Stätten der Heilkunde - Thilo Gehrke - E-Book

Stätten der Heilkunde E-Book

Thilo Gehrke

0,0

Beschreibung

Eine Dokumentation wissenschaftlicher Räume als verlassene Orte. Der Fotograf und Autor Thilo Gehrke hat mit seiner Kamera die geheimnisvolle Aura verlassener Heilstätten des letzten Jahrhunderts festgehalten. Über 20 Stätten der Heilkunde werden in dieser interdisziplinären Bild- und Textdokumentation mit Zwischen-, Um- und Nachnutzungskonzepten vorgestellt. Mit dem künstlerisch-fotografischen Blick werden sowohl eine Revitalisierung dieser erhabenen Bauten in Form einer Heilstätte, eines Wissenschaftsstandortes im Gesundheitswesen oder eines Kunstlabors als auch eine Umwandlung zu Wohnraum dargestellt. Ein Großteil dieser einst wissenschaftlichen Räume liegt jedoch als Lost Place im Dornröschenschlaf und wartet auf bessere Zeiten. Einige der festgehaltenen Objekte sind inzwischen bereits ganz verschwunden.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 55

Veröffentlichungsjahr: 2021

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



„Das Vergangene ist niemals tot, es ist nicht einmal vergangen. Aus dem einfachen Grund, weil die Welt in der wir leben, in jedem Augenblick auch die Welt der Vergangenheit ist. Sie besteht aus den Zeugnissen und Überresten dessen, was Menschen im Guten wie im Schlechten getan haben.“

Hannah Arendt

Inhaltsverzeichnis

Einführung

Stätten der Heilkunde – von Wissenschaftlichen Räumen zu Lost Places

Medizin zwischen Patientenwohl und Ökonomisierung

Von sakralen Räumen zu mystischen Orten

Beelitz-Heilstätten – eine Geisterstadt im Dornröschenschlaf

Die Heilstätten heilen und erwecken

Creative Village und Baumkronenpfad – neues Leben in alten Mauern

Die Heilstätte Grabowsee bei Oranienburg

Kids Globe – Kunst, Kultur und Soziales als Hoffnungsträger für die Heilstätte

Die Landesirrenanstalt Teupitz

Von der Heil- und Pflegeanstalt über die Euthanasie zur Klinik für psychisch Kranke

Die Volksheilstätte in Hohenlychen

Von der Lungenheilstätte zum „Nationalsozialistischen Musterbetrieb“

Das Militärlazarett Jüterbog

Medizin im Kalten Krieg

Die Milbitzer Heilanstalten in Gera

Heilkunde am Rande der Stadt

Die Heilanstalten in Berlin Buch

Die Krankenhaustadt am Regierungssitz

Das Haftkrankenhaus der Untersuchungshaftanstalt des MfS in Berlin

Medizin hinter Gittern

Das Elisabeth-Sanatorium in Güterfelde bei Potsdam

Von der Hautklinik zum Mehrgenerationencampus

Das Kindersanatorium Erich Steinfurth in Zinnowitz auf Usedom

Vom Kinderheim zum Spekulationsobjekt

Städtisches Krankenhaus Swinemünde

Revitalisierung einer Heilstätte

Das Dahlberg-Krankenhaus in Wismar

Von der Hanseklinik zur Brandruine

Die alte Pathologie im Eppendorfer Krankenhaus in Hamburg

Von der Pathologie zum Museum

Von der Stätte der Forschung und Lehre zum mystischen Ort

Das Bethanien-Krankenhaus in Hamburg

Von der Heilstätte zur Kunstklinik

Vom Diakonissenstift zur Nachsorgeklinik

Vom Wissenschaftlichen Ort zum Kunstraum

Das Allgemeine Krankenhaus Barmbek in Hamburg

Von der Heilstätte zum Wohnquartier

Das Hilfskrankenhaus Wedel

Vom Atombunker zum sozialen Projekt

Die Klinik Anscharhöhe in Kiel

Vom Marinelazarett zum Wohn- und Kunstquartier

Das Lessingbad in Kiel

Vom Volksbad zum Kunstlabor

Das Sanatorium Dr. Barner in Braunlage

Gesunden wie vor 100 Jahren

Die Aura der Ästhetik und des Wohlfühlens

Das Sanatorium Raupennest in Altenberg / Sachsen

Vom Erholungsheim zur Grenzruine

Sakrale Räume und mystische Orte als Magnet für okkulte Opferrituale

Das Tabu der eigenen Vergänglichkeit als Mythos

Die Hoffnung auf Heilung im Glauben

Sakrale Räume als Labore für übersinnliche Kräfte

Autorenportrait

Einführung

Stätten der Heilkunde – von wissenschaftlichen Räumen zu Lost Places

Nirgendwo sonst liegt Leben und Sterben so untrennbar beieinander wie im Krankenhaus als Stätte der Erneuerung und des Abschieds vom menschlichen Dasein.

Der Kreissaal als Eintrittstor in die irdische Existenz, der Operationssaal als Reparaturwerkstatt für den defekten menschlichen Körper am lebenden Objekt, das Sterbezimmer für den Abschied vom irdischen Dasein und der Sektionssaal im anatomischen Institut als Forschungsstätte letaler Defekte machen uns deutlich, dass dieser Ort angewandter Wissenschaften früher oder später Mittelpunkt eines jeden Menschen ist.

Die Furcht vieler Menschen, in ein Krankenhaus eingeliefert zu werden, es möglicherweise nicht lebend oder mit einem größeren Schaden als vorher zu verlassen, habe ich selbst während meiner langjährigen Tätigkeit im Rettungsdienst und später als Mitarbeiter in einer neurochirurgischen Reha-Klinik erfahren. Während meiner Ausbildung und später als Patient auf einer chirurgischen Krankenhausstation lernte ich dann die Ambivalenz des „Systems Krankenhaus“ kennen.

Medizin zwischen Patientenwohl und Ökonomisierung

Zuwendung, Geborgenheit und Rundumversorgung als psychosoziales Narrativ klinischmedizinischer Heilfürsorge befinden sich im ökonomischen Wandel, der staatliche Fürsorgeauftrag gegenüber dem Bürger wird zunehmend privatisiert, um den marktgerechten, rentablen Patienten zu erfassen. Der Personalschlüssel in modernen Großkliniken wurde spürbar dezimiert, die Berufsgruppe der Pflegenden arbeitet vielfach am Limit ihrer Leistungsfähigkeit. Der Beruf der Krankenschwester hat ein ernsthaftes Nachwuchsproblem.

Arztromane der Wirtschaftswunderzeit und Krankenhausserien im Farbfernsehen ließen uns einst in eine dünkelhafte romantische Scheinwelt dienender attraktiver Krankenschwestern und höfisch patriarchaler Chefärzte hineinträumen. Die TV Serie „Das Krankenhaus am Rande der Stadt“ aus der damaligen ČSSR oder „Die Schwarzwaldklinik“ im ZDF verdeutlichten uns Hoffnung und Freude, Liebe und Leid, Tod und Leben. Diese Serien waren als seelische Aufwärmangebote über Jahrzehnte ein Publikumserfolg. In der heutigen Zeit wären diese kleinen, intimen Schicksalsgemeinschaften vermutlich längst dem Controlling und der Gewinnmaximierung des „Systems Krankenhaus“ zum Opfer gefallen.

Sanatorien, großflächige Heilstätten mit Erholungsparks und Pavillons aus der Gründerzeit gehören heute längst vergangenen Zeiten an. Das heute noch betriebene Sanatorium Dr. Barner 1 in Braunlage scheint ein Fossil dieser Zeit zu sein und überlebte als Heilstätte nicht nur wegen seiner Einzigartigkeit. In dieser historischen, denkmalgeschützen Jugendstilhülle findet hochmoderne Medizin im Konkurrenzkampf mit anderen Gesundheitsdienstleistern um den „marktgerechten Patienten“ statt. Es ist ein steter Kampf um das wirtschaftliche Überleben.

Die hier vorgestellten Stätten der Heilkunde haben diesen Kampf längst verloren, diese verlassenen Orte sind steinerne Zeugen dieser Entwicklung im Gesundheitswesen.

Nur selten ist es gelungen, diese Lost Places zu revitalisieren, zumal in der Tradition als Gesundheitsstandort, wie in Swinemünde 2 und teilweise in Beelitz-Heilstätten 3 bei Berlin.

Von sakralen Räumen zu mystischen Orten

Einige dieser verlassenen Einrichtungen der Krankenhausseelsorge wie Kirchenräume, Kapellen, Andachts- und Abschiedsräume, Operations- und Sektionssäle haben nach ihrer Entweihung neue Nutzer gefunden 4.

Manche Anhänger der schwarzen Szene, Geisterjäger, Fetisch- und Gotik-Fans nutzen diese sakralen Räume für rituelle Handlungen oder okkulte Opferrituale.

In den Jahren 1989 bis 1991 erlangte Beelitz-Heilstätten über sechs grausame Morde durch einen ehemaligen Volkspolizisten und Erntehelfer, dem „Rosa Riesen“, traurige Berühmtheit. Unter den Opfern war auch die Frau eines russischen Chefarztes und ihr neugeborenes Kind. Nachdem der Mörder den Säugling an einem Baum zerschmettert hatte, erwürgte er die Mutter und verging sich, wie auch nach den anderen vier Morden, an der Leiche.

Jahre später, im Jahr 2008, erdrosselte der Wissenschaftler und Hobbyfotograf Michael F. sein junges Fotomodel und verging sich ebenfalls an der Leiche. Ob die dunkle Aura oder die Vergangenheit dieses Ortes zu diesen Taten führten, bleibt ungewiss.

Unbestritten ist, dass der morbide Charme verfallener Sanatorien mit ihrer geheimnisvollen Aura eine magische Anziehung für Lost Places Fotografen darstellt, ich war einer von ihnen.

Bei meiner 23 jährigen Recherche und dem Verfassen dieser Texte für die vorliegende Dokumentation hatte ich mehrere schlaflose Nächte. In meinen Träumen glaubte ich, von den Geistern der gequälten Seelen aus den düsteren verlassenen Krankenhäusern und branntweintrinkenden Sektionsgehilfen aus der Pathologie verfolgt zu werden. Ich hörte Stimmen, die es nicht gab. Das motivierte meinen Forschergeist, dieses Buch zu realisieren und die dazugehörige themenbasierte Fotoausstellung „Stätten der Heilkunde - von Wissenschaftlichen Räumen zu Lost Places“ fertigzustellen.