektion 31 der Korruption fähig? Natürlich. Jedes Individuum, das unbeaufsichtigt und ohne Rechenschaftspflicht agierte, lief Gefahr, irgendwann dunkleren Regungen nachzugeben. Im übertragenen Sinne galt dasselbe für Gruppierungen. Sektion 31 hatte unleugbar immer wieder gegen die Gesetze der Föderation verstoßen, dabei jedoch auch viel erreicht.

Dank der beharrlichen Bemühungen Ozla Granivs würde nun die Öffentlichkeit darüber urteilen. Ross hatte die Karriere der Journalistin verfolgt und wusste, dass sie schon lange darauf hingearbeitet hatte, Sektion 31 bloßzustellen. Ihretwegen würde sich das Wissen um die guten sowie um die abscheulichen Taten der Geheimorganisation im ganzen bekannten Universum verbreiten. Erfolge, die einst still und heimlich gefeiert worden waren, würden nun den Bürgern der Föderation bekannt gemacht werden. Vielleicht würden sie sogar dankbar sein, wenn sie erfuhren, wie oft sie nichts ahnend um Haaresbreite der Auslöschung entgangen waren …

Natürlich würden sie auch erfahren, welche Maßnahmen ergriffen worden waren, um ihre Lebensweise zu beschützen. Würden die Ergebnisse dann noch eine Rolle spielen? Ross glaubte nicht daran. Er verstand die Leute sogar: Für die meisten war die Verteidigung ihrer Freiheit und Sicherheit nur ein abstraktes Konzept. Dass reale Situationen sich selten so ordentlich und geregelt darstellten wie ein gedankliches Konstrukt und manchmal den Einsatz zweifelhafter Mittel erforderten, konnten sie nicht ertragen, daher blendeten sie es lieber aus und nahmen die Errungenschaften der Gesellschaft, in der sie lebten, einfach als gegeben hin.

Und deshalb würde gar nichts bleiben. Wenn die naive, undankbare Öffentlichkeit mit Sektion 31 und dem Kampf der Geheimorganisation für sie, für die Gesellschaft fertig war, würde sich niemand an die errungenen Erfolge erinnern. Das Vermächtnis von Sektion 31 würde in den Schmutz getreten werden.

»William Ross!«

Ross erschrak, ließ sich aber nichts anmerken und wandte nur den Kopf. Zwei Personen traten auf die Terrasse heraus, die die graue Uniform des Sicherheitsdienstes der Föderation trugen. Die Frau, die seinen Namen gerufen hatte, ließ ihn nicht aus den Augen. Sie schlängelte sich zwischen den besetzten Tischen hindurch, eine Hand auf dem Phaser, der in ihrem Hüftholster steckte. Ihr Partner, ein dunkelhäutiger Mann, kam ebenfalls auf ihn zu. Allerdings war er zur Seite ausgeschert, um sich zwischen Ross’ Tisch und dem Tor zu positionieren, das auf die angrenzende Straße hinausführte.

Ross warf einen raschen Blick über die linke Schulter. Er wusste, dass es ein zweites Tor gab: Von dort aus führte ein Spazierpfad zu einem nahen Park. Zwei weitere Agenten in grauer Uniform flankierten dieses Tor, ein Mensch und eine Vulkanierin.

So komme ich hier nicht raus.

Ihm blieb noch eine letzte Option. Ross schob eine Hand in seine Jacke und tippte den Kommunikator an, den er an sein Innenfutter gepinnt hatte. Es war kein Gerät der Sternenflotte und bot ein paar Funktionen mehr als der Kommunikator, den er einst an seiner eigenen Uniform getragen hatte. Er klopfte mit den Fingerspitzen zweimal dagegen, um das Notfallevakuierungsprogramm zu aktivieren. Es würde ihn zu einem Versteck transportieren: eine kleine Hütte in den Bergen, zweihundert Meilen nördlich von New Glasgow. Seine Flucht war im besten Fall ein Aufschub, aber so würde er wenigstens Zeit haben, seine nächsten Schritte zu planen. Vor allem musste er entscheiden, was er wegen Stefana und Zach unternehmen sollte …

Er hatte erwartet, in die überraschten Gesichter der Sicherheitsagenten zu blicken, während er sich vor ihren Augen auflöste, doch es geschah – nichts.

Was in drei Teufels Namen … Natürlich, eine Transporterabschirmung! Sie haben damit gerechnet, dass ich so etwas versuche. Verflucht!

Hilflos saß Ross auf der Terrasse seines Lieblingscafés und sah der Frau in der grauen Uniform entgegen, die ihren Phaser nun auf seine Brust gerichtet hielt.

»Nehmen Sie sofort die Hand aus der Jacke, Sir!«

Ross streckte der Agentin schweigend beide Hände entgegen, die Handflächen nach oben gekehrt, um ihr zu zeigen, dass sie leer waren.

Die Frau winkte mit dem Phaser. »Bitte stehen Sie auf.«

Ross erhob sich. Der männliche Sicherheitsoffizier trat hinzu und legte ihm Handschellen an. Ross wehrte sich nicht.

»Admiral William Ross«, sagte die Frau und ließ ihren Phaser sinken. »Wir verhaften Sie wegen Verbrechen gegen die Föderation – einschließlich Verrats, Mordes, Verabredung zum Mord, Volksverhetzung und Verabredung zur Durchführung eines Staatsstreichs gegen rechtmäßig gewählte Amtsinhaber der Regierung der Föderation.«

KAPITEL 2

Alynna Nechayev justierte ihren Phaser, ohne die Aufmerksamkeit von dem Computerterminal zu wenden, auf dem sie live verfolgte, wie dunkel gekleidete Agenten der Föderationssicherheit im Schutz der Nacht auf ihr Haus zuschlichen. Sie hatten ihr Anwesen umzingelt; mit jedem ihrer Schritte zog sich die Schlinge enger zusammen. Es würde nicht mehr lange dauern, dann würden sie ihre Veranda betreten. Nechayev warf einen raschen Blick auf den Phaser, um sich davon zu überzeugen, dass er auf Betäubung eingestellt war, öffnete die oberste Schublade ihres Schreibtisches und griff nach dem Kommunikatorabzeichen, das darin lag.

Entscheide dich, ermahnte sie sich selbst. Egal was du tust, es wird höchste Zeit, dass du in die Gänge kommst!

An der Stirnseite ihres Wohnzimmers hing ein Fernsehschirm, der Fotografien jener Föderationsbeamten und führenden Sternenflottenoffiziere zeigte, die Ozla Graniv in ihrer unglückseligen Enthüllungsreportage mit Sektion 31 in Verbindung gebracht hatte. Nechayev hatte bereits Bilder von Freunden und Kollegen gesehen: William Ross, Tsujiro Nakamura, sogar den verstorbenen Owen Paris. Einspielungen vom Filmmaterial eines Nachrichtenteams sowie von Privataufnahmen dokumentierten die Verhaftung eines Admirals, Edward Jellico, durch den Föderationssicherheitsdienst.

Im ganzen Föderationsraum wurden Mitglieder und Verbündete von Sektion 31 gejagt und festgenommen. Die Ereignisse überstürzten sich, und die Nachrichtensprecher kamen kaum hinterher. Offenbar waren sowohl die Föderation als auch die Sternenflotte eifrig bemüht, die Situation in den Griff zu bekommen und all diejenigen in Haft zu nehmen, die in den Skandal verwickelt waren, bevor sie sich aus dem Staub machen konnten. Zwar war Nechayev bei Weitem nicht so tief in die Machenschaften von Sektion 31 verstrickt wie einige ihrer Sternenflottenkollegen, aber ihr war klar, dass jeder, der mit der Geheimorganisation zusammengearbeitet hatte, Gegenstand der Ermittlungen sein würde. Ungeachtet ihrer Motive und Rechtfertigungen, würde selbst der wohlwollendste Richter ihre Mittäterschaft als Hochverrat ansehen – ob in einem Zivil- oder Militärprozess. Die Sicherheitsagenten, die ihr Haus umzingelt hatten, machten das mehr als deutlich.

Nechayev hatte nicht vor, sich auf ihrem eigenen Grund und Boden verhaften zu lassen.

Sie brauchte bloß die passiven Scanner auf ihrem Grundstück zu kontrollieren, um festzustellen, dass ihre unwillkommenen Besucher eine Transporterabschirmung aktiviert hatten: offenbar ein tragbares Modell, das die Sicherheitsagenten ungefähr zwanzig Meter von ihrem Haus entfernt aufgebaut hatten.

Niemand hätte von diesem Ort wissen dürfen. Nechayevs Haus stand verborgen in einem Wäldchen in den Adirondacks, einem Gebirge im nordöstlichen Teil des Bundestaates New York, und war einer von zwei geheimen Unterschlüpfen, die Nechayev sich vor Jahren zugelegt hatte. Kaum dass sie die ersten Minuten der Berichterstattung über die Enthüllungsreportage Granivs gesehen hatte, hatte sie sich hierher transportiert. In ihrem Apartment in San Francisco gab es in einem Wandschrank einen abgeschirmten Transporter, der keine Logdatei führte – niemand konnte von dort aus ihre Spur verfolgen. Dass es die Sicherheitskräfte der Föderation so wenig Zeit gekostet hatte, sie hier zu finden, sagte ihr, wie viel im Zuge der Enthüllungsreportage über sie herausgekommen war.

Aber was genau wissen sie noch?

Rasch gab sie über das Touch-Interface des Computerterminals eine Folge von Befehlen ein: Auf dem Gelände waren Emitter verteilt, die einen Dämpfungsimpuls erzeugen konnten. Das war kein tödlicher oder auch nur gefährlicher Angriff gegen die Eindringlinge, der Impuls legte lediglich kurzzeitig alle elektronischen Geräte im Radius eines halben Kilometers still, abgesehen natürlich von denen in ihrem Haus. Auf dem Bildschirm sah sie verschiedene Agenten innehalten: Sie untersuchten ihre Waffen, ihre Trikorder und ihre übrige Ausrüstung. Der Dämpfungsimpuls hatte ganze Arbeit geleistet, was auch die Anzeigen bestätigten: Die Transporterabschirmung war außer Betrieb. Sie würde nur wenige Augenblicke lang Zeit haben, bevor die Agenten entweder ein Ersatzgerät aktivierten oder alle Vorsicht über Bord warfen und das Haus stürmten.

Höchste Zeit, hier zu verschwinden.

Sie warf sich eine Tasche über die Schulter, die sie für solche Notfälle gepackt hatte (sie enthielt ein paar Kleidungsstücke und verschiedene Gegenstände sowohl von persönlichem Wert als auch praktischem Nutzen), den Phaser noch in der Hand. Dann tippte sie ihren Kommunikator in einer vorher festgelegten Sequenz mehrmals an. Das Gerät gab einen beruhigenden Piepton von sich. Im nächsten Moment spürte Nechayev das vertraute Kribbeln auf der Haut, als der Transporterstrahl sie einhüllte.

In Sekundenschnelle lösten sich ihr gemütliches, warmes Wohnzimmer, der Wald und die Berge vor ihren Augen auf. Sie fand sich vor einer Wand aus durchsichtigem Aluminium wieder – ein Aussichtspunkt, von dem aus sie eine Veranda überblickte, einen blendend weißen Sandstrand und den wunderschönen tiefblauen Pazifischen Ozean. Die letzten Strahlen der Abendsonne tauchten die Häuser an der mexikanischen Küste San Juanicos in ein warmes Licht. Die Dämmerung war nah. Nur zu gern hätte Nechayev den Anblick genossen – an diesem Ort stieg immer ein Gefühl heiterer Gelassenheit in ihr auf –, aber sie hatte keine Zeit. Ihr abgeschirmtes Transportersystem half ihr nichts, wenn der Sicherheitsdienst der Föderation auch von diesem Versteck wusste. Sie würden in Kürze Agenten hierher entsenden – gesetzt den Fall, sie waren nicht bereits unterwegs.

Sie war noch nicht einmal in ihrem Arbeitszimmer angelangt, als ein Alarm in ihrer Eigentumswohnung erklang. Wie in ihrem Haus in den Adirondacks hatte sie hier ein Sensorsystem installieren lassen, das das Gebäude und den umgebenden Strand überwachte. Es verbarg außerdem ihre Lebenszeichen. Niemand konnte von draußen ermitteln, wo im Gebäude sie sich befand. Solange sie drinnen blieb, war sie für Trikorder und andere Scanner unsichtbar.

Nechayev beschleunigte ihre Schritte. Weder stellte sie ihre Tasche ab noch legte sie den Phaser aus der Hand, als sie ihren Schreibtisch erreichte. Auch hier stand ein Computerterminal bereit. Sie drehte es zu sich herum.

Scheiße!

Zwölf Agenten der Föderationssicherheit hatten das Gebäude umringt. Nur ein Fluchtweg blieb offen: über den Strand, auf das Meer zu. Natürlich brauchten sie dort niemanden zu stationieren: Selbst wenn sie es schaffen sollte, das Apartmenthaus unbemerkt zu verlassen, konnte sie nicht fünfzig Meter weit über den Strand zum Anlegesteg laufen, ohne dass die Agenten sie sahen.

Damit blieb auf ihrer sowieso schon beunruhigend kurzen Liste aller Optionen nur eine einzige übrig.

Ihre mexikanische Eigentumswohnung war mit ein paar Besonderheiten ausgestattet, die ihr jetzt zugutekommen würden. Sie berührte das Interface, um ein Menü aufzurufen, dann steuerte sie das Dämpfungssystem an, das elektromagnetische Emissionen unterdrückte und ihr bereits im Gebirge so gute Dienste geleistet hatte.

Im selben Augenblick ging das Computerterminal aus. Im gesamten Gebäude erloschen die Lichter.

Scheiße!

Sie hatten die Stromversorgung gekappt. Nechayev verschwendete keine Zeit damit, sich zu fragen, wie die Agenten das bewerkstelligt haben mochten. Sie ließ ihre Tasche auf den Schreibtisch fallen, öffnete sie und holte den zweiten Phaser heraus. Mit der Geläufigkeit einer geübten Schützin stellte sie auch diese Waffe auf Betäubung. Selbst jetzt, im Bewusstsein dessen, was ihr bevorstand, gab es noch Grenzen, die sie nicht überschreiten würde. Dazu gehörte ihre felsenfeste Entschlossenheit, unter keinen Umständen das Leben von Sicherheitskräften der Föderation zu gefährden, die nur ihre Pflicht erfüllten.

Ein wunderbarer Augenblick, um plötzlich ein Gewissen zu entwickeln.

Sie warf sich die Tasche wieder über die Schulter und ging vor dem Bücherregal hinter ihrem Schreibtisch in die Hocke. Das unterste Fach wurde von einer Tür verschlossen, hinter der sich ein gedrungener metallischer Behälter verbarg. In die Oberseite war ein kleines Tastenfeld eingelassen. Nechayev gab eine Kombination ein und drückte dann auf »Bestätigen«. Ein rotes Licht begann zu blinken, und eine digitale Anzeige erschien: Dreißig Sekunden. Neunundzwanzig. Achtundzwanzig.

Okay, jetzt wird’s wirklich Zeit!

Durch die offene Tür ihres Arbeitszimmers konnte Nechayev die durchsichtige Wand sehen. Ein Schatten fiel ihr ins Auge. Im nächsten Moment kam eine Gestalt in Sicht, die sich geduckt über die Veranda bewegte. Nechayev glaubte nicht, dass der Agent sie schon gesehen hatte – aber ohne Stromversorgung funktionierte die Tarntechnologie nicht. Scanner konnten sie wieder erfassen: Die Agenten wussten, dass sie in der Wohnung war. Wahrscheinlich bezogen die anderen just in diesem Moment Position vor den anderen Eingängen des Apartmentgebäudes. Ein Blick auf den Bildschirm ihres Computerterminals bestätigte diese Vermutung: Vor jeder der vier Türen standen nun zwei Sicherheitsleute. Die übrigen vier hatten straßenseitig in einiger Entfernung Posten bezogen, wohl um ihren Kollegen im Notfall Feuerschutz zu geben.

Sie musste hier raus. Was sie sich damit auch eingebrockt haben mochte, Nechayev konnte von ihrem überstürzten Plan nicht mehr abweichen.

Stumm zählte sie die Sekunden herunter, während sie den Phaser in ihrer rechten Hand auf eine höhere Stärke einstellte, auf die Wand zielte und abdrückte. Der Energiestrahl durchschlug das transparente Aluminium und schuf ein Loch mit einem Durchmesser von etwa einem Meter. Der Mann draußen trat rasch einen Schritt zurück, aber Nechayev war schneller: Der Betäubungsschuss aus ihrem zweiten Phaser traf den Agenten in die Brust und schleuderte ihn rückwärts über den niedrigen Holzzaun der Veranda. Er verlor das Bewusstsein, noch ehe er auf dem Boden aufschlug.

Irgendwo im Haus wurden Türen aufgebrochen, und Nechayev konnte Stimmen in angrenzenden Räumen und Fluren hören. Dann rief jemand eine Warnung, die in der Dunkelheit widerhallte.

»Im Haus befindet sich ein Sprengsatz! Rückzug!«

Nechayev kümmerte sich nicht weiter um den Aufruhr. Sie rannte durch ihr Arbeitszimmer und auf die Verandatür zu. Draußen bewegte sich etwas, und sie schoss, ohne richtig zu zielen. Offenbar hatte sie dennoch getroffen: Eine Frau in einer eng anliegenden schwarzen Uniform fiel auf die Liege, die auf der Veranda stand. Bei Tag (und wenn einen nicht gerade ein Phaserstrahl ausgeknockt hatte) konnte man von dort aus den Pfad überblicken, der zum Strand führte. Nechayev gab noch einen Warnschuss ab, um auf Nummer sicher zu gehen, dann lief sie auf die Veranda hinaus und stellte den anderen Phaser mit dem Daumen wieder auf Betäubung.

Sie hörte Rufe aus verschiedenen Richtungen – im Haus und davor –, versuchte aber nicht, den Agenten auszuweichen, sondern wählte eine Durchbruchstelle. Obwohl sie Trikorder dabeihatten, schienen die beiden Agenten auf der nördlichen Seite des Hauses, ein Mann und eine Frau, überrascht zu sein, dass ihre Beute plötzlich in die Offensive ging. Nechayev traf mit beiden Phasern, und die Agenten landeten im Gras. Es wurde jetzt rasch dunkler, aber Nechayev sah mehrere Gestalten, die sich hastig zurückzogen und zwischen ein paar Bäumen Schutz suchten. Der Weg zum Wasser war frei, und sie zog sich dorthin zurück, die Phaser im Anschlag. Sie konnte den Anlegesteg mit einem Sprint erreichen, auch wenn sie langsam ein bisschen alt für so etwas wurde. Wenn sie es zu dem Boot schaffte, das am Steg vertäut lag …

Dann kam der Countdown in ihrem Kopf bei null an.

Nechayev zuckte nicht mit der Wimper, als sie die gedämpfte Explosion aus ihrer Wohnung hörte. Die Sprengladung in ihrem Bücherregal war nicht dazu bestimmt, das ganze Gebäude in die Luft zu jagen, geschweige denn jemanden in der näheren Umgebung zu verletzen. Sie sollte lediglich ihr Büro zerstören. Die Wände ihres Arbeitszimmers waren stabil genug, um der Explosion und dem Feuer standzuhalten. Nicht einmal die Sicherheitskräfte, die sie bereits außer Gefecht gesetzt hatte, waren verletzt worden – aber alles, was möglicherweise für eine Strafverfolgung von Nutzen gewesen wäre, würde vernichtet werden.

Die Stimmen der Agenten in der Dunkelheit klangen nicht mehr so aufgeregt wie vor der Explosion. Sicher holte der Leiter des Teams erst einmal Rückmeldungen ein. Das Chaos würde Nechayev ein paar Sekunden Zeit geben: Sie musste sie nutzen.

Das Boot! Jetzt oder nie!

»Halt!«, rief jemand hinter ihr. »Bleiben Sie sofort stehen!«

Nechayev drehte sich in der Hüfte und feuerte. Dann rannte sie über den gepflasterten Pfad, der vom Haus zum Strand hinunterführte. Hier gab es keine Beleuchtung, aber natürlich konnten die Trikorder ihrer Verfolger sie weiterhin orten. Sie konnte sich nirgendwo mehr verstecken – ihre Flucht war nun auf einen simplen Wettlauf reduziert.

Es war ein Wettlauf, den sie nicht gewinnen konnte.

Das wurde ihr klar, als ein Phaserstrahl ihre linke Schulter traf. Sie verlor nicht das Bewusstsein, stolperte jedoch und brach in die Knie. Taubheit breitete sich in ihrem Arm aus und erreichte ihre Hand. Der Phaser entglitt ihren Fingern. Schwindel und Orientierungslosigkeit überkamen sie. Sie stützte sich schwer auf die rechte Faust, in der sie immer noch den zweiten Phaser hielt, und wandte sich mühsam zu ihren Verfolgern um. Drei Agenten der Föderationssicherheit kamen auf sie zugejoggt. Nechayev, noch immer auf den Knien, hielt schwankend das Gleichgewicht und hob den Phaser.

»Lassen Sie das!«, befahl der Agent, der das Trio anzuführen schien, ein Mann oder männlicher Humanoider in schwarzer Uniform. Er hielt seinen eigenen Phaser auf ihr Gesicht gerichtet.

»Admiral Alynna Nechayev«, sagte eine schlanke Andorianerin. »Bitte ergeben Sie sich. Sie sind verhaftet …«

Sie spulte eine Reihe von Anklagepunkten herunter, aber Nechayev hörte ihr gar nicht zu. In ihren Ohren rauschte es. Sie konnte sich gut vorstellen, was man ihr vorwarf.

»Lassen Sie die Waffe fallen und geben Sie Ihre Gegenwehr auf, oder wir sind gezwungen, härtere Maßnahmen zu ergreifen!«

Dummköpfe!

Glaubten diese Agenten wirklich, dass die Bekanntgabe von ein paar Informationen eine Geheimgesellschaft aufhalten konnte, die so allgegenwärtig, ungreifbar und autonom war wie Sektion 31? Die länger existierte als die Föderation selbst, der nie eine andere Organisation ebenbürtig gewesen war? Dachten sie, dass die Behörde keine Bedrohung mehr darstellte, nur weil sie jetzt der Öffentlichkeit bekannt war? Die Situation entwickelte sich noch, und Nechayev konnte nicht beurteilen, was auf höchster Befehlsebene entschieden werden würde, um die Fortführung der Mission von Sektion 31 zu garantieren und möglicherweise die wichtigsten Befehlshaber abzuschirmen.

Eine Sache war ihr jedoch vollkommen klar: Der Sicherheitsdienst der Föderation konnte sie inhaftieren, nicht aber beschützen. Der Einfluss von Sektion 31 war enorm und reichte tief ins innerste Gefüge der Sternenflotte und der Föderationsregierung hinein. Wenn man entschied, sie umzubringen, würde es keinen Ausweg für sie geben und niemanden, der ihr helfen konnte. Sie konnte nur eins tun: durch Schweigen ihre Loyalität beweisen. Das war ihre einzige Chance.

Sie hob ihre Waffe.

Drei gleißend helle Phaserstrahlen leuchteten gleichzeitig auf und spülten die Welt davon.

KAPITEL 3

Admiral Leonard James Akaar hatte Mühe, nicht die Selbstbeherrschung zu verlieren. Zorn, Unglauben und Enttäuschung tobten in ihm, und wie ein reißender Strom, der sich durch Risse in einer Talsperre drängte, drohten seine Gefühle aus ihm hervorzubrechen.

Reiß dich zusammen, Admiral!

Akaar saß in seinem Büro im Hauptquartier der Sternenflotte und studierte Jean-Luc Picards Gesicht, das auf dem Bildschirm seines Computers zu sehen war. Zu Beginn der letzten Mission der U.S.S. Enterprise war es zu Unstimmigkeiten zwischen dem Captain und ihm gekommen, aber Picards Selbstdisziplin, für die er in Sternenflottenkreisen bekannt war, hatte wieder die Oberhand gewonnen: Er schilderte die Geschehnisse auf Sralanya gewohnt sachlich und wartete schweigend auf Nachfragen. Seine Miene blieb unbewegt. Es kam Akaar so vor, als widerstrebte es Picard, wieder auf das Thema zurückzukommen, das beide Männer zuvor in Rage versetzt hatte.

Er hat keine Ahnung von der Bombe, die ich gleich platzen lassen werde.

Er lehnte sich dem Bildschirm entgegen. »Erzählen Sie mir von Min Zife, Captain«, sagte er.

Da veränderte sich Picards Gesichtsausdruck doch: Sein Schrecken war ihm deutlich anzusehen. Zwar hatte er sich bewundernswert schnell wieder unter Kontrolle, aber der Schaden war angerichtet: Er hatte sich verraten.

»Was soll ich Ihnen denn erzählen?«, fragte Picard vorsichtig.

Akaar faltete die Hände vor sich auf dem Schreibtisch. Er hatte Picards volle Aufmerksamkeit. Gut. »Oh, ich weiß nicht, Captain. Soll ich anfangen?«, fragte er. »Sein Rücktritt zum Wohle der Föderation, sein stiller Gang ins Exil – das ist lediglich die Geschichte, die man der Öffentlichkeit verkauft hat. Die Wahrheit ist, dass er gezwungen wurde, sein Amt niederzulegen, ohne dass ein Amtsenthebungsverfahren oder eine offizielle Untersuchung seiner Taten in die Wege geleitet wurde. Und ja, seine Taten waren abscheulich. Sie kosteten Millionen von Leben. Präsident Zife hätte angeklagt und vor Gericht gestellt gehört, um sich dafür zu verantworten. Aber das wurde ihm erspart, Captain, nicht wahr?«

Picard schwieg, aber sein gequälter Blick war nach innen gerichtet, als würden vor seinem geistigen Auge lange verdrängte Erinnerungen aufsteigen. Akaar musste einräumen, dass Picard wohl wenig anderes übrig geblieben war. In den Jahren nach Min Zifes erzwungener Amtsniederlegung hatten Picard und seine Besatzung viel durchzustehen gehabt. Er hatte sich keine Ablenkungen erlauben können.

Das Ausmaß der Enthüllungen Ozla Granivs war dermaßen gewaltig, dass Akaar noch damit beschäftigt war, die Informationen zu sichten. Natürlich hatte er schon früher von Sektion 31 gehört, aber die geisterhafte Ungreifbarkeit des Geheimbundes hatte ihn ratlos gemacht. Und damit war er nicht allein gewesen: Alle, die versucht hatten, die Verbrechen der Organisation aufzudecken, waren gescheitert. Graniv hatte sie alle ausgestochen. Um Sektion 31 zu demaskieren, hatten sie und zwei Agenten des Geheimdienstes der Sternenflotte, Julian Bashir und Sarina Douglas, sich in große Gefahr gebracht – Douglas hatte für dieses Ziel sogar ihr Leben gegeben.

Das Komplott gegen Präsident Min Zife zählte ohne Frage zu den abscheulicheren Taten der Organisation. Zwar verstand Akaar rückblickend die Gründe dafür, die Herangehensweise aber konnte er nicht billigen. Zife hatte während des Dominion-Krieges ein geheimes Abkommen mit der Regierung des Planeten Tezwa getroffen, einer unabhängigen Welt an der Grenze zum Klingonischen Reich. Tatsächlich verfolgte Zife mit seinem Plan, Verteidigungsgeschütze auf Tezwa zu stationieren, sogar gute Absichten: Tezwa wurde so zum Teil der Defensivstrategie für den Fall, dass die Schiffe der Sternenflotte gezwungen worden wären, vor den Angriffen des Dominion zurückzuweichen. Das Problem daran war, dass er damit gegen das Khitomer-Abkommen verstieß, den Friedensvertrag zwischen der Föderation und dem Klingonischen Reich. Wäre seine Entscheidung publik geworden, hätten die Klingonen der Föderation wahrscheinlich den Krieg erklärt.

Vielleicht wäre der ehemalige Föderationspräsident sogar mit seinem geheimen Plan davongekommen, wenn die Geschütze nicht schließlich gegen klingonische Schiffe eingesetzt worden wären. Zife hatte versucht zu vertuschen, was er getan hatte, aber dem langen Arm und eisernen Griff von Sektion 31 war er nicht entronnen.

»Nachdem Sie von Zifes Verbrechen erfahren hatten, war Ihnen klar, dass eine öffentliche Anklage die Klingonen provozieren würde, Vergeltungsmaßnahmen gegen die Föderation zu ergreifen«, fuhr Akaar fort. »Also haben Sie und ein paar andere Offiziere beschlossen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen.«

»Widerstrebend, aber … Ja.« Obwohl Picard sich sichtlich unwohl fühlte, senkte er keinen Moment lang den Blick. Das hatte Akaar auch nicht erwartet. Allerdings veränderte sich Picards Tonfall: Er wurde förmlicher, zurückhaltender. »Damals schien es so, als sei es das Beste für die Föderation, Präsident Zife zum Rücktritt zu zwingen und ihm zu gestatten, sein Leben im Exil zu beschließen.«

»Sie haben einen Staatsstreich inszeniert, Picard!«, fuhr Akaar ihn an. »Sie haben ihn mit vorgehaltenem Phaser aus dem Amt gedrängt.« Beinahe gegen seinen Willen brachen die Worte aus ihm hervor; seit die nicht enden wollende Flut furchtbarer Nachrichten ihm über den Kopf gestiegen war, kämpfte er mit seinen Gefühlen. »Ihre Ziele mögen zu rechtfertigen gewesen sein, aber Ihre Mittel? Ihre Mittel waren elend. Und trotz Ihrer Bemühungen ist die ganze Geschichte ans Licht gekommen. Alles ist öffentlich geworden, Picard, verstehen Sie mich? Einschließlich aller Namen. Wenn Sie das nächste Mal Gelegenheit haben, auf den Nachrichtendienst der Föderation zuzugreifen, können Sie nachlesen, wie Sektion 31 Sie zum Narren gehalten hat. Zife ist nicht im Exil, Captain, er ist tot. Er wurde ermordet, sobald er seine Abschiedsrede gehalten hatte.«

Picards Gesicht spiegelte Schock und Unglauben. »Wie bitte?«

Also berichtete Akaar ihm von dem Erdbeben, das Granivs Reportage ausgelöst hatte, von der ungeheuren Menge an Informationen aus den Berichten von Sektion 31, die sie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hatte. Erst nach und nach begriff man in der Föderationsregierung und im Sternenflottenkommando, welche Konsequenzen Granivs Enthüllungen haben würden. Akaars unmittelbare Sorge galt dem erschreckend großen Personenkreis, auf den Sektion 31 direkt Einfluss genommen hatte: Individuen, die rekrutiert, korrumpiert oder sogar ermordet worden waren, damit die Geheimorganisation weiterhin ihr einziges Ziel verfolgen konnte, nämlich die Föderation um jeden Preis vor internen sowie externen Bedrohungen zu beschützen.

»Mitglieder meines eigenen Stabs sind in die Sache verwickelt. Respektierte Offiziere wie Edward Jellico, William Ross, Alynna Nechayev, Owen Paris und Sie.« Akaar schüttelte den Kopf, als ihn erneut Frustration überkam. »Ausgerechnet Sie.«

»Ich bin nicht stolz auf meine Rolle in dieser Angelegenheit, Admiral«, sagte Picard mit festerer Stimme, »und ich bin bereit, die Verantwortung dafür zu übernehmen. Aber nie hätte ich Min Zifes Ermordung vorgeschlagen, gebilligt oder tatenlos dabei zugesehen. Davon wusste ich nichts, und es war nicht Teil der Abmachung.«

Wenigstens das entsprach der Wahrheit. Der Captain der Enterprise hatte weder geholfen, Zifes Hinrichtung zu planen, noch sie durchzuführen. Er war jedoch in die Intrige involviert gewesen, Zife aus dem Amt zu drängen. Unter normalen Umständen hätte das ausgereicht, um Picard vor Gericht zu bringen, ihn zu verurteilen und für eine lange Zeit ins Gefängnis zu schicken.

Aber die Umstände sind alles andere als normal.

»Jellico, Nechayev und die anderen sind ein größeres Problem«, sagte Akaar, »aber wenigstens Sie sind weit weg – aus den Augen, aus dem Sinn, hoffe ich. Vielleicht gelingt es mir, den Schaden zu begrenzen.«

Picard schüttelte den Kopf. »Weitere Vertuschungsversuche sind nicht notwendig, Sir. Ich stelle mich der Gerichtsbarkeit und akzeptiere jede Strafe, die sie für angemessen hält.«

Akaar glaubte, die Erleichterung des anderen Mannes zu spüren: Picard war froh, dass sein furchtbares Geheimnis aufgeflogen war. Nach so langer Zeit lastete die Entscheidung, eine kriminelle, wenn auch möglicherweise notwendige Tat zu unterstützen, noch schwer auf seiner Seele. Das sprach für ihn, dachte Akaar. Aber warum hatte Picard nicht von sich aus reinen Tisch gemacht? Es lag auf der Hand: Nicht zu Unrecht hatte er wahrscheinlich befürchtet, doch noch die Aufmerksamkeit der Klingonen (und vielleicht anderer Parteien) auf die Tezwa-Affäre zu lenken. Das hatten er und seine Mitverschwörer verhindern wollen.

Aber es gab noch mehr zu bedenken: Die Folgen des tödlichen Attentats auf Präsidentin Nanietta Bacco im letzten Jahr beschäftigten die Föderation weiterhin – ebenso wie die besorgniserregenden Vorfälle um die Ernennung und ordnungsgemäße Wahl ihrer Nachfolgerin. Kellessar zh’Tarash, die derzeitige Präsidentin, war nun schon beinahe ein Jahr lang im Amt und tat ihr Möglichstes, um die Föderation aus dem Chaos verschiedener politischer und militärischer Skandale zu führen. Sie hatte weder Zeit für einen weiteren Eklat noch für den Umgang mit den Kollateralschäden. Leider war es unmöglich, sie aus der Sache herauszuhalten.

Es würde leichter sein, die anderen – Jellico, Nechayev, Ross, Nakamura – der Justiz zu überantworten. Sie waren weiter gegangen als Picard: Sie hatten an der geheimen Operation teilgenommen, die auf Zifes erzwungene Amtsniederlegung gefolgt war. Das Augenmerk würde sich insbesondere auf Ross, Nechayev und Nakamura konzentrieren, da sie Zife, seinen Stabschef Koll Azernal und den Direktor seines Militärgeheimdienstes, Nelino Quafina, an Sektion 31 ausgeliefert hatten. Nechayev und Nakamura hatten sich offenbar mitschuldig an der Ermordung Zifes und seiner Berater gemacht. Was William Ross anging, sah die Angelegenheit noch schlimmer aus: Er tauchte namentlich in verschiedenen Berichten auf und schien mit Sektion 31 eng verbunden zu sein. Owen Paris, der während der Borg-Invasion ums Leben gekommen war, konnte nicht mehr belangt werden.

Picard dagegen stellte ein Problem dar. Er war hoch angesehen in der interstellaren Gemeinschaft – mehr noch als die Admirals, mit denen er sich gegen Zife verschworen hatte. Seine Verstrickung in die Affäre (im Zusammenspiel damit, wie viele andere Offiziere Sektion 31 unterstützt hatten) würde vernichtend für das öffentliche Ansehen der Sternenflotte sein.

Dazu kam die Tatsache, dass Picard und die Enterprise viele Lichtjahre von der Erde entfernt unterwegs waren, um den Odysseeischen Pass zu erforschen; selbst bei maximalem Warp würde das Schiff Wochen für die Rückreise brauchen. Die Mission hatte bereits Erfolge zu verbuchen: Die Enterprise hatte mehrere Sonnensysteme mit Planeten entdeckt, die reich an Bodenschätzen waren. Erste Auswertungen der vorgenommenen Messungen deuteten auf mögliche Koloniewelten hin. Das war eine wunderbare Gelegenheit für die Sternenflotte, ihren Einflussbereich in einen weitgehend unerforschten Teil des Universums auszudehnen. Die Enterprise durch ein anderes Forschungsschiff zu ersetzen, wäre zeit- und personalaufwendig.

Zu guter Letzt war nicht vorhersehbar, welche Wirkung die schockierenden Enthüllungen auf die Öffentlichkeit haben würden. Besonders die Zwangsabsetzung Zifes würde ganz verschiedene Reaktionen auslösen, positive wie negative. Die Sache war die: Trotz der fragwürdigen Praktiken, derer sie sich bedient hatten, hatten Picard und seine Mitverschwörer der Föderation einen Gefallen getan, als sie den Präsidenten still und leise aus dem Amt gedrängt hatten. Und hätte er sein Leben im Exil beschlossen, hätte ihre Entscheidung vermutlich gerechtfertigt werden können – sowohl den Bürgern der Föderation als auch Verbündeten und sogar Gegnern gegenüber.

Verglichen mit den anderen Geheimnissen, die gerade ans Licht kamen, war der Putsch gegen einen skrupellosen Vertreter der Regierung kaum der Rede wert. Die lange Liste der Verbrechen von Sektion 31 und die erschütternde Erkenntnis, dass die Schattenorganisation das Leben der Bürger der Föderation seit Anbeginn beeinflusst hatte, würden für Ablenkung sorgen: Akaar würde Picard aus der Schusslinie nehmen können, zumindest fürs Erste. Vielleicht fiel Picards Rolle in der Zife-Affäre ja sogar unter den Tisch, wenn andere, auffälligere Mitglieder der Putschistentruppe zur Verantwortung gezogen wurden.

»Wir brauchen keinen weiteren öffentlichen Skandal«, sagte er und starrte Picard zornig an, »schon gar nicht einen, dessen Mittelpunkt ein strahlender Held der Sternenflotte ist. Sie, falls Sie nicht wissen, wen ich damit meine. Öffentlich können wir Sie nicht belangen, aber inoffiziell sage ich Ihnen dies: Sie können Ihre Ambitionen vergessen, jemals Admiral zu werden. Sie haben mal zu mir gesagt, Sie wollten keine Beförderung, sondern Captain der Enterprise bleiben. Herzlichen Glückwunsch, das haben Sie erreicht! Sie werden nie einen höheren Rang bekleiden.«

Akaar hatte eine schwere Zeit vor sich, darüber war er sich im Klaren. Doch vermutlich würde es mehr Schaden anrichten, Picard des Kommandos über die Enterprise zu entheben. Also würde Akaar ihn beschützen, so gut er konnte. In Anbetracht des Chaos, das in der kommenden Zeit herrschen würde, schien das machbar zu sein. Von überallher würde es Fragen regnen; die öffentliche Diskussion würde sich im Kreis drehen. Es würde nicht lange dauern, bis die Ermittler und Vertreter der Strafverfolgungsbehörden (und auch Präsidentin zh’Tarash selbst) Picard so gut wie vergessen hatten. Vielleicht konnten sogar noch ein paar andere gerettet werden, sollte es in ihren Fällen mildernde Umstände geben. Die Aufmerksamkeit würde sich auf den Kern der Sache richten: dass Sektion 31 so lange Zeit ungehindert hatte schalten und walten können und dass die Organisation derart schwindel- und furchterregende Erfolge zu verbuchen hatte.

Granivs Reportage hatte ein jahrhundertealtes Rätsel gelöst: Die künstliche Intelligenz Uräus, das Herz der Organisation, war älter als die Föderation selbst. Nicht jeder, der mit Sektion 31 in Verbindung stand, wusste von Uräus’ Existenz. Die Erkenntnis, dass ein Computerprogramm sogar Verbündete der Organisation fremdgesteuert hatte, würde die Föderationsbürger weiter verstören. Sie würden sich getäuscht, betrogen und entsetzlich hilflos fühlen. Niemand würde mehr irgendjemandem vertrauen.

Akaar ging es nicht anders. Auf der Liste der Agenten, Funktionäre, Kollaborateure und Gönner von Sektion 31 standen Personen, die er seit Jahren kannte, manche seit Jahrzehnten. Es würde Monate dauern, bis sich abschätzen ließ, welches Ausmaß die Zerstörung hatte, die Sektion 31 über die Föderation gebracht hatte; Jahre, bis sich die interstellare Allianz erholt hatte. Und erholen würde sie sich nur, wenn jemand die Zügel in die Hand nahm. Deshalb hatte Akaar keine Zeit: Er brauchte eine Strategie, die der Föderation half, das Desaster zu überstehen. Ihm war klar, dass er daran scheitern würde, wenn es niemanden gab, auf den er sich verlassen konnte.

»Mein größtes Problem ist, dass ich nicht mehr sicher bin, ob ich Ihnen vertrauen kann«, sagte er. »Kann ich Ihnen vertrauen?«

Picard antwortete sofort und voller Überzeugung. »Vollkommen.« Trotz der Tatsache, dass Akaar ihn heruntergeputzt hatte, war die Haltung des Captains tadellos. In seinen Augen las Akaar Entschlossenheit. So kannte er Picard. Auf diesen Mann hatte er gebaut wie sonst nur auf Angehörige seines inneren Kreises. Sein Instinkt verriet ihm, dass Picard die Wahrheit sagte: Er mochte sich freiwillig in einen Sumpf von Korruption begeben haben – aber nicht, weil er keinen Charakter besaß, sondern aus der Notwendigkeit heraus, dem Gemeinwohl zu dienen.

Damit kam Akaar zurecht. Deswegen war er jedoch noch lange nicht bereit, die Verfehlungen des Captains einfach zu vergessen.

»Davon werden Sie mich überzeugen müssen. Bis Ihnen das gelungen ist – immer vorausgesetzt, ich kann Sie davor bewahren, von der Presse in der Luft zerrissen zu werden –, können Sie davon ausgehen, dass ich Sie an einer sehr kurzen Leine führen werde.«

Noch einmal ermahnte er den Captain der Enterprise, seine Mission fortzusetzen (und dabei nicht zu vergessen, dass er nun vor allem Akaar Rechenschaft schuldig war), dann schloss er den Kommunikationskanal. Erst als Picards Gesicht vom Bildschirm verschwunden war, entspannte er sich. Er lehnte sich in seinem Sessel zurück, schloss die Augen und massierte sich die Nasenwurzel.

Ach, verdammte Scheiße!

Diese Geschichte würde Karrieren beenden, und zwar nicht nur von Personen, die sich im Netz von Sektion 31 verfangen hatten. Viele, die wichtige Posten innerhalb der Sternenflotte oder der Föderationsregierung innehatten, würden zurücktreten müssen. Manche würden sich außerdem Tatvorwürfen gegenübersehen. Akaar wollte damit so wenig wie möglich zu tun haben, aber als Oberbefehlshaber der Sternenflotte würde er sich diesen Luxus nicht erlauben können.

Wie aufs Stichwort summte sein Interkom. »Admiral Akaar«, ertönte die Stimme seines Sekretärs. »Die Generalanwältin hat sich über einen verschlüsselten Kanal gemeldet. Sie möchte augenblicklich mit Ihnen sprechen.«

Akaar seufzte und schlug die Augen auf.

Also ist es so weit … Der Sturm bricht los.

KAPITEL 4

Wie üblich füllte sich die Messe der Enterprise nach Ende der Alpha-Schicht rasch. Die Theke war voll besetzt, und an den Tischen waren nur noch vereinzelt Stühle frei. Offiziere standen in Grüppchen in der Nähe der Bar herum, zwischen den Tischen oder vor den großen, abgeschrägten Fenstern. Dort hatte man den besten Ausblick auf die Sterne: Das Warpfeld verzerrte sie, sodass sie wie Lichtstreifen wirkten. T’Ryssa Chen versuchte immer, einen Tisch am Fenster zu ergattern. Wenn sie nach draußen schaute, konnte sie besser denken. Der Ausblick hatte beinahe etwas Meditatives.

»Trys?«

Sie erschrak ein wenig und erinnerte sich, dass sie nicht allein am Tisch saß. Dann wurde ihr mit einiger Verspätung klar, dass ihre Freundin Dina Elfiki sie jetzt schon zum dritten Mal angesprochen hatte. Chen setzte sich aufrechter hin und räusperte sich.

»Entschuldige, Dina. Ich …« Sie runzelte die Stirn. Ihre Gedankenverlorenheit war ihr peinlich. »Ich glaub, ich war kurz abgelenkt.«

»Langweile ich dich? Wärst du lieber allein?« Elfiki war in Ägypten geboren worden und sprach mit leichtem Akzent. Der Blick ihrer großen dunklen Augen war ernsthaft besorgt.

Chen winkte ab. »Nein, natürlich nicht! Verzeih mir. Ich hab keine Ahnung, was mit mir los ist.«

Lügnerin, tadelte sie sich selbst. Du weißt ganz genau, welche Laus dir über die Leber gelaufen ist. Dir und allen anderen auf diesem Schiff.

Elfiki strich sich eine Strähne ihres schulterlangen schwarzen Haars aus dem Gesicht. »Wahrscheinlich bist du bloß müde. Wie ich …« Sie nahm einen Schluck aus ihrem Glas. »Ich hab die letzten sechsunddreißig Stunden damit verbracht, zusammen mit meinem Team und ein paar Ingenieuren noch mal den Computerkern und alle Backup-Systeme zu überprüfen – wir haben uns noch mal jedes Kiloquad Datenspeicher angesehen. Dasselbe haben wir mit den Computersystemen aller Shuttles, der Jacht des Captains und mit jedem einzelnen Ausrüstungsgegenstand gemacht, der einen eingebauten Computer oder Datenspeicher besitzt, bis hin zum letzten Trikorder und zum letzten isolinearen Chip.«

»Wirklich?«, fragte Chen. »Hattet ihr das nicht gerade erst gemacht?«

»Commander La Forge hat uns gebeten, uns alles noch mal vorzunehmen. Soweit ich sagen kann, haben wir von allen Computern an Bord jede einzelne Komponente des Uräus-Programms vollständig entfernt.«

Chen seufzte. »Du weißt, dass ich dir geholfen hätte, oder? Du hättest mich nur fragen müssen!«

»Natürlich weiß ich das. Du warst beschäftigt, Trys.«

»Damit, die Sensorphalanx nachzukalibrieren.« Chen verdrehte die Augen. »Wenn ich vor die Wahl gestellt würde, was ich lieber machen würde – das oder mich kopfüber in eine Plasmaleitung stürzen –, müsste ich ernsthaft darüber nachdenken.« Die Arbeiten an der Phalanx mussten akribisch durchgeführt werden, verlangten volle Konzentration, waren absolut notwendig – und so langweilig, dass Chen darüber hätte in Tränen ausbrechen können. Vielleicht war es noch schlimmer, Millionen und Abermillionen Zeilen Computercode durchzugehen, um Schadsoftware aufzuspüren, aber wenigstens konnte man dabei an einer Konsole sitzen und musste nicht von Zugangsklappe zu Zugangsklappe durch Jefferies-Röhren kriechen. »Das war ein ziemlich heimtückisches Programm. Ein zusätzliches Augenpaar wäre bestimmt nützlich gewesen.«

Chen hatte den offiziellen Bericht des Sternenflottenkommandos gelesen, der sich mit dem vollen Funktionsumfang des Uräus-Programms von seiner Initialisierung im 22. Jahrhundert an beschäftigte. Experten aus der Sternenflottenabteilung für Forschung und Entwicklung hatten umfängliches Material zusammengestellt, um die Betriebsparameter und die Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz zu skizzieren. Dazu gehörte auch eine vollständige Darstellung des ihr zugrunde liegenden Computercodes. Natürlich hatte Chen an der Sternenflottenakademie den Umgang mit Computern erlernt. Sie hatte ihr Wissen an Bord der U.S.S. Rhea und später an Bord der Enterprise angewandt, hielt sich aber nicht für eine Computerexpertin. Wenn sie sich Mühe gab, konnte sie mit anderen, klügeren Offizieren, die vielleicht sogar eine Begabung auf diesem Gebiet hatten, gerade so mithalten. Mit Elfiki zum Beispiel. Seit sie auf der Enterprise diente, hatten das Talent, die Initiative und der vortreffliche Instinkt ihrer Freundin schon ein paarmal wesentlich dazu beigetragen, Raumschiff und Besatzung aus gefährlichen Situationen herauszuholen. Dabei hatte Elfiki wie nebenbei Leben gerettet.

»Wir haben uns jede einzelne Codezeile angeschaut«, sagte Elfiki. »Alle gespeicherten Dateien. Wir haben jeden Datentransfer zurückverfolgt, und ich meine jeden, einschließlich den der Datenbänke aus der Enterprise-D. Du weißt schon, die aus dem Annex-Archiv in Aldrin City auf Luna. Aber was Data, Lal und die anderen in den Hochsicherheitsarchiven Memory Alpha und Memory Prime getan haben, war sehr effektiv: Wir haben nirgendwo auch nur eine Spur von Uräus gefunden. Man sollte meinen, ich würde jetzt besser schlafen, aber von wegen! Ich werde wahrscheinlich wochenlang von endlosen Codezeilen träumen …«

Elfiki musste sich aussprechen, und Chen ließ ihre Freundin reden. Captain Picards Befehl, die Uräus-Software restlos vom Schiffscomputer zu entfernen, war eine große Herausforderung: Das Programm war so konzipiert, dass es wie wuchernder Efeu alles umschlang. Immerhin konnten Elfiki, Commander La Forge und ihre jeweiligen Teams sich auf die detaillierten Berichte Datas stützen, der die KI besiegt hatte. Er und seine Androidentochter Lal hatten mithilfe des ehemaligen Sternenflottenarztes Julian Bashir und Sarina Douglas’, die Sektion 31 abtrünnig geworden waren, ein Heilmittel gegen die Seuche Uräus gefunden.

»Wir sind allein hier draußen«, sagte Chen, »deshalb müssen wir ganz sichergehen, dass nicht in irgendeiner Computerdatei eine Falle versteckt ist. Wenn wir unserer Ausrüstung nicht vertrauen können … Immerhin hält sie uns am Leben.«

Elfiki starrte in ihr Glas und seufzte schwer. »Ja. Wir haben bloß das Schiff … Und einander.«

Aha, dachte Chen. Jetzt kommen wir zur Sache.

»Wir hatten noch keine Gelegenheit, darüber zu sprechen«, fuhr Elfiki nach einer kurzen Pause fort. »Weil wir so beschäftigt waren … Oder vielleicht haben wir uns auch bloß in unserer Arbeit vergraben.« Sie warf einen raschen Blick durch die Messe. »Guck dich mal um! Es ist, als wäre man auf einem Begräbnis.«

Ihre Freundin hatte es also auch gemerkt. Die Stimmung war gedrückt. Die Anwesenden taten ihr Bestes, um den Eindruck zu erwecken, alles sei beim Alten – mit mäßigem Erfolg. Wahrscheinlich gab es niemanden an Bord, der die Nachrichten nicht verfolgt hatte. Sektion 31, das Uräus-Programm und die geheimen Freveltaten, die seit zwei Jahrhunderten ungestraft durchgeführt wurden … Die Enthüllungsjournalistin Ozla Graniv hatte dafür gesorgt, dass jeder davon erfuhr. Allerdings gab ihre Reportage keine Antworten auf jene Fragen, die die Besatzung der Enterprise quälten.

»Man erfährt nicht jeden Tag, dass der eigene Captain dabei geholfen hat, einen Föderationspräsidenten seines Amtes zu entheben, der dann von einer Geheimorganisation ermordet wurde«, sagte Elfiki. »So was hinterlässt einen bleibenden Eindruck.«

»Wir wissen doch alle, dass er mit Zifes Ermordung nichts zu tun hatte«, sagte Chen.

Elfiki nickte. »Natürlich. Aber wir haben geglaubt, Zife sei freiwillig zurückgetreten, aus persönlichen Gründen. Du musst zugeben, es ist schon ein bisschen … verstörend zu erfahren, dass unser Captain in seinen Sturz involviert war. Klar, wenn man das große Ganze betrachtet, war es wohl die richtige Entscheidung. Aber ich hätte sie nicht treffen wollen. Und hätte mich jemand gebeten, bei der Sache zu helfen … Ich weiß nicht, ob ich das gekonnt hätte. Ich rede mir ein, ich würde in so einem Fall aus den richtigen Gründen das Richtige tun.« Sie zuckte hilflos mit den Schultern. »Entschuldige, Trys. Ich komme nicht besonders gut mit der Sache zurecht.«

»Das macht doch nichts.«

Die Neuigkeit, dass Captain Picard in die Min-Zife-Affäre verwickelt war, hatte sich mit Warpgeschwindigkeit verbreitet. Zuerst war die Besatzung schockiert gewesen und hatte es nicht glauben wollen. Dann hatten sich Ärger, Unsicherheit und das starke Gefühl, verraten worden zu sein, breitgemacht. Was sollte jetzt werden? Chen war unfreiwillig Zeugin mehrerer gedämpfter Gespräche geworden, in denen Crewmitglieder ihre Zweifel austauschten: War der Mann, zu dem sie aufsahen, von dem sie Führung erwarteten, ihres Vertrauens überhaupt würdig? Allerdings schienen die Offiziere, die ihrem Captain den Rücken stärkten, deutlich in der Überzahl zu sein. Sie erinnerten neuere Kameraden daran, was Picard alles getan und erreicht hatte, an die Jahrzehnte, die er nach bestem Wissen und Gewissen der Sternenflotte gedient hatte. Ob der Captain etwas von der Zerrissenheit ahnte, unter der seine Mannschaft litt, wusste Chen nicht. Wäre es ihm ein Trost zu wissen, dass es Leute gab, die versuchten, die ganze elende Geschichte in die richtige Perspektive zu rücken?

Man musste Picard zugutehalten, dass er mit jedem persönlich über die Angelegenheit gesprochen hatte, der den Wunsch danach geäußert hatte. Chen hatte sein Angebot wahrgenommen. Picard hatte müde ausgesehen. Wie sicher schon vielen anderen vor ihr hatte er ihr gestanden, dass er nicht stolz darauf war, was er getan hatte. Zifes Rücktritt zu erzwingen, hatte damals wie die beste verschiedener schlechter Alternativen gewirkt. Jede andere Marschroute hätte vermutlich die Spannungen zwischen der Föderation und dem Klingonischen Reich verstärkt, zu einer Zeit, als die Föderation sich das nicht leisten konnte. In Picards Augen gab es keine juristische Rechtfertigung dafür, einen gewählten Föderationspräsidenten ohne jedes Verfahren abzusetzen – und erst recht keine moralische Rechtfertigung für das, was hinterher geschehen war.

»Vielleicht hättest du auch mit ihm sprechen sollen, Dina«, sagte sie leise. »Dann wüsstest du, wie sehr er sich schämt. So habe ich ihn noch nie gesehen … So angreifbar. Er hat gesagt, er musste sich nach der Sache immer und immer wieder selbst davon überzeugen, dass der Schritt notwendig gewesen sei. Dass es zahllose Leben gerettet habe, Zife aus dem Amt zu drängen. Er hat gesagt, er habe jeden Tag aufs Neue versucht, irgendwie wiedergutzumachen, was er getan hat.«

»Glaubst du, er hat es jemandem erzählt?«, fragte Elfiki. »Er ist ein zurückhaltender Mensch, das ist keine Frage, aber auch er hat ja ein paar enge Freunde. Hat er Doktor Crusher ins Vertrauen gezogen? Oder Admiral Riker? Irgendjemanden?«

Chen schüttelte den Kopf. »Er sagt Nein. Und mal ehrlich, das ist nicht die Art von Geschichte, die man gerne erzählt.« Picard hatte gesagt, bevor Granivs Reportage erschienen sei, hätten nur diejenigen, die an der Sache beteiligt gewesen waren, Bescheid gewusst (und wie viel sie gewusst hatten, hätte von der Rolle abgehangen, die sie gespielt hatten). Natürlich war die Verschwörung um einiges größer gewesen, als Picard damals geglaubt hatte, so viel war Chen klar. Immerhin war Sektion 31 involviert gewesen.